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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 57 - Mind Evangelion

Turn 57 – Mind Evangelion

 

 

Zu dritt standen sie am Frühstücksbuffet an. Eins musste man diesem Schuppen lassen, so gestand sich Anya ein, seine vier Sterne standen ihm gut zu Gesicht. Dieses Hotel war wesentlich besser als das in Dice.

Allein hier, im Restaurant, konnte man den ganzen Tag verbringen. Es war riesig, hell, in ganzen Reihen standen die Tische beieinander und waren bereits gut besetzt. Direkt in der Mitte des Saals, über der Bar, führte eine mit rotem Teppich ausgelegte Treppe in ein oberes Stockwerk, wo es sogar VIP-Bereiche und einen Balkon gab, auf dem man ebenfalls speisen konnte.

Zanthe hatte sich lediglich eine Scheibe Lammkotelett, ein paar Kartoffeln und etwas Mischgemüse aufgetan. Anya neben ihm schlug sich den Teller regelrecht mit allem Möglichen voll, anders als Matt, der sich eher auf Müsli, Toast und dergleichen beschränkte. Mit einer Hähnchenkeule im Mund, weil sie natürlich nicht hatte warten können, schmatzte sie im Gehen mehr als sie redete. „Schmeckt escht gutscht hia.“

„J-ja, Anya.“ Der leicht angewiderte Ausdruck des Dämonenjägers sprach Bände.

 

Zusammen setzten sich die Drei an einen freien Tisch bei einem der im halben Dutzend vorhandenen Fenster, durch die man auf die draußen stehenden Tische und die Straße blicken konnte.

„Ist das geil, warme Küche zum Frühstück!“, freute sich Anya wie ein Schnitzel, derer auch eins auf ihrem Teller lag.

„Du hast gestern echt für Gesprächsstoff gesorgt“, meinte Matt nebenher und bestrich sich seinen Toast mit Marmelade. „Und das nicht gerade im positiven Sinne.“

„Ach“, zeigte sie sich unbeeindruckt, „lass doch diese abgehobenen Pros labern. Mir doch egal, ob einigen von ihnen nicht passt, dass ich mir meinen Platz im Turnier verdient habe.“

Matt sah sie mitleidig an. „Anya … es sind nicht nur ein paar. Vielleicht ist es dir entgangen, aber ein paar von denen haben eigene Blogs, manche sogar Kanäle auf Videoplattformen.“

„Was er damit sagen will“, sagte Zanthe, während er sein Kotelett schnitt, „die ganze Welt hasst dich jetzt. Was er dir verheimlicht: Er stalkt dich geradezu.“

„Halt die Klappe“, brummte Matt daraufhin grimmig.

„Ich sag's ja bloß.“

Scheinbar hatten die beiden ihre Streitigkeiten noch immer nicht ganz beigelegt. Was Anya aber nicht scherte, sie ballte grinsend eine Faust. „Strike! Sollen sie doch heulen, die Pissnelken.“

Ihre Freunde sahen sich nur vielsagend an und schüttelten die Köpfe.

 

Nach dem Frühstück begaben sie sich ohne Matt zurück auf ihr Zimmer, denn jener wollte ein wenig Nachforschungen in Anyas Sache betreiben und hatte scheinbar einen ersten Anhaltspunkt, dem er nachgehen wollte.

Zanthe seinerseits hatte darum gebeten, dass Anya ihm das neue D-Pad zeigte. Auf dem Weg zu ihrem Nachttisch, auf dem es lag, kam Anya am Panoramafenster vorbei und musste einen Blick auf den Wolkenkratzer werfen, auf dem Claire Rosenburgs Werbung gezeigt wurde. Da war sie wieder, perfekt auf ihrem D-Wheel. Die Göttin, die auf alles und jeden herab zu starren schien.

Zischend wandte Anya sich ab und nahm das rote D-Pad, warf es dem Werwolf zu. Der fing es mit einer Hand auf und betrachtete es. „Hmm, Monster die auch Zauberkarten sind. Die Idee ist gar nicht so dumm.“

„Mag ja sein, aber ich verzichte drauf. Meine Duel Disk hat diese Zonen nicht und ich werde 'nen Teufel tun und sie in Rente schicken, sobald ich sie erst wieder habe.“

Der Junge mit dem blauen Kopftuch warf sie ihr zurück. „Find' ich gut. Man muss nicht jedem Trend hinterher rennen. Was sagste, haste Lust auf ein Übungsduell?“

„Na klar doch! Ah! Warte kurz.“

Ihr war etwas eingefallen. Sie steckte ihre Hand in die hintere Hosentasche ihrer Jeans und zog daraus [Gem-Knight Pearls] Karte hervor.

„Stimmt, den hattest du ja hier gelassen“, erinnerte sich Zanthe an Anyas Geschichte dazu.

 

Oh, und ich dachte schon, ich würde in diesem muffigen Loch verrotten.

 

„Du kannst doch gar nicht riechen!“, brauste Anya sofort auf. „Zeig gefälligst etwas Dankbarkeit!“

Wütend wollte sie ihn in ihr Deck stecken, da fiel ihr etwas auf: Es befand sich gar nicht in seinem Schacht. „Huh?“

„Was ist los?“, fragte Zanthe.

„Mein Deck ist nicht da.“

Schulterzuckend erwiderte er: „Dann hast du es vermutlich zurück in dein anderes D-Pad gesteckt.“

Dem ging sie sofort nach und schnappte sich das schwarze Modell von Logan auf ihrem Nachttisch, aber Fehlanzeige, auch dort wurde sie nicht fündig.

„In der Schublade?“

Anya riss diese auf. „Nein.“

„Deinem Kleid?“

„Hat keine Taschen.“

„… wo hast du dann dein Deck verstaut, du hattest doch gar keine Handtasche-“

Aufgewühlt schnitt Anya ihm ins Wort: „Das ist jetzt nicht wichtig!“

Ihr Blick wanderte durch den Raum. Auf den Fensterbrettern konnte es nicht liegen, denn die gab es gar nicht, schließlich reichte das Glas bis zum Fußboden. Auch auf dem Tisch lag nichts außer Zanthes 'Faust'-Exemplar. Sie eilte, nun leicht in Unruhe versetzt, an ihm vorbei ins Bad. Hatte sie es, warum auch immer, dort liegen lassen?

Auf dem Waschbecken? Nichts. Dem Abstellbrett auch nicht, ebenso wenig im Inneren des kleinen Spiegelschranks. Die Badewanne, die sie gestern nach der Party noch benutzt hatte? Leer!

Anya streckte ihren Kopf durch den Türrahmen, sah Zanthe panisch an: „Ich find's nicht.“

„Meine Güte, kannst du nicht auf deine Sachen aufpassen?“, tadelte er sie und bückte sich, sah unter seinem Bett nach, dem äußersten der drei nebeneinander aufgereihten. „Hier ist es nicht.“

Auch unter Matts in der Mitte fand er nichts, ebenso wenig unter Anyas, welches sich in der Ecke des Zimmers befand.

„Verdammt, wo ist es bloß!?“, verlor Anya langsam die Fassung, als sie aus dem Bad kam.

 

Du hast es doch nicht etwa verloren!?

 

Levrier erschien neben ihr in Pearls Form und sah sich um, während seine Karte zurück in Anyas 'muffigem Loch' verschwand.

„Warte kurz“, meinte Zanthe derweil, trat an Matts Reisetasche vor seinem Bett und durchstöberte sie seelenruhig.

Die Augenbrauen anziehend, fragte Anya: „Summers? Nie im Leben würde der es wagen!“

„Offensichtlich, denn hier ist es auch nicht.“ Er rechtfertigte sich: „War ja nur 'ne Idee, so komisch wie er manchmal drauf ist.“

 

Was das angeht, kann ich dich beruhigen. Weder Matt Summers noch Zanthe Montinari haben irgendetwas dergleichen getan. Als ewig Schlafloser weiß ich solche Dinge.

 

Anya kam gar nicht auf die Idee, dafür Mitleid zu empfinden. Jenes hatte sie gerade ausschließlich für sich selbst übrig. „Oh scheiße, scheiße, scheiße! Es ist weg!“

„Dann hast du es wohl verloren. Oder irgendwo liegen lassen? Denk nach, wann hast du es das letzte Mal gesehen?“

Das Mädchen legte beide Hände an die Stirn. „Hmm, verdammter Kackmist. Nein, beim Frühstück hatte ich es nicht mit. Ich kann mich auch nicht erinnern, es gestern nach der Party noch irgendwann in der Hand gehabt zu haben.“

„Also musst du es dort verloren haben“, schloss Zanthe daraus.

„Vielleicht ist es aus der Halterung gerutscht?“ Anya warf bereits einen hasserfüllten Blick auf das rote D-Pad, das sie zwischenzeitlich auf ihr Bett geworfen hatte, als wäre das die einzig logische Antwort. „Verdammter Prototyp! Nur Schrott stellen die bei der AFC her!“
 

Ich würde vorschlagen, wir statten Henry Ford einen kleinen Besuch ab. Dort sollten wir beginnen.

 

„Und was ist, wenn ich es auf der Rückfahrt im Taxi verloren hab? Oder irgendjemand es gefunden hat und für sich selbst behält!?“ Anya war blass wie lange nicht mehr, wie sie anfing orientierungslos durch das Zimmer zu wandern.

Zanthe zuckte mit den Schultern. „Dann kaufst du dir die Karten neu, meine Güte.“

Sofort fiel sie ihn an und schüttelte ihn regelrecht durch. „Du kapierst das nicht, Flohpelz! Das sind nicht einfach nur Karten, das sind -meine- Karten! Die habe ich seit ich angefangen habe, die kann man nicht ersetzen! Da sind so viele Karten drin, die keiner außer mir besitzt!“

Zanthe blinzelte und begriff, was sie meinte. „Angel Wing und Heavy T!“

„Und [Kuriboss], [Gem-Knight Master Diamond]. Oder auch der seltene [Gem-Knight Zirconia], den ich von Matt habe!“ Anya war den Tränen nahe. „Alle, einfach alle!“

„Wir finden sie!“, versprach Zanthe plötzlich unerwartet sanft. „Ich suche das Hotel ab, nur für den Fall. Du gehst zurück und sprichst mit Henry. Vielleicht hat einer seiner Partygäste oder Mitarbeiter das Deck ja gefunden und abgeben?“

Aufgelöst wie lange nicht mehr, nickte Anya zittrig. „Okay …“

 

~-~-~

 

Während der Taxifahrt krallte Anya sich unentwegt in ihrem Sitz fest.

„Geht das nicht schneller!?“, schrie sie den indischen Fahrer neben sich an.

„Nein“, erwiderte der in gebrochenem Englisch, „sei geduldig, Mädchen.“

Gerade fuhren sie über eine lange Brücke, unter welcher sich ein Fluss seinen Weg ins Meer am Horizont bahnte. Anya blickte aus dem Fenster und folgte seinem Lauf, dann schnaubte sie. Wieder zum Fahrer wirbelnd, presste sie zwischen den Zähnen hervor: „Wenn du nicht gleich auf die Tube drückst, spielen wir 'ne Runde GTA und danach fahre ich, Fettsack! Also dalli!“

Es war, als hätte er gar nicht bemerkt, dass sie ihn angesprochen hatte. Stattdessen begann er vergnügt ein Lied zu summen. Sein letztes, wie Anya sich mit weit aufgerissenen Augen sicher war.

 

~-~-~

 

Die Beifahrertür knallte zu und Anya stand vor dem Anwesen, in dem gestern die Party stattgefunden hatte. Mit quietschenden Reifen ergriff der Taxifahrer die Flucht. Und das Beste: Nachdem Anya mit ihm fertig gewesen war, hatte er sogar auf seine Bezahlung verzichtet!

„Tch, wäre noch lustiger gewesen, wenn er nicht die ganze Fahrt über geschrien hätte!“

 

Aber wen interessierte das überhaupt, schließlich hatte sie ganz andere Probleme. Das Bogentor des Anwesens stand nämlich verschlossen da. Anya watete herüber zur linken Seite und betätigte die Sprechanlage.

„Ja bitte?“, drang eine unbekannte, männliche Stimme aus dem weißen Apparat.

