Vampire Kiss von Laito-Sakamaki ================================================================================ Kapitel 33: Haruka schlägt zu ----------------------------- 33. Haruka schlägt zu Yuri hatte wütend das Haus verlassen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Zumindest bei Michiru war sie sich ihrer Sache immer sicher gewesen. Dass diese sich aus freien Stücken plötzlich gegen Haruka entscheiden würde, war wirklich nicht zu erwarten gewesen. Erst Recht nicht, nach dem zweiten Biss dieser Art. War es möglich, dass Haruka wirklich nicht ihre Macht einsetzte, um Michiru zu bekommen? Doch selbst wenn das so war, würde sich das sicher sehr bald ändern. Gerade ging die Sonne unter und somit gab es nichts mehr, was die Vampirin zurück halten würde. Zuerst würde sie Yuri bestrafen und sich dann Michiru holen. Sicher wusste sie längst, dass diese sich noch immer bei Reijka befand. »Alles aus«, dachte sie voller Zorn, »Was sollte ich jetzt noch ändern? Egal was ich sage – bei Haruka wird es auf taube Ohren stoßen.« Der Blondine zu Füßen zu kriechen und um eine weitere Chance betteln, wäre ebenfalls sinnlos. Im Grunde konnte sie nun einfach abwarten bis die Vampirin sie fand und richtete. Was sicherlich sehr schnell der Fall war. So lehnte Yuri sich gegen einen Baum und beobachtete den Sonnenuntergang, der wohl der letzte ihres Lebens sein würde. Seltsamerweise löste dieses Wissen weder Angst noch Trauer in ihr aus. Alles was sie verspürte war Ärger über sich selbst. Absolut alles hatte sie in ihren Händen gehalten. Ihr Wissen war ihr in jeder Situation ein Vorteil gewesen und sie hätte alles bekommen, was sie gewollt hatte. Doch sie war sich ihrer Sache zu sicher gewesen. Hatte zu hoch gespielt und verloren, wegen ihrer Eitelkeit. „Ich hätte mir nicht so sicher sein dürfen“, murmelte sie, als die Sonne vollends verschwunden war. In genau dieser Sekunde stand Haruka vor ihr. Mit vor der Brust verschränkten Armen und ihrem, üblich arrogantem Gesichtsausdruck, grinste sie Yuri überlegen an. „Das hättest du wirklich nicht“, war sie fast schon belustigt, „Genau darum will ich ihre Entscheidung nicht beeinflussen, du dummes Ding! Weil sie zu ihren Überzeugungen steht und sogar bereit ist, dafür ihr Leben lang zu leiden oder zu sterben. Weil in ihr eine Stärke wohnt, die ich fördern und nicht zerstören will.“ Sie blickte in Richtung der riesen Villa, in der sie ganz deutlich Michiru spürte und sah Yuri danach wieder an. „Du machst dich heim und bereitest alles vor für ihre Rückkehr!“ befahl sie, zur deutlichen Überraschung ihres Gegenübers, „Und zwar ohne vorher zu deinem Wolfsfreund zu rennen!“ Dann verschwand sie und ließ ihre verwirrte Dienerin zurück. »Wieso hat sie mich nicht getötet?« hämmerte es in ihrem Kopf. Klare Gedanken wurden unmöglich. Es war einfach unbegreiflich. Haruka wusste um fast jeden Verrat, den Yuri begangen hatte. Sie wusste, dass sie noch immer ein falsches Spiel trieb und sie wusste, dass sie ihre Michiru wollte. »Nur wofür ich sie will, dass weißt du nicht!