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Lieben verboten!

von

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Nachdem ich mich von meiner Mutter verabschiedet, sie mir Glück und Erfolg gewünscht und ich, wie mein Bruder zuvor, ebenfalls das Haus verlassen hatte, erdrückte mich sofort wieder das Unwohlsein, mit dem ich aufgewacht war. Meine Familie war wirklich heil und vorzeigbar und in ihr suchte man vergebens den Grund, warum ich so verkorkst war, darum hatte mich der kurze Moment in der Küche für ebendiesen meine Ängste vergessen lassen. Jetzt aber waren sie übermächtig zurückgekehrt.
 

Hatte ich gesagt, dass ich nicht schwitze? Irrtum. Nervosität ließ den Schweiß in Bächen aus meinen Poren treten. So auch jetzt. Ich eilte viel zu schnell die kurze Strecke zur Bushaltestelle und schnaufte sogar ein kleines Bisschen, als ich zum Stehen kam. Zum Glück hatte ich dadurch so viel Zeit gewonnen, dass ich den Bus wohl nicht in diesem kläglichen Zustand würde betreten müssen. Ich wischte meine nassen Hände an meinen Leggings unter meinem Kleid ab und ließ mich auf die Metallbank der Bushaltestelle nieder, um tief durchzuatmen und mich zur Ruhe zu rufen. Ohne drüber nachzudenken öffnete ich die kleine Fronttasche meines Rucksacks und fummelte mein Headset heraus. Als diese unbedeutende Tat in mein Bewusstsein drang, schalt ich mich dafür, dass ich sie nicht schon zuhause ausgepackt hatte. Musik hören, wenn ich unterwegs war, besänftigte dieses blöde Unbehagen ungemein.
 

Ich sagte mir selbst, dass es sich nun auch nicht mehr ändern ließ und stöpselte die Kopfhörer erst in mein iPhone und dann in meine Ohren. Die klaren und drückenden Bässe, die aus ihnen gegen meine Trommelfelle drängten, beruhigten mich sofort. Mein Herzschlag ging gleichmäßiger und ich spürte, wie der Schweiß auf meiner Stirn allmählich zu trocknen begann. Ich musste morgen auf jeden Fall daran denken, mit Musik in den Ohren das Haus zu verlassen!
 

Ein Tippen auf meine linke Schulter riss mich ad hoc aus meiner schwer erkämpften Ruhe, ich stieß einen Spitzen Schrei aus und schaute in die Richtung, aus der die Berührung gekommen war. Neben mir beugte sich gerade ein junger Kerl zu mir runter, der zwar hübsch war, aber erschrocken einen ziemlich dümmlichen Anblick bot. Er bewegte die Lippen, nachdem er sich gefangen hatte, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Die Kopfhörer! Schnell zog ich einen raus und rutschte automatisch ein wenig nach rechts um Abstand zwischen uns zu bringen.

Er hatte offenbar gerafft, dass ich rein gar nichts verstanden hatte und fing von vorne an:

"Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken! Du, ich bin gerade hierhergezogen und muss zum Burgwall, zu meiner neuen Schule. Hast du 'ne Ahnung welchen Bus ich nehmen muss?" Während er sprach rückte er seine schwarz gerahmte Nerdbrille zurecht und schüttelte einmal sein dichtes, braunes Haar.
 

'Wirklich hübscher Kerl, jetzt so ohne den Schock im Gesicht', dachte ich.

Burgwall? Da muss ich auch hin. Wie, welchen Bus? Fahren hier mehrere? Mist, ich hatte mich in meiner halben Panikattacke gar nicht in der Bushaltestelle umgesehen und mal auf den Plan geschaut. Wortlos sprang ich auf, um dies jetzt nachzuholen und war schockiert, dass hier sogar fünf verschiedene Busse fuhren.

"Ähm...", begann ich zögerlich und studierte die Pläne, ohne ihn groß zu beachten. Er trat an mich ran und seine Nähe machte es direkt unmöglich, ihm weiter keine Beachtung zu schenken. Mein Herzschlag beschleunigte sich automatisch wieder. Ich hasste es so. Ungewohnte Situationen brachten meinen Körper einfach zum Durchdrehen. Die Nähe fremder Menschen war unerträglich.
 

"Ich muss da auch hin, aber hab keine Ahnung, Gott." Er nickte gedankenverloren, während er ebenfalls den Plan studierte und ich hoffte inständig, dass er nicht bemerkte, welch Unbehagen seine Nähe in mir auslöste.

