Vampire Kiss von Laito-Sakamaki ================================================================================ Kapitel 18: Eine Begegnung der anderen Art ------------------------------------------ 18. Eine Begegnung der anderen Art Michiru war gerade dabei ihr Haar zu trocknen. Das Schwimmen hatte sie nicht wirklich entspannen können und so stand sie nun vor dem großen Schlafzimmerspiegel. Mit einem Mal zuckte sie so heftig zusammen, daß sie sogar das Handtuch fallen ließ, mit welchem sie ihr Haar trocknete. Etwas war geschehen, das hatte sie ganz deutlich gespürt. In der nächsten Sekunde wußte sie auch was. Wie aus dem Nichts erschien Haruka nahe des Bettes. Sie schwankte und wollte sich abstützen, griff aber daneben. Bevor Michiru irgendwie reagieren konnte, fiel sie aufs Bett. Ein wenig seitlich, denn sie hatte sich gedreht, damit Michiru ihren Rücken nicht sah. Die jedoch sprang mit einem erschreckten Aufschrei direkt zu ihr. "Was ist passiert?" presste sie beinahe atemlos hervor. Die Vampirin wollte eine Berührung verhindern, doch sie war kaum in der Lage dazu. In diesem Moment sah Michiru was geschehen war. "Der Wolf!" stieß sie geschockt hervor. "Ich habe nicht aufgepasst", stöhnte Haruka schmerzlich, "Bleib besser weg von mir!" Michiru stutzte. Das meinte die Blondine doch wohl nicht ernst. "Niemals", hielt sie darum sofort entgegen, "Du bist schwer verletzt. Das sieht sehr viel schlimmer aus, als letzte Nacht!" "Das ist es nicht!" wurde die Vampirin energisch, "In ein paar Stunden sieht man nichts mehr und jetzt geh zurück!" "Aber ich kann dich doch nicht so hier liegen lassen", war Michiru etwas geschockt, "Ich will dir helfen." "Das kannst du nicht", wurde Haruka fast schon barsch, "Nicht dieses Mal!" Sie schob Michiru von sich. "Los geh, aber verlass nicht das Haus!" Erschreckt rutschte Michiru ein Stück von ihr weg, so energisch war die Vampirin gegen sie vorgegangen. "Aber Haruka...", flüsterte sie hilflos und wußte im selben Moment, daß es keinen Sinn haben würde. Deren Gesichtsausdruck entspannte sich und sie brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. "Hab keine Angst", sagte sie leise, "Ich will nur vermeiden, daß ich die Beherrschung verliere. Gib mir ein paar Stunden, dann kannst du wieder herkommen. Du wärst unnötig in zu großer Gefahr, würdest du jetzt bleiben." Michiru schluckte und nickte kaum merklich. Alles in ihr sträubte sich, Haruka so hier allein zu lassen und doch erhob sie sich langsam und verließ zögerlich den Raum. Sie konnte die Blicke in ihrem Rücken regelrecht spüren und auch das leichte Lächeln, welches das sichere Gefühl brachte, in ein paar Stunden sei alles ausgestanden. So zögerte sie auch nicht länger und schloß die Tür, nachdem sie das Schlafzimmer verlassen hatte, um dann zielstrebig Richtung großes Wohnzimmer zu gehen. Als sie in etwa die Mitte des Raumes erreicht hatte, wurde sie plötzlich wieder zögerlich und binnen kürzester Zeit stand sie still. Völlig verwirrt sah sie sich um. »Was mache ich hier?« Sie fühlte sich seltsam benommen. »Wie bin ich überhaupt hergekommen?« In ihren Schlefen pulsierte es heftig, was einen leichten Schmerz verursachte, der schnell wieder verschwand. Sofort danach war ihr alles klar. Haruka mußte ihre Macht über Michiru genutzt haben, um sie aus ihrer Nähe zu bekommen. Wahrscheinlich hatte sie ihren Willen irgendwie beeinflusst oder ihr ihre Gedanken aufgezwungen. Erst jetzt, weit genug entfernt von der Vampirin, versiegte deren Macht auf Michiru. Vielleicht aber hatte Haruka sie auch einfach nur freigelassen, woher sollte sie das schon wissen? »Und wenn es ihr schlechter geht?