Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 4: Passionierte Begabungen ---------------------------------- ♥ Mimi ♥ Gelangweilt saß sie an ihrem Platz und starrte geistesabwesend aus dem Fenster während Herr Kudo mit der Klasse die Polynomdivision aus dem vorherigen Schuljahr wiederholte, um sicher zu gehen, dass sich alle auf dem gleichen Stand befanden. Mimi hatte von Mathe noch nie sonderlich viel Ahnung gehabt und hatte Schwierigkeiten den Schritten ihres Lehrers zu folgen, weshalb sie meistens abschaltete. Die erste Schulwoche hatte Mimi bereits erfolgreich hinter sich gebracht und sie freute sich darauf, dass auch ab dieser Woche die außerschulischen Aktivitäten wieder beginnen würden. Sie war gedanklich bereits im Kochkurs, den ihre Lieblingslehrerin Frau Ito immer montags und donnerstags leitete. Sie hatte sie auch in Englisch – einem Fach in dem sie sich deutlich wohler fühlte als hier. Mit Sprachen fühlte sie sich generell vertrauter, da sie sie schneller lernte als irgendwelche Formeln, die für sie nie einen Sinn ergaben und sie meist noch mehr verwirrten. Vielleicht waren Naturwissenschaften auch einfach nicht ihr Ding, da ihre Talente in anderen Sparten lagen. Mimi wusste ziemlich genau für was sie sich interessierte: Hübsche Mode, leckeres Essen, gutaussehende Jungs, die ihr gut und gerne mal den Kopf verdrehten. Zurzeit hatte es ihr der neue Gitarrist aus Yamatos Band angetan, der sie mit seiner undurchschaubaren Art sehr faszinierte. Sein lässiges Auftreten, der ungewöhnliche aber rockige Klamottenstil, das Düstere und Geheimnisvolle, was ihn umgab…all das hatte Wirkung auf Mimi, weshalb sie ihn unbedingt ein bisschen näher kennen lernen wollte. Auch wenn Sora ihn als unsympathisch und schlechten Einfluss abgestempelt hatte, wollte sich Mimi ein eigenes Bild von Makoto machen. Dass Yamato sie am Wochenende auf ein Konzert eingeladen hatte, passte ihr deswegen natürlich bestens in den Kram. Vielleicht schaffte sie es ja ein wenig seine Aufmerksamkeit zu erwecken. Das passende Outfit hatte sie sich bereits überlegt. Ein leichter Druck gegen ihren Arm riss sie plötzlich aus ihren Gedankengängen als sie mit dem Kopf herumwirbelte und Izzy fragend musterte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch Herr Kudo einen auffordernden Blick aufgelegt hatte und wartend die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Hilflos starrte sie zu Izzy, so als würde sie versuchen telepathischen Kontakt mit ihm aufzunehmen, um herauszufinden, was Herr Kudo von ihr wollte. Doch Izzy sah immer wieder zur Tafel und versuchte sie auf die ungelöste Aufgabe zu lenken, während es Mimi ganz heiß wurde. „Ich habe gerade nicht aufgepasst“, gab sie beschämt zu und senkte betroffen den Kopf. „Das habe ich gemerkt! Ich glaube nicht, dass du dir in Mathe sowas leisten kannst!