The Splintered Truth von Meilenstein ================================================================================ Kapitel 20: Orange IV --- Willkommen in der Gilde ------------------------------------------------- [Tina] „Ich meine sie ist schon eine Last. Sie stand nur da und musste beschützt werden.“ Die Worte drangen in ihr Gehör, als hätte sie jemand ihr direkt ins Ohr geflüstert. Sie versuchte sich aufzurichten, aber sie fühlte sich so, als würde sie eine unsichtbare Kraft zu Boden drücken. Der Boden fühlte sich kalt an. Sie fror am Rücken, während ein Schauder über ihren Rücken ihren Nacken hinauf zum Kopf kroch. Vor ihr stand - in einem leichten Nebel eingehüllt - eine Gestalt. Sie hatte die Form von Rick, aber sie blickte bösartiger. Neben ihr stand eine weitere Person. Sie hatte die Gestalt von Alina. Ihre missgünstigen Blicke verharrten bei Tina. Tina begann zu zittern. „Wegen ihr wurdest du angeschossen. Das ganze Blut… überall verteilt und was hat sie dazu zu sagen. Sie weiß ja nicht einmal wer sie ist. Was glaubt sie wer sie ist? Soll sie doch verschwinden.“ Tina atmete schwerer. Etwas schien in ihren Lungen zu sein. Das Etwas verschlug ihr die Sprache. Sie begann zu schwitzen. „Ja! So nervig! Sie soll am besten verschwinden. Was hast du dazu sagen, Tina?“ Diese harschen Worte brachten sie immer weiter zum Schwitzen und das erdrückende Gefühl wurde stärker. Tina schüttelte ihren Kopf. Schwer versuchte sie einen weiteren Atemzug zu vollziehen. „Huh…“ Tina schlug die Augen auf. Sie starrte an eine weiße Decke und sie spürte ein warmes weiches Gefühl unter ihrem Körper. Ihre Hände tasteten die Umgebung ab. Auf ihr lag etwas Schweres, aber weiches. Eine Decke. Ein wenig zittrig legte sie ihre Finger aufeinander. Das Gefühl ihrer eigenen Haut brachte ihr wieder ein wenig Klarheit. Die dunklen Erinnerungen von geradeeben verblassten im Nichts. Sie erhob sich langsam in ihrem Bett. Sie war in einem Zimmer. ‚Ah… ja genau. Jetzt erinnere mich.‘ Es war ein Zimmer im Hauptquartier der Gilde. Ihr Zimmer, zumindest solange sie Gast dieser Gilde war. Nachdenklich blickte sie sich um. An einem Stuhl, der nicht unweit vom Bett entfernt stand, hing ihre Tasche und eine Jacke über die Lehne geworfen. „Was ist gestern Abend passiert?“ Nur bruchhaft erschienen Erinnerungsfragmente, als sie kurz ihre Augen schloss. Sie war gestern Abend mit Alina hierher gerannt. Jemand hatte vor dem Eingang gewartet, war aber wegerannt, als sie die beiden erblickte. Linda kam auch dazu, aber später. Sie war völlig entsetzt, als sie das mit Rick erfuhr, daraufhin war sie fortgegangen. Alina hatte Tina gesagt, sie soll aufs Zimmer gehen. Sie war schwer erschöpft zu ihrem Bett gegangen und dann wohl direkt eingeschlafen. Reflexartig griff Tina nach ihrer Jacke. Sie fühlte nach dem Kristall. Er befand sich noch dort. Ein seltsames wohliges breitete sich in ihr aus, als sie an die feurige Kreatur von gestern dachte. ‚Sasons… ist sein Name. Er ist mir so vertraut.‘ Erinnerungen die zurückkamen und es fühlte sich so an, als wären sie nie fortgewesen. Ein paar Sekunden vergingen, bis sie erschrocken aufschaute: ‚Rick! Hoffentlich geht es ihm gut.‘ Weitere Erinnerungen – jedoch unschöne - kamen in ihr hoch. Sie sah in ihren Gedanken ihn am Boden liegen, wie schwer verwundet er war. Tina stand auf und sie richtete sich kurz im Bad. Mit der Ersatzkleidung, die ihr Linda am ersten Tag zur Verfügung gestellt hatte - und den Mantel umgezogen - verließ sie das Zimmer. Sie lief die Treppen hinab zum ersten Stockwerk, sodass sie über das Gelände in die Eingangshalle hinabschauen konnte. Jemand saß an einem der Tische und er schien eine Art Zeitung zu lesen. Zum Lesen erhellte die Sonne durch den gläsernen Eingang den Raum. Tina brauchte einen Moment den Jungen am Tisch zuzuordnen. ‚Ah… ja… der Junge von gestern! Wie war sein Name?