«, war da plötzlich eine weitere Möglichkeit, »Vielleicht ist sie bewusstlos und darum hat es plötzlich aufgehört.« Sie drehte sich wieder in die Richtung aus der sie gekommen war. Sollte sie zurückgehen und nachsehen? Aber Haruka hatte sie fortgeschickt und würde Michiru jetzt einfach zurück kehren, wäre diese sicherlich nicht erfreut. So wie sie gerade gewesen war, wäre sie sogar mehr als unerfreut. Michiru schluckte hart. Einfach wieder zu der Vampirin zurück zu gehen, war ganz sicher keine gute Idee. Sie mußte sich etwas anderes einfallen lassen, um ihr zu helfen. »Ich muß etwas tun«, hämmerte es in ihrem Kopf, »Ich kann nicht einfach nur abwarten und sie ihrem Schicksal überlassen!« Nur was sollte sie tun? Haruka ging es deutlich schlecht und sie brauchte Blut, um diesen Zustand ändern zu können. Der Gedanke ein weiteres Mal ihr eigenes Blut zu geben, kam ihr dieses Mal nicht in den Sinn. Nur einen kurzen Moment lang wollte diese Verrücktheit ihren Anfang nehmen, doch Michiru drängte es sofort zurück. Haruka besaß bereits zuviel Macht über sie und ihren freien Willen wollte sie um keinen Preis verlieren. Und eben jener freie Wille hatte soeben einen Entschluss gefasst. Leise schlich sie los und sah sich immer wieder um, als stünde Haruka plötzlich hinter ihr und erwische sie bei ihrem Vorhaben. Die Vampirin erschien nicht und nur wenige Minuten später stand Michiru im Garten und sog die angenehm kühle Nachtluft tief in ihre Lungen. Nur sehr kurz verharrte sie, dann schlich sie Richtung Auffahrt und verließ das Anwesen. Erstaunlich schnell kam sie voran und bewegte sich dabei so lautlos, wie eine Raubkatze auf der Jagd. »Nicht das kleinste bißchen Erschöpfung tritt ein. Ob das auch an dem Biss liegt?« Sie blieb kurz stehen und sah sich um. Einen Moment lang lauschte sie und es wirkte, als hielte sie die Nase in den Wind. Dann huschte ein kurzes Aufleuchten durch ihre Augen und sie lief los. Nach ein paar hundert Metern bog sie in eine kleine Gasse ein und kurz darauf in die nächste. Sie änderte so oft die Richtung, daß sie zwangsläufig die Orientierung verlieren mußte, doch das geschah nicht. Im Gegenteil, denn je weiter sie voran kam, desto vertrauter kam ihr alles vor. Und nach einigen weiteren Minuten und Abzweigungen hatte sie ihr Ziel erreicht. Vor ihr lag der Eingang zu der Bar, in welcher sie in dieser Nacht schon einmal gewesen war. Von dem Chaos, welches sie beim Verlassen hinter sich wahrgenommen hatte, war nichts mehr zu vernehmen und alles schien wieder normaler Wege zu gehen. Genau das hatte Michiru gehofft. Sie verbarg sich im Schatten eines der Gebäude und hielt den Eingang im Blick. Lange brauchte sie nicht zu warten bis die Tür sich zum ersten Mal öffnete. Als stünde das Schicksal auf ihrer Seite, verließ eine junge Frau allein die Bar. Michiru wartete bis sie ihr nahe genug kam, um sich dann langsam aus ihrem Versteck zu lösen. Bevor die junge Frau sie jedoch entdeckte, flog von links ein riesiger Schatten heran und riss sie von den Beinen. Wie versteinert blieb Michiru stehen und erkannte den Werwolf, der über der bewußtlosen Frau stand. Sie war zu keiner Bewegung mehr fähig und getraute sich nichtmal mehr zu atmen. Wenn der Wolf sie entdeckte, war alles aus. Dieses Mal würde sie keine Haruka retten, denn diese lag schwer verletzt zu Hause. Verletzt von wohl genau diesem Werwolf, welcher langsam den Kopf wand und sie kurz daraufhin genau ansah. »Vorbei!