“, ermahnte Herr Kudo sie streng und warf die Frage erneut in den Raum. Mit knallroten Wangen und dem Gefühl vor der Klasse bloßgestellt geworden zu sein, hob Mimi betreten den Kopf an und sah wie Herr Kudo prompt seine Lieblingsschülerin Kaori drannahm, die wiederrum wild mit mathematischen Bezeichnungen um sich warf, sodass sich ein leises Stöhnen durch die Klasse zog. Ohne sich beirren zu lassen, führte Kaori die Polynomdivision durch, sagte welche Werte wie geteilt wurden und präsentierte nach wenigen Minuten ganz stolz ihr errechnetes Ergebnis, das selbstverständlich richtig war. Mit einem überheblich wirkenden Grinsen kassierte sie das Lob von Herrn Kudo, was Mimi nur dazu brachte, die Augen zu verdrehen. Sie mochte es ganz und gar nicht, wenn sich jemand für etwas Besseres hielt, nur, weil er gut in der Schule war. Und diese Kaori dachte auch, sie hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen, weshalb Mimi nur ungern mit ihr zusammenarbeitete. Sie hoffte wirklich, dass sie mit ihr nicht das Sozialkundeprojekt machen musste, da die Gruppen meist zugelost wurden und sie mit einer Perfektionistin wie ihr einfach nicht zurechtkam. Sie konnte nur hoffen, dass sie in eine Gruppe kam, die ihren Wünschen entsprach. Schließlich ging es auch um ihre Note und die wollte sie sich von keinem versauen lassen. _ „Herzlich Willkommen im diesjährigen Kochkurs“, begrüßte Frau Ito die muntere Klasse und schrieb ihren Namen an die Tafel. Die Kreide kratzte leicht über die raue Oberfläche, sodass ein schrilles Quietschen zu hören war. Mimi hasste dieses Geräusch und bemerkte eine sofortige Gänsehaut, die sich über ihren Körper legte. „So, beginnen wir erstmal mit einer kleinen Sicherheitseinführung“, stieg sie ein, nachdem sie ihren Namen in geschwungenen Buchstaben an die Tafel gebracht hatte. In einer beruhigenden Stimme erklärte sie, wie die technischen Geräte der Küche funktionierten und was man bei ihnen beachten musste. Da die Schulküche nur heißes Wasser hatte, wenn man den Boiler unter den jeweiligen Theken einschaltete, erwähnte sie, dass man immer kurz, bevor man mit Kochen begann, auch dort einen Blick darauflegen sollte. Am Ende sollte darauf geachtet werden, dass er auch wieder ausgeschaltete wird, um Energie zu sparen. Frau Ito zeigte auch kurz den Verbandskasten, indem sich Desinfektionsmittel, Mullbilden und Pflaster befanden, wenn man sich verletzte. Auch Mimi hatte sich im letzten Jahr in den Finger geschnitten, was nicht sonderlich wehtat, aber dennoch fürchterlich blutete. Des Weiteren erklärte sie, wie sie die Kochstunden aufbauen wollte. Wie im letzten Jahr bestanden die Stunden aus einem Theorie- und einem anschließenden Praxisteil, indem sie die gelernten Rezepte umsetzen wollten. Mimi hatte alles brav notiert und richtete einen kurzen Blick zu Yolei, die ganz fasziniert zu Frau Ito blickte und förmlich an ihren Lippen hing. Mimi konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, da sie sich vorstellen konnte, dass viele Eindrücke auf sie niederprasselten. In der ersten Stunde gab es meist viele Informationen, die oftmals sehr erschlagend wirken konnten. Aber auch die Rezepte wurden dort erstmals vorgestellt und in einer Mappe, die Mimi wie einen Schatz hüten wollte, verteilt. Sie wurde schon ganz hibbelig, wenn sie daran dachte, was sie alles bereits gelernt hatte. Mittlerweile war sie sogar richtig geschickt und schreckte auch nicht davor zurück ein paar neue Dinge auszuprobieren. Besonders die französische Küche hatte es ihr angetan, weil sie viele Leckereien verbarg, die in Japan eher unüblich waren. Manchmal war es zwar schwer an die passenden Zutaten heran zu kommen, aber meist schaffte Mimi es mit etwas Kreativität ihre Gerichte anzupassen. „Wow, sie ist echt unglaublich motiviert“, flüsterte Yolei ihr anerkennend zu und