„Hey! Ich muss dringend mit dem Schnö- mit Henry sprechen. Henry Ford.“

„Mr. Ford war lediglich ein Gast unseres Hauses. Versuchen Sie es in seinem Hotelzimmer.“

Anya runzelte ärgerlich die Stirn. „Mir egal, dann gib mir denjenigen, der diese dämliche Party gestern ausgerichtet hat.“

Der Kerl am anderen Ende der Leitung gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Ich befürchte, Mr. Walton, der Eigentümer dieses Anwesens, ist leider auch nicht anzutreffen. Darf ich erfahren, was Sie überhaupt hierher führt und wer Sie sind?“

„Was geht dich das an!? Eine Anya Bauer ist niemandem Rechenschaft schuldig! Lass mich einfach rein, Idiot!“

„Bedaure, ich fürchte ich kann dieser Bitte nicht nachkommen. Guten Tag.“

Es knackte aus dem Sprecher und der Typ war weg. Und Anya puterrot im Gesicht.

 

Wirst du jemals dazulernen, Anya Bauer? Wobei, du hast dir den Begriff Rechenschaft endlich aneignen können. Wie schön.

 

„Wirst du jemals die Klappe halten, Levrier!?“

Anya stemmte wütend die Hände in die Hüften und stampfte um das Tor herum zu dem schwarzen Zaun, der sich von ihm erstreckte. Ob man da wohl drüber klettern konnte? Zugegeben, der war fast zwei Meter hoch und spitz am Ende, aber sie wäre nicht Anya Bauer, wenn sie das beeindrucken würde. Solche Dinger hatte sie doch schon tausendmal erklommen!

Schon hatte sie eine der Palisaden gepackt und stand mit einem Fuß auf der ersten Haltestange. Sie würde nicht eher abhauen, bis sie ihr Deck wieder hatte! Mit viel Schwung stieß sie sich ab und versuchte die nächst höher gelegene zu erreichen, was sich als ziemlich anstrengend entpuppte, da zwischen den Palisaden äußerst wenig Platz für einen Fuß war. Trotzdem ließ Anya sich nicht beirren und kletterte unentwegt weiter, bis sie ein Bein bereits vorsichtig über die Spitzen des Zaunes schwang.

Es schepperte. Verdattert sah Anya in ihrer unbequemen Lage nach unten und sah dort ein brandneues Smartphone liegen. -Ihr- Smartphone. Oder was jetzt noch davon übrig war.

„Oh shit, wieso passiert mir das immer!?“, fluchte das Mädchen außer sich vor Wut.

 

„Anya, was machst du da!?“

Die blinzelte überrascht in ihrer stark an einen pinkelnden Hund erinnernden Haltung und entdeckte eine junge Frau bei dem Springbrunnen im Garten vor dem Anwesen. Rotes, offenes Haar, ein weißes Sommerkleid – Melinda Ford.

„Hi“, rief Anya ihr etwas verblüfft zu und schwang sich schließlich über den Zaun, landete in der Hocke auf der anderen Seite.

Sofort kam ihr Henrys Schwester entgegen gerannt. „Ich glaub, ich seh' nicht richtig! Wieso hast du nicht geklingelt!?“

Als Anya sich vor ihr aufrichtete, zischte sie böse: „Hab ich doch, aber das Schwein hat mich nicht reingelassen! Hat gesagt, dein Bruder wäre nicht da!“

„Ist er auch nicht, weil er noch gestern wegen eines Termins die Stadt verlassen musste. Ist doch auch völlig Banane.“ Melinda seufzte tief, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Also, was ist so wichtig, dass du unbedingt wegen Hausfriedensbruchs festgenommen werden willst!?“

„Mein Deck! Es ist weg!“, beklagte Anya sich wild gestikulierend. „Ich muss es irgendwo auf der Feier gestern verloren haben.“

Melinda tippte ihren Zeigefinger gegen das Kinn. „Du bist doch bereits kurz nach dem Duell gegangen. Sicher, dass du es bei uns verlegt hast?“

„Absolut! Hilf mir, Schnöselschwester!“

Die musste belustigt glucksen. „Schnöselschwester? Das ist mal was Neues. Aber wenn du meinst, komm mit. Und versuch nie wieder, hier einzubrechen … zumindest nicht am helllichten Tag!“

 

Melinda führte Anya durch den Blumengarten am Springbrunnen vorbei ins Anwesen, bis hin in den Ballsaal. Dieser war bei Tageslicht nicht halb so beeindruckend, besonders deswegen nicht, da ein halbes dutzend Möbelpacker damit beschäftigt war, die Tische, Stühle und die Bühne wegzuräumen, wofür sie einen Seiteneingang benutzen.

„Hat jemand mein Deck vielleicht abgegeben?“, fragte Anya und sah sich um.

„Dann hätte ich mich schon bei dir gemeldet.“ Melinda schüttelte betonend den Kopf. „Wir haben zwar ein, zwei Sachen gefunden, aber das waren Ohrringe oder Mobiltelefone.“

Offenbar Grund genug für Anya, die Sache selbst anzugehen. Sie stampfte durch den Saal und steuerte direkt dessen Mitte an, wobei sie den Blick gen Boden gerichtet hielt. Weiter vorne waren zwei Techniker auf Leitern damit beschäftigt, den unter der zusammenlaufenden Wendeltreppe befindlichen Monitor zu demontieren.

„Shit! Wo ist es!?“

Melinda eilte ihr hinterher. „Na da sicher nicht, das wäre uns längst aufgefallen!“

Sofort wirbelte Anya zu ihr um. „Und wo dann, Einstein!?“

„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte die Rothaarige nun langsam an ihre Grenzen der Geduld getrieben. „Ich glaube nicht, dass du es hier überhaupt finden wirst. Vielleicht hat es ja wirklich jemand entdeckt und dann mitgenommen?“

Allein die Lippenbewegungen lösten in Anya ein klammes Gefühl aus, was sich nur umso schneller in neue Wut umwandelte. „Wenn das so ist, finde ich diese Mistmade und erwürge sie mit ihrem eigenen Magen! Gibt’s hier vielleicht Kameras!?“

Melinda zögerte bei ihrer Antwort. „Schon, aber …“

Bevor sie den Satz zu Ende brachte, unterbrach sie sich selbst mit einem schicksalsergebenen Seufzen und machte eine ausholende Handbewegung in die andere Richtung. „Komm mit!“

 

Henrys Schwester führte das Mädchen in den Keller, wo sich das 'Sicherheitszentrum' des Anwesens befand. Der Raum war dunkel, klein und roch irgendwie muffig. Vielleicht wegen dem fetten Wachmann, der ihn besetzte.

„Hallo Hank“, grüßte Melinda diesen beim Eintreten.

„Melly!“ Extra für sie stand der dickliche Mann in Dunkelblau auf, nur noch ein grau-braune, dünner Kranz war ihm von seiner Haarpracht geblieben.

Auf diversen Monitoren wurden hier in schwarz-weiß die Bilder der Überwachungskameras wiedergegeben. Am Schreibtisch befand sich zudem ein Laptop, mit dem Hank arbeitete.

„Kennt ihr euch?“, fragte Anya, als sie Melinda hinein folgte.

„Ja, unsere und Mr. Waltons Familie sind gut befreundet“, erwiderte Melinda und stellte sich zu Hank, fasste ihn auf die Schulter und strahlte Anya förmlich an, „früher, wenn wir hier zu Besuch waren, hat Hank oft mit mir und Henry gespielt.“

„Schön für euch“, gab sich Anya desinteressiert, „was ist nun!?“

„Hank“, richtete sich Melinda an den Wachmann, „kannst du uns bitte einen Moment allein lassen? Wir müssen kurz ein wenig die Aufnahmen von gestern durchgehen, es gab einen … Vorfall.“

Der bullige Mann nickte knapp. „Natürlich. Hast du wieder was angestellt, Melly?“

Die zwinkerte ihm nur verschwörerisch zu, als sie sich an den Schreibtisch setzte. Lachend verließ Hank den Sicherheitsraum.

 

Anya stellte sich hinter die rothaarige Frau und sah zu, wie sie sich am Laptop zu schaffen machte.

„Kannst du das Teil denn bedienen?“

Mit einem äußerst pikierten Blick drehte sich Melinda zu ihr um. „Machst du Witze? Seit ich acht war, hab ich hier mein Unwesen getrieben.“

„Klingt ja so, als wärst du früher 'ne ganz Wilde gewesen, Schnöselschwester.“

Jene kicherte vergnügt. „Wenn du wüsstest. Was denkst du, warum Henry sich manchmal so über dich ärgert? Er kennt das alles bereits von seiner großen Schwester.“

Dies entlockte nun Anya ein bösartiges Grinsen. „Wir sollten mal was zusammen machen.“

„Nicht, dass ich nicht wollte, aber die Zeiten sind leider vorbei“, gab sie sich wehmütig, während sie mit der Maus über einen Ordner fuhr, „tada. Das sind die Aufnahmen von gestern Abend.“

 

Es dauerte allein schon ein paar Stunden, überhaupt Mitschnitte zu finden, die nach dem Duell stattfanden. Die verschiedenen Einstellungen waren teilweise im ganzen Saal verteilt, oft war Anya gar nicht im Bild. Ihr erster Anhaltspunkt, der Aufenthalt auf dem Balkon, hatte sich als Niete entpuppt.

Bis sie schließlich einen fanden, in dem sie gerade vom oberen Bildrand in dessen Mitte stürmte.

„Das war, als du nach deinem Sieg wütend davon gebraust bist.“

Gerade stieß Anya mit der Journalistin zusammen.

„Hey!“, schrie diese plötzlich und tippte mit dem Finger gegen den Bildschirm. „Mach mal zurück und pausiere das dann!“

Und tatsächlich! Die Hand der Journalistin lag nur für einen kurzen Augenblick auf Anyas D-Pad!

„Die hat mein Deck! Wer ist das!?“

„Keine Ahnung, kann ich auf dem Bild nicht erkennen“, sagte Melinda nachdenklich. „Aber wir können gerne die Gästeliste durchgehen, da muss sie zu finden sein.“

 

Was sie dann auch am Laptop taten. Nur fanden sie zu Anyas Entsetzen niemanden, der der Frau auch nur ansatzweise ähnlich sah und das, obwohl jeder Gast eine eigene Datei samt Bild besaß.

„Sie hatte 'nen Presseausweis!“, erinnerte sich Anya. „Welche Reporter waren denn eingeladen?“

Melinda zeigte ihr die überschaubare Liste. „Nur Leute, mit denen wir gute Kontakte pflegen. Aber wie du siehst, sind das alles Männer.“

„Und wie ist sie dann reingekommen!?“

Melinda sah über den Rand des Stuhls zu ihr. „Na vielleicht bist du nicht die Einzige, die mit gefälschter Einladung hier hereingekommen ist?“

„Meine war nicht gefälscht, nur 'umgeschrieben'!“

Auf diesen Einwurf hin richtete der Rotschopf wieder sein Augenmerk auf den Laptop. „Anscheinend hatten wir einen ungebetenen Gast. Die Frage ist: Warum?“

„Na, weil sie mein Deck wollte natürlich!“ Anya schnaubte. „Hey, Schnöselschwester. Am besten schickst du das ganze Zeug an Nick, der kann sicher mehr damit anfangen als du.“

„Danke?“

„Ich muss los“, quengelte Anya, die von einer plötzlichen Eile ergriffen worden war, „muss selbst mit Nick reden. Und mit den anderen.“

 

Sie ließ Melinda Nicks E-Mail-Adresse aufschreiben. Jene war zwar der Meinung, selbst genauso gut Nachforschungen anstellen zu können, fügte sich aber Anyas gereizter Ungeduld. Und versprach, Nick sämtliches wichtiges Material zukommen zu lassen.

 

So geschah es, dass Anya schließlich wieder vor dem Tor des Anwesens stand und mit drei Erkenntnissen konfrontiert wurde. Die erste: Nach ihrer Duel Disk hatte man ihr nun auch das Deck gestohlen. Die zweite: Sie musste sich jetzt ein Taxi rufen. Woraus die dritte entstand: Sie hatte kein Geld für eins. Was nicht das Problem gewesen wäre, würde es ihr nicht auch an einem Smartphone mangeln, um jenes zu rufen. Fuck! Warum musste ihr das Scheißteil auch aus der Tasche rutschen. War das jetzt der neue Trend mit ihren Sachen oder was!?