‘ Vorsichtig stieg Tina die breiten halbrunden Treppen in die Eingangshalle hinab. Sie suchte zeitgleich nach Alina, aber sie war nicht zu sehen. „Alina?“ Fragte Tina vorsichtig in den Raum. Gerade so deutlich, dass sie sich selbst verstand. „Ah… guten Morgen… ähm… falls du das andere Mädchen suchen solltest, die ist… äh gegangen… ich vermute um den Jungen zu besuchen.“ Der schwarzhaarige Junge blickte nachdenklich zur Seite. Er kratzte sich kurz am Kopf. Vor ihm lag eine Zeitung ausgebreitet, die die Überschrift trug - die regionale Tageszeitung. In seiner linken Hand ein Glas Wasser fest umschlungen. „Ah… danke… dir.“ Tina fühlte sich unbehaglich den Jungen anzustarren. Sie schaute durch den Raum. ‚Meinte er Rick? Aber wo genau ist Alina hingegangen?‘ „Äh…“ begann sie zögerlich. Sofort sah der schwarzhaarige Junge nervös auf. „Ist… ähm… weißt du wo Rick ist? Wie geht es ihm?“ Sie legte beide Hände aufeinander und sie betrat die letzte Stufe der Treppe. Sie stand nun einige Meter vom Tisch entfernt. Der Junge sah sie zuerst schweigend an, dann erhob er seine rechte Hand und er zeigte zur Tür: „Also ich meinte… sie ist zu… Rick gegangen. Er liegt wohl im Krankenhaus, zumindest habe ich das gehört. Ich weiß aber nicht welches oder eher gesagt wo. Ich… ich kenne mich hier nicht… so aus.“ Er schmunzelte nervös, dann blickte er auf seine Zeitung. Er kratzte sich wieder am Kopf. ‚Ich weiß es auch nicht… aber… ich sollte ihn auch besuchen. Aber wen soll ich fragen? Ist Linda hier?‘ Tina blickte sich um. Sie schaute zur Küche, aber sie entdeckte niemanden. „Weißt du, ob…“ „Äh… entschuldige…“ begann der schwarzhaarige Junge und er stand plötzlich auf. Tina war davon ein wenig eingeschüchtert und sie schreckte innerlich ein wenig zurück. Seine plötzliche Bewegung hatte sie nicht erwartet. „Ich bin übrigens Max… Max Maxxus… also… nach meinem Auswies zumindest. Nun… klingt seltsam, aber ich... ähm… weiß nur bzw., dass ich mich nur ab dem Krater erinnern kann.“ ‚Krater? Ah! Ich erinnere mich… er hat auch vorher was von einem Krater gesagt gehabt. Ja…‘ „Ähm… du sagtest auch, dass du in einem Krater aufgewacht bist. Hast du… dann auch keine Erinnerungen?“ Max schaute Tina einen Moment lang verwundert an. Sie erkannte Regungen in seinem Gesicht, jedoch konnte sie nicht deuten was sie bedeuteten. Kurz deutete er auf die Zeitung, dann nahm er jedoch schnell seine Hand wieder zurück. „Also bin ich nicht der einzige…, es gibt also mehr die - die im Krater aufgewacht sind? Du auch? Was weißt du darüber?“ ‚Er redet so durcheinander.‘ „Nein… ich weiß nichts mehr. Ich… ich erinnere mich ansonsten an nichts.“ „Oh ja… stimmt.“ Max blickte ein wenig enttäuscht zur Seite, während er sich wieder am Kopf kratzte. ‚Habe ich was Falsches gesagt? Mh…‘Tina legte ihre Hände ineinander. „Ja. Ich bin vor ein paar Tagen auf der anderen Seite der Stadt in einem Wald in einem Krater aufgewacht. Rick hat mir geholfen und Linda auch und auch Alina. Ich weiß aber nichts mehr. Ich hoffte…“ Tina schwieg. Sie wollte Max nicht erzählen, dass sie enttäuscht war, dass er ihr auch nicht helfen konnte. „Ähm… du hoffst was?“ Tina drückte ihre Hände stärker ineinander. Ein Quietschen war zu hören und Tina spürte einen leichten Luftzug an ihrer Backe. Ein leichter Pfeifton war zu hören. Sie blickte zum Eingang und eine große schwarzhaarige Frau mit ausdrucksstarker Präsenz trat mit schnellen Schritten in die Halle. Es war Linda. Sie lief zielgerichtet auf Tina zu. Linda zog etwas aus ihrer Tasche hervor. Es sah aus wie ein durchsichtiger Beutel aus Plastik. Aus diesem zog sie aus einer Menge brauner Armbänder, ein einzelnes Exemplar hervor. Als sie vor Tina stand, drückte sie ihr dieses entgegen: „Wenn der Polizeichef dich fragt woher du kommst, dann sagst du ihm, dass du von einer alten Bekanntschaft hierhergezogen bist und jetzt ein wenig Taschengeld als Mitglied dieser Gilde verdienst, verstehst du das Tina?