hatte immer noch ihre Augen auf Frau Ito gerichtet. „Ich glaube, sie wollte auch ursprünglich mal Köchin werden“, erinnerte sich Mimi dunkel, konnte sich aber nicht erklären, warum sie sich letztlich doch dazu entschieden hatte, Lehrerin zu werden. Man spürte, dass das Kochen sie mit Leidenschaft erfüllte und ihr Spaß bereitete. „Okay, ich werde dann mal unsere Rezepte verteilen. Ich habe mir schon spannende Leckereien ausgedacht, die wir auch alle schön nachkochen werden“, kündigte sie freudig an. Mit einem Lächeln auf den Lippen holte sie die bunten Helfer aus einer alten Stofftasche hervor und verteilte sie großzügig an ihre begeisterten Schüler. Auch Mimi konnte es kaum erwarten sich ihren Hefter genauer betrachten zu dürfen. Gespannt nahm sie ihn entgegen und freute sich jetzt schon auf die Zeit, die ihr bevorstand. _ „Und wir machen so viele französische Spezialitäten! Crème Brûlée, Mousse au Chocolat und sogar Ratatouille“, schwärmte sie mit einem Funkeln in den Augen und vergaß völlig, dass ihre Pizza kalt wurde, die ihr Vater nach der Arbeit für alle mitgebracht hatte. „Das wird so toll und nach dem Kurs könnte ich sicher ein einiges Restaurant eröffnen“, meinte sie selbstsicher, nahm ein Stück Pizza in die Hand und biss einen Happen ab. Sie war wirklich schon etwas kalt geworden, aber das machte Mimi nichts aus, da sie völlig von ihrer Euphorie gepackt wurde, die sich in einem Redeschwall äußerte. Sie befanden sich gerade beim Abendessen, doch Mimi kam einfach nicht zur Ruhe, redete ohne Punkt und Komma während ihre Eltern ihr gespannt zuhörten. Ihr Vater sah heute besonders müde aus, blinzelte angestrengt und versuchte partout nicht vor ihr zu gähnen, was ihm sehr schwer fiel. Ihre Mutter hingegen hatte ein begeistertes Lächeln aufgesetzt und folgte gespannt den Erzählungen ihrer Tochter, so wie sie es immer tat. „Vielleicht kann ich für uns mal ein ganzes Menü zaubern“, schlug sie begeistert vor und hob die Hände. „Angefangen mit einer extravaganten Vorspeise, über einen deliziösen Hauptgang, bis hin zu einer krönenden Nachspeise mit viel Sahne.“ In Gedanken malte sie sich schon das perfekte fünf Sterne Menü aus und überlegte zu welcher Gelegenheit sie es servieren könnte. Vielleicht zu Weihnachten? Nein, das war noch viel zu lang hin und sie wollte am liebsten sofort loslegen. Bestimmt würde sie schon eine Gelegenheit finden. „Pass‘ aber auf, dass du nicht schon wieder die Küche in Brand setzt“, ermahnte ihr Vater sie grinsend und spielte auf einen Vorfall im vergangenen Jahr an, der sie wohl ihr ganzes Leben verfolgen würde. Genervt verdrehte sie die Augen und knabberte resigniert an ihrem Stück Pizza. Der herzhafte Käse schmolz in ihrem Mund nur so dahin und die würzige Peperoniwurst gab dem Ganzen genügend Pfeffer, sodass sie genüsslich ihre Lider schloss und ganz im Rausch des Essens versank und gar nicht weiter auf ihren Vater einging. Schließlich konnte es jedem Mal passieren, dass Öl zu heiß wurde. Auch sie hatte dazugelernt und wusste, dass man es niemals mit Wasser löschen sollte, wenn es einen Brand entfachte. „Zieh‘ sie doch nicht immer so auf Keisuke“, mischte sich nun auch ihre Mutter ein und legte ein mildes Lächeln auf. „Sie lernt doch noch und solange sie Spaß dabei hat.