 

Sie drehte sich zum Tor um und überlegte, noch einmal Melinda um Hilfe zu bitten. Aber da die sowieso schon sauer war, aus dem Fall unfreiwillig ausgeschieden zu sein, wollte Anya ihr nicht noch wegen so einer Lappalie zu Kreuze kriechen.

Was eines hieß: laufen. Und der Weg zum Hotel war … lang.

„Tch!“, schnaubte Anya und begann sich in Bewegung zu setzen.

Umso besser, so konnte sie wenigstens ihre Wut durch ein wenig Sport abbauen. Und sie war wütend, verdammt wütend!

 

~-~-~

 

Irgendwann war Anya so erschöpft, dass sie eine Pause einlegen musste. Inzwischen dämmerte es bereits. Sie stand am Geländer der riesigen Brücke, die etwa den Mittelpunkt ihres Weges markierte.

So vieles war ihr während dieser Zeit durch den Kopf gegangen. Steckte die Diebin mit Kali unter einer Decke? Mit den Undying, die zurückhaben wollten, was ihnen gehörte? Oder gar mit jemand anderes? Wenn nicht, hatte sie es trotzdem von Anfang an auf ihr Deck abgesehen?

Erschöpft hielt sich Anya in gebeugter Haltung mit einer Hand an dem Geländer fest. Neben ihr, getrennt von einer Leitplanke, herrschte reger Verkehr. Nicht weit entfernt ragte ein großes Tor über der Brücke.

 

Keuchend beugte sich Anya über. „Scheiße … wieso passiert so was immer mir?“

Alles ging schief, seit sie für den Sammler arbeitete. Es war nicht nur die Tatsache, dass ihr erst die Duel Disk und nun auch das Deck gestohlen worden waren. Oder dass immer neue Feinde auf den Plan traten. Nein, durch diese ganze Scheiße wurden Menschen verletzt. Nick, Redfield, Marc und schlimmer noch, wegen ihr war einer der Hüter tot.

Ihre Finger krallten sich bei dem Gedanken um das Geländer. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie den Fluss, wie sich das Abendrot in ihm spiegelte.

Sie musste einen Ausweg finden. Und Anya wurde bewusst, was der Unterschied zwischen damals und heute war. Zwischen der alten und der neuen Anya. Denn die neue wollte nicht, dass andere in Mitleidenschaft gerieten. So ein Mensch war sie nicht mehr.

 

Seine sanfte Berührung auf ihrer Schulter ließ sie auffahren. Es war schön, dass Levrier selbst jetzt ihren Gedanken folgen konnte und sie darin bestärken wollte.

Als Anya sich aufrichtete und umdrehte, musste sie jedoch erkennen, dass es nicht ihr Freund war, der seine Hand nun zurückzog. Es war Nick.

„Was machst du denn hier!?“, platzte es aus Anya heraus.

„Die Frage könnte ich dir auch stellen“, erwiderte er ruhig, „was machst du hier?“

Langsam ging er an ihr vorbei.

„Ich will ins Hotel …“ Irgendetwas stimmte nicht, das spürte Anya sofort. „Seit wann bist du hier?“

„Bist du es nicht leid?“, fragte Nick, als er neben ihr stand und sich ihr zudrehte. „Immer wieder dieselben Fehler zu begehen?“

Die Blonde geriet ins Stocken und wich zurück, stieß gegen das Geländer. „Was soll das?“

„Du hast kein Recht hier zu sein“, kam es mit einem Male hasserfüllt aus Nicks Mund, „du hättest im Turm sterben sollen. Das wäre das Mindeste für deine Sünden gewesen.“

Entgeistert schrie sie: „Hör auf damit, Harper!“

„Aber was nicht ist“, murmelte er leise und versetzte ihr einen Stoß, „kann noch werden!“

 

Anyas Welt überschlug sich, als sie über das Geländer der Brücke rutschte und in die Tiefe fiel. Eisige Kälte hüllte sie ein, als sie die Oberfläche des Flusses durchdrang und mit ausgestreckten Gliedmaßen in die Tiefe sank.

Es dauerte einen Moment, ehe sie überhaupt begriff was geschehen war.

„Lass diese Welt los, Anya. Du gehörst nicht hierher“, hörte sie Nicks Stimme klar und deutlich.

Jene war es auch, die sie zurück zu Sinnen brachte. Anya begann mit den Armen auszuholen und zu schwimmen. Sie konnte die Oberfläche des Flusses noch erahnen, sah das gold-orangene Licht dort über sich.

„Nein, du kommst nicht mehr zurück. Der Abgrund wartet auf dich. Du wolltest es so.“

Egal wie sehr sie sich bemühte, es schien, als käme sie nicht weiter. Im Gegenteil, das Licht rückte in weite Ferne. Panik stieg in ihr auf, sie wollte um Hilfe schreien, doch im Wasser hörte sie niemand. Sie versank in der Finsternis.

 

~-~-~

 

Anya Bauer, was ist mit dir los!? Antworte!

 

Levrier schwebte neben dem Mädchen, das sich in gebeugter Haltung am Geländer fest hielt und keinen Millimeter rührte. Eben hatte sie etwas sagen wollen, war jedoch mitten im Satz verstummt.
 

Geht es dir nicht gut!?

 

Er näherte sich ihr von der Seite, doch sie verharrte starr, als wäre die Zeit angehalten worden. Der als [Gem-Knight Pearl] wiedergeborene Levrier wusste nicht, was er tun sollte. Er streckte die Hand nach ihr aus, doch fasste durch ihren Kopf hindurch, statt ihn zu streicheln.
 

Anya Bauer!

 

Er ahnte nicht, dass oben auf der Spitze des Tores inmitten der Brücke eine in weiß gekleidete Gestalt stand und das Ganze von oben herab beobachtete.

 

~-~-~

 

Hustend rollte sich Anya auf den Rücken. War sie irgendwie an Land gespült worden? Doch als sie die Augen öffnete, sah sie nur Finsternis. Und Nick, der auf sie herabblickte.

„Es ist zu spät.“

„Für was!?“ Sofort richtete sich das Mädchen auf und wich von ihm zurück.

„Sich zu ändern.“

Erschrocken wirbelte das Mädchen um. Abby!? Ausdruckslos starrte jene an ihr vorbei. „Du bist der Abgrund. Und ein Abgrund kann nun mal nichts anderes, als andere in die Tiefe zu ziehen.“

„Das ist nicht wahr!“ Mit ausholenden Handbewegungen beteuerte Anya verzweifelt, was sie dachte. „Wenn das so wäre, hättet ihr mich längst im Stich gelassen! Ihr glaubt doch an mich!“

„Nicht mehr.“

Von seinen Worten gelähmt, drehte sich Anya zu Nick um. Es war, als hätte man ihr einen Dolch in die Brust gerammt. So sehr schmerzte es. „Nein …!“

„Wir sind nicht mehr deine Freunde.“

Die Blonde beteuerte, panisch zwischen den beiden hin und her wechselnd: „Ich habe mich geändert!“

„Menschen können sich nicht ändern, Anya“, sagte Nick kaltherzig, „nicht wirklich. Sie können lästige Angewohnheiten abstreifen, aber ihr Kern wird immer derselbe sein.“

Abby drehte den Kopf zur Seite. „Und du bist innerlich verdorben und rücksichtslos. Das weißt du auch.“

Die plötzlich auftauchende Stimme Valeries hinter Anya ließ diese zusammenzucken. „Deswegen möchtest du gehasst werden. Weil es der einzige Weg ist, mit anderen in Kontakt zu treten.“

 

Anya keuchte und wirbelte herum. Sie breitete die Arme weit aus, als würde sie damit überzeugender wirken, auch wenn sie wusste, dass dies nicht der Fall war. „Bullshit! Ich will nicht gehasst werden!“

„Warum tust du dann alles in deiner Macht stehende, um das Gegenteil zu erreichen?“

Matt! Anya drehte sich schockiert um, jetzt auch noch ihn zwischen Nick und Valerie zu sehen.

„Du bist nicht imstande, Gefühle für deine Mitmenschen zu hegen“, sprach er monoton, „und ohne diese kannst du auch keine Gefühle für dich wecken. Deswegen erzeugst du Schmerz, dürstend nach irgendeiner Reaktion deiner Umwelt.“

„D-das stimmt nicht!“

Valerie neben ihm setzte ein. „Wie heuchlerisch du bist, Anya. Zwar willst du niemanden in dein Chaos hineinziehen, doch genau das tust du. Immer und immer wieder.“

„Wegen dir wurde ich angeschossen und wäre fast gestorben“, klagte Abby.

Nick sah sie herablassend an. „Du kannst dich nicht einmal für all das bedanken, was ich bisher für dich getan habe.“

„Deinetwegen kann ich jemanden, den ich sehr liebe, nie wieder sehen!“, tönte Matt lauter.

„Du willst die Heldin sein? Warum sind es dann wir, die leiden müssen?“ Abby trat einen Schritt auf Anya zu, was diese instinktiv zurückweichen ließ. „Die Geschichte wiederholt sich und wieder bist es du, die droht, uns alle ins Verderben zu stürzen!“

Nick tat es ihr gleich und setzte einen Fuß vor den anderen. „Du kannst nur zerstören.“

Auch Matt zog mit. „Und wenn du dieses Mal zu weit gehst, wird es kein Happy End geben.“

 

Die sonst so taffe Anya brachte es nicht fertig, sich gegen ihre Freunde aufzulehnen und wich immer weiter zurück. Bis sie gegen Valerie stieß, die geradezu hasserfüllt zu ihr herab starrte und so viel größer als gewöhnlich wirkte.

„Ohne unsere Hilfe wärst du verloren, Anya.“

„Du kannst nicht alleine existieren“, sagte Abby vorwurfsvoll, „aber alle anderen dürfen vor dir fallen, nur damit du am Ende überlebst.“

Matt lächelte bitter. „Weil dir letztlich doch unser Schicksal egal ist, solange du dich in Sicherheit wiegen kannst.“

„Wir sind deine Bauernopfer, die du bereit bist wegzuschmeißen, wenn du vor die Wahl gestellt wirst.“ Nick funkelte sie böse an. „Sieh in dich hinein und du wirst erkennen, dass das die Wahrheit ist.“

„Am Ende ist sich jeder selbst am nächsten“, stimmte Valerie zu.

Anya sank in die Knie und hielt sich die Hände über die Ohren. „Hört auf! Das stimmt alles nicht!“

„Tut es wohl.“

„Hör auf, dich selbst zu belügen.“

„Du bist niederträchtig, sieh's doch ein.“

„Falsche Schlange!“

Mit all ihrer Kraft schrie Anya: „Haltet alle euer Maul! Ich bin nicht so!“

 

Wie bist du dann? Weißt du überhaupt, wer du bist?

 

Diese verzerrte, weibliche Stimme kannte Anya gar nicht. Als sie aufsah und die Hände von den Ohren nahm, bemerkte sie, dass ihre Freunde verschwunden waren.
 

Weißt du, wer du sein möchtest?

 

Anya antwortete nicht. Plötzlich drangen sie in ihren Kopf ein. So viele Antworten, gegeben von ihr bekannten Personen, dass sie unter der Überlastung anfing qualvoll zu schreien.

 

Heldin

 

Stark

 

Monster

 

Geliebt

 

Attraktiv

 

Böse

 

Lebendig

 

Furchteinflößend

 

Ehrlich

 

Sicher
 

Duel Queen

 

alleine!

 

Nichts …

 

„So ist es richtig! Sei niemand. Denke nichts. So kannst du niemandem wehtun.“

„So werden die Stimmen verstummen.“

„Keiner wird es bemerken.“

„Wenn du weg bist. Es wird sie nicht stören.“

 

Anya trieb im Nichts vor sich her, die Augen leer. Musik spielte im Hintergrund, ein trauriges Klavierstück.