“ Tina brauchte einen Moment um auf die plötzliche Aufforderung zu reagieren. Zuerst betrachtete sie das braune Armband in ihren Händen. „Das ist ein offizielles Gildenabzeichen dieser Gilde. Wenn du Fragen hast, können wir das später gerne bereden, aber im Moment nicht.“ „Äh ja, danke Linda.“ Linda nickte zufrieden. Jedoch hatte die Gildenmeisterin immer noch einen gestressten Gesichtsausdruck. Sie schaute mehrmals nach hinten. Tina war versucht ebenfalls in die Richtung zu schauen, aber sie wurde durch Lindas nächsten Worte abgelenkt: „Mach dir heute einen schönen Tag. Aber bitte versuche noch nicht allein in die Stadt zu gehen. Im Moment…“ Linda stoppte. „Einfach nicht. Bitte.“ Tina nickte vorsichtig. Linda schaute im Anschluss nach rechts. Sie begutachtete Max für einen Moment. „Und du bist?“ „Äh… Max… Maxxus! Ich hatte gestern… ich war gestern mit dabei bei der Sache… Rick hat mir geholfen und…“ „Ich hatte… dich gestern gar nicht realisiert. Entschuldige. Mein Name ist Linda Westallya. Ich bin die Gildenmeisterin der Ranger Guild auf dieser Insel. Wir sind eine Gilde für die Hilfe allerlei Probleme der Stadtbewohner. Ich kann mich erinnern, dass Alina erwähnte, dass du bei dem Ereignis gestern dabei gewesen warst. Wer bist du? Und wieso warst du dort?“ Die letzten beiden Fragen betonte sie harsch. Viel ungemütlicher als ihre Einleitung zunächst klang. Bei Max perlte plötzlich Schweiß von der Stirn. „Ah… ich… also… ich bin dort gewesen, weil ich… als ich aufgewacht bin… ähm keine Ahnung hatte wo ich bin. Ich hatte mich dort versteckt, auch vor den Typen dort. Äh… ich bin Max Maxxus, aber das denke ich, weil das auf dem Ausweis steht, der bei mir war. Äh… ich weißt sonst nicht, weil…“ „Du bist also der zweite von den Dreien. Ich verstehe. Ich vermute, du hast auch keine Erinnerungen?“ Maxs Augen weiteten sich und er gab zunächst klare betonte Worte von sich: „Ja! Ich kann mich an nichts erinnern…, also vor dem Krater… war.“ In Maxs Augen war ein Strahlen zu erkennen, jedoch wirkte er immer noch sehr nervös. „Und du kennst dieses Mädchen neben mir nicht?“ Sie verwies auf Tina. Max schaute sie noch einmal an und Tina wurde ein wenig nervös. Tina konnte es nicht richtig deuten, aber Linda verhielt sich heute unangenehm gegenüber anderen. ‚Vermutlich ist es wegen Rick.‘ „Nein…, ich kenne sie nicht, aber wir haben gerade schon geredet.“ Linda wirkte nachdenklich. Sie griff in ihre Jackentasche und sie zog ein weiteres braunes Armband aus der Plastiktüte hervor. „Bleiben wir mal bei dem Punkt so stehen. Ich gebe dir auch das Gildenarmband und du antwortest ebenfalls so, dass du von einer Bekanntschaft hierhergeschickt wurdest. Klar?“ Max nickte und er bekam das Armband überreicht. Linda seufzte. „Es tut mir leid, dass die Aufnahmezeremonie so unschön verläuft, aber im Moment… es tut mir leid… ich hole das nach.“ Linda blickte nach hinten zum Eingang, dann eilte sie zur Treppe. Wenige Sekunden später war sie bei der obersten Stufe angekommen. Zugleich verschwand sie durch die Tür, die zu ihrem Büro führte. Ein wenig perplex begutachtete Tina das weiche braune Armband in ihrer Hand. Sie tastete mit ihren Fingerspitzen die Oberfläche ab, auf der ein Wappen der Ranger Guild eingenäht war. ‚Was heißt das jetzt? Mitglied? Ich? So schnell?