« Und schon schlich sich wieder ein zufriedenes Grinsen auf ihr Gesicht. Was interessierte es, warum Haruka sie nicht getötet hatte? Sie hatte es nicht getan und damit blieb doch noch eine Chance, das Ziel zu erreichen. Ohne es zu wollen oder zu wissen, hatte die Vampirin ihr das letzte Wegstück geebnet. Wenn sie Michiru wirklich mitbrachte, war das sogar vielleicht die Chance überhaupt, ihr so begehrtes Ziel, doch noch zu erreichen. »Wie gut das niemand außer mir um dieses wertvolle Geheimnis weiß«, machte sie sich grinsend auf den Weg, »Zur höchsten Not kann ich das nun sogar als Druckmittel benutzen…« Michiru war sehr unruhig. Die Sonne ging gerade unter und Reijkas kleine Grillparty war mittlerweile derart gut besucht, dass absolut kein Überblick mehr zu halten war. Die komplette dritte Terrasse war eine große Fete und auch die beiden ersten Terrassen waren in Beschlag genommen. Überall waren Leute in kleineren oder größeren Gruppen oder auch paarweise verteilt, bester Stimmung in Erwartung einer langen Partynacht. »Ein Frühstücks Buffet für Vampire und Werwölfe«, dachte Michiru bitter, »All diese sorglosen, jungen Menschen. Sie haben keine Ahnung, in welcher Gefahr sie alle sind meinetwegen…« Je dunkler es wurde, desto mehr fiel ihr auf, wie gut sie dennoch sah. »Es ist also doch etwas da. Nur wieso habe ich in den letzten Tagen absolut nichts gespürt?« Wieder versuchte sie, irgendeine Verbindung mit Haruka aufzubauen, doch wieder spürte und empfand sie nichts. Nichts außer diesem unguten Gefühl, welches nach Yuris Besuch noch intensiver geworden war. Und so aufmerksam sie auch suchte, etwas Ungewöhnliches fiel ihr nicht auf. Mit langsamen Schritten lief sie Terrasse für Terrasse ab. Als sie ihre erste Runde am unteren Rand der dritten Terrasse beendete, war es bereits stockdunkel. Sie lehnte sich an eine der Brüstungen zur letzten Terrasse und sah abwesend dem bunten Treiben zu. Einige Minuten stand sie so da und wollte gerade zu einer erneuten Runde aufbrechen, als sie Haruka entdeckte. Mitten in einer Gruppe junger Leute befand sie sich und steuerte genau auf Michiru zu. Sie sah harmlos und ungefährlich aus, wie all die anderen auf dieser Party, doch Michiru wusste, dass sie es nicht war. Ihr Herz pochte heftig und in ihrem Hals setzte sich ein Kloß fest. Harukas unverfängliche Art hier zu erscheinen ließ sie hoffen, dass die Vampirin nicht hier war, um zu töten. Als sie nur noch wenige Meter von Michiru entfernt war, traf sie die volle Wucht des vampirischen Charmes. Ihr Herz pochte nicht mehr – es raste, ihr Hals war wie zugeschnürt, sie konnte nicht mehr schlucken und kaum noch atmen. Ihr wurde heiß, sie begann zu zittern und ihre Beine drohten wegzusacken. In der Sekunde in der sie dachte, das alles nicht mehr auszuhalten, stand Haruka vor ihr und sah ihr genau in die Augen. „Ich sehe, ich brauche dir nichts zu erklären“, flüsterte sie, „Du fühlst es genauso wie ich. Unsere Wege haben sich nicht zufällig gekreuzt, also wehre dich nicht gegen das Schicksal und komm mit mir…“ Sie hielt Michiru die Hand entgegen und diese wollte sie ergreifen. Dann jedoch zögerte sie und zog ihre Hand zurück. „Es tut mir leid“, sagte sie leise und ihre Stimme versagte fast, „Vielleicht sind wir wirklich füreinander bestimmt, aber wenn ich zu dir zurückkehre, werde ich noch in dieser Nacht so werden wie du und was auch immer in mir schlummert wird erwachen. Kein Vampir darf diese Macht besitzen. Nicht die großen Alten und auch du nicht Ruka. Bitte versteh das.“ Sie versuchte eine Regung zu erkennen, doch Harukas Ausdruck verriet absolut nichts. „Denkst du wirklich, es geht mir um die Macht in dir?“ wollte die Blondine wissen, „Hat Yuri dir so sehr den Kopf verdreht? Du weißt, ich wollte dich lange bevor einer von uns irgendetwas von dieser Macht wusste. Warum glaubst du plötzlich, es wäre anders? Habe ich dir Grund gegeben an mir zu zweifeln?