« schoss es ihr durch den Kopf. Dennoch wagte sie nun einen Fluchtversuch. Sie sprang los in Richtung einer winzigen Gasse, doch mit einem einzigen Satz hatte der Werwolf ihr den Weg abgeschnitten. Entsetzt starrte Michiru in die gelb glühenden Raubtieraugen. Panik befiel sie und doch war sie ruhig genug für klare Gedanken. Sie fragte sich, ob dies der Kerl von vorhin aus der Bar war und ob es Sinn hatte, mit ihm zu reden. Doch hatte Haruka ihr gesagt, er hätte sie getötet, was also machte es aus zu wissen, welcher Mensch dieses Monster einmal war? Und doch versuchte sie es. "Du bist es nicht wahr?" fragte sie und machte einen zögerlichen Schritt auf das Untier zu. Der Werwolf veränderte weder seine Haltung, noch wirkte er irgendwie weniger gefährlich, doch er sprang sie auch nicht an. "Was habt ihr miteinander zu schaffen...du und Haruka?" Kaum sprach sie den Namen aus, schnappte das riesige Maul in ihre Richtung und sie sprang instinktiv zurück. Weiterhin jedoch griff er nicht wirklich an und das gab Michiru die Antwort, die sie hatte haben wollen. Nicht nur, dass es der Kerl aus der Bar war, welcher sich hinter diesem riesigen Wolf verbarg, sondern auch, daß es eine Verbindung gab zwischen ihm und Haruka. Nur welche? Sich das zu fragen blieb ihr jedoch keine Zeit mehr. Der Werwolf sprang ihr entgegen und als sie zurückweichen wollte, stolperte sie und fiel hin. Ihr Kopf schmerzte entsetzlich. Ein pulsierendes Hämmern in den Schlefen, welches ihr verbot, die Augen zu öffnen. Vor einer Weile schon hatte der leichte Druck in ihrem Kopf angefangen und die laute, dröhnende Musik in der Bar war da nicht förderlich gewesen. Nach dem seltsamen Vorfall jedoch, hatte sie die Bar nicht sofort verlassen wollen. Nachdem aber alles ruhig blieb und nicht den Eindruck machte, als würde dieses Untier sich noch in der Bar befinden, entschloss sie sich, selbige zu verlassen und heim zu gehen. Die kühle Luft war eine Wohltat gewesen und hatte sogleich Linderung gebracht. Mit jedem Schritt war es ihr besser gegangen, bis dieses riesige Monster sie von den Beinen gerissen hatte und sie hart auf den Boden geprallt war. »Das Monster!« Panisch riss sie die Augen auf und stemmte sich hoch. Sofort wurde der Schmerz in ihrem Kopf stechend und sie sackte wieder zusammen. »Verdammt«, fluchte sie innerlich, »Ich muß hier weg. Dieses Vieh ist sicher noch in der Nähe und ohne eine Waffe habe ich kaum eine Chance.« Mit aller Kraft ging sie gegen den Schmerz an und drängte ihn soweit zurück, bis sie sich getraute, ein weiteres Mal die Augen zu öffnen. Langsam hoben sich ihre Lider, wodurch der Schmerz, zwar wieder stärker, aber nicht mehr so unerträglich wurde. Im Augenwinkel erkannte sie die Treppe, die zur Bar führte. Weit war sie also nicht gekommen und verschleppt hatte dieses Monster sie auch nicht. Sie lag nur ein paar Meter weiter und das wohl mitten auf der Strasse. Zu ihrem Glück gab es hier schon am Tag kaum Verkehr, denn einem heranfahrendem Auto auszuweichen, wäre ihr in diesem Zustand unmöglich gewesen. Vorsichtig hob sie den Kopf etwas und fand ihre Annahme bestätigt. Sie lag tatsächlich auf