‘ Beim Reiben mit ihren Fingerspitzen fiel ihr plötzlich das Armband aus der Hand. Schreckhaft versuchte sie es zu greifen, aber sie griff daneben. Es landete auf dem Boden. ‚Oh nein! Nicht doch! Es wird schmutzig!‘ Entsetzt starrte sie nur das Armband auf dem Boden an, bevor ihr Körper reagierte und sie sich nach dem Armband bückte. Ihre Hand schnellte im Anschluss zum Armband. Sie prallte jedoch mit ihrer rechten Hand gegen den linken Arm von Max, der zeitgleich nach ihrem Armband gegriffen hatte. Als hätte sie einen Stromschlag abbekommen, zitterte ihr Körper und paralysierte ihn. Durch ihre Gedanken schossen vereinzelte nicht genau identifizierbare Bilder. Ihr wurde ein wenig schwindelig. Ihr Umfeld vibrierte und vernebelte sich. „Hey du… du… ähm… hast auch so ein Leuchtding… was hast du… ähm… darin?“ Eine leicht kindliche männliche Stimme hallte ihr durch den Kopf. Sie war klar und deutlich zu hören, aber dennoch nicht nahbar. Sie konnte den Ursprung der Stimme nicht zuordnen. Für den Moment sah sie einen weißen kalten harten Tisch vor sich in einem dunklen kahlen Raum. Sie selbst saß auf einen harten Stuhl und vor ihr lag etwas Orangefarbenes. Ein ihr bekannter Kristall. Neben ihr saß jemand. Ein Junge mit schwarzem Haar, der verlegen wegschaute, als sie ihn anblickte. Der Junge hatte etwas in seiner linken Hand. Dieser hatte seine linke Hand so auf den Tisch gelegt, dass Tina nicht erkennen konnte, was er darunter versteckte. Ein Bedürfnis in ihr wollte aber wissen was sich darunter befand. „Komm sag schon! Was ist das?“ Dieses Mal konnte sie die Stimme zuordnen. Sie kam von dem Jungen neben ihr. Sie erkannte den Jungen, es war Max. So schnell wie diese Erinnerung kam, so schnell war sie auch wieder fort und sie verblieb nur als halbblasses Bild im Kopf, wie all die anderen Erinnerungen, die sie seit dem Erwachen gesammelt hatte. Tina bemerkte den harten Untergrund unter ihrem Gesäß und auch ihre Handgelenke taten weh. Sie saß auf dem kalten steinernen Boden der Eingangshalle. ‚Oh…‘ Max saß inzwischen am Tisch, aber er hielt sich den Kopf, als würde es ihn schmerzen. Als Tina ihn eine Weile betrachtete, realisierte sie plötzlich, dass sie ein Gefühl der Vertrautheit spürte. Ein Gefühl, dass vorher noch nicht bei ihm gewesen war. Sie kannte ihn. Er war ihr vertraut. Sie wusste, dass er Max Maxxus hieß. Es war wie bei Sasons gewesen. Sie konnte nicht nachvollziehen, wieso sie ihn nicht erkannt hatte. Im Moment wusste sie jedoch nicht mit dieser Erkenntnis umzugehen. Sie fühlte sich schlecht. Ihr Körper kribbelte und dieser Moment der wohlherzigen Gefühle in ihrem Bauch verpufften, als sie die Kälte des Bodens an ihren Fingern spürte. Diese plötzliche negative Änderung ihrer Gefühle, lenkte sie ab. Sie schaute ziellos vor sich durch den Raum, bis sie das Armband auf dem Boden an ihren ursprünglichen Gedankengang erinnerte. Sie griff danach. „Das ist verrückt.“ Murmelte Max plötzlich, ohne aufzuschauen. Seine Hand, die er an die Stirn hielte, verkrampfte. ‚Aber was ist gerade passiert?‘ Ein Schauder ging ihr plötzlich über den Rücken. Einen kurzen Moment darauf nahm Tina einen Schatten in ihrem rechten Augenwinkel wahr und sie zuckte kurz zusammen. Eine etwas größere jugendliche Person war auf der anderen Seite des gläsernen Eingangs aufgetaucht und stierte ab und zu in die Halle. Sie schien nervös zu sein. ‚Wer ist das? Was macht er da?‘ Zuerst wirkte der große dürre Jugendliche unsicher. Immer wieder schaute er nach links oder nach rechts. Im Anschluss klopfte er vorsichtig mit seiner rechten Hand an der gläsernen Eingangstüre, während er hindurchblickte. Max schaute auf. Er schien den Fremden auch bemerkt zu haben, denn er blickte nachdenklich zur Tür. „Mh…? Ähm… jemand den du kennst?“ Tina schüttelte langsam ihren Kopf. „Nein…, den kenne ich nicht.