“ „Spaß ist wirklich schön und gut, aber du solltest dir auch langsam Gedanken machen, was du nach der Schule studieren möchtest“, warf er ein und spielte mal wieder ein Thema an, dass sie nicht mehr hören konnte. „Ich habe doch ein bisschen Zeit“, rechtfertigte sie sich und versuchte nicht allzu genervt zu wirken. Denn Mimi hatte dieses Thema mehr als nur satt. Immer wieder fragte ihr Vater nach ihrer Zukunft, in der Hoffnung sie würde ihm endlich die Antwort geben, die er hören wollte. Seit ihr Vater in dem Unternehmen ihrer Großeltern arbeitete und eine Führungsposition übernommen hatte, träumte er davon, dass Mimi irgendwann in seine Fußstapfen treten würde. Doch Mimi hatte keinerlei Interesse an Werbung, Marketing und dem betriebswirtschaftlichen Geschehen. Viel mehr wollte sie einmal einen Beruf ausüben, der ihr Spaß machte, ihre Kreativität ausschöpfte und sie völlig erfüllte. „Ach Mimi, schieb doch nicht immer alles auf! Ich habe sogar letztens mit Akio darüber gesprochen. Er meinte, du könntest sogar eine Ausbildung über die Firma machen, das wäre doch super!“, unterbreitete er ihr freudig, während Mimi der Appetit plötzlich verging. Auch ihre Mutter wurde ungewöhnlich ruhig und musterte ihren Vater skeptisch von der Seite, während Mimi frustriert ihren halbvollen Teller beiseiteschob. „Ist doch meine Sache oder?“ „Selbstverständlich“, ruderte ihr Vater etwas zurück als er bemerkte, dass sie auf stur schaltete. „Es ist nur eine Option, die du im Auge behalten solltest.“ „Klar“, presste sie zischend über ihre Lippen und starrte an die Wand, an der ihre Familienfotos hingen. Ein Hauch Wehmut schwang mit als sie die Bilder betrachtete und feststellte, dass sich schon einiges verändert hatte, seit sie wieder in Japan wohnten. Ihr Vater schien in der Rolle als Businessmann aufzugehen, verbrachte oftmals mehr Zeit in der Firma als zu Hause, was nicht nur sie störte. Auch ihre Mutter musste sehr zurückstecken, verbrachte viele Abende alleine auf der Couch und bemühte sich sehr die perfekte Ehefrau zu mimen, auch wenn Mimi die Spannungen zwischen ihrer Mutter und ihrer eigenen Familie durchaus bemerkt hatte. Sie stand ihrer Großmutter nie sonderlich nah, hatte eher ein distanzierteres Verhältnis zu ihr, während Mimi ihr Liebling war, was auch daran lag, dass sie ihr einziges Enkelkind war. Ihr Onkel Akio und seine Frau hatten nämlich keine Kinder, lebten deswegen nur für die Karriere, was wohl auch auf ihren Vater abzufärben schien. Denn Mimi liebte ihr unbekümmertes Familienleben, die dämlichen Witze am Mittagstisch und die spontanen und oftmals peinlichen Liebesbekundungen ihrer Eltern. Doch etwas lag in der Luft, auch wenn sie nicht klar erkennen konnte, was es war. Ihr Blick huschte zu ihrer Mutter, die betrübt dem Gespräch ihres Vaters folgte, dass sich mal wieder nur um die Firma drehte und eine angespannte Atmosphäre in der Luft hinterließ. Ein Auge hatte sie jedoch stets aus Mimi gerichtet, die immer noch ihren Teller mit Pizza verschmähte. Von einem schlechten Gewissen getrieben, aß sie langsam weiter, auch wenn sie es einfach nicht mehr hören konnte, welche Erfolgschancen sie haben könnte, wenn sie sich für einen vorbestimmten Weg entschied, den ihr Vater ihr praktisch vorgepflastert hatte. Sie wollte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Mit allem, was dazu gehörte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)