The Splintered Truth von Meilenstein ================================================================================ Kapitel 19: Orange III --- Negative Emotionen --------------------------------------------- [Chupo] Früh morgens im Eingangsbereich des örtlichen Krankenhauses von Orange: Nervös tippte der Polizist vor ihm mit dem Fuß auf dem Boden. Seine Hände umschlangen verkrampft seine Oberarme. Genervt blickte der Polizist immer wieder zur Seite. Öfters schaute dieser zu seinem Vorgesetzten, der etwas entfernt im Raum stand. Laut seufzte der Polizist, daraufhin starrte er Chupo kurz finster an. Chupo saß ungefähr einen Meter von ihm entfernt auf einem Stuhl an der Wand. Er vermied den direkten Augenkontakt mit dem Polizisten. ‚Tja die Sucht kickt mal wieder. Selber schuld. Aber lass deine Wut nicht an mir aus.‘ Neben Chupo saß im Moment Linda Westallya. Zuvor war sie noch nervös auf und ab gegangen, als ihr der Zugang zum Operationssaal verwehrt wurde. Die Polizisten baten dann die Gildenmeisterin sich zu setzen. Das Tippen des Fußes vom Polizisten wurde energischer. Genervt begutachtete Chupo die Füße des Polizisten, dann schaute er vorsichtig hoch. Durch die halboffene Uniform erkannte Chupo die Zigaretten in der Hemdtasche. Immer wieder griff der Polizist zu seiner Krawatte und strich dieser entlang, nahe an den Zigaretten vorbei. Chupo seufzte und er wandte sich ab. „Ich hätte nicht gehen sollen.“ Murmelte Linda plötzlich und Chupo schaute sie daraufhin leicht überrascht an. Etwas war seltsam an ihr – abgesehen von ihrer sehr starken untypischen melancholischen Stimmung im Moment. Sie saß mit verschränkten Armen auf dem Stuhl, mit dem Blick nach unten gerichtet. Ihre hervorstehenden Adern an den Händen und zum Teil im Gesicht schienen dunkler zu sein, als dies normalerweise bei einem Mensch sein sollte. ‚Nimmt sie irgendwas? Vielleicht Anti-Depressiva? Kann aber auch das beschissene Licht hier sein. Die sollten hier mal danach schauen, denn das flackert die ganze Zeit schon so bescheuert.‘ Chupo seufzte erneut. „Ich hätte gehen sollen, dann wäre er nicht verletzt worden.“ Lindas Hände verkrampften sich kurz. Sie zitterte leicht. Etwas traurig schaute Chupo sie an. Er kämpfte im Moment mit sich selbst etwas sagen zu wollen. Er wollte sie beruhigen, aber zurzeit war er zugleich auch noch sauer auf sie, gemischt mit Enttäuschung. Chupo vermied etwas zu sagen. Er blickte betrübt zu Boden. ‚Alina ist doch wohl wieder wohlauf und Rick wird sicherlich auch durchkommen… vielleicht. Im Gegensatz zu anderen, die im Wald entschwunden sind…, kam er wieder. Ich verstehe nicht wieso sie mir nie die Wahrheit gesagt hat. Sie weiß doch, dass Elysa… ah… was mache ich hier… im Moment wird sie mir das auch nicht sagen.‘ Grimmig unterdrückte Chupo den aufkommenden Zorn. Der Polizist vor ihm räusperte ihn an. Zornig blickte Chupo auf. ‚Dieser verdammte Bastard… das nächste Mal werde ich…‘ Linda stand plötzlich auf und Chupo drehte sich überrascht zu ihr. Sofort reagierte der unruhige Polizist. Er stellte sich vor ihr hin. „Sie werden was?“ Brummte der Polizist, aber er erntete sofort böse Blicke von ihr, sodass der Polizist ein paar Schritte zurückwich. Er drehte sich zu seinem Vorgesetzten, der im Moment mit einem Pfleger sprach. Linda stand für ein paar Sekunden da. Ihr Gesichtsausdruck angespannt und wütend. Dann setzte sie sich wieder hin. Ihr Blick ruhte weiterhin auf dem Polizisten, der sie aber nicht weiter beachtete. Chupo kratzte sich leicht am Kopf. ‚Es hat keinen Sinn, wenn ich weiterhin bei dieser beschissenen Atmosphäre bleibe. Hier kann ich nicht mehr behilflich sein. Im Moment sollte ich einfach gehen, oder?