“ Max stand auf. Er kratzte sich am Kopf. „Vielleicht dann zur… äh… der schwarzhaarigen Dame?“ Max verwies mit seinem Zeigefinger irgendwo nach oben. ‚Ach so ein Kunde… ja… soll ich nach Linda rufen?‘ Der Fremde am Eingang drückte im Moment die gläserne Schwingtüre auf. Er wartete für ein paar Sekunden auf der Schwele. Mit fragenden Blicken schaute er die beiden an. „Alles in Ordnung? Ich habe gesehen, dass irgendwas passiert ist und sie ist hingefallen? Ich möchte aber nicht unhöflich sein.“ Wieder wartete er einen Moment ab. „Bist du… ähm… hier… wegen der Gilde?“ Max schaute ihn weiterhin skeptisch an. „Ich bin… hier bei… der örtlichen Gilde, richtig? Als ich vorher das blondhaarige Mädchen gefragt habe, hat sie mich nur böse angesehen, aber auf dem Schild neben Tür steht deutlich, dass das die Gilde ist. Ich bin da schon eine Weile am Überlegen da draußen.“ ‚Von was redet er?‘ „Also… äh… die Gildenmeisterin ist oben.“ Max verwies wieder nach oben. „Ah ja… zum Verständnis. Ich wurde hierhergeschickt, dass ich mich hier melden soll. Herr Sheepsheck vom Hafen hat mich zur Stadt geschickt. Ihr habt gerade offen oder?“ ‚Von wem redet er?‘ Auf den ersten Blick machte der Fremde für Tina keinen bedrohlichen Eindruck. Sie versuchte ihn einzuordnen, da er eine ähnliche Statur hatte, wie der große dürre Typ von den drei Entführern. Er war groß, schlaksig, er wirkte ungepflegt und sein Gesichtsausdruck zeigte seine Angespanntheit. Nur sein braunes Haar war voluminöser, außerdem trug der Fremde eine recht große Brille. Ein paar Sekunden vergingen, während sich alle anschwiegen und der Wind durch die offene Tür hineingefegt kam. Er fegte beinahe die Zeitung vom Tisch, die Max reflexartig noch auffing und diese wieder auf den Tisch legte. „Also…, wenn du jemanden von hier suchst… ähm… ich glaube die… ist da oben.“ Wieder verwies Max mit seinem Zeigefinge zu den verschiedenen Türen im ersten Stock. Der Fremde schaute auf, aber sein fragender Blick blieb. Er kam ein paar wenige Schritte näher, sodass die gläserne Türe sich wieder von selbst schloss und der Wind aufhörte in den Raum zu fegen. „Ja schon verstehe. Bevor ich aber hier reinplatze, wollte ich nur wissen, ob ich hier mit solchen Problemen kommen kann.“ „Ich weiß es… ähm… wirklich nicht.“ Max zuckte unsicher mit den Schultern. „Ich habe ein Problem, dass ich nicht weiß… wer ich bin.“ ‚Was hat er gesagt?‘ Tina horchte interessiert auf. Ihr Eindruck von ihm änderte sich. Er ähnelte aus näherer Betrachtung nicht mehr den Entführern. ‚Ist er etwa auch in einem Krater aufgewacht?‘ Ihr Herz schlug plötzlich schneller. „Jetzt wirklich?“ Max blickte überrascht. „Und… du hast zufälligerweise keine Erinnerungen mehr oder bist… in einem Krater aufgewacht?“ Als Max die Worte aussprach, schlug Tinas Herz noch schneller. Der Fremde schüttelte seinen Kopf zunächst. „Also… ich bin in keinem… Krater aufgewacht? Ich bin eigentlich im Wasser aufgewa… nein… ich bin in einem Haus aufgewacht und dort hat mir Herr Sheepsheck erklärt, dass er mich im Wasser aufgefunden hat. Ich bin vom Himmel gestürzt... also angeblich. Aber! Das mit den Erinnerungen stimmt! Ich erinnere mich ansonsten an nichts. Ich weiß nur was auf diesem Ausweis steht UND was seit meinem Erwachen passiert ist. Ich verstehe das aber bisher nicht, ALSO wie das alles zusammenhängt.“ Der Fremde schob seine rechte Hand in seine Jackentasche, dann fummelte er einen Ausweis hervor. Er präsentierte diesen Max. Zunächst zeigte sich Max distanziert. Er betrachtete den leicht verwässerten Ausweis aus einem gewissen Abstand, dann nahm er diesen vorsichtig in die Hand. Er betrachtete diesen ein paar Sekunden, dann hielt er diesen in Richtung Tina. Tina streckte nur zögerlich ihre Hand aus. Beim Abnehmen des Ausweises, berührte sie Max Hand. Dieses Mal passierte jedoch nichts. Sie wurde ein wenig verlegen, als ihr auffiel, dass sie für ein paar Sekunden das Handgelenk von Max angestarrt hatte. Sie umklammerte den Ausweis fest, während sie ihre Hand zu sich zurückzog. Max stand einen Moment lang still vor ihr. „Stimmt.