“ Ihre Stimme war ruhig und ihr Gesichtsausdruck noch immer nicht zu deuten. „Nein“, schüttelte Michiru den Kopf, „Du hast nichts Falsches getan. Aber du musst doch genauso wie ich spüren, dass da irgendetwas passiert zwischen uns. Irgendeine böse Kraft ist da entstanden und sie wird stärker, wenn wir zusammen sind, wenn du mein Blut trinkst…“ Sie griff nun doch nach Harukas Hand und barg sie in den ihren. „Bitte“, reckte sie sich ihr entgegen und sah ihr fest in die Augen, „Wenn ich dir wirklich etwas bedeute Haruka, dann lass mich bitte gehen. Ich will einfach nicht so sein wie du, jede Nacht töten müssen und nie wieder die Sonne sehen dürfen. Und ich habe Angst vor dem, was in mir ist!“ Haruka erwiderte ihren Blick. Beinahe schon eine kleine Ewigkeit sahen sie sich tief in die Augen und Michiru bekam immer mehr das Gefühl, dass es etwas Gutes bedeutete. Als die Blondine leicht zu Lächeln begann und ihr sanft eine Hand auf die Wange legte, festigte sich dieses Gefühl. Was die Vampirin jedoch sagte war trotz der, schon fast freundlich, gesprochenen Worte ein Schock für Michiru. „Du weißt, dass ich das nicht kann Michi“, hauchte sie, „Wenn ich dich gehen lasse, könnte ein anderer Vampir dich in die Finger bekommen und sich die Kraft deines Blutes aneignen. Das kann ich nicht zulassen!“ Sie strich ihr sanft eine Locke zurück und sah ihr wieder lächelnd in die Augen, während ihre Finger abwärts glitten und Michirus Kinn ebenso sanft umfassten. „Ich töte nicht seit Beginn meiner Existenz jeden großen Alten, den ich in die Finger bekomme, um mir am Ende die Macht doch noch streitig machen zu lassen!“ Ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen und ihre Augen waren genauso kalt und leer, wie sie es bei ihrem ersten Zusammentreffen waren. Trotzdem ihr Griff ein sanfter war, erkannte Michiru wieder deutlich das gefährliche Raubtier in ihr. Den skrupellosen Dämon, der sie war. „Du…wusstest es doch…“, wisperte Michiru fassungslos, „Du hattest es wirklich von Anfang nur auf mein Blut abgesehen…“ Sie schluckte hart. Das konnte nicht wahr sein. Haruka hatte ihr vom ersten Tag an etwas vorgespielt, hatte sie die ganze Zeit über getäuscht. Ihr Herz krampfte sich zusammen und löste einen stechenden Schmerz aus. „Du hast mich benutzt…“, presste sie hervor und drängte die Tränen zurück. „Ich habe dich nicht benutzt“, erklärte Haruka und löste sich von ihr, „Du hast Recht – zu Anfang wollte ich nur dein Blut, aber das hat sich sehr schnell geändert. Du warst nicht nur einfach interessant oder anders, wie Kyoko oder das eine oder andere Mädchen in meinem Leben. Du hast mir etwas gegeben, was kein Mensch mir je gegeben hat und hast meine Neugier geweckt.“ Sie blickte kurz zum Waldrand auf die vierte Terrasse herunter, dann wieder Michiru an. „Ich fühle mich wohl in deiner Nähe“, redete sie weiter, „Sofern ein Vampir sich wohlfühlen kann. Deine Gegenwart ist etwas Besonderes und nie Dagewesenes in all den Jahrhunderten. Niemals hast du mich gelangweilt oder gar wütend gemacht. Soweit es möglich ist für meinesgleichen…“, sie machte eine kurze Pause, „…habe ich mich in dich verliebt!“ In der nächsten Sekunde stand sie wieder ganz dicht vor Michiru. So schnell und unverhofft, dass diese erschreckt aufschrie, als Haruka ihre Handgelenke umfasste und sie zu sich zog. „Ich kann dich nicht gehen lassen, verstehst du?