"Ah, hier. M13, den müssen wir nehmen! Tadaa!" Mit einem breiten Grinsen, das förmlich "Lob mich!" schrie, strahlt er mich an und ich kam bei all meinem Unwohlsein nicht umhin, es zu erwidern.

"Super!", sagte ich wenig überzeugend, doch ihm schien es zu reichen, denn sein Grinsen wuchs und offenbarte ein hübsches Grübchen auf seiner rechten Wange.

"Bist du auch gerade erst hergezogen?" Na super. Smalltalk. Ich war echt nicht gut in sowas. Warum hatte ich mir den blöden Plan auch nicht vorher angesehen? Meine Unwissenheit verriet mich. Mein Herz raste noch immer, aber es beruhigte sich allmählich, ganz langsam. Er hatte irgendwas an sich, dass er mir nicht ganz so schwer aufs Gemüt schlug, auch wenn er das dennoch ohne jeden Zweifel tat. Ich nickte nur zur Antwort.
 

"Und gehst du am Burgwall auch zur Schule?" Wieder nickte ich stumm.

"Cool! Ich mach da mein Fachabi in Wirtschaft, zweites Jahr. Und du?" Ernsthaft? Ich sah mich schon jeden Tag mit ihm zur Schule fahren. Lügen brachte also nichts, als wäre das überhaupt eine meiner Stärken. Ich rang mich zu einem schiefen Lächeln durch.

"Ich auch."

"Echt? Das ist ja geil! Was für ein Zufall! In welche Klasse kommst du?" Er ließ sich neben mir auf die Bank fallen, wieder rutschte ich unbewusst bis ans äußerste Ende.

"WA-2." Seine Miene hellte sich noch weiter auf, sofern das überhaupt möglich war. Oh nein...

"Boah, geil! Ich auch! Jetzt kennen wir wenigstens schon jemanden in der Klasse! Ich bin übrigens Felix!" Er streckte mir freundlich seine Rechte entgegen und mein Unwohlsein erreichte seinen Höhepunkt, näherte sich wieder Panik. Ich nahm all meine Beherrschung zusammen, zählte einmal innerlich bis zehn, wischte unter meinem Rucksack erneut meine Hand an meinen Leggings ab und ergriff seine, um sie kurz zu schütteln und meine dann sofort wieder wegzuziehen.
 

"Ashley. Freut mich", gab ich kleinlaut zurück. Darauf zog er eine Augenbraue über den Rand seiner Brille und lächelte dabei. Sein Lächeln war so warm und freundlich, dass die Unruhe in mir langsam wieder abebbte. Felix war wirklich nett und allmählich fand ich es auch gar nicht mal so schlecht, jemanden aus meiner Klasse vorher kennengelernt zu haben. Vielleicht konnte ich ja doch mal soziale Kontakte knüpfen.

"Ashley? Schöner Name!" Eine zarte Röte schlich sich auf meine Nasenspitze. Er klang so ehrlich und ich nahm es ihm vollkommen ab. Früher hatte man mich höchstens mit der Hauptfigur von Pokémon geärgert. Im besten Fall wurde mein Name einfach gar nicht kommentiert, aber das war schlicht und ergreifend lieb.
 

Plötzlich verließ die Anspannung gänzlich meine Glieder und ich lächelte sogar verlegen und vor allem ehrlich!

"Mhm, den gab mir mein Daddy!", erklärte ich stolz und als mir auffiel wie kindlich ich dabei geklungen haben muss, breitete sich die rote Färbung von der Nase auf meine Wangen aus. Felix lächelte schief und offenbarte wieder sein Grübchen, das meinen Blick ein wenig in Beschlag nahm.

"Dein Daddy? Ist er ein Ami?", fragte er belustigt, aber noch immer mit dieser freundlichen Art, dass ich mir dabei einfach nicht blöd vorkommen konnte.

"Mhm!", machte ich wieder.
 

Das Ankommen des M13 Busses unterbrach unsere Unterhaltung und als ich ins Innere schaute wurde mir direkt wieder mulmig. Er war brechend voll. Das war bei einem Metrobus zur Hauptverkehrszeit wohl auch zu erwarten.

'No chance, da musst du durch, Ash', sagte ich mir selbst. Also sammelte ich wieder all meine innere Stärke, zählte im Geist erneut bis Zehn und atmete einmal tief durch. Der Bus kam zum Stehen, öffnete schließlich die vorderen Türen und ich stieg mit Felix im Schlepptau ein. Weit kamen wir aber nicht, nur bis ins vordere Drittel und dass wir stehen mussten verstand sich von selbst. Wir hatten vielleicht eine weitere Bushaltestelle passiert, da stand mir der Schweiß schon wieder auf der Stirn, obwohl der Bus klimatisiert war. Ich hoffte nur, Felix würde es der Masse an Menschen zuschreiben.
 