“ Murmelte er plötzlich. Währenddessen machte er einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und seine Statur wirkte selbstbewusster. Er wandte sich dem Fremden zu. Langsam streckte Max seine rechte Hand aus. Die Handfläche seitlich nach vorn gestreckt. „Entschuldige… ich bin Max Maxxus…, ich bin… hier… auch nur Gast oder also... trotz… also… es ist kompliziert.“ „Ach so, ja klar… ja.“ Der Fremde streckte auch seine Hand aus, auch wenn er zunächst sehr perplex wirkte. Tina konnte den nächsten Moment nicht beschreiben. Nachdem die beiden sich die Hand gaben, war zunächst äußerlich nichts zu sehen. Aber die beiden zitterten schlagartig. Zunächst wichen beide fast zeitgleich zurück. Sie schwankten auf der Stelle. Max setzte sich schnell hin, während der Fremde sich gerade noch so am Tisch festhalten konnte. Einige Sekunden vergingen, bis Max wieder einen klaren Blick hatte. Sein bleiches Gesicht nahm wieder Farbe an. „Ach… da war es schon wieder.“ Max sah zu Tina. Sein Blick war zunächst sehr ernst. Für einen kurzen Augenblick blieb er konzentriert. Tina wurde es ein wenig unangenehm, dass er sie so anstarrte. „Ähm… eine Frage… kannst du dich an mich erinnern? Also… ich meine… hattest du…“ „Ja!“ Tina fühlte sich ein wenig erleichtert, dass er fragte. Max stoppte und er lächelte. „Also doch…“ Schmunzelnd sah er leicht verlegen zur Seite. ‚Also erging es nicht nur mir so.‘ „Ähm… dann habe ich… einen interessanten Gedanken… also ich ähm meine… hast du auch sicherlich diese Erinnerungen gehabt… als... unsere Hände sich berührt hatten. Das Gleiche war jetzt auch bei ihm und… ich wollte dich fragen… ähm… weil du vorher meintest du kennst ihn nicht… dass du… ihm auch die Hand gibst, weil… also… ähm wir uns kennen. Ich will… ähm… das nur testen.“ Max schaffte es während seiner Frage nicht Tina konzentriert anzusehen. Bevor Tina auf Max Frage reagierte, bemerkte sie, dass sich der Fremde wieder bewegte. „Oh… was zum… was ist passiert? Ich kenne dich!“ Der Fremde hatte sich wohl wieder erholt, denn er begutachtete Max. Perplex starrte er zwischen seinen Händen und Max hin und her. „Was ist denn jetzt gerade nach dem Handgeben passiert? Kannst du mir das erklären?“ „Also ähm… es hat – denke ich – mit dem Kontakt zu tun. Es löst vielleicht was aus?“ Max hob seine linke Hand empor, als würde er den beiden etwas zeigen, was in seiner Hand lag. ‚Meint er die Berührung? Hat die Berührung die Erinnerungen hervorgeholt?‘ Der Fremde zeigte auf Tina: „Und du hast gerade gemeint, dass wenn ich ihr auch die Hand gebe, dass das nochmal passiert?“ „Nur zum Test… also… ähm… ich vermute das nur.“ Der Fremde schien darüber nachzudenken, dann sah er zu Tina. Sein Blick war ihr ein wenig unangenehm. ‚Hoffentlich hat er Recht und es verrät mehr von mir.‘ „Also wenn sich das so wiederholen lässt. Ich würde mich gern an mehr erinnern.“ ‚An mehr erinnern.‘ Tina verstand seinen Wunsch nur allzu gut. Sie spürte plötzlich wieder ein Kribbeln in ihrem Körper. Für einen Moment betrachtete Sie ihre rechte Hand. „Ähm… die Hand! Reicht euch die Hände!“ Drängte Max, während er auf die Hand des Fremden verwies. ‚Also gut.‘ Tina streckte langsam ihre rechte Hand hervor. Sie fühlte sich ein wenig unwohl. Die Berührung von zuvor hatte einen unangenehmen Schock verursacht, der ihr schwindelig werden ließ. Ihre Neugierde überwog jedoch. Der Fremde zögerte auch zunächst. „Also gut.