‘ Das Aufgehen der Eingangstüre unterbrach Chupos Gedankengang und Heon Stahl – der Polizeichef von Orange – betrat das Krankenhaus. Mit schweren Schritten ging er zielgerichtet auf zu Linda. Er schickte den unruhigen Polizisten fort, der zugleich mit erfreutem Gesicht salutiert und nach Draußen entschwand. Ganz zum verdutzten Gesichtsausdruck des Vorgesetzten. Dieser blickte jedoch daraufhin nur kurz zu Heon, dann wandte er sich wieder dem Pfleger zu. „Frau Westallya. Ich habe davon gehört und ich fühle mit Ihnen. Der Junge ist hier in richtigen Händen. Ich habe auch gehört, dass der neue Chefarzt eine Koryphäe in seinem Gebiet ist und er sicherlich alles tut das Leben des Jungen zu retten.“ Linda schaute nicht auf. Sie blickte weiterhin zum Boden. Ihr Blick war dabei so konzentriert, als wäre sie geistig nicht anwesend. „Ich bin aber neben den Besserungswünschen vor allem hier wegen dem Punkt, dass wir herausgefunden haben, dass seine Verletzung von einer Konfrontation jenseits der Grenze entstammen. Auch wenn das gegen unseren Willen ist, so müssen wir diesen Bruch des Gesetzes näher betrachteten und mit Mister Sozowanik über diese Tatsache sprechen. Rick Nerafal hat die Grenze übertreten, bevor die Erlaubnis offiziell erteilt wurde. Als Vormund und Gildenanführerin sind Sie im doppelten Sinne verantwortlich für seine Aktionen. Der Bürgermeister hat sich dazu schon geäußert. Sie werden dieses Mal allein dafür aufkommen müssen. Es tut mir leid Frau Westallya. Die Stadt kann da dieses Mal keine Ausnahme machen.“ Linda sah dieses Mal auf. Chupo meinte für einen Moment den Anflug von Trauer in ihrem Gesichtsausdruck erkannt zu haben, aber es folgte ein solch erzürnter Gesichtsausdruck, dass Chupo für einige Sekunden Gänsehaupt bekam. Ähnlich wie bei einem Horrorfilm, wenn ein Monstrum aus einem Schrank steigt und sich dem Opfer näherte. ‚Was war das? Mein Körper zittert noch! Wenn Blicke töten können. Sie hätte alle Anwesenden damit umgelegt. So habe ich sie noch nie gesehen.‘ Für einen Moment zog ein stechender Schmerz durch seinen Kopf und das blaue Auge meldete sich wieder zu Wort. ‚Ich brauche bald wieder eine Tablette.‘ „Frau Westallya, haben Sie ein paar Minuten für mich. Ich muss Ihre Aussagen zu dem Fall aufnehmen. Diese sind für das Protokoll, nähere Besprechungen erfolgen die Tage. Rick Nerafal werden wir erst befragen, wenn wir die Genehmigung vom Chefarzt bekommen…“ Linda stand wieder auf. Sie stand nun so nah an Heon Stahl, dass sie sich fast berührten. Heon war eine große Person, jedoch war Linda ihm fast ebenwürdig, sodass ihr Blickduell unentschieden endete. Heon bewegte sich keinen Millimeter und sein ruhiger, aber machtvolle Blick ruhte weiterhin auf Linda. Linda ballte ihre Hände kurz zu Fäusten, während sie ausatmete. Ihre Hände lockerten sich wieder, als sie einatmete, dann schaute sie Heon weniger bedrohlich an. „Sie werden nicht mit Rick Nerafal reden! Das Leben des Jungen scheint Ihnen völlig egal zu sein, mir aber nicht und ich werde nicht zulassen, dass Sie ihm jetzt in diesem Zustand noch irgendwelche Vorträge über Regeln halten. Es war das Leben von seiner Freundin auf dem Spiel und sie denken nur an irgendwelche finanziellen Konsequenzen.