"Warum seid ihr eigentlich umgezogen?", fragte er und beugte sich ein wenig zu mir runter. Da fiel mir erst auf, wie viel größer als ich er war. Fast einen Kopf. Dabei war ich ja nun auch nicht gerade klein. Komischerweise hatte die Nähe, die er dabei aufbaute wieder einen entspannenden Effekt auf mich und ich schaute zu ihm hoch, um mich auf ihn zu konzentrieren und die Umgebung auszublenden. Es funktionierte. Irgendwie.

"Daddy hat hier einen besseren Arbeitsplatz angeboten bekommen. Was ist mit euch?" Ich kam mir wieder etwas komisch dabei vor, dass ich 'Daddy' sagte, aber der traurige Glanz, der kurz durch Felix‘ hellbraune Augen huschte, ließ mich das schnell vergessen.
 

"Meine Mutter hat sich von meinem Paps getrennt, weil der Scheiße gebaut hat und jetzt sind wir hierhergezogen, weil sie hier aufgewachsen ist. Meine Großeltern und einige ihrer Freunde leben hier und sie hat auch einen Job gefunden." Ach so...

"Das tut mir leid, Felix." Das tat es wirklich, aber Felix hatte schon wieder ein Lächeln aufgesetzt, auch wenn es seine Augen nicht mehr ganz erreichte.

Wir unterhielten uns die gesamte Busfahrt über. Ich erfuhr, dass Felix ein Jahr jünger war und dass er nebenbei ein bisschen modelte. Das war der einzige Grund, warum er dem Umzug in die große Stadt positiv entgegensah, ansonsten teilte er mein Unbehagen. Vermutlich nicht in seiner Panikattacken-auslösenden Intensität,, aber er wär auch lieber in seiner Heimatstadt geblieben. Er passte so gar nicht in mein Bild der jungen und schönen Menschen Deutschlands, aber er hatte was an sich, sodass ich mich gern vom Gegenteil überzeugen lassen wollte.
 

Als wir schließlich vor dem alten Bauwerk mitten in der Stadt standen, in dem wir von nun an die Schulbank drücken würden, fühlte ich mich gar nicht mal so schlecht. Ich entschied für mich, dass die Busfahrt das größte Übel gewesen war. Mit einem großen Strom junger Erwachsener, alle mehr oder weniger in meinem Alter, betraten wir schließlich die beeindruckende Eingangshalle, von der eine riesige Wendeltreppe fünf Stockwerke nach oben führte. Ich schaute staunend hinauf, während wir hindurch schritten. Felix sagte etwas von wegen, dass das Sekretariat auf der anderen Seite sei und ich ihm folgen solle. Ich murmelte zwar eine bestätigende Antwort, aber starrte noch immer nach oben, wo im fünften Stock über dem riesigen Treppenhaus statt einer Decke eine keilförmige Glasscheibe das Dach markierte. Es war Buntglas und die Sonne warf so facettenreiche Prismen in das Gebäude, dass ich nicht anders konnte, als von dem Anblick gefesselt zu werden.
 

Ein Schritt weiter und ein durch ein Stück rotes Buntglas gebrochener Lichtstrahl blendete mich für eine Millisekunde und schon stoppte etwas Weiches meine Bewegung. Ich kam direkt etwas ins Taumeln, doch eine samtweiche Hand ergriff mein Handgelenk so federleicht, gerade mit genug Kraft, um mich so zu stabilisieren, sodass ich direkt zum Stillstand kam.

"Hoppla!", erklang eine melodische Stimme, so glockenklar im Tumult der Menschenmasse, dass ich meinen Blick, der erst instinktiv zu Boden ging, hoch in ein Paar haselnussbrauner Augen riss. Der Gedanke, ob die grünen Sprenkel darin vom Prisma der Deckenscheibe in diese wunderschönen Augen gezaubert wurden oder von Natur aus hinein gehörten, beherrschte für einen Herzschlag mein Bewusstsein, bis der Schülerstrom mich weiter drängte. Die Hand gab mich so zärtlich frei, wie sie mich gepackt hatte, und hinterließ ein merkwürdiges Kribbeln auf meiner Haut. Ich erblickte noch das Gesicht zu diesem Augenpaar und erkannte, dass es sich um eine Frau handelte. Eine Wunderschöne, wie ich frei von Neid feststellte. Kastanienbraunes Haar, das vielleicht einen natürlichen Rotstich aufwies, umringte lockig die makellosen Züge ihres fein geschnittenen Gesichtes.
 