“ Dann griff er nach ihrer Hand. Unsanfter und kräftiger als Tina das erwartet hatte, packte der Fremde ihre Hand. Sie hatte jedoch keine Zeit darüber nachzudenken, denn es passierte genau das, was sie erwartete. Wieder durchzog sie ein eigenartiges paralysierendes Gefühl, dass ihre Sinne benebelte und bei ihr ein Schwindelgefühl verursachte. Zeitgleich durchstreifte sie erneut realanfühlende klare Erinnerungen. Dieses Mal war der weiße sterile Raum um sie deutlicher zu erkennen. Die vier Wände befanden sich fast im gleichen Abstand zu ihr, jedoch nicht das was zwischen ihr und den Wänden befand. Als wären die Wände hinter einer nebeligen Wand aus Schatten verborgen. Über ihr war schwaches gelbes Licht und unter ihr ein harter Fliesenboden. Sie bemerkte ebenfalls, dass sie selbst weiße reine Klamotten trug und etwas um ihrem Hals. Eine Art Kette. Links von ihr stand Max, der gerade noch etwas unverständliches zu ihr sagte und dann an ihr vorbei auf jemanden verwies. Er zeigte auf einen anderen Jungen im Raum. Sie erkannte ihn. Es war der Fremde von zuvor. Ein wenig Abseits im Raum saß er an einer Wand. Er las ein Buch. Der Junge schien sehr interessiert in seine Lektüre zu sein. Bei näherer Betrachtung erkannte Tina, dass auch dieser Junge in weiße Klamotten gehüllt war, ebenso Max, der mit weiteren Handbewegungen deutlicher machte, dass sie zu dem fremden Jungen gehen sollte. „Vielleicht… ähm… hat er Lust mitzumachen? Fragen wir ihn doch?“ Max Stimme drang in ihr Ohr und sie spürte ein Kribbeln in ihrem Körper. Sie trat ein paar Schritte auf den Jungen an der Wand zu. Dieser schaute plötzlich auf, dann richtete er zunächst seine Brille. „Ja? Was willst du?“ Die Stimme des Jungen kam ihr bekannt vor und sie erkannte ihn. Es war Daniel. Im nächsten Moment verblassten die Erinnerungen und Tina kam wieder zu sich. Sie spürte unter ihren Handflächen wieder den kalten Boden. Ihre Finger schmerzten ein wenig. ‚Schon wieder.‘ Jedoch auch dieses Mal verflogen die euphorischen Gefühle schnell und sie wurden unter der präsenten Erkenntnis vergraben, dass auch diese neuen Erinnerungen ihr nicht viel weiterhalfen zu wissen wer sie nun war. Es zeigte ihr lediglich nur, dass sie nicht mehr allein war, aber dennoch fühlte sie sich immer noch allein. Ihre Hände verkrampften sich und traurig blickte sie hinab zum Boden. Tina brauchte einen Moment, bis sie sich wieder aufrichtete. Dann blickte sie den großen schlaksigen Jungen vor sich an. Der ehemalige fremde Junge, kam ihr nun vertraut vor, ebenso wie Max. Der Junge hieß Daniel Surnax. Ebenso wie dies auf seinem Ausweis stand, den Tina beim Sturz wohl verloren hatte. Er lag nun ein wenig von ihr entfernt. Daniel selbst hatte sich nun auch hingesetzt und seine Augen waren noch geschlossen. „Ahhh… alles in Ordnung bei euch?“ Max wirkte aufgeregt. „Ja!“ Reagierte Daniel sofort und er öffnete langsam seine Augen. Daniel blickte Tina an, dann sah er zu Max. „Versteht ihr das? Erst kannte ich euch nicht und jetzt erinnere ich mich an euch, aber… es erklärt rein gar nichts. Ich berühre jemanden, der ebenfalls von diesem Problem betroffen ist und ich weiß plötzlich was, was ich vorher nicht wusste.“ Daniel schaute nun wieder zu Tina: „Gibt es noch mehr, hier? Wem muss ich noch die Hand reichen?“ Max schien kurz darüber nachzudenken, dann blickte er zu Tina: „Stimmt. Gibt es noch mehr? Aber… die schwarzhaarige Frau hatte vorher von Drei geredet. Ich denke daher…“ „Also… ähm… hier gibt es niemand weiteres, oder? Also aus einem Krater… ich weiß nichts von mehr Leuten, die auch in Kratern erwacht sind, leider.