Lieben verboten! von Dolette ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der chemische Geruch der frischen Farbe auf den Wänden meines neuen Zimmers biss mir beim Aufwachen in der Nase und rief mir sofort wieder in Erinnerung, was für ein Tag heute war. Der erste Morgen in unserem neuen Haus, in einer neuen Stadt und schließlich noch an einer neuen Schule. Das erste von drei Jahren Fachabitur hatte ich noch in meiner Heimatstadt, sogar in meiner alten Schule absolviert und ich hatte inständig gehofft, es auch dort abschließen zu können, aber Pustekuchen. Mein Vater hatte ein äußerst lukratives Jobangebot bekommen, dessen Antritt er nur wegen mir fast ein halbes Jahr nach hinten verschoben hatte, damit der Schulwechsel halbwegs sanft für mich wäre. So lieb das auch war und ich konnte wirklich verstehen, dass der satte Batzen mehr auf sein Jahresgehalt ihm kaum eine andere Wahl ließ, ich hasste es. Generell verabscheute ich Veränderungen jeglicher Art und einen so tiefen Einschnitt in mein Leben konnte ich ihm nur schwer verzeihen. Es war Ende August und ich war vor über zwei Monaten 18 geworden. Ich hatte meine Eltern mit mühsam zusammengekratztem Charme wochenlang zu bezirzen versucht, mich doch zurück zu lassen, damit ich meinen Abschluss zu Hause machen konnte, aber sie ließen nicht mit sich reden. Das lag zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass ich einfach nicht besonders charmant sein konnte; generell war ich eher Typ unterkühlt und zurückhaltend. Kannte man mich nicht, könnte man wohl meinen, dass ich zuweilen richtig unfreundlich war. Des Weiteren hatte ich auf dem Weg zur mittleren Reife eine Extrarunde gedreht und meine Eltern waren der Meinung, dass mir, obwohl ich einen ziemlich guten Abschluss hingelegt hatte, das kontrollierende Auge über der Schulter fehlen würde, würde ich alleine leben. Und dann war da natürlich noch mein, zugegebenermaßen zuweilen recht unkontrollierbarer, psychischer Zustand. So richtig verdenken konnte ich es meinen Eltern also nicht, vor allem, da sie eh die Auffassung vertraten, dass die eigenen Kinder im sicheren Schoß der Familie bleiben sollten, bis sie studierten oder eine Ausbildung abgeschlossen haben. Logisch betrachtet fand ich diese Herangehensweise gar nicht mal so falsch, aber in diesem Moment stank mir das ganz gewaltig. Die morgendliche Sonne machte mir das Aufschlagen der Augen nahezu unmöglich, obwohl sie mich in eine schummrige Wärme hüllte, die zusätzlich das Aufstehen erschwerte. Gähnend wandte ich dem Fenster und der hereinstrahlenden Sonne den Rücken zu und betrachtete die andere Hälfte meines geräumigen Zimmers, nachdem ich es endlich geschafft hatte, die Augen zu öffnen. Eine seichte Brise ließ die Blätter des Baumes nahe meinem Fenster leise rascheln und zwei Vögel sangen sich gegenseitig schöne Melodien zu. Die ganze Atmosphäre war fast magisch und ich kam nicht umhin, anerkennend zu seufzen, während ich die mintgrün gemusterte Wand betrachtete, auf der sich meine Mutter verewigt hatte. Meine Eltern hatten uns schon ein kleines Idyll mitten in der großen Stadt gesichert, als sie sich für dieses Haus entschlossen hatten. Meine Ma, ihres Zeichens vollendete Hausfrau und Hobbyinnenausstatterin, hatte in jedem Winkel des Hauses ihre persönliche Note einfließen lassen, so auch auf der schemenhaften Landschaft, die sie auf meine Zimmerwand gezaubert hatte. Diese ganze Schönheit um mich herum ließ mich noch mürrischer wirken, als ich eh schon immer war. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es 6:15 Uhr und draußen schon 22°C warm war. Mit einem gedehnten Stöhnen raffte ich mich aus den Federn und sofort breiteten sich Pseudokopfschmerzen in mir aus. Ich hasste die heiße Jahreszeit fast so sehr wie unseren Umzug. Nicht, dass mir die Hitze etwas ausmachte. Ich war noch halbwegs im Training und sowieso nie der Typ, dem schnell der Schweiß auf der Stirn stand, aber außer beim Sport zeigte ich äußerst ungern Haut. Ich fühlte mich immer sofort wie nackt, trug ich ein Kleid oder einen Rock. Schon ein ärmelloses Top bereitete mir Unbehagen. Als würden sofort aller Augen auf mir ruhen, sobald ich Bein, oder eben auch nur etwas Arm zeigte. Wie lächerlich derlei Gedanken waren, war mir zwar bewusst, aber ich konnte nichts dagegen tun. Das steckte in mir. Seufzend streckte ich mich und trat die sechs Schritte zu meinem großen Kleiderschrank, aus dessen Spiegeltüren mir mein verschlafenes Ebenbild entgegenblickte. An die tiefen Augenringe zum Ende jeder Ferien hatte ich mich gewöhnt, das plötzliche, frühe Aufstehen forderte noch jedes Mal wieder seinen Tribut, doch das Unglück, das ich aufgrund des Umzugs empfand, ließ mich noch ausgezehrter als sonst erscheinen. Meine schwarz gefärbten Haare fielen kraftlos bis knapp unter meine Schultern, die ebenso schlaff herabhingen. Als ich mein Schlaftop anhob kamen zwar, wie immer, meine Bauchmuskeln zum Vorschein, aber darüber auch viel zu deutlich meine Rippen. Meine Mom würde sofort in einen Übermutterrausch verfallen, sobald sie das sah. Gut, dass bauchfreie Oberteile in meinem Kleiderschrank eh keinen Platz hatten, obwohl er doch so viel Unbenutztes in sich barg, wie mir nun wieder klar wurde, da ich seine Türen öffnete, um eine schwarze Leggings und ein luftiges, graues Kleidchen heraus zu kramen. Ich liebte Grautöne. Mindesten drei Viertel meiner Garderobe wurde davon dominiert. Ich warf beides ohne hinzugucken über meine Schulter und hoffte, dass die Klamotten auf meinem Bett landeten. Schließlich kramte ich noch Höschen, BH und Sneakersocken aus den Schubladen und schloss die Türen wieder. Die Unterwäsche landete ebenso unachtsam irgendwo in der Nähe meines Bettes und ich wandte mich weiter zur zweiten Tür, die von meinem Zimmer abführte, in mein eigenes Bad. Ja, zugegeben, dieser Umzug hatte auch seine Vorteile. Ich mochte dieses Bad wirklich. Die ebenerdige, große Dusche, das breite Board unter dem noch größeren Spiegel, in das sogar zwei Waschbecken eingelassen waren und dem saftig grünen Farn, für den auch noch mehr als genügend Platz in dem geräumigen Badezimmer war. Das Grün der Pflanze stach wunderschön hervor, neben dem einheitlichen Weiß der großen, matten Fliesen und der Schränke mit Hochglanzfronten. Durch das Milchglasfenster schien die Sonne auch in diesen Raum und erfüllte ihn mit dieser wunderschönen Wärme, wie sie es nur an einem Sommermorgen konnte. Die ganzen grünen Handtücher rundeten das Gesamtbild ab. Auch hier hatte sich meine Mutter ausgelassen und ich war mir sicher, dass sie nur dafür noch ein, zwei Garnituren grüner Handtücher extra gekauft hatte, sodass sich die Farbe nie aus diesem Raum verflüchtigen konnte. Ich liebte grün aber auch sehr, das wusste meine Mutter natürlich. Wasser liebte ich mindestens genauso sehr wie die Farbe der Wälder, weshalb die Dusche einen guten Batzen Zeit eingenommen hatte. Als ich, in ein grünes Handtuch gewickelt, zurück in mein Zimmer ging, zeigten die digitalen Ziffern meines Weckers 6:39 Uhr an. Das ging ja noch. Zu meiner neuen Schule waren es mit dem Bus gerade mal 20 Minuten und der Unterricht würde erst um 7:45 Uhr beginnen. Also noch genügend Zeit zum Anziehen und für ein dezentes Make-up. Mein schwarzes Haar ließ ich offen, auch wenn es mir noch immer nass und recht träge vom Kopf hing. Mit einem letzten Blick betrachtete ich meine Erscheinung noch mal im Spiegel meines Kleiderschranks. Ich mochte dieses graue Kleid wirklich an mir. Der Baumwollstoff war sehr fein gewoben, dennoch war es dünn und luftig und würde trotz der langen Ärmel nicht zu warm werden. Die schwarzen Leggings ließ meine von Haus aus langen Beine noch eine Spur länger wirken. Eigentlich konnte ich wirklich mit mir zufrieden sein. Mit meinen 1,72m war ich weder zu groß, noch zu klein für eine Frau. Der jahrelange Sport hatte meinen Körper wohlgeformt und auch mein Gesicht, dessen Zentrum ganz klar meine eisblauen Augen waren, war nun nicht zum Ekeln, aber irgendwas hatte ich an mir, weshalb ich über die Jahre sozial immer inkompetenter wurde. Auf der weiterführenden Schule war es von Anfang an absehbar gewesen, dass ich nicht viele Freunde haben würde. In den Klassen fünf bis neun war es noch annehmbar. Ich konnte mich zwar nie richtig in die Klassengemeinschaft integrieren, aber ich fiel auch nicht negativ auf. Als ich die neunte Klasse aber wiederholt hatte, war es schließlich ganz zu Ende mit jeglichen Kontakten zu Mitschülern. Es hatte bis zur Hälfte des Schuljahres der zehnten Klasse gedauert, bis ich überhaupt das Gefühl bekam, in der Klasse als Mitglied auch nur wahrgenommen zu werden. Dann ging es allerdings und ich war sogar dankbar, dass sieben meiner Mitschüler sich auch zu einem Fachabitur entschlossen hatten und ich somit einen weicheren Start hatte, zumal ich nicht mal die Schule wechseln musste. Irgendwie schien ich mein verdrehtes Inneres zu sehr nach außen zu tragen und wirkte dadurch womöglich regelrecht abschreckend. Letztlich war es mir aber auch ganz recht so, ich hatte für zwischenmenschliche Beziehungen nicht viel übrig, vergrub mich lieber in Büchern oder hörte stundenlang Musik. Das Einzige, bei dem das wirklich anders war, war in meinem Sport. Volleyball. In der Mannschaft war ich voll integriert. Ich lachte tatsächlich manchmal herzhaft, wobei man mir im normalen Leben sicherlich nachsagte, dass ich zu einem Lächeln nicht mal fähig sei. Mit meinen Mitspielerinnen verbrachte ich sogar ab und an meine Freizeit, fernab vom Spielfeld. Ja, man konnte wohl von Freundschaft sprechen. Für den Moment verbot ich mir das weitere Schwelgen in der Vergangenheit, da der rationale Teil in mir mich dazu zwang, mich zu konzentrieren. Dieser Teil war seit meiner Extrarunde in der neunten Klasse sehr präsent geworden und ich war dankbar dafür. Hatte er mir doch einen guten Abschluss und die Möglichkeit für das Fachabitur eröffnet. Ein letzter Blick auf den Wecker verriet mir, dass ich mich so langsam auf den Weg machen sollte. Es war 7:03 Uhr. Also schnappte ich mir von meinem Nachttisch mein Smartphone, das noch am Ladekabel hing, eilte rüber zu meinem weißen Schreibtisch, der direkt vor dem Fenster platziert war und griff nach dem Schreiben der Schule, in dem stand in welche Klasse ich gehen würde. WA-2. Ich machte mein Fachabitur in Wirtschaft, da ich in den sozialen Bereichen nicht ansatzweise kompetent genug war und meine technischen Fertigkeiten gen null gingen. Klassisches Auswahlverfahren, nicht dass ich eine Idee gehabt hätte, was ich mit einem Fachabi in Wirtschaft anfangen wollte. Mit geschultertem Rucksack stieg ich die Wendeltreppe in den ersten Stock und dann die schicken Glasstufen in den geräumigen Flur, der in das komplett offene Erdgeschoss unseres Hauses führte. Die gesamte Etage war lediglich durch wenige tragende Wände unterbrochen, die jedoch nichts wirklich abgetrennt erscheinen ließen. Ich ließ meinen Eastpack fallen, schob ihn mit dem Fuß Richtung Haustüre und machte einen eleganten U-Turn um die gläserne Treppe zum Esstisch, der aus demselben Material gefertigt war. Meine Mutter liebte Gläsernes. Es verlieh Räumen eine gewisse Tiefe, wie sie fand, ließ alles größer und heller wirken. So war es auch nicht verwunderlich, dass jede der drei übrigen Hauswände bodentiefe, große Fensterfronten aufwiesen, die das Sonnenlicht fast so schön in die Räumlichkeiten ließen wie oben in meinem Zimmer. Am Esstisch saß mein kleiner Bruder Leonnard, schaukelte mit schwebenden Beinen über dem Boden und starrte auf sein Smartphone. Pokémon Go oder WhatsApp, da war ich mir sicher. Im Gegensatz zu mir hatte er das helle Blond meines Vaters geerbt, das er lässig hochgegelt trug. Mit seinen 13 Jahren sah er unheimlich gut aus und war nicht nur deshalb das komplette Gegenteil von mir. Kontaktfreude, Beliebt- und Offenheit waren seine hervorstechenden Merkmale. Er hatte ständig Besuch von Freunden zu Hause und ich war wieder dankbar für die Architektur unseres neuen Hauses, da ich das Dachgeschoss für mich allein hatte. Es würde sicher nicht lange dauern, bis hier wieder ständig Achtklässler ein und aus gingen. Ich ließ das Wohnzimmer zu meiner Rechten unbeachtet und wandte mich in Richtung Küchenbereich auf der linken Seite der Glastreppe. "Guten Morgen, mein Schatz!", begrüßte mich meine Mutter überschwänglich, was auch Leonnard dazu veranlasste, seinen Blick vom Handy loszureißen und mir zur Begrüßung zuzuzwinkern. Ich erwiderte die Geste schmunzelnd und fragte mich, wann die Mädels anfangen würden, sein Zimmer zu stürmen und unsere Ma es nicht mehr betreten dürfte. Leicht kopfschüttelnd drehte ich mich zu meiner Mutter und zeigte ihr das kleine Lächeln, das sie so an ihrer Tochter liebte. "Morgen, Mom." Ich ging auf sie zu und wollte ihr noch zusätzlich ein Küsschen auf die Wange geben, aber unsere schokobraune Labradorhündin versperrte mir den Weg, indem sie, wie immer, an meiner Mutter klebte. Als sie mich jedoch schließlich wahrnahm, begann sie, wild mit ihrem Schwanz zu wedeln, so dass ihr kompletter Körper sich hin und her bog. So dankbar! Einfach nur dafür, dass ich da war. Ein tolles Gefühl. "Guten Morgen, Stella! Ja, ist ja gut!" Umständlich drängte ich mich an der Hündin vorbei und küsste meine Ma auf die Wange, während Stella meine Hand abschlabberte. "Na, gut geschlafen?", wollte sie von mir wissen. Von der Mitte der Kochinsel fischte ich mir einen Apfel aus der Obstschale und murmelte ein "Mhm", während ich herzhaft hineinbiss. Mama schob mir eine braune Papiertüte rüber und ich stöhnte genervt. "Echt, Mom? Gott, ich bin 18, ich kauf mir lieber was." "Stell dich nicht so an, Darling. Denk wirtschaftlich. Rechne mal hoch was es kostet, wenn du jeden Tag fünf bis zehn Euro in der Schule ausgibst. Ab und an ist es ja okay, aber immer? Mh-mh!" Sie flötete das "Mh-mh!" am Schluss regelrecht, was mich die Augen verdrehen und gleichzeitig lächeln ließ. Sie schob eine weitere Tüte schwungvoll auf die andere Seite der Insel und grinste mich danach gewinnend an. Sie wusste, dass ich nicht dagegen argumentieren würde, irgendwie war ich doch ziemlich pragmatisch, genau wie sie. Allgemein war ich ein ziemliches Ebenbild meiner Mutter. Wir waren beinah gleich groß und von ähnlicher Statur. Von ihr hatte ich auch meine langweiligen braunen Haare, deren Farbton manchmal so fahl war, dass sie fast einen gräulichen Stich bekamen, weshalb ich sie auch färbte. Ich war unsicher ob mir der Farbton so missfiel oder ich mich schlicht von meiner Mutter unterscheiden wollte. Anders als ich kleidete sie sich allerdings immer recht farbenfroh, wenn auch geschmackvoll, wodurch wir uns ein und für sich schon genug unterschieden. "Auf geht's, Leo!" Ihre gute Laune morgens war manchmal wirklich übertrieben. Leonnard allerdings wurde davon noch immer mitgerissen und so sprang er geschmeidig vom Stuhl, schob ihn an den Glastisch, flitzte von der anderen Seite an unsere Mom und küsste sie ebenfalls auf die Wange. "Danke, Mom!", flötete er ihr charmant entgegen und ich beneidete ihn ein wenig für die Genverteilung, bei der ich, wie ich fand, ziemlich schlecht abgeschnitten hatte. "Gerne, mein Schatz!" Er rannte den selben Weg zurück um die Kochinsel, griff im Vorbeigehen nach seiner Schultüte und eilte zur Haustüre, wo sein Schulranzen stand. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, da war er auch schon verschwunden. Kapitel 2: ----------- Nachdem ich mich von meiner Mutter verabschiedet, sie mir Glück und Erfolg gewünscht und ich, wie mein Bruder zuvor, ebenfalls das Haus verlassen hatte, erdrückte mich sofort wieder das Unwohlsein, mit dem ich aufgewacht war. Meine Familie war wirklich heil und vorzeigbar und in ihr suchte man vergebens den Grund, warum ich so verkorkst war, darum hatte mich der kurze Moment in der Küche für ebendiesen meine Ängste vergessen lassen. Jetzt aber waren sie übermächtig zurückgekehrt. Hatte ich gesagt, dass ich nicht schwitze? Irrtum. Nervosität ließ den Schweiß in Bächen aus meinen Poren treten. So auch jetzt. Ich eilte viel zu schnell die kurze Strecke zur Bushaltestelle und schnaufte sogar ein kleines Bisschen, als ich zum Stehen kam. Zum Glück hatte ich dadurch so viel Zeit gewonnen, dass ich den Bus wohl nicht in diesem kläglichen Zustand würde betreten müssen. Ich wischte meine nassen Hände an meinen Leggings unter meinem Kleid ab und ließ mich auf die Metallbank der Bushaltestelle nieder, um tief durchzuatmen und mich zur Ruhe zu rufen. Ohne drüber nachzudenken öffnete ich die kleine Fronttasche meines Rucksacks und fummelte mein Headset heraus. Als diese unbedeutende Tat in mein Bewusstsein drang, schalt ich mich dafür, dass ich sie nicht schon zuhause ausgepackt hatte. Musik hören, wenn ich unterwegs war, besänftigte dieses blöde Unbehagen ungemein. Ich sagte mir selbst, dass es sich nun auch nicht mehr ändern ließ und stöpselte die Kopfhörer erst in mein iPhone und dann in meine Ohren. Die klaren und drückenden Bässe, die aus ihnen gegen meine Trommelfelle drängten, beruhigten mich sofort. Mein Herzschlag ging gleichmäßiger und ich spürte, wie der Schweiß auf meiner Stirn allmählich zu trocknen begann. Ich musste morgen auf jeden Fall daran denken, mit Musik in den Ohren das Haus zu verlassen! Ein Tippen auf meine linke Schulter riss mich ad hoc aus meiner schwer erkämpften Ruhe, ich stieß einen Spitzen Schrei aus und schaute in die Richtung, aus der die Berührung gekommen war. Neben mir beugte sich gerade ein junger Kerl zu mir runter, der zwar hübsch war, aber erschrocken einen ziemlich dümmlichen Anblick bot. Er bewegte die Lippen, nachdem er sich gefangen hatte, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Die Kopfhörer! Schnell zog ich einen raus und rutschte automatisch ein wenig nach rechts um Abstand zwischen uns zu bringen. Er hatte offenbar gerafft, dass ich rein gar nichts verstanden hatte und fing von vorne an: "Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken! Du, ich bin gerade hierhergezogen und muss zum Burgwall, zu meiner neuen Schule. Hast du 'ne Ahnung welchen Bus ich nehmen muss?" Während er sprach rückte er seine schwarz gerahmte Nerdbrille zurecht und schüttelte einmal sein dichtes, braunes Haar. 'Wirklich hübscher Kerl, jetzt so ohne den Schock im Gesicht', dachte ich. Burgwall? Da muss ich auch hin. Wie, welchen Bus? Fahren hier mehrere? Mist, ich hatte mich in meiner halben Panikattacke gar nicht in der Bushaltestelle umgesehen und mal auf den Plan geschaut. Wortlos sprang ich auf, um dies jetzt nachzuholen und war schockiert, dass hier sogar fünf verschiedene Busse fuhren. "Ähm...", begann ich zögerlich und studierte die Pläne, ohne ihn groß zu beachten. Er trat an mich ran und seine Nähe machte es direkt unmöglich, ihm weiter keine Beachtung zu schenken. Mein Herzschlag beschleunigte sich automatisch wieder. Ich hasste es so. Ungewohnte Situationen brachten meinen Körper einfach zum Durchdrehen. Die Nähe fremder Menschen war unerträglich. "Ich muss da auch hin, aber hab keine Ahnung, Gott." Er nickte gedankenverloren, während er ebenfalls den Plan studierte und ich hoffte inständig, dass er nicht bemerkte, welch Unbehagen seine Nähe in mir auslöste. "Ah, hier. M13, den müssen wir nehmen! Tadaa!" Mit einem breiten Grinsen, das förmlich "Lob mich!" schrie, strahlt er mich an und ich kam bei all meinem Unwohlsein nicht umhin, es zu erwidern. "Super!", sagte ich wenig überzeugend, doch ihm schien es zu reichen, denn sein Grinsen wuchs und offenbarte ein hübsches Grübchen auf seiner rechten Wange. "Bist du auch gerade erst hergezogen?" Na super. Smalltalk. Ich war echt nicht gut in sowas. Warum hatte ich mir den blöden Plan auch nicht vorher angesehen? Meine Unwissenheit verriet mich. Mein Herz raste noch immer, aber es beruhigte sich allmählich, ganz langsam. Er hatte irgendwas an sich, dass er mir nicht ganz so schwer aufs Gemüt schlug, auch wenn er das dennoch ohne jeden Zweifel tat. Ich nickte nur zur Antwort. "Und gehst du am Burgwall auch zur Schule?" Wieder nickte ich stumm. "Cool! Ich mach da mein Fachabi in Wirtschaft, zweites Jahr. Und du?" Ernsthaft? Ich sah mich schon jeden Tag mit ihm zur Schule fahren. Lügen brachte also nichts, als wäre das überhaupt eine meiner Stärken. Ich rang mich zu einem schiefen Lächeln durch. "Ich auch." "Echt? Das ist ja geil! Was für ein Zufall! In welche Klasse kommst du?" Er ließ sich neben mir auf die Bank fallen, wieder rutschte ich unbewusst bis ans äußerste Ende. "WA-2." Seine Miene hellte sich noch weiter auf, sofern das überhaupt möglich war. Oh nein... "Boah, geil! Ich auch! Jetzt kennen wir wenigstens schon jemanden in der Klasse! Ich bin übrigens Felix!" Er streckte mir freundlich seine Rechte entgegen und mein Unwohlsein erreichte seinen Höhepunkt, näherte sich wieder Panik. Ich nahm all meine Beherrschung zusammen, zählte einmal innerlich bis zehn, wischte unter meinem Rucksack erneut meine Hand an meinen Leggings ab und ergriff seine, um sie kurz zu schütteln und meine dann sofort wieder wegzuziehen. "Ashley. Freut mich", gab ich kleinlaut zurück. Darauf zog er eine Augenbraue über den Rand seiner Brille und lächelte dabei. Sein Lächeln war so warm und freundlich, dass die Unruhe in mir langsam wieder abebbte. Felix war wirklich nett und allmählich fand ich es auch gar nicht mal so schlecht, jemanden aus meiner Klasse vorher kennengelernt zu haben. Vielleicht konnte ich ja doch mal soziale Kontakte knüpfen. "Ashley? Schöner Name!" Eine zarte Röte schlich sich auf meine Nasenspitze. Er klang so ehrlich und ich nahm es ihm vollkommen ab. Früher hatte man mich höchstens mit der Hauptfigur von Pokémon geärgert. Im besten Fall wurde mein Name einfach gar nicht kommentiert, aber das war schlicht und ergreifend lieb. Plötzlich verließ die Anspannung gänzlich meine Glieder und ich lächelte sogar verlegen und vor allem ehrlich! "Mhm, den gab mir mein Daddy!", erklärte ich stolz und als mir auffiel wie kindlich ich dabei geklungen haben muss, breitete sich die rote Färbung von der Nase auf meine Wangen aus. Felix lächelte schief und offenbarte wieder sein Grübchen, das meinen Blick ein wenig in Beschlag nahm. "Dein Daddy? Ist er ein Ami?", fragte er belustigt, aber noch immer mit dieser freundlichen Art, dass ich mir dabei einfach nicht blöd vorkommen konnte. "Mhm!", machte ich wieder. Das Ankommen des M13 Busses unterbrach unsere Unterhaltung und als ich ins Innere schaute wurde mir direkt wieder mulmig. Er war brechend voll. Das war bei einem Metrobus zur Hauptverkehrszeit wohl auch zu erwarten. 'No chance, da musst du durch, Ash', sagte ich mir selbst. Also sammelte ich wieder all meine innere Stärke, zählte im Geist erneut bis Zehn und atmete einmal tief durch. Der Bus kam zum Stehen, öffnete schließlich die vorderen Türen und ich stieg mit Felix im Schlepptau ein. Weit kamen wir aber nicht, nur bis ins vordere Drittel und dass wir stehen mussten verstand sich von selbst. Wir hatten vielleicht eine weitere Bushaltestelle passiert, da stand mir der Schweiß schon wieder auf der Stirn, obwohl der Bus klimatisiert war. Ich hoffte nur, Felix würde es der Masse an Menschen zuschreiben. "Warum seid ihr eigentlich umgezogen?", fragte er und beugte sich ein wenig zu mir runter. Da fiel mir erst auf, wie viel größer als ich er war. Fast einen Kopf. Dabei war ich ja nun auch nicht gerade klein. Komischerweise hatte die Nähe, die er dabei aufbaute wieder einen entspannenden Effekt auf mich und ich schaute zu ihm hoch, um mich auf ihn zu konzentrieren und die Umgebung auszublenden. Es funktionierte. Irgendwie. "Daddy hat hier einen besseren Arbeitsplatz angeboten bekommen. Was ist mit euch?" Ich kam mir wieder etwas komisch dabei vor, dass ich 'Daddy' sagte, aber der traurige Glanz, der kurz durch Felix‘ hellbraune Augen huschte, ließ mich das schnell vergessen. "Meine Mutter hat sich von meinem Paps getrennt, weil der Scheiße gebaut hat und jetzt sind wir hierhergezogen, weil sie hier aufgewachsen ist. Meine Großeltern und einige ihrer Freunde leben hier und sie hat auch einen Job gefunden." Ach so... "Das tut mir leid, Felix." Das tat es wirklich, aber Felix hatte schon wieder ein Lächeln aufgesetzt, auch wenn es seine Augen nicht mehr ganz erreichte. Wir unterhielten uns die gesamte Busfahrt über. Ich erfuhr, dass Felix ein Jahr jünger war und dass er nebenbei ein bisschen modelte. Das war der einzige Grund, warum er dem Umzug in die große Stadt positiv entgegensah, ansonsten teilte er mein Unbehagen. Vermutlich nicht in seiner Panikattacken-auslösenden Intensität,, aber er wär auch lieber in seiner Heimatstadt geblieben. Er passte so gar nicht in mein Bild der jungen und schönen Menschen Deutschlands, aber er hatte was an sich, sodass ich mich gern vom Gegenteil überzeugen lassen wollte. Als wir schließlich vor dem alten Bauwerk mitten in der Stadt standen, in dem wir von nun an die Schulbank drücken würden, fühlte ich mich gar nicht mal so schlecht. Ich entschied für mich, dass die Busfahrt das größte Übel gewesen war. Mit einem großen Strom junger Erwachsener, alle mehr oder weniger in meinem Alter, betraten wir schließlich die beeindruckende Eingangshalle, von der eine riesige Wendeltreppe fünf Stockwerke nach oben führte. Ich schaute staunend hinauf, während wir hindurch schritten. Felix sagte etwas von wegen, dass das Sekretariat auf der anderen Seite sei und ich ihm folgen solle. Ich murmelte zwar eine bestätigende Antwort, aber starrte noch immer nach oben, wo im fünften Stock über dem riesigen Treppenhaus statt einer Decke eine keilförmige Glasscheibe das Dach markierte. Es war Buntglas und die Sonne warf so facettenreiche Prismen in das Gebäude, dass ich nicht anders konnte, als von dem Anblick gefesselt zu werden. Ein Schritt weiter und ein durch ein Stück rotes Buntglas gebrochener Lichtstrahl blendete mich für eine Millisekunde und schon stoppte etwas Weiches meine Bewegung. Ich kam direkt etwas ins Taumeln, doch eine samtweiche Hand ergriff mein Handgelenk so federleicht, gerade mit genug Kraft, um mich so zu stabilisieren, sodass ich direkt zum Stillstand kam. "Hoppla!", erklang eine melodische Stimme, so glockenklar im Tumult der Menschenmasse, dass ich meinen Blick, der erst instinktiv zu Boden ging, hoch in ein Paar haselnussbrauner Augen riss. Der Gedanke, ob die grünen Sprenkel darin vom Prisma der Deckenscheibe in diese wunderschönen Augen gezaubert wurden oder von Natur aus hinein gehörten, beherrschte für einen Herzschlag mein Bewusstsein, bis der Schülerstrom mich weiter drängte. Die Hand gab mich so zärtlich frei, wie sie mich gepackt hatte, und hinterließ ein merkwürdiges Kribbeln auf meiner Haut. Ich erblickte noch das Gesicht zu diesem Augenpaar und erkannte, dass es sich um eine Frau handelte. Eine Wunderschöne, wie ich frei von Neid feststellte. Kastanienbraunes Haar, das vielleicht einen natürlichen Rotstich aufwies, umringte lockig die makellosen Züge ihres fein geschnittenen Gesichtes. Das Spiel der Lichter gab dem Augenblick und vor allem dieser Frau etwas Magisches. Der Mund, zu einem schiefen Lächeln verzogen, war mit einer tiefroten Farbe bestrichen und eine weit aufgeknöpfte, karmesinrote Bluse rundete das Bild ab, ohne billig zu wirken. Unsere Schultern streiften einander, während wir weiter gedrückt wurden. Amüsiert zog sie eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen gen Haaransatz. Schaute ich so dumm aus der Wäsche? "Entschuldigung!", holperte endlich ein Wort aus meiner Kehle, kratzig und rau, als hätte ich meine Stimme seit Tagen nicht benutzt. Mädchenhaft hält sie eine Hand vor den Mund und verschwand kichernd aus meiner Sicht. Es dauert einen weiteren Herzschlag, bis ich endlich wieder nach vorn schauen konnte und ich kam mir mehr und mehr wie ein Ping Pong Ball vor. So lang mir diese merkwürdige Begegnung vorkam, so schnell und hart drängte nun Panik in mein Bewusstsein. Die Nähe der vielen Menschen schnürte mir, jetzt, da der magische Moment so hart unterbrochen wurde, die Brust zusammen und das Atmen fiel mir direkt schwerer. Wo war Felix? Zum Glück war er so groß, dass ich ihn in der Menge ausmachen konnte, bevor mein Herzschlag eine bedenkliche Frequenz erreichte. Ihn taxierend folgte ich ihm, bis wir in der Nähe des Sekretariats die Aushänge fanden. Darauf unsere Klasse auszumachen ging dann überraschend schnell und Felix und ich wussten, dass wir in den Raum 209 mussten. Okay. Zweiter Stock. Das ging ja noch. Als wir wieder zum Treppenhaus umkehrten, hatte sich der Schülerstrom glücklicherweise etwas gelichtet. Der plötzliche Freiraum löste wieder das Band, welches sich um meine Brust zu ziehen drohte und ich atmete erleichtert ein und aus. "Hier ist ganz schön was los, mh?", fragte Felix über seine Schulter hinweg. "Mhm!" Mehr brachte ich noch nicht zustande. Mir ging es zwar deutlich besser, aber die Anspannung, die die Massen an Schülern in mir auslöste, war noch weit davon entfernt, abzuklingen und der Gedanke an die Ankunft in der neuen Klasse machte es nicht besser. Als wir die Stufen hinaufstiegen, erlaubte ich mir noch mal, hochzuschauen und während ich die bunten Farbenspiele auf den Wänden betrachtete, schlich sich automatisch das braune Paar Augen zurück in mein Bewusstsein und ich meinte, ihren Griff an meinem Handgelenk wieder zu spüren. Da ich dennoch mit den langen Beinen von Felix Schritt zu halten versuchte, ließen wir das Treppenhaus fast ein wenig zu schnell für meinen Geschmack hinter uns. Im zweiten Stockwerk führte zu jeder Seite ein Gang, wir standen vor dem Raum 225 und wandten uns nach links. Passierten eine weitere, viel schmalere Treppe und die Tatsache, dass das Treppenhaus, über dem das Buntglas thronte nicht der einzige Fluchtweg war, gab mir noch etwas mehr Spielraum zum Atmen. Vor einigen Klassenräumen standen noch Schüler, so aber nicht vor der 209. Na super. Genau das brauchte ich jetzt. Einen Sonderauftritt. In meinem Kopf ertönte Trommelwirbel, der sich augenblicklich in rasenden Kopfschmerzen manifestierte, während Felix die Hand hob, um an der Tür zu klopfen. Ich biss die Zähne zusammen. "Herein!" Felix hatte die Tür schon geöffnet, bevor die Aufforderung ausgesprochen wurde, und so drang sie in aller Klarheit an meine Ohren. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Am Lehrerpult lehnte lässig die Frau, mit der ich vorhin im Treppenhaus zusammengestoßen war. Unter der roten Bluse, die, an den Ärmeln hochgekrempelt, wohl eher ein Hemd war, trug sie ein orangebraunes Kleid, dessen Rock sich eng um ihre Beine legte und diese vorteilhaft betonte. War sie so groß wie ich? Ihre Beine wirkten jetzt so lang. Sie musste doch größer sein! "Ah, wir haben schon auf euch gewartet", begrüßte sie uns freundlich, doch als Felix den Blick auf mich gänzlich Preis gab, zog sie wieder amüsiert eine Augenbraue empor. "Ach, die Traumtänzerin..." Kapitel 3: ----------- Okay, das war's. Nicht, dass mein Herz seinen Dienst eh schon nur noch unregelmäßig tat, jetzt pumpte es mir, gefühlt, mein ganzes Blut zielstrebig in den Kopf. Ich hatte Fieber! Definitiv! Vielleicht sogar Malaria. Mir war so heiß, dass ich am liebsten auf dem Absatz umgekehrt wäre, um auf die Toilette zu flüchten. Sie zwinkerte mir zu. Aber wie? Sie war noch immer amüsiert, wie auch im Treppenhaus, aber in ihren braunen Augen, die jetzt eher schwarz aussahen, funkelte etwas. Eine Herausforderung? Sie zwinkerte doch herausfordernd oder bildete ich mir das ein? Nachdem Felix noch einen Schritt näher an sie getreten war, wurde ihre Miene wieder schlicht. Freundlich. "Also schön. Wer von euch beiden ist Ashley?" Die zunächst ruhig wirkende Klasse begann nun doch zu kichern. Ich seufzte ganz leise, während mein Gesicht trotzdem langsam wieder eine normale Temperatur und, wie ich hoffte, auch Färbung annahm. Der Fluch von Unisexnamen. Gut. Das war ein alter Hut, damit brachte man mich tatsächlich nicht mehr in Verlegenheit. Sowas von einer Lehrerin zu hören war zugegebenermaßen merkwürdig und sorgte nicht gerade für Wohlbehagen, aber es war mir auch nicht peinlich, ganz anders als das unverhoffte Wiedersehen an sich. "Das bin ich." "Natürlich bist du das." Sie zwinkerte erneut und all das mühevoll zurückgedrängte Blut schoss augenblicklich dahin zurück, wo es nicht sein sollte. Sie schenkte mir noch ein wissendes Grinsen, bevor sie sich Felix zuwandte. "Dann bist du also Felix Schönfeld", stellte sie fest, stieß sich in einer eleganten Bewegung vom Pult ab, um zwischen uns durch zu treten und ihren Namen an die Tafel zu schreiben. Frau Klee stand dort nun in einer schwungvollen Lettern an der Tafel. "Mein Name ist Nina Klee. Ich unterrichte euch in Deutsch und Sport und bin eure Klassenlehrerin." Die Klasse war augenblicklich wieder ruhig geworden, was offenbar an der Änderung in der Stimmlage von Frau Klee lag. Von dem verspielten Unterton, der noch zuvor melodisch in ihren Worten mitgeschwungen hatte, war nichts mehr zu spüren. Sie klang professionell und autoritär. Dass sie die Schüler aber allein damit im Griff hatte, wunderte mich trotzdem. Das kannte ich so gar nicht. Klar, den Oberlehrertonfall hatte wohl jeder drauf, der länger als fünf Minuten mit dem Rücken zur Tafel stand, aber Wirkung zeigte dieser dann doch nur in den seltensten Fällen. Während sie zurück zum Pult schlenderte, um sich wieder lässig dagegen zu lehnen, forderte sie uns dazu auf, uns vorzustellen. Zugluft ließ den dünnen Schweißfilm auf meiner Stirn so stark runterkühlen, dass mir ein eisiger Schauer die Wirbelsäule herunter kroch. Okay, Stunde der Wahrheit. Die Tür schien verlockend näher zu rücken und wie gern wäre ich aus dem Klassenraum gestürzt, aber die rationale Stimme in mir rief mich zur Ordnung. "Ladies first, würde ich sagen", meinte sie mit einem charmanten Lächeln an Felix gewandt, der nickte und einen Schritt zurück tat. Nachdem er den Blick von ihr abgewandt hatte, zwinkerte mir meine neue Klassenlehrerin erneut zu. Der eisige Schauer wurde wohlig und zog in meine Eingeweide. Meinen Blick von ihr losreißend schaute ich zum ersten Mal bewusst in die Sitzreihen und betrachtete meine neuen Mitschüler. Die Jungs hatten, von der Anzahl her, ein leichtes Übergewicht, was mich nicht verwunderte. So war es in meiner alten Klasse auch gewesen. Ausnahmslos jeder stierte mir entgegen. Neutrale Mienen, wie ich feststellte. Das würde sich ganz sicher schlagartig ändern, sobald ich zu sprechen begann. Ich spürte meinen Herzschlag überdeutlich in meiner Halsschlagader pulsieren, aber ich nahm mich zusammen. Schließlich musste ich es so oder so hinter mich bringen. "Ähm, ja. Also, ich bin Ashley Nichols, 18 und gerade hierhergezogen." Okay, geschafft. Das ging sogar. Meine Schüler schauten mich noch immer mit neutralen Mienen an und ich hatte fast gar nicht rumgehaspelt. Nach einer Pause, die mir so lang vorkam, dass mein Puls seine Frequenz schon wieder erhöhen wollte, drehte ich mich zu Felix und zuckte auffordernd mit den Schultern. "Achso! Wie ihr schon gehört habt, bin ich Felix Schönfeld, auch frisch hergezogen und 17 Jahre alt. Früher hab' ich Fußball gespielt, jetzt model' ich nebenbei ein bisschen." Die gute Handvoll Mädchen in der Klasse begannen, leise zu tuscheln und Felix rückte breit lächelnd seine Nerdbrille zurecht. Hätte ich nicht vorher seine zugängliche Seite kennengelernt, würde ich ihn jetzt als arroganten Schnösel abtun, so aber bewunderte ich ihn dafür, schön und gleichzeitig so freundlich zu sein. An ihm vorbei erblickte ich wieder Frau Klee, die unbewegt grinsend am Pult lehnend verharrte. Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber sie schien genauso wie ich an Felix vorbeizuschauen und mich zu taxieren. Ihre dunklen Augen ließen es nicht zu, in ihnen irgendwas zu lesen, trotzdem zogen sie mich irgendwie in ihren Bann. Wieder zwinkerte meine neue Klassenlehrerin und ich wusste, dass sie nicht Felix angesehen hatte. Eilig wandte ich meinen Blick ab. So viel Aufmerksamkeit behagte mir überhaupt nicht, von einer Lehrkraft schon mal gar nicht! "Wo kommst du denn her, Ash Ketchum? Alabastia?" Mir blieb aber auch nichts erspart... Die dumme Frage kam von einem Mädchen, das in der Mitte der letzten Reihe saß. Die Blondine wurde von sieben Jungs umringt, die alle anfingen zu lachen. Die beiden ganz rechts von ihr gaben sich sogar ein Highfive. Sie grinste zufrieden und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Arme Barbie. Ich bemitleidete Menschen, die so sehr im Mittelpunkt stehen wollten, dass sie ihren lächerlich kleinen Ruhm auf dem Rücken anderer bauten. Vielleicht war ich in Wahrheit aber auch ein bisschen neidisch. "Ich würde mich beim Thema Namen mal ganz geschlossen halten, Jacqueline-Chantal!" Kaum hatte Frau Klee das Wort erhoben erstarb das Gekicher. Man hätte plötzlich eine Stecknadel im Raum fallen hören können. Sie fixierte die Blondine, die dem Blick, den ich leider nicht sehen konnte, nicht mal eine Sekunde lang standhielt. "Ja, Frau Klee. Ähm, darf ich fragen wo du herstammst, Ashley?" Blondi warf unserer Klassenlehrerin noch einen unsicheren Blick zu, bevor sie ihn auf ihren Collegeblock senkte und zu kritzeln begann. "Geht doch", meinte Frau Klee mit einem Nicken in ihre Richtung und drehte ihr makelloses Gesicht nun wieder mir zu. Das warme Lächeln, das nun auf ihren Lippen lag, strafte die eisige Kälte, die im Klassenraum herrschte Lügen und ich Begriff nicht, wie diese Frau so eine Macht auf die ungefähr 20 jungen Erwachsenen ihr gegenüber ausüben konnte. Ihre Augenbraue hob sich wieder und sie schmunzelte, den Kopf leicht schüttelnd. "Traumtänzerin..." Mist! "Ja!" Sie lachte, herzhaft. Mir schoss wieder das Blut ins Gesicht. Voll erwischt, verdammt. "Mein Daddy ist aus Amerika, ich wurde aber in Deutschland geboren!", fügte ich noch hinzu, wieder peinlich berührt. Als wäre ich nicht sowieso schon nervös genug, musste diese Frau mich so aus der Fassung bringen? Die anderen begannen wieder zu kichern. Ich sollte es mir wirklich sparen, meinen Vater außerhalb unserer eigenen vier Wände Daddy zu nennen, aber diese Gewohnheit legte sich so schwer ab. "Süß. Na schön, dann setzt euch mal hin, ihr Zwei. Mit Platzwahl kann ich leider nicht dienen." Sie machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand in Richtung Sitzreihen. In der ersten Reihe waren wirklich nur noch zwei Stühle frei. Einer an der Tür, der andere der vorletzte vor dem Fenster. Beide sagten mir zu, darum zögerte ich und wollte Felix den Vortritt lassen. Glücklicherweise nahm er mir die Entscheidung auch ab und steuerte auf den Stuhl bei der Tür zu, also nahm ich auf dem am Fenster Platz. Neben mir, direkt am Fenster, saß ein Mädchen, das ihre Haare in ein Cappy gestopft hatte. Blonde Strähnen lugten hie und da heraus, ich betrachtete sie nicht weiter, aber ich konnte mir vorstellen, dass ich gut daran tat, sie nicht großartig anzuquatschen. Sie hob nicht einmal den Blick, als ich mich neben sie setzte. Der Schirm ihres Caps war so tief in ihr Gesicht gezogen, dass ich nicht mal mit 100%er Wahrscheinlichkeit sagen konnte, ob sie wach war. Nachdem ich meine Schreibutensilien aus meinem Rucksack gefischt hatte, ließ Frau Klee geräuschvoll einen Stapel Blätter vor mir auf meine Hälfte des Tisches fallen. Ich hatte mich etwas erschrocken, war ich doch noch damit beschäftigt, mich zu sortieren und starrte hoch in das abgrundtiefe, dunkle Braun von Frau Klees Augen. Mein Blutdruck hatte gerade endlich einen halbwegs normalen Wert angenommen und dann sowas. Die Sekunden verstrichen. Das Blut begann von neuem in meinen Ohren zu rauschen und meine Klassenlehrerin zog einmal mehr wissend und grinsend eine Augenbraue hoch zum Haaransatz. "Weitergeben", befahl sie ganz leise, aber ihr Tonfall war so autoritär, dass ich nicht gezögert hätte, Folge zu leisten, selbst wenn ich mich hätte wehren wollen. Die Schwierigkeit zu schlucken machte mir bewusst, wie trocken meine Kehle war. Wie fremdgesteuert reichte ich also den Stapel Blätter zu meiner Rechten, an einen Jungen, der ihn kaugummikauend ergriff. Frau Klee ließ ihr glockenklares Lachen erklingen, schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, machte ein paar Schritte zu ihrer Linken und stoppte den Stapel, bevor er in die nächste Reihe gegeben werden konnte. Sie zog zwei Zettel heraus und wandte sich einfach wieder um. Zurück vor mir legte sie einen Zettel direkt vor mich, den anderen vor das Mädchen, das ihren Kopf leicht anhob und ein schönes Paar grüner Augen Preis gab. "Ohne Arbeitsauftrag arbeitet es sich so schlecht mit, meinst du nicht? Außerdem möchte Daniela sicher auch unbedingt mitmachen, nicht?" Wieder zwinkerte sie und schaute zum Ende süffisant Daniela neben mir an, die ziemlich genervt die Luft ausstieß. Ich wollte mich gerade bedanken, aber der Blick meiner Lehrerin verfinsterte sich, wie vorhin bei der Barbie. "Ah-ah, Danni. Wir wollen doch nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen, oder?", sagte sie dennoch zuckersüß. Als das Mädchen neben mir sich nicht rührte, zog Frau Klee eine Schnute, was sie beinah kindlich aussehen ließ. Darauf nahm sie Daniela in einer unvorhersehbaren Bewegung das Cappy vom Kopf und entblößte die langen blonden Locken, die darunter zum Vorschein kamen. "Ich glaube, das Privileg hast du dir für heute verspielt", erklärte Frau Klee, wieder süffisant grinsend, ihr Handeln und erntete einen vernichtenden Blick von Daniela. Die schien ja mal richtig sauer. Ausgerechnet neben dem Störenfried der Klasse musste ich sitzen. Na super. "Mh?", machte sie und zog erwartend eine Augenbraue hoch. Danielas Griff um ihre Federtasche verkrampfte sich. Man konnte ihr den Unwillen förmlich ansehen. Umso überraschter war ich, als sie dann zu sprechen begann. "Entschuldigung, Frau Klee. Es kommt nicht mehr vor." Ihre Stimme war viel weicher und verletzlicher, als ich vermutet hätte, dass es überhaupt möglich wäre. In dem Moment, in dem sie sprach, entspannten sich ihre Finger augenblicklich und jeglicher Trotz war aus ihrem Gesicht verschwunden. Was war das denn bitte? "Natürlich", erwiderte die Angesprochene und nickte zufrieden. Das Cap legte sie dennoch auf ihrem Pult ab. Erst da wurde mir bewusst, dass mein Platz genau gegenüber vom Lehrerpult war. Auch das noch... Überraschenderweise folgte ganz normaler Unterricht, an dessen Ende Frau Klee uns noch den Stundenplan an die Tafel schrieb, den ausnahmslos jeder gewissenhaft abschrieb. Allgemein war ich ein wenig verwundert über die Ruhe, die während des Unterrichts im Klassenraum herrschte. Natürlich konnte man das von jungen Menschen in unserem Alter erwarten, die Praxis zeigte aber zumeist etwas Anderes. Zumindest war ich es so noch von meiner alten Schule gewohnt. Im zweiten Block, Betriebswirtschaftslehre bei Herrn Bremer, war das dann merkwürdigerweise auch der Fall. Einzelgespräche und Zwischenrufe störten im Fünfminutentakt den Unterricht und es schien, als wäre der Lehrer, der durchaus gestanden wirkte mit seinen