der Straße. Zwar taten ihr sämtliche Glieder weh, aber Brüche oder andere schwere Verletzungen schien sie nicht zu haben. Es war schwer, aber mit etwas Anstrengung kam sie in eine sitzende Position und konnte sich nach kurzem Schwanken auch aufrecht halten. Der Schmerz in ihrem Kopf wurde einen Moment lang wieder so stark, daß sie mit einem Stöhnen kurz die Augen schloß. Dann ließ er wieder nach und nahm etwas von dem Schwindelgefühl mit sich. Zum ersten Mal sah sie sich richtig um. Ihr Blick war noch etwas getrübt und immer wieder verschwamm es leicht vor ihren Augen. Trotzdem entging ihr die Bewegung etwa 10 Meter weiter, im Eingang einer kleinen Seitengasse, nicht. Irgendetwas lebendiges bewegte sich dort und es war viel zu groß für eine Katze. »Das ist das Vieh!«, schoss es durch ihren Kopf. Sie hatte keine Ahnung, was genau sie da angesprungen hatte, aber es war enorm groß gewesen. Es hatte glühende Augen und das Gebiss eines riesigen Raubtieres. Viel größer als ein Mensch war es. Um mindestens das doppelte hatte es sie überragt und das letzte, was sie gesehen hatte, waren etwa 15cm lange Reißzähne, die wohl jede Sekunde ihre Kehle zerfetzen würden. Was war geschehen? Wieso hatte das Untier von ihr abgelassen? Es mußte einen Grund dafür geben. Langsam und wackelig kam sie auf die Beine. Sie stand noch nicht ganz gerade, als der Schmerz in ihrem Kopf sie wieder fast in die Knie zwang. Sie hatte sich böse den Kopf angeschlagen und befürchtete schon, sie würde es nicht schaffen. Nur wenige Augenblicke später jedoch ließ der Schmerz nach und sie stand wieder fest auf den Beinen. Auch ihr Blick wurde ein wenig klarer. Dennoch war es zu dunkel um zu erkennen, was sich da hinten in der Gasse abspielte. Hätte sie einen Funken gesunden Menschenverstandes besessen, wäre sie so schnell es nur ginge in genau die entgegen gesetzte Richtung geflohen, wie wohl jeder in dieser Situation. Sie aber war schon immer anders gewesen. Da wo andere ihre Grenzen fanden, fand sie den Anfang für etwas Außergewöhnliches. Wo andere sich zu Tode ängstigten, ließ ihre Neugier sie Unglaubliches entdecken und wo jeder andere bereits aufgab, fing sie erst an, richtig zu kämpfen. Was auch immer sie aus dem Dunkel heraus angegriffen und dann doch wieder von ihr abgelassen hatte - es hatte einen Grund dafür gehabt. Sowohl für den Angriff, alsauch dafür, sie dann einfach liegen zu lassen. Und dieser Grund befand sich nur einige Meter vor ihr in der kleinen Gasse. Was, wenn es ein Mensch war? Vielleicht ein unschuldiges, junges Mädchen wie sie selbst, oder noch schlimmer - ein Kind? Sie konnte nicht einfach weglaufen und ihr Leben retten, während ein anderes dafür enden mußte. Selbst dann nicht, wenn es sich um einen hundert Jahre alten Greis handeln würde. Langsam schlich sie sich näher heran und war nur noch wenige Schritte entfernt, als eine junge Frau aus der Gasse taumelte und rückwärts zu Boden ging. Was ihr folgte jedoch, hatte sie niemals zuvor in ihrem Leben gesehen. Nicht in einem Zoo und nicht in einem Museum. Selbst in der krassesten Zukunftsversion der Erde konnte es ein solches Wesen nicht geben. Nur Erfinder von Gruselromanen und Horrorfilmen konnten ein solches Wesen erschaffen. Geboren aus Angst und Unwissen früherer Generationen, ausgeschmückt mit ein paar Flunkereien, um kleine Kinder zum Gehorsam zu erziehen, war diese Kreatur einer uralten Legende