 

„Was hindert dich daran, einfach zu existieren aufzuhören?“

„Warum klammerst du dich an etwas fest, das du selbst als wertlos erachtest?“

„Bist du deine eigenen Lügen nicht leid?“

„Sehnst du dich nicht nach Frieden?“

 

Das tat sie, dachte Anya. Es sollte vorbei sein, das ewige Kämpfen. Tausend Dämonen schienen hinter ihr her zu sein, dabei wollte sie doch nur …

 

„Sterben?“

„Tu's doch einfach.“

„Du willst sowieso wissen, was danach kommt. Nach dem Leben.“

„Nicht einmal der Sammler weiß es. Willst du ihm nicht einen Strich durch die Rechnung machen und einmal die Stärkere sein?“

„Du musst dich dafür nicht schämen.“

 

Anya blinzelte, dann formten ihre Lippen einen stummen Satz.

 

Ihr könnt mich alle mal kreuzweise, ihr Wichser!

 

„Dein Wille ist schwer zu brechen“, hörte sie die fremde Frau in der Ferne des Nichts sagen, „aber in einer Welt, in der Zeit keine Rolle spielt, hast du keine Chance, Anya Bauer.“

Plötzlich vernahm jene ein Surren in ihrem Gehörgang und presste die Hände wieder auf die Ohren. Und die Stimmen kamen wieder …

„Wir sind die Boten Zeds“, war unter ihnen immer wieder klar zu verstehen, „die, die die Wahrheit spricht.“

 

~-~-~

 

Fürchterliche Erschütterungen suchten Anyas Elysion heim. Die große Schreibe in seiner Mitte, das bunte Mosaik der Erde, bekam langsam Sprünge, die sich in tiefe Risse verwandelten. Und am Rande der Plattform, zur Schwelle der endlosen Dunkelheit, stand eine Frau, gekleidet in einer weißen, ärmellosen Robe. Bis zum Boden reichte ihr schwarzes Haar.

„Hartnäckig“, murmelte sie vor sich hin.

„Das ist sie in der Tat.“

Erschrocken wirbelte Zed um. Auf der anderen Seite der Plattform stand jemand, eine Gestalt in weißer Rüstung. Ihre Augen leuchteten blau.

„Levrier. Ich habe mit dir gerechnet.“

Jener sah sein Gegenüber, welches vor dem Gesicht eine weiße Maske trug, die weit über die Stirn hinausragte und schon einem Turm glich, ausdruckslos an. „Wie gut, dass ich hierhergekommen bin und dich gefunden habe. Du versuchst ihre Gedanken zu verschmutzen und zum Selbstmord zu treiben.“

„So ist es und du kannst nichts dagegen tun. Jeder Versuch, mit ihr in Kontakt zu treten, wird sofort von mir unterbunden.“

„Ich bin nicht hier, um mit Anya Bauer zu reden“, sagte er und streckte den Arm aus. An diesem materialisierte sich eine Imitation ihrer alten Battle City-Duel Disk, „sondern das Problem bei der Wurzel zu packen.“

Zed entfuhr ein arrogantes Lachen, als sie ein paar Schritte vortrat. „Ich bin eine Undying, du kannst mir nichts anhaben. Verschwende nicht deine Zeit.“

„Dessen wäre ich mir nicht so sicher. Ich kenne nicht die Methode, mit der du dir Zugang zu Anya Bauers Elysion verschafft hast“, sagte er selbstsicher, „aber ich weiß, dass es einen Unterschied zwischen einer unsterblichen Hülle und der Manifestation des eigenen Willens gibt.“

Seine Gegnerin schürzte die roten Lippen, antwortete aber nicht. Wozu auch, als sie den Arm ausstreckte und eine silberne, sichelförmige Duel Disk an jenem erschien.

Levrier nickte. „Gut so. Zumindest bist du keine Närrin.“

„Da du dich mir in die Quere stellst, musst auch du beseitigt werden.“

„Duell!“, hallte es anschließend im Chor über das Elysion hinweg.

 

[Levrier: 4000LP / Zed: 4000LP]

 

„Da dies Anya Bauers Zuflucht ist, gebührt mir als ihr Vertreter der erste Zug“, bestimmte Levrier und zog sechsmal hintereinander.

Seine schwarzhaarige Gegnerin nickte. „Ich erlaube es.“

Die blauen Augen des [Gem-Knight Pearls], Levriers Avatar, blitzten auf. „Du befindest dich nicht in der Position, solche Zugeständnisse zu machen. Egal ob du eine Undying bist oder nicht, dieser Ort steht nicht unter deiner Herrschaft.“

Zed blieb regungslos. „Aber er wird es, sobald Anya Bauers Wille gebrochen ist.“

„Das lasse ich nicht zu!“ Wütend knallte Levrier ein Monster auf seine Duel Disk, die der originalen von Anya bis ins letzte Detail glich. „Dieses spiele ich verdeckt. Dazu setze ich eine weitere Karte als Absicherung. Führe deinen Zug durch, Undying.“

 

Jene Frau mit der hohen, weißen Maske brauchte dafür keine Aufforderung. Noch während sich die Karten vor Levrier in horizontaler beziehungsweise vertikaler Lage materialisierten, riss sie eine Karte von ihrem Deck.

Diese steckte sie in ihr Blatt und nahm stattdessen eine Zauberkarte aus jenem hervor. Die Spielfeldzauberkartenzone ihrer sichelförmigen Duel Disk fuhr automatisch aus, sodass sie die Karte nur noch einzulegen brauchte.

„Ich aktiviere [Aura Dominion].“

Das Mosaik der Erde unter ihren Füßen löste sich mitsamt der es umgebenden Dunkelheit auf. Stattdessen befanden die beiden Duellanten sich nun auf einer grell leuchtenden Ebene, umgeben von riesigen Säulen aus purem Licht. In der Ferne ging in jeder der vier Himmelsrichtungen eine Sonne am rosafarbenen Horizont auf. Dazu umhüllte ein seichter Nebel das Spielfeld. Jenes wurde als offener Tempel dargestellt, in dessen Mitte sich eine Vertiefung befand, die von jeder Seite durch drei Stufen aus sandfarbenem Gestein erreicht werden konnte.

Zed erklärte: „Einmal pro Zug erlaubt diese Spielfeldmagie es mir, eine Karte von meinem Deck auf den Friedhof zu schicken. Danach erschafft sie mir drei Spielmarken, die mir für diesen Zug frei zur Verfügung stehen.“

Sie nahm die oberste Karte ihres Decks und schob jene in den Friedhofsschlitz der Duel Disk. Vor ihr bildeten sich drei gleißende Kugeln aus weißem Feuer, die in einer Reihe vor ihr schwebten.

 

„Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Zwei von ihnen lösten sich im Anschluss sofort wieder auf.

„Ich führe eine Tributbeschwörung durch. Erscheine, [Demigod Of Purging Fire, Efreet]!“

Unter lautem Getöse schoss eine meterhohe Feuersäule vor Zed aus dem Boden. Aus ihr ragten erst vier lange, klauenbesetzte Arme, ehe die Kreatur aus dem lodernden Inferno sprang. Von bestialischer Gestalt, stand sie auf zwei Beinen und sah einer Mischung aus Eber und Humanoid noch am ähnlichsten. Von weißem, leuchtenden Fell und dementsprechend erhabener Natur, verschränkte sie zwei ihrer Arme. Die schwarzen Hörner ragten in die Höhe, in der Schweinenase hing ein goldener Ring. Stolz brüllte Efreet seinen überraschten Gegner an.

 

Demigod Of Purging Fire, Efreet [ATK/2900 DEF/2300 (10)]

 

Zed streckte den Arm aus. „Da alle geopferten Monster für Efreets Beschwörung Spielmarken waren, aktiviert sich sein Effekt: Er fügt meinem Gegner umgehend 1500 Punkte Schaden zu! Aura Meteor!“

Über den gen Himmel ausgestreckten, flachen Händen der Bestie entstanden zwei lodernde, goldene Flammenkugeln, die Efreet ohne zu zögern auf Levrier schleuderte. Der hielt schützend den Arm mit seiner Duel Disk vor den Oberkörper und Kopf, doch als die Geschosse ihn erreichten, explodierten sie vorzeitig.

 

[Levrier: 4000LP → 2500LP / Zed: 4000LP]

 

Statt am Boden zu liegen, stand Levrier unbekümmert da.

Derweil schwang Zed ihren ausgestreckten Arm zur Seite. „Danach aktiviere ich den zweiten Effekt Efreets. Indem ich eine Spielmarke opfere, kann keines meiner Monster bis zur End Phase des Feindes als Ziel eines Zauber- oder Fallenkarteneffekts werden! Pillars of Protection!“

Sogleich streckte Efreet einen seiner Arme nach rechts und schnappte sich damit die verbliebene Feuerkugel, zerquetschte sie mühelos. Unter ihm schoss augenblicklich eine goldene Flammensäule empor, die ihn komplett einhüllte.

„Und jetzt befehle ich dir anzugreifen!“, rief Zed mit ausgestrecktem Arm.

Der dämonische Lichtgott öffnete, umgeben von dem goldenen Feuer, sein Maul und spie eine Stichflamme in Richtung von Levriers verdecktem Monster. Dessen Karte wirbelte herum und präsentierte einen maskierten Krieger in grünem Mantel, der eine gezackte Klinge mit sich führte. Er konnte dem Angriff nicht im Geringsten standhalten und verwandelte sich umgehend in Asche.

 

??? [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Die eigene Überraschung unterdrückend, murmelte Zed: „Kein Gem-Knight?“

Levrier musste auflachen. „Anya Bauer duelliert sich regelmäßig mit ihnen. Es ist ihr Deck und auch wenn ich die Form eines ihrer Monster annehme, so bestehe ich doch darauf, dass auf meine eigene Identität Rücksicht genommen wird.“

„Und was sollen diese Monster sein? Söldner, gar Helden?“, fragte Zed abfällig. „Anscheinend fühlst du dich selbst wie einer. Narr, du hättest dich nicht einmischen sollen.“

„Aber es kommt doch so selten jemand hierher, wie könnte ich nicht?“, fragte Levrier gespielt kleinkindhaft.

„Ich setze diese Karte“, verkündete Zed erhaben und schob jene in ihre Duel Disk, „damit beende-“

Noch während jene sich vor ihren weißen Stiefeln materialisierte, hob Levrier die Hand. „Halt! Bevor du das tust, aktiviere ich meine Falle [Limit Reverse]. Sie reanimiert ein Monster mit höchstens 1000 Angriffspunkten von meinem Friedhof in Angriffsposition.“

Ein dunkler Runenzirkel öffnete sich vor Levrier. Aus diesem entstieg sein etwas kleinwüchsiger Krieger, dessen grüner Mantel unruhig vor sich her flatterte. Die gezackte Klinge hielt er hinter dem Rücken versteckt.

„[Heroic Challenger – Ambush Soldier]“, benannte Levrier ihn, „willkommen zurück.“

 

Heroic Challenger – Ambush Soldier [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

„Wie du meinst“, zeigte sich Zed gleichgültig, „es ist nun dein Zug.“

 

Nachdem Levrier aufgezogen hatte, begann sein Krieger plötzlich geheimnisvoll zu kichern. Dann pfiff er plötzlich und warf eine Rauchbombe, die binnen eines Herzschlages Levriers komplettes Feld in schwarzen Rauch einhüllte.

„Was sollen diese Tricks!?“, fauchte Zed ärgerlich.

„Keine Tricks, nur ein Effekt“, hallte es aus dem Qualm.

Jener löste sich auf und statt des Soldaten, standen zwei neue Monster vor Levrier. Zum einen war da ein dunkelblau gepanzerter Krieger, der einen mächtigen Eisenhammer schwang. Neben ihm dagegen ein weißer, an dessen rechten Arm eine ausklappbare Schwertklinge befestigt war.

„In der Standby Phase hat sich lediglich [Heroic Challenger – Ambush Soldiers] Effekt aktiviert: Er bietet sich als Tribut an und beschwört im Gegenzug zwei seiner Kameraden von meiner Hand, namentlich [Heroic Challenger – War Hammer] und [Heroic Challenger – Clasp Sword].“

 

Heroic Challenger – War Hammer [ATK/2100 DEF/1300 (6)]

Heroic Challenger – Clasp Sword [ATK/300 DEF/100 (1)]

 

Letzterer streckte seine Armklinge in die Höhe. Levrier zeigte seine Duel Disk vor. „Dies löst Clasp Swords Effekt aus, denn sobald er durch ein Heroic-Monster gerufen wird, schickt er ein solches von meinem Deck aufs Blatt. Und dieses beschwöre ich sogleich als Normalbeschwörung, [Heroic Challenger – Extra Sword]!“

Levrier knallte die Karte auf seine Duel Disk und ließ zwischen seinen anderen beiden einen Krieger in grün-weißer Rüstung erscheinen, welcher zwei Schwerter mit sich führte.