schätzungsweise 55 Jahren, beinah überfordert mit der unruhigen Klasse. Dabei hatte sich Blondie aus der letzten Reihe dann doch, wie erwartet, die ganze Aufmerksamkeit der Klasse gesichert und Daniela neben mir murrte Unverständliches unter dem Schirm ihres Caps, was mir viel passender erschien, als der kleinlaute Gehorsam, den sie Frau Klee entgegengebracht hatte. Am Ende der Stunde, als wir früher Schluss hatten, zuckte ich nur darüber mit den Schultern. Ich war zu froh darüber, dass der erste Schultag hinter mir lag, als dass ich mich weiter damit beschäftigen wollte. Eilig klaubte ich meine Sachen zusammen und stopfte sie in meinen Rucksack. "Ash?" Danielas Stimme klang wieder anders. Normal irgendwie, weder feindselig, noch kleinlaut. Eher distanziert und gelangweilt, das passte viel mehr ins Bild. Ich stand schon und so schaute sie von unten zu mir auf. Augenblicklich stellte sich wieder das Unbehagen ein. Was wollte die denn jetzt von mir? "Muss das sein?", erwiderte ich leise. Zögerlich, fast bittend. "Was'n?" Verwundert zog sie die Augenbrauen hoch. "Mein Kontingent für Pokémon-Scherze war nach den ersten zehn Minuten in dieser Klasse, schon aufgebraucht." "Achso! Quatsch, das ist doch der logische Spitzname zu Ashley, oder nicht?" In Danielas grüne Augen hatte sich Leben geschlichen und schon sah ihre Miene so viel freundlicher aus. Tatsächlich hatten sie mich beim Volleyball so genannt, also nickte ich nur und versuchte mich an einem Lächeln. "Best! Dann ist das also geklärt. Darfst mich auch Danni nennen, machen eh alle. Sag mal, darf ich mir eben den Stundenplan von dir abfotografieren?" Hatte sie nicht mitgeschrieben? Ich war doch davon überzeugt gewesen, dass alle das getan hätten. "Klar!" Noch schneller, als er eingepackt war, entleerte ich meinen Eastpack wieder, schlug meinen Ordner auf, auf dessen Innenseite ich den Stundenplan geklebt hatte. "Niedlich", kommentierte Daniela, was sie sah. Ich hatte jedem Fach mit einem anderen Marker eine Farbe gegeben. Deutsch war rot. Sie zog ihr Handy hervor und fotografierte den Plan ab. "Nicht mitgeschrieben?", wollte ich wissen. "Doch schon, aber nicht richtig. Frau Klee hat ihn weggeschmissen, nach der Stunde." Daniela lächelte schief und meine Eingeweide zogen sich bei der Erwähnung dieses Namens zusammen. "Wieso macht die denn sowas?" Betreten, nein, schuldbewusst schaute Daniela zu Boden. "Ach, mein Cap wiederzubekommen war nicht so ganz easy." "Ähm... okay. Dann bis morgen, würde ich sagen." Das war mir eindeutig zu hoch. Machten Lehrer sowas? Das klang ja schon fast nach Mobbing. Wobei das schiefe Lächeln auf Danielas Lippen dazu nun auch wieder nicht passte. Kapitel 4: ----------- Nach Hause fuhr ich wieder zusammen mit Felix, der mir immer noch rein durch seine Anwesenheit die Busfahrt ein klein wenig erleichterte. Wir unterhielten uns über unsere Klassenkameraden, die er mit gar nicht so netten Worten beschrieb, dafür, dass er doch, wie ich fand, schnell Akzeptanz bei ihnen erfahren hatte. Vielleicht war er tatsächlich einfach nur so empathisch, da das bei mir ja nun ganz und gar nicht der Fall gewesen war. Auch den restlichen Fußweg bestritten wir gemeinsam, da er noch zwei Straßen weiter musste. Er brachte mich sozusagen nach Hause. Wir verabredeten für den nächsten Morgen eine Uhrzeit und von da an fuhr ich immer gemeinsam mit ihm Bus. Meine Mom und Leo waren nicht zuhause, darum ging ich direkt nach oben in mein Zimmer und zog mich um. Immer, wenn ich was zu verarbeiten hatte, ging ich joggen. Das machte den Kopf frei und außerdem blieb mir nichts anderes übrig, solange ich mir keinen neuen Verein gesucht habe. Das tat ich dann nachmittags auch, nachdem ich die Hausaufgaben in Deutsch erledigt und etwas Musik gehört hatte. Ich fand auch relativ schnell einen und wenn ich die Informationen auf der Website richtig gedeutet hatte, fand das Training in der Sporthalle meiner Schule statt. Der Gedanke gefiel mir. So musste ich mich nicht an noch mehr Neues gewöhnen. Später beim Abendessen besprach ich dann mein Vorhaben, am nächsten Tag dort anzurufen und ein Probetraining zu vereinbaren, mit meinen Eltern. Daddy war sofort Feuer und Flamme. "Find ich richtik good, dass du dich so schnell darum kummerst, Baby", meinte er aufgeregt und schob sich eine Gabel Kartoffelbrei in den Mund. Mein Vater war total begeisterungsfähig, sobald es um Sport ging, ganz ami-like. Jedes Mal, wenn er in mein Zimmer kam, bekam er leuchtende Augen, sobald er in die Vitrine schaute, in der meine Medaillen lagen und Pokale standen. "Ich will hier auch weiter Hockey spielen, Mom!" "Boah, Leo! Gerade geht's um mich. Kannst du vielleicht mal fünf Minuten warten, bevor du die Aufmerksamkeit wieder nur auf dich ziehst?" Mein kleiner Bruder hob beschwichtigend die Hände und ich nickte zufrieden. "Entspann dich, Ashley. Wir schauen morgen mal, ja, mein Schatz?" Und so leicht hatte everybodys Darling mal wieder gewonnen. Meine Mutter lächelte mich entschuldigend an und wollte noch etwas sagen, aber Daddy kam ihr zuvor. "Wie war's denn in der neuen school eigentlik?" Leo holte schon wieder Luft, doch mit einem Blick zwang ich ihn zum schweigen. Wenigstens meinen kleinen Bruder konnte ich gerade so noch mit Blicken steuern. "Ganz okay. Ich bin nicht durchgedreht." Meine Eltern lachten, doch ich sah die Erleichterung in ihren Mienen. So unwahrscheinlich war das nämlich gar nicht. Bis vor einem halben Jahr hatten sie mich wegen meiner Angststörungen noch einmal im Monat zu einem Therapeuten geschickt. Ich hatte gerade, als ich 13 war, ziemliche Aussetzer. Bin schreiend in der Nacht aufgewacht oder mitten im Unterricht aus dem Klassenraum gestürzt und solche Scherze. Darum dann auch die Extrarunde in der neunten Klasse. Jedenfalls haben Dr. Krebs und ich es in fast fünf Jahren nicht geschafft, herauszufinden, woran es lag, also konzentrierten wir uns lieber auf die Auslöser und ich lernte, gewisse Situationen zu meiden, oder eben aktiv im Kopf gegen den inneren Stress anzukämpfen. Ich überlegte, ob ich von meiner merkwürdigen Klassenlehrerin erzählen sollte, ließ es jedoch, weil es gar nicht so unwahrscheinlich war, dass ich mir da nur etwas einbildete. Die darauffolgenden Tage verliefen relativ ereignislos. Felix und ich lernten uns jeden Tag etwas besser kennen. So erfuhr ich, dass seine Mutter Sekretärin in einem Anwaltsbüro und kaum zu Hause war und er am Wochenende bei einem Casting in der Innenstadt teilnehmen würde. Am Mittwoch kam ich nach der Schule sogar mit zu ihm nach Hause. Dort zeigte er mir seine Sedcard und ich war ziemlich beeindruckt. Er war wirklich ein kleines Sahneschnittchen. Ich erzählte ihm auch von mir. Dass Daddy ein Manager bei einem großen Pharmakonzern war und über meine Mom und Leo auch. Dass ich einen kleinen Schuss weg hatte, brauchte er allerdings nicht so bald erfahren. Das wussten nicht mal die Mädels aus meiner alten Mannschaft. Gut, fairerweise muss man dazu sagen, dass ich beim Sport ausgeglichen wie nie war. Meine ehemaligen Mitschüler hatten da zwangsläufig schon etwas mehr mitbekommen, aber das konnte ich nun ja hinter mir lassen. Mit dem Trainer des Vereins, den ich mir rausgesucht hatte, hatte ich am Dienstag auch gleich telefoniert und konnte am Freitagabend schon zu einem Probetraining kommen, weshalb ich dem Ende der Woche auch ziemlich entgegenfieberte. Und ich hatte irgendwie richtig Glück. Es war nichts Besonderes in der Schule geschehen, sogar der zweite Deutschblock verlief total normal und ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich mir jede Merkwürdigkeit, bezüglich meiner Klassenlehrerin, eingebildet hatte. Die restliche Woche verlief unerwartet angenehm und wie alle guten Dinge verging sie dann auch unheimlich schnell. Ich lebte mich allmählich ein. Zuhause wie auch in der Schule fand ich meinen täglichen Ablauf, obwohl ich die gesamte Situation des Umzugs noch immer verfluchte. Dennoch, ehe ich mich versah. Es war Freitag. Ich hatte mittlerweile alle Lehrer kennengelernt, die ich hatte und kannte auch schon ein paar Namen meiner Mitschüler. So ließ sich Blondie aus der letzten Reihe zum Beispiel J-C (Jaqueline-Chantal) nennen und zwei der sieben Typen, die sie wie ein Schwarm Fliegen stetig umkreisten, hießen Benni und Samuel. Die zweite große Pause war vorbei und Felix und ich ließen uns gerade von Daniela zur Turnhalle führen. Sport in der letzten Stunde vor dem Wochenende gefiel mir ausgesprochen gut und ich hoffte, dass Frau Klee eine richtig gute Sportlehrerin war, denn es war, neben Geschichte, mein absolutes Lieblingsfach. Ich winkte Felix noch kurz, als er mit den anderen in die Jungenumkleide verschwand und folgte Daniela zu den sechs anderen Mädchen in unsere. Dass J-C hier ganz alleine saß und sich so mit keiner der anderen Mädchen beim Umziehen unterhielt, wunderte mich zwar nicht, aber irgendwie kam dieses Mitleid wieder durch, das ich vom ersten Tag an ihr gegenüber empfand. Jetzt, da sie sich umzog, wurde mir auch klar, warum sie die Jungs so um sich scharen konnte. Sie hatte trotz einer schmalen Taille ein beachtliches Paar Brüste vorzuweisen und ihr Hintern war auch auf eine nicht zu leugnende Weise schön geformt. Die anderen Mädels waren irgendwie Durchschnitt. Teilweise noch recht kindlich, auch wenn sie sicherlich alle etwas an sich hatten, oder das noch bekommen würden. Während ich recht umständlich meine Hose wechselte, warf ich schließlich noch einen Blick auf Daniela. Sie war ebenfalls 18, so wie ich, und das sah man ihr auch an. Sie strahlte etwas Wissendes aus, eine gewisse Reife, die sie fraulicher wirken ließ, wo die anderen noch Mädchen waren. Gar nicht mal körperlich, aber sie strahlte einfach etwas aus. Als ich endlich umgezogen war, folgte ich den anderen durch einen kurzen Gang in die Turnhalle, die mich direkt begeisterte. Das Linoleum sah noch richtig neu aus, offenbar war die Halle vor kurzem renoviert worden. Wir steuerte auf drei Tribünen mit mindestens zehn Sitzreihen zu, die die Wände der Halle makierten. Nur Fenster suchte ich vergebens, obwohl die Turnhalle in natürliches Sonnenlicht getaucht war. Ich hob meinen Blick und erkannte vier riesige Glaskuppeln, durch die das Tageslicht hereingelassen wurde und eine große Glasfassade über der Wand, hinter der die Umkleide- und Geräteräume lagen. Frau Klee wartete schon mit den Jungs bei einer der beiden Bänke und machte die letzten Haken in ihre Anwesenheitsliste. In einer kurzen Shorts und dem engen Trikot machte sie einen äußerst sportlichen Eindruck, wodurch ich zuversichtlich auf eine gute Sportstunde wurde. Die girliehaften Stutzen ließen sie allerdings fast wie ein Cheerleader aussehen, wenn auch der Anblick etwas Reizvolles hatte. Unbestreitbar. Unsere Blicke hatten sich kurz getroffen, nachdem ich von der Decke wieder runter geschaut hatte und sie schüttelte kaum merklich, dafür aber grinsend, mit dem Kopf. Diese Geste schrie förmlich das Wort Traumtänzerin. Augenblicklich schlich sich eine leichte rosa Färbung auf meine Nasenspitze, davon, dass mein Herzschlag wieder einen schnelleren Takt anstrebte, ganz zu schweigen. Ich musste echt aufpassen, sonst würde dieser Spitzname, den sie mir nun schon zwei Mal gegeben hatte, noch in meinem Abschlusszeugnis stehen. "Wie ich sehe, sind nun alle Trödelnasen und Traumtänzerinnen", sie machte eine Kunstpause um mir einen süffisanten Blick zuzuwerfen, "eingetrudelt und wir können endlich anfangen!" Dieser Blick. Genauso herausfordernd wie am ersten Schultag. Das konnte doch keine Einbildung sein. War das ihre Art, ihre Schüler zu pushen? Sie aus der Reserve zu locken? "Da Herr Nekros ja umgezogen ist, habt ihr nun mich in Sport. Um mir erst einmal ein Bild der insgesamten Leistungsfähigkeit von euch als Klasse zu machen, fangen wir mit ein paar Lockerungsübungen an, dann werdet ihr ein paar Runden laufen, danach machen wir einen schönen altbewährten Test und dann können wir noch ein Ballspiel eurer Wahl hinten dranhängen." Einige stöhnten kurz, die Jungs riefen schon nach Fußball und ich verdrehte etwas die Augen. Wir verstummten jedoch alle, nachdem Frau Klee einen Blick, mit hochgezogener Augenbraue, in die Runde warf. Schon komisch, wie sie die Jugendlichen mit einer so kleinen Geste zu kontrollieren vermochte. Auf Anweisung stellten wir uns in einen Kreis und verschränkten erst den einen Arm hinter dem Nacken dann den anderen. Sie beugte sich herunter und berührte ihre Zehen. Frau Klees Sportoutfit ließ dabei kaum noch Platz für Fantasien und die Pose sah bei ihr so viel eleganter aus, als ich sie bis dato jemals gesehen hatte. Selbst meinen alten Mannschaftskameradinnen gelang sie nicht so spielend. Sie beugte sich noch etwas weiter runter und legte die Hände flach auf den Boden, was nun wirklich beachtlich war. Ich konnte meine Zehen auch problemlos berühren, obwohl ich meine Beine gerade durchstreckte, aber das? Ich stand nur drei Plätze neben ihr, wodurch ich einen unerhört guten Blick, aus den Winkeln meiner Augen, auf sie werfen konnte. Sie überkreuzte ihre Arme und umschlang ihre Waden, dabei legte sie ihren Kopf seitlich auf ihren Oberarmen ab. Ohne Umschweife sah sie direkt zu mir, doch die Information, dass sie das tat, erreichte nicht mein Bewusstsein und so starrte ich einfach weiter. Sie wippte verspielt auf ihren Füßen hin und her und die Sekunden verstrichen. Ein wissendes Lächeln gefolgt von diesem entzückten Zwinkern, das sie mir in der kurzen Zeit, in der wir uns erst kannten, schon viel zu oft gezeigt hatte und ich geriet sofort ins Wanken, nachdem mir die Situation endlich bewusst wurde. Sie hob noch, mit einer Mischung aus Überraschung, Amüsement und Mitleid, beide Augenbrauen und ich kippte nach vorn. Ich konnte mich zwar sofort mit den Händen abfangen und entging somit der allgemeinen Aufmerksamkeit, aber Frau Klee kicherte tonlos und schüttelte nur mit dem Kopf. Autsch! Das hatte jetzt ganz schön in den Kniekehlen gezogen. Gott, das musste aufhören! Wie sehr konnte ein Mensch einen anderen denn aus der Fassung bringen? Endlich wandte ich dann auch meinen Blick von ihr ab, obwohl ich ihren weiterhin konsequent auf mir spürte. Das war ja nicht zum Aushalten. Sowas Peinliches! Wir machten uns noch eine Weile weiter warm und ich begann, mich zu fragen, wie Frau Klee meine Mitschüler bewerten wollte, schaute sie doch gefühlt die ganze Zeit nur mich an. Aber dieses Gefühl musste einfach trügen. Danach liefen wir. Unaufhörlich, wie mir schien. Frau Klee hatte keine Rundenzahl angesagt, lief dafür die ganze Zeit vorne weg. Felix und ein anderer Junge kamen noch ganz gut hinterher. Ich hatte nach etwa 20 Runden sicher eine Halbe Rückstand, viele hatten wir schon überrundet und einige hatte sie kommentarlos aufgeben lassen. Die letzten fünf Runden brannten dann schon ganz schön in den Oberschenkeln, bei dem Tempo, das Frau Klee die ganze Zeit vorgegeben hatte, bis sie endlich bei der Gruppe meiner Klassenkameraden, die abgebrochen hatten, zu einem Ende kam. Der Typ, der die ganze Zeit mit Felix mitgehalten hatte, ließ sich wie ein Sack Kartoffeln zu den Anderen auf das Linoleum fallen und atmete heftig. Felix und ich stemmten ebenfalls die Hände in die Hüften und würden wohl noch eine kleine Weile brauchen, bis wir wieder gleichmäßig atmen konnten und Frau Klee? Sie atmete schon beinah wieder ruhig, erzählte von einem Beatmungszelt, das sie wohl in Zukunft mitbringen müsse und glitzerte nur ein kleines Bisschen auf der Stirn. Sie wischte kurz mit der Hand darüber und schon sah sie wieder aus, als könnte sie von Neuem beginnen. Sie klatschte in die Hände und wies zwei Jungs, die so ziemlich als Erste aufgegeben hatten, an, eine der beiden Bänke etwas vorzuziehen und umzudrehen. Danach stellte sie sich seitlich an die Bank und legte beide Hände auf das dicke Vierkantholz der Unterseite. Ohne Pausen oder Wackler sprang sie immer mit beiden Füßen gleichzeitig über die Bank und war nach ca. 50 Sprüngen ein klein wenig außer Atem. Irgendwie hatte der Anblick etwas, wie sich ihr Brustkorb in tiefen Atemzügen langsam, aber deutlich sichtbar, hob und senkte. "50 Sprünge, wie ich es euch vorgemacht habe. Ich stoppe und notiere die Zeit" erklärte sie, während sie wieder ihr Heft zur Hand nahm, in das sie zuvor die Anwesenheit notiert hatte. Sie rief uns nach dem Alphabet auf, also war ich nach ungefähr der Hälfte an der Reihe. Demonstrativ ging sie in meinen Rücken, nachdem ich die Hände auf das Vierkantholz gelegt und mich bereit erklärt hatte. Mein sportlicher Ehrgeiz hinderte mich allerdings daran, das merkwürdig zu finden. Sie zählte von drei runter und ich sprang mit aller Kraft hin und her. Meine Zeit kommentierte sie mit einem abwesenden "Nicht schlecht", weil sie ihre Aufmerksamkeit schon wieder auf die Liste gerichtet hatte. Wieder wurde ich Dritte hinter Felix und Lucas, wie ich mir mittlerweile erfahren hatte. Ich war zugegebenermaßen ziemlich beeindruckt. Schulsport hatte mich noch nie so gefordert und ich würde mir angewöhnen, freitags eine Flasche Wasser extra mitzunehmen, denn ich spürte, wie ich leicht dehydrierte. Einen größeren Schluck hatte ich zum Glück noch dabei und so entschied ich mich, kurz in die Umkleide zu gehen und mir meine Flasche zu holen, da Frau Klee gerade eh eine kurze Verschnaufpause eingeläutet hatte. Als ich schon fast durch die Tür zu den Gängen, von denen die Umkleidekabinen abgingen, gehen wollte, wurde ich aufgehalten. "Ashley?" Augenblicklich froren meine Schritte ein und ich brauchte einen kleinen Augenblick um mich umzusehen, denn natürlich erkannte ich die glockenklare Stimme sofort. "Ja?" "Wenn du wünschst meinen Unterricht zu verlassen, fragst du vorher!" Frau Klees Ton ließ keine Widerrede zu, nicht, dass ich so etwas auch nur ansatzweise im Kopf gehabt hätte. Ich schluckte. Ihre amüsierte Miene strafte ihren Tonfall Lügen, während sie aufrecht und irgendwie anmutig in ihrem Sportdress, auf mich zu kam. Diese Zweideutigkeit in ihrem Handeln verwirrte mich so maßlos! Kapitel 5: ----------- Da ich nichts erwiderte, fragte sie mich, wo ich denn überhaupt hin wollte und ich erklärte ihr knapp, dass ich mein Trinken holen wollte. "Ohne Schlüssel kommst du da jetzt nicht mehr rein. Ich schließe dir eben auf." Das hatte ich ganz vergessen. Als wir in die Kabinen sind, mussten sie zuvor auch erst mal aufgeschlossen werden. Ich ließ ihr den Vortritt. Zum einen, weil ich sicher etwas hätte suchen müssen, um die richtige Tür zu finden und zum anderen, weil ich einfach einem Gefühl folgte, das mir sagte, dass ich nicht vor ihr zu gehen hätte. Ganz merkwürdig. Unsere Schritte hallten in den Gängen wider und als Frau Klee ihre Stimme erhob, erschreckte ich mich sogar ein klein wenig. "Wundert mich ein Bisschen, dass eine Sportlerin wie du ihr Trinken vergisst." Sie kam vor der Tür zu unserer Umkleidekabine zum Stehen und schloss sie geräuschvoll auf. "Naja... ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet, dass der Schulsport so fordernd sein würde", erwiderte ich nervös. Sie hielt mir die Tür auf und ich huschte eine Spur zu schnell an ihr vorbei. Obwohl es ziemlich dunkel in diesem Raum war, da das Licht hier nur durch ein ziemlich kleines Dachfenster fiel, fand ich meinen Platz wenigstens sofort und kramte in meinem Rucksack nach meiner Wasserflasche. Sobald ich sie rausgefischt hatte, schraubte ich schon ihren Deckel ab, da fiel die Tür so laut ins Schloss, dass ich den Deckel vor Schreck direkt fallen ließ. Als ich mich bücken wollte um ihn aufzuheben, stand Frau Klee direkt hinter mir und hielt ihn mir bereits hin. "Du findest also, dass ich nicht sportlich aussehe?" Ich erhob mich langsam, fast zittrig und nahm ihr den Deckel ab, wobei ihre schlanken Finger ganz kurz die meinen streiften, bevor ich sie ansah. Ihre Stimme war so bedeutungsschwanger, dass ich die Befürchtung hatte sie tief gekränkt zu haben, was ich natürlich absolut nicht wollte, so nach der ersten Woche Unterricht. Ihre Augenbraue war erwartend erhoben, der Blick kaum deutbar, die Lippen zu einem geraden Strich verzogen. Ich schluckte wieder. "Ähm, doch natürlich finde ich das! Sie haben eine tolle Figur und ihre Muskeln zeichnen sich ab und diese Sehnen auf ihren Unterarmen und..." Oh Gott, was redete ich da nur? Und vor allem wann war mir das überhaupt aufgefallen?! Hatte ich sie so viel angestarrt, ohne es bewusst zu merken? Ihr Kopf legte sich etwas schief, als wollte sie mir ihr Ohr etwas näher hinhalten. Ihr rechter Mundwinkel zuckte. Die Geste schrie förmlich danach, dass ich weitermachen sollte, aber eine Stimme in mir rebellierte und rief mich harsch zur Ordnung. "Ich habe mich bis jetzt noch nie im Schulsport so anstrengen müssen", schloss ich schwer atmend. Dass die Beleuchtung in der Kabine gerade nicht eingeschaltet war, war ein Segen. Mein Gesicht glühte schon wieder bis zu den Ohren und ich musste den Blick abwenden, so peinlich berührt war ich. Ihr Kichern erhellte daraufhin den Raum und spätestens jetzt war ich mir sicher, dass sie sich absichtlich einen Spaß daraus machte, mich zu verunsichern. Das gibt's doch nicht! "Niedlich. Du bist ja richtig verschüchtert." Fassungslos riss ich meinen Blick wieder hoch und starrte in das Dunkel ihrer Augen, das von feinen Lachfältchen umspielt wurde. Wie redete diese Frau denn nur mit mir? Sie grinste und zwinkerte herausfordernd. "Lass dich nicht so leicht verunsichern. Das hast du nicht nötig. Na komm, wir sind hier fertig, oder?" Absolut. Ich war total fertig. Ein Nicken brachte ich gerade so noch zustande. "Was machst du denn eigentlich?", fragte sie, als sie mir wieder die Tür aufhielt. Verwirrt blieb ich stehen und drehte mich zu ihr. Sie kicherte wieder. "Na, Sport!", verdeutlichte sie ihre zuvor gestellte Frage. Achso! Was auch sonst? Innerlich verdrehte ich über mich selbst die Augen. "Volleyball", antwortete ich knapp. Sie nickte und grinste breit, doch ich ging nicht darauf ein, ich war einfach noch zu wirr im Kopf. "Na, jetzt beginnt ja der angenehme Teil des Sportunterrichts, also kannst du dich wieder entspannen." Sie hielt sich ihre Rechte vor den Mund und ging kichernd voran. Ich für meinen Teil brauchte noch einige Augenblicke, bevor ich wieder in Gang kam. Frau Klee hatte uns abstimmen lassen und folglich spielten wir Fußball. Wirklich keiner meiner Favoriten, aber ich konnte mit jeder Ballsportart mehr oder weniger gut umgehen, von daher war es schon okay. Zehn Minuten vor dem Klingeln entließ sie uns dann schon ins Wochenende und alle atmeten erleichtert auf. Wenigstens war ich nicht die einzige gewesen, die die Intensität des Sportunterrichts so unvermittelt getroffen hatte. Felix war total begeistert und schwärmte den ganzen Weg nach Hause von Frau Klee. Ihrer Art zu unterrichten, ihrer sportliche Figur, den kastanienbraunen Haaren, den dunklen, mysteriösen Augen, mit denen sie so verführerisch zwinkern konnte... okay, die Fortsetzung dieser Liste entsprang meinem Kopf, nicht seinen Worten. Zum Glück vermochte es Felix ziemlich gekonnt, mich von derlei Gedanken abzulenken. Er erzählte mir, dass er vorhatte, ein paar Mal die Woche in das nächste Fitnessstudio zu gehen, da er keinen Fußball mehr spielte, sich aber für sein Modeln trotzdem in Form halten wollte. Ob ich mitkommen wollte, fragte er noch. Mir gefiel der Gedanke durchaus. Volleyballtraining würde ich nur noch zwei Mal die Woche haben, da es eine Damenmannschaft war und wohl viele berufstätig waren. Früher hatte ich noch drei Mal die Woche Training gehabt. Wenn ich mich immer noch nicht fit genug gefühlt hatte, war ich eben zwischendurch joggen gewesen. Also entweder stupides Joggen oder mit Felix ins Fitnessstudio. Ich erzählte ihm in dem Zuge von meinem Probetraining heute Abend. Die Vorfreude darauf begleitete mich eh schon den ganzen Nachmittag. Bis zum Abend hielt diese Vorfreude an, aber zunächst hob eine andere Kleinigkeit meine Laune noch etwas weiter. Mom machte zum Abendessen extra einen leckeren Salat mit Hähnchenbruststreifen, was den Herren der Schöpfung zwar missfiel, aber mich tierisch freute. Diese kleinen Gesten, bei denen meine Belange bevorzugt wurden, bedeuteten mir alles. Meine Mutter war da sehr empathisch und weder Daddy noch Leo bekamen diese kleinen Liebesbeweise mit. Sie sagte früher, schon als Leonnard noch nicht mal sprechen konnte, immer zu mir, dass Frauen manchmal etwas enger zusammenrücken müssten. Ich fand das immer wahnsinnig toll. Sie federte durch diese Kleinigkeit jeden Anflug von Eifersucht ab und gab mir damit immer das Gefühl, wir hätten eine besondere Verbindung und ein Geheimnis. Nur wir Zwei. Trotzdem entwickelten sich die Dinge, wie sie es eben taten. Ich war in dem Sinne nie eifersüchtig auf Leo. Unsere Eltern hatten mir nie das Gefühl gegeben, dass er besser oder gelungener sei, obwohl er das meines Erachtens zweifelsohne war. Spätestens als er auf die weiterführende Schule kam und ich gerade die Neunte wiederholen musste, wurde es mir dann klar. Ihm fiel einfach alles leichter. In jeder Lebenslage. Er musste kaum lernen und schrieb trotzdem immer die besten Noten. Schon im Kindergarten war er außerordentlich beliebt und sportlich war er auch von klein auf. Ich hingegen war, bis ich zehn war, beinahe unsportlich. Zumindest sah ich so aus. Ich turnte bis dahin und es tat so gar nichts für mich, außer, dass ich dadurch meine Körpermitte recht gut finden konnte. Mit zehn schließlich fing ich dann mit Volleyball an und es kostete mich Einiges um dahin zu kommen, wo ich jetzt war. Sowohl körperlich, als auch sportlich gesehen. Den Meisten hinkte ich nämlich immer ziemlich hinterher, was die spielerischen Fertigkeiten anging. Erst als ich 14 war, durfte ich zum ersten Mal in einem Punktespiel auf das Feld. Der Sport tat aber meinem Ehrgeiz gut. Formte ihn soweit, dass ich schließlich auch in der Schule wieder Fuß fassen konnte, auch wenn mir nichts so in den Schoß fiel, wie meinem kleinen Bruder. Ich musste immer viel lernen und machte im Unterricht mehr Notizen als alle andere. Durch meinen Sport langweilte ich mich nicht mehr so viel und fand schließlich meinen Fokus wieder. So würde ich nun doch noch zu meiner Hochschulreife kommen. Leo nahm halt den direkten Weg. Am Ende hatten wir so ziemlich die selbe Ausgangslage, wenn wir in unser richtiges Leben starten würden. Überschlagend war ich also manchmal vielleicht neidisch, aber nicht eifersüchtig, nein. Ich liebte meinen kleinen Bruder. Und wir kamen auch gut miteinander aus. Das typische Gezicke unter Geschwistern gab es bei uns so gut wie nie. Ich bezweifelte aber auch, dass es einen einzigen Menschen auf der Welt gab, der sich seinem natürlichen Charisma entziehen könnte. Es war sieben Uhr abends, als ich mich auf den Weg zurück zur Schule machte. Genauer gesagt zur Sporthalle, um an meinem Probetraining teilzunehmen. Da die Sporthalle in einem separaten Gebäude lag, ging ich also über den Schulhof, ohne in einen der vielen Eingänge zu biegen, die in den großen Schulkomplex führten. Fünf Minuten vor halb acht bog ich in Sichtweite des Eingangs zu den Gängen, von denen die Umkleidekabinen abführten, und sah vor der Tür schon einige Frauen stehen. Ich wurde freundlich begrüßt, nachdem ich bei ihnen angekommen war und erklärt hatte, dass ich heute zum Probetraining dabei war. Sie freuten sich ziemlich offenkundig. Bei den Damen waren Neuzugänge nur noch selten, das wusste ich, weshalb ich ihnen ihre Freude durchaus abnahm. Ich hatte bei den Damen meines alten Vereins schon immer mal wieder ausgeholfen, da das Team des Öfteren drohte, nicht auflaufen zu können, sobald eine Mitspielerin mal nicht konnte. "Carsten kommt immer als Letzter, mach' dir nichts draus", erklärte mir Jenna, die sich mir direkt als Spielführerin vorgestellt hatte. Sie war von hoher Statur, fast einen Kopf größer als ich, trug ihr langes, blondes Haar zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden und hatte helle, blaue Augen, die mich interessiert musterten. Ich wurde unter ihrem forschenden Blick ein wenig rot. Carsten Probst war der Trainer, mit dem ich vorab schon telefoniert hatte. Er hatte einen freundlichen Umgang am Telefon und so freute ich mich darauf, auch ihn kennen zu lernen. Ich hatte ein ziemlich gutes Gefühl bei dieser Mannschaft und sah dem Training positiv entgegen, als ein Mann, Carsten, schließlich um die Ecke bog. Mir entglitten die Gesichtszüge als ich eine lachende Frau Klee neben ihm gehen sah. Da ich mir ziemlich sicher war, dass Jenna mich noch immer begutachtete (warum auch immer), riss ich mich so gut es ging zusammen, den Blick konnte ich trotzdem nicht von meiner Klassenlehrerin abwenden. Als ihrer sich mit meinem kreuzte, konnte ich darin kurz Überraschung flackern sehen, doch sie schüttelte sie mit einer eleganten Bewegung ihrer Hand, die durch ihr offenes kastanienbraunes Haar streifte, ab. Sie schürzte die Lippen und in ihren Augen erschien dieser freche Funke, der ihrem Antlitz etwas so Jugendliches verlieh, dass es mir schwerfiel, daran festzuhalten, dass sie meine Lehrerin war. "Ashley, stalkst du mich?", fragte sie grinsend und zwinkerte. "Nein! ... Probetraining!", stieß ich viel zu schnell hervor und die Frauen um mich herum begannen zu lachen. Ich wollte sofort im Erdboden versinken und auch obgleich das nicht möglich war, war ich mir sicher, dass man mir diesen Wunsch zumindest ansah. "Nicht schon wieder", murmelte eine Schwarzhaarige, deren Namen ich in just diesem Augenblick vergessen hatte, und verdrehte die Augen. Frau Klee warf ihr einen Blick zu der so eiskalt war, dass ich selbst augenblicklich tot umgefallen wäre, hätte er mir gegolten, doch die Schwarzhaarige wandte sich nur wieder einer der anderen Spielerinnen zu. Ihr Name war Christina, glaubte ich. Sicher war ich mir aber nicht. Carsten sah für einen Moment verwirrt zwischen uns hin und her, dann reichte er mir die Hand. "Hallo Ashley, ich bin Carsten, wir haben telefoniert." Ich ergriff sie zögerlich und zwang mich, ihm in seine hellbraunen Augen zu sehen. Er sah gut aus, trotz der Glatze. War groß und breit. Wie ein typischer Volleyballspieler und höchstens 40 Jahre alt. Er schloss die gläserne Eingangstür auf und danach die zur Umkleidekabine. Frau Klee ließ mir lächelnd den Vortritt. Lieber wäre es mir andersherum gewesen. So bot die Umkleide nicht mehr viele freien Sitzmöglichkeiten, da sich die Frauen mit ihren großen Trainingstaschen automatisch sehr ausbreiteten und ich hatte kaum noch eine Wahl. Ich ergatterte trotzdem das Ende einer Bank und schob meine große Sporttasche, in der ich meine Straßenkleidung hatte, darunter. Ich war froh, dass ich mich schon zu Hause umgezogen hatte und öffnete halbwegs entspannt meine Trainingsjacke. Die Entspannung verflog ad hoc, als sich Frau Klee direkt mir gegenüber, in das U der beiden setzte, die die Bänke formten. Unverhohlenen Blickes beobachtete sie mich, wie ich mir auch noch meine Trainingshose auszog und hätte ich mir den Gedanken nicht sofort verboten, wäre ich zu dem Schluss gekommen, dass sie beinah enttäuscht dreinschaute, weil ich schon Sportklamotten darunter an hatte. Ich begab mich also als Erste in die Sporthalle und war irgendwie froh, dass ich den Frauen, allen voran Frau Klee, nicht beim Umziehen zusehen musste. Oder durfte? Als ich in der Sporthalle ankam, schüttelte ich ein wenig den Kopf über mich selbst. Was dachte ich eigentlich an sowas? Und auch so viel an meine Lehrerin generell und auf welche Art und Weise? Bis hier hin hatte ich mich noch nicht groß mit meiner Sexualität beschäftigt. Jungs fanden mich uninteressant und ich sie ebenso. Und Mädchen? Beziehungsweise Frauen? Nein, oder? In meiner alten Mannschaft hatte ich meine Mitspielerinnen nie mit solchen Augen betrachtet. Tat ich es jetzt oder warum war ich froh, ihnen nicht beim Umziehen zuschauen zu müssen, dürfen, oder was auch immer? Hinter mir erklangen Stimmen und hielten mich davon ab, weiter darüber nachzudenken. Die versammelte Mannschaft, samt Carsten, kam auf mich zu und ich fühlte die altbekannte Unruhe in mir aufsteigen, die ich ansonsten beim Volleyball zu verdrängen vermochte. Und auch jetzt wollte ich mir meinen Sport nicht von meiner kaputten Psyche versauen lassen, weshalb ich mich dann auch umdrehte und hoch zu den vier gläsernen Kuppeln schaute, über denen ich einen vom Sonnenuntergang rot verfärbten Himmel sehen konnte, vor den sich allmählich dunkle Wolken schoben. Im unnatürlichen Neonlicht sah die renovierte Halle noch ein wenig hochwertiger aus. Ich stellte mir vor, wie die Atmosphäre wäre, mit voll besetzten Rängen, zwei Mannschaften auf dem Feld, die um den Sieg kämpften. Ich atmete tief durch. Meine Unruhe schwand beinah so schnell, wie sie gekommen war. Doktor Krebs wäre stolz auf mich. Mit meiner neu errungenen Ruhe machte das Training auch richtig Spaß. Die Mädels waren schon sehr eingespielt, was mir gut gefiel, aber zu elft war die Mannschaft eben auch wirklich relativ klein und ich hatte durchaus das Gefühl, hier richtig was ausrichten zu können, würde ich mich für dieses Team entscheiden. Jenna warf mir währenddessen immer unwillkürlich ausgewählte Informationen über die Mitspielerinnen zu und schien auch insgesamt in ihrer Position als Kapitän vollkommen aufzugehen. So erfuhr ich zum Beispiel, dass die Schwarzhaarige, die sich so abfällig über die Tatsache, dass Frau Klee mich schon kannte, geäußert hatte, zur Zeit eine Trennung durchmachte. Dass Frau Klee die Position des Liberos inne hatte, was mich kaum noch wunderte, nachdem ich sie habe spielen sehen, und so, wie sie die scharfen Angaben von Elsa annahm, die mir nicht weniger imponierte. Dabei war ich mir nicht ganz sicher, ob das an ihren hervorragenden Angaben, ihrer Sprungkraft, die sie beim Blocken beeindruckend zeigte oder an ihren feuerrot gefärbten Haaren lag, die sie wie fast alle anderen zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Nachdem Carsten das Training beendet und mich noch zu sich gerufen hatte, stöhnte ich innerlich, als das laute Prasseln von Regentropfen auf die Glaskuppeln meine Aufmerksamkeit wieder nach oben lenkte. Die Wolken hingen tief und das dunkle Grau bekam, durch die Lichter der Großstadt unter ihnen, eine orangene Färbung. “Und Ashley? Hattest du Spaß?”, wollte er wissen und ich bejahte sofort, noch immer etwas außer Atem. Er lächelte breit und gewinnend und zog sogleich die Anmeldeformulare aus einer grauen Mappe, um sie mir auszuhändigen. “Klasse! Dann füll alles aus und bring mir die Anträge Dienstag wieder mit.” Ich musste innerlich über die Selbstverständlichkeit dieser Geste schmunzeln, ließ sie doch nicht wirklich eine Entscheidung gegen den Verein zu. Aber ich hatte mich eh schon nach knapp der Hälfte des Trainings dazu entschlossen, in dieser Mannschaft zu spielen, also nahm ich die Papiere mit einem “Alles klar!” grinsend entgegen. Kapitel 6: ----------- Nachdem ich mich von Carsten verabschiedet hatte, ging ich zur Umkleidekabine und nach einem Klopfen ließ mich eine nur in ein Handtuch gekleidete Jenna mit einem breiten Grinsen im Gesicht eintreten. "Und?" Ich verzog auf ihren fragenden Unterton nur ahnungslos das Gesicht und machte: "Mh?" "Na, wirst du Teil unserer Sugarbabes?" Die erwartungsvolle Freude in ihrer Frage und die Bezeichnung "Sugarbabes" ließen mich lachen, während ich die Umkleide betrat und nickte. "Ich denke schon, ja." Augenblicklich fiel mir die kaum bekleidete Frau um den Hals und gab mir einen Kuss auf die Wange. Die plötzliche Nähe und der Kontakt zu ihrer bloßen, feuchten Haut trieben mir einen eisigen Schauer über die Wirbelsäule und auch die lächelnden Gesichter der anderen Frauen die ich sah, nachdem Jenna mich aus ihrer Umarmung entlassen hatte, änderten daran nichts. Es war wie ein Spießrutenlauf zu meinem Platz. Die Frauen klopften mir auf die Schultern, umarmten mich, gaben mir Küsschen und versicherten mir, wie glücklich sie über das frische Blut wären, das ich mitbrachte. Auch Elsa küsste mich auf die Wange und klatschte mir ihr nasses, rotes Haar ins Gesicht, als sie sich eilig umdrehte, um der gerade aus den Duschen zurückgekehrten Frau Klee Bericht zu erstatten. "Ashley tritt uns bei, Nina!", rief sie ihr förmlich entgegen, wobei es möglich war, dass es nur in meinen empfindlichen Ohren so laut klang und streckte ihr die Hand zum Highfive entgegen. Frau Klee klatschte ein und es sah aus, als machten sie diese Geste andauernd. "Jawoll! Strike! Du bist echt nicht schlecht, kleine Traumtänzerin." Grandios! Als wäre es nicht schlimm genug gewesen, dass ich diesen Spitznamen augenscheinlich tatsächlich weghatte, nein, ich war so beschämt von Frau Klees Anblick, dass ich nur ein verlegenes Nicken zustande brachte und meinen Blick sofort von ihr wandte, um die letzten zwei Schritte zu meinen Sachen zu eilen. Nicht, dass sie mir auch noch um den Hals fallen wollte! Meine Wangen waren auch so schon rot genug. Die Flucht brachte mir allerdings wenig, da meine Lehrerin ja immer noch ihren Platz direkt gegenüber von meinem hatte und als die Frauen um mich herum begonnen, sich anzuziehen, also teilweise sekundenlang völlig nackt dastanden, überschlugen sich meine Gedanken vollends. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wo ich hinsehen sollte und klaubte nur schnell mein Duschzeug zusammen. Was war denn nur los mit mir? In meiner alten Mannschaft gab es kein anderes Bild in der Umkleidekabine und ich hatte mich dort auch völlig frei zwischen den nackten Mädchen bewegen können. Dieser rationale Gedanke brachte die innere Unruhe in mir ein wenig zum Erliegen und ich drehte mich von meiner Tasche weg, um Richtung Dusche zu gehen. Der Anblick einer unbekleideten Frau Klee ließ meine Bewegung allerdings vollkommen einfrieren und Gott, ich starrte. Auf ihre perfekt geformte Sanduhrentaille, den langen, eleganten Nacken, der freigelegt war, da sie ihr Haar im Handtuch hochgebunden hatte, der runde, knackige Hintern, der nicht die Spur einer Unebenheit aufwies und schließlich ein wunderschönes Paar Brüste, viel größer als ich erwartet hatte, und doch so schön geformt und so straff, als könnte ihnen die Schwerkraft niemals etwas anhaben. Als die Information, dass ich den Busen meiner Lehrerin sehen konnte, endlich in mein Hirn gedrungen war, wurde mir bewusst, dass sie sich umgedreht hatte. Schockiert über mich selbst riss ich meine Augen hoch in die haselnussbraunen Augen von Frau Klee, die just in dem Moment, da sich unsere Blicke trafen, gleich zwei Nuancen dunkler wurden. Ihre linke Augenbraue hob sich an und sie formte mit den Lippen etwas wie "nah-nah", aber ich war mir nicht ganz sicher. Ich schluckte hart, unfähig meinen Blick von diesen dunklen, alles verschlingenden Augen abzuwenden und sie senkte leicht den Kopf um mich von unten noch eingehender zu betrachten. Dieser Blick war im Grunde ganz unschuldig, aber dabei auch so lasziv und betörend, dass ich das Grinsen auf ihren Lippen erst wahrnahm, als sie ihren Kopf ganz leicht schüttelte und sogar ein leises Lachen ihrer Kehle entfleuchte. Mein Gesicht musste die Farbe von Zinnoberrot angenommen haben und ich nahm nur noch die Beine in die Hand und rauschte in die Dusche, die glücklicherweise auch leer war. Mein Herz raste noch immer, als ich endlich nackt unter der Dusche stand und das Wasser auf mich prasseln ließ. Ich hörte das Blut durch meine Venen rauschen und hätte ich nicht eh schon unter der Dusche gestanden, wäre ich sicher nass von dem Schweißausbruch, den diese ganze Chose gerade nach sich zog. Wenigstens hatte das Wasser noch immer dieselbe beruhigende Wirkung auf mich wie eh und je und so bekam ich mich nach wenigen Minuten in meinem Element auch wieder in den Griff. Trotzdem begriff ich die Welt nicht mehr und fragte mich, was nur in mich gefahren war, dass ich diese Frau, meine Lehrerin, so lange und offensichtlich angestarrt hatte. Was musste sie nur von mir denken? Sie sah nicht gerade so aus, als wenn sie, anders als ich, den Schock ihres Lebens davon getragen hätte und das irritierte mich beinah noch mehr. Allerdings war der Disput mit meinen eigenen unbekannten Gefühlen gerade doch deutlich im Vordergrund und so verbrachte ich eine ziemlich langandauernde Dusche mit Grübeleien, bis ich dann in ein Handtuch gewickelt und mit Flipflops in die leere Umkleidekabine zurückkehrte. Seufzend ließ ich mich zunächst auf der Bank nieder und schaute auf mein Smartphone, das mir verriet, dass es schon kurz nach zehn war. Ich trocknete mich also nur halbherzig ab und schlüpfte eilig in meine Klamotten, da der Gedanke, dass ich hier nun völlig alleine war, mir überhaupt nicht behagte. Nachdem ich die Tür zur Umkleidekabine hinter mir ins Schloss fallen gelassen hatte, begann ich, direkt vor mich hin zu fluchen. Durch die Glastür, die nach draußen führte, sah ich, dass es noch immer in Strömen goss. Ich hätte mir das Duschen eigentlich auch sparen können. Mit geschulterter Sporttasche und schnellen Schritten überquerte ich den Schulhof und trat an die Straße, die bei dem miesen Wetter nur wenig befahren war. Der Regen war so dicht, dass ich kaum bis zur nächsten Straßenecke gucken konnte, die mich zur Bushaltestelle führen sollte. Aber nach einer Woche Schule kannte ich den Weg nun schon gut genug und beeilte mich weiter, obwohl meine Kleidung jetzt schon durchnässt war. Ein Hupen zog kurz meine Aufmerksamkeit auf sich, doch ich beachtete es nicht und marschierte stur weiter. Es hupte ein weiteres Mal und ich wandte meinen Blick zur Straße, auf der ein Auto wenige Meter vor mir zum Stehen gekommen war. Irgendein gelbes Cabrio, dessen schwarzes Verdeck zugeklappt war und von dem ich bei dem Wetter nicht sagen konnte, von welcher Marke es stammte. Ich sah mich um, ob wirklich ich gemeint war und als ich niemand Weiteren entdeckte, trat ich an die Beifahrertür. Das Fenster wurde heruntergelassen und zum Vorschein kam niemand anderes als Frau Klee. "Schnell! Rein mit dir!", rief sie mir durch den Lärm, den der Regen und zwei vorbeifahrende Autos verursachten, entgegen. "Ne, ich mache Ihr Auto doch ganz nass von innen", widersprach ich. Sie sah mich ganz kurz ernst an, dann beugte sie sich über den Beifahrersitz und zog den Hebel um die Tür zu öffnen. "Jetzt!", befahl sie und wie fremdgesteuert gehorchte ich und zog die Tür hinter mir viel zu geräuschvoll zu. Erschrocken fuhr ich zu ihr herum und versank für einen Augenblick in dem tiefen Schwarz ihrer Augen. Etwas Undeutbares lag darin und ihre Miene war auch nicht besser lesbar. Sie betrachtete mich eine ganze Weile, ohne etwas zu sagen und griff schließlich kommentarlos auf die Rückbank. Dort kramte sie einen Moment rum und legte mir schließlich ihr Handtuch auf den Kopf. Der Duft ihres Shampoos, den ich auch beim Einsteigen schon unbewusst wahrgenommen hatte, umgab mich wie eine seidige Blase und ich nahm ihn beinah begierig in mich auf. War das Pfirsich? Es roch unglaublich gut. Sie rubbelte mir kurz mit der rechten Hand auf dem Handtuch die Haare und zog es dann ein wenig zurück, so dass wir uns wieder ansehen konnten. Eine Strähne meiner offenen, schwarzen Haare hatte sich in meinem Mundwinkel verfangen, doch das interessierte mich nicht. Überfordert von der Situation starrte ich schon wieder meine Lehrerin an, die ihre Hand nun langsam von meinem Kopf runter gleiten ließ, um die verfangene Strähne hinter mein Ohr zu schieben. Die Geste war schnell vorüber und irgendwie beiläufig, selbstverständlich, aber da wo ihre Finger sie berührten, begann meine Haut zu kribbeln und wieder spürte ich, wie sich eine Hitze auf meinen Wangen ausbreiten wollte. "So ein Scheißwetter, mh? Alles gut, Ashley?" Erst, als sie jetzt wieder zu sprechen begann, wurde mir klar, wie ruhig es im Auto im Verhältnis zu dem Lärm draußen war. Sie sprach leise und sanft. Diesen Tonfall hatte ich bei ihr bis dato noch nicht vernommen. Und wie zärtlich sie meinen Namen aussprach. So weich. Als wäre er etwas Zerbrechliches. Es klang wundervoll. Ich schluckte und nickte nur, bevor ich meinen Blick von ihr loseisen konnte und auf meine Hände starrte, die sich nervös in meinem Schoß kneteten. Aus dem Augenwinkel sah ich sie schmunzeln, während sie den Motor startete. "Wo wohnst du?" Schon war ihre Stimme wieder kühl und autoritär und ich beeilte mich dabei, ihr meine Adresse zu nennen. "Danke, dass Sie mich nach Hause bringen", sagte ich nach einer kurzen Weile des Schweigens. "Du." "Mh?" Ich sah sie an. Sie grinste und präsentierte ihre makellosen Zähne. "Wir duzen uns alle im Team. Ich fänd' es total komisch, wenn wir beide da eine Ausnahme machen. In der Schule musst du natürlich darauf verzichten." Es dauerte ein wenig, bis ihre Worte mein Bewusstsein erreichten, doch ich verstand sie schließlich, auch wenn mir diese Entwicklung trotzdem irgendwie nicht behagte. Ich lächelte zaghaft. "Also du und Nina, ja? Bis ich dir etwas Anderes sage." Sie zwinkerte bei dem zweiten Satz verheißungsvoll und ich war nur noch irritierter. Allerdings ließ mich ihr sanfter Gesichtsausdruck meine Verwirrung schnell vergessen. "Okay! Danke, dass du mich nach Hause bringst, Nina." "Keine Ursache. Ich kann eine Jungfrau in Nöten doch nicht ihrem grausamen Schicksal überlassen!" Wieder schenkte sie mir ihr schönes Lächeln, bevor sie zurück auf die Straße schaute und zum ersten Mal schmolz ich bei ihrem Anblick bewusst dahin. Ihr Lächeln ebbte in ein Schmunzeln und ich war mir sicher, dass sie wusste mit welchen Augen ich sie in diesem Moment betrachtet hatte. Es entstand eine Pause, die nicht unangenehm war, obwohl ich lieber mit Nina gesprochen hätte, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Und so drifteten meine Gedanken zurück in die Umkleidekabine, genauer gesagt zu dem Anblick ihres nackten Körpers. Ich verbot mir diese Gedanken sofort, doch die Bilder hatten sich längst in meine Netzhaut gebrannt. Verräterisch schlich sich die Röte auf meine Nasenspitze und breitete sich von dort bis zu meinen Ohren aus. Erst als ich klar und deutlich meinen Namen vernahm, fuhr ich zu Nina herum und hob fragend beide Augenbrauen. Diese schüttelte nur schmunzelnd mit dem Kopf und murmelte "Traumtänzerin", während sie in die Straße bog, in der unser Haus lag. "Ich hatte gefragt, ob du heute Spaß mit uns hattest." "Ähm, ja. Klar", brachte ich ungelenk ein paar Brocken aus meinem Mund. Worte konnte man das kaum nennen. "Das freut mich echt. Weißt du, Elsa blockt auf ihrem Niveau ganz alleine, auch wenn Svenja allmählich rankommt, aber Bea und Tina können einfach nicht mithalten. Bei dir sieht das aber ganz anders aus." Dass ich eh schon wieder rot angelaufen war, spielte spätestens jetzt keine Rolle mehr. Ich kratzte mich verlegen am Nacken, während Nina das Auto vor unserem Haus zum Stillstand brachte. "Meinst du echt?", fragte ich verunsichert, was sie missgünstig, beinah verärgert eine Augenbraue heben ließ. "Ich gehe mit Lob äußerst sparsam um, dann geiern die Menschen mehr danach. Ziemlich gute Motivation! Also kannst du mir ruhig glauben.” Der plötzliche Stimmungsumschwung ließ mich schlucken und ich fragte mich, ob ich ihr zu nahegetreten war. "Sorry", sagte ich daher schnell. "Oh, bitte. Wenn du dich ernsthaft entschuldigen willst, solltest du das niemals mit einem schnöden Sorry tun. Sowas sagt man, wenn man einen Fremden auf der Straße aus Versehen anrempelt. Da kannst du es auch ganz bleiben lassen." Meine Gedanken überschlugen sich automatisch. Ich konnte nicht sagen warum, aber ich wollte nichts auf der Welt weniger, als dass Nina mir böse war, warum auch immer und so suchte ich fieberhaft in meinem Wortschatz nach passenden Worten. "Ja!", sagte ich also fast genauso hektisch. "Es tut mir leid, Nina. Ich wollte nicht sagen, dass ich dir nicht glaube oder so. Dein Lob kam nur so unerwartet", fügte ich dann aber viel ruhiger hinzu und klopfte mir innerlich ein wenig auf die Schulter dafür, dass ich endlich einen vernünftigen Satz rausgebracht hatte. Ihre Miene wurde augenblicklich wieder weich und ein kleines Lächeln umspielt ihre vollen Lippen, dass mich in die Knie gezwungen hätte, hätte ich nicht bereits gesessen. Sie hob ihre Rechte wieder an und führte sie in Richtung meines Kopfes. Ich musste mit aller Macht dagegen ankämpfen, meine Augen nicht in wohliger Vorfreude zu schließen, aber sie zog mir nur quälend langsam das Handtuch von den Schultern und warf es achtlos auf die Rückbank. Ihr Geruch nach Pfirsich verschwand mit dem Handtuch und fehlte mir direkt ein wenig. "Und du meinst das ist das einzige, wofür du dich entschuldigen solltest, meine kleine Traumtänzerin?" Oh. mein. Gott. Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie meine Blicke in der Umkleidekabine meinte und ich schluckte trocken. "Ähm..." Sie fing an zu kichern und zwinkerte mir wieder auf ihre ureigene Art zu. Himmel, hilf mir! "Du solltest wohl mal reingehen, denkst du nicht? Nicht, dass sich einer Sorgen macht." Ich nickte nur, mit einer völlig benebelten Gedankenwelt und öffnete die Beifahrertür. "Also, ähm...danke nochmal." "Keine Ursache. Bis nächste Woche, Ashley." Sie zwinkerte noch ein weiteres Mal. Ich verschloss die Tür von außen. Das Fenster öffnete sich noch einen Spalt. "Und denk an deine Hausaufgaben!" Mein Herz trommelte hart gegen meine Rippen. Ich versuchte es zu beruhigen, doch es war unmöglich. "Ja! Bis dann." Sie lachte, schüttelte den Kopf und richtete ihren Blick nach vorne. "Tschüss!" rief sie und fuhr davon. Kapitel 7: ----------- Noch ziemlich von der Situation, oder dem Duft von Frau Klee, benebelt, öffnete ich die Milchglastür zu unserem Haus. Ging direkt die passenden Treppen hinauf, ohne mich zur Seite zu wenden, um meine Eltern zu begrüßen. Sie saßen noch im Wohnzimmer, wie mir die flackernden blauen Lichter des Fernsehers und die Geräuschkulisse verrieten. Im ersten Stock war es deutlich ruhiger. Leonnard hatte seine Tür geschlossen, obwohl auch er sicher noch wach war. Ich nahm die Wendeltreppe hoch zu meinem Zimmer nur noch träge. Der ganze Tag war anstrengend gewesen und es fühlte sich an, als würde ich erst jetzt spüren, wie sehr. In meinem Zimmer entledigte ich mich zunächst, noch immer völlig ferngesteuert, meiner nassen Kleidung, wickelte meine Haare in ein grasgrünes Handtuch und zog mir ein Höschen und ein Schlaftop an. Den Haufen nasser Klamotten ließ ich unangetastet im Bad liegen, auch wenn ich mich am nächsten Tag vermutlich dafür hassen würde und ließ mich völlig KO in mein großes Bett fallen. Ich war kein Bisschen mehr in der Lage nachzudenken, wobei es doch soviel gab, was heute verarbeitet werden wollte. Ohne mich auch nur zu zudecken, schloss ich meine Augen und war direkt am Schlummern, doch das Vibrieren meines Smartphones, das ich nicht mal, wie sonst immer, an das zugehörige Ladekabel gesteckt hatte, ließ mich dann doch nochmal erschrocken hochfahren. Ich grummelte und stöhnte zwar, aber dennoch nahm ich es zur Hand und entsperrte den Bildschirm. Sie wurden der Gruppe Sugarbabes hinzugefügt, stand da. Carsten Probst:  Willkommen bei den Sugarbabes, Ashley! Postet doch einmal eure Namen, Mädels, dann hat Ashley eure Nummern samt Namen! Ich musste wirklich grinsen, so einen warmen Empfang hatte ich mir nicht ausgemalt. Beim Training fühlte ich mich ja schon zugehörig, von der Szene in der Umkleidekabine ganz zu schweigen, aber das war jetzt echt niedlich, irgendwie. Beim Thema Umkleide, drifteten meine Gedanken unwillkürlich zu meiner nackten Lehrerin und bei der Detailtreue meiner Erinnerungen und dem Kribbeln, das sich daraufhin in meiner Bauchregion meldete, musste ich mir wohl vielleicht eingestehen, dass... Weiter kam ich nicht mit meinen Gedanken, denn obwohl ich mein Handy noch hell erleuchtet vor mein Gesicht hielt, riss dessen erneutes Vibrieren mich aus meinen Überlegungen. 0173 XXX XXXX: El Capitano! :-D Das musste also Jenna sein. Irgendwie wunderte es mich nicht, dass sie die Erste war, die dieser Aufforderung nachkam, und dabei ging es gar nicht unbedingt darum, dass sie unser Kapitän war. Sie schien sich wirklich sehr darüber zu freuen, dass ich dem Verein beitreten würde und ich wusste nicht so richtig warum, aber sie gab mir das Gefühl, dass es nicht nur an der Verstärkung lag, die ich darstellte. 0176 XXXX XXXX: Wichtigtuerin! Immer musst du die erste sein! Ich wollte auch so gern! *schnüff* Nina ;) Frau Klee... Ich speicherte erst mal schnell die beiden Nummern ein, bevor meine Gedanken wieder in andere Richtungen schwenken konnten, denn die Sugarbabes schienen ein ziemlich quirliger Haufen junger Frauen zu sein, der komischerweise ihren Freitagabend nach dem Training am Handy verbringt. Die Vorstellung ließ mich kurz lachen, da das meine Klassenlehrerin, die in meinen Augen bis dahin eben nur das war, eine ernst zunehmende Autoritätsperson, miteinbezog. 0176 XXXX XXXX: Weiß garned was ihr wollt. Ihr seid bei solchen Nummern immer die Ersten, ihr zwei. Immer müsst ihr euch um das Frischfleisch kloppen. (Elsa) Elsa gefiel mir irgendwie. Das Team schien ganz klar von Jenna und Nina dominiert zu werden, was sicher an ihren Positionen und auch ihrem guten Spiel lag, aber Elsa ließ sich ganz offensichtlich kein bisschen davon einschüchtern. Sie hatte aber auch einfach keinen Grund dazu. Ihre Angaben waren so platziert und scharf. Und beim Gedanken daran, dass ich vielleicht regelmäßig neben ihr blocken würde, wuchs in mir die Vorfreude auf das nächste Training. 0176 XXX XXXX: Gott, und es geht wieder los. Kindergarten im Gruppenchat! (Merle) Merle war die Schwarzhaarige, die nie um einen spitzen Kommentar verlegen war, sobald Nina oder Jenna auch nur den Hauch von Angriffsfläche boten. Ihr Standpunkt im Team war mir mehr als unklar. Weder schien sie sonderlich beliebt zu sein, noch auf irgendeiner Position unersetzlich. Irgendwie war sie mir ein wenig unsympathisch, obwohl sie mir nach dem Training auch ein breites Lächeln geschenkt hatte, als sie erfuhr, dass ich dem Team beitreten würde. Womöglich mochte ich sie einfach direkt nicht, weil sie so auf Kriegsfuß mit meiner Lehrerin zu stehen schien. 0172 XXX XXX: Ach komm Süße. Das kennen wir doch nicht anders von den beiden Gänsen. Chrissi (Christina) Christina konnte ich dann auch noch zuordnen. Sie war die Brünette, mit den fast grauen Augen, die mich ein wenig an meine Eigenen erinnerten, obwohl ihnen jeglicher Glanz zu fehlen schien. Sie wirkte auf mich ein wenig wie der Mitläufer eines Bullys an einer Schule, der nur andere Schüler terrorisierte, wenn der fiese Typ gerade hinsah und erwartete, dass der andere das Opfer mobbte. Die anderen sechs Mädels nahmen mehr oder weniger an der kleinen Show teil, die Jenna und Nina für mich abzogen und stellten sich als Izzy (Isabell), Melanie, Sophie, Fiona, Sanna und Lisa vor. Nur konnte ich den Namen noch keine Gesichter zuordnen. Jenna: Bitte?! Boah, El Niño, die nennt uns Chickennuggets! o/ Merle: Du weißt schon, dass Chicken keine Gänse sind, Jenna? ~.~ Aber zugegeben, manchmal siehst du wie ein Hühnchen aus, wenn du aufm Platz einem Ball entgegen flatterst. x) Und wieder. Es schien an der Tagesordnung zu sein und ich kam kaum dazu, groß weiter darüber nachzudenken, denn die Nachrichten in dieser Gruppe überschlugen sich. Allerdings schien niemand Merles spitze Kommentare böswillig zu nehmen, denn es wurde im Grunde die ganze Zeit herumgealbert. So starrte ich sicher eine knappe Stunde auf mein Smartphone, bis ich müde wurde und beschloss, das Handy ans Ladekabel zu stecken und zu schlafen.  In dem Moment traf noch eine Nachricht von Nina, Frau Klee, ein, in der sie mich direkt ansprach. Nina: Ash! Liest du eigentlich noch mit, oder bist du mit deinem leuchtenden Handy in der Hand eingeschlafen? :o Traumtänzerin... *zwinkert* Dass diese Frau auch ausgerechnet emotend schreiben musste. Dieses unbedeutende "zwinkert" rief sofort jede Erinnerung, von wirklich jedem Mal, in mein Gedächtnis, als Frau Klee mir tatsächlich diese Geste gezeigt hatte und selbst so hatte es die selben Auswirkungen. Es schoss mir heiß in die Wangen, als stünde meine Lehrerin mir direkt gegenüber und vollführte dieses Zwinkern. Nachdem ich ihr Gesicht aus meinen Gedanken vertrieben hatte, tippte ich eilig meine Antwort. Ja, sorry! Ich bin immer noch so baff davon, dass ihr alle an einem Freitagabend vor euren Handys hockt und mir so eine Show präsentiert! :D Jenna: Natürlich, Ashley. Schließlich fehlst du hier in unserer Mitte! Dazu schickte Jenna mir ein Foto auf dem sie in der Mitte zu sehen war, zu ihrer Linken Nina, zu ihrer Rechten Elsa und um sie herum Carsten und die Anderen. Ich staunte nicht schlecht und antwortete: Geht ihr jeden Freitag aus? :o Keiner hat was gesagt, ich wäre voll mitgekommen! Wie wahr diese Aussage war, war mir in dem Moment gar nicht so bewusst, aber das ganze war irgendwie so vertraut, auch wenn der Gruppenchat meiner alten Mannschaft nie so aktiv war. Trotzdem musste ich mich ein wenig zurückhalten. Schreibend hatte ich immer eine viel größere Klappe. Am Ende war es gar nicht so unwahrscheinlich, dass ich eine Einladung abgelehnt hätte. Wenigstens würde es nicht so auffallen, denn die Mädels machten immer mehr den Anschein, dass eine Menge Alkohol bei ihren Nachrichten mitmischte. Die folgende halbe Stunde beteiligte ich mich dann durchaus rege an den Gesprächen im Chat, bevor ich mich verabschiedete, um endlich zu schlafen. Ich wollte am nächsten Tag mit Felix zu seinem Casting und das würde schon um elf beginnen. Ausschlafen war da nicht drin, aber ich hatte es ihm versprochen und in mir drängte es nach sozialen Kontakten. Das fand ich ganz komisch, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Vielleicht war ich es leid, eine Einzelgängerin zu sein. Mein Smartphone war schon an das Ladekabel geschlossen, als ich aus dem Gruppenchat raustabbte und direkt darunter eine Nachricht von Frau Klee, Nina, angezeigt wurde. Sie war schon 27 Minuten alt. Meine Stimmung kippte augenblicklich und ich brauchte die Nachricht nicht mal öffnen, denn sie bestand aus nur einem Wort. Sorry..., stand da und meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Ich erinnerte mich zurück an die letzten Worte, die wir in ihrem gelben Cabrio gewechselt hatten und plötzlich wog dieser kleine Faux Pas tonnenschwer auf meinen Schultern. Wie konnte das nur sein, dass diese Frau solch ein starkes Gefühl der Schuld in mir auslöste? Als würde sich sonst jemand an dieser Form der Entschuldigung stören. Hatte ich meine Hausaufgaben vergessen, scherte ich mich auch nicht darum, ob der Lehrer mir deshalb böse sein könnte. Dass Frau Klee mir allerdings wegen irgendetwas böse wäre, war unheimlich schwer zu ertragen und ich legte mir schon Worte im Kopf zurecht, wie ich mich für diesen Ausrutscher entschuldigen könnte, ließ es dann aber bleiben. Ich war furchtbar müde und mir irgendwelche großartigen Vertipper zu erlauben, wäre mir meiner Deutschlehrerin gegenüber dann doch sehr peinlich gewesen. Und womöglich erlaubte sie sich in der geselligen Laune, in der sie unter ihren Mitspielerinnen gerade war, auch einfach nur einen Scherz. Dennoch, der Drang mich vernünftig entschuldigen zu wollen blieb die ganze Nacht, in der ich ziemlich unruhig schlief.  Und auch nachdem mein Wecker klingelte und ich mich fertig machte, um mich mit Felix zu treffen, war er unterschwellig zu spüren. Felix gelang es allerdings auf Anhieb, diese merkwürdigen Gedanken in mir zu vertreiben. Sein warmes Lächeln und die Begeisterung in seiner Stimme, während er von dem Casting erzählte, zu dem wir nun auf dem Weg waren, waren so einnehmend, dass da kein Spielraum für Grübeleien war. Zehn Minuten vor elf trafen wir pünktlich in dem Bürogebäude ein, in dem Felix seine Sedcard vorlegen und mit etwas Glück auch ein paar Probeshoots machen würde. In dem hellen, schmalen Vorflur, der Überfüllt von jungen, hübschen Männern war, warteten wir allerdings noch Sage und Schreibe zweieinhalb Stunden, bis Felix endlich an der Reihe war. Ich ging derweil wieder aus dem Bürogebäude raus auf die Straße, da ich mich unwohl zwischen den schönen Menschen fühlte, und setzte mich auf einen der Fahrradständer, nicht unweit entfernt, an dem kein Fahrrad lehnte . Die warme Sonne schien, nach einer Weile des Wartens, unangenehm heiß auf meine schwarze Lederjacke und ich ärgerte mich maßlos über meine Kleiderwahl heute morgen. Das Atmen fiel mir schwer. Drinnen die Menschen, deren Nähe ohne Felix unerträglich war, und hier draußen die Hitze. Ungeduld wuchs in mir, weshalb ich mein Handy zur Hand nahm um zu sehen wie lange Felix schon weg war. 13:30 Uhr verrieten mir die digitalen Ziffern rechts oben auf dem Display und eine Nachricht wurde mir in der Statusleiste meines Smartphones angezeigt. Jenna: Hey Ashley! Hast du die Papiere schon ausgefüllt? Du bist doch noch immer dabei, oder? :D Hast du heute Abend schon was vor? Wir haben heute Abend das erste Punktspiel der neuen Saison. Hast du nicht Lust, auch zu kommen? Du kannst natürlich noch nicht mitspielen, aber zur seelischen und moralischen Unterstützung! Sofort war ich von meinem Unwohlsein abgelenkt und ich grinste breit in mich hinein. Ich freue mich so dermaßen darüber, dass ich offensichtlich so gut in dieses Team passte und so akzeptiert und vor allem gewollt war. Ich tippe ihr schnell eine bestätigende Antwort und fragte nach Ort und Zeit. Das Spiel würde in der Halle meiner Schule stattfinden und zwar um 19:30 Uhr. Ich konnte also noch mal nach Hause, wenn Felix endlich mit dem Casting fertig war. Und wie aufs Stichwort stieß hinter mir jemand die unscheinbare Tür zu dem Bürogebäude auf und als ich mich umdrehte, sah ich Felix mit einem breiten Lächeln auf mich zukommen. Im hellen Licht der Mittagssonne und mit dem glücklichen Lächeln auf den vollen Lippen sah er noch ein Spur besser aus, als eh schon, in seiner Skinnyjeans, mit dem weißen Oversizeshirt und der Fliegersonnenbrille, die er sich gerade vor die Augen schob. "Und?", wollte ich wissen. Er legte seine Mappe von einer in die andere Hand und versuchte es offensichtlich spannend zu machen, doch sein Grinsen verriet ihn. "Es.war.der.Oberknaller!", begann er aufgeregt und betonte jedes seiner Worte einzeln. "Das Gespräch mit dem Agenturchef war ein bisschen zäh, aber er ließ mich weiter zu den Probeaufnahmen und...ugh...dieser Fotograf! Augen wie der Himmel, volles, blondes Haar, so ein Sahneschnittchen!"  Bitte? Da hatte ich aber ganz gewaltig was verpasst. "Felix, wieso sagst du mir nicht, dass du schwul bist?", platzte es aus mir heraus. Ich war wirklich ziemlich überrascht, aber ich kicherte dennoch über seine niedliche Ausführung. Natürlich sah Felix unverschämt gut aus, allerdings wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass er schwul hätte sein können. Er wirkte auf mich viel mehr wie der typische Mädchenschwarm, nur zu schüchtern, um es zu bemerken. Da lag ich wohl mit beiden Annahmen weit daneben. "Eh? Naja, wir kennen uns 'ne Woche, Ash. Sowas bindet man einem ja nicht als Erstes auf die Nase, mh?" Es war süß. Er wirkte richtig peinlich berührt, kratzte sich am Nacken, so als wäre ihm ein Faux Pas unterlaufen, dabei, dass er so gedankenlos anfing zu plappern und seine sexuelle Orientierung dabei preisgegeben hat. "Schon klar!", lachte ich und stand auf, um mich zu ihm hoch zu strecken und ihm durch sein braunes Haar zu strubbeln. "Erzähl mir lieber von deinem Fotografen!" Sofort kehrte das Lächeln von gerade eben zurück auf seine Züge und er nickte eifrig. "Ja! Also, wir haben total gut harmoniert, er musste immer nur ganz wenig erklären und ich hab sofort umsetzen können, was er wollte. Und..." Er machte eine Kunstpause und packte mich bei den Schultern um mich zu schütteln, während er fortfuhr. "Er meinte, dass er auch mit mir arbeiten wollte, egal, ob die Agentur mich will, oder nicht!" Felix' kindlicher Enthusiasmus ließ mich erneut kichern und ich wollte ihn gerade beglückwünschen, als hinter ihm die Tür aufgestoßen wurde und ein gutaussehender, blonder Mann seinen Namen rief. "Hier!", sagte er nur, ein wenig außer Atem, nachdem Felix sich zu ihm gedreht hatte. Er hielt ihm einen kleinen Zettel, oder eine Visitenkarte entgegen. "Ruf mich die Tage mal an, ja? Spätestens, wenn du was von Frank gehört hast und dann treffen wir uns auf einen Kaffee und bequatschen, was wir zusammen anstellen können." Felix nickte nur, offensichtlich überfordert, aber selig und wieder fand ich ihn einfach nur niedlich. Die blauen Augen des Fotografen leuchteten regelrecht, während er sprach und, als er sich dann verabschieden musste, um weiter zu arbeiten, schaute er regelrecht bekümmert drein. Nachdem der Fotograf, der wie ich später erfuhr Raphael hieß, sich notgedrungen verabschiedet hatte, lud Felix mich noch zum Dank auf ein Eis ein. Er meinte, dass ich ihm für dieses Casting Glück gebracht hätte und er schwärmte die ganze Zeit von Raphael, bis er mich um 17 Uhr vor der Einfahrt zu meinem Haus noch in eine feste Umarmung zog und zum gefühlt hundertsten Mal bedankte. Drinnen rief ich meiner Mutter, die gerade am Kochen war, nur ein schnelles "Hi, Mom!" zu und eilte in mein Zimmer, um mich meiner Kleidung zu entledigen und unter die Dusche zu springen. Schließlich blieb mir zum Fertigmachen nur knapp eine Stunde Zeit, wenn ich pünktlich zum Spiel in der Sporthalle meiner Schule sein wollte. Kapitel 8: ----------- Ich hielt die Dusche kurz, auch wenn sie nach dem Tag in der Lederjacke mehr als nötig gewesen war, weshalb ich auch echt gut in der Zeit war, als ich unten pünktlich um halb sieben beim Essen erschien. Daddy war hellauf begeistert, dass ich so gut in meiner neuen Mannschaft fußzufassen schien. Er vergaß beim Tischgespräch sogar für ein paar Minuten Leonnard, sodass mir seine Aufmerksamkeit schon wieder fast zu viel wurde. Mom hingegen beäugte mich während des Essens mit ziemlich viel Argwohn, was ich zunächst nicht einordnen konnte. Als ich mich dann auf den Weg machen wollte, hielt sie mich an der Tür auf. "Was ist los, Darling?" Ich verstand nicht worauf sie hinaus wollte und zog deshalb beide Augenbrauen fragend in die Höhe. "Wir haben uns heute noch gar nicht gesehen, nur zum Abendessen hast du uns mit deiner Anwesenheit beehrt." Ich verstand noch immer nicht. Sicher, wir waren von außen betrachtet eine recht spießige Familie, aber am Wochenende konnte es schon mal vorkommen, dass ich das Frühstück verschlief und da Daddy meistens auch am Samstag arbeitete, sahen wir uns dann manchmal erst zum Abendessen. Wo war das Problem? "Wir wohnen gerade eine Woche hier und schon wirst du plötzlich flügge?" Ich musste über ihre Wortwahl lachen, woraufhin sie die Arme vor ihrer Brust verschränkte. "Mom, ich hab’ dir doch erzählt, dass ich am ersten Tag gleich Felix kennengelernt hab'. Er modelt, weißt du? Ich hab’ ihn heute Vormittag zu 'nem Casting begleitet und da ich gestern noch recht lang wach war, war die Zeit heute Morgen ein bisschen knapp und was ich jetzt vor hab', hab' ich eben erzählt." Sie entspannte sich etwas, schien aber nicht ganz überzeugt. Was sollte ich noch sagen? Es war die Wahrheit. "Sag mal, hast du dich in diesen Felix verknallt?", wollte sie nun wissen und ich lief, aus mir unerfindlichen Gründen, rot an. "Was? Nein, Mom! Wie kommst du denn darauf? Nein!" Nun lachte auch sie, obwohl mir das Lachen vergangen war. "Eine Mutter erkennt wenn ihre Tochter das erste Mal verliebt ist, mein Schatz." Ich schnaufte und sie strich mir mitfühlend über die Schulter. Langsam wurde es lächerlich. "Mom!" Ich entzog mich ihrer Berührung und öffnete die Haustür. "Felix ist schwul!" Damit verließ ich das Haus und zog die Tür hinter mir zu. Wütend stapfte ich den Weg zur Bushaltestelle und verfluchte mich selbst dafür, dass ich schon wieder die viel zu warme Lederjacke anhatte, aber für nach dem Spiel war das sicher keine so schlechte Entscheidung, immerhin war der Sommer fast zu Ende und es wurde schon wieder früher dunkel und schneller kälter. Mein erhitztes Gemüt tat dabei sein Übriges. Was dachte sich meine Ma eigentlich? Ich und verliebt. Und dann auch noch in Felix. Ich mochte ihn schon ziemlich gern, dafür, dass ich ihn erst so kurz kannte und natürlich sah er unverschämt gut aus, aber ich konnte mir mit ihm in dieser Hinsicht nun wirklich gar nichts vorstellen. Mit niemandem bis jetzt, weshalb ich diesen Gedanken total irrwitzig fand. Warum mich dieser allerdings so auf die Palme brachte, vermochte ich auch nicht zu sagen. Den ganzen Weg zur Schule begleiteten mich die Grübeleien um dieses Thema und ich dachte an den gestrigen Abend zurück und dass ich meine Blicke kaum von den nackten Frauen in der Umkleidekabine abwenden konnte, einschließlich meiner Lehrerin. Nüchtern betrachtet konnte man es wohl so deuten, dass sich endlich meine Hormone meldeten. Ich war ja keineswegs dumm, war aufgeklärt und verbrachte genug Zeit an meinem Laptop, um zu erfassen, dass ich wohl irgendwie ein bisschen angeturnt war. Vielleicht stand ich ja auf Frauen. Das hatte ich nun nicht unbedingt erwartet, da ich mir bis dahin immer nur Heteropornos angeschaut hatte, um mich selbst ein bisschen zu erforschen. Ich zuckte resignierend mit den Schultern, als ich aus dem Bus stieg. Vielleicht auch bi, wen juckts? Ich schob die Gedanken von mir. Dieses Schubladendenken passte mir überhaupt nicht. Es widerstrebte mir, mich selbst zu kategorisieren, also ließ ich es einfach. Der Weg von der Bushaltestelle zur Sporthalle war wenigstens wesentlich angenehmer, kühler, und ich musste mir mal wieder auf die Schulter klopfen. Ich hatte meinen aufgewühlten Geist und den Auswirkungen, die es auf meinen Körper hatte, bewusst mit Willenskraft Einhalt gebieten können. Als ich durch die Glastür zu den Gängen der Sporthalle trat, war ich zunächst unschlüssig, ob ich direkt zu den Treppen gehen sollte, die auf die Tribüne führen würden oder zur Umkleidekabine. Da ich noch nie da oben war, entschied ich mich dann für die Umkleide. Überall liefen Zuschauer herum und ich freute mich sehr darüber, dass die Spiele meiner neuen Mannschaft offenbar so gut besucht waren. Dabei fiel mir ein, dass ich nicht mal wusste, in welcher Liga wir spielten. Nächsten Freitag sollte ich wohl mal mit zu dem Aftertraining gehen, um mich ein wenig zu informieren. An der geschlossenen Tür zur Umkleide angekommen klopfte ich ohne zu zögern und rief "Ich bin's, Ash!" hinein. Kurz befürchtete ich wieder, eine kaum bekleidete Jenna anzutreffen, doch es war Frau Klee, die mir die Tür öffnete. Sie war schon umgezogen und ein Blick in die restliche Kabine verriet mir, dass auch die Anderen schon soweit waren und wohl gleich in die Halle mussten. Das Trikot der Mannschaft war Türkis mit dunkelblauen Applikationen darauf und passend in dem selben Dunkelblau die Shorts. Ich lächelte freundlich. "Was machst du denn hier?", fragte Nina kalt und ihr ablehnender Ton traf mich so tief ins Mark, dass ich sie für einige Herzschläge einfach nur anstarrte. Ihre braunen Augen waren dunkel und nichts blitzte mich wie sonst daraus an. Ein eisiger Schauer kroch mir die Wirbelsäule hoch. "Ich", begann ich, doch ich wurde von einer breit grinsenden Jenna unterbrochen, die sich in dem Moment neben meine Lehrerin schob. Ich war dankbar dafür, mir wollte nämlich nicht einfallen, was ich hätte sagen sollen. "Na, ich hab sie herbestellt. Sie gehört doch jetzt zu uns", sagte sie freundlich und schob Nina grob beiseite, die sich daraufhin auch direkt abwandte. Ich war immer noch nicht in der Lage, zu erfassen, was gerade geschehen war und so ließ ich mich von unserem Kapitän in eine kurze Umarmung ziehen, bei der sie mir zuflüsterte: "Mach dir nichts draus, El Niño ist manchmal etwas komisch vor Spielen." Noch immer einen Arm um meine Schulter gelegt, führte Jenna mich in die Umkleide, in der sich alle anderen Frauen nun erhoben. Begrüßungen wurden laut. Jenna entließ mich aus ihrem Griff und automatisch bildete sich ein Kreis aus uns. "Okay, Mädels. Ich hab‘ uns für heute einen Glücksbringer organisiert und den wollen wir doch nicht enttäuschen, oder?" Sie grinste jeder der Anderen ins Gesicht und alle erwiderten, alle außer Nina, die sie zwar kurz ansah aber sofort ihren Blick mir zuwandte, nachdem Jenna zur Nächsten schaute. Ihr Blick war stechend und strahlte denselben Ton aus, den sie ihren Worten zuvor mitgegeben hatte. Es fiel mir schwer, meinen Blick von ihr abzuwenden und obwohl darin etwas so Negatives lag, zogen mich ihre dunklen Augen in ihren Bann. Nachdem sich die Frauen motivierende Highfives gegeben hatten, von denen auch einige an mich gingen, folgten wir Jenna aus der Umkleidekabine den Gang entlang zur Halle. Gedankenverloren betrachtete ich die wohlgeformte Silhouette meiner Lehrerin vor mir, bis sie abrupt stehen blieb und sich zu mir drehte. Ich wandelte in dem Duft, den sie hinter sich herzog und nahm ihn unbewusst in mich auf, was mich sicher wieder verträumt aussehen ließ. Die Anderen gingen derweil an uns vorbei. "Du nicht." Ich sah sie irritiert an und sie schaute zu Boden, während sie ihre Arme vor der Brust verschränkte, was mich noch mehr verwirrte. Ihre ganze Körperhaltung war ablehnend, beinah verachtend. Ich war unfähig, zu denken. "Falsches Schuhwerk", sagte sie schließlich nur, drehte auf dem Absatz um und betrat die Halle. Ich schaute auf meine Bikerboots und verstand, trotzdem stellte ich mich noch in die Doppeltür und starrte ihr nach. Ich zweifelte doch daran, dass ihre Stimmung nur an der Anspannung vor einem Spiel lag. Schnell schloss Nina zu den Anderen auf, die sich gerade um Carsten scharrten. Ich beobachtete sie dabei, wie sie noch letzte Instruktionen von ihm bekamen und schließlich teils aufs Feld und teils zu einer der Bänke traten. Seufzend wandte ich mich ab und folgte den letzten Zuschauern hinauf auf die Ränge. Die Sitzreihen waren beinah voll besetzt. Es war toll. Wenige Meter unter mir nahmen die beiden Mannschaften ihre Positionen auf dem Feld ein. Ich stellte mich ganz an den Rand der Tribüne, an die Brüstung und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. Lautes Gemurmel, der Zuschauer erfüllte die Halle und mündete in begeistertes Klatschen, als der Schiedsrichter Anpfiff. Ich blieb das ganze Spiel über an Ort und Stelle stehen, da das Spiel wirklich fesselnd war. Frau Klee hatte unheimlich viel zutun, da unser Block immer mal wieder Lücken aufwies, wo er hätte standhalten müssen. Während ich mir das anschaute, merkte ich, was Nina gemeint hatte, als sie sagte, dass ich den Block wohl stärken würde. Gab es mal einen erfolgreichen Block, war es Elsa, die den Ball aufhielt. Ich bezweifelte dabei allerdings, dass ich wirklich auf ihrem Niveau spielen konnte. Sie war ja doch ein deutliches Stück größer als ich, von ihrer Erfahrung ganz zu schweigen. Dafür war ich zwar mit einer ziemlich guten Sprungkraft gesegnet, aber ob ich wirklich wertvoll sein würde, musste die Zeit zeigen. Zwischen dem dritten und vierten Satz drifteten meine Gedanken weiter entlang des Gesprächs, das ich mit meiner Lehrerin in ihrem Auto geführt hatte. Zurück zu ihrer Haltung gegenüber dem Wort sorry und mir fiel ihre Nachricht von gestern Abend wieder ein. Felix hatte die Sorge daran so schnell verdrängt, dass ich die Möglichkeit, dass ihre abweisende Haltung mir gegenüber etwas damit zu tun haben könnte, gar nicht mehr in Betracht zog. Jetzt allerdings hielt ich das beinah für wahrscheinlich, auch wenn mein logischer Menschenverstand gegen diesen Gedanken rebellierte. Ich suchte das Feld nach ihr ab und fand sie schnell in dem Klüngel unserer Mitspielerinnen am Spielfeldrand. Sie trank gerade einen Schluck Wasser und unsere Blicke trafen sich. Dieselbe kalte Verachtung schaute mir aus ihren haselnussbraunen Augen empor und dieser Blick drückte sich wie eine tonnenschwere Last auf meine Schultern. Das Gefühl von gestern Abend, als ich ihre Nachricht gelesen hatte, traf mich genauso unvermittelt und als sich ihr Blick wandelte und sie interessiert eine Augenbraue hob, war ich mir sicher, dass Nina mir die Veränderung in meinem Bewusstsein ansah. Als empfände sie Genugtuung, weil ich endlich erkannte und die Schuld ihr gegenüber spürte. Noch immer wehrte sich mein rationales Denken dagegen, dass meine Lehrerin mir tatsächlich böse sein sollte und noch mehr dagegen, dass mir dieser mögliche Umstand so extrem aufs Gemüt schlug, aber ich überging jegliche Logik und begann zu überlegen, wie ich sie wieder wohlgesonnen stimmen konnte. Ich konnte doch schlecht nach dem Spiel zu ihr gehen und mich dafür entschuldigen, dass ich sorry geschrieben hatte. Oder? Vielleicht sollte ich ihr später schreiben? Okay, das war verrückt. Ich verwarf augenblicklich jegliche weiteren Gedanken an eine direkte Konfrontation mit Frau Klee und schaute mir stattdessen konzentriert den restlichen Verlauf des Spiels an. Der war auch bis über den vierten Satz hinaus weiterhin spannend. Denn obwohl Elsas Angaben ebenso wie die harten Schmetterbälle von Jenna viele Punkte brachten, ließ der unzureichende Block unseres Teams genauso viele zu. Erst im fünften Satz schien die Kondition unsere Gegnerinnen im Stich zu lassen. Sie machten sogar zwei Rotationsfehler, Angaben waren zu kurz oder zu lang und ihre Angriffe hatten weder Einfallsreichtum noch Kraft. Beim 15:6 und dem darauffolgenden Abpfiff brach lauter Jubel in der Sporthalle aus und ich klatschte ebenfalls begeistert. Alle Gedanken an Frau Klee über Bord schmeißend, machte ich mich auf den Weg zur Umkleidekabine, nachdem die Teams das Feld verlassen hatten. Die Tür wurde von einem wild gestikulierenden Carsten offengehalten, der nicht so erfreut wirkte, wie ich erwartet hätte. Wortfetzen, über den Block und dass das Spiel früher hätte entschieden sein müssen, drangen an meine Ohren. Ich war stehen geblieben, überlegend lieber eine andere Richtung einzuschlagen, doch Carsten hatte mich entdeckt und seine Miene hellte sich augenblicklich auf. Zaghaft lächelnd trat ich also näher und schon spähte eine grinsende Jenna aus der Tür, die mich, zur Eile anhaltend, zu sich winkte. "Dürfen wir trotzdem ein bisschen feiern, Papi?", wandte sie sich gleich danach an unseren Trainer. "Sicher", meinte er mit einer wegwischenden Geste seiner Hand. "War ja das erste Spiel", fügte er noch grinsend hinzu und ich war froh, dass sein Ehrgeiz offenbar nicht zu weit ging. "Gracias, Papi!", bedankte sich Jenna mit einem niedlich lispelnden, spanischen Akzent, schob gleichzeitig Carsten aus der Tür und zog mich in die Kabine. Er nuschelte noch ein lachendes "Ja, ja", während er sich umdrehte und ging, bevor die Tür in ihr Schloss fiel. Drinnen empfingen mich die Frauen jubelnd und in bester Laune. Was mich ein wenig überraschte, da Carsten zuvor noch so Ernst geklungen hatte, aber womöglich täuschte das ganz einfach. Jenna hatte schon wieder ihren Arm um mich gelegt und erzählte den anderen immer wieder, dass der Sieg ja ihr Verdienst sei, da sie den Glücksbringer, also mich, zum Spiel geladen hatte und lustigerweise gingen alle darauf ein. Wobei der Gedanke ja doch ein wenig kindlich wirkte, aber ich ließ sie gern. Auch die erneute Berührung machte mir so gut wie gar nichts aus. Mich überkam wieder ein kleines Hochgefühl, wie am Vorabend und auch eine recht verhalten wirkende Nina am anderen Ende des Raumes konnte daran nichts ändern. "Okay, Mädels! Was haltet ihr davon, wenn wir heute Abend noch ein bisschen feiern gehen?", fragte nun Elsa und Jenna war sofort Feuer und Flamme. Diese Frau schien einen regelrechten Narren an mir gefressen zu haben, denn sie schaute mich mit einem gewissen Glanz in den Augen an und antwortete: "Au ja! Und heute sind wir sogar vollzählig!" Dabei deutete sie mit einem Nicken auf mich. Automatisch wollte ich protestieren, in Wahrheit war ich eben doch nicht so kontaktfreudig, egal wie es gerade den Anschein machte, doch eine Frau Klee, die zielstrebig auf Jenna und mich zukam, sorgte dafür, dass mir jedes Wort im Halse stecken blieb. Sie funkelte zu unserem Kapitän hoch. Ihre Augen waren wieder dunkel und ein herausfordernder Funke blitzte Jenna entgegen. Unser blonder Kapitän zog eine Augenbraue hoch und ich beneidete die beiden dafür, dass sie zu dieser Geste fähig waren. "Unter einer Bedingung!" Links neben uns erklang ein genervtes Stöhnen, von dem ich sicher war, dass es von Merle ausging. Anderswo wurde Gekicher laut. Auf Jennas schmale, rosige Lippen legte sich ein verheißungsvolles Grinsen. "Die da wäre?", wollte sie wissen. "Du entlässt den Glücksbringer mal wieder aus deinem Griff, das kann ja keiner mit ansehen, wie du die Kleine vereinnahmst." Die Spannung zwischen den beiden war beinah greifbar, obwohl sie sich anlächelten und ich schluckte trocken. Was ging denn mit denen nur ab? "Oh, El Niño. Ich denke, das sollte sie doch selbst entscheiden dürfen, meinst du nicht?" Nina war noch etwas näher an die deutlich größere Jenna herangetreten, schien von ihrer Größe jedoch gänzlich unbeeindruckt. Bevor sie aber etwas erwidern konnte, hatte sich Elsa zwischen die beiden geschoben und griff mich am Oberarm, um mich von ihnen wegzuziehen. Sie grinste mich ein wenig nervös an, während die anderen beiden protestierten. Ich versuchte, es zu erwidern, war jedoch völlig überfordert und so sah mein Lächeln sicherlich eher wie eine groteske Grimasse aus. Die Rothaarige schob mich sanft zur Tür und öffnete diese für mich. "Vielleicht wartest du lieber draußen auf uns, bis wir mit Duschen fertig sind? Nicht, dass die Kampfhähne gleich noch anfangen, sich gegenseitig anzupicken." Sie lachte noch immer nicht gerade vertrauenerweckend und ich sah sie eindringlich an, während sie mich aus der Tür schob. "Was ist denn mit den beiden?", wollte ich wissen. Sie schob mich indes einfach weiter. "Ach, die kennen sich schon seit zehn Jahren. Die haben da irgend so ein Ding am Laufen." "Was für ein Ding?" Ich bekam keine Antwort mehr, denn die Tür fiel knallend zu. Einen Moment starrte ich noch auf die geschlossene Tür, bevor ich durch den Gang und die darauffolgende Glastür hinaus ins Dunkel des angebrochenen Abends trat. Mittlerweile völlig verwirrt stand ich in der angenehmen Kälte und überlegte, ob ich nicht einfach lieber nach Hause gehen sollte. Kapitel 9: ----------- Ich stellte mich etwas abseits der Türe hin, da noch immer Zuschauer aus der Halle strömten und nicht nur wegen den vielen fremden Menschen überkam mich der altbekannte Druck. Die übertriebene Aufmerksamkeit von Jenna und Nina machte mir jetzt, da ich Ruhe zum Nachdenken hatte, richtig zu schaffen. Dass sich die Frauen freuten, dass ich ihrer Mannschaft beitreten würde war das eine, aber diese spezielle Zuwendung bereitete mir Unbehagen und immer wieder meldete sich dabei die Tatsache in meinem Kopf, dass Nina meine Lehrerin war. Ich wusste nicht einmal, wie alt sie war. Wieso fragte ich mich das überhaupt? Das war doch völlig nebensächlich, oder? Mein Körper machte mir einen Strich nach dem anderen durch die Rechnung. Hatte ich das Gefühl, dass er das Eine ansatzweise verarbeitet, überforderte ihn das Nächste. Ob es nun Jennas Berührungen waren, auf die mein Körper mit erfreutem Herzklopfen reagierte oder die mehrdeutigen Blicke, die mir Frau Klee immer wieder zuwarf.  Dieses Zwinkern, das so viele verschiedene Eindrücke vermittelte, der Duft ihres Handtuchs, der mir seit gestern nicht mehr aus der Nase steigen wollte. Die Art, wie sie meinen Namen aussprach. Ich verlor mich so schnell in allem, was mit ihr zu tun hatte. "Na? Hat dir gefallen, was du gesehen hast?" Erschrocken fuhr ich herum. Carsten war aus der Halle kommend an mich herangetreten und grinste mich irgendwie wissend an. Womöglich trug ich mein Herz auf der Zunge. Ich hatte das Gefühl, dass mich wirklich jeder sofort durchschauen konnte, seitdem wir in diese Stadt gezogen waren.  Mein Gott, wir wohnten erst seit einer Woche hier und die ganzen sozialen Kontakte, die in so kurzer Zeit auf mich niederprasselten, überforderten mich so über alle Maßen. Die Bilder kaum bekleideter Frauen in der Umkleidekabine, samt nackter Frau Klee, drangen vor mein inneres Auge und ich fühlte mich so ertappt. Meine logische Stimme herrschte mich zwar an, dass er sich auf das Spiel bezog, dennoch ließen die Bilder in meinem Kopf eine brennende Hitze auf meine Wangen schießen und ich brauchte ewig, um zu antworten. "Ähm, klar", brachte ich mühsam hervor. Carsten sah mich eindringlich an, was mich dazu trieb, den Blick abzuwenden. Ich entschied mich dazu, in den Himmel zu schauen und schob meine Hände in die Taschen meiner Lederjacke. "Wenn du neben Elsa blockst, werden wir uns nicht mehr so über die Zeit quälen müssen", meinte er und ich konnte die Irritation aus seiner Stimme heraushören. Aus den Augenwinkeln warf ich ihm einen Blick zu. Er war meinem gefolgt und schaute auf das dunkler werdende Blau des Abendhimmels. Einige Sterne funkelten zu uns herab und ich war weiterhin bemüht, den inneren Kampf um meine Fassung zu verbergen. Ich konnte mich kaum darauf konzentrieren, was er sagte und gab daher nur ein abwesendes "Meinst du?" von mir.  "Klar, du weißt doch was du tust, nicht? Zumindest sieht es so aus. Hast du in deiner alten Mannschaft nicht geblockt? Deine Zuspiele sind auch beständig auf einem guten Niveau, nur an deinen Schmetterbällen kann man feilen, aber du hast nun mal kaum Anlauf von der Position." "Ähm." Ich rang um meine Konzentration. Das war doch kein Zustand. Ich schüttelte mich innerlich und zählte schnell bis fünf, alles andere hätte zu lange gedauert und schaute ihn wieder an. "Ja! Ich habe vorher auch schon geblockt, aber ob ich Elsa wirklich so unterstützen kann, wie du hoffst?" Er legte den Kopf schief, nachdem auch er mir wieder seinen Blick zuwandte und betrachtete mich abwägend. "Okay, ich habe dich gestern zum ersten Mal spielen sehen, für eine richtige Einschätzung bräuchte ich natürlich mehr Eindrücke, aber Bea und Tina können einfach nicht richtig blocken und Svenja würde viel lieber im hinteren Feld neben Jenna spielen und ihre Angriffe sind auch einfach deutlich besser als ihre Blöcke, auch wenn wir natürlich froh sein müssen, dass sie überhaupt da ist." Während er erklärte, blickte ich ihm weiter irgendwo ins Gesicht und doch schaute ich durch meinen neuen Trainer hindurch. Wenn ich schon mit ihm kein vernünftiges Wort wechseln konnte, wie sollte ich mit den Anderen jetzt ausgehen können? Der Gedanke an weitere Gespräche, womöglich wieder Körperkontakt zu Jenna und die Blicke von Nina ließ schlussendlich Panik in mir aufsteigen und eine spätsommerliche Brise verriet mir, das Schweiß auf meine Stirn trat, als diese merklich abkühlte. Ich musste hier dringend weg. Kein Zählen und tiefes Durchatmen würde meinen Zustand auf die Schnelle kippen können. Ich bräuchte meine Eltern, die vier Wände meines Zimmers (wobei mein Zimmer noch auf dem Prüfstand war), meinen alten Steiff-Tiger Sammy oder vielleicht Felix. "Ich verstehe. Du, ich muss los, Carsten. Sagst du den Mädels bitte Bescheid, dass mir was dazwischengekommen ist?" Sichtlich irritiert nickte er nur und ich eilte direkt an ihm vorbei. "Ich bring' die Formulare Dienstag mit, ja?", meinte ich, während ich schon davon eilte. "Gutes Spiel!", rief ich noch mit einem kurzen Blick über die Schulter in seine Richtung. Er rief mir noch ein bestätigendes "Bis Dienstag!" hinterher und ich war aus seiner Sicht verschwunden. Automatisch verlangsamten sich meine Schritte, sobald ich mich unbeobachtet fühlte. Trotzdem brauchte ich deutlich weniger Zeit, um zur Bushaltestelle zu gelangen, bei der ich richtig Glück hatte, da der Bus in zwei Minuten kommen würde. Nachdem ich eingestiegen war und mich auf einen freien Platz gesetzt hatte, starrte ich aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Laternen und überlegte, was ich jetzt am schlausten machen würde. Mit meinen Eltern zu reden hätte vermutlich den größten Effekt um mich zur Ruhe zu rufen, aber sie waren so froh darüber, dass ich einen guten Start in der neuen Schule und so schnell einen neuen Verein gefunden hatte, dass ich es ihnen einfach nicht antun konnte. Wie hätte ich das denn auch angehen sollen? Die sind alle so nett zu mir, da hab ich Panik gekriegt, Mom und Daddy. Wohl weniger. Ich wusste sehr wohl, was für eine Belastung ich für sie sein konnte. Damals mit 13, als dieser Mist seinen Höhepunkt erreicht hatte, hat die Ehe meiner Eltern eine schwere Probe zu bestehen gehabt und ich wollte ihnen nicht wieder so eine Last sein. Felix hatte zwar diesen beruhigenden Effekt auf mich, aber wollte ich mich überhaupt jemandem anvertrauen? Jemand anderem als Dr. Krebs? Vielleicht irgendwann, aber nicht nach sechs Tagen. Nein, das war ausgeschlossen. Also hoffte ich, dass Sammy seinen Dienst noch immer so gut wie früher tat und mein Zimmer sich in der kurzen Zeit schon zu einer sicheren Zuflucht gewandelt hätte.  Schließlich drückte ich den Knopf, um dem Busfahrer zu signalisieren, dass ich an der nächsten Haltestelle aufsteigen wollte.  Die 20 Minuten Sitzen hatten mir die Anspannung genommen und das Adrenalin war aus meinem Körper gewichen. Dementsprechend war ich nach dem Aussteigen tatsächlich froh darüber, mir wieder die Lederjacke angezogen zu haben, denn jetzt war es kalt. Über mir war der Himmel mittlerweile tiefschwarz und der Mond thronte in seiner Sichelform hoch oben. Ich stopfte also wieder meine Hände in meine Jackentasche und schlenderte den kurzen Weg nach Hause schon fast. Kurz vor der Einfahrt zu unserem Haus kam ich allerdings abrupt zum Stillstand. Auf der anderen Seite, gegenüber von unserer Einfahrt, stand ein gelbes Cabrio, an dessen Steuer jemand saß. Ich wollte es zwar nicht wahrhaben, aber ich war mir sicher, dass es der Wagen von Frau Klee war, weshalb ich mich dafür verfluchte, dass ich gestoppt hatte. Jetzt konnte ich nicht einfach so tun, als hätte ich es nicht gesehen und daran vorbei, einfach auf den gepflasterten Weg zu unserem Haus, gehen. Als ich langsam weiterging, erkannte ich nun auch, dass das gelbe Cabrio ein Mazda war, welches Modell genau, konnte ich allerdings nicht sagen, dafür hatte ich zu wenig Ahnung von Autos. Bevor ich weiter über die Absurdität dieser Situation nachdenken konnte, sprangen die Scheinwerfer des Mazdas an und blendeten mich kurz. Keine zwei Herzschläge später wurde der Wagen auf meine Straßenseite gefahren und das Fenster ging runter. Ich hatte ein Dejá Vu, da war ich mir ganz sicher. Mein Puls beschleunigte automatisch, bis ich ins Innere und dort in prüfende braune Augen schaute, die mein Herz einen Schlag aussetzen ließen. Frau Klee wollte etwas sagen, aber meine Gedanken überschlugen sich zusammen mit der immer schneller werdenden Frequenz meiner Herzschläge. Ich fuhr ihr ungewollt grob über den Mund. Völlig fremdgesteuert, einem inneren Drang folgend, dem ich nicht mal einen Fantasienamen hätte geben können. "Es tut mir leid! Ich musste ganz dringend weg, ich... und das mit dem Sorry gestern, das tut mir auch leid. Wirklich. Es tut mir so leid." Jeder rationale Gedanke in mir rebellierte laut. Warum entschuldigte ich mich so eindringlich? Auf die vollen Lippen meiner Lehrerin legte sich ein Schmunzeln und sie betrachtete mich so eingehend, dass ich befürchtete, unter ihrem Blick einzuknicken. Ich hielt mich unbewusst an dem Lederverdeck des gelben Cabrios fest. "Wieso musstest du denn so plötzlich los?", wollte Nina von mir wissen, ohne auf meine Entschuldigung einzugehen. "Ich...ähm, ich hatte meinen Eltern nicht Bescheid gesagt, dass ich nach dem Spiel nicht nach Hause kommen würde." Das war nicht mal gelogen, denn ich bezweifelte eh ganz stark, dass ich Frau Klee überhaupt hätte anlügen können, geschweige denn, dass sie mich nicht so oder so durchschauen würde. Sie wog meine Worte ab und zog eine Augenbraue hoch. "Dann sag ihnen doch eben Bescheid, mh?" Ich zögerte und sie sah es mir an, das wusste ich spätestens, als sie sich etwas auf den Beifahrersitz lehnte und zu mir hoch schaute. Dieser pseudo-unschuldige Blick, von unten nach oben, den sie mir auch gezeigt hatte, nachdem sie mich erwischt hatte, als ich ihren nackten Körper gestern nach dem Training angestarrt hatte. "Na?", hakte sie sanft nach und ich bugsierte mich unschlüssig in eine aufrechte Haltung, um mich zu unserer von Tannen umringte Einfahrt und schließlich dem Haus an deren Ende zu wenden. Die Sekunden müssen wieder ungehindert an mir vorbeigegangen sein, da Nina mich erneut ansprach. "Ashley?" Ein Schauer krabbelte meinen Rücken hinauf und manifestierte sich in einer Gänsehaut auf meinem Kopf, die mich kurz merklich zucken ließ. Wie sie meinen Namen aussprach, war wirklich unnormal. Ich stieß hörbar die Luft aus, noch immer unschlüssig, was ich tun sollte. "Ich weiß nicht", presste ich leise zwischen den Zähnen hervor und war mir nicht sicher, ob Nina mich überhaupt hatte hören können. Ohne dass ich es gemerkt hatte, war die Fahrertür geöffnet worden und Frau Klee war um die Motorhaube an meine Seite getreten. Sie lehnte sich an die Beifahrertür und schob sich leicht mit der Schulter gegen mich um mir einen kleinen Schubser zu geben. "Deine Eltern sind nicht wirklich das Problem, oder?", fragte sie wissend und ich nickte, noch immer stur zum Haus schauend. "Ein bisschen viel Trubel um deine Person?" Die Sanftheit in ihrer Stimme, sowie das wissende Verständnis, irritierte mich zwar immer noch, aber dennoch schuf sie damit eine behaglichere Atmosphäre und endlich beruhigte sich mein wild pochendes Herz ein wenig. Ich nickte wieder zögerlich und schielte aus den Augenwinkeln zu ihr. Sie trug weiße Sneakers, eine hellblaue Jeans, in der sie die Beine lässig überschlagen hatte und darüber, soweit ich es sagen konnte, eine dunkelblaue Bluse. Zusammen ließ ihre Kleidung ihren Teint dunkler als sonst wirken, wobei ihre braunen Haare im hellen Schein der Laterne, wenige Meter neben uns, sehr viel heller wirkten als normalerweise. Ihre Miene war unergründlich und ich war mir nicht sicher, ob sie meine nickenden Antworten überhaupt mitbekommen hatte, allerdings wirkten ihre Fragen eh, als wären sie Rhetorische gewesen. "Also heute lieber keine Party mit den Mädels, mh?" "Eher nicht", antwortete ich ehrlich und sie nickte sich einmal selbst zu. "Passt mir eh ganz gut in den Kram. Ich muss morgen noch Unterricht vorbereiten und das ist mit Kater immer eine ziemlich nervige Angelegenheit." Sie wandte ihren Oberkörper leicht zu mir und wartete darauf, dass ich sie ansah. Ich kam der stummen Aufforderung nach und verlor mich augenblicklich in dem dunklen Braun ihrer Augen, die wie ihre Stimme zuvor eine vertrauenerweckende Sanftheit ausstrahlten. Dann zwinkerte sie und mein Herz machte einen Satz. "Ich habe Jenna gegenüber zwar einen unlauteren Vorteil, weil ich wusste wo du wohnst, aber was hältst du davon, wenn ich dir alternativ ein bisschen die Stadt bei Nacht zeige?" Unsere Schultern berührten einander noch immer und die Nähe zu meiner Lehrerin wurde mir erst in diesem Moment, da sie mir diese Frage stellte, deutlich bewusst. Eine seichte Brise trug den Duft von Pfirsich aus ihren offenen braunen Wellen an meine Nase und ich hätte am liebsten genießend die Augen geschlossen. Wenigstens war ich noch in der Lage, mich davon abzuhalten, allerdings nickte ich trotzdem zaghaft, unfähig, mich auch nur im Geiste zu etwas Anderem zu entschließen. Sie lächelte und schob mich mit der Schulter noch etwas weiter nach rechts. Ich verlor beinah das Gleichgewicht und musste einen kleinen Ausfallschritt machen. Sie kicherte leise und trotz der merkwürdigen Situation steckte es mich irgendwie an. Ich lachte ebenfalls kaum hörbar, während ich sie dabei beobachtete, wie sie sich elegant von der Beifahrertür abstieß und mir diese öffnete. "Mylady?" Sie hielt hochtrabend ihren linken Arm vor sich, deutete mit ihm ins Fahrzeuginnere und neigte ein kleines Bisschen den Kopf. Diese kleine Geste trieb mir Hitze auf die Wangen. Doch ich versuchte, diese zu ignorieren, folgte ihrer Aufforderung und ließ mich auf dem Beifahrersitz nieder. "Fabelhaft", meinte sie noch, bevor sie die Tür schloss, um das Auto herum ging und sich neben mich setzte. Ohne ein weiteres Wort zog sie ihre Tür zu, startete den Motor und fuhr los.  Die Beleuchtung der Tachoanzeige erhellte ihre makellosen Züge nur schemenhaft, doch kam ich nicht umhin, Frau Klee aus den Augenwinkeln anzuschauen, während jede Straßenlaterne kurzfristig einen besseren Blick auf ihr Gesicht gewährte. So fiel mir jetzt auf, dass sie wenige Zentimeter neben ihrer Rechten Augenbraue ein kleines Muttermal hatte, das fast wie eine Verlängerung der Braue wirkte und sich nicht eine einzige Falte auf ihrer Haut zeigen wollte, sofern sie so entspannt wie jetzt gerade war. Sie zog den Fokus meiner Aufmerksamkeit hoch und schaute kurz zu mir, grinste ein wenig verlegen und wandte sich dann wieder der unbefahrenen Straße vor uns zu. "Was denn?"  "Nichts!", erwiderte ich schnell. Ihr Grinsen wurde breiter und als sie mir noch einen flüchtigen Blick zuwarf, lag wieder diese Selbstsicherheit darin, als wüsste sie nur allzu gut, was in mir vorging. "Nichts also?" Ich wusste gar nicht mehr, wie ich mich weiter davon hätte abhalten sollen, sie so unverhohlen zu betrachten. Es war fast wie eine Sucht und sie nicht anzusehen weckte in mir die irrationale Angst, es könnte wehtun. Nina schüttelte noch immer schmunzelnd den Kopf und schaute mich nicht noch einmal an. Stattdessen steuerte sie ihr Cabrio kurz darauf in eine Bushaltestelle und stoppte den Motor. Sie drehte ihren Oberkörper zu mir und plötzlich war der Drang, sie anzustarren, ins Gegenteil verkehrt und nachdem ich ihr einen verwunderten Blick zugeworfen hatte, starrte ich geradewegs aus der Windschutzscheibe nach draußen. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass sie sich noch weiter zu mir wandte und ihre Linke anhob um mir zärtlich eine meiner schwarzen Strähnen aus dem Gesicht zu schieben. Automatisch hielt ich die Luft an und schloss halb die Augen, bevor ich mich zurück ins Hier und Jetzt rufen konnte. Als sie ihre Hand wieder zu sich nahm, drang ein leises und ungewohnt dunkles Lachen an meine Ohren. "Du musst so viel besser aufpassen, meine kleine Traumtänzerin." Einem Impuls folgend, riss ich dann doch meinen Kopf in ihre Richtung und ihre Miene war so ernst, dass mir das Herz augenblicklich in die Hose rutschte.  "Weswegen?", hauchte ich atemlos und schneller, als ich es erfassen konnte, huschte ihre Hand wieder hoch um mir mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze zu stupsen. "Wenn du mich weiter so offensichtlich anschmachtest, komme ich noch auf dumme Gedanken." Dumme Gedanken erschienen mir gerade unendlich reizvoll, aber etwas in mir schüttelte bestimmt mit dem Kopf. "Mach ich doch gar nicht!", erwiderte ich also trotzig. "Machst du nicht?" Sie hob ihre Linke wieder hoch und strich mir das Haar nun auf der anderen Seite aus meinem Gesicht. Ich ließ sie gewähren, der Trotz war so schnell verschwunden wie er gekommen war. "Mh mh", machte ich halbherzig und sie legte zusätzlich ihre Rechte auf meinen linken Oberschenkel. Die Berührung jagte mir einen Blitz durch die Eingeweide und unbewusst drückte ich die Oberschenkel zusammen. Nina grinste mich wissend an und ließ ihre Hände noch für den Herzschlag einer Ewigkeit wo sie waren, bevor sie sie zurückzog. Kapitel 10: ------------ Auch als Ninas Hände wieder ans Lenkrad gelegt waren und sie den Motor gestartet hatte, um weiter zu fahren, waren meine Muskeln noch immer aufs Höchste angespannt. Meine Hände umfassten einander steif in meinem zusammengekniffenen Schoß und ich kämpfte mit meiner inneren Unruhe. Körperlich wie geistig. War es denn wirklich so offensichtlich? Ich verfluchte mich selbst mit den schlimmsten Worten, die mir einfielen. Ich wollte nicht so durchschaubar sein und vor allem wollte ich nicht so empfinden. Wobei ich nicht mal definieren konnte wie ich denn überhaupt empfand. Was fesselte mich denn nur so an meiner Lehrerin, dass ich mir auf diese Weise die Blöße gab? Glücklicherweise fuhren wir eine ganze Weile schweigend, bis Nina den Wagen schließlich auf einem großen, fast leeren Sandparkplatz zum Stehen brachte. Ich schaute mich im Dunkel, das um uns herum herrschte um. Außer Bäume in einiger Entfernung und vereinzelte Autos war nichts zu erkennen. Nicht mal Laternen gab es hier. "Steig aus!", befahl meine Lehrerin mit einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ, weshalb ich auch eilig und vor allem ungelenk aus ihrem Wagen stieg. Nina war derweil schon an ihren Kofferraum getreten und holte eine Decke heraus. Nachdem ich ihr zur Heckklappe gefolgt war, drückte sie mir die Decke in die Hand, zog eine Flasche Mineralwasser aus einem Kasten und stopfte sie in ihre Sporttasche, deren Riemen sie sich auf die Schulter schob. "Wo sind wir überhaupt?", fragte ich zaghaft. Die Kofferraumklappe fiel laut in ihre Verriegelung. "Komm einfach mit", sagte sie etwas kühl. Nicht mit so viel Verachtung wie vorhin vor dem Spiel, aber auch weit entfernt von der Sanftheit, die ihre Stimme vor meinem Zuhause begleitete. Ohne irgendetwas zu hinterfragen, stiefelte ich ihr ungeschickt hinterher. Der unebene Parkplatzgrund machte es mir schwer, mit ihr mitzuhalten, weshalb ich jeden fünften Schritt beinah rannte. Nina kommentierte meine Aufholversuche mit einem deutlichen Kopfschütteln und kicherte freudlos vor sich hin. Wieso war ihre Laune jetzt schon wieder so matt? Hatte ich etwas falsch gemacht? Wieso machte ich mir nur so viele Gedanken darüber? Wollte ich ihr so unbedingt gefallen? Nachdem wir den Parkplatz hinter uns gelassen hatten, folgten wir einem Trampelpfad, der uns durch die Bäume führte. Ich wollte so gern etwas sagen, doch mir fiel nichts ein. Nina gab mir gerade aber auch einfach keine Zeichen. Stoisch marschierte sie vor mir her und wandte sich nicht ein einziges Mal zu mir um, bis sich schließlich der Wald um uns herum lichtete und ich vor uns einen Strand ausmachen konnte. Ich riss die Augen auf und lief an ihr vorbei, bis meine Schuhe bei jedem Schritt im Sand immer schwerer wurden. Ich war so überrascht. Wir waren weit weg vom Meer, das musste ein breiter Fluss oder ein riesiger See sein. Ich konnte in der Dunkelheit nicht bis ans andere Ufer sehen und links und rechts schien der Strand schier endlos weiter zu gehen. Die Luft war plötzlich so anders, roch salzig und leicht fischig, definitiv nach Meer, obwohl wir die Stadt nicht verlassen hatten. Im schwarzen Wasser spiegelten sich die Sterne, die weit über uns thronten und leichte Wellen ließen es erscheinen, als würde sich der Himmel in seinem Spiegelbild bewegen. Ohne weiter darüber nachzudenken entledigte ich mich meiner Schuhe und Socken und lief stolpernd durch den Sand bis ich mit den Füßen das kühle Nass spüren konnte. "Boah! Sooo kalt", rief ich wie ein kleines Kind und trat sofort den Rückzug an. Ich lief auf eine lachende Frau Klee zu, die gerade dabei war ihre Turnschuhe ebenfalls abzustreifen. Ihr breites Grinsen beruhigte mich ad hoc und ich ging auf sie zu, um dann unschlüssig vor ihr stehen zu bleiben. "Worauf wartest du denn?" Fragend zogen sich meine Augenbrauen zusammen. Sie grinste weiter und schüttelte den Kopf auf diese Weise, bei der ich mich mal wieder ertappt fühlte. "Breite die Decke aus!" Gott verdammt, ich musste wirklich mit dem Träumen aufhören und aufmerksamer sein. Schnell tat ich wie mir geheißen und Nina ließ sich auch direkt auf das große Stück Stoff nieder um ihre Füße im kühlen Sand zu vergraben. Die dicke, blaue Decke schien mir plötzlich riesig, nur mit dem schmalen Körper meiner Lehrerin darauf. Sie bot sicher Platz für sechs Personen.  Ohne auf eine Einladung zu warten nahm ich neben ihr Platz und erntete einen etwas verwunderten Gesichtsausdruck. Sie zog ihre perfekt geformte Augenbraue zum Haaransatz und mir wurden die Knie weich. Ich hatte das Gefühl, dass, umso bewusster mir wurde, dass sie diese Auswirkungen auf mich hatte, diese umso größer auf mich wirkten. "Was?", fragte ich unsicher. "Ist es nicht okay, dass ich mich zu dir gesetzt habe?" Ninas dunkle Augen flackerten kurzfristig, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen. Der Anblick hatte etwas Gefährliches, aber diese dunkle Aura haftete ja sowieso an ihr. Ich empfand es als überaus gefährlich, dass meine Lehrerin so stark auf mich wirkte, dass sie das so genau wusste und schlussendlich, dass sie als meine Lehrerin sowas von verboten war.  Ich sog meine Unterlippe zwischen meine Zähne und kaute ein wenig auf ihr herum. Verbotene Früchte waren schon immer die Süßesten.  Sie ist erst dann verboten, wenn du auch verbotene Dinge mit ihr tust, raunte mir eine düstere Stimme zu, die nur noch wenig nach meiner eigenen klang. Verbotene Dinge klangen unglaublich gut, wenn ich an Frau Klee dachte. In dem Moment gestand ich mir ein, dass ich auf meine Lehrerin stand. So weit, so normal. Hatte man ja schon tausendfach gehört. Ich würde das nicht überbewerten. Die anderen Frauen brachten mich auch ziemlich aus dem Konzept. Allen voran Jenna, deren markantes Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte, mit den hohen Wangenknochen, dem fast eckigen Kiefer und den ozeanblauen Augen, die freundliche Ehrlichkeit ausstrahlten. Nina schnipste mir gegen die Stirn, woraufhin ich mir eine Hand darauflegte und ein verwundertes "Aua" von mir gab. "Du bist wirklich eine kleine Traumtänzerin, weißt du das? Dass du es überhaupt schaffst dem Unterricht zu folgen, so wie du deinen Gedanken immer hinterher hängst." Nina zog eine beleidigte Schnute, welche sie so niedlich und kindlich aussehen ließ, dass ich lachen musste. Dass ich schon wieder Inhalt unseres Gespräches verpasst hatte war mir gerade völlig egal. Ich hielt mir die Hand, die eben noch auf meiner Stirn ruhte vor den Mund und kicherte bis ich Tränen in den Augen und Bauchschmerzen hatte. Als ich mich endlich beruhigt und die Augen wieder aufgeschlagen hatte, schauten mich zwei ziemlich missgünstig dreinblickende braune Augen an. Meine Lehrerin hatte ihren Kopf auf ihre linke Hand gestützt und sah aus, als wäre sie eine Mischung aus beleidigt, gelangweilt und erzürnt. Alle diese Gefühle wollte ich auf keinen Fall bei ihr auslösen, warum ich schnell ein "Tut mir leid!" hervor presste.  "Du musst dich ziemlich häufig bei mir entschuldigen, ist dir das schon aufgefallen?" Sie hatte so recht. In diesem Moment wog die Last, die ich gestern zum ersten Mal auf meinen Schultern spürte, wieder so unendlich schwer. Worte waren zu kompliziert. Ich hätte sie eh wieder nur heraus dreschen können, ungelenk und schlecht formuliert, weshalb ich nur nickte, während ich trocken schluckte. Dass ihr Tonfall sanft war, hatte etwas Trügerisches, denn die Resignation darin war unüberhörbar. Etwas Enttäuschtes. Als hätte sie irgendwelche Hoffnungen in mich gehabt, denen ich nicht gerecht wurde. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Dieser Gedanke beherrschte meinen Geist. "Mhm. Und wie gedenkst du, das wieder gut zu machen?" Bei der Frage fingen ihre Augen wieder an, herausfordernd zu funkeln und ich musste mich konzentrieren, um nicht erneut in Ninas dunklem Blick zu versinken, aber ja. Ich wollte unbedingt etwas tun, damit sie mir wieder gut war. Allerdings überlegte ich nur kurz. Der Druck der Last und meine ganzen Unaufmerksamkeiten bewogen mich, einen übereilten Vorschlag zu machen. "Ich spring als Entschädigung ins Wasser!", sagte ich vollkommen von der Idee überzeugt. Nina machte kurz große Augen, bevor sie sich gedankenverloren mit der Linken das Kinn rieb. "Das ist zu wenig. Ich mein', wir haben immer noch Sommer, was ist schon dabei?", sprach sie mehr zu sich selbst als zu mir. "Zu wenig? Mh, aber was dann?", wollte ich von ihr wissen und starrte sie hoffnungsvoll an. Mit dem Finger gegen ihren Kiefer trommelnd überlegte sie weiter, wobei sie irgendwie aussah, als hätte sie schon längst einen Einfall gehabt. Sie grinste dabei in sich hinein und schaute mich aus ihren Augenwinkeln an. "Wie weit bist du denn bereit dafür zu gehen, damit ich dir wieder wohlgesonnen bin?", fragte sie ernst, was mich erneut schlucken ließ. "Weit?" Mein fragender Unterton ließ sie schmunzeln. "Weit klingt sehr, sehr gut. Also, weißt du, wenn du...nein, vergiss es, das würdest du eh nicht machen." Sie grinste mich herausfordernd an und ich wusste, dass es ein Trick war um meinen Ehrgeiz zu wecken, doch trotzdem klappte es. "Sag! Ich tu alles!" Als ich die Worte ausgesprochen hatte bereute ich sie bereits wieder, denn meine Lehrerin war mir unvermittelt ganz nah gekommen und hatte mein linkes Handgelenk ergriffen, um es hoch zu halten. Die Geste dieser Berührung, mit Selbstverständlichkeit, löste in mir eine merkwürdige Erkenntnis aus. Jetzt, in diesem Moment, war ich bereit alles für sie zu tun, und meine Gedanken überschlugen sich. Sandten Bilder von einer nackten Frau Klee vor mein inneres Auge, die mir immer näher kam, meinen Körper auf die Decke drückte, mich küsste, mich kratzte und biss, sich von mir nahm, was immer sie wollte und in eben diesem Moment hätte ich ihr all das gegeben, aber sie grinste mich nur weiter unvermittelt an. Den Blick wieder von unten nach oben zu mir gerichtet. Automatisch hatten sich meine Atmung und Herzfrequenz bedenklich erhöht und wieder musste ich meine Oberschenkel zusammen pressen, obwohl mir gar nicht klar war, warum ich das musste. Reglos verharrte ich in ihrem Griff und tatsächlich kam mir ihr Gesicht noch ein Stück näher. "Geh nackt!", befahl sie langsam und die Worte bohrten sich beinah schmerzhaft in meinen Verstand. "Was?" Sie zog sich zurück, gab mein Handgelenk frei und lachte. "Ins Wasser. Geh nackt." Sie stützte ihr Gesicht wieder auf ihrer Hand ab und betrachtete mich prüfend. Ich sprang auf. Beinah aufgebracht. "Also echt. Wieso sollte..." Sie ließ mich nicht aussprechen. War ebenfalls zu mir in den Stand gekommen und mir plötzlich wieder so unverschämt nah, dass mir die Worte im Halse stecken blieben. Sie legte beide Hände auf meine Schultern, nah meines Halses und funkelte zu mir runter. Sie war gar nicht viel größer als ich, allerhöchstens fünf Zentimeter, aber in diesem Moment fühlte ich mich unter meiner Schuld und ihrem alles durchdringenden Blick so klein, dass ich wieder zur Salzsäule erstarrte. Sie zog an dem kleinen Kragen und ließ ihre Hände etwas runter, auf die Höhe meines Schlüsselbeins, gleiten, um mir die Lederjacke ein Stück weit von den Schultern zu schieben. An meinen Ellenbogen blieb sie hängen, da ich die Arme angewinkelt hatte und sie steif vor meinem Bauch ruhten. "Ich denke, nachdem du mich gestern so schamlos angestarrt hast, ist es nur fair, wenn du diesen Vorteil zurückgibst, meinst du nicht auch?" Und sofort war Nina wieder nackt vor meinen Augen. Ihr tatsächlicher Blick hatte etwas Verführerisches, war lange nicht so fordernd wie ihre Worte, auch wenn ein gewisses Verlangen darin nicht abzustreiten war. Mein rationales Denken war abgeschaltet und so schluckte ich ein Mal mehr, bevor ich kaum merklich nickte. Meine Arme sanken lasch aus ihrer Haltung und die recht schwere Lederjacke fiel geräuschvoll in den Sand. Ein raues Lachen entkam Ninas Kehle, das mir einen wohligen Schauer durch die Eingeweide jagte. "Zeig es mir!", flüsterte sie mir ebenso rau zu, dicht an mein Ohr, nachdem sie noch etwas näher gekommen war und meine Taille umfasst hatte. Ihr warmer Atem auf meiner Haut ließ die feinen Haare im Nacken aufstehen und ihre Berührung veranlasste mich, die Luft anzuhalten. Ich erwiderte nichts, der Fähigkeit zu sprechen beraubt. Sie zupfte mein Top Stück für Stück aus meiner Hose und fuhr ein Mal kurz, wie aus Versehen mit den Fingern über meine bloße Hüfte, als sie ihre Hände weiter um den Saum meines Oberteils führte. Die seichte Berührung ließ meine Bauchmuskeln wild zucken und ich zog zischend die Luft ein. Mein Unterleib verkrampfte beinah schmerzhaft. "Soll ich das weiterhin übernehmen, oder kannst du dich alleine ausziehen?" Noch immer war Ninas Stimme dunkel und rau und ich meinte sie einen Atemzug verpassen zu hören. Ja! "Nein, ich...das krieg ich schon hin." Sie lachte heiser und zog sich von mir zurück. Zwinkerte noch einmal und ließ sich wieder auf der Decke nieder. Instinktiv drehte ich mich um, während ich begann mir das Top über den Kopf zu ziehen. Ein "Ah-ah" ließ mich innehalten. "Wenn ich mich recht erinner', hast du einen deutlich besseren Blick auf mich werfen können, mh? Immerhin ist es stockdunkel." Nina hatte recht. Es war zwar nicht so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht mehr hätte sehen können, aber es war nichts im Vergleich zu dem künstlichen Licht in der Umkleidekabine meiner Schule. Schluckend drehte ich mich zu ihr, während ich mir das Top ganz über den Kopf zog. "Soll ich dabei auch noch tanzen?", gab ich missmutig von mir, während ich anfing die Knopfleiste meiner Jeans zu öffnen. Meine Lehrerin schien ganz kurz überrascht, lächelte dann aber wieder zuckersüß. "Ach nein, das hier ist schließlich nichts Sexuelles. Ich bin immerhin deine Lehrerin. Hier geht es lediglich um Fairness." Das war eine glatte Lüge und sie versuchte es nicht mal zu verheimlichen. Ohne jegliche Scham betrachtete sie mich, während ich versuchte, mir meine Jeans so elegant wie möglich auszuziehen. Ich schob sie mir tatsächlich die Beine herunter, wobei ich sonst einen Fuß nach dem anderen heben würde, um mir die Hosenbeine einzeln auszuziehen. So aber streckte ich meinen Hintern sogar ein wenig durch und war glücklich, dass ich mich vorhin für zueinander passende Unterwäsche entschieden hatte. Jetzt stand ich da in Unterwäsche und war ein wenig unschlüssig, ob ich weitermachen wollte oder überhaupt konnte. Nina lehnte sich, meine Unsicherheit offenbar erkennend, zurück auf einen Ellenbogen und zog auffordernd eine Braue hoch. Ich schluckte und schloss die Augen. Ich wollte nicht sehen, wie sie mich weiter anstarrte. Ihr Blick war so unverschleiert. Ich sah das Verlangen darin, von dem ich nie gedacht hätte, es in den Augen von jemandem zu sehen, der mich gerade betrachtete. Zumindest war ich mir da ziemlich sicher. Ich zog also zunächst mein Höschen herunter, ohne zu wissen, warum ich mich dafür entschieden hatte. Meinen BH zu öffnen und schließlich von meinen Schultern gleiten zu lassen, dauerte noch einmal eine gefühlte Ewigkeit, aber nun stand ich vor ihr, wie Gott mich schuf. Dennoch bedeckte ich schüchtern meinen Busen und meine Scham mit je einer Hand. Meine Verlegenheit ließ Nina wieder so dunkel lachen wie eben und das oder die leichte Brise, die um mich wehte, ließ mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper kriechen. In einer geschmeidigen Bewegung erhob sie sich und trat direkt vor mich. Viel zärtlicher als die Male zuvor umfasste sie meine Handgelenke und zog sie sanft auseinander. Ich wehrte mich nicht, auch wenn ich angespannt war und die Luft anhielt. Ihr Atem traf heiß auf meinen Mund so nah war sie mir. Und sie flüsterte leise, es war kaum mehr als ein Wispern des Windes. "Du bist wunderschön." Kapitel 11: ------------ Die Anspannung in meinen Armen aufgebend, schaute ich in Ninas dunkle Augen. Etwas Verlangendes lag darin, was mich für den Moment beinah vergessen ließ, dass ich nackt vor meiner Lehrerin stand und doch pochte dieser Umstand unnachgiebig in meinem Hinterkopf, bereitete mir unterschwelliges Unbehagen. Ihre Nähe nahm meine restlichen Sinne jedoch vollkommen in Beschlag und ihr warmer Atem kitzelte auf meiner Nase und meinen Lippen. Sie gab mein rechtes Handgelenk frei, trat um mich herum und drehte mich zum Wasser. "Stunde der Wahrheit, Kleines", raunte sie mir von der Seite in mein Ohr und ich erschauderte aufs Neue. Sie ließ auch mein linkes Handgelenk los und nickte auffordernd Richtung Wasser. Ich schluckte, auch wenn ich noch immer von dem Ehrgeiz beseelt war, Nina nicht enttäuschen zu wollen. Mutig ging ich voran und erreichte viel zu schnell das kühle Nass. Ich zuckte zurück, so kalt war das Wasser. Jetzt da ich unbekleidet davor stand, spürte ich es umso deutlicher, aber der Wunsch meiner Lehrerin zu gefallen, war ungebrochen und so hielt ich eine Weile die Luft an und trat hinein, bis mir der Wasserspiegel zur Hüfte reichte. Gedehnt entließ ich den Sauerstoff aus meinen Lungen und schaute hoffnungsvoll ans Ufer. "Ah-ah! Ganz oder gar nicht!", rief sie mir gedämpft entgegen. War ja klar. Also ließ ich meine Hände ins Wasser gleiten, die sich zuvor schützend vor meine Brüste gelegt hatten und befeuchtete zuerst meine Arme und dann meine Brust, an der Stelle unter der mein Herz lag, wie es mir meine Granny in Kalifornien früher gezeigt hatte, wenn wir am Strand waren. Ich spürte seinen rasenden Rhythmus mit der Hand und plötzlich auch meinen hohen Puls überall in meinem Körper. Die Aufregung, die zweifellos an meiner Nacktheit lag, ließ meinen Körper immer mehr verrücktspielen. Ich spürte nicht mehr nur Ninas Blick auf mir. Es fühlte sich an, als würde mich auf ein Mal eine ganze Menschenmasse anstarren. Meine Atmung beschleunigte sich rapide, immer weiter, immer schneller, aber ich wollte jetzt nicht aufgeben. Also tauchte ich entschlossen mit dem Kopf voran hinab und tat ein paar Schwimmzüge. Mein Herz schlug viel zu schnell. Immer schneller und schneller und schließlich bekam ich die irrwitzige Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen. Ich wusste nicht, wie lange ich unter Wasser war, aber es war ein Fehler gewesen, komplett abzutauchen. Die zum Tauchen gehörende Atemnot vergrößerte meine Angst. Wandelte sie. Wurde zu Angst vor dem Ertrinken. Ich konnte mich plötzlich nicht mehr Bewegen und spürte, wie mir die Luft ausging. Ich wollte raus. Einfach nur raus aus dem Wasser, doch unsichtbare Hände hielten mich an Ort und Stelle.  Ich musste mich beruhigen, auf der Stelle! Doch die Todesangst übermannte mich. Ich würde hier im Wasser sterben. Ich würde ertrinken. Der Gedanke bestimmte mein Bewusstsein. Ich riss die Augen auf, doch ich sah nur Schwärze. Ich fragte mich, ob ich schon gestorben war. Ich fühlte plötzlich nichts mehr.  Alles war stumpf geworden. So war ich also gestorben, nackt im Wasser. Sicher würde Nina bald ins Wasser stürzen im verzweifelten Versuch mich zu retten, doch es war zu spät. Nina. Der Gedanke an sie weckte etwas in mir. Meine Lebensgeister erwachten zu neuem Leben. Ich spürte plötzlich den engen Zug um meine Brust, der mir signalisieren, dass ich Sauerstoff brauchte. Die Kälte des Wassers. Und meine Glieder bewegten sich plötzlich wieder. Das kalte Wasser piekste leicht überall an meiner Haut. Meine Füße fanden zurück zu dem schlammigen Boden und drückten meinen Oberkörper mit aller Macht aus dem Wasser. Eilig sog ich den Stoff des Lebens in meine Lungen und presste ihn hustend wieder heraus. Sofort schlang ich meine Arme um mich und meine Finger krallten sich in meine Oberarme. Mir wurde heiß, obwohl mein Körper eiskalt war und ich fing an, die wenigen Meter zum Ufer aus dem Wasser heraus zu rennen. Als ich spürte, dass der Sand unter meinen Füßen trocken wurde, sank ich völlig kraftlos darauf auf die Knie und vergrub meine Hände in den feinen Körnern. Ich atmete röchelnd und viel zu schnell ein und aus. Ich hyperventilierte, obwohl ich wusste, dass ich mich unbedingt beruhigen musste. Mein Gesicht kribbelte, als würden Ameisen darauf herumlaufen. Obwohl mein Körper so abgekühlt war, bildeten sich Schweißperlen auf meiner Stirn. Noch immer glaubte ich den Blick von Nina auf mir zu spüren und er brannte auf meiner Haut wie Feuer. Ich wollte mich über den Sand rollen, als könnte ich das Feuer auf diese Weise löschen. Sie sollte aufhören, mich anzuschauen! Eben noch die Todesangst und jetzt fühlte ich mich wieder nur nackt. Ich war nackt!  Das Bisschen Fassung, dass ich erlangt hatte, als ich aus dem Wasser gekommen war, entzog sich mir somit wieder, denn die Erkenntnis hämmerte immer wieder aufs Neue in mein Bewusstsein und beherrschte meine Gedanken vollends. Hinter meiner Stirn pochte es schmerzhaft, doch ich konnte mich nicht rühren. Ich verharrte in meiner demütigenden Pose und wusste mir nicht zu helfen. Ich konnte keine der Techniken abrufen, die mich dazu befähigen sollten, meinen Geist in so einer Situation zu beruhigen, aber ich musste mich unbedingt beruhigen! Tränen der Wut liefen ungehindert meine heißen Wangen hinab und tropften von meinem Kinn in den Sand. Ich wusste nicht wie lange ich so auf dem Boden hockte, nackt und bloßgestellt. Sicher nur zehn Sekunden, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sich plötzlich ein warmer Stoff auf meinen Rücken legte. Mit sanfter Gewalt wurde ich leicht aufgerichtet. Meine Hände lösten sich zaghaft aus dem Sand und hingen an meinen Armen schlaff herunter, als ich schließlich in eine aufrechte, kniende Pose geschoben worden war. Vor mir kniete Nina in der selben Position, zog das Handtuch über meinen Kopf und legte dessen Enden vor meiner Brust zusammen. Eine Hand legte sich flach auf die Stelle, auf der sich die Enden überlappten und ich spürte mein Herz noch immer wild, aber direkt etwas regelmäßiger dagegen trommeln. Eine andere Hand legte sich an mein Schulterblatt und hielt mich zärtlich aber bestimmt in Position. Meine Atmung beruhigte sich ebenfalls, obwohl auch sie noch immer eine zu bedenkliche Frequenz hatte. Ein unkontrolliertes Schluchzen entkam meinen halb geöffneten Lippen und endlich traute ich mich aufzusehen. Ich erwartete Mitleid oder einen überforderten Ausdruck darauf zu finden, doch auf Ninas Antlitz war blanker Schmerz abzulesen, was im krassen Kontrast zu der Ruhe stand, die ihre Hand auf meiner Brust ausstrahlte. Unterbewusst registrierte ich, dass sie mit offenem Mund atmete. Ganz offensichtlich bewusst und geräuschvoll, damit ich mich darauf konzentrierte. Und das tat ich, ohne sie in Frage zu stellen. Nina strahlte in diesem Moment etwas übermenschlich Vertrauensvolles aus. Ich konzentrierte mich weiter auf ihre Atmung und meine glich sich allmählich der ihren an. Meine Tränen versiegten. Ich ließ mich in ihre dunklen Augen, die noch immer irgendwie schmerzverzerrt zusammengekniffen waren, fallen. Und schließlich nahm der Druck ihrer Hand auf meiner Brust ab und sie zog mich bestimmt in ihre Arme. Ich sog ihren unverkennbaren Duft ein, wobei der auch von ihrem Handtuch ausgehen konnte, aber ich nahm ihn erst jetzt wahr. Spürte ihre Wärme, die Geborgenheit, die ihre Arme um meinen Oberkörper bedeuteten und fing wieder an zu weinen. Ganz anders als zuvor. Die Ängste waren verschwunden und ihre Last war von mir genommen. Ich schlang meine Arme um Ninas Taille und presste meinen Körper so sehr ich konnte an ihren. "Shhh", machte sie leise, nah an meinem Ohr und eine Hand strich mir über den vom Handtuch verhüllten Kopf. Eine andere malte großzügige Kreise auf meine Rücken und ich sank erschöpft auf Ninas Schoß zusammen. "Ich weiß, du willst jetzt schlafen, aber du darfst hier nicht einschlafen, Ashley", sprach sie nach einer ganzen Weile sanft zu mir runter, während sie beständig meinen Kopf und Rücken streichelte. "Mhm", machte ich, ohne davon überzeugt zu sein. Ich wollte den Trost und die Geborgenheit, die sie mir spendete, nicht missen. Doch das Nächste was sie sagte ließ mich irritiert zu ihr aufschauen. "Das hast du wirklich gut gemacht." Was? Denken fiel mir noch immer schwer, aber so sehr ich es versuchte, das machte keinen Sinn. Ich sah keinen Grund für Lob. Und doch lag in diesen Worten so viel Gefühl und Ernsthaftigkeit, dass ich sie bedingungslos glaubte, ohne zu begreifen worauf genau sie sich überhaupt bezogen. Die Worte setzten unzählige Endorphine in mir frei und machten mich so Glücklich wie nie etwas Anderes zuvor. Aber warum? Es war ein undefinierbares Glück, aber das war mir für diesen Moment völlig gleich. Das Einzige was zählte war, dass sie stolz auf mich war.  Das war der Moment in dem ich nach Lob und Anerkennung süchtig wurde. Lob und Anerkennung von Nina Klee, meiner Lehrerin. Wir verbrachten noch eine kleine Weile schweigend am Strand und lauschten dem leichten Wellengang, nachdem ich mich wieder angezogen hatte. Ich war noch immer unglaublich klein und zerbrechlich in Ninas unendlicher Gnade, die mich die ganze Zeit mütterlich in ihren Armen gewogen hatte, doch irgendwann, als mein Verstand aufhörte von den Glücksgefühlen benebelt zu sein, hob ich meinen Kopf an und schaute in ihre Augen, die zärtlich auf mich herab schauten und fragte die Frage, die mir auf der Seele brannte. "Könntest du", begann ich zögerlich. Nina strich mir ermutigend über mein noch leicht feuchtes Haar. "Könntest du mir sagen warum du gesagt hast, dass ich das gut gemacht habe?" Verwundert zog sie ihre Augenbraue zum Haaransatz und wieder beneidete ich sie für diese Fähigkeit. "Findest du nicht, dass du das gut gemacht hast?", antwortete sie mir mit einer Gegenfrage, woraufhin ich meine Lippen zu einem Schmollmund verzog. Ja, mir ging es jetzt schon wieder deutlich besser. "Also", fing ich wieder zaghaft an und brauchte eine Pause um die Worte in meinem Kopf zu finden. Ich entließ die Luft geräuschvoll aus meinen Lungen, nachdem ich welche gefunden hatte und erneut zum Sprechen ansetzte. "Also, eben gerade, da hab' ich's dir einfach so abgenommen, ohne groß weiter darüber nachzudenken, weil...ja, weil es sich einfach gut und richtig angefühlt hat, aber jetzt frage ich mich, was du überhaupt gemeint hast." Nina lächelte und nickte anerkennend. Ja, das war wirklich das erste Mal, dass ich so viele Worte auf einmal an sie gerichtet hatte und dabei ruhig und gefasst klang. Es war ihre Ruhe, ihre Fassung, die ich ausstrahlte. "Warum willst du es zerpflücken, wenn es doch für den Moment einfach das Richtige war?" Überlegend legte ich meinen Kopf schief und betrachtete sie gedankenverloren, bis ich zu dem Schluss kam, dass ich es einfach wissen wollte. "Ich denke, ich möchte gern wissen, ob ich verdient habe, was du gesagt hast." Mein Selbstwertgefühl war sowieso schon immer geringerer Natur, aber das kleine Hoch hielt nicht lange, da ich es einfach nicht verstehen konnte. Nina seufzte, lächelte dann aber. "Nun, du hattest gerade eine Panikattacke, ist dir das bewusst?" Ich nickte, war ja nicht die Erste. Nina nickte ebenfalls, strich sich einmal kurz mit der Linken durch ihr kastanienbraunes Haar und zog mich mit der anderen Hand wieder an sich. "Mhm. Und ich fand, du hattest ein Lob dafür verdient, dass du so schnell aus der Attacke herausgefunden hast." Für mich war das ihr Verdienst, nicht meiner, aber ich schwieg, wartete auf mehr. Sie atmete tief durch, als müsste sie sich sortieren, oder überwinden. "Möchtest du mir sagen, was die Panikattacke ausgelöst hat?", fragte sie sanft, aber auch wissend und strich mir langsam über den Oberarm. Ich überlegte einen Augenblick, wobei unerwartet klar war, was sie ausgelöst hatte. "Ich fühlte mich so nackt." "Du warst nackt", stellte Nina die unbestreitbare Tatsache fest. "Ich hasse es mich nackt zu fühlen. Und es zu sein, wenn jemand dabei ist..." Ich wusste nicht warum es davor so leicht ging, mich überhaupt auszuziehen. "Mhm. Das meinte ich auch, denn mir war klar geworden, welche Überwindung es dich gekostet haben muss, dich auszuziehen. Findest du nicht, dass du das gut gemacht hast?" Sie ließ mir einen Moment um die Worte zu verarbeiten, bevor sie weitersprach und sie hatte irgendwie Recht. "Dass du einen großen Schritt gegen deine Angst getan hast? Ein kleiner Sieg vielleicht, doch auch die muss man feiern." Ich wollte mich fragen, ob sie wusste wovon sie sprach, doch in meinem Magen kribbelte es merkwürdig und die Woge des Glücks kehrte zurück. Da fiel mir auf, dass ich Nina schon wieder verträumt betrachtete, weshalb ich meinen Kopf abwandte, um auf das schwarze Wasser zu schauen. "Danke", sagte ich kraftlos. Man hätte meinen können, dass ich es nicht ernst meinte, doch Nina drückte ganz kurz mitfühlend meinen Oberarm.  Ihre Umarmung nahm daraufhin etwas an Intensität zu und sie lehnte ihr Kinn gegen meinen Kopf und küsste mein Haar. Es war die schönste Berührung, die mir je zuteil wurde. Eine kleine Ewigkeit verblieben wir noch so, bis Nina aufstand und mir Wortlos die Hand reichte. Wir packten zusammen und brachen auf, um zum Parkplatz zurück zu kehren.  