“ Heon betrachtete Linda einige Sekunden schweigend an. ‚Die stehen wirklich nah beieinander. Das……, das sieht nach einer anbahnenden Katastrophe aus…‘ „Frau Westallya, ich verstehe Ihre…“ In dem Moment als Heon begann mit ruhiger Stimme einen neuen Satz zu beginnen, betrat ein Mann mit weißer Arztkleidung die Eingangshalle. Mit stolz geschwellter Brust und einem ernsten Blick näherte er sich mit ehrfürchtigen Bewegungen Linda. Er schien dabei den Polizeichef nicht zu beachten. Auf seiner weißen Arztkleidung hing links ein Namensschild mit der Aufschrift ‚Chefarzt Dr. Drogan‘. Ein Mann den Chupo bisher noch nie gesehen hatte, er ihn jedoch gleich als sehr unsympathisch empfand. ‚Was für ein arroganter Blick… oh ja… ich sehe das gleich an seiner selbstzufriedenen Visage.‘ Linda wandte sich sofort von Heon ab und sie lief ein paar Schritte auf den Chefarzt zu, der daraufhin sofort stoppte. „Frau Westallya. Der Patient – Rick Nerafal – hat jetzt einen stabilen Zustand erreicht. Eine Infektion konnte noch rechtzeitig unterbunden werden. Das Fieber ist noch vorhanden und auch der Blutverlust war nicht wenig, jedoch sind keine kritischen Verletzungen verblieben, die nachträgliche Folgen haben werden für den Patienten. Es wurden keine Organe verletzt. Dieser Streifschuss hat – um es verständlich auszudrücken – eine Fleischwunde verursacht, die genäht werden konnte. Morgen kann er auf die normale Station verlegt werden und übermorgen kann er das Krankenhaus verlassen, insofern seine Werte stabil bleiben. Die nächsten drei Wochen sollte er dann mindestens jeden zweiten Tag hierherkommen, um seine Blutwerte nach einer möglichen nachträglichen Infektion zu untersuchen und weiteren kleineren Untersuchungen. In vier Wochen darf er dann sich wieder körperlich betätigen, in Maßen. Jedoch sind dies – Stand jetzt - nur alles Eventualitäten, wenn sein Zustand nicht wieder kritisch wird. Das wäre alles. Sie können ihn morgen besuchen, Frau Westallya.“ Dr. Drogan wollte sich darauf abwenden. „Vielen Dank, Herr Chefarzt. Ich bin froh zu hören, dass es ihm gut geht.“ Dr. Drogan stoppte und ohne sich umzudrehen, sprach er: „Ich muss mit Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt reden. Es gibt bezüglich zu diesem Vorfall ein paar Fragen, die ich in medizinischer Hinsicht Ihnen stellen muss. Ich werde mich nach Dienstschluss telefonisch bei der Meldeadresse der Gilde melden. Bitte halten Sie sich bereit.“ Daraufhin ging er zurück durch eine Doppeltür in einen Flur, aus dem er gekommen war. „Das ist schön zu hören, dass es dem Jungen gutgeht und er keine schwerwiegenden Folgeschäden davontragen wird. Nicht destotrotz müssen wir jetzt über den Vorfall reden, Frau Westallya. Das Gespräch mit dem Jungen kann entfallen, aber mit Ihnen muss ich reden. Ich will Ihnen nichts Böses. Ich will Ihnen eigentlich helfen. Sie müssen das verstehen, Frau Westallya.“ Chupo konnte beobachten wie Lindas Schultern sich wieder anzogen und sie sich langsam zu Heon umdrehte. Ihr Blick blieb bedrohlich wie zuvor im Gespräch mit Heon. Für einen Moment wanderte ihr Blick zu Chupo, sodass dieser kurz erschauderte. „Chupo! Danke, dass du hier warst, aber kannst du bitte gehen.“ Sie wirkte jetzt nicht mehr so zornig, aber ihr Ausdruck und ihre Haltung waren ernst genug sodass Chupo ein mulmiges Gefühl im Magen bekam. Zögerlich nickte er und ein wenig widerwillig stand er daraufhin auf. ‚Ärgerlich, ich komme so nicht weiter!