 

Heroic Challenger – Extra Sword [ATK/1000 DEF/1000 (4)]

 

Zed schnalzte mit der Zunge, als ihr Gegner eine Zauberkarte vorzeigte. „Wie du sehen kannst, verfügt keines meiner Monster über eine identische Stufe, um eine Xyz-Beschwörung durchzuführen. Es fehlt sozusagen die Harmonie unter ihnen, aber das wird diese Karte ändern: [Harmonic Waves]! Mache Clasp Sword zu einem Stufe 4-Monster.“

Jener, welcher neben Extra Sword stand, strecke die Klinge an seinem Arm in die Höhe, was sein Kamerad ihm gleich tat, sodass ihre Schwerter sich in der Luft kreuzten.

 

Heroic Challenger – Clasp Sword [ATK/300 DEF/100 (1 → 4)]

 

Levrier streckte den Arm nach vorne. Vor ihm öffnete sich ein schwarzer Wirbel. „Ich errichte das Overlay Network! Nun werden meine Stufe 4-Krieger zu einem Rang 4-Monster!“

Jene verwandelten sich in braune Energiestrahlen, welche in jenes Loch gezogen wurden, aus welchem daraufhin eine Explosion folgte. „Xyz Summon! Kämpfe für mich, [Heroic Champion – Gandiva]!“

Aus dem Überlagerungsnetzwerk kam ein Rappe gesprungen, geschützt durch eine rote Körperpanzerung. Sein Reiter war ein blauer Krieger mit zweigehörntem Helm, welcher einen Bogen spann. Jener wurde von zwei Lichtkugeln umkreist.

 

Heroic Champion – Gandiva [ATK/2100 → 3100 DEF/1800 {4} OLU: 2]

 

Zed keuchte erschrocken. „Seine Punkte steigen!“

„In der Tat. [Heroic Challenger – Extra Swords] Effekt ist dafür verantwortlich, denn wird jener für eine Xyz-Beschwörung als Material benutzt, erhält dieses Xyz-Monster 1000 Angriffspunkte.“ Im gleichen Zuge rammte Levrier eine Zauberkarte in die Duel Disk, die Anyas nachempfunden war. „Und Gandiva ist nicht der Einzige, dessen Punkte steigen werden! Zauberkarte [Heroic Chance]! Sie verdoppelt War Hammers Wert für einen Zug!“

Seine Gegnerin schrie regelrecht auf, als der Hammer des riesigen Kriegers neben dem Reiter Gandiva derart grell zu leuchten begann, dass es den Anschein erweckte, er würde lediglich aus roter Energie bestehen.
 

Heroic Challenger – War Hammer [ATK/2100 → 4200 DEF/1300 (6)]

 

Levrier streckte den Arm aus. „Ich sage es nur noch einmal, Undying! Deine Anwesenheit hier wird nicht geduldet. Gehe jetzt in Frieden und ich werde davon absehen, dir irreparablen Schaden zuzufügen.“

Seinem Angebot zum Trotz schnalzte Zed selbstgefällig mit der Zunge. „Du überschätzt deine Fähigkeiten, Abkömmling.“

„Dann habe ich dir nichts mehr zu sagen“, erwiderte Levrier gleichgültig. „Greife ihr Monster an, War Hammer!“

Jener ließ seine Waffe scheinbar mühelos über dem Kopf kreisen, stürmte dann auf den weißen, wildschweinartigen Halbgott in seiner Feuersäule zu und zertrümmerte diesen mit einem einzigen Hieb. Eine Schockwelle wurde dabei losgelassen, als die Waffe mit Efreets Kopf unter sich auf den Boden knallte. Zed wurde erfasst und meterweit fort geschleudert, über die kleine Insel hinweg in das hellrosa-farbene Feld. Dabei entfuhr ihr ein greller Schrei.

 

[Levrier: 2500LP / Zed: 4000LP → 2700LP]

 

Heroic Challenger – War Hammer [ATK/4200 → 7100 DEF/1300 (6)]

 

Plötzlich wuchsen Efreets Hörner aus dem Kopf des Hammers. Levrier erklärte: „Wie du sehen kannst, lernt War Hammer dazu und verleibt sich wortwörtlich die Kraft deines Monsters ein. Aber die wird er nicht länger brauchen, denn dieses Duell ist vorbei.“

Dabei streckte er den Arm in die Höhe. „Greife sie direkt an, Gandiva!“

Gnadenlos, genau wie sein Herr, spannte der Reiter seinen Bogen und ließ einen Pfeil von der Sehne.

Zed, die auf dem Rücken lag, richtete sich keuchend auf. „Niemals! Falle aktivieren, [Dekagon Gate]!“

Plötzlich wurde die Zeit wie von Zauberhand verlangsamt, sodass Gandivas Pfeil in Zeitlupe durch die Luft schoss. Aus der aufgeklappten Karte der Schwarzhaarigen schossen zehn Sterne, wie sie auf den Duel Monsters-Karten abgebildet waren und bildeten zwischen einander Energielinien, welche alle zusammen ein Tor formten.

„[Dekagon Gate] erlaubt es mir, ein Stufe 10-Monster als Spezialbeschwörung zu beschwören! Erscheine, [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm]!“

Die Sterne schossen auseinander und machten das Portal somit zunehmend größer. Aus ihm heraus trat schließlich eine gut fünf Meter große Kreatur. Weiß war ihr bis zum Boden reichender Bart, aus Eis die doppelköpfige Axt in ihren Händen. Der Riese, welcher in seiner kriegerischen Aufmachung nicht zuletzt wegen der Hörner an seinem Helm wie ein Wikinger anmutete, ging vor Zed in die Knie …

 

Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 (10)]

 

… und wurde anschließend, als die Zeit wieder ihrem alten Fluss folgte, von Gandivas Pfeil durchbohrt. Er explodierte.

 

[Levrier: 2500LP / Zed: 2700LP → 5200LP]

 

Unvermittelt stand Zed dort, wo sie gestanden hatte, bevor Levriers Angriff sie erfasst hatte. Sie zeigte Northgrimms Karte vor. „Ein durch [Dekagon Gate] beschworenes Monster kehrt unabhängig davon, ob es zerstört wurde oder nicht, letztlich auf mein Blatt zurück. Da du aber so töricht warst es anzugreifen, habe ich Leben in Höhe seiner Verteidigung erhalten.“

„Du verzögerst nur das Unausweichliche. Zug beendet“, verkündete Levrier unbeirrt. „Damit schwindet der [Heroic Chance]-Effekt.“

 

Heroic Challenger – War Hammer [ATK/7100 → 5000 DEF/1300 (6)]

 

Zed neigte den Kopf ein wenig nach unten und obwohl sie eine Maske trug, wirkte es, als würde sie Levrier hasserfüllt anstarren. „Ich kann jemanden, den ich als Feind betrachte, unmöglich um etwas bitten. Aber dennoch … verfolgt den Pfad nicht weiter, der euch vorgegeben wurde.“

„Der Pfad, der zum Narthex führt?“

Hörte er da Zweifel, fragte sich Levrier insgeheim.

„Nein, das ist mir gleich. Mir geht es nur um ihn.“

Der als [Gem-Knight Pearl] verkörperte Levrier gab ein nachdenkliches Geräusch von sich.

„Um Ricther. Ich will nicht, dass er sich noch länger mit diesem Mädchen beschäftigt. Es hat bereits angefangen.“ Zeds Stimme wurde leiser. „Sie verdirbt ihn, er handelt nicht wie er sollte.“

Levrier lachte leise. „Was könnte verdorbener sein als ein Mädchen in den Wahnsinn treiben zu wollen? Du hast Recht, Undying, als Feindin steht es dir nicht frei, uns um etwas zu bitten.“

Zed reckte das Kinn nach vorne. „Als Feindin nicht. Aber ich bin eine Undying und besitze das Recht, meinen Willen mit meiner gottgegebenen Macht durchzusetzen! Draw!“

 

Schwungvoll zog sie, nur um dann mit der Karte zwischen den Fingern ihre Hand nach vorne zu stoßen. „Ich erschaffe mit dem Effekt von [Aura Dominion] drei Spielmarken!“

Nachdem sie die Karte in ihr Blatt gesteckt hatte, nahm sie die oberste von ihrem Deck und führte sie ihrem Friedhof zu. Vor ihr begannen drei weiße Flammen aufzulodern, die eine nach der anderen durch einen Pfeil zum Verpuffen gebracht wurden. Abgeschossen von Gandiva.

 

Heroic Champion – Gandiva [ATK/3100 DEF/1800 {4} OLU: 2 → 1]

 

„Deine Absichten sind vorhersehbar“, sagte Levrier mit verschränkten Armen, „deshalb habe ich mich für Gandiva entschieden. Einmal pro Zug kann er für ein Xyz-Material alle Monster mit Höchststufe 4 zerstören, die durch ein und denselben Effekt spezialbeschworen wurden.“

Zed stöhnte leise auf, gab sich aber weiterhin hochmütig. „Du denkst, indem du mir die Spielmarken nimmst, kannst du mich übertrumpfen? Klug, aber auf so etwas bin ich vorbereitet! Für die Hälfte meines Lebens aktiviere ich [Divine Sacrifice]!“

Die Schwarzhaarige in weißer Robe streckte die Arme weit aus. Von ihrem Rücken erstreckten sich weiße Lichtschwingen, von denen sie sich in die Höhe hieven ließ.

 

[Levrier: 2500LP / Zed: 5200LP → 2600LP]

 

Während sie aufstieg, legte sie ihre Hand auf die Mitte ihrer Brust. „Mit dieser Karte kann ich den Effekt von [Aura Dominion] ein zusätzliches Mal aktivieren! Dieses Mal kannst du es nicht stoppen! Ha!“

Sie schwang ihren Arm nach unten gerichtet aus und schoss daraus drei Lichtkugeln ab, die auf ihrer Spielfeldseite zu den weißen, lodernden Seelenflammen wurden.

 

„Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

„Ein kostspieliges Vergnügen“, kommentierte Levrier dies ungerührt.

„Jeden Lebenspunkt wert“, hielt Zed dagegen und schnippte mit dem Finger, „Tributbeschwörung! Bringe die Kälte, [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm]!“

Hinter Zed schoss eine riesige Säule aus massivem Eis hervor, in welche zwei der flackernden Flammen verschwanden. Dies brachte das Gebilde zum Zerbersten und offenbarte den darin eingeschlossenen, bärtigen Riesen mit seiner Eisaxt. Sein himmelblauer Umhang war von einem leichten Nebel umgeben. Zed flog rückwärts zu ihm und ließ sich sitzend auf seiner Schulter nieder.

 

Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 (10)]

 

Von ihrer hohen Position aus zeigte sie auf Levrier. „Waren seine Tribute Spielmarken, friert Northgrimm alle Karten meines Gegners ein und annulliert ihre Effekte. Dies betrifft auch Wertveränderungen! Aura Freeze!“

Der mächtige Wikinger öffnete seinen Mund und hauchte daraus einen nebligen Odem, welcher das gesamte Spielfeld mit Eis überzog und Levriers Monster darin einschloss. Jener nahm es gelassen und erwiderte geradezu schnippisch: „Hätte ich das gewusst, hätte ich einen Schal mitgenommen.“

 

Heroic Champion – Gandiva [ATK/3100 → 2100 DEF/1800 {4} OLU: 1]

Heroic Challenger – War Hammer [ATK/5000 → 2100 DEF/1300 (6)]

 

Wie sie da auf der Schulter des Riesen saß und auf Levrier herabsah, wirkte Zed wahrlich wie eine Göttin. Einer solchen gleich, ließ sie ihre Hand sinken, als wolle sie sie ihrem Gegner reichen. Doch ihre Worte spiegelten das genaue Gegenteil wider. „Northgrimms zweiter Effekt: Ich biete eine Spielmarke an und darf dafür in diesem Zug ohne Tribut beschwören.“

„Dann heißt das bestimmt, dass gleich eine Karte folgen wird, die dich noch ein Monster rufen lässt, Undying“, mutmaßte Levrier.