“ Traurig stellte Tina fest, dass sie von dieser Tatsache enttäuscht war. Bis von gerade eben hatte sie eine Hoffnung gehabt eine Lösung zu finden, aber im Grunde standen sie jetzt nur zu dritt vor dem Problem. ‚Gibt es noch mehr von uns? Und was ist der Grund dafür? Wieso fühle ich mich jetzt nicht besser?‘ Der Mantel der Einsamkeit legte sich wieder um sie. Sie schaute nach oben in die Gesichter von Max und Daniel. Sie spürte einen kleinen Funken der Freude in ihr, der versuchte gegen die Schwärze in ihr anzukämpfen. Max war auch plötzlich zu ihr geeilt und er reichte ihr die Hand zum Aufstehen. Manchmal empfand sie seine Bewegungen doch ein wenig unvorhersehbar, aber wenn sie darüber nachdachte, so kannte sie Max schon immer. Dieser Gedanke brachte sie zum Schmunzeln. Wieder nahm Tina etwas aus ihrem Augenwinkel war. Jemand drückte die gläserne Eingangstüre mit Schwung auf. Eine erwachsene uniformierte Person trat mit schnellen Schritten in die Halle. Seine schweren Schuhe knallten auf den Fliesenboden und sie verursachten dadurch ein unangenehmes Klacken. Tina kannte die Person. Es war Heon Stahl. Der Polizeichef. Sein ernster Gesichtsausdruck war auch dieses Mal sehr einschüchternd. Sein Blick schweifte kurz zwischen den drei hin und her. „Ist die Gildenmeisterin Linda Westallya im Haus?“ Die laute betonende Stimme des Mannes setzte Tina sofort unter Druck, sodass sie ihn ein wenig perplex anstarrte. „Oben…, denke ich.“ Antwortete Max nervös. Heon betrachtete Max für einen Moment. Sein ernster Blick analysierte den schwarzhaarigen Jungen. Daraufhin schaute der Polizeichef auch zu Daniel. „Woher kommt ihr eigentlich? Ich habe euch noch nicht auf dieser Insel gesehen. Seid ihr Touristen?“ „Äh… nein… wir sind zu Besuch bei dieser Gilde… ähm… für… äh als Gildenmitglieder… für einen Nebenverdienst.“ Max verwies auf das braune Gildenarmband. Der Polizeichef starrte das braune Armband einen Moment lang an: „Wann kamt ihr auf diese Insel? Mit welcher Fähre genau?“ Max wurde unsicherer und in seinem Gesicht war zunächst große Nervosität zu erkennen. Sichtlich versuchte er neue Worte zu formulieren, aber auch Tina fühlte sich hilflos. Sie schaffte es nicht ihren Körper zu überreden zu antworten. „Sie sind neue Gildenmitglieder von einer fernen Bekanntschaft. Sie kamen mit der Fähre vorkurzem. Und in ihrem Alter dürfen Sie befristete Auszeiten nehmen, um praktische Erfahrungen in der Gilde machen. Sind damit alle Punkte geklärt? Sicherlich wollen sie das Alter auch kontrollieren, nicht wahr, aber sie sind doch wegen etwas anderem hier, Herr Polizeichef?“ Heon blickte gleichgültig nach oben: „Wenn Sie das sagen, Miss Westallya.“ Linda ging zur ersten obersten Stufe und sie verwies auf ihr Büro. „Herr Stahl, besprechen wir den juristischen Kram in meinem Büro.“ „Wie sie wollen, Miss Westallya.“ Daraufhin warf Heon noch einen letzten prüfenden Blick zu den drei Jugendlichen in der Halle, die ihn immer noch schweigend anstarrten. Heon wandte sich daraufhin den Treppen zu. Bevor er die ersten Stufen nach oben betrat, richtete sich der Polizeichef auf. Mit deutlicher Betonung formulierte er: „Es gibt noch einen Warnhinweis für alle Bewohner des Dorfes. Heute Morgen hat sich ein Überfall am Friedhof ereignet. Es gibt einen Schwerverletzten. Der Täter ist noch auf der Flucht und es scheint wohl sehr gewalttätig zu sein. Bitte haltet euch deswegen im Innenraum auf, bis die Polizei Entwarnung gibt. Ihr erfährt weiteres im Radio.“ Daraufhin ging Heon Stahl in gleichschweren Schritten die Treppe nach oben. Seine schweren Schritte entlockten der Treppe Geräusche empor, die sie sonst nicht hervorbrachte. Die Worte des Polizeichefs verursachten eine unangenehme Atmosphäre, die ein langes zähes Schweigen zwischen den drei in der Gildenhalle zur Folge hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)