“ funkelte sie sie an, „Auch wenn ich von der Macht in dir erst später erfahren habe – sie ist eine willkommene Zugabe zu dem, was ich schon seit der ersten Nacht will und nun auch schon so lange begehre. Du gehörst mir und ich werde weder zulassen, dass irgendwer anderes dich jemals berührt, noch dass die Macht in dir ungenutzt bleibt. Komm zu mir und wir beide werden die letzten der großen Alten auslöschen und haben die Ewigkeit, um die Macht in dir zu erforschen und für unsere Herrschaft zu nutzen!“ Wieder schluckte Michiru hart. Zum ersten Mal seit langem hatte sie Angst vor Haruka. Nach allem was Michiru jetzt wusste, würde sie sie niemals einfach gehen lassen. Selbst dann nicht, wenn sie darum bettelte. Sie wollte ihr Blut und sie würde es sich holen. „Ich…kann nicht…“, bekam sie gerade noch so heraus. Sie war sich sicher, die Vampirin würde nun ihren Trieben einfach nachgeben und rechnete mit dem Schlimmsten. Das geschah jedoch nicht. Stattdessen begann sie wieder zu sprechen. „Du willst also nicht?“ pustete sie und stieß sie etwas von sich, „Also gut. Wenn du mich und meine Liebe nicht willst, dann auch nicht meinen Schutz.“ Ihre Augen begannen zu glühen und ihre Reißzähne leuchteten fahl im Mondlicht. „Ich werde dir nicht mehr zu nahe kommen“, klang ihre Stimme kalt und emotionslos, „Doch schon bald wirst du mich anbetteln, dich zu nehmen!“ Sie löste sich vor Michirus Augen auf und diese traute sich noch einige Sekunden lang kaum zu atmen, geschweige denn, sich zu rühren. Dann jedoch begann sie heftig zu zittern und sackte auf die Knie. Die Tränen bahnten sich nun doch ihren Weg und sie fing an zu schluchzen. „Doch nur ein Traum“, flüsterte sie, „Ein schrecklicher Albtraum…“ Sie hatte sich wirklich in Haruka verliebt. Das machte den Schmerz nun doppelt so groß. Anfangs hatte sie nur um ihr Leben gefürchtet, sterben zu müssen, ihres Blutes wegen. Jetzt fürchtete sie genauso sehr, weiter zu leben. Jede Minute mit der Angst zu verbringen, doch noch ein Opfer zu werden und mit diesem schrecklichen Schmerz in ihrem Herzen. In diesem Augenblick durch schnitt ein Schrei die laue Nachtluft. Er war so laut und panisch, dass er trotz der Musik und den vielen, feiernden Menschen nicht zu überhören war. Sofort stieg ein schrecklicher Verdacht in Michiru auf. Schnell wischte sie die Tränen weg und lief in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen war. Anhand der anderen aufmerksam gewordenen, sah sie schnell, wohin genau sie musste. »Bitte lass es nicht Reijka sein«, schickte Michiru ein Stoßgebet nach dem anderen, »Sie hat mir doch nur helfen wollen.« Als sie die oberste Terrasse endlich erreichte und sich dem Pool näherte, sah sie Reijka, die vor einer Liege hockte und ein weinendes Mädchen tröstend im Arm hielt. Noch einige weitere Leute hatten sich eingefunden und standen im Halbkreis um sie herum mit den Gesichtern Richtung Pool. Nachdem Michiru noch einige weitere Schritte gemacht hatte, sah sie durch die Unterwasserleuchten deutlich, dass das ganze Wasser eine rote Färbung angenommen hatte. Ihre Schritte wurden langsamer und sie erwartete erneut das Schlimmste. Dann hatte sie die Gruppe erreicht und konnte sehen, was sie sahen. Im Wasser trieben drei Leichen. Alle mit dem Gesicht nach unten und alle mit aufgerissenen Hälsen. Am Rand des Pools lagen zwei weitere Leichen. Eine mit aufgerissener Kehle und eine mit gebrochenem Genick. Der Kopf war um 180 Grad nach hinten gedreht. Kein Mensch war zu so etwas fähig. »Haruka«, schoss es durch Michirus Kopf, »Sie ist das in der Bar wirklich gewesen…« Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht weglaufen konnte. Ihr wurde klar, Haruka würde alles und jeden töten, mit dem Michiru in Berührung kam. Das hatte sie von Anfang an getan und sie würde es tun, bis Michiru entweder aufgab und zu ihr zurückkehrte, oder für immer starb und somit auch die Macht, welche sie in sich trug. Langsam ging sie einige Schritte rückwärts. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und wich immer weiter zurück. Das konnte einfach alles nicht wahr sein. Entweder würde sie selbst für die Ewigkeit jede Nacht zum Killer werden, oder Haruka würde all die töten, die Michiru nicht töten wollte und zu retten versuchte. Als sie gegen etwas prallte, fuhr sie erschrocken herum. Sie sah direkt in Harukas leuchtende Augen und auch ihr blutverschmierter Mund war nicht zu übersehen. „Komm nicht auf die Idee, dir das Leben nehmen zu wollen“, wisperte sie warnend, „Dafür ist bereits zu viel von mir in dir und solange das so ist, kannst du nicht sterben!“ Bevor Michiru irgendwie reagieren konnte, war sie auch schon wieder verschwunden. Einen Augenblick lang noch war sie vollkommen erstarrt, dann jedoch wurde ihr klar, Haruka war noch hier. Ganz deutlich spürte sie ihre Präsenz und im selben Moment wusste sie, es würde nicht bei diesen Leichen bleiben. Kaum das sie sich dessen bewusst war, durchschnitt der zweite Schrei die Nacht. Er kam von weiter unten und sofort rannte Michiru wieder los. Die meisten der jungen Leute hatten sich mittlerweile auf der ersten Terrasse eingefunden und die wenigen, die es noch nicht hatten, kamen Michiru auf der zweiten Terrasse entgegen. Sie waren aufgeregt und verängstigt und einer von ihnen sprach Michiru an. „Was ist hier los?“ fragte er zitternd, „Sie sagen am Pool hat es Tote gegeben und gerade ist da unten irgendwas geschehen!“ „Von wo kam der Schrei?“, wollte Michiru aufgebracht wissen, „Hast du irgendetwas gesehen?“ „Ich glaube, er kam vom Pavillon“, antwortete er hektisch und wollte weiter, „Wir waren schon am Aufgang dieser Terrasse, als es passiert ist.“ Dann lief er weiter. Michiru war es nur Recht. Je weiter sie alle weg waren von Haruka, desto besser. Schnellen Schrittes lief sie zum Pavillon und blieb als sie ankam, wie versteinert stehen. Zwei Mädchen lagen schluchzend auf den, dort vorhandenen, Bänken. Ihre Kleidung war in Hals – und Schulternähe blutgetränkt. Ein drittes Mädchen hielt Haruka noch fest umklammert und ließ sie in genau diesem Augenblick los. Zu Füßen der Vampirin sackte sie auf die Knie und kippte dann nach hinten, wo sie schwer atmend liegen blieb. Harukas Blick traf Michiru und beide sahen sich regungslos an. Dann fasste Michiru sich ein Herz und ging langsam näher. „Warum hast du das getan?“ fragte sie brüchig, „Sollen sie etwa Yuris Platz einnehmen?“ „Yuri ist nichts“, antwortete Haruka kühl, „Sie ist nur ein Zombie. Ein fast toter Körper, der sich durch Blut am Leben erhält, aber ohne den geringsten vampirischen Kern. Nichts hat sie bekommen – nicht von mir und nicht von Ayame. Diese Mädchen hier aber…“, sie sah grinsend auf ihr `Werk´, „Sind dazu bestimmt zu meinen Geschöpfen zu werden und mir ewig zu dienen. Sie werden, genau wie ich, die Macht dazu besitzen, weitere Vampire zu schaffen und so wird meine Ahnenreihe wachsen und unbesiegbar.