Aber ihr scharfer, hochmütiger Tonfall sollte ihn eines Besseren belehren. „Falsch, jene Karte wurde längst gespielt. [Divine Sacrifice] erlaubt eine zusätzliche Normalbeschwörung. Und nun erscheine, [Demigod Of Rising Currents, Albion]!“

Northgrimm streckte seine Hand nach der einzelnen Seelenflamme aus und ließ sie über seiner Handfläche verharren. Er verleibte ihr seinen eisigen Hauch inne und ließ sie aufsteigen. In der Luft begann sie regelrecht zu gleißen, je zwei Flügelpaare zu jeder Seite wuchsen aus ihr, während sie sich verformte und einen länglichen Körper bildete. Aus diesem wuchsen zwei Adlerköpfe, deren pupillenlose Augen in die Ferne starrten.

 

Demigod Of Rising Currents, Albion [ATK/2600 DEF/2900 (10)]

 

„Nun greift an!“, befahl Zed und zeigte erbarmungslos mit dem Finger auf die gefrorenen Monster ihres Gegners.

Northgrimm holte mit seiner Axt aus und zerschmetterte War Hammer. Zeitgleich spreizte Albion seine Schwingen und schoss von ihnen hunderte spitze, weiße Federn ab, die Gandiva und sein Ross durchbohrten. Eissplitter und verstreute Federn schlugen Levrier entgegen und beim ersten Kontakt wurde dieser von einer heftigen Explosion heimgesucht.

 

[Levrier: 2500LP → 1100LP / Zed: 2600LP]

 

Doch als der Rauch verflog, stand Anyas Freund noch immer völlig unbeschadet da. Zed zischte ärgerlich ob ihres scheinbar erfolglosen Angriffs. „Wie kann das sein …?“

„Du wirst dir etwas anderes ausdenken müssen, fürchte ich.“

„Dazu besteht kein Anlass, schließlich bist du es, der mit dem Rücken zur Wand steht!“ Energisch nahm sie ihre letzte Handkarte und legte sie in ihre sichelförmige Duel Disk ein. „Zug beendet.“

Vor den Füßen Northgrimms materialisierte sich jene Karte.

 

Als hätte er alle Zeit der Welt, zog Levrier seelenruhig seine nächste Karte und studierte sie eingehend. Eines hatte er inzwischen erkannt: Er konnte nicht länger einen direkten Konfrontationskurs mit seinen Monstern fahren. Zwar waren diese Experten, was Kämpfe anging, doch gegen die schiere Masse an hochstufigen Monstern, die Zed zu beschwören imstande war, konnten sie auf Dauer nichts ausrichten. Eine andere Strategie musste her.

„Ich beschwöre [Heroic Challenger – Chakram Master]“, verkündete er daher.

Die Karte, die er auf seine Duel Disk legte, offenbarte sich vor ihm als orientalisch angehauchter Krieger in dünnem, rotem Stoff. Nicht nur verhüllte ein Schleier seinen Mund, auch befanden sich auf seinem Rücken zwei klingenbesetzte Ringe.

 

Heroic Challenger – Chakram Master [ATK/1800 DEF/500 (4)]

 

Nach jenen griff er schließlich auch und zückte sie. Ganz Levriers Befehl entsprechend. „Greife [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm] an!“

Zed erschrak lauthals, als das Monster ihres Gegners wie ein Diskuswerfer ausholte und seine Klingen nach ihr und ihrem Halbgott warf.

„Ganz egal, was du vorhast, ich lasse es nicht zu!“, rief sie aufgeregt und schnippte mit dem Finger, woraufhin die gesetzte Karte weit unter ihr aufsprang. „[Chains Of Immortality]! Sie verhindert einmal pro Zug, dass das ausgerüstete Monster, sofern es mindestens Stufe 10 erreicht hat, zerstört wird!“

Die auf der Falle abgebildete, goldene Kette schoss aus der Karte und richtete sich steil nach oben, wobei sie sich immer wieder um den Oberkörper Northgrimms wand, ehe sie bei Zed ankam, die ihrerseits den rechten Arm ausstreckte und jenen ebenfalls umwickeln ließ.

„Mir schwebt nichts dergleichen vor“, kommentierte Levrier die Befürchtungen seiner Gegnerin.

Wie kreisende Sägeblätter flogen Chakram Masters Ringe auf ihr Ziel zu. Eine schlitzte eine tiefe Wunde in den Arm des Riesen, die zweite zischte knapp an Zeds Wange vorbei ins Leere.

 

[Levrier: 1100LP / Zed: 2600LP → 1400LP]

 

„Ich habe Schaden genommen!?“, schoss es aus jener, nachdem sie dies bemerkte. „Was für ein Trick ist das!?“

„Das solltest du doch längst erkannt haben. Wenn Chakram Master angreift, wird er nicht zerstört und mein Feind trägt den Kampfschaden.“ Mit der Duel Disk an seinem Arm vor sich gerichtet, sagte Levrier: „Wenn ich deine Monster nicht besiegen kann, richte ich ihre Stärke gegen dich. Und nun sieh zu, wie du dagegen vorgehen willst. Zug beendet.“

 

Einen selbstgefälligen Zischlaut von sich gebend, riss Zed eine Karte von ihrem Deck. „Simpel! Ich werde dein Monster angreifen, dann kann es seinen Effekt nicht aktivieren! Battle Phase! Dies wird dein Ende!“

Wütend schwang sie den Arm aus, zeigte auf [Gem-Knight Pearl]. „Angriff! Löscht sein Monster und seine restlichen Lebenspunkte aus!“

Der zweiköpfige Vogel Albion spreizte seine Schwingen, während Northgrimm mit der Axt ausholte. Beide wurden zeitgleich von etwas in den Rücken getroffen und stockten, wobei Zed beinahe von der Schulter des Riesen geworfen wurde. Laut surrend kehrten die Chakrams zu ihrem Besitzer zurück, welcher jene auffing und wieder hinter seinem Rücken verstaute.

„Ich fürchte, das war die falsche Herangehensweise“, tadelte Levrier sie mit erhobenem Zeigefinger, „sobald [Heroic Challenger – Chakram Master] durch seinen Effekt Schaden zufügt, können sämtliche zu diesem Zeitpunkt anwesende Monster meines Gegners in dessen nächstem Zug nicht angreifen. Du hättest nicht so voreilig sein dürfen, Undying.“

„Wenn du denkst, mich überlistet zu haben, irrst du dich“, zischte die und streckte den Arm mit der goldenen Kette um ihr Handgelenk hervor, welche auch um Northgrimm gewickelt war. „Ich benutze den Effekt von [Chains Of Immortality]. Damit kann ich einen Wert des ausgerüsteten Monsters auf 0 setzen und die Hälfte davon meinem Leben hinzufügen.“

Der riesige, weiße Wikinger schrie kurz darauf schmerzerfüllt auf, als violette Entladungen von der Kette ausgehend ihn zu peinigen begannen. Jene krochen hoch hin bis zu Zed, in welche die Stromstöße ohne Schaden anzurichten verschwanden.

 

Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 → 0 (10)]

 

[Levrier: 1100LP / Zed: 1400LP → 2650LP]

 

„So macht man sich keine Freunde“, bemängelte Levrier.

Zed hingegen zeigte ihre weißen Zähne, bevor sie den Arm zur Seite ausschwang. „Ich brauche nichts dergleichen! Undying haben zu funktionieren, mehr nicht! Effekt von [Aura Dominion] aktivieren! Ich beschwöre drei Spielmarken, indem ich die oberste Deckkarte ablege.“

Sie zog jene und schob sie in ihren Friedhofsschlitz. Über ihr und dem Riesen flammten drei weiße Kugeln auf.

 

„Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Zwei davon lösten sich aber augenblicklich auf. So rief Zed: „Nun die Effekte von [Demigod Of Rising Currents, Albion] und [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm]!“

Als Erstes kam der zweiköpfige, weiße Riesenvogel zum Zug. Seine goldenen Schnäbel öffneten sich und zusammen sangen sie im Chor eine helle Melodie, die die gesamte Umgebung scheinbar zum Vibrieren brachte.

„Albions Effekt, Aura Disharmonia, wird dafür sorgen, dass das nächste Monster, das du beschwörst, automatisch zerstört wird. Bedingung hierfür ist, dass ich zuvor ein sich auf dem Feld befindendes zerstöre und das neue Monster dieselbe Stufe besitzt.“ Damit schnippte Zed mit dem Finger. „Und Northgrimms Effekt kennst du bereits.“

Levrier verschränkte die Arme. „Monster ohne Tribut zu beschwören.“

„Korrekt! Daher lasse ich jetzt ihn erscheinen“, schrie Zed und knallte das Monster auf ihre Duel Disk, „[Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck]!“

Unter lautem Geheul formte sich neben Albion eine gut anderthalb dutzend Meter lange Kreatur, von relativ flacher Gestalt. Einem Pottwal nicht unähnlich, schwebte die weiße Gottheit ohne erkenntliche Gesichtsmerkmale mit ihren dutzenden Flossen in der Luft. In ihrem Rücken waren riesige, blaue Edelsteine eingelassen, die zusammen ein kreisförmiges Muster ergaben.

 

Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck [ATK/2800 DEF/2200 (10)]

 

Zed streckte den Finger aus. „Ich benutze sofort seinen Effekt! Durch das Opfern einer Spielmarke kann ich eine zweite Battle Phase durchführen, wenn auch ohne die Möglichkeit direkter Angriffe. Aura Dominance!“

Der Riesenwal gab ein regelmäßiges Klickgeräusch von sich, welches sich optisch als Schallwellen widerspiegelte. Als jene die Flamme über Zed erreichten, lösten sie sich mit ihr auf.

„Greife [Heroic Challenger – Chakram Master] an!“, befahl jene aufgebracht.

Da nur Bismarck nicht von dessen Effekt betroffen war, konnte auch nur er agieren. Was er auch tat, denn plötzlich riss die gesamte vordere Front seines Körpers auf und offenbarte einen Schlund, der bis zur Hälfte seines Torsos reichte. Aus diesem ließ er einen ganzen Wasserfall auf Levriers Monster los, welches in der reißenden Strömung, die dabei entstand, weggerissen wurde.

 

[Levrier: 1100LP → 100LP / Zed: 2650LP]

 

„Effekt Bismarcks!“, verkündete Zed. „Wird in der zusätzlichen Battle Phase ein Monster zerstört, muss sein Besitzer entsprechend seiner Stufe eine Anzahl von Deckkarten ablegen! In der Hoffnung, es mögen deine besten sein, Feind der ewigen Ordnung!“

Als die Flut verebbte, stand Levrier einmal mehr unberührt auf demselben Fleck und hob die obersten vier Karten seines Decks ab. Es waren [Reinforcement Of The Army], [Heroic Challenger – Spartan], [Heroic Gift] und [The Warrior Returning Alive]. Er sagte: „Keine Einzelkarte kann je besser sein als eine andere, wenn die Situation es nicht zulässt. Genau wie ein Lebewesen nie über einem anderen stehen sollte.“

Damit führte er die Karten seinem Friedhof zu.

„Sind das tatsächlich die Worte desjenigen, der sein Gefäß opfern wollte, um Eden zu werden?“ Zed reckte das Kinn nach oben. „Heuchelei. Und Naivität noch dazu. Eine Rangfolge bedeutet Struktur, Ordnung.“

Levrier sah in seiner ausdruckslosen Form zu ihr hinauf. „Auch ich glaubte das einst, ehe meine Zeit mit Anya Bauer mich eines Besseren belehrte. Es sind nicht die, die in der Hierarchie ganz oben stehen, die Großes vollbringen. Es sind die in den unteren Kasten. Und warum? Weil sie nicht alleine sind.“

„Wieso erzählst du mir das?“, wollte Zed skeptisch wissen.