Bevor wir auf dem Trampelpfad in das Waldstück gingen, drehte ich mich noch mal um und schaute zurück auf das kleine Stück Strand. Den Ort, an dem etwas Traumartiges geschehen war, etwas Wichtiges, etwas Richtiges. Natürlich waren Panikattacken keine Spaziergänge, aber das, was daraus resultierte, fühlte sich jetzt in diesem Moment, in dem ich Nina zu ihrem Auto folgte, wie eine tiefe Verbindung an, die an dieser Stelle ihren Anfang nahm. Ich fühlte mich verstanden. "Ich fürchte wir müssen hierbleiben, wenn du nicht langsam einsteigst, kleine Traumtänzerin." Ninas glockenklares, dunkles Lachen drang gedämpft durch das offene Fenster der Beifahrertür und die altbekannte Hitze legte sich auf meine Wangen. Ich hoffte nur sie würde es mir nachsehen, nach dem was vorhin geschehen war. Ich stieg ein und sie lächelte, was mein Herz erfreut einen Schlag überspringen ließ. Wir fuhren los und sie schaltet das Radio an, was mir Gelegenheit gab, etwas meinen Gedanken nachzuhängen. Nina hatte mich wirklich vergleichsweise schnell aus meiner verängstigten Starre geholt. Ich suchte einen Vergleich und erinnerte mich an eine meiner ersten Attacken, die so unvorhergesehen kam, dass sie weder für mich, noch für Außenstehende zu bekämpfen war, denn ein logischer Grund war vollkommen unersichtlich. Es waren Sommerferien. Ich war 13. Wie so oft saßen meine Eltern sonntags auf unserer Terrasse, während Leonnard auf seinem Baumhaus rumtollte, das er zusammen mit Daddy gebaut hatte. Die Sonne schien ausgiebig vom Himmel und gab der Szene etwas Perfektes. Ich betrachtete sie von meinem Zimmer im ersten Stock unseres damaligen Hauses und versuchte, mich in das Bild zu bauen. Ich fand mich aber nicht in der Szene, fühlte mich nicht so richtig zugehörig. Daddy rief Leo gerade etwas zu, das ich nicht verstand, denn ich hatte mein Fenster geschlossen. Da mein kleiner Bruder aber gerade auf der Brüstung seines Baumhauses saß, nahm ich an, dass es eine Mahnung zur Vorsicht gewesen war. Und dann geschah es, als hätte Daddy es kommen sehen. Leo fiel die gut zwei Meter zu Boden. Ich sah ihn nicht mal aufkommen, denn in dem Moment war mir schwarz vor Augen geworden und ich musste in Ohnmacht gefallen sein. Als ich erwachte, war die Sonne deutlich gewandert und ich war unfähig, mich zu bewegen. Gefangen in meinem Körper, mit den Gedanken bei meinem Bruder, jeder Fähigkeit zu Handeln beraubt, tat ich das einzige was noch möglich war. Ich schrie. Ich hatte noch nie so laut und so lange geschrien. Nach kurzer Zeit schon tat mir der Hals weh und ich konnte immer schlechter die schrillen Töne aus meiner Kehle dreschen, da mir die Luft immer knapper wurde. Irgendwann wurde meine Zimmertür aufgerissen und meine Ma stürzte zu mir. Sie ließ sich auf die Knie fallen. Ich schrie weiter. Ich schrie nach Leonnard. Ich hatte Todesangst. Angst um ihn. Die Angst um ihn lähmte meinen Körper. Ich musste aussehen, als hätte ich einen epileptischen Anfall gehabt. Die Arme vor der Brust versteift, das Gesicht zu einer panischen Fratze verzogen. Mom rüttelte an meinen Schultern, versicherte mir, dass alles in Ordnung sei, Leo würde es gut gehen. Den Zusammenhang zu dem Sturz vom Baumhaus hatte sie gar nicht sehen können, denn er hatte sich leicht abgefangen und es war mittlerweile schon fast zwei Stunden her gewesen, wie ich später erfuhr. Es half nichts. Die irrationale Angst war übermächtig. Ich schrie weiter. Mittlerweile leiser und heiser, weil ich mit der Kraft am Ende war, doch ich hörte nicht auf. Schließlich riss meine Ma mein Fenster auf und rief nach Daddy, er sollte Leo mit hoch bringen, ich würde nicht aufhören. Er widersprach. Er sollte nicht nachhaken und tun was sie ihm sagte, brüllte sie hinab in den Garten. Und dann, nach einer halben Ewigkeit, stand er da. Mein kleiner Bruder. Völlig unversehrt, aber mit verzerrtem Gesicht. Später bekam ich ein Gespräch mit, in dem er Daddy erzählte, dass er Angst vor mir gehabt hatte. Ich beruhigte mich, meinen Bruder sehend und dann weinte ich. Es half, doch es nahm mir nicht die irrationale Angst, die ich an diesem Tag zum ersten Mal hatte greifen können. Die schützenden Arme meiner Mutter empfingen mich, doch ich sah die Verzweiflung in ihren Augen, genauso wie in Daddys... Heute war es anders gewesen. In Ninas Armen fühlte ich mich so sicher. Es war, als hätte ich für die Zeit, in der ich ihr so nah sein durfte, jede Angst, die ich je empfunden hatte, überwunden. Und das Gefühl hallte auch jetzt noch in mir nach. Dieses Wohlbefinden. Diese Sicherheit. Ich betrachtete das Profil meiner Lehrerin und suchte nach diesem besonderen Etwas, dass ihr diese Macht verlieh. Die Macht, mich mit so viel Schuld zu beladen, dass ich alles für sie tun würde, um ihr wieder zu gefallen und die Macht, mir ein Zufluchtsort in Person zu sein, mir die Ängste zu nehmen und vor allem mich glücklich zu machen. Natürlich hatte sie meinen Blick bemerkt und wandte mir kurz fragend ihren Kopf zu, doch ich schaute verlegen zurück aus dem Beifahrerfenster. Dadurch, dass ich ihr nicht mehr so nah und somit nicht mehr in meiner Glücksblase war, hatte sich meine Logik wieder eingeschaltet und die fragte mich, ob ich wollte, dass diese Frau solche Macht über mich besaß und ob ich wollte, dass ihr das klar war. Ich schmunzelte und betrachtete mein Spiegelbild im Seitenspiegel, das jeden zweiten Herzschlag von Straßenlaternen erhellt wurde. Ich sah aus wie der Tod auf Latschen und Nina wusste es sowieso, ganz sicher. Kapitel 12: ------------ Das behagliche Schweigen, das sich im Innenraum von Ninas Cabrio breitgemacht hatte, ermöglichte es mir, weiter die Panikattacke vom Strand zu reflektieren. Das hatte ich mit Dr. Krebs oft getan, auch wenn wir nie den großen Knackpunkt hatten nennen können. Auslöser für die einzelnen Attacken hatten wir fast immer gefunden und auch jetzt war es für mich recht übersichtlich. Selbst Nina hatte es ja erkannt und mit ihrer Einschätzung im Großen und Ganzen richtiggelegen. Das beklemmende Unbehagen, das meine Nacktheit in mir ausgelöst hatte, führte zu Herzklopfen und Herzklopfen zu Herzrasen und das löste in mir seither die irrationale Angst vor einem Herzinfarkt aus. Dr. Krebs hatte mir zwar schon recht am Anfang unserer Zusammenarbeit erklärt, dass das eine typische Reaktion bei Panikattacken war, aber ich konnte es im Nachhinein trotzdem nie verstehen. Er brachte mir bei, wie ich dagegen angehen konnte, sobald ich die Angst in mir spürte. Zählen, sich beruhigen, daran denken, dass dieser Gedanke völlig unlogisch war. Immer und immer wieder, bis man sich tatsächlich beruhigte. Und es klappte zunächst ab und zu. Zuletzt war es mir beinah immer gelungen, aber heute Nacht war ich machtlos gewesen. So überfordert mit der Situation des Ausziehens allein schon, dann auch noch vor Nina, deren Blicke schwer wie tausende waren und dann war ich unter Wasser und die Angst zu sterben so real gewesen. Ich hätte wirklich sterben können, hätte ich mich nicht so weit beeinflussen können, dass ich mich endlich wieder bewegen konnte und dieser Gedanke war wirklich beängstigend. Er ließ mich erschaudern und ich verwarf ihn direkt wieder, um mich nicht gleich in die nächste Angst hinein zu steigern. Nachdem ich die Situation analysiert hatte, fiel auch die letzte Anspannung von mir und ich wurde unsagbar müde. Wie spät es wohl mittlerweile war? Es lohnte sich nicht, das wusste ich noch von der Hinfahrt, aber ich konnte nicht verhindern, dass ich einschlief. Eine einzige Berührung an meiner linken Schläfe brachte mich dazu, die Augen wieder aufzuschlagen. Wir hatten angehalten und Nina war, den Oberkörper mir zugewandt, etwas vorgebeugt. Aus meinen verschlafen Augen betrachtete ich sie.  "Du solltest direkt reingehen und ab ins Bett." Ich nickte nur müde, meine Kraft war vollkommen aufgebraucht. Ich stieg aus, schloss fremdgesteuert die Beifahrertür und ging einfach. Lediglich meine Lederjacke hatte ich geschafft auszuziehen, wie ich am nächsten Tag bemerkte, als ich frierend aufwachte. Ich hatte mich nicht mal zugedeckt und lag in Jeans und Top in meinem Bett. Eine Gänsehaut krabbelte mir unangenehm über die Arme und ich fröstelte kurz richtig. Mein Zimmer wurde nicht mehr von der Sonne beschienen. Als ich aber meine Augen schließlich geöffnet hatte, sah ich draußen den strahlend blauen Himmel. Sie musste schon hoch am Himmel stehen, dass sie nicht mehr durch mein Fenster fiel. Wie spät war es denn schon? Ächzend rollte ich mich auf die andere Seite meines Bettes und schielte auf meinen Wecker. 13:23 Uhr. Okay, das war wirklich spät. War ich so lange mit Nina unterwegs gewesen? An Wochenenden kam es ja schon mal vor, dass ich so spät erst aus meinem Bett gekrabbelt kam, aber das lag eher an stundenlangem YouTube gucken oder lesen. Hin und wieder, gerade vor den letzten Ferien, war ich auch mal mit den Mädels meines alten Vereins im Clubheim nach Heimspielen versackt und dabei floss auch etwas Alkohol. Da konnte es schon mal passieren, dass ich bis in die Puppen schlief, aber weder das eine, noch das andere hatte hiermit etwas gemein. Ich wurde noch immer von einem Rest des Glücks eingelullt, das ich heute Nacht empfunden hatte und ich hatte Angst, es würde sofort verschwinden, würde ich aufstehen, mich aus den Klamotten schälen und irgendwie in den Sonntag starten.  Also starrte ich noch immer auf meinen Nachtschrank, während ich so meinen Gedanken nachhing und etwas fehlte dort.  Mein Handy! Alles andere vergessend stand ich abrupt auf und fischte meine Jacke vom Boden, um in ihren Taschen zu kramen. Obwohl nichts dagegengesprochen hatte, war ich ein wenig froh es, direkt in einer Tasche zu finden. Einige Sandkörner hatten sich in die Folie gebohrt, die ich seit mehr als einem halben Jahr auf dem Display gelassen hatte, obwohl sie an den Ecken schon soweit abgegangen war, dass es nervte. Kurz entschlossen zog ich die Folie ab und war merkwürdig glücklich, quasi ein neues Smartphone in der Hand zu halten. Grinsend und über mich selbst den Kopf schüttelnd ließ ich mich zurück in mein Bett fallen, schloss das Telefon ans Ladekabel und entsperrte es. Es zeigte drei Nachrichten von Felix noch von gestern Abend, eine von Nina, sechs bei den Sugarbabes und eine von Nadine an. Nadine war wohl das was einer besten Freundin am Nächsten kam. Ich kannte sie nun schon acht Jahre. Wir hatten zusammen in meiner alten Mannschaft gespielt und uns auch mal abseits vom Volleyballfeld getroffen. Mein Herz machte einen verhaltenen Hüpfer, bei der Nachricht von Nina, aber ich widmete mich zunächst der von Felix. Felix: Hey ho Ash! Zieh dir das rein! Er hatte mir ein Bild geschickt, von dem ich ausging, dass es ein Screenshot eines Profilbilds war. Felix: Der Kerl macht sogar Selfies, die aussehen wie Profiarbeiten! Ich hab ihn vorhin angeschrieben und wir haben uns für morgen Nachmittag verabredet! Duuuuuuu musst rüberkommen und mir beim Outfit aussuchen helfen! Ich fragte ihn, ob ich noch Zeit zum duschen hätte und öffnete die nächste Nachricht. Die von Nadine. Nadine: Huhu Süße :) Ich vermisse dich! Wie ist die neue Schule? Und die neue Stadt? Gibt's da süße Typen, oder auch nur Flachpfeifen, wie hier? Ach Nadine...irgendwie hatte ich sie schon so halb vergessen, bei all dem was in meiner ersten Woche hier passiert war und von meinem schlechten Gewissen gepackt schickte ich ihr eine fünf Minuten lange Sprachnachricht, in der ich ihr von Felix und der Schule erzählte. Ich erzählte auch von Frau Klee und dass sie auch in der neuen Mannschaft spielte, für die ich mich entschieden hatte und ich erzählte auch noch ein Bisschen mehr von ihr. Die vergangene Nacht ließ ich allerdings aus. Auch Nadine wusste nichts von der kleinen Klatsche die ich hatte, was ich auch nicht ändern wollte. Den Gruppenchat ließ ich außer Acht und öffnete zuletzt die Nachricht von Nina. Nina: Ich hoffe du bist gut in deinem Bett gelandet. Du warst etwas neben der Spur, oder? Du hast dich nicht mal verabschiedet... Die Nachricht war von heute Morgen 01:47 Uhr und ich nahm an, dass sie sie noch vor meiner Tür geschrieben hatte. Sicher war ich mir aber nicht. Ich hatte am See völlig das Zeitgefühl verloren. Trotzdem hatte ich gedacht, dass wir viel länger unterwegs gewesen waren, so lange, wie ich geschlafen hatte. Ich seufzte. Was stimmte eigentlich nicht mit mir, dass ich in so kurzer Zeit so viele Situationen schaffen konnte, in denen ich mich bei ein und derselben Person entschuldigen musste? Bitte entschuldige. Ja, ich bin heil im Bett gelandet und habe tatsächlich bis jetzt geschlafen. Es tut mir leid, dass ich nicht gute Nacht gesagt habe. Ich weiß nicht, was heute Nacht mit mir los war und...danke nochmal. Ich brauchte drei Anläufe, bis ich halbwegs zufrieden war und habe die Nachricht noch weitere drei Male gelesen, bevor ich sie schließlich verschickte, aber dieses Mal konnte ich mich nicht davor drücken. Am Ende machte sie sich noch Sorgen. Nein, ich benahm mich auch so schon schrecklich genug ihr gegenüber und nachdem sie heute Nacht so für mich dagewesen war, war es wohl das Mindeste, ihr nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. In der Zwischenzeit hatte Felix mir geantwortet und mir mitgeteilt, dass er um halb vier bei sich zu Hause loswollte. Also hatte ich noch genug Zeit zum Duschen und aß danach eine Schüssel Müsli mit frischem Obst und Joghurt. Meine Familie schien nicht zu Hause zu sein, nur Stella schwirrte in der ganzen Zeit, in der ich in der Küche zugange war, um mich herum, wie eine Motte ums Licht. Ich drehte noch eine kleine Runde mit ihr und ging dann kurz vor halb drei rüber zu Felix, in der Hoffnung, eine Stunde würde reichen, um ihm bei der Kleiderwahl zu helfen. Insgeheim verstand ich ihn gar nicht. Der Typ sah immer so unverschämt gut aus und es machte nie den Anschein, als stünde Aufwand hinter seinem lässigen Kleidungsstil. Jeans und T-Shirt. Das war doch für Jungs wirklich nicht so schwer, oder? Surrend öffnete sich die Verriegelung der Tür zu dem Mehrfamilienhaus, in dem Felix mit seiner Mutter wohnte. Ich stieg ein Stockwerk hinauf und dort wartete er schon, lässig in den Türrahmen gelehnt, auf mich. Grinsend schob er seine Nerdbrille zurecht und begrüßte mich mit einem Highfive, wie er es schon die ganze restliche Woche nach unserem Kennenlernen getan hatte. "Na Streber, alles klar?" Ich verzog empört das Gesicht und boxte ihm gegen die Schulter, bevor ich mich an ihm vorbei in den winzigen, dunklen Flur schob, um meine Schuhe auszuziehen. "Müde, aber was tut man nicht alles für die Liebe, mh?", murrte ich und ließ mich von ihm ins Wohnzimmer führen. "Mama, das ist Ashley. Ash, das ist meine Mutter." Felix' Mutter, die gerade eine Zeitung zur Seite legte, hatte dasselbe dichte braune Haar, welches ihr in wenigen Wellen auf die Schultern fiel, und einen sanften Ausdruck auf dem Gesicht. Sie rückte ihre strenge Brille zurecht. Die Geste sah exakt genauso aus wie bei ihrem Sohn. "Hallo, Frau Schönfeld. Schön, sie kennenzulernen", sagte ich steif. Menschen kennenlernen war alles andere als schön für mich, aber dafür konnte sie ja nichts. "Freut mich auch, Ashley. Nenn mich doch bitte Birgit! Felix quasselt dauernd von dir." Mit einer pinken Nasenspitze nahm ich das Gesagte nickend hin und wurde direkt von Felix mit einem "Wir zerstören dann mal deine Ordnung in meinem Kleiderschrank, Mama" in sein Zimmer geschoben. Sie lachte nur kopfschüttelnd und widmete sich wieder ihrer Zeitung. Felix' Zimmer überraschte mich. Es war meinem nicht unähnlich. Alle Möbel waren weiß und es war ziemlich ordentlich. Ich nahm an, dass Birgit dafür sorgte, nach dem, was er zuletzt zu ihr gesagt hatte. Allerdings fehlte komplett die persönliche Note. Keine Poster oder Bilder, kein Nippes, gar nichts. Einzig ein einsames Foto stand in der Vitrine, die links neben seinem Fernseher stand. Es zeigte ihn selbst und ich kannte es schon aus seiner Sedcard. Die Kargheit seines Zimmers stand irgendwie im Kontrast zu seinen farbenfrohen T-Shirts mit den wildesten Aufdrucken, aber ich dachte mir nichts weiter dabei. Ich ließ mich ungefragt auf seinem Bett nieder und sah Felix auffordernd an. "Schon 'ne Idee, was du anziehen willst? Was macht ihr überhaupt?", fragte ich. "Er hat mich in sein Atelier eingeladen. Ich brauche also zwei, drei Outfits und werde auch 'ne Badehose mitnehmen." Ich grinste und ließ meine Augenbrauen tanzen. "So, so. Du ziehst dich also dauernd aus und wieder an, huh? Und dann auch noch in Badehose!" Ich applaudierte und pfiff anerkennend. Felix sprang sofort auf die Neckerei an und schmiss sich zu mir aufs Bett, um mir eine Kopfnuss zu verpassen. Lachend wich ich ihm aus und streckte ihm die Zunge heraus. "Du sollst mir helfen und nicht mich ärgern!", beschwerte er sich grinsend und ich hob ergeben meine Hände. "Schon gut, schon gut. Also, was hast du dir vorgestellt?" Ich war wirklich nicht die Richtige für sowas. Seine Outfits sahen für mich alle total gleich aus, nur die Badehosen unterschieden sich auch im Schnitt voneinander, nicht nur in den Farben und Motiven. Irgendeine Jeans mit irgendeinem bunten T-Shirt. Er sah einfach in allem fantastisch aus, weshalb ich wirklich keine besonders große Hilfe war, aber am Ende war das auch gar nicht nötig, denn so richtig interessierte ihn meine Meinung gar nicht. Ich stellte lediglich ein paar Fragen, die seine Überlegungen in Gang setzten und so hatte Felix sich schon nach einer Viertelstunde entschieden. Während er seine Klamotten ordentlich in seine Sporttasche legte, vielleicht war er doch selbst für sein aufgeräumtes Zimmer verantwortlich, checkte ich mein Handy. Nadine hatte mit einem Roman auf meine Voicemail geantwortet, in dem sie Stellung zu allem nahm, was ich ihr so erzählt hatte. Allem voran die Tatsache, dass Nina auch in meinem Team spielte und dass sie es total "interessant" fand, dass ich eine Lehrerin so privat kennenlernen konnte. Lehrer hätten was von Tieren in der Savanne und ich wäre auf einer Expedition. Der Gedanke, eine grasende Nina-Antilope mit dem Fernglas zu beobachten, ließ mich kichern und Felix warf sich wieder zu mir aufs Bett. Dreist fischte er mir das Handy aus der Hand. "Ey, hergeben!", verlangte ich sofort. Handy. Heiligtum! "Nö. Wenn etwas so wichtig ist, dass du auf dein Handy glotzt, obwohl dir die besondere Ehre zuteil wird, dich in meinem Glanz zu sonnen, habe ich das Recht zu wissen, worum es geht!" "Ach komm, Feli", schnurrte ich ihn an. Er verzog erschaudernd das Gesicht und schüttelte bestimmt mit dem Kopf. "Sei nicht eine dieser indiskreten Schwuchteln! Das ist so klischeehaft!" Er hatte bereits zu lesen begonnen und machte eine sprich mit der Hand Geste. Ich murrte und rutschte bockig neben ihn in einen Schneidersitz. "Du spielst mit Frau Klee Volleyball?", fragte er schließlich und ich versuchte wieder mein Handy zurück aus seiner Hand zu kriegen. "Muss Frau Klee sein, oder? Frau Amira und Frau Legat pusten ja nach den paar Treppen immer schon aus den letzten Löchern", überlegte er laut. Ich hörte mein Smartphone in seiner Hand vibrieren und seine Augen weiteten sich. Er zog die Statusleiste mit dem Daumen runter und öffnete die neue Nachricht. "Felix, komm schon! Gib her", bat ich nun ernsthaft, doch er beachtete mich nicht. "Was da los, Ash?", fragte er kurz danach und hielt mir das Handy hin. Der Chatverlauf mit Nina war offen, sie hatte geantwortet. Nina: Du musst wirklich mit dem Traumtanzen aufhören! *schmunzelt* Danke, dass du mir jetzt Bescheid gegeben hast, dass alles in Ordnung ist und gerne...Du kannst immer mit jedem Scheiß zu mir kommen. Ihre Ausdrucksweise und das Angebot ließ mich kurz grinsen, vergessend, dass Felix soeben Einblick in meinen privaten Kontakt zu meiner Lehrerin bekommen hat. Bevor sein Grinsen dann schief wurde, als ich ihm in die blassgrünen Augen schaute, die mich an alte Tannennadeln erinnerten. "Ähm" "Erzähl. Mir. Alles!" Ich schluckte, überlegend ob ich mich noch irgendwie aus der Affäre hätte ziehen können und dann erzählte ich einfach los, da ich keinen Ausweg sah. Und zwar alles und es fühlte sich total richtig und befreiend an, als wäre das Verhältnis zwischen Nina und mir eine riesige Last. Ein großes Geheimnis, obwohl wir doch lediglich Mannschaftskameradinnen waren und sie halt einen meiner Aussetzer live mitbekommen hatte.  In dem Zuge berichtete ich Felix auch von meinen Angststörungen und zwar auch hier alles. Er hatte wirklich etwas an sich, was es mir leicht machte, über das Intimste zu reden, was es in meinem Leben gab und es fühlte sich so verdammt gut an. Er stellte die richtigen und intelligenten Fragen und war dabei so empathisch, dass er mich in meinen Erzählungen immer weiter trieb und ehe wir uns versehen konnten, war es halb vier und ich fand es richtig schade, dass wir nicht mehr Zeit hatten. Vor meiner Einfahrt gab er mir einen leichten Kuss auf die Wange und sagte: "Wir reden weiter, ja? Und wenn sowas..." Er deutete mit dem Daumen nach links auf die andere Straßenseite, wo Nina nun schon drei Mal ihren Wagen geparkt hatte. "...wieder passiert, unterrichtest du mich sofort!" Ich nickte ein wenig irritiert und fragte mich, was er in das ganze hineininterpretierte, doch auf die Antwort würde ich warten müssen. Highfive und er ging weiter Richtung Bushaltestelle. Ich sah ihm mit zusammengezogenen Augenbrauen nach, bis er hinter der Ecke zur Hauptstraße verschwand. Kapitel 13: ------------ Den restlichen Sonntag gammelte ich in meinem Bett herum und schaute YouTube, ohne wirklich aufzupassen, weshalb ich nach kurzer Zeit nur noch Musik hörte. Die Hausaufgaben schaffte ich gerade so zwischen zu schieben. Es mangelte mir an Motivation für alles. Meine Familie sah ich auch erst zum Abendessen und machte danach mit meiner eintönigen Zeittodschlagmaßnahme weiter. Die Nachricht von Nadine, die dafür verantwortlich war, dass Felix Einblick in meinen geistigen Zustand und die Verbindung zu Nina bekommen hatte, hatte ich vollkommen vergessen. Und auch das Eintreffen von Felix Nachricht gegen zehn Uhr abends, in der er mir von seinem Treffen mit Raphael erzählte, änderte daran nichts mehr. Seine Nachricht platzte schier vor lauter Emojis. Es war gut gelaufen, er würde mir morgen genauer berichten, war total KO und würde nun schlafen gehen. Ich antwortete nicht, obwohl ich noch die halbe Nacht wach lag und nicht schlafen konnte. Darum war ich am nächsten Morgen auch total gerädert, als mein Wecker mich aus den paar Stunden Schlaf riss, die ich noch bekommen hatte, aber es half nichts. Ich folgte meinen morgendlichen Riten und traf vor unserer Auffahrt auf Felix, der mir erst mal lang und breit von seiner Fotosession mit Raphael berichtete. Der junge Fotograf schien wirklich angetan von ihm gewesen zu sein. Felix hatte alle Outfits benutzt und sich auch in Bademode fotografieren lassen. Danach hatte Raphael noch für sie beide gekocht und abschließend gefragt, ob sie sich bald auch mal ohne ein Objektiv zwischen einander treffen könnten. Felix fragte mich auch, ob es Neuigkeiten von Nina gab und ich verneinte einfach. Was ja auch wahrheitsgemäß war, nur wollte ich auch nicht so wirklich darüber reden. Alles was mit ihr zutun hatte verwirrte mich eh mehr als alles andere und ich befürchtete, dass eine weitere Meinung mich nur noch mehr durcheinanderbringen würde. Empathisch wie Felix war, beließ er es dabei und wir unterhielten uns weiter über Raphael. Im ersten Block, in Deutsch, war Nina definitiv Frau Klee. Mit herablassender Gleichmut zog sie ihren Unterricht durch. Ich bekam nicht mal ein Zwinkern oder eine hochgezogene Augenbraue. Zugegeben, ich wollte mir auch keine Blöße geben und arbeitete konzentriert mit. Irgendwie fand ich es ein wenig amüsant, dass ich derlei Reaktionen offenbar nur mit Fehlverhalten hervorrufen konnte. Aber nur, weil Frau Klee mir kaum ihre Aufmerksamkeit schenkte, hieß es nicht, dass sie nicht sie selbst gewesen wäre. Mit scharfen, sarkastischen Kommentaren brachte sie Barbie, alias J-C, alias Jaqueline-Chantal, in der letzten Reihe ein ums andere Mal zum Verstummen, bevor einer ihrer Fanboys auch nur daran denken konnte zu lachen. Vor allem auf Daniela neben mir hatte sie es besonders abgesehen. Des Öfteren war ich der Meinung, dass ihre bösen Blicke mir galten, aber sie durchbohrten in Wahrheit meine Sitznachbarin. Es war wirklich auffällig, wobei man fairerweise sagen musste, dass ich vermutlich ein besonderes Augenmerk auf meine Lehrerin warf. Daniela ihrerseits schien alles vollkommen kalt zu lassen und ich beneidete sie so dermaßen dafür. "Gib mal 'n Zettel, please", flüsterte mir meine Tischnachbarin zu, ohne den Schirm ihres neonorangen Cappies zu heben. Ich dachte nicht weiter darüber nach und riss einen Zettel aus meinem Collageblock, um ihn ihr rüber zu schieben. Geräuschvoll klatschte ihre Hand flach aufs Papier und sie wollte gerade den Zettel zu sich ziehen, als Frau Klee sich vor unserem Tisch aufgebaute und nun tatsächlich zu mir runterfunkelte. Ihre braunen Augen waren so düster, dass ich das Gefühl hatte, es würde unendlich weit in ihnen weitergehen. Und sie starrte eiskalt auf mich herab. Kein verspielter Funke, kein Zwinkern, kein Kopfschütteln. Es ließ mich schlucken und ich nahm langsam meine Hand von dem Zettel, den Daniela nun zu sich zog. "Gib Ashley den Zettel zurück, Danni!", befahl sie, ohne meine Sitznachbarin anzuschauen. Ihr Blick ruhte auf mir und ließ einen Schauer meine Wirbelsäule hoch krabbeln, der wie kleine Stecknadeln beinah schmerzhaft in meine Haut stach. Daniela schob den Zettel zurück ohne aufzusehen. Das Gesicht unter dem Cappy versteckt. "Ich möchte nicht, dass du Danielas Faulheit auch noch unterstützt. Wenn sie meint ihr Arbeitsmaterial nicht mit zur Schule bringen zu müssen, ist das ihr Problem, verstanden Ashley?" Obwohl ihre Stimme noch immer befehlend und emotionslos war, löste es wieder etwas in mir aus, dass sie mich beim Namen nannte. Es fühlte sich intim an. Ich war ihr plötzlich wieder nah. Am liebsten hätte ich meine Hand auf ihre gelegt, die sie währenddessen auf unseren Tisch gelegt hatte, um sich zu uns zu beugen. Ich nickte zaghaft, um ihr zu deuten, dass ich sie verstanden hatte, doch sie verharrte an Ort und Stelle und starrte weiter auf mich herab. Ihre Augenbraue zuckte, doch sie unterdrücke wohl den Impuls. Dennoch reichte es, dass mir siedend heiß ins Unterbewusstsein schoss, worauf sie wartete und so sprach ich, bevor ich darüber nachdenken konnte. "Verstanden, Frau Klee!" Meine Statur hatte sich dabei automatisch etwas gestrafft, als wären wir beim Militär und ich fühlte einen, mir unerklärlichen Zwang, mich ihr gegenüber so unterwürfig wie möglich zu verhalten. Nachdem sie kaum merklich genickt und sich vom Tisch gestoßen hatte, senkte ich sofort meinen Blick und konzentrierte mich wieder auf unsere Aufgabe. "Gib mir den scheiß Zettel wieder!", zischte Daniela, sobald Frau Klee sich etwas entfernt hatte. Ohne sie anzuschauen flüsterte ich ein "Nein" zurück. Ich wollte den Unmut meiner Lehrerin wirklich nicht auf mich ziehen. Es war nicht direkt Angst, aber ich wollte ihr einfach in keiner Hinsicht missfallen und irgendwas in mir sagte, dass ich dafür lediglich machen müsste was sie verlangte. Daniela murmelte etwas Unverständliches und zog ihn einfach unter meiner Hand weg. "Hey!" Sie ließ sich nicht beirren. "Ist doch nur 'n Zettel!" "Aber..." Weiter kam ich nicht. "Jetzt reicht's! Ihr bleibt beide morgen nach der achten Stunde hier. Nachsitzen!" Was? Nein! Morgen ist Dienstag. Zwischen Schule und Training hatte ich eh kaum Zeit, das wusste sie ganz genau. Warum ausgerechnet morgen? Ich wollte gerade anfangen zu argumentieren, dass mir der Zettel doch einfach entwendet worden sei, jedoch unterbrach mich meine Tischnachbarin. "Boah, Alter." Daniela hatte ihren Kopf erhoben und zeigte mir mit ihren ausdrucksstarken, grünen Augen ein genervtes Augenrollen. Frau Klee war währenddessen von der hintersten Reihe wieder zu uns nach vorne gekommen. Ich spürte ihre Nähe hinter mir. Sie hielt sich an meinem Stuhl fest. Mein Herz setzte einen Schlag aus. "Wie war das?" Ich bezweifelte, dass ihre Stimme noch mehr Verachtung und Kälte ausstrahlen konnte, aber der leise Hauch von Wut gab ihr etwas so Bedrohliches mit, dass ich mich wieder unterbewusst auf meinem Stuhl aufrichtete und versteifte. Daniela warf nur lässig ihren Kopf in den Nacken und schaute über ihre Schulter hoch zu unserer Lehrerin. "Was'n? Soll ich mich freuen oder was?" Ich hörte wie sich Frau Klees Fingernägel in die Lehne meines Stuhls bohrten und sah aus dem Augenwinkel, wie sie sich zu meiner Sitznachbarin herunterbeugte, bis ihre vollen Lippen nah dem Ohr Danielas waren. "Eigentlich hatte ich mir das genau so gedacht", sagte Frau Klee so leise, dass nur Daniela es hätte hören sollen, ich verstand es dennoch. "Doch nicht wenn die da ist." Meine Tischnachbarin träumte an mir vorbei und doch wusste ich genau, dass sie mich mit die gemeint hatte. Ich sah Frau Klees Schmunzeln, bevor sie sich zurückzog und aufrecht hinstellte. "Du wirst nicht anfangen meine Entscheidungsgewalt in Frage zu stellen, Danni." Die Angesprochene entließ geräuschvoll die Luft aus ihren Lungen. "Ja, Frau Klee." Das Zähneknirschen war deutlich herauszuhören, trotzdem drehte Frau Klee sich von uns weg und schenkte wieder anderen Schülern ihre Aufmerksamkeit. Ich starrte noch immer Daniela an und fragte mich was ich da gerade gehört hatte. Meine Lehrerin klang als wäre Nachsitzen ein Vergnügen, für das Daniela dankbar sein müsste und diese wollte es ganz offensichtlich nicht mit mir teilen. Unzählige Fragen lagen mir auf der Zunge, doch ich wagte es nicht, auch nur eine davon auszusprechen. Zu groß war die Angst, Frau Klee mit weiterem Fehlverhalten zu missfallen. Nach dem Unterricht war Daniela dann als erste in die Pause geflüchtet und beraubte mich so einer anderen Gelegenheit sie zu fragen, was es mit dem Nachsitzen auf sich hatte, dass sie und Frau Klee auf diese Weise darüber tuschelten. Dass ich Nina selbst hätte fragen können kam mir erst im späteren Verlauf des Tages in den Sinn und ich hatte tatsächlich überlegt ihr zu schreiben. Ich fand dann aber, dass ich es nicht zu meinem Vorteil nutzen dürfte, dass wir abseits der Schule etwas miteinander zu tun hatten, wobei die Rollenverteilung von Lehrerin und Schülerin nichtig war. Ich seufzte, auf meinem Bett liegend. Am liebsten hätte ich sie gefragt, ob wir das Nachsitzen verschieben könnten. Ich müsste wohl meine große Sporttasche samt genügend zu Trinken mit zum Unterricht nehmen und nach dem Nachsitzen eine Weile in der Schule warten bis das Training anfing. Um 16:30 wäre der fünfte Block zu Ende und um 17:30 würde das Training beginnen. Noch mal nach Hause zu fahren wäre zwar machbar, aber ich verabscheute Stress und das würde definitiv stressig werden. Immerhin betrug die reine Fahrzeit von der Schule nach Hause und wieder zurück schon 40 Minuten. Da wartete ich lieber eine Stunde in der Schule. Nach dem Abendbrot machte ich noch meine Hausaufgaben, legte die ausgefüllten Formulare für den Vereinsbeitritt bereit und schlief früh ein, wofür ich am nächsten Tag mehr als dankbar war. Es würde ein langer Tag werden. Ich kam morgens dann auch richtig gut aus dem Knick und nicht nur mir, sondern auch Felix fiel meine unerklärliche, gute Laune auf. Die Busfahrt zur Schule war, obwohl der Bus überfüllt war wie immer und ich meine volle Sporttasche mit mir rumschleifte, die Angenehmste, die ich bis dahin zu verzeichnen hatte. Mein Unbehagen war auf einem Tief und ich unterhielt mich angeregt mit Felix, ohne die vielen Menschen um uns herum wirklich zu beachten. Es war seltsam... Vielleicht lag es daran, dass heute ein Trainingstag war. Ich freute mich auf die freundlichen Frauen in meiner Mannschaft. Die Art und Weise, wie sie mich in ihrer Mitte aufnahmen tat meinem Selbstwertgefühl womöglich richtig gut und vielleicht fieberte ich weiteren Streicheleinheiten für meine Seele entgegen. Im ersten und zweiten Block hatten wir Naturwissenschaften im Erdgeschoss und hier konnte ich neben Felix sitzen, was meine Laune weiter anhob. So musste ich nicht bei Daniela hocken, deren Ausstrahlung und Art ich nicht durchschauen konnte, was mir automatisch Unbehagen bereitete. In den letzten beiden Blöcken ignorierte mich die Blondine neben mir und auch dafür war ich dankbar. Als wir schließlich die letzte Pause schweigend und allein nebeneinandersaßen und auf Frau Klee warteten, war ich der Meinung, dass nichts meine gute Laune heute trüben konnte. Das Erscheinen von Frau Klee änderte das jedoch schlagartig und es traf mich wie ein Hammerschlag, dass diese Frau so großen Einfluss auf mein Befinden nehmen konnte. Ihr freundliches Outfit, bestehend aus einer luftigen, ärmellosen hellgelben Bluse zu einer hautengen orangefarbenen Jeans, die in braunen Highheels mündete, stand im Kontrast zu der strengen Miene, mit der sie unseren Klassenraum betrat. Das kastanienbraune Haar wehte stoßweise hinter ihren energischen Schritten her, die sie an das Lehrerpult führten, auf das sie knallend ihre schwere Ledertasche schmiss. "Schön, dass ihr wenigstens den Anstand habt, zum Nachsitzen zu erscheinen", kommentierte sie unsere Anwesenheit herablassend und begann sogleich in ihrer Tasche zu wühlen. Ihre Handgriffe wirkten grob, beinah unbeholfen, womöglich aber auch einfach wütend. War sie wütend auf uns, weil wir uns in ihrem Unterricht nicht benommen hatten? Oder machte ihr etwas anderes zu schaffen? Widererwartend blieb ein spitzer Kommentar seitens Daniela aus. Nicht mal ein genervtes Murmeln ließ sie über ihre Lippen kommen und sie nahm sogar ihr schwarzes Cap ab, um ihre blonde Mähne zu offenbaren, die ihr in sanften Wellen auf die Schultern fiel. Bei dem Anblick fragte ich mich, wie sie es schaffte, die Haare überhaupt in die Kopfbedeckung rein zu stopfen. Danielas gesamte Haltung überraschte mich. Sie schien nicht wie sonst auf Ärger aus zu sein. Im Gegenteil, sie wirkte gerade fast wie eine Streberin. Die Haltung gerade, der Kopf aufrecht, nur die Augen waren zum Tisch gesenkt. Der Duft von Pfirsich entzog ihr schließlich meine Aufmerksamkeit, denn Frau Klee war gerade an uns vorbei Richtung Tür gegangen. "Steh’ auf, Danni. Du kommst mit mir." Daniela tat ohne Verzögerung wie ihr geheißen und folgte unserer Lehrerin mit gebührendem Abstand aus dem Klassenzimmer. Ich war irritiert. War das ein Test? Geistesabwesend starrte ich auf den leeren Platz neben mir. Daniela hatte nicht einmal einen Stift mitgenommen, geschweige denn ihr Cappy. Und auch Frau Klee hatte den Klassenraum mit leeren Händen verlassen. Kopfschüttelnd schaute ich eine kurze Weile auf die Tür, durch die die Beiden soeben verschwunden waren, bis das Vibrieren meines Handys meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit einem Zucken der Schultern fischte ich es aus meiner Tasche. So schnell würde meine Lehrerin wohl kaum zurück sein. Überraschung und Verwirrung machten sich in mir breit, als der Vorname meiner Lehrerin aufleuchtete. Die Neugier überwand die Überraschung schnell, dennoch entsperrte ich den Bildschirm wirklich irritiert. Nina: Du wirst diese 5 Aufgaben ausführlich und handschriftlich bearbeiten. Die Verwirrung in mir wuchs auf ein neues Level, während ich mir die einzelnen Punkte durchlas. 1) Definiere Gehorsamkeit. 2) Wie unterscheidet sich Gehorsam von Folgsamkeit? 3) Wo ist Gehorsam in der Gesellschaft integriert? 4) Wie sollte ein Regelverstoß von Jugendlichen gehandhabt werden? 5) Wie hat man sich gegenüber einer Person in leitender Position zu verhalten? Ich überflog die Zeilen mehrere Male. Sollte das Einsicht fördern? Ich saß hier völlig zu Unrecht und war mir sicher, dass das Frau Klee auch klar war, aber vielleicht wollte sie ein Exempel an mir statuieren, oder Daniela zeigen, dass ihr Verhalten auch andere runterziehen konnte, wenn es dumm lief. Diese Überlegungen halfen mir allerdings wenig beim Bearbeiten der Aufgaben und so suchte ich in mir nach einer Antwort, zunächst auf die erste Frage. Kapitel 14: ------------ Ich kramte in den Tiefen meines Gehirns nach einer Antwort, auf die erste Aufgabe. 1) Definiere gehorsames Verhalten. Gehorsam war das Befolgen von Befehlen und Verboten. Geboten und Verboten. Das schrieb ich auf. Gehorsam konnte auch eine Haltung sein. Eine Innere wie eine Äußere. Wie eine Ausstrahlung. Sich dem Willen von jemand anderem unterzuordnen. Gehorsam konnte aber auch erzwungen sein. Man konnte auf verschieden Arten gehorsam sein, fiel mir dann auf. In der Erziehung musste man gehorsam sein, aber auch im Beruf, oder beim Militär! Aus idealistischen Gründen, oder eben erzwungen. Oder ganz einfach aus freiem Willen heraus. Das gab es doch auch, oder? Man konnte sich auch einfach dazu entscheiden gehorsam zu sein, ohne einen direkten Vorteil daraus zu schlagen. Irgendwas machte der Gedanke mit mir. Meiner Logik fiel der Gedanke daran sich dem Willen eines anderen einfach um des Unterwerfens Willen zu unterwerfen zwar schwer, aber in mir verteilte er eine gewisse, wohlige Ruhe. 2) Wie unterscheidet sich Gehorsam von Folgsamkeit? Folgsamkeit war doch genau das selbe wie Gehorsam, oder nicht? Wobei folgsam waren wohl eher Kinder und auch Tiere, nicht? Irgendwie blind, fand ich. War Folgsamkeit vielleicht ein Ergebnis aus Gehorsam? Ein Automatismus? Vielleicht war es etwas Selbstverständlicheres? Etwas Natürlicheres. Immerhin steckte das Wort folgen darin. Ich stellte mir dabei eine Entenfamilie vor, in der die Küken folgsam ihrer Mutter hinterher watschelten. Ich notierte es so. 3) Wo ist Gehorsam in der Gesellschaft integriert? Gehorsam war überall in der Gesellschaft integriert, der Gedanke war mir schon bei der ersten Aufgabe gekommen. Es begann spätestens im Kindergarten. Kinder mussten ihren Eltern gehorchen, dann den Erziehern, es folgten Lehrer und schließlich Arbeitgeber, oder Geschäftspartner. Religion. Militär. Gesetze mussten eingehalten werden. Ohne Gehorsam funktionierte die Gesellschaft nicht. In klassischen Rollenverteilungen in Ehen folgte die Frau den Anweisungen ihres Mannes. Das war sicherlich in vielen Beziehungen auch heutzutage noch so. Und man konnte sich schlicht dazu entscheiden, dachte ich wieder. 4) Welche Maßnahmen sollte man gegenüber schwererziehbaren Jugendlichen ergreifen? Die vierte Frage zu beantworten fiel mir schwer. Es war, als sollte ich mir meine Strafe selbst aussuchen, aber wie sadistisch war das denn bitte? Unter dem Gesichtspunkt meiner Lehrerin, warum auch immer, gefallen zu wollen, dürfte eine Strafe nicht zu schwach sein. Sie musste die Ernsthaftigkeit ausdrücken, die ich dabei empfand, meinen Fehler wirklich sühnen und es nicht einfach nur hinter mich bringen zu wollen. Aber so war diese Frage ganz sicher nicht gemeint. Oder? Also überlegte ich, welche Maßnahmen man ergreifen konnte. Zu erst dachte ich an Hausarrest, dass man das Smartphone wegnehmen könnte, Fernsehen, Computer. Eltern hatten durchaus Handhabe. Was konnten Lehrer tun? Nachsitzen, klar. Ich spürte es gerade am eigenen Leib. Schlechte Noten. Sicherlich. Dabei fiel mir ein, dass Mom mir mal erzählt hatte, dass Opa zu seiner Schulzeit des Öfteren mit einem Schlüsselbund beworfen worden war, wenn er im Unterricht gestört hatte. Irgendwoher wusste ich auch, dass Schüler früher mit dem Rohrstock geschlagen wurden, hatten sie etwas ausgefressen. Ich konnte mir nicht einmal etwas unter einem Rohrstock vorstellen, aber das würde sicherlich bei dem ein oder anderen helfen. Ich lachte über meine komischen Gedanken und fasste sie irgendwie zusammen. 5) Wie verhält man sich gegenüber autoritären Personen? Gehorsam. Die Antwort war so klar in mir, dass ich sie direkt so zu Papier brachte und ich bewunderte Frau Klee ein wenig dafür, wie sie mir diesen Gedanken mit diesen Aufgaben eingetrichtert hatte, auch wenn ich mir etwas manipuliert dabei vorkam. Ich begann eine neue Zeile und schrieb noch weitere Adjektive wie respektvoll, freundlich, brav, artig, unterwürfig oder dienlich dazu und irgendwie machte jedes Wort mehr mit mir. Ich konnte es nicht greifen, was die Worte mit mir machten, aber am Ende war der Wille in mir noch stärker Nina Klee zu gefallen. Auf sie zu hören. Gehorsam zu sein. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst und dachte mir nichts weiter dabei, bevor ich die zwei DinA4 Seiten, die ich vollgeschrieben hatte noch einmal durchlas. Ja, das war doch ganz okay, oder? Reichte das? Ich schmückte es etwas aus. Schreiben konnte ich durch meine viele Leserei ganz gut. Aufsätze, Inhaltsangaben und Buchbesprechungen waren voll mein Ding. Das hatte mich wortgewandt gemacht. Als ich endlich der Meinung war fertig zu sein, warf ich das erste mal einen Blick auf die Uhr über der Tür vom Klassenraum. Es war schon 16:20 Uhr und erst jetzt fiel mir bewusst auf, dass ich die ganze Zeit alleine gewesen war. Erst da fragte ich mich wo Frau Klee Daniela wohl hingeführt haben könnte und ob sie die ganze Zeit zusammen gewesen waren. Dabei wunderte es mich, dass sie nicht ein Mal hier gewesen war um nach mir zu sehen. Irgendwie war ich fast ein wenig beleidigt. Ich hätte einfach den Klassenraum verlassen und wieder kommen können, bevor der Block zu Ende war. War es so klar, dass ich hier einfach sitzen bleiben würde um diese merkwürdigen Aufgaben zu bearbeiten? Wirkte ich so...gehorsam? Das Öffnen der Tür riss mich unerwartet hart aus meinen Gedanken und ich erntete sowohl Kopfschütteln, als auch eine hochgezogene Augenbraue von meiner Lehrerin. Mein Herz machte einen erfreuten Hüpfer in meiner Brust, doch der Anblick von Daniela, die hinter ihr den Raum betrat, lenkte mich direkt wieder ab. Sie sah einfach nur fertig aus. Ein anderes Wort wollte mir einfach nicht dafür einfallen. Ihr Haar stand hie und da ab, obwohl man sehen konnte, dass sie notdürftig versucht hatte es zu richten, ihre Statur war irgendwie gedrungen und ihr Kopf gesenkt. Sie sah aus, als sehnte sie ihr Cappy herbei. Die Augen waren zu Schlitzen verengt und sahen sogar etwas geschwollen aus. Hatte sie geweint? Hatte Frau Klee ihr so sehr ins Gewissen geredet? Sie wirkte so schwach. Doch als sich unsere Blicke trafen schenkte sie mir ein schwaches Lächeln, das trotzdem ihre Augen erreichte und somit überhaupt nicht zu ihrer Erscheinung passte. Wie erwartet schnappte sie sich direkt ihre Cap, nachdem sie sich neben mir auf ihren Stuhl niedergelassen hatte und zog dessen Schirm tief ins Gesicht. Ihr Anblick weckte eine Angst in mir, wobei es eher Ehrfurcht war, und der Entschluss in mir, Frau Klee gegenüber mit gutem Verhalten zu glänzen, reifte weiter. "Hast du alle Aufgaben bearbeiten können, Ashley?" Gott, der Ton meiner Lehrerin war so unglaublich sanft, sie sang meinen Namen beinah zärtlich und der Ausdruck auf ihren makellosen Zügen passte perfekt dazu. "Ähm...ich hoffe doch", presste ich angestrengt zwischen den Zähnen hervor und linste zwischenzeitlich wieder zu Daniela, die ungerührt auf ihrem Platz verweilte. "Also, ich habe zu jeder Aufgabe etwas aufgeschrieben, natürlich", fügte ich noch hinzu, riss die beiden Zettel aus meinem Collageblock und schob sie an den Rand meines Tisches, nachdem Frau Klee näher gekommen war. "Sehr schön." Sie nahm die Zettel auf und überflog kurz den ersten Absatz. Ich fragte mich, ob sie das irgendwie bewerten, oder einfach nur in den Müll werfen würde. Sie nickte einmal in Gedanken und es klingelte zum letzten Mal heute. Da Daniela nicht mal ausgepackt hatte, schulterte sie nur ihren Rucksack und war schon aus den Sitzreihen geschossen, als sie aufgehalten wurde. "Danni?" Die Angesprochene gefror in ihrer Bewegung und wurde einer Salzsäule gleich. Frau Klee überwand die wenigen Schritte zu ihr und stand nun vor Daniela. Sie sagte nichts und verlagerte ihr Gewicht nach einigen Augenblicken von einem Bein auf das andere. Die Bewegung sah unglaublich sexy aus und ich schob den Gedanken, dass ich offensichtlich...nein, ganz sicher was für Frauen übrig hatte eilig von mir, um meine Aufmerksamkeit weiter auf den Beiden zu halten. Mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand tippte Frau Klee auf den Schirm von Danielas Cap und die zuckte einmal merklich. Ich schluckte, als wieder keine Reaktion kam, Frau Klee zurück auf das andere Bein wippte und nun den Schirm so weit hinauf schob, dass das Cappy nur noch halb auf dem wirren blonden Haar von Daniela lag. Diese schaute auf. Immerhin war unsere Lehrerin durch ihre Highheels ein beträchtliches Stück größer. "Geht doch", kommentierte sie den Augenkontakt, auf den sie gewartet zu haben schien. "Du benimmst dich in Zukunft, mh?" Danielas Kiefer zuckten, doch sie nickte. Ich sah, wie unsere Lehrerin streng eine Augenbraue hochzog und Daniela gab den Augenkontakt auf. "Ja, Frau Klee", sagte sie kleinlaut und die Angesprochene präsentierte ein zufriedenes Grinsen. "Fein, dann hab noch einen schönen Nachmittag!" "Danke, tschüss!", sagte Daniela etwas zu laut, was wohl daran lag, dass ihr Abschiedsgruß auch mir galt, sie hatte mich ja dabei auch angesehen. "Tschüss", erwiderte ich sichtlich verwirrt und schob mein Arbeitsmaterial zusammen. Frau Klee streckte sich vor mir ausgiebig und seufzte einmal gedehnt, bevor sie auf mich zu kam. Ihr Lächeln irritierte mich und ich konzentrierte mich lieber auf meine Sachen, die ich Stück für Stück in meinen Eastpack räumte. "Musst du noch mal nach Hause?" "Mh?", machte ich und verstand nicht gleich. Sie hockte sich kopfschüttelnd vor den Tisch und schaute zur Seite. "Ach, du hast dein Sportzeug dabei. Schlau!" Sie zwinkerte und legte grinsend ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab und ihr Kinn auf ihre verschränkten Hände. Der Anblick war so süß. Er hatte etwas Kindliches, wie sie da hockte und zu mir hoch grinste, aber es fühlte sich auch total sonderbar an. Falsch. "Dann hast du ja jetzt auch 'ne Stunde Leerlauf, mh?", fragte sie noch immer betont vergnügt. Allmählich fingen die Zahnräder in meinem Gehirn wieder an ineinander zu greifen. "Ähm, ja. Mir war 'ne Stunde zu knapp um nach Hause zu gurken. Ich hab ja heute Dank des Nachsitzens kaum Zeit zwischen Schule und Training." Am liebsten hätte ich mir für den provozierenden Unterton die Hand vor den Mund geschlagen, aber meine Lehrerin vor mir grinste nur noch breiter zu mir hinauf. "Tja, dann überleg dir das nächste Mal einfach besser, ob du meinen Unterricht störst!" Sie legte ihren Kopf seitlich auf dem Unterarm ab und es sah beinah bequem aus. Es war zu süß! Ich wollte mich in ihrem Anblick vergessen und dämlich vor mich hin grinsen, aber da fiel mir ein, dass ich hier völlig zu Unrecht saß. "Daniela hat mir den Zettel einfach geklaut und dafür krieg' ich Nachsitzen aufgebrummt!?" Nina zog ihre Augenbraue hoch, was ihrer Miene direkt etwas Verschlagenes gab, doch sobald sie sich wieder senkte grinste sie nur ein weiteres Mal. "Na und?" Bitte?! "Wie, na und? Ich konnte nichts dafür, hab' ja nicht mal was gemacht!", verteidigte ich mich weiter. "Ihr habt meinen Unterricht gestört", stellte sie noch immer lächelnd fest. Ich wollte weiter argumentieren, irgendetwas erwidern, aber mein Mund öffnete und schloss sich nur einige Male, bis ich es schließlich aufgab. Nina grinste gewinnend während sie sich erhob und zurück ans Pult schlenderte. "Pack ein, ich lade dich auf einen Kaffee ein." "Öhm...na gut?" Ihr glockenklares Lachen drang an meine Ohren und ließ mich schief und irritiert grinsen. "Wie wär's mit gerne, Nina?" "Klar, gerne Nina", gab ich automatisch zurück und packte eilig den Rest meiner Sachen zusammen. Auf dem Weg warfen wir unsere Taschen in Ninas gelben Mazda und überquerten nur einmal die Straße um ein kleines Café zu erreichen, das mir bis dato noch nicht aufgefallen war. Am Tresen bestellte sie für sich einen Milchkaffee und ich einen einfachen Pott Kaffee. Das kleine Café hatte etwas Romantisches. Selbst die Stuhllehnen waren verschnörkelt und überall fanden sich helle Pastelltöne und kleine Verzierungen. Es sah alles abgenutzt und verbraucht aus, ein wenig zusammengewürfelt auch, aber im Ganzen doch stimmig. Außerdem war es beinah leer, wodurch mir das Café gleich noch viel besser gefiel. Wir nahmen an einem beigen, kleinen Holztisch Platz, von dem schon an einigen Stellen die Farbe abgeblättett war. Nina schaute etwas verträumt aus der Fensterfront auf unsere Schule und überschlug elegant die Beine, wobei mir mal wieder auffiel wie schön ich sie fand. Als sie meinen Blick bemerkte zog sie grinsend eine Augenbraue hoch und schüttelte in alter Manier den Kopf. "Ich sagte doch, dass du damit aufhören musst, kleine Traumtänzerin." Ertappt schoss es mir heiß in die Wangen. Ich fragte mich, ob mein Unterbewusstsein absichtlich dafür sorgte, dass sie mich so oft dabei erwischte, einfach nur weil mir ihre Reaktion so gefiel. "Ich kann nichts dafür", verteidigte ich mich also ehrlich, aber auch halbherzig. "Ach nein?" Ich schüttelte, noch immer peinlich berührt, aber bestimmt mit dem Kopf. Nina verzog ihre vollen Lippen verführerisch, doch ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen zog sie aus ihrer Hosentasche einen säuberlich zusammengefalteten Zettel. Unsere Bestellung wurde von der freundlichen alten Dame serviert, die sie zuvor auch am Tresen aufgenommen hatte und ich beobachtete Nina dabei, wie sie den Zettel auseinander faltete, während ich Zucker und Kondensmilch in meinen Kaffee gab. Ich erkannte, dass es zwei Blätter waren und außerdem meine Handschrift. Sie begann zu lesen und ich zog die Augenbrauen zusammen. "Echt jetzt?", fragte ich verwundert. "Mh?" "Naja, sind wir jetzt nicht aus der Schule raus, Nina?" Ich betonte ihren Namen ein wenig um ihr zu verdeutlichen, dass ich darauf hinaus wollte, dass wir hier privat saßen, nicht als Lehrerin und Schülerin. Sie verstand und schenkte mir ein bezauberndes Lächeln. "Wie kommst du darauf, dass diese Aufgabe etwas damit zutun hatte?" Meine Augenbrauen bildeten zwischen sich schließlich eine tiefe Falte, denn das verstand ich nun erst recht nicht. "Logische Schlussfolgerung? Immerhin ging es um Erziehung. So im weitesten Sinne." Sie lachte nur, trank einen Schluck Kaffee und las weiter. "Was war das überhaupt für ein komisches Thema? Das hat doch nichts mit unserem Unterricht zutun", drängte ich nach einer Weile weiter. "Eben, Schlauberger." Sie schaute nicht mal auf und es nagte allmählich an meiner Geduld. "Und wo warst du eigentlich die ganze Zeit mit Danni?", wollte ich auch noch wissen und brachte sie damit dazu meine Zettel auf dem Tisch abzulegen. Sie sah mich zunächst nur an. Undeutbar und das gefiel mir nicht. Sie schien zu überlegen. "Das geht dich nichts an", sagte sie schließlich schroff. Natürlich ging es mich nichts an, aber auf die Fragen zuvor hatte sie ja auch nicht reagiert. "Dann sag mir wenigstens was du mit dieser komischen Aufgabe bezweckst, wenn es schon nichts mit der Schule zutun hat!" Ihre Miene wurde weich und sie nahm die Blätter wieder in die Hand. Wechselte auf die nächste Seite. "Ich will dich besser kennenlernen", sagte sie schlicht und bevor ich groß über ihre Worte nachdenken konnte erwiderte ich schon: "Und das tust du am Besten in dem du mir Aufgaben zum Thema Gehorsam stellst?" Sie grinste und nickte erfreut. "Allerdings. Das sagt mehr über jemanden aus, als du denkst." "Und was sagt es über mich aus?" Sie zog wieder ihre perfekt geformte Augenbraue hoch und las die zweite Seite, ohne mir zu antworten. Am Ende begannen ihre dunklen Augen auf merkwürdige Weise zu funkeln und sie starrte auf ein und denselben Punkt auf der zweiten Seite. Ich versuchte die Richtung auszumachen und war mir sicher, dass es das Gehorsam unter der letzten Aufgabe war. Sie hob ihren Blick und sah mir direkt in die Augen. Ich musste schlucken. Der Blick war wieder so verlangend, wie samstag Nacht, als ich mich vor ihr ausgezogen hatte und sofort schlug mir mein Herz bis zum Hals. Sie faltete die Blätter zusammen und ließ sie wieder in ihrer Tasche verschwinden. "Gehorsam", begann sie und machte eine Kunstpause. Das Wort aus ihrem Munde, mit dem Klang ihrer melodischen Stimme hallte erst in meinen Ohren und dann in meinem Inneren wieder. Es war anziehend. Das Wort an sich? Oder wie sie es aussprach? Ich wusste es nicht, aber ich hing an ihren Lippen. "Ein interessantes Thema, nicht? Es gefällt mir was du über die Freiwilligkeit im Bezug auf Gehorsam geschrieben hast. Meinst du, dass man komplett selbstlos gehorsam sein kann? Einzig um einem anderen Menschen zu gefallen?" Kapitel 15: ------------ Ich wog meine Antwort genau ab und Nina ließ mich. Das war gar nicht so leicht zu beantworten, vor allem da ich bezweifelte, dass ein Mensch, ganz gleich wie gut er war, wirklich komplett selbstlos handeln konnte. Und dementsprechend fiel meine Antwort dann auch aus. "Ich denke, dass ein anderer Mensch einem wichtiger sein kann als man selbst, ja. Aber wenn ich jemandem so sehr gefallen möchte, dass ich alles tue was er sagt, dann ist das nicht selbstlos." Sie zog interessiert eine Augenbraue hoch, was mich ermutigte weiter zu reden. "Ich denke, wenn ich jemandem so sehr gehorche, und wenn es noch so sehr den Anschein macht, dass es selbstlos ist, dann steht doch der egoistische Gedanke dahinter, dass ich von diesem Menschen eben gemocht werden möchte. Wobei ich nicht denke, dass das etwas Schlechtes ist. Man würde sich nur etwas vormachen. Selbst wenn ich einer alten Omi über die Straße helfe, tue ich das aus dem egoistische Impuls heraus, dass ich mich danach gut fühle, weil ich etwas Gutes getan habe." Ich atmete gedehnt aus, Nina nickte bedächtig. "Du hast recht, Ashley. Alles was wir tun, ist mehr oder weniger egoistischen Motiven geschuldet. Und jemandem gefallen zu wollen ist vielleicht in Wahrheit der egoistischste Antrieb dem man überhaupt folgen kann. Aber anders betrachtet, ist es doch ein schöner Gedanke, dass ich jemandem so viel mit einer noch so kleinen Geste der Zuneigung geben kann, dass er bereit wäre alles für mich zu tun, denkst du nicht?" Auf unerklärliche Weise fesselte mich das Thema und gleichermaßen fragte ich mich, ob Nina wusste, wie sehr ich ihr bereits gefallen wollte. Wie wenig theoretisch diese Worte schon für mich geworden waren. Diese Erkenntnis ließ mich schlucken. Es war mir klar gewesen und doch wollte ich es nicht wahrhaben. Was war diese Frau im Stande in mir auszulösen? Würde ich alles für sie tun wollen, für eine kleine Geste der Zuneigung? Ja... Nein! Wir sprachen theoretisch. Und auch, wenn ich spürte, wie etwas Greifbares zwischen uns entstand, war sie noch immer meine Lehrerin. Die tiefere Bedeutung, die ich dem Thema zuschrieb, entsprang ganz allein meinem verwirrten Geist. Teenager Hormone. Überraschend entfachte sexuelle Begierden gepaart mit der Art und Weise, wie sie mir gegenüber trat. Die lasziven Blicke, das Flirten, die Tatsache, dass sie mir das Gefühl gab, für mich da sein zu wollen. All das zusammen machte mich zu einem folgsamen Kind, das sich nichts sehnlicher wünschte als, auf Katzengröße geschrumpft, in ihrem Schoß zu liegen und die Geborgenheit zu spüren, die sie ausstrahlen konnte. Ich fühlte mich so klein in ihrer riesigen Präsenz und ich genoss es. Dass ich keine Geheimnisse haben brauchte, da diese Frau mir scheinbar ja doch jede Gefühlsregung ablesen konnte. Es war befreiend und mir war einfach nicht klar warum. Oder warum gerade sie dieses Gefühl in mir auslösen konnte. Ein leises Lachen riss mich aus meinem inneren Monolog und ich starrte Nina eine Weile an, ohne die Gegenwehr, die sonst immer versuchte mich davon abzuhalten. Stattdessen sprach ich wieder. "Ich glaube, dass so etwas eine tiefe Verbindung zwischen zwei Menschen aufbauen kann, viel tiefer als in anderen Beziehungen, aber man trägt auch eine große Verantwortung, oder? Also der, dem Gehorsam entgegengebracht wird." Ihr Blick wurde glasig, irgendwie verträumt. "Die Verantwortung wäre wirklich eine gewaltige Belastung, der man gewachsen sein muss und du siehst, dass solch eine Verbindung zwei ganz besondere Menschen erfordert, die so perfekt ineinander greifen, Ashley." Sie sah durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es einen Menschen gab an den sie bei dem Thema dachte. Jemand dem sie sich auf diese Weise hingab. Oder jemand der sich ihr auf diese Weise unterordnete, einzig um ihr zu gefallen? Ich wollte ihr in diesem Moment so sehr gefallen. "Jemanden zu haben, dem man auf diese Weise gefallen will, muss toll sein", sprach ich meine Gedanken einfach laut aus, wohlwissend, dass Nina sie mir sowieso ansah. Ihr Blick stellte sich scharf und sie fixierte mich. "Ist das so? Meinst du es ist so leicht nach den Regeln eines anderen zu leben? Wie oft bist du schon bei rot über eine Ampel gegangen? Wie oft hast du Restmüll in die gelbe Tonne geworfen?" Ich schluckte. Sie hatte einen Punkt und ich verstand, dass sie auf Frage vier hinaus wollte. Welche Maßnahmen sollte man gegenüber schwererziehbaren Jugendlichen ergreifen? Sie sah die Erkenntnis auf meiner Miene und sprach darum weiter: "Wie sollte ich also jemanden bestrafen, der mir Gehorsam geschworen hat?" Alles was ich aufgeschrieben hatte um diese Frage zu beantworten rauschte durch mein Gehirn und nichts davon erschien mir ausreichend. Wie konnte ich einen Fehler vor jemandem sühnen, dem ich mich freiwillig untergeordnet hatte? Wie konnte es genug sein, mein Handy eine Woche wegzulegen, oder zu Hause zu bleiben? Das Bild eines Priesters erschien vor meinem geistigen Auge. Das einzige was mir vergleichbar erschien. Wie taten gläubige Menschen Buße, wenn sie gegen die Gebote ihres Gottes verstoßen hatten? Wir, meine Familie und ich, waren Atheisten, weshalb ich nicht viel Ahnung davon hatte, aber natürlich wusste ich, dass sie beichteten. Aber dieses Bild von dem Priester, das sich in meinen Kopf brannte, veränderte sich und er hielt eine Peitsche in der Hand um sich selbst damit zu schlagen. Läuterung. War das die Antwort? Schmerzen ertragen, damit man bewies, dass es einem leid tat? Der Gedanke erschien mir zunächst zu extrem, weshalb ich den Harmloseren für eine Antwort wählte. Zum Glück hatte Nina mir großzügig Zeit gelassen und geduldig gewartet, damit ich meine Gedanken sortieren konnte. "Erstmal sollte man beichten, wenn man irgendeinen Mist gebaut hat." Ich sprach so fremdgesteuert, obwohl ich doch meine Gedanken aussprach, dass ich das Gefühl hatte ich würde direkt aus meinem Innersten heraus sprechen. Ohne Filter. Nina nickte und lächelte mich sanft an. Sie sah zufrieden aus und das machte mich glücklich. Ob ich ihr gefiel? "Beichten vermittelt vertrauen. Das Vertrauen sich in die Gnade des anderen zu begeben. Aber stell dir vor, du hättest eben solchen Mist gebaut. Wäre dir die Beichte als Wiedergutmachung genug? Davon ausgehend, dass deine Unterwerfung freiwilliger Natur ist. Wenn du ganz ehrlich bist? Dir selbst gegenüber. Vielleicht würde dir durch die Beichte verziehen, aber könntest du dir auch selbst verzeihen?" Ich brauchte komischerweise nicht überlegen und schüttelte einfach zaghaft mit dem Kopf. "Nein", sprach Nina meine stumme Antwort aus. "Du würdest etwas tun wollen, richtig? Oder etwas ertragen." Das Wort ertragen löste etwas in mir aus und schickte einen Schauer meine Wirbelsäule hinauf. In meinen Gedanken traf die Peitsche auf blanke Haut und aus dem Priester war ich selbst geworden. Ich schlug mich selbst und spürte zwar keinen Schmerz (wie auch?), aber eine innere Ruhe. Genugtuung. Ausgeglichenheit. Geistesabwesend wiederholte ich das Wort ertragen laut und Ninas Augen wurden eine Nuance dunkler. Sie sah mich wie gebannt an. Abwartend. Erwartend. "Schmerzen ertragen", vollendete ich endlich meinen Gedankengang und war überrascht wie wenig Überwindung es mich gekostet hatte, dies auszusprechen. Ich beobachtete wie die Anspannung aus Ninas Gesicht fiel und wie sie sich ausatmend auf dem Stuhl zurücklehnte. Sie brauchte etwas um die kindliche Freude die auf ihrer Miene abzulesen war, wegzuwischen und wieder neutral zu wirken, doch ich hatte es genau gesehen. Dieser dunkle Glanz in ihren Augen. Was ging bei dem Thema denn bitte in ihrem Kopf vor? "Interessant", sagte sie nur und ignorierte meinen irritierten Gesichtsausdruck. Sie schwang mit einer eleganten Bewegung ihr Handgelenk vor ihr Gesicht und betrachtete das innenliegende Ziffernblatt ihrer Uhr. "Wir müssen rüber, sonst kommen wir noch zu spät. Carsten kommt mit Absicht immer als letzter, weil er es hasst, wenn wir zu spät kommen", erklärte sie lachend, doch ich hörte nur halb hin. Hing dem Gespräch nach, während wir aufstanden und Nina am Tresen unseren Kaffee bezahlte. Auf dem kurzen Weg zur Sporthalle, vorbei an ihrem Cabrio, redeten wir kein Wort und ich war froh, meine Gedanken nochmal überschlagen zu können, auch wenn nichts anderes dabei rumkam, als vorher. Der Gedanke, mich jemandem unterzuordnen, ihm so sehr gefallen zu wollen, dass ich sogar Schmerzen für ihn ertrug, faszinierte und erschreckte mich gleichermaßen. Erst unser Eintreffen bei unseren Teamkameradinnen wischte diese Gedanken fort, denn ich wurde mit einer stürmischen Umarmung von unserem Kapitän begrüßt. Dazu kribbelte ein Kuss von Jenna heiß auf meiner Wange und ich musterte die Blondine ausgiebig. Mein Herz revidierte das wohlige Kribbeln mit einem verhaltenen Sprung. Jenna hatte noch keine Sportklamotten an, wie es letzten Freitag der Fall gewesen war und stand vor mir in einem luftigen, weißen Sommerkleid, dass ihre wunderschönen, langen Beine betonte. Ihr Haar fiel offen und glatt auf ihre Schultern und ließ ihr Gesicht schmaler wirken. Auf ihrer Nase saß eine dunkelblau gerahmte Sekretärinnenbrille, über deren Rand sie mich musterte. Die Brille machte sie sexy, anders war es nicht zu beschreiben. "Schön, dass du da bist, Ash! Hast du die Formulare dabei?", überfuhr sie mich ohne Umschweife, was mich nervös lachen ließ. "Eh, klar!" Sie grinste freudestrahlend und holte sich ein Highfive von Nina ab. "Na, El Niño? Hast deinen Vorsprung weiter ausgebaut, mh?" Nina grinste gewinnend und meine Nervosität stieg. Was hatten die beiden denn da nur am Laufen? Die Anderen begrüßten mich derweil und Merle stöhnte genervt. Ich ignorierte das und versuchte stattdessen mitzubekommen, was Nina und Jenna besprachen. "Ich weiß nicht wovon du sprichst! Ashley musste nachsitzen und danach haben wir einen Kaffee zusammen getrunken." Ninas Grinsen strafte ihre Worte Lügen und Jenna wusste das auch ganz genau. "Pah, ich brauche solche Spielchen hintenrum nicht. Mein Charme kriegt das schon ganz alleine hin!!", erwiderte unser deutlich größerer Kapitän selbstbewusst. Nina hob abwehrend die Hände. "Das hat doch auch keiner behauptet!" Mit langen Schritten kam Jenna auf mich zu, legte ihren Arm um meine Schulter und führte mich einige Meter weg von unseren Mitspielerinnen. Über die Schulter hatte ich Nina einen Blick zugeworfen, der rückblickend etwas in sich getragen hatte, das wie die Bitte um eine Erlaubnis ausgesehen hatte und Nina hatte mir auch ein aufmunterndes Lächeln zurückgesandt. Dieses Lächeln war der Grund gewesen, warum ich keine Anstalten gemacht hatte, mich gegen Jennas Berührung oder ihre Entführung zu wehren. In meinem Rücken spürte ich, auch als wir schon einigen Abstand zwischen die anderen Frauen und uns gebracht hatten, noch immer den Blick aus Ninas dunklen Augen. Und obwohl sie sich in mein Rückgrat zu bohren schienen, hatte der Blick etwas Beruhigendes, etwas Bestätigendes und vor allem etwas Beschützendes. Der Griff um meine Schulter nahm einen Augenblick lang an Intensität zu und presste mich eng an Jennas muskulösen Körper. Ihr Geruch drang mir in die Nase, salzig, wild und urtümlich. Er erinnerte mich an das Meer in Kalifornien. Ich liebte das nasse Element in jeder seiner Formen. Ob aus der Dusche, regnend vom Himmel oder tosend im Meer und so hatte dieser Duft, der von Jenna ausging, etwas von nach Hause kommen. Ich lehnte mich sogar in ihre Umarmung, bevor mir klar wurde, wie komisch diese Situation war. Immerhin kannten wir uns kaum und die Umarmung fühlte sich für diesen kurzen Augenblick vertraut und intim an. Ich schielte hoch zu meinem Kapitän, die seicht vor sich hin lächelnd, ihr Kinn auf meinem Kopf abstützte. Jenna strahlte etwas so Nettes und Ehrliches aus. Sie gab mir das Gefühl, einfach alles sagen zu können, durch ihre freundliche Aura. Sie nahm mir die Angst vor Zurückweisung und davor, Fehler zu machen. Das sanfte Lächeln, das ihre rosa Lippen zierte, bestärkte dieses irrationale Gefühl nur weiter. "Was soll das eigentlich mit euch beiden, Jenna?", fragte ich direkt und vor allem, ohne wirklich darüber nachzudenken. Tatsächlich öffnete die Angesprochene etwas verwundert die Augen und grinste zu mir runter. Vielsagend. Zog eine schmale, braun nachgezogene Augenbraue hoch über den Rand ihrer Sekretärinnenbrille. Die Geste stand Jenna, nahm ihr die fast langweilige Freundlichkeit und der freche Glanz in ihren hellblauen Augen nahm mich in Beschlag. Okay, es war einfach sexy. "Das, liebe Ashley, erkläre ich dir gern bei einem Abendessen. Sagen wir morgen um sieben?" Ein wohliger Schauer überzog meinen Körper, den ihre Finger auslösten, die federleicht über meinen Oberarm tänzelten, während sie sprach. Ich schluckte die Erregung, die er verursachte herunter und nickte benommen. "Klar", antwortete ich und ließ ihr Grinsen breiter werden. "Schön, dann haben wir morgen ein Date!", sagte sie laut und ich wusste, dass es mehr für Ninas Ohren als die meinen bestimmt war, doch das war mir egal. Zurück bei den anderen Frauen stieß gerade Carsten zu uns, der mich ebenso zielstrebig ansteuerte, wie es zuvor Jenna getan hatte. Freudestrahlend nahm er die Anmeldung entgegen, die ich ihm überreichte und dirigierte uns zu den Umkleiden. Eine ausgelassene Hochstimmung begleitete das Team und mich während des Trainings und ich ließ mich in meinem Sport fallen. Neben Elsa fuhr ich zu Glanzleistungen auf und blockte einige von Jennas harten Schmetterbällen, die meine Hände brennen ließen, mit Bravur. Nach dem Training fühlte ich mich angenehm ausgelaugt, genau so, wie es sein sollte und begleitete die anderen Frauen in die Umkleidekabine. Erst als sie anfingen sich zu entkleiden und die Schutzblase, die mein Sport um mich gelegt hatte, sich langsam auflöste, wurde mir klar, dass mich die Nacktheit zwischen und ausgehend von den Frauen noch immer überforderte, ganz genau so, wie am Freitag. Ich bummelte also so gut es ging und hielt meinen Blick auf dem Boden, bis die meisten Frauen in der Dusche verschwunden waren. Leise seufzend steckte ich mein Handy zurück in meine Tasche, als sich eine in ein oranges Handtuch gehüllte Frau neben mich auf die Holzbank setzte. Der fruchtige Geruch von Pfirsich, gepaart mit dem, den der Sport zwangsläufig hinterließ stieg mir in die Nase und ich wusste, dass es Nina war. "Soll ich dir beim Ausziehen wieder helfen?" Ich sah entsetzt in das dunkle Schokoladenbraun und fühlte die Hitze, die sich augenblicklich auf meinen Wangen ausbreitete. Die Herzschläge vergingen. Ich starrte schon wieder. Nina lachte sanft und es beruhigte mich ein wenig. "Zieh dich aus", befahl sie ebenso sanft, aber die Autorität, die in ihrer Stimme mitschwang beeinflusste mich viel mehr. Ich benahm mich albern. Natürlich war mir das immer klar, sobald meine unlogischen Ängste die Überhand nehmen wollten und irgendwie wollte ich mir diese Blöße gerade nicht geben. Ich wollte nicht wieder so schwach vor Nina sein. So würde ich ihr sicher nicht gefallen. Der Gedanke verdrängte die Angst und ich begann mich zu entkleiden. Sie hatte sich währenddessen ihrer Sporttasche zugewandt, um nach ihrem Duschgel und Shampoo zu kramen, wie ich dann sah, als sie die beiden Plastikflaschen heraus zog. Ich war gerade in mein grünes Handtuch gewickelt, als sie sich zu mir drehte und anerkennend nickte. Schnell holte ich mein Waschzeug hervor und atmete einmal tief ein und aus. Auf meine Tasche starrend verharrte ich noch eine Weile so, bis sich eine Hand auf meine nackte Schulter legte. Die Berührung ließ mich erschrocken herumfahren, sie schien glühenden heiß, doch Nina lächelte nur wissend und ließ Geborgenheit in mir aufsteigen. "Na komm, Kleines. Ich bin ja bei dir." Kapitel 16: ------------ Dass Nina mich in die Dusche zog, sorgte automatisch dafür, dass ich den Blick nicht von ihr abwenden konnte. Lässig wickelte sie ihr großes oranges Handtuch von ihrem wohlgeformten Körper und lächelte mir, zwar anzüglich und mit erhobener Braue, aber vor allem aufmunternd zu. Von Vertrauen und Mut gepackt tat ich es ihr gleich und hängte mein Handtuch neben ihres. Nina nickte kurz und trat an mir vorbei. In dem Moment streifte mich eine nackte Schulter, plötzlich hörte ich das Prasseln der laufenden Duschen um mich herum überdeutlich und mit brachialer Härte wurde mir wieder bewusst, dass ich nicht alleine mit Nina in der Dusche war. "Sorry", murmelte eine Frau im Vorbeigehen und verschwand aus meinem Blickfeld. Die Gemeinschaftsdusche wurde plötzlich immer kleiner und die nackten Leiber meiner Mitspielerinnen drängten näher. Alle starrten mich auf einmal an und mir wurde schlagartig heiß. Mein Blick huschte zwischen den Frauen hin und her, die ich nicht mehr unterscheiden konnte und meine Atmung wurde hektisch. Eine Berührung an meinem Handgelenk ließ mich geräuschvoll die Luft einziehen, wenn auch es vom Tosen der Duschen überdeckt wurde. Jemand schob sich in mein Blickfeld, nahm meine komplette Aufmerksamkeit ein. Ich verlor mich in einem sanften Haselnussbraun. Nina. Ihr Blick war eindringlich und konzentriert. Er nahm mich gefangen und schlagartig schaltete mein Körper den unnötigen Überlebensmodus wieder ab. Mit den Augen deutete sie zur Seite und ich folgte ihrem Blick. Ich fand einen freien Duschplatz, zu dem Nina mich langsam dirigierte, bevor sie mein Handgelenk losließ. Sie nahm die Dusche direkt neben meiner, so dass ich sie die ganze Zeit aus dem Augenwinkel anschauen konnte. Sie zu fixieren beruhigte mich und nahm meine Aufmerksamkeit in Beschlag, so dass ich mich auf meine Körperpflege konzentrieren konnte. Als die Dusche dann zu Ende war, bereute ich es regelrecht, dass ich in meiner Konzentration nicht genauer hingeschaut hatte. Wer wusste, ob ich so bald wieder derartig ungeniert auf den perfekten Körper meiner Lehrerin starren durfte. Aber auch während ich mich umzog, hielt ich meinen Blick konzentriert auf ihr, ohne mir wirklich einprägen zu können, was ich sah. Erst als ich komplett angezogen war, konnte ich aus diesem Tunnel treten und hatte auch wieder einen Blick für meine Umgebung. Tatsächlich hatten die meisten die Umkleidekabine schon verlassen. Lediglich Nina, Christina und Jenna waren noch da und alle längst fertig angezogen, während ich erst nach meiner Hose griff. Nina schnürte gerade ihren zweiten Schuh zu und schaute dann undeutbar zu mir auf. “Alles in Ordnung, Ashley?”, begann sie so leise, dass nur ich sie hören konnte. “Soll ich dich nach Hause fahren?”, fügte sie noch hinzu, bevor ich die erste Frage beantworten konnte. Ich schluckte, wissend, dass sie eine Lüge sofort durchschauen würde. Zaghaft nickte ich, bevor ich zu einer ausführlicheren Antwort ansetzen wollte, doch Jenna fuhr mir gut gelaunt über den Mund. “Meinste nicht, dass du deinen Vorsprung genug ausgebaut hast, El Niño?” Augenblicklich verhärteten sich Ninas Züge. “Vermutlich. Tu’ mir ‘nen Gefallen und bring die Kleine nach Hause”, antwortete sie emotionslos, ohne ein weiteres Wort schulterte sie ihre Sporttasche und rauschte aus der Umkleide. “So ‘ne Dramaqueen”, kam es von draußen. Merle betrat wieder den Raum und wandte sich an ihre Freundin, die meiner Lehrerin ebenso verdattert hinterher geschaut hatte wie ich. “Hast du’s bald, Chrissi?” “Eh, Ja. Fertig.” Jenna schnalzte mit der Zunge, als auch Christina und Merle die Kabine verlassen hatten und schüttelte mit dem Kopf, bevor sie mich angrinste. “Wenigstens ist sie nicht komplett unfair.” “Nina?” Ich hätte jetzt gern eine Augenbraue hochgezogen. Jenna tat es für mich und nickte, noch immer grinsend. “Was ist das da zwischen euch eigentlich?”, wollte ich wieder wissen und das Grinsen der Blondine auf der anderen Seite des Doppel-U's wurde milde. “Nur ein harmloser kleiner Konkurrenzkampf”, wich sie der Frage mehr aus, als dass sie sie beantwortete. “Um Frauen?” Ich war selbst über meinen nüchternen Tonfall verwundert und auch Jenna sah mich kurz überrascht an, bevor sie um die Bänke herum an mich heran trat. Vor mir angekommen musterte sie mich ernst und bei dem Gedanken, dass ich ins Schwarze getroffen haben könnte, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Jenna schürzte die Lippen und legte einen Arm um mich. “Frauen würde ich so nicht sagen”, begann sie und schaute anzüglich meinen Körper von unten bis oben an, “aber vielleicht eine bestimmte Frau.” Sie zwinkerte und ich spürte, wie es mir heiß in die Wangen schoss. “Was denn?”, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. “Du bist eine wunderschöne junge Frau, Ash. Da kann es schon mal vorkommen, dass Freundinnen zu Rivalinnen werden.” Sie lachte sichtlich amüsiert. Ich schob besorgt die Augenbrauen zusammen. Ich wusste gar nicht, was mich gerade mehr zerstreute. Das offensichtliche und unverhohlene Interesse, welches Jenna mir entgegen brachte oder dass sie gerade erklärt hatte, dass Ninas Interesse an mir von der selben Natur war. Im Schock dieser Erkenntnis gefangen, blieb ich stumm. Jenna drückte meine Schulter, was mich ihr direkt in die hellen blauen Augen schauen ließ, die von ihrem sanften Lächeln erreicht wurden. “Hey, entspann dich, Ash.” Ihr Gesichtsausdruck hatte sich wieder in das freudestrahlende gewandelt, das ich bis dato gewohnt war, an ihr zu sehen. “Ich erkläre es dir morgen richtig, ja? Jetzt bring ich dich erst mal nach Hause, wie von El Niño aufgetragen.” Und das tat sie dann auch. Allerdings überraschenderweise schweigend. Während der Fahrt beobachtete ich meinen Kapitän genau. Sie war sehr konzentriert beim Fahren, was an dem alten Corsa liegen mochte, der hier und da bedrohlich in den Kurven quietschte. Dennoch irritierte mich ihr Unwille, mir ein Gespräch anzubieten, sehr. Immer offen, schien Jenna keineswegs wie jemand, der eine 15 Minuten andauernde Autofahrt schweigend hinter sich brachte. Obwohl es mich so wunderte, kamen wir vor dem Haus meiner Familie zum Stillstand, ohne dass ich es über mich bringen konnte, ein Gespräch von mir aus zu beginnen. Endlich sah sie mich wieder an. In dem Moment, da ihre Züge wieder die entspannte Offenheit annahmen, die ich bis hierhin gewohnt war, wurde mir klar, dass ihre freundliche Art mich sehr ansprach. Das Schweigen hatte mir mit jeder Minute mehr missfallen, auch wenn es keine negativen Gefühle in mir ausgelöst hatte. Es hatte mich einfach gestört, dass es so still war. “Da wären wir.” “Da wären wir”, wiederholte ich ihre Worte. “Ich hole dich morgen um sieben ab, ja?” Das helle Blau ihrer von zierlichen Lachfältchen umgebenen Augen funkelte mich freundlich an. “Ähm ja”, antwortete ich unbeholfen, bevor mich doch die Neugierde packte. “Was machen wir eigentlich?” “Ich lade dich ins Casa del Capitano ein”, lachte sie leise. “Ich werde für dich kochen.” Sie zwinkerte spitzbübisch und sah ein wenig aus wie eine Vierzehnjährige. Niedlich! Lächelnd nickte ich ihr bestätigend zu. Zu süß fand ich den Gedanken, dass mich jemand zu sich einlud, um dann für mich zu kochen. Weiter konnte ich in dem Moment nicht denken, weshalb ich die Beifahrertür mit einer unschuldigen Vorfreude öffnete, ausstieg und nochmal in den Innenraum des alten Corsas grinste. “Dann bis morgen Abend, Jenna.” Sie nickte und warf das wallende blonde Haar zurück, bevor sie den Motor startete. “Ich freu mich drauf, Ash!” Verlegen lächelnd, schlug ich die Tür zu. Ich freute mich auch. Bevor ich schlafen gegangen war, hatte ich Felix noch eine recht ausschweifende Nachricht geschrieben, die von Nina und Jenna handelte. Er hatte schon geschlafen, weswegen er mich jetzt am frühen Morgen direkt mit dem Thema überfuhr, noch bevor ich ihm einen schönen guten Morgen wünschen konnte. “Du hast von Jenna noch gar nicht groß was erzählt”, meinte er aufgeregt im Gehen und gestikulierte wild mit den Händen, bevor er nach einer kleinen Pause hinzufügte: “Ist sie heiß?” Er vollführte über die schwarzen Ränder seiner Nerdbrille eine perfekte Welle mit den Augenbrauen, die mich lauthals loslachen ließ. “Man, keine Ahnung, Felix. Ich weiß doch gar nicht, ob ich auf Frauen stehe. Und plötzlich sind da diese beiden Frauen und ich kriege diese ganze schräge Aufmerksamkeit und zack, hab ich ein” Ich musste durchatmen bevor ich das Wort laut aussprechen konnte. “Date?” Mein fragender Unterton ließ Felix noch breiter grinsen. “Ein waaas?” Er packte mich an der Schulter und bewog mich so zum Stehenbleiben. Ernst schaute er mich an und atmete einmal tief durch, bevor er weiter sprach. “Duuu denkst es ist ein Date? Was habt ihr denn vor?!” Ich schluckte und lachte nervös. Wieso machte er denn jetzt so eine riesen Sache daraus? “Ähm, sie hat mich zu sich eingeladen und will uns was kochen.”, erklärte ich so beiläufig wie möglich und drängte mich an ihm vorbei, wobei es mir herzlich egal war, dass ich ihn dabei nicht gerade sanft mit der Schulter streifte. Mit drei großen Schritten hatte er mich wieder eingeholt und schaute mich ungeniert an, während ich bemüht war, stur geradeaus zu schauen. “Du weißt schon, dass das ziemlich intim für ein erstes Date ist, mh?” Ich wurde hellhörig und konnte nicht verhindern, dass die mühsam unterdrückten Bedenken allmählich an die Oberfläche drängten, bei dem Wirbel, den Felix machte. “Meinst du?” Ich verzog irgendwie ängstlich das Gesicht und schaute ihn nun doch wieder an. Felix wiederum wandte den Blick kurz darauf gedankenverloren ab und überlegte sichtlich. “Naja, eine Einladung nach Hause ist schon irgendwie deutlich, meinst du nicht? Zum Essen gibt's bestimmt eine Flasche Wein, hinterher vielleicht einen Verteiler. Womöglich shaked sie dir in ihrer Hausbar ein paar Cocktails und schwups hat sie dich in der Kiste. By the way. Bist du eigentlich noch Jungfrau, Ash?” Aus seinem grübelnden Blick wurde, während er sprach, immer mehr ein Verschlagener und nachdem er geendet hatte, konnte er sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Zur Antwort nahm ich all meine Kraft zusammen und boxte ihm hart gegen den Oberarm. Konnte allerdings nicht sehr weh getan haben, denn es tat seinem Gelächter keinen Abbruch. Ich verdrehte genervt die Augen und er hob beschwichtigend die Hände. “Ja, sorry! Kann doch sein.” “Jenna ist nicht so. Die ist irgendwie so freundlich. Die würde sowas nicht tun.” Nun verdrehte Felix seine grünen Augen. “Ach bitte, Ash. Bei Sex hört die Freundschaft auf, egal, wie nett jemand ist. Und dass sie auf dich steht hat sie ja wohl deutlich genug gemacht, oder? Also, hast du schon mal…?” Er wackelte grinsend mit den Augenbrauen. Jetzt hätte ich so gern wie Nina, oder Jenna eine Augenbraue gehoben. So aber blieb mir nichts anderes übrig, als Felix eine Weile argwöhnisch anzufunkeln, bevor ich resignierend seufzte und mit dem Kopf schüttelte. Er legte daraufhin freundschaftlich einen Arm um meine Schulter, was mich für einen Augenblick zusammenfahren ließ. In das satte Grün seiner Augen aufschauend beruhigte ich mich so schnell, wie die Anspannung gekommen war. Seine sanfte Miene bereitete mir Wohlbehagen. “Hast du Bock drauf?” Ohne zu überlegen nickte ich und Felix lachte leise. “Ja, ja”, sagte er verträumt. “Wenn die Hormone erstmal die Oberhand ergreifen.” Taten sie das? Ohne Zweifel waren in mir im Laufe der letzten Tage unbekannte Gefühle erwacht. Rückblickend definitiv auch sexueller Natur und ja, Jenna war sehr anziehend. “Jenna ist schon heiß”, gab ich also leise zu, was Felix wieder zum Grinsen brachte. “Also kannst du dir vorstellen, mit ihr zu vögeln, mhhh?” Zur Antwort nickte ich verlegen, holte dann allerdings aus. “Aber will ich das? Mich beim ersten Date gleich flachlegen lassen? Ich mein…” Ich unterbrach mich, unfähig meine Gedanken sortieren zu können. “Was? Beziehung und Liebe und so? Ash, du bist achtzehn. Ob da mehr draus wird oder nicht ist doch völlig Latte. Nimm den Sex doch mit, wenn er sich ergibt.” Er meinte was er sagte, so ernst brachte er den Inhalt dieser Aussage rüber. “Mhm, stimmt schon”, erwiderte ich gedankenverloren. Und bei genauerem Darübernachdenken fand ich das auch wirklich. Jenna war wirklich eine durchtrainierte Schönheit und lieb und freundlich obendrein. Wenn nichts aus uns werden würde, könnte ich sicher auch so immer noch gut mit ihr klarkommen. Aber wollte ich das überhaupt? Dass etwas aus uns wird? Unweigerlich musste ich an Nina denken. Die Gefühle, die sie in mir hervorrief, waren so anders. Intensiver. Ich fühlte mich ihr irgendwie so zugehörig. So verbunden. Auch wenn mein Verstand natürlich immer wieder dagegen rebellierte, schließlich war sie meine Lehrerin, hatte ich das Gefühl, dass meine Empfindungen für sie weitaus tiefer gingen. Ich schüttelte den Kopf. Felix hatte mich offenbar in den Sekunden, die ich meine Gedanken habe schweifen lassen, nicht aus den Augen gelassen, denn er schaute mich fragend an. “Was’n?” “Nichts”, log ich unbeholfen und erntete einen bohrenden Blick. “Ne, oder?”, begann Felix und ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. “Lass das. Sofort!” “Was’n?”, wiederholte ich seinen plumpen Wortlaut. “Du denkst an die Klee. Lass den Blödsinn.” Die Klee. Das klang schrecklich. Am liebsten hätte ich ihn für diese Dreistigkeit geschlagen, so aber verzog ich die Lippen zu einer Schnute und fühlte mich nicht mal ertappt. “Du musst gerade hupen. Raphael ist doch auch schon 30! Außerdem ist Jenna auch so in dem Dreh.” Felix errötete direkt als ich den Namen seines Schwarms aussprach und ich wollte schon gewinnend Grinsen, als er weitersprach. “Rapha ist aber nicht mein Lehrer und die Klee ist sicher schon über 30!” Er nahm den Arm von meinen Schultern und verschränkte ihn zusammen mit dem Anderen vor seiner Brust. Ich seufzte. “Ja, voll egal wie alt sie ist. Sie ist meine Lehrerin.” Was sollte ich sonst sagen? Das war eine unbestreitbare Tatsache. Sie war nun mal verboten. Ich seufzte schwärmerisch. Die Faszination, die ich für Nina empfand, könnte ich vor Felix eh nicht mehr verbergen. Felix schwieg den weiteren Weg bis zum Bus, was mir Zeit gab, die Erkenntnisse dieses Gesprächs zu verarbeiten. Ich stand offensichtlich auf Frauen. Okay. Das hätte ich auch mal deutlicher mit mir ausmachen können, war nun aber nicht weiter von Belang. Ich würde heute Abend ein richtiges Date haben. Ein Date mit Jenna, die überhaupt keinen Hehl daraus machte, dass sie auf mich stand. Was sollte ich also damit anstellen? Es wirklich einfach drauf ankommen lassen, so wie Felix sagte, oder langsam an die Sache rangehen? Jenna war sicherlich eine Frau, in die man sich verlieben konnte. Sie schaffte es immer, Körperkontakt zu mir herzustellen, ohne dass ich mich dabei unwohl fühlte. Das war ein großer Punkt für sie. Aber die Gedanken an Nina pochten in meinem Hinterkopf, hämmerten hart gegen meine Rippen und machten mir klar, welchen riesigen Platz sie bereits in meinem Bewusstsein eingenommen hatte. Wobei ich nicht richtig definieren konnte was ich denn überhaupt für sie empfand. Ich war fasziniert von ihr. Ihre dunkle Schönheit zog mich an, machte mich an. Sie übte irgendeine Macht auf mich aus, die ich nicht benennen konnte. Sie hatte sich um mich gekümmert. War mir ein Anker geworden. Irgendwie. Ich spürte diese Schuld. Ich war ihr in so kurzer Zeit so viel schuldig geworden. Es fühlte sich an, als hätte ich mich ihr versprochen, wobei sie doch so unerreichbar war. Zumindest sollte sie das sein, aber sie schien sich nicht viel aus den Regeln zu machen, die Anstand und Sitte vorgaben. Von den Gesetzen ganz zu schweigen. Auch wenn ich schon 18 Jahre alt war und sie sich somit nicht direkt strafbar machte, würde sie ihren Job definitiv riskieren. War es meine Aufgabe mir ihren Kopf zu zerbrechen? Nein. Dennoch, es war schlauer mich auf Jenna zu konzentrieren. Und das tat ich dann auch. Kapitel 17: ------------ Der verdammte Schultag raste dahin, weshalb ich kaum noch Zeit hatte, mich weiter mit dem zu beschäftigen, was am Abend bei Jenna auf mich warten würde. Und das machte mich unterschwellig zunehmend nervöser. Erst als die Glocke den Unterricht für heute beendete und ich mit Felix durch die Gänge schlenderte, konnte ich wieder ein bisschen meinen Gedanken nachhängen. Wir schleppten uns gerade das große Treppenhaus hinunter, welches heute leider nicht in seinen wunderschönen Facetten erstrahlte, da es bewölkt war. Bevor ich meine Grübeleien dann wieder richtig in Gang setzen konnte, wurden sie jäh unterbrochen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie gerade im Begriff war, uns zu überholen, als Felix’ Begrüßung meine Aufmerksamkeit auf sich zog. “Hallo, Frau Klee! Schönen Feierabend.” Auf dem geraden Stück in der Ecke des Treppenhauses drehte sie sich zu uns um. Sie sah fantastisch aus, in ihrer engen Jeans, dem braunen Blazer und den dazu passenden Boots. Ihr streng hochgestecktes Haar ließ sie autoritärer wirken als eh schon und ich versteifte mich, als sich unsere Blicke trafen. Automatisch wich ich Ihrem aus und senkte sogar den Kopf etwas dabei. “Vielen Danke, Felix. Ich wünsche euch einen...”, sie machte eine Pause und suchte offenbar nach dem passenden Adjektiv, “...netten Abend.” Mir auf die Unterlippe beißend atmete ich erleichtert aus, als sie sich auf dem Absatz umdrehte und die Treppen weiter hinab stieg. Felix pfiff leise durch die Zähne, als sie einigen Abstand zu uns aufgebaut hatte. “Alter, jetzt weiß ich was du meinst”, flüsterte er mir zu und unterstrich die Aussage, indem er seine Hand schüttelte, als hätte er sie verbrannt. “Da ist ja echt was zwischen euch.” Boah, ja! Danke! Innerlich freute es mich wirklich, dass ich augenscheinlich kein Ding an der Klatsche hatte und mir die ganzen Flirtereien zwischen Nina und mir nicht nur einbildete. Ich zuckte aber nur mit den Schultern. Gut war an der ganzen Sache noch immer rein gar nichts. Kein wirklicher Grund zur Freude. “Meinst du, sie weiß von deinem Date mit Jenna nachher?” “Keine Ahnung, aber sie ist gestern schon ziemlich angepisst gewesen, im Bezug auf Jenna.” Felix zog grinsend beide Augenbrauen über