‘ Träge schleppte er sich zur Tür hinaus, vorbei an den Polizisten, der im Moment erfreut an seiner Zigarette zog. Aus irgendeinem Grund bekam Chupo das Bedürfnis dem Polizisten die Zigarette zu entreißen, aber er ließ den Gedanken bleiben und er bewegte sich fort. Mehrmals sah Chupo zurück zum Krankenhaus. Umso länger er die Eingangstüren betrachtete, um so unbehaglicher fühlte er sich. Er wandte sich genervt ab. Chupo bewegte sich zunächst ein wenig ziellos in Richtung seiner Wohnung, die im nördlichen Bereich der Stadt lag. Ab und zu fegte ein leichter kühler Wind über die Straße, der einen leichten salzigen Nachgeschmack auf den Lippen hinterließ. Die ersten Anzeichen für meist ein etwas windigeren Tag. ‚Scheißdreck… der heutige Tag war nur reinstes Chaos.‘ Unzufrieden starrte er die Straße vor sich an. Dabei bemerkte er die ersten Sonnenstrahlen, die am Horizont über die Bäume zu erblicken waren. Auch in den Häusern an der Straße gingen vereinzelt die ersten Lichter an. Diese Tatsache ließ ihn bewusst machen, dass er diese Nacht nicht geschlafen hatte. Als hätte sich sein Körper plötzlich daran erinnert, dass dieser Schlaf benötigte, fing eine unsichtbare Kraft an ihm zu zerren. Sein Körper fühlte sich schwerer an. Gähnend starrte er kurz auf den Boden. Plötzlich erschauderte er. „Schuld.“ Geisterte ihm durch den Kopf, als hätte es ihm jemand gerade ins Ohr geflüstert. Verwundert schaute er sich um. Nervös rieb er seine Finger aneinander. ‚Es ist doch hell? Und mitten auf der Hauptstraße…, es kann doch nicht sein, dass der blöde Schatten jetzt noch aktiv ist, oder?‘ Chupo seufzte unruhig. Er vergrub seine Hände in den Jackentaschen. Für einen Moment horchte er auf. Schnell blickte er um sich. Die Straße war leer. ‚Mein Verstand spielt nur verrückt. Ich bin übermüdet, also… na ja. Da drüben sind ja noch Polizisten und so…, so hoffentlich wird das schon.‘ Der innerliche Drang nach Hause zurückzukehren wurde stärker, so setzte er sich zügig in Bewegung. Ein paar Minuten später in der Nähe der Hauptkreuzung. Chupo Erblickte in der Ferne einen Jugendlichen, der auf der Kreuzung stand. Der Jugendliche kratzte sich am Kopf und er schaute nachdenklich in alle möglichen Richtungen, die die Kreuzung als Abzweig bot. Chupo erkannte den Jugendlichen nicht. Dieser war noch nie in seinem Sportunterricht oder Kampfkunstkurs aufgetaucht. Chupo schaute nach links die Hauptstraße zum Rathaus entlang. Das Rathaus wurde im Moment von der aufgehenden Sonne angestrahlt. Es war ungefähr kurz nach sechs Uhr für Chupos Empfinden. Die Schule begann in der Regel nicht vor Acht. Der Hafenbetrieb mit Fähren macht unter der Woche auch nicht vor halb neun auf. ‚Mh… vielleicht ist er ja zu Besuch von irgendwo anders? Von Festa vielleicht?‘ Ein wenig empfand Chupo es schon als seltsam, dass ein Junge in seinem Alter zu dieser Uhrzeit hier so offensichtlich ziellos auf der Straße stand. Er wirkte nicht betrunken. ‚Na ja geht mich auch nichts an.‘ Der Jugendliche strahlte keinerlei Aggressionspotenzial aus, auch sah er nicht bedrohlich aus. Plötzlich hob der Jugendlich seinen rechten Zeigefinger in die Luft. Für ein paar Sekunden betrachtete er seinen in die Luft gehobenen Zeigefinger. ‚Was zum Teufel macht der da?‘ Chupo ging ein paar Schritte auf den Jugendlichen zu. „Hey…“, begann Chupo widerwillig das Gespräch. Der Jugendliche schaute Chupo zunächst nachdenklich an, dann zog er seine Augenbrauen hoch und sagte: „Ah… hallo… wissen Sie wo das Gildenhauptquartier ist? Es sollte immer in Windrichtung sein.“ ‚Scheinbar nicht von hier? Mh… na ja ich weiß ja nicht.‘ Chupo zeigte in die entgegengesetzte Richtung, aus die er gekommen war. „Dort hinten. Am Ende der Straße links steht ein gläsernes Gebäude, aber… um diese Uhrzeit wirst du da niemand antreffen bzw. wird dir da wahrscheinlich keiner behilflich sein. Wer bist du eigentlich?