“ Sie begann zu lächeln und streckte langsam ihren Arm nach Michiru aus. „Du kannst ihre Königin sein“, flüsterte sie und drehte die Handfläche nach oben, „Du musst nur meine Hand nehmen und mit mir kommen…“ „Niemals werde ich das tun“, schüttelte Michiru fast unmerklich den Kopf, „Du bist nicht die Haruka, die ich liebe. Du bist ein grausamer Dämon, machtgierig und ohne Skrupel. Aber was auch immer es ist, dass ich in mir trage – du wirst es nicht bekommen!“ „Ganz wie du willst“, entgegnete die Blondine lächelnd, „Wir sehen uns wieder.“ Sie machte eine tiefe Verbeugung mit einer ausladenden Handbewegung und war in der nächsten Sekunde verschwunden. Dieses Mal war sie wirklich weg, das spürte Michiru deutlich. Denn die Verbindung, welche damals nach dem ersten Biss vorhanden gewesen war, die gab es nun erneut. Es war nicht mehr diese unwiderstehliche Anziehung, die Michiru in der letzten Zeit immer zu der Vampirin verspürt hatte, sondern wieder diese seltsame Art innerer Verbindung. Das erfühlen können von Emotionen und Gedanken, das Miterleben ihrer Taten. Haruka hatte es deutlich gesagt und Michiru wusste, dass auch sie zur Zeit Teil von Harukas Ahnenreihe war. Und so lange sie das noch sein würde, würde auch diese Verbindung nicht mehr abreißen. Bereits vor einiger Zeit hatte sie durch die Lektionen der Vampirin gelernt, dass einen intensiven Vampirbiss auszuheilen, einen guten Monat kostete. Wie lange würde es nach zwei solchen Bissen benötigen? Zwei Monate oder sogar drei? Selbst wenn die Rechnung wirklich so einfach war, zwei Monate waren eine Ewigkeit, wenn blutgierige Vampire und vielleicht auch von Rache getriebene Werwölfe hinter einem her waren. Wie sollte sie zwei Monate lang vor Haruka fliehen, um deren Einfluss auf sie nichtig zu machen? Sie konnte nicht fliehen vor der Vampirin und verstecken konnte sie sich auch nicht. Es gab kein sicheres Versteck für Michiru. Haruka würde sie überall aufspüren, solange es diese intensive Verbindung zwischen ihnen gab. »Will ich mich wirklich auf diesen Spießroutenlauf einlassen?«, fragte sie sich selbst, »Ich kann es allenfalls hinaus zögern, aber keinesfalls verhindern…« Und dieses Hinauszögern würde viele Menschen das Leben kosten. Menschen, die normalerweise nicht zu Harukas Opfern werden würden, die die Vampirin nur töten würde, um Michiru ihre uneingeschränkte Überlegenheit zu demonstrieren und das sie bereit war, bis zum Äußersten zu gehen. Ihr Blick schweifte über die drei Mädchen, die zwar alle noch lebten, aber Harukas Macht jedoch jetzt absolut ausgeliefert waren. Ihre Zukunft lag nun einzig und allein in den Händen der Vampirin…oder vielleicht doch in den ihren…? »Wenn ich zu ihr zurückkehre, kann ich sie vielleicht retten.« Dann aber ließ Michiru den Kopf sinken. Sie machte sich noch immer etwas vor. Haruka hatte klar ausgesprochen, was ihr Ziel war. Auch ohne Michiru an ihrer Seite würde sie dieses nicht aus den Augen verlieren. Sie wollte alle alten Vampire vernichten und selbst an die Spitze der Herrschaft gelangen. Michiru war im Grunde nichts, als ein positives Extra, das die Blondine irgendwo auf ihrem Feldzug gefunden hatte. Eine Art Kriegsbeute oder Trophäe. »Vielleicht sollte ich wirklich zu ihr gehen«, kam es ihr in Gedanken, »Dann beschränke ich diesen Krieg vielleicht auf Vampire und Werwölfe.« Doch dann fiel ihr etwas ein, dass Yuri ihr erzählt hatte. Wenn sie dem Erzählten Glauben schenken konnte, dann war es vielleicht mehr, als nur eine Hoffnung. Dann gab es vielleicht wirklich eine Möglichkeit, Haruka lange genug zu entkommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)