Das Spiel der Lichter gab dem Augenblick und vor allem dieser Frau etwas Magisches. Der Mund, zu einem schiefen Lächeln verzogen, war mit einer tiefroten Farbe bestrichen und eine weit aufgeknöpfte, karmesinrote Bluse rundete das Bild ab, ohne billig zu wirken. Unsere Schultern streiften einander, während wir weiter gedrückt wurden. Amüsiert zog sie eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen gen Haaransatz. Schaute ich so dumm aus der Wäsche?

"Entschuldigung!", holperte endlich ein Wort aus meiner Kehle, kratzig und rau, als hätte ich meine Stimme seit Tagen nicht benutzt. Mädchenhaft hält sie eine Hand vor den Mund und verschwand kichernd aus meiner Sicht.
 

Es dauert einen weiteren Herzschlag, bis ich endlich wieder nach vorn schauen konnte und ich kam mir mehr und mehr wie ein Ping Pong Ball vor. So lang mir diese merkwürdige Begegnung vorkam, so schnell und hart drängte nun Panik in mein Bewusstsein. Die Nähe der vielen Menschen schnürte mir, jetzt, da der magische Moment so hart unterbrochen wurde, die Brust zusammen und das Atmen fiel mir direkt schwerer.

Wo war Felix?

Zum Glück war er so groß, dass ich ihn in der Menge ausmachen konnte, bevor mein Herzschlag eine bedenkliche Frequenz erreichte. Ihn taxierend folgte ich ihm, bis wir in der Nähe des Sekretariats die Aushänge fanden. Darauf unsere Klasse auszumachen ging dann überraschend schnell und Felix und ich wussten, dass wir in den Raum 209 mussten. Okay. Zweiter Stock. Das ging ja noch.
 

Als wir wieder zum Treppenhaus umkehrten, hatte sich der Schülerstrom glücklicherweise etwas gelichtet. Der plötzliche Freiraum löste wieder das Band, welches sich um meine Brust zu ziehen drohte und ich atmete erleichtert ein und aus.

"Hier ist ganz schön was los, mh?", fragte Felix über seine Schulter hinweg.

"Mhm!" Mehr brachte ich noch nicht zustande. Mir ging es zwar deutlich besser, aber die Anspannung, die die Massen an Schülern in mir auslöste, war noch weit davon entfernt, abzuklingen und der Gedanke an die Ankunft in der neuen Klasse machte es nicht besser.
 

Als wir die Stufen hinaufstiegen, erlaubte ich mir noch mal, hochzuschauen und während ich die bunten Farbenspiele auf den Wänden betrachtete, schlich sich automatisch das braune Paar Augen zurück in mein Bewusstsein und ich meinte, ihren Griff an meinem Handgelenk wieder zu spüren.

Da ich dennoch mit den langen Beinen von Felix Schritt zu halten versuchte, ließen wir das Treppenhaus fast ein wenig zu schnell für meinen Geschmack hinter uns. Im zweiten Stockwerk führte zu jeder Seite ein Gang, wir standen vor dem Raum 225 und wandten uns nach links. Passierten eine weitere, viel schmalere Treppe und die Tatsache, dass das Treppenhaus, über dem das Buntglas thronte nicht der einzige Fluchtweg war, gab mir noch etwas mehr Spielraum zum Atmen.
 

Vor einigen Klassenräumen standen noch Schüler, so aber nicht vor der 209. Na super. Genau das brauchte ich jetzt. Einen Sonderauftritt. In meinem Kopf ertönte Trommelwirbel, der sich augenblicklich in rasenden Kopfschmerzen manifestierte, während Felix die Hand hob, um an der Tür zu klopfen. Ich biss die Zähne zusammen.

"Herein!" Felix hatte die Tür schon geöffnet, bevor die Aufforderung ausgesprochen wurde, und so drang sie in aller Klarheit an meine Ohren.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Am Lehrerpult lehnte lässig die Frau, mit der ich vorhin im Treppenhaus zusammengestoßen war. Unter der roten Bluse, die, an den Ärmeln hochgekrempelt, wohl eher ein Hemd war, trug sie ein orangebraunes Kleid, dessen Rock sich eng um ihre Beine legte und diese vorteilhaft betonte. War sie so groß wie ich? Ihre Beine wirkten jetzt so lang. Sie musste doch größer sein!

"Ah, wir haben schon auf euch gewartet", begrüßte sie uns freundlich, doch als Felix den Blick auf mich gänzlich Preis gab, zog sie wieder amüsiert eine Augenbraue empor.

"Ach, die Traumtänzerin..."



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