“ Als Chupo ihm fast gegenüberstand, bemerkte Chupo, dass der Jugendliche Chupo fast bis zum Kinn reichte. Damit wirkte er für sein junges Alter sehr groß. Seine Klamotten waren aus näherer Betrachtung unordentlich und sie sahen eher zweckmäßig aus, als dass sie sorgsam gewählt wurden. Sein wuscheliges Haar hing ihm vereinzelt über die rechteckige Brille. Die Brille musste eine hohe Stärke besitzen, denn die Augen des Jugendlichen wirkten von Chupos Position stark vergrößert. Wieder blickte der Jugendliche Chupo nachdenklich an, bis dieser sichtbar nach Worten suchte: „Also… ich… ähm… wurde von einem Herrn Sheepsheck vom Hafen hierhergeschickt, nachdem dieser mich aus dem Meer nahe dieser Insel gefischt hatte. Weil ich deswegen eine Unterkühlung erlitten hatte, durfte ich bei diesem Herrn bleiben. Heute Morgen… - also bevor er losfuhr - schickte er mich diese Straße hier entlang. Er sagte immer der Windrichtung nach… direkt zum Gildenhauptquartier.“ Der Jugendliche verwies in Richtung der Straße, die östlich von Chupo in den Wald führte. In der Ferne waren schwach Lichter zu erkennen – abseits des immer stärker werdenden Sonnenlichts. Die Lichter in der Ferne waren Straßenlaternen. „Aus dem Meer gefischt? Bist du irgendwie illegal… äh… irgendwie von Zuhause abgehauen? Außerdem… warte mal… ich habe dich nach deinem Namen gefragt, nicht nach irgendeiner Geschichte.“ Chupo redete ein wenig schneller und seine Betonung wurde härter. Er schaute den Jugendlichen nun mit Nachdruck an. Der Jugendliche wirkte dadurch eingeschüchtert. „Ah… haben Sie? Ich dachte Sie hätten… na ja… ich… äh… weiß das nicht so genau. Ich erinnere mich nicht was passiert ist. Als Herr Sheepsheck meinte, ich wäre vom Himmel herabgestürzt… in das Meer. Ich hatte ein paar Sachen bei mir, die jedoch durch das Wasser zum Teil zerstört wurden. Aber… ich habe noch eine Art Ausweis…“ Der Jugendlichen griff in seine Jackentasche und er zog einen leicht durchnässten Ausweis hervor. Er wollte diesen Chupo überreichen, dieser lehnte jedoch ab. ‚Vom Himmel herabgestürzt? Was für eine lächerliche Lüge…, mh? Oder hat das wo möglich mit den Meteoriten zu tun? Das wäre aber absurd. Der Junge redet nur irgendeinen Käse. Soll sich Linda mit dem Lügner herumschlagen.‘ Chupo verwies wieder in die Ferne, in Richtung Gildenhauptquartier. „Dort, da… die können dir helfen.“ Dieses Mal schaute der Jugendliche in die gezeigte Richtung, während er weiterhin seinen Ausweis in der linken Hand vor sich hob. „Ah… vielen Dank, Herr… Fremder.“ „Ja ja…, vielleicht hast du doch Glück und sie sind schon wach.“ Der Jugendliche nickte zögerlich. Sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch noch eine gewisse Ratlosigkeit. „Ja… nun dann… alles klar.“ Chupo ging daraufhin weiter und er bog nach links in die Hauptstraße ab, die in Richtung Rathaus führte. Er musste dort vorbei, wenn er nach Hause wollte. Ohne zurückblickend ließ er den Jugendlichen hinter sich. Wegen der Morgenfrische steckte Chupo seine Hände wieder in die Jackentaschen. Unzufrieden und nervös schaute er beim Gehen immer wieder nach links und nach rechts. Ein paar vereinzelte Polizisten machten ihre Streife. Sie wirkten aufgebrachter als sonst, aber sie ließen Chupo in Ruhe. Er unterdrückte ab und zu ein Gähnen. Er lief um den Rathausplatz in die nordwestliche Region der Stadt, nahe dem Aufgang zum Hügelfriedhof. Der Anblick der ersten Grabsteine auf der leichten Anhöhe in der Ferne, verursachten negative Gefühle in Chupo, die sich vor allem dadurch äußerten, dass sein Magen sich wieder verkrampfte. ‚Verflucht. Ich muss ja wieder gießen.