„Weil du als Teil der obersten Kaste außer Arroganz keine nennenswerten Eigenschaften besitzt“, erwiderte Levrier scharf, „weil du alleine bist. Das Wort Undying allein löst in mir keine Furcht aus und weil das so ist, bist du machtlos.“

Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „Zusammenhangslose Gedankengänge! Urteile nicht über das, was du nicht verstehst. Kümmere dich lieber um deinen Zug, denn der meine ist beendet!“

 

Levrier zog. Es stimmte, es waren zusammenhangslose Gedankengänge. Was wohl daran lag, dass es so vieles gab, was er Zed mitteilen wollte. Sie begriff nicht, in welcher Lage sie sich befand und versteifte sich darauf, eine Undying und damit automatisch unantastbar zu sein. Über allen anderen zu stehen und das Recht zu besitzen, Anya Bauer zu töten. Wie falsch sie damit lag. Und wie naiv sie war zu glauben, dass es so leicht werden würde. Wie blind sie war, nicht die Armee hinter Anya Bauer zu sehen. Ihre Freunde, die im Falle des Falles nicht mit Gegenwehr zögern würden. Und von all jenen ist Zed an den schlimmsten von allen geraten, ohne es zu ahnen.

 

„Draw“, verkündete Levrier besonnen und überlegte noch einmal.

Sie fühlte sich überlegen, dabei hatte sie den Zenit ihres Potentials unwissentlich überschritten. Doch noch konnte Levrier ihr dies nicht beweisen. An ihre Worte zurückdenkend, bezüglich Albions Effekt, wusste Anyas ehemaliger Paktpartner, dass das Vogelwesen ein Problem darstellen würde. Chakram Master war Stufe 4 gewesen, was bedeutete, dass sein nächstes Stufe 4-Monster unweigerlich verenden würde. Und da Zed den Zeitraum des Effekts nicht eingegrenzt hatte, galt jener vermutlich solange, bis er ausgelöst wurde. Er stand also unter Zugzwang.

„Glücklicherweise habe ich dieses Monster. Ich beschwöre [Heroic Challenger – Night Watchman].“ Jenen legte Levrier auf seine Duel Disk und ließ gleich die Hand über der Karte verharren.

Denn sofort als der dunkle, in violettem Mantel gehüllte Krieger erschien und seine Laterne anhob, schwang Zed den Arm aus.

 

Heroic Challenger – Night Watchman [ATK/1200 DEF/300 (4)]

 

„Damit hast du den Effekt von [Demigod Of Rising Currents, Albion] ausgelöst! Aura Disharmonia!“

Die beiden Augenpaare des Vogels begannen blau aufzuleuchten, als jener sich zu krümmen begann. Es war, als würde ein Krampf seinen ganzen Körper heimsuchen. Dann zuckte er zusammen und für einen Sekundenbruchteil schoss jenes Glühen regelrecht aus seinen Augen heraus. Im selben Augenblick zerplatzte Levriers Monster in tausende blauer Funken.

„Gut, damit setze ich meine letzte Karte und gebe an dich ab“, sagte Levrier und ließ die Falle vor sich erscheinen.

 

Zed zog umgehend auf und betrachtete ihre einzige Handkarte. Dann keuchte sie ärgerlich.

„Das war zu erwarten gewesen.“

Levriers Worte ließen sie aufhorchen.

„Nun, da du drei Monster kontrollierst, sind nicht mehr genug Zonen frei, um neue Spielmarken zum Opfern zu beschwören“, führte der seinen Gedanken fort. „Natürlich könntest du jetzt zwei deiner Monster als Tribut für die Beschwörung anbieten, doch dies löst den Primäreffekt deines Monsters nicht aus, da sie keine Spielmarken sind.“

Während sie das hörte, drückte sie die Karte zwischen ihren Fingern zusammen. Levrier wusste, dass sie einen weiteren Demigod nachgezogen hatte. „Du hast dein Potential ausgeschöpft, Undying.“

„Und es ist mehr als genug, dich endgültig loszuwerden!“, fauchte sie aufgebracht und schwang den Arm aus. „Ich befehle dir, ihn direkt anzugreifen, [Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck]!“

Der fliegende, weiße Riesenwal öffnete erneut sein Maul und ließ einen ganzen Wasserfall von dort auf Levriers Spielfeld niederregnen. Jener verschwand in der Flut.

„[Pinpoint Guard].“

Mitten in der ihn überragenden Strömung stehend, ließ er seinen Arm über die Falle fahren, die daraufhin aufsprang. Und aus ihr kam ein kleinwüchsiger Krieger in grünem Mantel gesprungen, der sich schützend vor seinen Besitzer positionierte.

 

Heroic Challenger – Ambush Soldier [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Wie ein Fels in der Brandung ließ dieser sich nicht fortspülen, was zur Folge hatte, dass Bismarck seinen Angriff schließlich unverrichteter Dinge beendete.

„Hartnäckig!“, zischte Zed. „Genau wie das Mädchen!“

„Wie bereits erwähnt, hast du dir die falschen Gegner ausgesucht. Und auch mein wiedergeborener Ambush Soldier wird dir nicht viel Freude bereiten, denn in diesem Zug ist er unzerstörbar.“

Zed erhob sich aus ihrer sitzenden Position und stand nun auf Northgrimms rechter Schulter. Dessen Karte drehte sie wortlos auf ihrer Duel Disk in die Horizontale. Dann schnippte sie mit dem Finger, woraufhin abermals violette, elektrische Ladungen die goldene Kette entlang fuhren, welche sie mit ihrem Riesen verband. Jener stöhnte und knurrte, als er langsam in die Knie sackte. Die Stromstöße indes schossen zurück zu ihrer Auslöserin und verschwanden in ihrem Handgelenk.

 

Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 → 0 DEF/0 (10)]

 

[Levrier: 100LP / Zed: 2650LP → 4150LP]

 

„Du schwächst dein Monster weiter mit [Chains Of Immortality], nur um ein paar Lebenspunkte zu erhalten?“, erkundigte sich Levrier.

Seine Gegnerin rümpfte die Nase, hielt Northgrimm an der goldenen Leine wie einen Hund. „Seine Dienste als Krieger werden nicht länger von mir benötigt. Dementsprechend nützen mir seine Punkte am meisten, wenn ich sie meinem Leben hinzufüge. Außerdem ist er immer noch einmal pro Zug unzerstörbar.“

Levrier nickte knapp. „Damit hast du ihn aber all seiner Kraft beraubt. Aber du wirst wissen, was das Richtige für dich ist, Undying.“

„Ich weiß, was das Richtige ist und bin unlängst im Begriff, es in die Tat umzusetzen. Zugende!“

 

Levrier schloss die Augen, als er die Finger an sein Deck legte. Der nächste Zug könnte womöglich alles entscheiden. Als er zog, riss er sie weit auf und betrachtete die Karte in seiner Hand. Dann sah er herüber zu Zed und ihren Monstern. Dabei trafen sich sein und Northgrimms Blick. Die weißen, ausdruckslosen Augen zogen Levrier ungewollt in ihren Bann. Sie starrten einander an, als würden sie ein stummes Gespräch miteinander führen. Levriers blaue Augen, die nicht weniger leblos anmuteten, begannen sich in ein helles Rot zu verfärben. Aus den Augenwinkeln begann er erst Bismarck, dann Albion zu betrachten.

Und kam unerwartet zu einem Schluss, während er mit der Hand seines herabhängenden, rechten Armes eine Faust bildete. „… unverzeihlich.“

Mit für ihn ungewohntem Eifer schwang er den Arm aus und brüllte förmlich: „Ich aktiviere [Heroic Challenger – Ambush Soliders] Effekt und beschwöre zwei Heroic-Monster von meinem Friedhof als Spezialbeschwörung, indem ich ihn als Tribut anbiete!“

Jener warf eine Rauchbombe vor sich auf den Boden und verschwand darin. Aus ihr tauchten der dunkle Krieger mit der Laterne in der Hand und ein Kämpfer, wie man ihn am ehesten in einem Kolosseum erwarten würde: Bewaffnet mit Rundschild und Speer, lag ein roter Umhang um seine Schultern.

 

Heroic Challenger – Night Watchman [ATK/1200 DEF/300 (4)]

Heroic Challenger – Spartan [ATK/1600 DEF/1000 (4)]

 

Levrier hob die geballte Faust. „Das ist also deine wahre Natur, Undying!? Dafür werde ich dich nicht gehen lassen können, Zed!“

Die schwarzhaarige Frau, wie sie auf der Schulter ihres Monsters stand und es wie einen Hund an der Leine hielt, sah geradezu abfällig auf ihren Gegner herab und schwieg.

Dies provozierte Levrier nur umso mehr, sodass er den Arm wutentbrannt nach oben riss. „Ich erschaffe das Overlay Network!“

Jenes entstand auch über ihm als Schwarzes Loch, während dunkle Wolken über den pinken Traum aus einer anderen Welt zogen und die vier Sonnen zu verdecken begannen.

„Aus meinen Stufe 4-Kriegern wird ein Rang 4-Krieger!“

Spartan und Night Watchman verwandelten sich in braune Energiestrahlen, die über Levrier in die Höhe schossen und vom Überlagerungsnetzwerk absorbiert wurden. Sowohl aus diesem, als auch aus den Wolken am Himmel begannen Blitze niederzugehen.

„Xyz Summon! Schlage sie nieder, [Heroic Champion – Excalibur]!“

Einer der Blitze aus dem schwarzen Strom schlug direkt vor Levrier ein. Im Hintergrund donnerte es, das Feld wurde für einen Sekundenbruchteil in nahezu vollständige Dunkelheit gehüllt. Ein Schatten stand vor Levrier, viel größer als er selbst. Selbst jetzt konnte man die Silhouette des langen, breiten Schwertes erspähen, das Excalibur in der rechten Hand hielt. Dann schwand das Dunkel und erlaubte es Zed, einen Blick auf Levriers letzte Hoffnung zu werfen.

 

Heroic Champion - Excalibur [ATK/2000 DEF/2000 {4} OLU: 2]

 

Zwei Energiekugeln umkreisten jene. Silberschwarz war die Rüstung an Bauch und Beinen des Kriegers, überall sonst metallisch-rot. Spitz wie sie waren, ragten die Schulterplatten in die Höhe, genau wie ein goldener Stern am Helm des Kriegers.

„Das ist das Ende!“, rief Levrier und streckte dabei den Arm nach seiner Kreatur aus. „Ich benutze Excaliburs Effekt und verdopple seine Angriffspunkte im Gegenzug für sein Xyz-Material!“

Sein Ritter streckte die legendäre Waffe und seinen Namensgeber in die Höhe und ließ unter tosendem Donner einen Blitz und die beiden Lichtsphären in sie einschlagen.

 

Heroic Champion - Excalibur [ATK/2000 → 4000 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 0]

 

„Das wird nicht reichen!“, widersprach Zed herrisch.

„Leider irrst du dich, Undying!“ Levrier rammte seine letzte Karte in die Duel Disk. „Denn ich aktiviere [Heroic Chance] und verdopple Excaliburs Wert ein weiteres Mal!“

Das Abbild der Karte, die Levrier schon einmal während des Duells benutzt hatte, sprang vor ihm auf. Sein Krieger streckte den anderen Arm ebenfalls in die Höhe und ließ in seiner Hand ein rötliches Abbild seines Schwertes erscheinen.

 

Heroic Champion - Excalibur [ATK/4000 → 8000 DEF/2000 {4} OLU: 0]

 

Levrier richtete den Zeigefinger auf Zed. „Vernichte sie! Double Shock Sword Slash!“

Wie ein Pfeil schoss sein Monster quer durch die Luft, den drei riesigen Halbgöttern entgegen. Dabei schwang er seine Schwerter mehrere Male vor sich aus und schleuderte damit auf alle drei von ihnen blitzende, kreuzförmige Schockwellen.

Zed keuchte erschrocken, als sie die Attacken auf sich zukommen sah. Zuerst wurde Albion zerfetzt, anschließend der fliegende Wal Bismarck. Und zuletzt wurde Northgrimm getroffen. Die Kette, welche ihn mit Zed verband, brach dabei auseinander. Die Explosion direkt unter ihren Füßen schleuderte die schreiende Undying fort.

 

[Levrier: 100LP / Zed: 4150LP → 0LP]

 

Im hohen Bogen flog sie durch die Luft, während sich das Spielfeld drastisch veränderte. Das rosafarbene Nebelfeld löste sich auf und transformierte sich zurück zu Anyas innerer Zuflucht, dem Mosaik der Erde. Auf diesem schlug Zed auf und rutschte über es hinweg weiter bis an den Rand des von Dunkelheit umgebenen Elysions. Stöhnend blieb sie liegen.