entsprungen und stand lebendig und real nur wenig von ihr entfernt. Auch ohne je einen Horrorfilm gesehen zu haben wußte sie, diese Kreatur war ein Werwolf. Und die junge Frau zu seinen Füßen würde jeden Augenblick sterben. Der Werwolf reckte sein zähnenbewährtes Maul genau ihrem Gesicht entgegen, während sie wie versteinert vor Angst reglos ihrem Schicksal entgegen sah. Jede Sekunde würde er zubeissen oder sie mit seinen scharfen Klauen zerfetzen. Und sie konnte nur hilflos zusehen. Was sollte sie unternehmen, um das türkishaarige Mädchen zu retten? Der Werwolf würde sich ganz sicher nicht von ihr verscheuchen lassen. Sie würden beide zu seinem Opfer werden und einen grausamen Tod erleiden. Und trotz dieser ausweglosen Lage konnte sie nicht einfach davon laufen. Ihr Kampfgeist ließ das nicht zu. Wenn sie schon sterben mußte, dann nicht feige auf der Flucht. Einen Atemzug später war die Entscheidung getroffen und direkt in die Tat umgesetzt. Mit einem Angriffsschrei, der wohl selbst einen ausgewachsenen Bullen verscheucht hätte, rannte sie auf den Werwolf zu und sprang ihm mit ihrem ganzen Gewicht frontal in die linke Seite. Haruka erwachte aus einem unruhigen Dämmerzustand. Ihr Rücken schmerzte entsetzlich und sie hatte unglaublichen Durst. Ihr Körper war kaum in der Lage eine Heilung zu vollziehen und das kurze wegdösen hatte gerade mal die Blutungen zum Stillstand gemacht. Jetzt gerade bereute sie, Michiru fortgeschickt zu haben. Diese machte sich nur Sorgen, beim Anblick solcher Wunden und ganz zu unrecht waren diese ja auch nicht. Wenn die Verletzungen einen Vampir auch nicht töten konnten, so lief Haruka doch Gefahr, in dieser Situation selbst zum Opfer zu werden. Es gab zahllose Jäger die nur auf einen schwachen Moment der Vampirin warteten, um sie endlich für immer auszulöschen. Nicht nur dieser Werwolf und sein Gefolge, hatten sich dieses zum Ziel gesetzt. Auch zahlreiche Dämonenjäger aus uralten, traditionellen Familien - unter ihnen Zigeuner deren Vorfahren sie noch persönlich gekannt hatte - und sogar andere Vampire. Haruka hatte Feinde aus allen Gegenden, Legenden, Ständen, Schichten und Zeitaltern der Menschheitsgeschichte. Keiner jedoch verfolgte sie so hartnäckig wie Kyosuke. Er war ein, noch verhältnismäßig, frischer Todfeind, im Vergleich zu den meisten anderen und doch hielt sein, noch immer vor Schmerz blinder, Hass bereits länger an, als bei allen anderen zuvor jemals. Irgendwann hatten sie alle zusätzliche Ziele gefunden, die sie banden und ihre Aufmerksamkeit zumindest so weit von Haruka ablenkten, sie nicht mehr als Primärziel zu sehen. Kyosuke jedoch hielt daran fest, als wäre es das einzige, was ihn je erlösen könnte. So sehr, daß er dasselbe getan hatte, wie sie vor Jahrhunderten. Er hatte sein Leben und seine menschliche Existenz aufgegeben, um freiwillig ein Werwolf zu werden. Und damit hatte er denselben Fehler begangen wie sie auch. Er hatte seine Seele verkauft für eine Rache, die er nie bekommen und die erst Recht nichts mehr ändern würde. Selbst wenn er sein Ziel irgendwann doch erreichen und Haruka töten würde - danach blieb ihm nichts mehr außer einem Fluch, der ihn nie wieder loslassen würde und die Erinnerung daran, wie Alles seinen Anfang genommen hatte. Mit etwas Anstrengung richtete Haruka sich auf. Ihrem Gesicht war der Schmerz deutlich anzusehen und doch kam sie erstaunlich schnell auf die Beine. Etwas angeschlagen bewegte sie sich auf die Tür zu und wurde bereits da etwas unruhig. »Ich spüre Michiru gar nicht«, schlich es in ihren Kopf, als sie zur Klinke griff, »Wieso spüre ich sie nicht? Das ist vollkommen unmöglich!