‘ Chupo ging ein paar Schritte weiter, kratzte sich dann am Kopf, gähnte und er drehte sich um: ‚Wenn ich jetzt pennen gehe, mache ich das sicherlich nicht mehr.‘ Widerwillig bewegte er sich in Richtung Friedhof. „Schuld.“ Leise drang wieder eine geisterhafte Stimme an sein Ohr und er spürte eine leichte Kühle an seinen Backen. Die Schulter angespannt schaute er wild um sich. Nervös in alle Richtungen schauend. Wieder fand er nicht heraus, woher das kam. ‚Das kann nicht sein. Es ist doch schon Tag und… eigentlich… der Friedhof… auch am Tag.‘ Schnauffend beobachtete er die sich erhellende Wiese neben sich. Umso heller sie wurde, um so mutiger war seine Bewegung nach vorn. ‚Nur ganz schnell gießen und schnell weg. Da wird schon kein Schatten sein! Es ist hell. Es ist Tag!‘ Er betrat bald die ersten Stufen, die auf die leichte Erhöhung führten. Oben angekommen, blickte er auf ein weites Feld an kleineren Wegen und einer Mischung aus alten Steingräbern und modernen Marmorgräbern. Abseits dieser waren magere Holzgräber, die durch die Verwitterung zum Teil auseinanderfielen. Weit und breit sah Chupo nichts Ungewöhnliches. Die Schweißperlen liefen an seinen Wangen hinunter. ‚Also wie gesagt, hier ist nichts. Ich mache das jetzt ganz schnell.‘ Chupo lief zielgerichtet, jedoch in einem vorsichtigen Tempo voran. Er näherte sich einem bestimmten Grab in der Ferne. Mit jedem Schritt wurde er unachtsamer und nach ein paar Minuten erinnerte er sich an unschöne vergangene Situationen. Eine davon war der Tag, als er fuhr, dass Elysa tot aufgefunden wurde. Er durfte damals nicht einmal ihre Leiche anschauen, weil angeblich – laut Polizei - der Verwesungszustand zu weit fortgeschritten war. Chupo hatte auch indirekt mitbekommen, dass sie angeblich bei dem Fund fast nicht wieder zu erkennen gewesen war. Die örtliche Zeitung schrieb von Mord eines Unbekannten, aber der Mörder wurde nie geschnappt. ‚Und Rick hat es angeblich mitbekommen und ist irgendwie verantwortlich. Was zum Teufel ist damals geschehen? Was hat er getan, was hat er gesehen! Warum sollte der Bürgermeister so etwas zu Linda sagen! Und warum hat sie mir nie etwas gesagt!‘ Wütend kickte er einen Stein vor sich weg. ‚Wem mache ich hier was vor. Es hat doch sicherlich mit Mr. S zu tun.‘ Stillschweigend starrte er für ein paar Sekunden den Grabstein vor sich an. ‚Und die ganze verfickte Stadt schweigt! Jeder hat Angst vor diesem Hund. Wie auch immer Rick mit dieser Sache zu tun hat. Ich werde das herausfinden und dann… und dann… knöpfe ich mir Mr. S vor!‘ Seine Hände ballte er zu Fäusten. In ihm kochte ein Gefühl hoch, das ihm fast dazu zwang loszuschreien. Sein Körper begann zu zittern. ‚Aber… wie soll ich vorgehen? Rick ist im Krankenhaus… vermutlich… fuck… was ist, wenn er doch stirbt? Dann… erfahre ich nie etwas!‘ Zornig blickte er den Grabstein vor sich an. Als er ein weiteres Mal die Aufschrift des Grabsteins betrachtete, wurde er trauriger. Auf dem Grabstein stand ‚Elysa Westallya‘. ‚Verflucht! Ich sollte nicht so viel darüber nachdenken.‘ Die negativen Gedanken verharrten weiter in seinem Kopf. Egal wie stark er sich anstrengte diese Gedanken zu verdrängen, so kamen sie immer wieder zurück. ‚Scheißdreck!‘ Chupo schaute nach rechts – vom Grabstein weg -, dann schnappte er sich einer der rostigen Blechgießkannen, die verstreut auf dem Friedhof zu finden waren. „Schuld.“ Wieder geisterte ihm das Wort durch den Kopf. Kurz fuchtelte er mit seiner freien Hand vor sich herum, bis die geisterhafte Stimme in seinem Kopf wieder verschwunden war. Auch dieses Mal entdeckte er nichts. Dafür wurden seine Kopfschmerzen schlimmer. ‚Hier ist nichts! Das ist alles nur mein übermüdeter Verstand. Dieser fucking Schatten ist im Moment nicht hier. Er ist nicht hier! Es ist Tag verdammt! Tagsüber gibt es ihn nicht!