die Ränder seiner Nerdbrille und ließ sie verheißungsvoll tanzen. “Erzähl. Mir. Alles!” Zunächst musste ich das aufkommende Lachen unterdrücken, weil seine Worte ein Deja vu in mir auslösten, und dann erzählte ich ihm knapp von der Situation gestern in der Umkleidekabine. So viel war das ja nun auch wieder nicht, aber klar, ich erzählte ihm vom kurzen Aufeinanderprallen von Nina und Jenna und wie schnell Nina dann abgedampft war. Felix kommentierte das Revue passieren dieser Situation mit einem gedehnten Seufzer und schaute mich eindringlich an. “Wie war das Nachsitzen gestern eigentlich?”, fragte er mich nach einer Pause, in der wir den Weg zur Bushaltestelle hinter uns gebracht hatten. “Echt merkwürdig! Hätte ich jetzt gar nicht mehr groß drüber nachgedacht, wenn du mich nicht gefragt hättest.” Er betrachtete mich fragend, weshalb ich ohne große Unterbrechung weiter erzählte. “Sie hat mir nur einen Zettel in die Hand gedrückt und ist mit Danni abgedamft, ohne Zettel, Stift, oder sonst was. Danni hatte nicht mal ihr Cappy auf. Das war ultraschräg.” Felix’ Blick sprach Bände und wie um diesen noch zu unterstreichen rieb er sich grübelnd das Kinn. “Waren die die ganze Stunde weg?” “Mhm”, machte ich in Gedanken und als mir dann wieder einfiel, was für Fragen auf dem Zettel standen, sprudelte alles weitere aus mir heraus. Ich erzählte ihm von den Fragen, was ich darauf geantwortet hatte und auch von Ninas Ansätzen dazu, die sie mir im Cafè näher gebracht hatte. Sein Blick schweifte immer weiter in die Ferne, bis ich mir nicht mehr sicher war, ob er nicht mit seinen Gedanken vielleicht schon ganz woanders war, doch dann sah er mich unvermittelt an und fing an verschlagen zu grinsen. “Theorie!” Der plötzlich laute Klang seiner Stimme dröhnte mir kurz in den Ohren, doch ich nickte nur, um ihn zum Weitersprechen aufzufordern. “Die Klee ist eine Mädchen fressende Femme Fatale und zieht die armen Dinger über die Fifty Shades-Schiene in ihren Bann!” Empört betrachtete ich meinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen und er streckte mir die Hand entgegen, um jeden Einwand im Keim zu ersticken. “Danni hatte bei ihr eine ‘besondere’ Stunde Nachsitzen. Und wurde dafür, dass sie immer so scheiße dreist ist, hart bestraft.” “Du spinnst doch!”, stieß ich schließlich aus, als Felix laut zu lachen begann, und strafte ihn mit einem tadelnden Blick. Doch dann wurde er rasch wieder ruhiger. “Ich meine, das Thema dieser Fragen ist schon die Richtung, lässt man die Tatsache, dass sie dich ständig mit ihren Blicken auszieht, nicht unbeachtet, findest du nicht?” Wieder schweifte sein Blick undefiniert in die Ferne und ich ließ den Gedanken zu. Zugegebenermaßen fand ich ihn nicht völlig abwegig. Ninas Interesse an mir war nicht zu leugnen und nachdem ich in meinen Erinnerungen nach der Haltung dieses Christian Greys gesucht habe, die ich aus dem Film, in dem er die titelgebende Figur war, kannte, konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass Nina pure Dominanz ausstrahlte. Dominanz. Das Wort alleine ließ meine Haut angenehm kribbeln. Womöglich stand sie darauf andere Menschen so sehr zu beherrschen, dass sie gehorchten. Dinge für sie tun würden. Dinge für sie ertragen würden. Ich bedachte die Worte, die wir über Schmerzen gewechselt hatten, was einen wohligen Schauer über meine Wirbelsäule krabbeln ließ. Und womöglich stand sie auch noch auf einen Tick zu junge Frauen. “Oder Danni musste einfach nur auf dem Schulhof Müll einsammeln und die Klee hat die Fragen aus einem Lehrerforum”, lachte Felix herzhaft und holte mich so hart aus meinen Gedanken. Er feixte mich an. “Du machst dir zuviele Gedanken um die Frau, Ash”, meinte er. “Die ist einfach noch jung und kann noch nicht richtig Abstand zu ihren Schülern halten. Und duuuuu”, er rüttelte sanft an meiner Schulter, “solltest definitiv mehr an El Capitano denken, als an El Niño! Das ist auf jeden Fall gesünder.” Ich lächelte schwach und zwang mich, für den Rest unseres Nachhausewegs mit den Gedanken bei Jenna zu bleiben, was mir nicht besonders schwer fiel. Weil ich so aufgeregt war. Die Aussicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Interaktionen mit ihr machten mich noch immer nervös genug, dass sie in der Lage war, Nina aus meinem Geist zu verbannen. Und so verbrachte ich dann auch meinen Nachmittag damit, mir ein passendes Outfit rauszusuchen, was weder danach schrie, dass ich leicht zu haben wäre, noch mich wie ein unerfahrenes Mauerblümchen dastehen lassen würde. Ich gefiel mir dann ziemlich gut in der grauen Leggins und dem weißen luftigen Top, einem der wenigen Teile, die meinen Ausschnitt erahnen ließen, und meiner Lederjacke darüber. Als ich einen letzten Blick auf mein Handy warf, um die Uhr zu checken, entdeckte ich zwei Nachrichten. Der Chat mit Felix war noch offen. In seiner neuesten Nachricht riet er mir noch dazu, nicht ganz so sparsam wie sonst mit meinem Make-up umzugehen. In der Übersicht war der Chat mit Nina direkt unter seinem und wies auf eine neue Nachricht hin. Ich ließ sie ungeöffnet, da mich eine lautstarke Auseinandersetzung meiner Eltern ablenkte. Ich steckte das Handy also nur in meine Jackentasche und ging langsam die Stufen runter ins Erdgeschoss, während ich immer wieder Wortfetzen aufschnappte. “...um die Kids kümmern?”, “...immer nur um dich! Ich will…”, “...Midlife Crisis?!” Ein Klatschen ließ mich zur Küche herumfahren und ich sah Daddy, wie er sich seine Wange hielt, vor ihm meine Ma mit wutverzerrtem Gesicht. Das letzte Mal, dass ich sie so gesehen hatte, war, als Leo mit 5 auf die Straße gerannt und beinah überfahren worden war. Da mich allerdings keiner von beiden bemerkt hatte, schlich ich eilig aus meinem Elternhaus und ging das kurze Stück Einfahrt bis zur Straße, an der ich schon einen alten, schwarzen Corsa warten sah. Eine grinsende Jenna sah mich aus dem Vehikel heraus an, doch ich konnte ihr gerade kaum Aufmerksamkeit schenken. Ich hatte meine Eltern wirklich noch nie schreien gehört und die Ohrfeige hallte noch immer in meinen Ohren wider. Unwillkürlich fragte ich mich, ob das der erste Streit meiner Eltern gewesen war, oder ob sie es sonst so gut vor mir und Leonhard zu verbergen vermochten. “Hallo, schöne Frau!”, begrüßte mich Jenna überschwänglich, während ich die Beifahrertür zuzog. Meine gedankenverlorene Erwiderung ließ sie aber stutzen. “Ash? Was ist los?”, fragte sie vorsichtig und ich verfluchte diese Situation allein schon dafür, dass sie Jenna ihrer mitreißenden guten Laune für diesen Moment beraubte. Also versuchte ich mich an einem Lächeln und erklärte bemüht beiläufig, was ich gerade bei mir zu Hause erlebt hatte, worauf mich die Blondine mitleidig ansah. “So etwas gibt es in den besten Familien, nicht? Hut ab vor deinen Eltern, wenn du mit 18 zum ersten Mal erlebt hast, dass sie sich streiten.” Irgendwie trösteten mich ihre Worte direkt etwas. Wie unwahrscheinlich war es auch, dass das tatsächlich die erste Auseinandersetzung meiner Eltern überhaupt gewesen wäre? Jenna sah mich mit einem warmen Lächeln an, was meine Laune tatsächlich weiter anhob, und startete den Motor, bevor sie mich noch mal verlegen und entschuldigend ansah und dann losfuhr. Wie am Tag zuvor legten wir die Fahrt schweigend zurück und heute amüsierte mich dieser Umstand um einiges mehr. Ich beobachtete Jenna unverhohlenen Blickes, wie sie immer wieder ihre sexy Sekretärinnenbrille zurecht rückte und sich an Kreuzungen wie ein aufgeschrecktes Huhn umsah. Es war einfach süß, so wenig es auch zu der selbstbewussten, lockeren Frau neben mir passen wollte. Als sie es dann geschafft hatte, den Wagen zu parken, atmete sie erst mal gedehnt aus und ich kam nun nicht mehr umhin, loszulachen. “Was?” Jenna schaute mich irritiert an. “Unser starker El Capitano, so unsicher am Steuer. Das hatte ich nicht erwartet, Jenna. Niedlich!” Sie zog schmunzelnd eine Augenbraue über den Rand ihrer dunkelblau gerahmten Brille, ein Anblick, zu dem mir einmal mehr kein anderes Adjektiv als heiß einfallen wollte. “Niedlich?” Sie kam mir etwas näher, das Schmunzeln wich einem anzüglichen Grinsen, und schaute hin und wieder von meinen Augen zu meinen Lippen runter. Mein Herzschlag beschleunigte ad hoc. Wir waren noch nicht mal bei ihr angekommen und sie sah mich schon an, als würde sie mich gleich fressen wollen. Einem Impuls folgend erwiderte ich ihren Blick tapfer und nickte sogar, was sie leise zum Lachen brachte. “Mit niedlich kann man doch arbeiten!”, lachte und zwinkerte sie, bevor sie ihre Tür aufstieß und ausstieg. Durchatmen! Ich stieg ebenfalls aus und folgte ihr den gepflasterten Weg zu einem Mehrfamilienhaus. Was mich in ihrer Wohnung erwartete überraschte mich wenig. In dem langgezogenen Flur hingen viele Bilder. Bilder von den Sugarbabes. Anderen Freunden. Familie. Nanu? “Du hast eine Zwillingsschwester?”, platzte es aus mir heraus, als ich auf ein Foto schaute, auf dem Jenna neben einem Ebenbild von sich selbst in einer Abschlussrobe, wie man sie aus den USA kannte, stand. Beide verzogen ihre Münder zu dem für Jenna typisch breitem Grinsen. “Mhm! Das ist Julie. Meine Zwillingsschwester. Schönheit, mh?” Jenna schaute mich über ihre Schulter hinweg herausfordernd grinsend an. “Allerdings. Aber sie scheint bei der Genverteilung etwas besser davon gekommen zu sein, mh?” Ich deutete grinsend auf die Julie in Robe, bis Jenna sich umdrehte. “Nun.” Sie trat an mich heran. “Weißt du, Jules ging zum Studieren nach Amerika.” Beim Sprechen kam sie mir immer näher, bis ich ihren Atem auf meiner Stirn spüren konnte. “Ich hab’ mich damals wie heute nunmal mehr für Sport interessiert. Dadurch bin ich aber auch viel...”, sie machte eine weitere Kunstpause, “...beweglicher und ausdauernder.” und zwinkerte. Jenna sprach so anzüglich und für ihre Verhältnisse bedrohlich dunkel, dass ich trocken schlucken musste. Doch sie machte auf dem Absatz wieder kehrt und ging weiter in das Innere ihrer Wohnung. Ich folgte ihr in ein großes Wohnzimmer mit offener Küche, getrennt durch einen kleinen Esstisch. Vor und neben der doppelflügligen Balkontür standen sicher ein Dutzend Grünpflanzen in unterschiedlich großen Töpfen und Kübeln. “Ich hole sie mittlerweile zum Abend immer rein. Empfindliche Dinger”, erklärte sie schmunzelnd, nachdem sie meinen Blick entdeckt hatte. Dahinter verfärbte sich der Horizont langsam und verkündete allmählich das Untergehen der Sonne. Jenna trat an die Kübel und schob einige davon zur Seite. Das helle Laminat darunter knirschte ächzend. “Wollen wir draußen essen?”, fragte sie freundlich und ich nickte. Auf dem kleinen Klapptisch am Balkongeländer war gerade so genug Platz für zwei Teller und Gläser und genau wie es Felix vorausgesagt hatte, waren sie mit einem dunklen Rotwein gefüllt. Wir sprachen über Jennas Familie. So erfuhr ich, dass Jenna und Julie, die von allen aber wohl nur Jules genannt wird, größtenteils bei ihren Großeltern aufwuchsen, da ihre Eltern als Tourismusliteraturautoren ständig auf Reisen waren und sind. Dass Jules in Amerika studierte und auch gearbeitet hat, mittlerweile aber wieder in Deutschland ist, weil ihr Großvater Alzheimer hat und sie gemeinsam mit Jenna ihrer Großmutter regelmäßig unter die Arme greift. Die Paella, die Jenna, wie sie selbst meinte, im Schweiße ihres Angesichts zubereitet hatte, schmeckte ausgezeichnet und dieser Ausblick auf den Himmel, der mittlerweile in schöne Orangetöne getaucht wurde, benebelte mich ein wenig. Ich konnte nicht sagen, ob es vielleicht doch eher die beiden Gläser Wein waren, doch ich fühlte mich behaglich und schwebend in Jennas Nähe. Nachdem sie abgeräumt und den Tisch an die Brüstung geklappt hatte, standen wir mit unseren mittlerweile dritten Gläsern Wein noch eine Weile auf ihrem Balkon und schauten der Sonne zu, die sich mehr und mehr der Nacht ergab. *Ziemlich beneidenswert, dein Ausblick. Mich weckt die Sonne immer nur.”, schmunzelte ich. “Oh, Sonnenschein beim Aufwachen, also? Das klingt gut, da wirkt dein Bett ja gleich noch viel anziehender.” Jenna zwinkerte, doch schien kurz überrascht, dass ich ihren Blick intensiv erwiderte. Vielleicht war es gut gewesen, mich seelisch auf heute Abend vorzubereiten, oder der Wein gab mir ganz einfach Sicherheit. “So? Willst du etwa in mein Bett, liebe Jenna?” Ganz Jenna-like kam sie mir näher und nahm mir mein Glas ab, um ihres und meines auf dem Fensterbrett abzustellen und umfasste meine Taille. Die Berührung jagte mir einen kleinen Schauer über den Rücken und ich hielt erwartend die Luft an. “Für den Moment würde ich damit Vorlieb nehmen, wenn du in meinem Bett wärst.”, hauchte sie mit heißem Atem gegen meine Lippen und sah mich eindringlich durch ihre sexy Brille an, lachte dann aber heiser, entließ mich aus ihrem Griff und rieb sich den Nacken. Was denn? Wurde sie jetzt schüchtern? “Wollen wir langsam rein?” Ich folgte ihrem Blick zum Horizont. Die Sonne war untergegangen, also nickte ich schmunzelnd. Sie bot mir einen Platz auf ihrem Sofa an und brachte unsere Gläser, um sie auf dem kleinen Couchtisch vor mir abzustellen. Ich war ziemlich verwirrt. In mir brodelte es. In meinem Schoß sammelt sich deutlich spürbar angestaute Erregung und Jenna macht jetzt einen Rückzieher? Warum? Als sie sich neben mich setzte und zur Fernbedienung griff, hielt ich ihre Hand auf. “Wollen wir einen…” Weiter ließ ich sie nicht sprechen, sie schaute auf in meine eisblauen Augen, in denen sie sich scheinbar für einen Moment verlor. Ich erwiderte ihren Blick ebenso intensiv wie noch Minuten zuvor auf dem Balkon und nahm all meinen Mut zusammen. Als ich mit Blick auf ihren Mund geheftet näher rückte hauchte sie heiser meinen Namen, doch ich verschloss ihre Lippen unbeirrt mit meinen und schmolz augenblicklich in das schöne Gefühl, dass der Kuss in mir auslöste. Kapitel 18: ------------ Überraschenderweise brauchte Jenna einen Moment, bis sie wusste, wie ihr geschah. Zumindest schloss ich das aus ihrer anfänglichen Starre. Mich hatte das Gefühl, das der Kuss in meinem Körper intensivierte, allerdings so sehr gepackt, dass ich mich davon nicht abhalten ließ und ihr eine Hand an die Wange legte, mit deren Daumen ich zärtlich über die erhitzte Haut darunter strich. Jenna legte zaghaft eine ihrer Hände auf meinen Oberschenkel, nachdem ich ihren Arm freigegeben hatte, und entkam so endlich ihrer Unbeweglichkeit. Allmählich übernahmen Jennas geübte Lippen die Führung des Kusses, was meinen Körper weiter verrückt spielen ließ. Mein Herzschlag beschleunigte rapide und das Hochstreichen ihrer Hand auf meinem Oberschenkel beantwortete ich mit einem tonlosen Keuchen gegen ihre Lippen. Unsere Blicke trafen sich im Moment der Pause und ich erkannte den erregten Funken in Jennas Augen, der ihr die Schüchternheit nahm. Ich hielt die Luft an,während sie den Kuss nun deutlich stürmischer wieder aufnahm. Ein sanftes Stupsen gegen meine Lippen bewegte mich dazu, ihrer Zunge Einlass zu gewähren und mich in einen langanhaltenden Zungenkuss verwickeln zu lassen. Jenna war sanft. Strich nur mit dem Daumen über meinen Oberschenkel, bis ihre Hand an meiner Hüfte ankam und dort ruhig verweilte. Ich war nicht so ruhig. Im Gegenteil. Fahrig strichen meine Hände an ihren Armen hinauf und während die eine sich unentschlossen an ihrer Schulter festklammerte, strich die andere ihren Nacken hinauf und vergrub sich in ihren goldenen Locken. Es verlangte ihr ein Seufzen ab, was mir ein wohliges Kribbeln in den Unterleib trieb. All die Pornos, die ich mir in den letzten Jahren zu Gemüte geführt hatte, liefen vor meinem inneren Auge ab und versagten an der Wirklichkeit. Die Nähe zu einem anderen Menschen bewegte unglaublich viel in mir. Der warme Atem auf meinen Lippen, in meinem Mund, die zärtlichen Hände, die so zaghaft auf meinem Körper ruhten und deutlich machten, dass Jenna keine Grenze übertreten wollte. In mir war das Feuer allerdings zu neugierigem Leben erwacht und es drängte mich, ihren Körper zu erforschen. Darum drückte ich leicht gegen ihre Schulter und bettete sie so sanft auf das Polster, auf dem wir saßen. Dabei löste ich den Kuss nicht, massierte stattdessen ihre Zunge bestimmter mit meiner und machte deutlich, dass ich mich mit diesem Kuss nicht zufrieden geben würde. Mit meiner Linken fuhr ich ihren Oberkörper herab und schob sie, noch immer getrieben von diesem untypischen Mut, der nur meiner jugendlichen Erregung geschuldet sein konnte, unter ihr fliederfarbenes Top. Ertastete ihre durchtrainierte Bauchmuskulatur und umkreiste verspielt ihren Nabel. Ein gefälliges Murren erreichte meine Mundhöhle und trieb mich weiter an, wischte alle noch so kleinen Bedenken hinfort. Ich strich hinauf und umfasste ihre straffe, kleine Brust. Für einen winzigen Moment beneidete ich sie dafür, dass sie bei solchen Brüsten keinen BH nötig hatte. Augenblicklich verhärtete sich ihr Nippel zwischen meinen Fingern und ich riffelte langsam über ihn. Am Rande nahm ich wahr, dass Jenna wieder meinen Namen hauchte. Zögerlich wollte sie mich unterbrechen, sich vergewissern wovon?, aber ich ließ sie nicht. Jeder Atemzug, verschwendet ans Sprechen, war zu viel. Ich küsste sie bestimmter, fordernder und zog sie an ihrem Top wieder in die Aufrechte. Löste schließlich den Kuss, um ungelenk den dünnen Stoff hinauf zu zerren und ihren Oberkörper freizulegen. Nur für diesen winzigen Augenblick löste sich unser Augenkontakt und weiter beseelt von meinem eigenen Verlangen streifte ich mir mein weißes Top ebenfalls über den Kopf und öffnete mit vor Erregung offenstehenden Lippen meinen BH. Endlich kehrte Selbstbewusstsein in Jennas helle blaue Augen zurück und lüstern betrachtete sie meinen Torso, offensichtlich alle anfänglichen Bedenken über Bord werfend. Denn plötzlich fuhren ihre Hände um meinen Rippenbogen und legten sich in mein Kreuz, um mich fest an sich zu zerren. Ich spürte ihre seidige Haut an meiner, ihre harte Brust war zentral an meinem Busen und es bescherte mir eine unbekannte Gänsehaut, einen anderen unbekleideten Körper so nah an meinem zu spüren. Sie nahm den Kuss wieder auf und endlich konnte ich mich fallen lassen, überließ ihr willig die Führung und spürte ihre Hände überdeutlich, die hinab strichen, sich in meine Leggings gruben und meinen Hintern fest packten. Sie zog mich auf ihren Schoß, auf dem ich sofort und völlig fremdgesteuert begann, unruhig vor und zurück zu rutschen. Das Reiben der Stoffe zwischen unseren Unterleiben quittierte ich mit gedämpftem Keuchen, das in ein überraschtes Quieken überging, als Jenna mich mit schier übermenschlicher Kraft anhob und mit mir aufstand. Sogleich umschloss ich ihre Taille mit meinen Schenkeln und spürte die verräterische Nässe zwischen meinen Beinen plötzlich überdeutlich. Zurück wollte ich, an diesem Punkt angelangt, auf keinen Fall mehr. Jenna trug mich langsam quer durch ihr Wohnzimmer und stieß mich im Türrahmen unsanft gegen das weiße Holz, wo sie den Kuss, den sie die ganze Zeit zu halten vermochte, weiter intensivierte. Mich an ihren Nacken krallend, stöhne ich den leichten Schmerz heraus und war kurz schockiert, dass er meine Erregung weiter antrieb. Ich biss in ihre Unterlippe, wollte sie antreiben, sie noch viel wilder machen. Mein Verlangen war zu groß, als dass ich mich mit diesem merkwürdigen Zug meinerseits weiter hätte beschäftigen können und Jenna folgte meiner Aufforderung, krallte mir unnachgiebig in meinen Hintern. Das Stöhnen, mit dem ich den Schmerz ergänzen wollte, klang viel erregter als angebracht und die blonde Schönheit zwischen meinen Schenkeln begriff. Sie löste den Kuss und funkelte mich mit vor Erregung verschleierten Augen an, zog sexy eine Augenbraue über den Rand ihrer Brille und biss mir in den Hals. Der Schmerz schoss mir blitzartig zwischen die Beine und ich drückte ihren Kopf automatisch näher an mein Fleisch, unter dem mein Puls verräterisch pochte. Nach einer Weile brach Jenna ihr Tun ab und linste über meine Schulter, um mich weiter in ihr Schlafzimmer zu bugsieren. Dabei fragte ich mich, wie ich mich so lange an ihr hatte halten können, wischte den Gedanken aber so schnell wieder von mir, wie er gekommen war. Ohne zu zögern ließ sie uns auf ihre Matratze sinken und lag nun über mir, halb kniend mit einem Bein zwischen meinen und biss wieder zu. Ich kommentierte es mit Stöhnen und strich mit meinen Händen zu ihrem Hintern, wo ich, soweit es mir möglich war, ihre Jeans etwas hinab schob. Mit erhobener Braue und einem überraschten Grinsen auf den Lippen, betrachtete sie mich für einen Augenblick. “Fuck, Ash. Du bist so hungrig…” Der Beginn einer Konversation wollte Schüchternheit in mir aufsteigen lassen, doch das frisch erweckte Tier in mir konnte nicht gezügelt werden, weshalb ich nur ein heiseres “Ja” zu ihr hinauf hauchte. Sie biss sich wieder erregt auf die Unterlippe. Ich hatte nie etwas Anturnenderes gesehen. Eilig zog sie ihre Jeans samt Slip aus und riss grob an meiner Leggins, bis ich nur noch im Höschen unter ihr lag. Ich verdrehte die Augen. Wollte nicht länger warten. Diese kleine Verzögerung war mir zu viel. Jenna kommentierte meine Reaktion mit einem süffisanten Grinsen und begann offensichtlich, endlich Gefallen an unserem Liebesspiel zu finden, fernab ihres treibenden Verlangens. Quälend langsam fuhr sie mit beiden Händen über die Außenseiten meiner Schenkel, was mich dazu trieb, mich unter ihren Berührungen zu winden, mein Becken verlangend zu erheben. Jenna lachte heiser. Als sie endlich an den dünnen Riemen meines Strings angekommen war, ließ sie beide gleichzeitig gegen meine Haut schnippen und nun musste auch ich grinsen. Lernte ich meine Lust gerade erst kennen, las Jenna aus meinen Reaktionen wie andere aus Büchern. Für den Moment war es mir gleich. Undurchschaubar war eh nie mein zweiter Vorname gewesen. Mir über die Lippen leckend fixierte ich das helle Blau ihrer Augen und Griff nach ihren Händen, um sie endlich zum Hinabstreichen zu bewegen, auch das letzte Stückchen störenden Stoffes von meinem Körper zu entfernen. Mein Handeln, meine Willigkeit gefiel Jenna. Ganz offensichtlich. Das verruchte Grinsen, das ihre Lippen zierte, verriet sie. Nachdem sie mein Höschen endlich von meinen Füßen gezogen hatte, begann sie bei meinem Knöchel, eine feuchte Spur Küsse hinauf zu verteilen, was meine Ungeduld weiter steigerte. Das Tier in mir wollte sie anschreien, sie solle mich doch endlich nehmen, aber ein bisschen Rest normaler Ashley war in mir geblieben und verfolgte bloß neugierig ihr Tun mit den Augen. Immer wieder warf sie mir prüfende und auch amüsierte Blicke zu. Genoss es, dass sie mich mit ihrem schneckenartigen Tempo so sehr quälte und schließlich erlosch der letzte Funken Zurückhaltung in mir und ich packte sie unwirsch an den Haaren. Zunächst zierte noch ein gefälliges Grinsen Jennas rosige Lippen, doch mein dunkler Blick wischte es davon. Ohne auch nur eine einzige Sekunde weiter an diese Spielereien verschwenden zu wollen, beugte ich mich etwas hoch, biss ihr unsanft in den Hals und führte meine Hand ungefragt zwischen ihre Beine. Die Nässe, die sich zwischen Jennas Schamlippen gesammelt hatte, ließ meinen Kopf sofort wieder von ihrem Hals zurückschrecken und sich in meinen Nacken werfen. Ich stöhnte genauso laut und überrascht wie sie. Sie überrascht von meinem plötzlichen Vorstoß, ich von der Reaktion, die ihre flüssige Erregung in mir auslöste. Nachdem ich mich etwas gefangen hatte, presste ich meine Lippen auf ihre und glitt mit meinen Fingern hoch zu ihrem Kitzler, um ihn genau so zu bespielen, wie ich es bei mir selbst schon bei den nächtlichen Erkundungen meines eigenen Körpers angetan hatte. Und es hatte einen einschlagenden Effekt. Jenna keuchte kurz, wieder überrascht und stöhnte dann in den Takt, den ich ihr vorgab. Mit der anderen Hand drückte ich sie allmählich in eine kniende Aufrechte und löste den Kuss, um ihren Körper mit meinen Lippen zu erkunden. Küsste die feinen Konturen ihres Schlüsselbeins nach und hinterließ leckend eine feuchte Spur bis zu ihren Brüsten. Mit meiner Zunge bespielte ich weiter sanft ihre kleinen, straffen Brüste und atmete in heißen Stößen gegen ihre empfindliche Haut. Dabei glitt ich mit zwei Fingern spielend leicht in das feuchte, weiche Fleisch ihres Inneren, was sie wieder laut aufstöhnen ließ. Ich war gefesselt von dem erregenden Anblick, den sie mir bot. Mit den halb offenstehenden, feucht glänzenden Lippen, den zu verruchten Schlitzen geschlossenen Augen, ihrem Körper, der sich leicht ins Hohlkreuz legte und sich mir so automatisch entgegen drückte. Es war berauschend und die angesammelte Nässe zwischen meinen eigenen Beinen verriet mir, wie sehr es mir gefiel. Ich stieß sie berauscht und angetrieben von meinem, genauso wie von ihrem Verlangen und es hatte ab da nicht mehr lange gedauert, bis sie laut keuchend und sich in meinen Rücken krallend in meinen Armen zum Orgasmus kam. Sie betrachtete mich danach mit glasigen Augen beinah zweifelnd. Unglaube zierte ihre feinen Züge, bis sie lachend neben mir in die Laken sank und mich fragte, ob das gerade mein Ernst gewesen sei. Ich erwiderte nichts, ließ mich ebenfalls völlig fertig und reichlich zerstreut neben ihr nieder. Jenna hatte verstanden und ihre Bettdecke über uns gezogen, sich nah an mich und einen Arm über meinen Bauch gelegt. Ich war sofort eingeschlafen und wurde jetzt von einer latente Übelkeit geweckt. Es dauerte, bis ich endlich meine Augen öffnen konnte, doch als ich es endlich schaffte, sah ich neben mir das haselnussbraune, wellige Haar, das nicht in diese Szene passte. Ich schaute genauer hin, auf die vollen Lippen die runden Gesichtszüge und erkannte Nina. Ihr Brustkorb hob und senkte sich ruhig. Sie schlief. Den Körper nur unachtsam in die dünne Decke gewickelt, lag ihre Hüfte frei und gab den Blick auf ihren runden Hintern preis. Das indirekte Licht der aufgegangenen Sonne schmeichelte Ihr, ließ sie beinah leuchten. Traumtänzerin…, hörte ich ihre samtweiche Stimme. “Guten Morgen, Ash”, erklang die harte Wahrheit an meinen Ohren, die mich meine Augen tatsächlich öffnen ließ. Jenna grinste mich vorsichtig an und strich mit dem Daumen über meinen Bauch. Die Berührung ließ mich kurz zucken, doch ich versuchte, ihr Grinsen zu erwidern, schaute dann aber eher ausdruckslos hoch zur Decke. Jennas Gegenwart war noch immer gut. Selbstverständlich gut. Brachte mir weiterhin Wohlbehagen, auch wenn etwas in den hintersten Ecken meines Hirns pochte. “Sag mal machst du sowas öfter? Hätte gar nicht gedacht, dass…” “Nein!”, unterbrach ich sie harsch. Musste dann ganz bewusst atmen, um meinen Puls unten zu halten. Ihr ruhiger Atem, der an mein Ohr strich half mir dabei. “Ich… hab noch… sowas hab ich noch nie”, versuchte ich unbeholfen zu erklären. Jenna stutzte merklich. “Sag mir nicht… war das dein erstes Mal, Ash?” Ich nickte nur und kniff die Augen zusammen, während sich ihr Griff um meinen Bauch etwas verfestigte, mich näher an sie zog. Eine Weile lang geschah gar nichts, bis sie wieder zu sprechen ansetzte. Ich hörte ihr leises Lachen heraus. “Also ich muss schon sagen. Dafür… also dann bist du ein echtes Naturtalent.” Die Worte ließen mich ebenfalls lachen und ich schlug eine Hand vor meine Augen, um die aufkommende Verlegenheit in den Griff zu kriegen. Sie küsste meine Schulter und streichelte langsam meinen Bauch in ausladenden Kreisen. “Weißt du, da gibt es ja noch viel mehr zu entdecken.” Jennas Worte ließen mich schlucken, während ihre Berührungen eindeutiger wurden. Sie strich die Unterseite meines Busens entlang und wenn ihre Finger unterhalb meines Bauchnabels entlang glitten, kommemtierte mein Körper ihre Zuwendung mit feinen Blitzen zwischen meinen Beinen. “Ist das so?”, hauchte ich ihr leise entgegen, nachdem ich ihr mein Gesicht zugewandt hatte und sie nickte nur kurz, bevor sie meine Lippen mit ihren verschloss. Der Kuss schmeckte lange nicht so gut, wie meine Erinnerungen an gestern Abend es vermuten ließen. Der Restalkohol, der deutlich rauszuschmecken war, verstärkte das flaue Gefühl in meinem Bauch und doch entflammte das gierige Feuer in mir zu neuem Leben und ich legte meine Hand in ihren Nacken, um sie näher an mich zu zerren. Jenna war schon halb über mich gebeugt, als sie den Kuss löste und endlich begann ihre Hand auf meine Brüste zu legen, sanft darüber zu streichen und meine Nippel etwas zwischen ihren Fingern zu drücken. Es ließ mich keuchen und ich schloss die Augen. Nina erschien vor meinem inneren Auge und nahm Jennas Platz ein. Bespielte meine Brüste viel gröber, als Jenna es gerade tat. Meine Vorstellung ließ mich meinen Körper erregt durchbeugen und ich wischte sie eilig von mir, um im Hier und Jetzt zu bleiben. Doch Ninas Anblick wollte mich nicht loslassen und so hielt ich die Augen geschlossen, gab mich der Vorstellung einfach hin, auch wenn es Jenna gegenüber sicher nicht besonders nett war. Als sie dann mit der freien Hand die Innenseiten meiner Oberschenkel sanft auf und ab fuhr und die Flut an Ninabildern überhand in meinem Geist nahm, unterbrach ich sie barsch und schwang mich unelegant aus Jennas Bett. Die anfängliche Übelkeit hatte mich mit der Bilderflut übermannt und ich eilte schnell in das kleine, alte Bad, für dessen Häßlichkeit ich gerade kein Auge hatte. Ich übergab mich geräuschvoll in die Toilette und hörte just in dem Moment, als der widerwärtige Schwall endlich versiegte, tapsende Schritte von nackten Füßen hinter mir. Meine hellbraunen Haare wurden mir aus dem Gesicht gezogen und zu einem lockeren Knoten geformt im Nacken festgehalten. Ich hustete, woraufhin eine andere Hand sich flach auf meinen Rücken legte und sanft darüber strich. “Bringst du mir ein Glas Wasser, bitte? Es geht schon wieder.” Zögernd blieb Jenna noch einen Augenblick stehen. Ich hob meine Hand und löste ihre an meinem Haar ab, worauf sie gewartet zu haben schien, denn daraufhin verließ sie das Bad. Ich zog die Spülung und wusch mich erst einmal, bevor ich Richtung Wohnzimmer ging. Jenna kam mir gerade mit meinem T-Shirt und einem Glas Wasser entgegen. Ich erstarrte, mit Blick auf mein weißes Oversize Shirt. Keine Ahnung, wie lange ich reglos vor ihr stand, aber ich erwachte erst, als sie mich ansprach. “Ash?” Ich riss mein Shirt eilig aus ihrer Hand und streifte es schnell über meinen Kopf. Die aufkommende Scham über meine Nacktheit begann, mich zu lähmen, weshalb ich Jenna samt Wasserglas zunächst einfach stehen ließ und weiter ins Schlafzimmer stürmte, um Höschen und Leggins anzuziehen. Wieder im Flur warf ich mir auch noch meine Lederjacke über und atmete erleichtert durch. Besser… Jenna war nicht im Flur stehen geblieben, aber das war mir gerade auch egal. “Hör mal, Jenna. Ich muss los. Wir sehen uns Freitag, ja?”, rief ich in den Flur und hoffte, es würde sie erreichen egal, ob sie im Wohnzimmer, Bad oder in der Küche war. Den Mangel an Reaktion kommentierte ich mit einem Schulterzucken und hatte schon die Hand auf der Klinke der Haustür. “Ähm, Ash?” Mist. “Mh?” Ich wagte es nicht mich umzudrehen. Das plötzliche Unwohlsein, das meine Kleidung zwar betäuben konnte, aber nicht auszulöschen vermochte, war zu stark. “Willst du den nicht mitnehmen?” Ich wollte sie nicht ansehen, bemerkte aber mit siedend heißen Wangen wovon sie sprach und biss mir unterbewusst auf die Unterlippe, während ich mich zu ihr umdrehte. Jenna stand da, einen Arm unter ihren Brüsten verschränkt, den Ellbogen des anderen darauf abgestützt und den Zeigefinger zu einem Haken gekrümmt, von dem mein BH baumelte. Ihr Grinsen war süffisant und ich war froh, dass sie mir meinen übereilten Aufbruch offensichtlich nicht übel nahm. “Oh… ähm, ja. Den sollte ich wohl mitnehmen.” Der Ton meiner Stimme war nur mit einem Wort zu beschreiben, kläglich. Sie hielt mir das Stück Spitze hin und zog es sofort wieder zurück, als ich danach griff. “Ohne Kuss, kriegste ihn nicht.” Ihre Selbstsicherheit entzündete die gierige Flamme in mir zu neuem Leben, weshalb ich keine Sekunde zögerte und mich nah an sie presste, um ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Als sie dann aber mit ihrer Zunge zwischen meine Lippen drängen wollte, fiel mir ein, dass ich mich nur wenige Augenblicke zuvor übergeben hatte, weshalb ich den Kuss jäh wieder abbrach. Ich funkelte ihr betont lüstern in die Augen, um sie abzulenken und stahl ihr meinen BH. “Ey, gemein!” Ich lächelte sie entschuldigend an. “Ich muss jetzt wirklich los.” Musste ich nicht, aber ich wollte. Ich konnte es noch nicht zuordnen, aber das Pochen in meinem Hinterkopf war unüberhörbar geworden und drängte mich von Jenna fort. “Bis Freitag?” Das Lächeln weiterhin zwingend auf meinen Lippen haltend, nickte ich. “Mhm!” Und küsste sie zum Abschied auf die Wange, bevor ich die Tür aufzog und hinaus stürmte. Ich eilte. Rannte fast und erst, als ich um eine Straßenecke gebogen war, erlaubte ich es mir, durchzuatmen. Packte mir ans Herz und versuchte, zu begreifen, was da in Jennas Wohnung in mich gefahren war. Die aufgehende Sonne blendete mich. Wie spät es wohl war? Ich musste noch nach Hause, Eastpack, duschen. Doch mir fiel auf, dass ich nicht wusste, wo ich war, weshalb ich mir Grübeleien zunächst verbot, also zog ich mein Handy aus der Jackentasche, um mich zu sammeln und nach Hause zu finden. Nach dem Entsperren erschien die Übersicht des Messengers und zeigte eine neue Nachricht von Felix und darunter die von Nina, die ich gestern bei meinem überstürzten Aufbruch nicht geöffnet hatte. Ich tat es jetzt. Nina: Überleg dir ganz genau, was du heute Abend tust... Kapitel 19: ------------ Zum Glück war es früh morgens und unter der Woche, Busse fuhren unweit von Jennas Wohnung genügend. Genaugenommen war es gerade 05:48 Uhr, wie mir die digitale Anzeige auf meinem Handydisplay verriet, nachdem ich bestimmt fünf Minuten einfach nur auf diese eine Nachricht von Nina gestarrt hart. Diese eine Nachricht ließ mich den ganzen Weg über nicht los. Sie wog schwer auf meinem Gewissen. Als hätte ich Nina betrogen. Ich hätte vorher mit ihr reden sollen. Auch hatte Jenna nicht klargestellt, ob und was dieser Wettstreit um mich nun zu bedeuten hatte. Was war, wenn ich nun einen unwiderruflichen Fehler begangen hatte? Ganz offensichtlich wusste Nina ja von unserem Date. Das dachte ich gestern schon, als Felix und ich ihr im Treppenhaus begegnet sind, aber warum schickte sie mir deshalb nur eine Nachricht? Warum hatte sie mich nicht aufgehalten, wenn es ihr missfiel? Hätte ich mich anders verhalten, hätte ich die Nachricht gestern noch gelesen? Hätte ich heute Nacht nicht mit Jenna geschlafen? All diese Gedanken beschäftigten mich auf dem Weg nach Hause. Erst mein Daddy unterbrach sie, als ich ihn sah, als er unsere Haustür öffnete. “Darling, kommst du jetzt erst nach Hause?!” Ich erschrak. Sah ihn einen Moment lang sogar panisch an. Ich hatte meinen Eltern gestern Nachmittag zwar gesagt, dass ich bei einer Freundin sein würde, aber dass ich übernacht fernblieb, war nicht geplant. Dass sie gar nicht bemerkt hatten, dass ich über Nacht nicht zuhause war, wunderte mich wenig. Ich hatte durchaus die Erlaubnis, dass ich auch unter der Woche erst nach elf Uhr abends nach Hause kommen durfte, was ein Zeitpunkt war, zu dem meine Eltern meist schon schliefen, aber dennoch. “Ähm, ja Daddy. Ich war über Nacht bei Jenna, sie ist der Kapitän unseres Teams.” Ich entschied mich dazu, so nah an der Wahrheit wie möglich zu bleiben. Daddy würde es sowieso nicht weiter stören, dass ich, ohne zu fragen, über Nacht, unter der Woche nicht nach Hause gekommen bin. Meine Ma war da durchaus ein etwas größeres Problem, aber womöglich hatte ich Glück und Daddy würde mich nicht verraten. “Sag mal Daddy, was war eigentlich gestern los? ...Ich habe dich und Mom gehört. Ich habe euch noch nie so schlimm streiten gehört.” Die Gesichtszüge meines Vaters wurden weicher. Er sah mir tief in die Augen, was mich irgendwie irritierte. Die Sekunden verstrichen, ohne, dass er Worte an mich richtete und doch sagten seine Augen so viel mehr. Das tiefe Ozeanblau war dunkler als sonst, aufgewühlt, schwach und von tiefen dunklen Augenringen umgeben. Kriselte es so sehr zwischen meinen Eltern? “Es ist alles in Ordnung, little girl. Du hast es bis jetzt vielleicht noch nicht gemerkt...”, er schenkte mir sein sonnigstes Kalifornienlächeln, “...aber Eltern streiten sick nun mal. Das macken sogar deine Mama und ick.” Seine Worte hatten den selben Tenor, wie die von Jenna gestern Abend und sie heiterten mich beinah genauso schnell wieder auf. Natürlich wollte ich das Weltbild, das ich von meinen Eltern hatte auch nicht so schnell aufgeben und sog deshalb jeden Zuspruch in diese Richtung begierig in mich auf. Daddy betrachtete mich eine Weile und ich war kurz davor, mich wieder auf seine ausgezehrten Augen zu konzentrieren, als er mir die Tür aufhielt. “Hush, Sweetheart”, machte er und hielt sich den Zeigefinger zwinkernd vor die Lippen. “Rein mit dir!” Ich kam seiner Aufforderung nach und eilte auf den Zehenspitzen hoch in mein Dachgeschoss. Soweit ich das beurteilen konnte, hatte ich wohl Glück gehabt und meine Ma nicht geweckt. Als ich dann einige Zeit später und frisch geduscht in der Küche ankam, war ich Daddy mehr als dankbar, denn meine Ma begrüßte mich wie immer. In dem Moment, als sie da an der Kochinsel stand und das Frühstück für Leonnard und mich verpackte, wurde mir klar, wie wenig ich davon mitbekam, wie es meinen Eltern ging. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte und dennoch sah ich keinen Unterschied an meiner Mutter. Ich wollte gerne mit ihr reden, aber ich war knapp in der Zeit, weshalb ich mir nur einen Apfel und mein Frühstück griff und Mom ein Danke ins Ohr flüsterte, nachdem ich ihre Wange geküsst hatte. Draußen wartete Felix schon auf mich, strahlte mich an und wollte sofort zum Reden ansetzen, doch ich unterbrach ihn. “Pscht”, zischte ich ihm entgegen. “Warte wenigstens, bis uns keiner mehr hören kann, verdammt!” Felix’ Gesichtszüge entgleisten. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich eindringlich und etwas beleidigt an. “Darf ich dich nicht mehr begrüßen, oder was?” Ich funkelte grinsend zu ihm auf. “Ach bitte, komm!” Süffisant wandte ich mich von ihm ab und ging voraus. “In deinem Gesicht sieht man, dass dich nur eine einzige Frage beschäftigt.” In Windeseile holte Felix auf und sah betont desinteressiert kurz zu mir herab. Er grummelte resignierend, bevor er wieder anfing zu sprechen. “Dann lass mich doch nicht weiter am langen Arm verrecken und erzähl mir, was gestern ging.” Aus dem Augenwinkel sah ich minimal zu ihm auf und konnte ihm ansehen, wie ungeduldig er wurde. “Wir hatten Sex!” Felix fing an zu grinsen und ich wusste, was jetzt kommen würde. “Erzähl. Mir. Alles!” Ich lachte und begann ihm haarklein zu erzählen, wie der Abend verlief. Den Sex wollte ich nur grob anschneiden, was Felix allerdings nicht zuließ. Mit gezielten Fragen entlockte er mir jedes ach so kleine Detail und pfiff letztlich anerkennend. “Wow, Ash. Dass du so in die Offensive gehen kannst, hätte ich gar nicht gedacht.” Ich krallte mich am Riemen meines Rucksacks fest und lächelte ihn verlegen an. Felix aber grinste nur wissend. “Da sind dir wohl die Hormone doch ganz schön durchgegangen, was?”, fragte er nun mit heuchlerischer Sanftmut. Tja, was war da überhaupt in mich gefahren? Ich erzählte also von der morgendlichen Übelkeit und meinem Abgang und erntete Gelächter. Und dann zeigte ich ihm schließlich die Nachricht, die Nina mir gestern am frühen Abend noch geschrieben hatte. “Naja, du weißt doch, wie die Erwachsenen sind.”, meinte er. “Wenn's um Sex geht, sagen sie doch immer, dass man nichts überstürzen soll und so. Aber hey, in unserem Alter will man es halt gern mal tun, nicht? Da muss man doch nicht gleich die riesigen Gefühle haben. Hatte ich auch nicht.” Ich nickte grübelnd, bis seine Worte mich hellhörig werden ließen. “Erzähl mir von deinem ersten Mal!”, rief ich, beinah alles andere vergessend. Wir hatten derweil die Bushaltestelle erreicht und Felix ließ schief grinsend seinen Rucksack auf die metallene Bank gleiten. “Welchem?”, fragte er leise lachend. “Welchem?”, wiederholte ich. “Da gibt es mehrere?” Er nickte und hob vielsagend seine Augenbrauen über die Ränder seiner Nerdbrille, um mit ihnen zu wackeln. “Klar, ich wusste nicht sofort, dass ich auf Typen stehe, als sich die Hormone gemeldet haben. Mein erstes erstes Mal hatte ich mit einem Mädchen.” seine Augen wurden kurz glasig, was ihm einen wehmütigen Ausdruck verlieh. So hatte ich meinen Freund auch noch nicht erlebt. Es war nicht diese jugendliche Verliebtheit, die er sonst an den Tag legte, wenn er über Rafael sprach, sondern eine tiefe Sehnsucht, die mich überraschte. Ich schaute ihn fragend und ermutigend an, um ihn anzutreiben, weiter zu sprechen. Nach kurzem Zögern und Sammeln seiner offensichtlich abgedrifteten Gedanken, schaute er mich dann auch wieder direkt an. “Jenny war eine Klassenkameradin und ich war so verliebt in sie. Wir waren ein halbes Jahr zusammen, bevor wir das erste Mal miteinander geschlafen haben. Es war sehr besonders. So wie man sich das als heranwachsender Mensch eben wünscht.” Ich legte den Kopf schief, den Haken erwartend. “Aber?” “Es hat mir rein gar nichts gegeben, obwohl es so gefühlvoll war. Mir war damals noch nicht klar, woran es gelegen hat, aber jetzt weiß ich, dass ich eben wirklich schwul bin. Das war dann spätestens nach meinem ersten Mal mit einem Kerl klar.” Jetzt lachte Felix und war wieder der smarte Typ den ich bis dato kennengelernt hatte. Im Anschluss erzählte er mir dann noch, dass er sich mit Jenny lange gequält hatte, bevor die beiden eingesehen haben, dass es keinen Sinn hat, und von seinem ersten Mal mit einem Studenten, der ihn völlig betrunken auf einer Hausparty abgeschleppt hatte. Felix’ Erfahrungen brachten mich dann aber irgendwann doch ins Grübeln. Jetzt hatte ich mein erstes Mal womöglich an einen Onenightstand verschenkt. Womöglich würde mehr aus Jenna und mir, aber das erste Mal mit jemandem teilen, für den man etwas empfand, war damit gegessen. Unwillkürlich musste ich an Nina denken. Ich fand Jenna toll, ganz klar. Und sie war ein lieber und netter Mensch. Ich hatte keine schlechten Gefühle dabei, dass ich mit ihr geschlafen hatte. Ich bereute es nicht direkt, aber ich fragte mich, ob es mit Nina anders hätte laufen können, wenn ich ihr und mir Zeit gegeben hätte. Ich schalt mich für meine Gedanken. Ich empfand offensichtlich mehr für Nina, aber sie war und blieb meine Lehrerin. Ich wäre bis zum Ende meiner Tage eine Jungfrau geblieben, hätte ich mich für sie aufgespart. Bei all der Logik ließ mich ihre Nachricht aber nicht los. Die Formulierung, die Wortwahl. Objektiv betrachtet war es nur ein gut gemeinter Ratschlag einer Erwachsenen, aber warum machten diese paar Worte dann so viel mit mir? Nach unserem Gespräch im Café war ich mir ziemlich sicher, dass Nina sehr genau wusste, wie tief solche Worte in der Lage waren, mich zu treffen. Der Schultag schlich dahin und in jeder freien Sekunde, in der ich nachdenken konnte, reifte ein Entschluss in mir. Meine Gefühlslage betrachtend und die Stellung, die ich mir offensichtlich meiner Lehrerin gegenüber ausgesucht hatte, gab es für mich nur einen einzigen Ausweg, die Last, die der Sex mit Jenna auf mich geladen hatte, zu verringern. Ich musste bei Nina beichten. Automatisch dachte ich an das zurück, was laut unserem Gespräch im Café auf die Beichte folgen würde. Eine Strafe. Der Gedanke lief mir eiskalt den Rücken hinunter und ich empfand erschreckenderweise eine glühende Erregung in mir hochkochen. Immer wieder musste ich meine Beine zusammendrücken, wann immer ich an diesem Punkt angelangt war. “Alter geht's?”, zischte Danni mir irgendwann ins Ohr. “Was denn?”, fauchte ich genervt zurück, ohne sie anzugucken. “Du juckelst auf dem scheiß Stuhl rum, als wenn du ‘nen Plug im Arsch hast!” Der Gedanke ließ mich erröten. Wie es wohl war so ein Ding in sich zu haben? Ich presste kurz die Augen zusammen, um meine Hormone in den Griff zu kriegen und meine Tischnachbarin böse anzufunkeln. “Bin halt ‘n bisschen unruhig. Passiert.” Danni zog eine Braue zum Schirm ihres Cappys. Himmel! Kann das denn jeder außer mir?! “Was’n los?” “Gar nichts!”, fauchte ich wieder mehr, als dass ich flüsterte. “Is’ wegen Nina, was?” Bitte?! War das, was auch immer es war, was zwischen Nina und mir war, so offensichtlich? Halt! Nina? Ich starrte Danni an, offenbar viel zu vielsagend, denn sie schaute gelangweilt zur Tafel und zuckte mit den Schultern. “Meinste ich bin Blind? Ich weiß wie sie aussieht, wenn sie auf einen steht”, flüsterte sie ruhig, beinah beiläufig, als wäre es das Normalste der Welt. “Und wenn schon?”, gab ich bissig zurück. Sie legte nur, fast schon milde lächelnd, als wäre ich ein Kind, dem sie etwas geduldig erklären müsste, ihr Gesicht auf ihre Hand. “Dir sieht man es nicht weniger an, Ketchum.” Ich verdrehte wegen des Spitznamens, den mein Name herausforderte, die Augen, was sie nicht daran hinderte, weiter zu sprechen. “Hast gestern die Aufgaben von ihr bekommen, wa?” Wieder errötete ich. Warum eigentlich? Verwirrt nickte ich als Antwort. “Und? Bist du kinky?”, fragte sie nun deutlich interessierter. “Kinky?” Ich sah sie verwirrt an. Dieser Begriff sagte mir nun gar nichts. “Google es mal”, lachte sie leise. Wieder nickte ich und schob kinky auf meine mentale to do-Liste. “Also hast du diese Aufgaben auch schon mal von ihr bekommen? Kriegt die jeder beim Nachsitzen? Wo ist sie mit dir eigentlich hin? Was musstest du dann machen?”, flüsterte ich den Schwall Fragen schnell heraus, die mich so beschäftigten. “Atme mal durch, Alter”, stieß sie leise und gedehnt aus. “Diese Aufgaben kriegt ganz sicher nicht jeder, Ketchum. Google einfach mal, dann kannst du dir alles weitere zusammenreimen. Ich darf nicht darüber sprechen.” Und damit wandte sie sich genervt von mir ab und bearbeitete weiter die Matheaufgaben, die wir gerade eigentlich in Stillarbeit zu tun hatten. Ich seufzte. Danni hatte eine sprich mit der Hand-Miene aufgesetzt, weshalb ich beschloss, eben zu Hause zu googlen. Die letzte Stunde näherte sich allmählich ihrem Ende und ich spürte wieder diese Unruhe in mir aufkommen. Ich dachte wieder nur an Nina. Das ganze unglaubliche Erlebnis mit Jenna war aus meinem Kopf gefegt und ich spürte mit jedem Schlag des Sekundenzeigers der Uhr im Klassenraum den Drang in mir aufsteigen, etwas tun zu müssen. Beichten. Bestraft werden. Diese beiden Gedanken beherrschten meinen Geist und noch immer machten sie mich irgendwie an. Mit einem endgültig gefassten Entschluss rief ich Felix im Vorbeigehen zu, dass er nicht auf mich warten sollte, und rauschte als Erste aus dem Klassenzimmer. Als ich das Schulgebäude verlassen hatte, atmete ich schwer und mein Puls hatte eine gefährliche Frequenz erreicht, doch das war mir egal. Zielstrebig nahm ich den entgegengesetzten Weg, der nicht zum Bus führte, und stapfte die Reihen an Autos entlang, die gegenüber des kleinen Cafés standen, bis ich schließlich das gelbe Cabrio erreichte. Ich lehnte mich gegen das Heck des schnittigen Mazdas und versuchte, mich zu beruhigen. Was wollte ich überhaupt sagen? Was fiel mir überhaupt ein, mich an das Auto meiner Lehrerin zu lehnen und auf sie zu warten, wie ein Stalker? Ein rational denkender Part in mir wollte die Beine in die Hand nehmen und einfach nach Hause abhauen. Ein anderer stärkerer Teil hielt mich davon ab. Ich musste ihr einfach erzählen, dass ich mit Jenna geschlafen hatte. Ich fühlte mich so schuldig. Das Gefühl war einerseits so undefinierbar wie unlogisch, und andererseits so klar und greifbar, dass ich mir erhoffte, dieses Geständnis würde mich sortieren. “Ashley?” Der klang ihrer samtigen Stimme ließ mich erschrocken herumwirbeln. Augenblicklich bekam ich weiche Knie und schaute scheu in das warme Schokoladenbraun ihrer Augen, das nur noch einen Herzschlag lang Sänfte ausstrahlte. Denn ihre Miene verhärtete sich, als wäre ihr gerade ein Gedanke gekommen, der ihr schlechte Laune bereitete. Na gut. Ihre Stimmungsschwankungen kannte ich ja schon. “Was willst du?”, fragte sie monoton und ich haderte. Komm schon, Ash! Reiß dich zusammen! “Ich muss dir was sagen, Nina”, begann ich kleinlaut. Sie hob indes nur ihre Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. Und trotz ihrer ablehnenden Haltung fand ich sie noch nie so sexy und anziehend wie in diesem Moment. “Aha?” Ihre desinteressierte Kälte ließ mich schaudern, aber ich biss die Zähne zusammen und schaute ihr fest in die Augen. “Ich...ich habe gestern mit Jenna geschlafen, Nina… Ich...ich wusste, was mich erwarten könnte, als ich mit zu ihr fuhr… ich habe mich von meinem Verlangen überrumpeln lassen… Ich wollte es so sehr, doch ich fühle mich so schuldig… Und dann deine Nachricht von gestern Nachmittag. Ich verstehe nicht warum… Ich habe so sehr das Gefühl gehabt, dass ich zu dir kommen muss, um dir davon zu erzählen und jetzt… jetzt…” Ich konnte es weder glauben, noch verstehen, aber ich begann zu weinen. Nicht jeweils eine verirrte Träne. Nein, Bäche brachen abermals, wie vor ein Paar Tagen am Strand, und ich fühlte mich einmal mehr, als würde ich einen Seelenstrip vor Nina hinlegen. Völlig unvermittelt traf mich ihre rechte Handfläche hart auf der linken Wange und riss mein Gesicht zur Seite. Ich verharrte einen Augenblick in dieser Position ehe der Schmerz durch meine Wange zuckte und ich begriff, was gerade passiert war. Ich hob meine Linke zur Wange und meinen Blick zu Nina, die mich noch immer vollkommen emotionslos ansah. Dann sah ich mich fremdgesteuert und panisch in der Umgebung um, ob uns jemand gesehen hatte. Niemand. Die Zentralverriegelung ihres Cabrios wurde geöffnet. “Steig ein!”, befahl sie ruhig. Auch wenn mich ihr ruhiger Tonfall irritierte, sah ich sie aufgebracht an. “Spinnst du? Du hast mich geschlagen! Zu dir steig ich doch jetzt nicht ins Auto!”, erwiderte ich also harsch. Nina erwiderte meinen Blick, mittlerweile von der anderen Seite des Autos aus, plötzlich wieder warm und sanft, was mir die Knie sofort wieder weich werden lassen wollte. “Meine kleine Traumtänzerin”, begann sie und sprach die Worte so zärtlich aus, dass ich augenblicklich an ihren Lippen hing. “Bist du nicht genau dafür zu mir gekommen?” Ich horchte in mich. Die innere Unruhe, die mich den ganzen Tag in ihrer unbarmherzigen Klammerung fest hielt, war verschwunden. Ich öffnete die Lippen und schloss sie gleich weiter. Nina schmunzelte. “Steig jetzt ein.” Und ich tat wie mir geheißen. Kapitel 20: ------------ “Wo fahren wir denn hin?”, wollte ich nach einer Weile des Schweigens wissen. “Zu mir”, antwortete Nina so ruhig, dass es mich stutzen ließ. Unwillkürlich fragte ich mich, ob die Ohrfeige in ihr etwas Ähnliches wie in mir ausgelöst hatte. War sie zuvor auch angespannt gewesen und plötzlich hatte sich der Knoten gelöst? Sie wirkte so. Ganz gelassen manövrierte sie ihr Cabrio durch die Straßen und Gassen unserer Stadt, bis sie etwas Außerhalb, vielleicht nach einer knappen halben Stunde, den Wagen in einer 30er Zone am Bordstein parkte und ihren Gurt öffnete. “Na komm, meine Kleine”, sagte sie so sanft, dass es mich wohlig erschaudern ließ. Also tat ich es ihr eilig nach und verließ kurz nach ihr den Mazda. Irritiert stellte ich fest, dass wir in einer Straße voller Einfamilienhäuser standen. Ich hatte nicht erwartet, dass sie in so einem Haus lebte. Meine Gedanken ratterten durch meinen Kopf. Hatte sie etwa einen Mann? Kinder? Was dachte ich mir nur dabei, mit zu ihr nach Hause zu fahren? Geschmeidig legte sich eine weiche Hand in meine und ließ mich aufschauen in das tiefe Dunkel Ninas brauner Augen. Meine Ängste wurden mit dieser kleinen Geste bis ans andere Ende der Welt gewischt. “Na komm”, flüsterte sie mir so zärtlich zu, dass ich außerstande war, mich zu wehren. Ich folgte ihr den kleinen gepflasterten Weg zwischen wild wuchernden Sträuchern hindurch zu der braunen Eingangstür ihres Hauses. Hörte das Klirren ihres Schlüsselbunds und lockerte automatisch meinen Griff, doch Nina hielt meine Hand fest. Mit einem leisen, mechanischem Klicken sprang die Tür auf und von überall wehte mir Ninas einmaliger Duft entgegen. Gierig sog ich ihn auf, während sie mich den langen Flur entlang in ihr Wohnzimmer führte. Alles war verwinkelt und vollgestellt mit allem erdenklichen Nippes. Figuren standen auf der Ablage der wuchtigen dunkelbraunen Anbauwand, deren Regale vollgestopft mit Büchern waren. Weiße Gardinen verhingen die Fenster komplett und das lederne Sofa war in beinah demselben dunklen Braun gehalten wie die Anbauwand, die dazu gehörenden Kommoden und der Couchtisch. Nina musste meinen neugierigen Blick bemerkt haben, denn sie lachte leise und ließ schließlich meine Hand los, um sich ihre Jeansjacke auszuziehen. “Das ist das Haus von meiner Omi”, erklärte sie mit einem seichten Lächeln auf den Lippen. Ich fand es unheimlich süß, dass sie ihre Großmutter Omi nannte, was mich fast dazu brachte, zu kichern, doch Nina sprach langsam weiter. “Sie ist vor einem knappen halben Jahr gestorben. Ich bin in den Sommerferien hier eingezogen. Ich muss hier so viel tun.” Sie schmunzelte, sich sehnsüchtig in dem Raum umschauend, und ich bekam einen Kloß im Hals, der es mir beinah unmöglich machte, adäquat zu reagieren. Ich hatte noch nie jemandem mein Beileid aussprechen müssen. Ich riss mich aber zusammen. “Das tut mir leid, Nina”, krächzte ich kaum hörbar und sie fing an leise zu lachen. Ich schaute sie irritiert an. “Schon gut, Kleines. Ich kannte sie kaum. Ich habe erst vor drei Jahren von ihr erfahren und bin dann für mein Referendariat hier her gezogen, damit ich Zeit mit ihr verbringen kann. Leider war sie damals schon sehr krank und es war absehbar, dass ihr nicht mehr allzu viel Zeit blieb.” Nina strich beinah zärtlich über das lackierte Holz der Kommode und schaute sich weiter in dem Raum um. Der Anblick ihrer traurigen Schönheit raubte mir den Atem, doch bevor ich seufzen konnte, sprach sie mich schon wieder in einer normalen Tonlage an. “Gib mir deine Jacke, ich hänge sie mit auf und dann sollten wir reden, oder? Deshalb bist du ja hier, nicht wahr?” Sie streckte mir ihre Hand entgegen und eilig entledigte ich mich nickend meiner Lederjacke, um sie ihr zu überreichen. “Dankeschön”, hauchte ich leise, sie verschwand in den Flur und kam kurz darauf zurück. Wieder ergriff sie meine Hand und führte mich schweigend in eine geräumige moderne Küche, die im krassen Gegensatz zu dem Wohnzimmer stand, aus dem wir gerade kamen. “Else wollte das ganze Haus renovieren, weißt du? Leider hat sie nur die Küche geschafft, aber die macht was her, mh?” Ich nickte staunend und anerkennend, während ich mich in dem großen Raum umsah. Er war unserer Küche zu Hause nicht unähnlich. Eine große Insel beinah in der Mitte, zur einen Seite vier Barhocker an einer großzügigen Marmorplatte, zur anderen ein Induktionsfeld mit sechs Kochplatten. Ihm gegenüber war eine weitere Arbeitsfläche in die Küchenzeile eingelassen. Links der Doppeltürkühlschrank, rechts Herd und Mikrowelle auf Brusthöhe. “Kaffee?”, fragte Nina, nachdem sie mir einen Platz angeboten hatte. Ich bejahte und setzte mich auf den Barhocker, der der Tür am nächsten war. Nachdem sie mir meinen Kaffee gereicht hatte, nahm sie neben mir Platz und trank einen Schluck. “Also”, sie machte eine Kunstpause, sah mich eindringlich an und schürzte die Lippen. “Du hast also mit Jenna geschlafen?” Okay, das war direkt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so zügig auf das eigentliche Thema kommen würde, weshalb ich sie eine ganze Weile in gewohnter Manier anstarrte. Scherte mich gerade aber auch nicht mehr. “Mhm”, machte ich nur unbeholfen, unsicher, wie ich reagieren sollte. Sie grinste und kam mir etwas näher, zog eine Augenbraue hoch und fragte: “War’s gut?” “Ähm…” Trocken schluckend grabschte ich nach meiner Tasse Kaffee, was der Untertasse so gar nicht gefiel, und nahm einen Schluck, um meine Kehle zu befeuchten, doch er war noch heiß, weshalb ich mich hustend verschluckte. Ninas melodisches Lachen erklang und schmeichelte meinen Gehörgängen. Ihr Anblick war traumhaft. Sie war so schön, wenn sie lachte. “Ich fasse das mal als ja auf. War es dein erstes Mal mit ‘ner Frau?”, fragte sie weiter und bettete das Gesicht in beiden Händen, deren Ellenbogen auf den Marmor abgestützt waren. Interessiert und freundlich betrachtete sie mich und ich spürte, wie es mir heiß in die Wangen schoss. “Also...ähm.” Warum schaltete sich meine Rhetorik bei der Frau eigentlich so gut wie immer ab? Nina zog grinsend beide Augenbrauen hoch, gab mir aber etwas Zeit. “Das…”, begann ich stockend, “war schon irgendwie insgesamt mein erstes Mal.” Automatisch zog ich den Kopf etwas ein. Egal, wie sie reagieren würde, ich befürchtete, dass es mir auf die ein oder andere Art weh tun würde. Nina lachte. Es klang hohl, beinah wie ein schlecht nachgemachtes Hohoho vom Weihnachtsmann. “Jenna hat so ein unverschämtes Glück.” Hitze im Gesicht. Ich zupfte nervös an meinem Kragen herum. In diesem Moment wollte ich es so unbedingt ungeschehen machen. Wie gern hätte ich Nina mein erstes Mal geschenkt. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber nachdem mir klar geworden war, dass ich Nina quasi nur für diese Backpfeife aufgesucht hatte, hatte mich das leise Pochen in meiner Wange auf undefinierbare Weise angemacht. Mit Nina zu schlafen wäre das Größte für mich, merkte ich jetzt. “Also technisch gesehen bin ich noch Jungfrau”, sagte ich kleinlaut und wagte es nicht von meiner Tasse aufzuschauen. Als keine Antwort kam, überwand ich mich und hob meinen Blick doch. Nina starrte mich mit einem entgleisten Lächeln auf den vollen Lippen an. Ihre Augen funkelten, nein leuchteten irgendwie unnatürlich. “Sag mir bitte, dass du Jenna verführt hast!”, bat sie amüsiert und klang begeistert. Wieder zog ich den Kopf ein. Dieses mal verlegen. “Schon...irgendwie.” Ihr Grinsen breitete sich wieder auf ihrem ganzen Mund aus und diese jugendliche Begeisterung verbreitete sich auf ihrem Gesicht, genau wie damals, als sie das Gehorsam auf der fünften Aufgabe gelesen hatte. Sie räusperte sich. Offensichtlich bemüht, mir genau diese Begeisterung vorzuenthalten. Dann zog sie wieder ihre Augenbraue hoch und taxierte mich so eindringlich, dass ich befürchtete, unter ihrem Blick zu brechen. “Stehst du so sehr auf Jenna, dass es dir nicht schnell genug ging?” Sie schmunzelte, doch eine Spur Bitterkeit schwang darin mit. Ich ertrug diesen überspielenden Gesichtsausdruck nicht. Sie sah enttäuscht darunter aus. Meine Brust zog sich augenblicklich zusammen. Nadelstiche in meinem Herzen. “Nein!”, stieß ich darum beinah atemlos aus. “Jenna ist toll und sieht gut aus. Keine Frage, aber ich...also wie soll ich das erklären? Ich versteh es ja selbst nicht. Es war ein bisschen wie ein Rausch. Ich konnte mich einfach nicht bremsen und ihre liebe, vorsichtige Art bereitete mir einfach nur Ungeduld.” Wieso kamen die Worte plötzlich wie von alleine? Ich ließ mich nicht bremsen. “Sie war zu sanft. Ich wollte mehr spüren.” Ich redete ohne Punkt und Komma. “Ash-...”, versuchte Nina mich aufzuhalten. “Irgendwann hat sie es dann bemerkt und mich dann nicht mehr angefasst als wäre ich aus Glas, aber es war immer noch nicht genug.” “Ashley.” “Sie hat mich gegen den Türrahmen ge-...” Und dann geschah es! Wieder traf mich Ninas Rechte unvermittelt und flach auf meiner linken Wange. Diesmal zog der Schmerz direkt von dort in meinen Schoß. Sie ließ mir allerdings keine Zeit die Ohrfeige einzusortieren. Ich konnte nur noch die Luft anhalten und mein Herz blieb stehen. Nicht weniger plötzlich spürte ich Ninas weiche volle Lippen auf meinen und es dauerte, ehe ich verarbeiten konnte, was gerade geschah. Ich konnte bis dahin nur denken: Sie küsst mich. Sie küsst mich! Nina küsst mich!? Glücklicherweise saß ich, ansonsten wäre ich sicherlich dank meiner weich gewordenen Knie direkt auf den Boden geflossen. Anders konnte man meinen mentalen Aggregatzustand nicht beschreiben. Sie legte ihre rechte Hand auf die geschlagene Wange und Strich von dort aus sanft in meinen Nacken. Ninas Zärtlichkeit war so anders als Jennas. Es war wie eine Belohnung und ein Trost zur selben Zeit. Wie ein Ausgleich zu der Backpfeife, deren Auswirkungen ich mehr in meinem Unterleib als auf meiner kribbelnden Wange spürte. Gebieterisch teilte sie wie selbstverständlich meine Lippen und drang mit ihrer geübten Zunge in meine Mundhöhle, um meine druckvoll zu massieren. Mein Herz machte einen wuchtigen Satz gegen meine Rippen, bevor es endlich weiter hämmern wollte. Nina schlang ihren anderen Arm besitzergreifend um meine Taille und zog mich so näher an sich. Ich spürte ihre weichen Brüste an meinen. Ihre Hüfte zwischen meinen durch das Sitzen auf dem Barhocker gespreizten Beinen. Sie drängte meine Seite schmerzhaft gegen die Marmorplatte der Kochinsel, was das Gefühl, das der Kuss in mir auslöste, noch um ein Vielfaches intensivierte. Die Erregung, die diese Aktion mir beschert hatte, betäubte schließlich mein Gehirn und schaltete den blinden Mut an, der mich gestern in Jennas Bett getrieben hatte. Ich hob meine Arme und umfasste Ninas schmale Silhouette, bis sie den Kuss jäh abbrach. Ich wollte enttäuscht seufzen, brachte es aber nur auf kümmerliches Keuchen, um, aufgeregt wie ich war, Luft aus meinen strapazierten Lungen zu pressen. Irritiert sah ich sie an und ließ die Arme fremdgesteuert wieder sinken. Irritiert suchte ich Halt im Schokoladenbraun ihrer Augen, die mich dunkel anfunkelten. Ihre Rechte glitt von meinem Nacken zurück an meinen Hals und umschloss ihn. Sie drückte nicht zu, ich mich aber automatisch in ihren Griff. Das Gefühl, dass diese Geste in mir auslöste, war schlicht und ergreifend unbeschreiblich. Nina strahlte Macht aus. Pure Macht. Dominanz, dachte der letzte zum Denken fähige Teil meines Hirns. In ihren Augen las ich nichts als Sex. Ich wollte sie so unbedingt. Jetzt sofort. Der Gedanke beherrschte augenblicklich meine Welt. Unterbewusst lehnte ich mich immer weiter in ihre Hand und erwiderte ihren Blick mittlerweile fest und herausfordernd. Ihr Blick wurde indes immer kälter und irgendwie herablassend. Der Griff an meinem Hals verblieb allerdings starr und ich war es selbst, die mir jeden Millimeter, den es mich näher an Nina drängte, die Luftzufuhr langsam abdrehte. Abseits bemerkte ich nur schemenhaft, wie sich Ninas andere Hand meinen Rücken hinauf schob und mir langsam in mein schwarzes Haar griff. Zu gefesselt war ich von dem stummen Kampf, den wir mit den Augen ausfochten. Ich hob gerade wieder eine Hand und wollte sie an ihre Wange legen, um sie dazu zu bewegen, mich endlich wieder zu küssen, da zog sie stramm meinen Kopf an meinen Haaren zurück. Es ließ mich erschrocken aufstöhnen. Es folgte eine weitere Ohrfeige, viel weniger stark als die anderen Beiden, sie war auch mit Links, aber sie brachte mich dazu, Nina sofort wieder anzuschauen. “Himmel, bist du hungrig, Kleines. Sei nicht so zügellos. Das ist völlig unangebracht.” Ihre kalte Tonlage drang mir bis in die Eingeweide und der herablassende Blick, mit dem sie mich bedachte, gab mir den Rest, obwohl sie noch gar nicht fertig mit ihrer Ausführung war. Sie folgte meinem Gesicht und war mir nun schon wieder so nah, dass ich ihren warmen Atem auf meiner Haut spüren könnte. “Niemals ohne meine ausdrückliche Erlaubnis, Fräulein”, fügte sie noch fauchend hinzu. Eine Gänsehaut kroch meine Wirbelsäule hinauf. Damit war es endgültig um mich geschehen. Ich nickte nur ergeben und völlig neben der Spur und fühlte mich sonderbar klein. Der Drang, ihr meinen vor Erregung triefenden Willen aufzwingen zu wollen, war gebrochen und ich sackte innerlich in mich zusammen. Der Griff an meinen Haaren wurde gelockert und eine Hand in meinen Rücken gelegt. Ein Schleier legte sich über meine Augen und ich nahm alles um mich herum nur noch milchig wahr, aber mein Blick war weiterhin auf Nina geheftet. Ihr Gesicht war alles, was noch scharf zu sehen war, alles, was zählte. Ihre andere Hand legte sich an meinen Hinterkopf und drückte mich an ihre Schulter. Ich wusste nicht, ob ich ihren Herzschlag spüren konnte, oder ob mein Eigenes so deutlich klopfte, dass ich es an ihrer Schulter wahrnehmen konnte. Womöglich waren sie für diesen Moment auch verschmolzen. Es war mir gleich. Ihr Duft lullte mich ein und brachte mir Ruhe und Wohlbehagen. “Es tut mir leid”, flüsterte ich nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sie mich lediglich hielt und mir ihre Nähe spendete. Ich hörte neugieriges Interesse aus ihrer Stimme heraus, als sie dann leise an meinem Ohr sprach. “Was tut dir denn leid, Kleines?” Mit der Wirkung, einfach die Wahrheit zu sagen, die Nina immer auf mich hatte, kamen die Worte aus meinem Mund, ohne dass ich sie vorher abwog. “Dass ich so forsch war”, flüsterte ich leise, “und dass ich mit Jenna geschlafen habe.” Sie lachte leise und milde an meinem Ohr. Für mich klang es vergebend. “Warum tut es dir denn leid, dass du mit Jenna geschlafen hast?”, fragte sie betont überrascht und ließ mich genau heraushören, dass es nicht im Geringsten verwunderte. “Weil…” Ich stockte. “Weil ich...weil ich dir gehöre”, hauchte ich so leise, dass ich meine Worte selbst kaum hören konnte. Diese Tatsache auszusprechen fühlte sich unfassbar gut an und ließ irgendwas von mir abfallen. Es war auf eine unbeschreibliche Art und Weise befreiend. Ich spürte, wie Nina bei diesen Worten schauderte und einen Moment brauchte, um wieder leise zu lachen. “Aber das weiß ich doch, meine Kleine.” Sie lehnte sich etwas zurück und sah mich zärtlich an. Ich verzehrte mich nach diesem warmen Funken, den ich jetzt in ihren Augen sehen konnte. Ich wusste, dass ich für diesen Blick bereit war, alles zu tun. Eine kleine Geste der Zuneigung. Da war sie. Eine verirrte Träne, wie ein Ausdruck der Last, die von mir genommen war, verließ mein Augenlid und rollte an meiner Wange herab. Nina nahm sie mit einem Kuss auf und ließ sie mich von ihren Lippen kosten. Der salzige Geschmack verflog schnell, die Verbindung, die dieser Kuss besiegelte, blieb. Kapitel 21: ------------ “Weil ich … weil ich dir gehöre.” Obwohl ich meine eigenen Worte in dem Moment kaum durch den Schleier, den Ninas Aura um mich gelegt hatte, wahrnehmen hatte können, hallten sie jetzt deutlich und klar vernehmbar in meinem Inneren wieder. Ich lag in meinem Bett und starrte an das Wandgemälde meiner Mutter, das der Mond schemenhaft beschien. Was hatte ich da eigentlich gesagt? Nachgedacht hatte ich vorher definitiv nicht. Das sanfte Kribbeln auf meinen Lippen, das mich an Ninas Küsse erinnerte, ließ nicht zu, dass es sich falsch anfühlte, diese Tatsache ausgesprochen zu haben. Wir hatten minutenlang rumgeknutscht. Als ich nun darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es kein Stück wilder oder härter zugegangen war als mit Jenna. Im Gegenteil. Nina war sanft und liebevoll und ich genoss jedes kleine bisschen Zuneigung, das sie übertrug. Dabei machte mich diese Knutscherei kein Stück weniger an, als gedacht. Im Gegenteil. Jedes mal, wenn meine Erregung mich dazu treiben wollte, mich Ninas Körper und Küssen entgegen zu drängen, schaffte sie es mit winzigen Gesten, diese Versuche in ihrer Entstehung im Keim zu ersticken. Sie krallte ganz leicht in mein Haar, drückte mit der flachen Hand gegen meinen Bauch oder biss mir grinsend in die Unterlippe. Ich folgte jedes Mal und hielt mich brav zurück. Ich war gehorsam. Und mit eben diesem Wort lobte sie nach einer Weile meinen gezügelten Hunger. In meinen blauen Augen sah sie zwar die Wahrheit, die sie das ein oder andere Mal in der folgenden Unterhaltung lachen ließ, aber die Kontrolle darüber schien ihr vorläufiges Ziel zu sein. Sie hatte gerade ihr Kinn in ihrer Hand abgelegt, während ihr Ellbogen auf dem Marmor lag, und betrachtete mich eingehend. “Was hast du nur an dir?”, murmelte sie, ohne eine Antwort von mir zu erwarten, weshalb ich auch nichts erwiderte. Als wenn ich eine Antwort darauf in Petto gehabt hätte. Mit den Schultern zucken konnte ich aber gerade so noch. “Dir ist aber schon klar, dass ich deine Lehrerin bin? Was fällt dir ein, mich einfach zu küssen?” Das dunkle Braun ihrer Augen fixierte mich noch immer. Umspielt von feinen Fältchen, die mir verrieten, dass sie den Ernst der Lage weit weniger ernst nahm, als die Botschaft ihrer Worte es vermitteln sollten. Der letzte rational denkende Teil in mir preschte aus mir heraus: “Natürlich, Nina! Ich werd auch keinem was sagen! Da musst du dir keine Gedanken machen. Und ich sollte jetzt auch gehen. Das ist ja alles total verrückt hier. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe!” Und damit stand ich auf. Genau wissend, dass ich es nicht schaffen würde, zu gehen, wenn ich nur noch einen weiteren Herzschlag in das dunkle Schokoladenbraun schauen würde. Ein Seufzen begleitete mich, das mich aber nicht aufhielt. Der unnachgiebige Griff an meinem Handgelenk Bruchteile später sehr wohl. Ich wagte nicht, mich umzudrehen. Was machte diese Frau denn nur mit mir? Egal, was sie in mir auslöste, sie war meine Lehrerin. Es war doch falsch, oder? “Was hast du nur an dir …?” Obwohl der Wortlaut derselbe war, klang ihre Stimme so viel weicher als zuvor. Weicher als ich sie jemals vernommen hatte. Wehmütig und sehnsüchtig. Ich erstarrte. Unfähig mich umzudrehen oder weiter zu gehen. Wieder seufzte sie. “Natürlich wirst du keinem was sagen, aber dass du gehen sollst, habe ich auch nicht verlangt, mh?” Die Kiefer aufeinander pressend versuchte ich dem Drang zu widerstehen, mich doch umzudrehen. Also verharrte ich schlicht in meiner Starre. “Hast du sowas schon mal gespürt?”, fragte sie ruhig, ohne mein Handgelenk loszulassen. Und auch, wenn die Frage viele Interpretationen zu ließ, wusste ich doch genau, worauf sie hinzielte. “Nina.” Ich glaube, so selbstverständlich hatte ich ihren Namen noch nie in den Mund genommen. “Ich hatte gestern mein erstes Mal …” Ihre Ruhe ging auf unerklärliche Weise auf mich über und ich fand in mir doch die Kraft, mich umzudrehen, um mich dem allesverzehrenden Dunkel ihrer Augen zu stellen. “Ich verstehe gar nichts, was gerade in mir vorgeht. Weder, was gestern in mich gefahren ist, noch, wie du es seit unserer ersten Begegnung schaffst …” Ich musste mich unterbrechen. Ja, was machte sie denn nun mit mir? Ich hatte das Gefühl, dass ich die letzten Tage an nichts anderes gedacht hatte und doch nicht den Hauch einer Ahnung davon hatte. Ninas sanfte Gesichtszüge halfen mir auch nicht. Sie strahlte diese wissende Selbstsicherheit aus, als wüsste sie genau, welchem Gefühlswirrwarr ich ausgesetzt war. Sie gab mir aber Zeit, mich zu sammeln, passende Worte zu suchen und schwieg beharrlich. “Du hast ....” Wieder unterbrach ich mich. Ungeduld wollte Zorn in mir aufsteigen lassen. Mein Herz raste, hatte aber bei weitem nicht die bedenkliche Frequenz einer Panikattacke. Die Hand meiner Lehrerin war wie ein Fokus für meinen Körper, der sich nur auf die Wärme konzentrierte, die sie ausstrahlte, und so ruhig blieb. “Ich kann das einfach nicht erklären”, schloss ich meinen nichtssagenden Schwall an Wortbrocken und sackte frustriert in mich zusammen. “Bitte setz dich wieder, Ash”, bat Nina ruhig. Ich gehorchte fremdgesteuert. “Also schön. Du brauchst mal ein paar klare Worte, mh?” Meinen Blick abwendend nickte ich zögerlich. “Okay. Es lässt sich ja nicht leugnen. Da ist etwas zwischen uns, mh?” Sie klang sanft. Mitfühlend, als wäre sie gar nicht direkt betroffen. Wieder schaute ich kurz zu ihr und senkte dann meinen Kopf kaum merklich. “Ohne jeden Zweifel”, begann sie und ihre Tonlage wurde nicht direkt kalt, aber analytisch, womit ihr direkter Bezug zu unserer Lage scheinbar völlig verschwand. “Ashley, du bist meine Schülerin, aber deine Anziehungskraft auf mich ist wirklich enorm.” Sie machte eine Pause und gab meinem Herzen die Möglichkeit, sich erst leicht zu verkrampfen und dann doch erfreut einen Schlag auszusetzen und schneller zu schlagen. “Weißt du”, begann sie wieder und endlich schien es, als würden auch ihr die Worte mal schwerer über die Lippen kommen, “du sprichst eine spezielle Seite in mir an. So sehr, dass es mir unfassbar schwer fällt, in deiner Nähe nicht mehr zu sein als deine Lehrerin. In meinem Kopf dreht sich alles um einen Gedanken. Ich will dich haben.” Was für ein Wortlaut. Die Formulierung passte so sehr zu dem einzigen Satz, den ich rausbekommen hatte und der genau das ausdrückte, was ich wollte. Wahnsinn. Ich wollte ihr gehören. Mein Herz machte einen Salto. Natürlich war ihr Interesse an mir mittlerweile zu einer Gewissheit geworden, aber es ausgesprochen zu hören, ging so unglaublich tief. Wieder eine Pause. Diesmal spürte ich ihren alles durchdringenden Blick ganz klar auf mir. Sie wollte eine Reaktion. Also hob ich etwas entkräftet meinen Blick und sagte schnell, “Geht mir nicht anders”, bevor ich drohte, mich in dem braunen Dunkel zu verlieren. “Mhm”, machte sie nachdenklich und es entstand eine etwas längere Pause. “An meiner Seite gibt es nur einen Platz, Ash.” Gott, wie eindringlich sie meinen Namen in fast jedem ihrer Sätze mit einfließen ließ. Es bereitete mir beinah schmerzhafte Schauder. “Ich werde dich jetzt nach Hause bringen und dann sage ich dir, was du googlen sollst. Wenn du das hast sacken lassen, meldest du dich bei mir.” Meine Nackenhaare stellten sich so stark auf, dass ich Angst hatte, das Haupthaar würde es ihnen gleichtun. Struwelpeter-Ash. Wäre auch mal einen Hingucker wert. Und das hatte sie auch genau so getan. Vor meinem Elternhaus hatte sie meine Wange so zärtlich und lange geküsst, dass ich die Spur, die ihre Lippen auf der Stelle hinterlassen hatten, auch jetzt noch spüren konnte. Dann hatte sie mir gesagt, nach welchem Begriff ich im Internet suchen sollte. BDSM. Ganz weltfremd war ich nun auch nicht. Sicherlich hatte ich keine Ahnung, aber durch diesen miesen Blockbuster war mir zumindest klar, dass es bei BDSM um einvernehmliche Schmerzen ging. Nina war so wie dieser reiche Mr. Grey. Was der so an sich hatte, dass ihm die Weiber so heillos verfielen, war mir zwar schleierhaft, dafür wusste ich umso besser, was Nina ausstrahlte. Macht und Sex pur. Dass Felix nun tatsächlich recht mit dieser Annahme hatte, warf mich weniger aus der Bahn, als ich gedacht hätte. Es war so, als wenn Nina mich langsam an etwas heran geführt hatte, von dem ich mir nur schemenhaft ausmalen konnte, was es war. Die Aufgabe vom Nachsitzen machte Sinn und auch ihre Ausstrahlung konnte ich nun benennen. Es war meine Reaktion auf ihre Dominanz. Heiße, anziehende, Ich tue alles, was du willst, wenn du mir danach nur eine liebevolle Geste schenkst Dominanz. Ich war nicht weniger hin und weg als vor unserem Gespräch. Und Hie und da zog ein Kribbeln durch meine Magengegend, das sich in meinem Schoß sammelte und heiß wie Lava seine Bahnen durch meine Gefäße zog. Wie würde meine Libido wohl reagieren, wenn ich tiefer in die Materie eintauchen würde? Das Thema hatte bis dahin im Grunde nur positive Reaktionen ausgelöst. Sowohl in meinem Kopf als auch in meinem Körper. Ich seufzte. An Schlaf war eh nicht zu denken. Wieso hatte ich mich eigentlich den ganzen restlichen Tag davor gedrückt? Angst schoss mir in den Sinn. Würde diese kleine Vorfreude vergehen, wenn ich nach meiner Recherche wusste, worauf ich mich einlassen würde? Es nützte nichts. Mit einem weiteren Seufzen richtete ich mich auf, zog meinen Laptop von der anderen Seite des Bettes und drückte die Leertaste. Nachdem sich meine Augen ganz langsam an die Helligkeit des Bildschirms gewöhnt hatten, gab ich BDSM in die Suchmaschine ein. Das Erste, was ich sah, war das schwarzweiß Bild des Nackens einer Frau, die ihr Haar hoch hielt, um ihr Halsband zu präsentieren. Es sah unheimlich anmutig aus und das Leder um ihren Hals zog meinen Blick förmlich an. Dabei spürte ich meine Augen förmlich leuchten, so sehr faszinierte mich der Anblick. Wikipedia spuckte direkt schon mal einen tierisch langen Eintrag mit 13 Tabs aus. Zunächst wollte ich mich aber damit beschäftigen, welche Bedeutung hinter den Buchstaben steht. B für Bondadge. Neuer Tab auf, Bondage in die Suchzeile und ein weiterer Wikieintrag. Übergeordneter Begriff fürs Fesseln im BDSM Kontext. Unfreiheit. Sexualpraktik. Ich musste diese Worte lange auf mich wirken lassen, da sie im ersten Moment keinerlei Auswirkungen auf mich hatten. Genauso wie das dazugehörige Bild einer mit Seilen gefesselten Person. Als ich das Wort fesseln in Bezug auf die Beraubung von Bewegungsfreiheit für sich betrachtete, durchzog mich allerdings direkt eine wohlige Welle von Aufregung. Sich jemandem auszuliefern, klang unfassbar spannend. Jemandem so viel Vertrauen entgegen zu bringen und sich in seine Gnade zu begeben, fiel mir ein Satz von Nina ein, den sie im Café zu mir gesagt hatte. Vielleicht müsste ich mich mit dem, was hinter dem Kürzel BDSM steht, später noch ein weiteres Mal beschäftigen. Was das gefesselt werden genau in mir auslöste, konnte ich noch nicht richtig begreifen. D für Dominanz und Disziplin. Mhm, das war mir klar. Das und Unterwerfung auf freiwilliger Basis. War Dominanz das Wort, welches Ninas Aura am besten beschrieb? Je länger ich die Definition mit ihrer Ausstrahlung verglich, umso sicherer wurde ich, dass es Dominanz war, die sie so anziehend machte. Was sie mit jedem Heben ihrer Augenbraue und der Tonlage, in der sie mit mir sprach, ausstrahlte. Es sorgte immer wieder dafür, dass ich unbewusst meinen Blick senkte. Mich klein und zuweilen beschützt und behütet fühlte. Der Gedanke an ihre Ausstrahlung ließ mein Herz schneller schlagen und meine Mitte tief im Inneren pochen. Okay. Dominant gleich unfassbar heiß und sexy. Bei diesem Gedanken schlug ich mir unterbewusst die Hand vor den Mund und musste dann leise über mich selbst kichern. Das alles hier war so schräg und ich konnte mich noch immer nicht damit abfinden, dass ich meine Lehrerin scharf fand. Zum Schießen. S für Submission und Sadismus. Submission ist dabei der Dominanz zuzuordnen und steht für die Unterwerfung im Bereich D/s. Dieses Paar bezieht sich dabei mehr auf das psychische Machtgefälle zwischen den Parteien in den jeweiligen Beziehungsarten, ob nun als reine Spielbeziehung oder als 24/7 Variante, in der ein Machtgefälle immer vorhanden ist. Dabei stellte ich mir vor, wie es wäre, mit Nina eine Beziehung zu führen. Lief ihre Aufgabe darauf hinaus? Sollte ich mir klar machen, was BDSM ist, damit wir ein Paar werden könnten? Mein Herz wollte sofort wieder Purzelbäume schlagen, weshalb ich mich dazu antrieb, weiter zu lesen. Erstmal musste ich mir darüber klar werden, ob ich mir das überhaupt vorstellen konnte. Okay, meine Fantasie spielte jetzt schon verrückt, also war diese Frage wohl leicht mit ja zu beantworten. Denn während ich die Beschreibung immer und immer wieder las, ohne den Sinn des Absatzes komplett gedanklich zu bearbeiten, fluteten mich Bilder von Nina und mir selbst. Wie oft hatte ich den Blick schon gesenkt, wenn sie streng ihre Braue gehoben hatte, ihr Ton kälter geworden war oder das Gefühl nach den Ohrfeigen. Es machte mich irgendwie klein und gleichzeitig wuchs dieser Wunsch, ihr zu gefallen, ins Unermessliche. Die andere Bedeutung für das S war zugehörig zum SM am Schluss. SM sagte einem ja schon eher was. Sadomasochismus, zusammengesetzt aus Sadismus und Masochismus. Beim Wort Sadismus musste ich allerdings zuerst an amerikanische Profiling-Serien denken. Serienkiller, die ihre Opfer auf besonders perfide Art und Weise folterten und schließlich ums Leben brachten. Gedanklich verknüpfte ich das Wort Folter mit Fesseln und eine eher mittelalterlich anmutende Szene erschien vor meinem inneren Auge. Schwere Eisen an Händen, Füßen und am Hals, die durch unnachgiebige Ketten mit Ösen im Gemäuer verbunden waren und einen Körper vollkommen unbeweglich in Position hielten. Der Körper wurde zu meinem eigenen und ich konnte förmlich die ziehenden Schmerzen spüren, die meine Gelenke ertrugen, um die unfreiwillige Position zu halten. Das leise Klirren der Ketten brachte mir eine reale Gänsehaut, obwohl es nur in meinem Kopf erklang. Hallendes Klacken von Absätzen auf steinernem Boden kam näher. Die Gänsehaut verstärkte sich in gespannter Vorfreude und sorgte dafür, dass sich die feinen Härchen meiner Arme und des Nackens aufstellten. Nina betrat die Szene, gekleidet in unverschämt hohe Highheels, eine matt schwarze Lederleggings und eine beige Korsage, die in dieser Umgebung aussah, als wäre sie aus Leinen. Dunkles Make-up auf den undurchsichtigen Zügen und die Haare streng zu einem Dutt zusammengebunden. Ihr Anblick bereitete mir ein wohliges Ziehen in meinen Eingeweiden. Sie sah so unglaublich heiß aus. In ihrer Linken lag locker der Griff einer Peitsche mit vielen, langen Riemen. Sie trat immer näher und hielt ihren intensiven, alles verzehrenden Blick auf mir. Als sie dann schließlich vor mir zum Stehen kam, verlor ich mich sofort in ihren dunklen, braunen Augen. Eine Ohrfeige riss mein Gesicht ruckartig zur Seite. Ein vertrautes Gefühl kribbelte auf meiner linken Wange. “Konzentrier dich, Traumtänzerin!”, hallte Ninas raue Stimme von allen Seiten wider. “Du warst so ungezogen …”, hauchte sie bedrohlich weiter und wieder bescherte es mir einen Schauder, der jeden meiner Rezeptoren auf hochtouren arbeiten ließ, als er meinen Körper durchzog. “Ja, Herrin”, erwiderte ich automatisch. Die Ansprache klang irgendwie merkwürdig, aber ich wusste nicht, wie ich Nina in solch einer Situation nennen würde, also sagte ich das erste, was mir einfiel. Sie nickte kaum merklich, trat einen Schritt zurück und legte die Peitsche in ihre rechte Hand. “Bereit?”, fragte sie ernst. Wieder antwortete ich: “Ja, Herrin.” Und dann holte sie aus. Ich spannte jeden Muskel in meinem Körper erwartend an. Das Zischen der Riemen durch die Luft. Dann das helle Klatschen, dessen Aufschlag ich nie spüren konnte. Es wiederholte sich immer wieder. Khpiff, khpiff, klirr … brrr … brrrumm ...Was zur ...? Eine bekannte Melodie ließ mich endgültig erkennen, was passiert war. Mein Handy. Mein Wecker. Ich war am Laptop eingeschlafen. Himmel, was für ein Traum?! Vom Bildschirm aus sprang mir das Wort Sadomasochismus entgegen und ich stöhnte leise. Ob ich wohl auf Schmerzen in diesem Kontext stand? Seufzend rief ich mich zur Ordnung, schleppte mich unter die Dusche und schließlich runter in die Küche, in der Leo und meine Ma schon zu Gange waren. Wie immer schnappte ich mir meine Lunchtüte und einen Apfel und schon fiel unsere Haustür hinter mir ins Schloss. Am Ende der gepflasterten Auffahrt wartete auch schon Felix auf mich und mir fiel siedend heiß auf, dass ich mir noch keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, was ich ihm erzählen wollte. Jetzt, da es mit Nina konkret geworden war, musste ich mir dreimal überlegen, ob ich mich weiter mit Felix austauschen wollte. Zumal er eh dagegen war. Zugegebenermaßen aus nicht ganz unberechtigten Gründen. Andererseits hatte er diese Entwicklung ganz genau so kommen sehen, weshalb ich ihm dieses ich hab's doch gewusst gerne gönnen wollte. Highfive. “Hey, Süße! Was geht ab?” Wieso strahlte eigentlich jedem in meinem näheren Umfeld morgens immer schon so die Sonne aus dem Allerwertesten? Murrend setzte ich mich in Bewegung. Felix konnte sich getrost zu meiner Ma und Leo einreihen. Die hatten in der Früh auch jeden verdammten Tag so ekelhaft gute Laune. “Morgen, Feli. Müde, also wäre es nice, wenn du deine Aufgedrehtheit mal ein Müh runterschraubst.” Er kicherte glucksend und war offensichtlich der Meinung, dass das in keinster Weise nett wäre, denn er fuhr in derselben Tonlage und Lautstärke fort; “Danke, meine liebste Ash. Mir geht es auch fabelhaft. Was hast du gestern nach Schluss eigentlich getrieben? Du bist ja abgehauen, wie von der scheiß Tarantel gestochen!” Moment der Entscheidung und so wenig Zeit zum Überlegen. Ach Fuck, was soll's? Felix war in kurzer Zeit zu einem besseren Freund geworden als alle anderen vor ihm - mit Ausnahme von Nadine natürlich.“War ich auch irgendwie. Weißt du, ich musste mit Nina sprechen.” Ich machte eine Pause, denn ich wusste, dass Felix Platz für einen tiefen Seufzer brauchte. “Echt jetzt?”, fragte er anschließend. Ich antwortete nicht. Die Frage führte zu nichts, also seufzte er ein weiteres Mal und fragte dann ruhiger: “Und? Habt ihr gesprochen?” Ich nickte sachte und er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das mich in meinem Vorhaben bestätigte. Wenn nicht Felix, wem sollte ich dann davon erzählen? “Erzähl. Mir. Alles.” Ich atmete noch einmal tief durch. “Ich hab mich einfach an ihr Auto gestellt und gewartet.” Felix schlug sich die Hand vor die Stirn und grummelte nur: “Alter, Ash. Du Stalkerin!” Davon ließ ich mich nun aber nicht weiter beirren. Ich fühlte mich in dem Moment ja selbst genau so. “Als sie dann kam, hab’ ich mich direkt angefangen zu überschlagen und ihr voll vor die Füße geknallt, dass ich mit Jenna geschlafen habe und mich entschuldigt und so.” Er zog scharf die Luft ein, wollte etwas sagen, doch ich ließ ihn dieses Mal nicht. “Und dann hat sie mir eine geschossen.” Jetzt durfte er. “Eh, was?! ‘Ne Ohrfeige?”, fragte er völlig ungläubig. Ich versuchte ihm während der restlichen Erzählung zu erklären, was die Ohrfeigen, Ninas ganze Art und auch die Erkenntnisse vom Recherchieren der vergangenen Nacht in mir auslösten und er nickte jedes Mal bedächtig und verständnisvoll, bis der Satz kam, auf den ich gewartet hatte. “Ich wusste es. Die Klee ist voll ein weiblicher Christian Grey.” Gott, dieser Vergleich ging mir schon jetzt auf die Nerven. Vor allem, da ich ihn selbst so oft in Gedanken nutzte. Aber es war nunmal der einzige, den ich hatte. “Und? 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