« Sie öffnete die Tür und trat aus dem Schlafzimmer. Das Haus lag in Stille und auch nach einigen weiteren Schritten blieb es so. Harukas Gehör glich dem einer Fledermaus und wäre Michiru irgendwo im Haus, dann würde die Vampirin sie hören. Und nach den beiden, kurz aufeinander folgenden, Bissen auch mehr als deutlich riechen und spüren. Wütend schlug die mit der Faust gegen den Wohnzimmersessel, den sie mittlerweile erreicht hatte. »Ich hätte sie nicht weg schicken sollen, verflucht«, schallt sie sich selbst, »Nicht nachdem, was sie in dieser Nacht schon an vampirischen Trieben in sich hatte!« Sie sah Richtung Eingangshalle und zögerte nicht lange. Trotz ihrer Verletzung mußte sie Michiru suchen. Geschwächt wie sie war, stand ihre Magie ihr nicht ausreichend zur Verfügung und so mußte sie auf menschliche Weise etwas tun. Irgendwo unterwegs würde sich ein Opfer finden, daß sowohl die alte Kraft zurückbringen, alsauch die Wunden heilen würde. Sie konnte Michiru nicht in der Nacht herumirren lassen. Der Werwolf lief da draußen herum und Harukas Geruch kennzeichnete Michiru klar als ihr Opfer. Das würde den Wolf direkt zu ihr führen. Die Vampirin brachte all ihre noch vorhanden Energie auf, durchschritt die große Halle auf die zweiflügelige Eingangstür zu und brach nur einen Meter davor zusammen. Zitternd kniete sie auf allen Vieren und versuchte wieder Energie zu sammeln. Vor ihren geschlossenen Augen huschten Bilder vorbei. Manchmal so schnell, dass es wie ein kurzes Aufblitzen war. Sie sah sich selbst in ihren letzten Minuten als Mensch und in den ersten als Vampir. Sie sah einige der schlimmen Dinge, die sie getan hatte, wie gausam sie manches Mal gewesen war. Sie sah Kyosuke und seine Schwester Kyoko und dann Michiru. Ihre Finger krampften deutlich. Was war anders an dem, was Kyosuke seit so langer Zeit tat und dem, was Haruka nun vorhatte? Was sie eigentlich schon seit einigen Nächten tat? Was war es, daß sie so ruhelos hinaus trieb, obwohl sie in diesem Zustand ein leichtes Ziel war? Es war das starke Bedürfnis, Michiru zu beschützen. Nicht nur vor dem Werwolf, wenn auch in erster Linie vor diesem. So wie er vor so langer Zeit seine Schwester hatte vor ihr beschützen wollen. Vor einem Vampir... Mit einem wütendem Knurren schüttelte sie sich - und die Erinnerungen ab. Augenblicke später kämpfte sie sich auf die Beine. Sie erreichte die Tür und lehnte sich dagegen. "Verdammt Michiru, ich habe dir doch verboten, das Haus zu verlassen", fluchte sie knurrend, "Ich sollte dich deinem Schicksal überlassen!" Ihre Pupillen flammten auf und glühten wild und gefährlich. Das würde sie natürlich nicht tun, denn sie selbst war das Schicksal. Sie war das Schicksal und die Vergangenheit, beherrschte die Gegenwart und lenkte die Zukunft. Sie war der Tod und auch das Leben und bestimmte über das solche. Kein Mensch, kein Vampir und auch kein Werwolf war stärker als sie. Sie war der Anfang und das Ende... Es war ihr Spiel und ihre Regeln - seit endlosen Jahrhunderten. Entschlossen und mit neuer Kraft gestärkt, öffnete sie die Tür und sah direkt in ein gelb leuchtendes Augenpaar... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)