‘ Zornig brummend näherte er sich dem Brunnen, der sich im hinteren Teil des Friedhofs befand. Dort füllte Chupo seine Gießkanne auf. Er musste dazu nur mehrmals an einem eisernen Hebel ziehen. Der Mechanismus fühlte sich dabei sehr träge und widerstandsfähig an. Während das Wasser langsam über einen Ablauf in die Gießkanne floss, rieb sich Chupo durch das Gesicht. Seine Augen fielen ihm immer wieder zu. Ihm wurde kalt an seine Fingerspitzen und sein Schädel brummte. „Schuld!“ Wieder geisterte die Stimme in seinem Kopf. Er schaute ein weiteres Mal müde um sich. Er nahm nichts ungewöhnliches wahr, außer der sehr kühle Wind, trotz der starken Sonnenstrahlen, die ihm direkt ins Gesicht strahlten. Die Atmosphäre fühlte sich für ihn äußert merkwürdig an. Als würde sich jemand die ganze Zeit auf seine Schultern stützen. Zittrig wischte er sich über die Schultern. ‚Diese Müdigkeit macht mich noch wahnsinnig.‘ Chupo spürte wie das kalte Wasser sein Fuß erreichte. Genervt schreckte er zurück. ‚Verflucht! Das blöde Ding!‘ Das Wasser kam über den Rand der Gießkanne gelaufen. Schnell zog Chupo die schwere Gießkanne weg. Er leerte ungefähr die Hälfte des Inhalts weg in das benachbarte Beet. Im Anschluss brachte er die halbvolle Gießkanne zurück zu Elysas Grabstein. Sie hatte einen halbrunden steinernen Grabstein bekommen. Davor war in einem halben Meter Länge und fast einem halben Meter Breite ein paar bunte Blumen gepflanzt worden. Ein bisschen Unkraut hatte sich dazwischen geschummelt. Etwas unkoordiniert ließ Chupo das Wasser Gießkanne auf die Blumen regnen. Als die Gießkanne fast leer war, stellte er diese neben dem Grab ab. Die meisten Blumen waren von ihm. Wer die restlichen Blumen eingepflanzt hatte, das wusste er nicht, aber er vermutete, dass es Linda war. Plötzlich spürte er einen kalten Hauch an seinem Nacken und erschrocken wich Chupo zur Seite. Für einen Moment wirkte es so, als würde ihn jemand würgen, aber Niemand war zu sehen. Seine Sicht verschwamm leicht. ‚Waa zuuu…‘ Er spürte eine enorme Kälte an seinem Körper, während die Sonne ihm am Horizont direkt ins Gesicht strahlte. Aus seinem linken Augenwinkel erkannte er einen schwarzen Umriss. ‚Was…?! Wie kann das sein?!‘ Aber plötzlich war der Umriss weg und das Gefühl an seinem Hals war fort. Die Kälte nahm ab und ein wenig entkräftet wich Chupo zu. Wenig später sah er panisch auf, dabei entdeckte er plötzlich jemand, der ihn anstarrte. ‚Zum Teufel! Was war hier gerade los? Habe ich mir das eingebildet und… und ist das nicht dieser Typ von… doch… das ist ja!‘ Wutentbrannt zeigte er auf den Fremden: „DU schon wieder! Halt dich von mir fern! Du solltest am liebsten das Weite suchen, denn… die Polizei sucht dich bereits und wenn du dich mir näherst…!“ Der Fremde zeigte sich unbeeindruckt und er kam näher. Der Fremde war der großgewachsene südländische Mann, der Chupo gestern beim Spionieren erwischt hatte. Mit einem recht auffälligen gelbfarbigen Blütenhemd und kurzer schwarzer Hose schien es wohl den Fremden auch nicht zu interessieren, dass es hier auf dem Hügel unangenehm kühl war. Mit einer tiefen rauchigen Stimme antwortete der Fremde: „Halt den Rand, im Moment hast du nichts zu melden. Das Ganze hast du selbst verschuldet und ich bin nicht wegen dir hier. Ich suche einen Kapuzenmann. Wo ist der hin? Er stand gerade noch bei den Stufen.“ „Bitte was? Hier war kein Typ… oder?“ Etwas zusammengezuckt zeigte Chupo immer noch auf den Fremden: „Hast du etwas mit diesen seltsamen Umständen zu tun?! Hier war irgendwas! Irgendwas war hier, verdammt!“ Wieder kam der Fremde ein paar Schritte näher. Zitternd wich Chupo zurück: „Ich meine das ernst, verdammt!“ Der Fremde schaute ihn inzwischen nicht einmal mehr an. „Redest du immer so einen Schwachsinn? Aber ist auch egal. Du scheinst es eh nicht mitbekommen zu haben.“ Aufmerksam schaute sich der Fremde um. „Oder… eigentlich ist das sogar besser für dich. Am besten verziehst du dich nach Hause.“ Der Fremde ging an Chupo vorbei. Er rempelte dabei Chupo unsanft zur Seite. In Chupo kochten plötzlich eine Menge zornige Gefühle hoch und er begann zu Brüllen: „Was soll das denn? Mich verziehen? Denkst du damit ist die Geschichte gegessen? Du hast mir ins Gesicht geboxt und dafür zeige ich dich an. Solche gewalttätigen Typen haben hier nichts zu suchen. Stattdessen solltest du dich von dieser Insel verpissen!“ Der Fremde stoppte und er drehte sich zu Chupo um. Sein Blick wurde ernster und seine Schultermuskeln spannten sich an, sodass dieser noch massiver wirkte. Wütend stapfte er auf Chupo zu, der plötzlich erschrocken zurückwich. Chupo hatte aber die Griffreichweite - des ein Kopf größeren Fremden – unterschätzt. Leicht in die Luft gehoben, zog der Fremde ihn nah zu sich heran, sodass er sogar dessen rauchigen Atem spürte: „Neben solche Rassisten wie dich, kann ich naive Idioten noch weniger ausstehen. Ihr lebt auf dieser Scheißinsel mit einem Haufen Verbrecher und du erzählst mir hier was von gewalttätigen Typen? Ich sag dir mal was! Sag das nächste Mal Danke, wenn dir jemand das Leben rettet! Ein Wunder, dass so viele von euch so ahnungslos hier ihre Zeit verbringen, ohne zu wissen, was hier abläuft! Also reiß du dich zusammen, verpisst du dich nach Hause und ich will deine Visage hier nicht wieder sehen!“ Für einen Moment erstarrte Chupo, dann ließ der Fremde ihn los. Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Fremde ab und er begann etwas zu suchen. Chupo fuhr sich über sein Gesicht. Das blaue Auge pochte und sein Körper zitterte stark. Noch nie hatte er diesen Drang verspürt laut schreien zu wollen. Er ging einige Schritte auf die Stufen zu, aber bevor er die ersten Stufen hinabsteigen wollte, stoppte sein Körper. Eine innere Stimme hielt ihn auf. ‚Nein! Ich… werde das nicht so stehen lassen!‘ Chupo ballte beide Hände zu Fäusten, plusterte sich auf und er starrte den Fremden in der Ferne zornig an. Dieser hatte sich inzwischen dem Brunnen in der Mitte des Friedhofs genähert. „Du mieses Arschloch! Ich werde mich nicht von dir…!“ „Schuld!“ Hallte es Chupo plötzlich durch den Kopf und schlagartig wurde es Chupo schwummerig. Eine Übelkeit stieg in ihm hoch und es wurde ihm kalt. Der Fremde in der Ferne drehte sich plötzlich um. Erstaunt riss er seine Augen auf, daraufhin stürmte er zurück auf Chupo. „Hey! Ich sagte verdammt…!“ „Diese Emotionen… dieser Hass… diese Trauer!“ Diese Worte drangen in Chupos Ohr. Er spürte plötzlich etwas gegen seine Ohren drücken. Als befände er sich weit Unterwasser. Die leisen Umgebungsgeräusche verschwanden sowie auch seine Sicht und scheinbar auch die Atemluft. Er rang nach Luft. Sein Körper zitterte immer stärker werdend und wie als würde er in Eiswasser baden, verkrampfte sein Körper wegen der aufkommenden Kälte. Seine Sicht verschwand völlig und er nahm wahr, dass er auf dem Boden aufgekommen war und ihn nun völlige Dunkelheit umhüllte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)