Derweil ertönte das klackende Geräusch von Stiefeln über dem Mosaik. Zed richtete sich schließlich auf, erhob sich aus der Hocke, doch schwankte nur einen Moment, ehe sie wieder in die Knie sank. Erschöpft keuchte sie: „Wie kann das sein!? Ich bin eine Undying!“

Sie schrie auf, als Levrier direkt vor ihr erschien und mit seiner rechten Hand ihren Kopf packte. Mühelos riss er sie vom Boden, hielt sie in die Höhe.

„Vielmehr bist du eine Närrin“, flüsterte er, „lass mich dir erklären, dass in diesem Übergang zwischen materieller und immaterieller Welt andere Gesetze gelten, in welcher die Macht des Körpers keine Rolle spielt. Darauf habe ich dich mehr als einmal hingewiesen.“

Sie zappelte wild und versuchte sich zu befreien, doch war sie Levrier nicht gewachsen.

„Die Unsterblichkeit des Körpers ist nicht gleichzusetzen mit der des Geistes. Allein jener befindet sich in diesem Moment in Anya Bauers Elysion.“

„Was willst du mir damit mitteilen!?“, presste Zed angestrengt hervor.

Plötzlich begann Levriers Hand, die ihren Kopf festhielt, hellviolett aufzuleuchten. „Dass ich diesen nur zerstören muss, um Anya Bauer zu retten.“

Wie Elektrizität in einem Stromkabel zischten bunte Energien von Levriers Körper direkt in den Kopf der Undying, die schmerzerfüllt aufschrie. Immer wilder strampelte sie, ohne aber etwas damit zu erreichen.

„Du hast den größten Fehler begannen, den jemand wie du begehen kann“, setzte der weiße Ritter seine Ansprache inzwischen seelenruhig fort, „du hast die sichere Wiege der materiellen Welt verlassen und bist hierher gekommen, wo ich am stärksten bin.“

„Ahhhhhh!“

„Und dafür wird deine Seele ausgelöscht werden!“

 

Levriers ganzer Körper begann aufzuleuchten, überall aus dem zersplitterten Elysion kamen kleine Partikel geflogen, die er absorbierte. Er wusste, dass das, was er gerade tat, nur aus einem Grund möglich war. Etwas, das er erst jetzt begriff: Anya Bauer. Es waren ihre Kräfte, derer er sich bediente. Die Conqueror's Soul, welche es ihm immer öfter ermöglichte, das Schicksal für sie zu manipulieren, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Etwas wuchs in Anya heran, verlieh ihr ungeheure Machte und sie selbst ahnte es nicht einmal.

Zeds Gegenwehr wurde schwächer, ebenso ihr Schrei. Sobald ihr Bewusstsein ausgelöscht war, war ihr Körper nur noch eine leere Hülle. Und dann …

 

Er spürte es. Ein eisiger Windhauch und etwas, das nur wenige Millimeter von seinem Nacken entfernt war. Die Spitze einer Klinge.

„Wie es aussieht, haben wir einen weiteren Gast“, sagte Levrier unbesorgt und sah über seine Schulter.

Dort stand er, hielt sein Breitschwert mit einer Hand, jener zwei Meter große Hüne in seiner gold-silbernen Plattenrüstung und dem roten Umhang – Ricther. Der aus roten Federn bestehende Kamm an seinem maskenbesetzten Helm wippte leicht hin und her.

„Ich bin gekommen, um Zed zu holen.“

Jene rührte sich mittlerweile nicht mehr, war verstummt.

„Im letzten Moment. Vorbildlich.“

Damit wirbelte er um und schleuderte ihren leblosen Körper in Ricthers Richtung. Jener ließ sein Schwert fallen und fing die Schwarzhaarige mit beiden Händen auf, sackte in die Knie.

Levrier drehte sich vollends zu den beiden Undying um. „Und? Suchst du auch den Kampf?“

„Nein, nicht heute. Beide Parteien sollten sich um ihre Verwundeten kümmern.“

„Weise Worte“, lobte Levrier, „ich bin damit einverstanden.“

Sich erhebend, drehte sich Ricther mit Zed in seinen Armen um. „Missverstehe dies nicht für Feigheit. Sicherlich spürst du, dass ich eine weitaus größere Herausforderung darstelle als sie.“

[Gem-Knight Pearl] verschränkte die Arme. „Keine, vor der ich mich fürchte. Nicht hier.“

Der Undying schritt vorwärts. In der Mitte des Elysions öffnete sich ein Portal aus schwarzer Energie, in der sich die Umgebung verzerrt widerspiegelte. Kurz vor ihm blieb Ricther stehen. „Was sie getan hat, war entgegen meiner Order. Sie hat ihre gerechte Strafe dafür erhalten und nur deshalb verzichte ich darauf, diesen Kampf fortzusetzen. Ich kann nur betonen, was ich bereits Anya Bauer ans Herz gelegt habe.“

„Und das ist alles?“, fragte Levrier skeptisch. „Jetzt, wo es ein Leichtes für dich gewesen wäre, sie in der materiellen Welt hinzurichten, während ich mit Zed beschäftigt war?“

„Es hätte ihre Seele zerstört.“

„Wäre es das nicht wert gewesen?“

Ricther zögerte. „Nein.“

Dann trat er durch das Portal, verschwand. Levrier sah ihm ausdruckslos hinterher.

 

~-~-~

 

Als er selbst Anyas Elysion verließ und sich an ihrer Seite materialisierte, sah er sie inzwischen halb zusammengesackt am Geländer der Brücke hängen. Erschöpft keuchte sie und starrte ins Leere, aber zumindest befand sie sich auf der richtigen Seite und atmete noch.

 

Kannst du mich hören, Anya Bauer?

 

„Mir geht’s gut“, nuschelte sie entgegen ihrer erschreckenden Blässe. „Endlich sind diese beschissenen Stimmen weg …“

 

Es tut mir leid, dass ich nicht mehr tun konnte. Wäre Ricther nicht aufgetaucht, dann …

 

Langsam zog Anya sich an dem Geländer hoch. Dabei erwiderte sie teilnahmslos: „Ist jetzt eh nicht mehr zu ändern. Danke für deine Hilfe … ich hab alles mit angesehen, sie wollte mir … zeigen, wie sie dich vernichtet … Bist du okay?“

Levrier nickte. Damit drehte sie sich um und blickte in die Ferne, über den Fluss hinweg in das Abendrot.
 

Eine Weile schwiegen sie. Jene Stille wurde erst durchbrochen, als Anya schwer seufzte. „Glaubst du, die Undying haben mein Deck?“
 

Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht war das der Grund, warum Zed in dein Elysion eindringen konnte? Die emotionalen Schwankungen durch deinen Verlust haben dich angreifbar gemacht.

 

Betrübt fragte Anya: „Aber du glaubst nicht, dass sie es wirklich waren, nicht wahr? Dass dieses Zed-Miststück sich als Reporterin getarnt hat.“
 

Die Möglichkeit besteht und ergibt sogar Sinn, denn so hätten sie die Artefakte wieder in ihrer Hand. Aber mein … Bauchgefühl sagt mir, dass sie unschuldig ist und nur zur rechten Zeit am rechten Ort war.

 

Anya ließ ihre Arme auf dem Geländer niedersinken und legte dann den Kopf auf sie. „Was auch immer. Wenn sie mir nochmal über den Weg läuft, kriegt sie ein paar aufs Maul.“

Wie sie es so sagte, träge, lustlos, konnte man schwerlich glauben, dass es Anya war, die diese Worte gesprochen hatte.

 

Ich verspreche dir, du wirst dein Deck zurückbekommen.

 

„Yeah …“

Levrier betrachtete das Mädchen still, wie es sich nicht mehr rührte und in die Ferne starrte. Hinter ihr schossen die Autos nur so über die Brücke. Schließlich löste Levriers Avatar sich auf.

 

Die Wahrheit ist, ich weiß nicht, wie ich dieses Versprechen einlösen soll. Wie so vieles, das ich gerne für dich tun würde, aber nicht kann.

 

Das Mädchen richtete sich auf. „Wovon redest du?“

 

Anya Bauer, ich … ich …

 

Ihre halb geöffneten Augen hoben die Lider bis zum Anschlag. Sie hatte Levrier noch nie so zögerlich erlebt, was allein Grund genug war, sich Sorgen zu machen. „Was?“

 

Ich sehne mich nach einer eigenen Identität. Einem Körper.

 

Das Mädchen öffnete langsam den Mund. Er dauerte zunächst einen Moment, bis sie diese Information aufgenommen und verarbeitet hatte. Was das nächste Problem mit sich brachte: Was zur Hölle sollte sie darauf erwidern?

„'kay …?“

 

Nachdem Zed geschlagen war, habe ich nicht versucht, sie zu versiegeln. So, wie wir es ursprünglich besprochen hatten. Ich wollte ihre Seele auslöschen und ihren Körper als Gefäß benutzen. Das war von Anfang an mein Plan für die Undying.

 

Anya wirbelte mit dem Rücken zum Geländer. Da [Gem-Knight Pearl] nicht mehr da war, sah sie automatisch nach oben, wie sie es immer tat, wenn Levrier keine sichtbare Form angenommen hatte. „Du wolltest was!?“

 

Es tut mir leid, dass ich dir das verschwiegen habe. Es ist … mir unangenehm. Aber auch wenn Ricthers Eingriff mich unterbrochen hat, so fürchte ich, wären meine Bemühungen vermutlich vergebens gewesen. Ich denke nicht, dass es eine Möglichkeit für mich gibt … ein Mensch zu sein.

 

Anya schüttelte nur den Kopf und fasste sich dabei an die Stirn. Was hatte dieser Idiot bloß für verrückte Ideen? Einer Undying den Körper stehlen? Das war so verrückt, dafür verdiente er eigentlich einen Orden! Auch wenn Anya verstand, warum es ihm unangenehm war, denn für dieses Vorhaben müsste er ein anderes Leben auslöschen. Und auch wenn er, als er noch unbedingt Eden werden wollte, notfalls nicht davor zurückgeschreckt wäre, war es doch nicht seine Art. So vermutete sie, dass das der Grund war, warum er es nicht konnte – weil sein Gewissen ihn daran hindern würde.

Sie ließ den Kopf hängen und strich sich mit der Hand über die linke Gesichtshälfte. „Du bist wirklich bescheuert, Levrier. Aber …“

Sie sah auf, während die Finger ihr Auge verdeckten. „... wenn du einen Körper willst, wirst du auch einen kriegen. Dafür sorge ich schon, irgendwie, irgendwann.“

 

ich befürchte, Zeds Angriff hat deinem Verstand doch ernsthaften Schaden zugefügt. Du machst mir Angst, Anya Bauer. Was du gerade gesagt hast, war geradezu liebenswürdig.

 

„Tch, ich will nur, dass du einen eigenen Körper hast, damit du auch mal anderen auf den Sack gehen kannst! Mehr nicht!“

Doch ihr schelmisches Grinsen verriet sie und zu Anyas eigener Überraschung störte sie das auch gar nicht.

„Und mach dir keine Sorgen um mein Deck! Ich werde einfach Nick auf diese Schlampe hetzen, egal ob sie nun diese Zed war oder jemand anderes“, verkündete sie mit neugewonnenem Mut, „und wenn er sie gefunden hat, werde ich ihr erst Angel Wing in den Arsch rammen und dann solange mit Heavy T auf sie einkloppen, bis wir'n Schnitzel aus ihr machen können!“

 

Klingt vielversprechend.

 

„Darauf kannst du wetten!“ Damit drehte Anya sich zum Gehweg um. „Und jetzt ab zum Hotel, wir haben noch viel zu tun!“

Was Anya in ihrer Euphorie verdrängt hatte: Bis zum Hotel war es ein ganzes Stück und sie nach wie vor pleite. Dies begreifend, begann sie loszurennen. Und zu schimpfen.

 

Völlig unbemerkt von den beiden standen zwei Personen auf dem Torbogen der Brücke, nicht weit von Anya entfernt und verfolgten das Gespräch.

Der riesige Ricther stützte die kleinere Zed, indem er seinen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte und sie an sich geschmiegt hielt.

„Es tut mir leid“, murmelte jene reumütig, „ich weiß, ich habe gegen meine Anweisungen gehandelt. Aber ich musste. Wenn das so weiter geht …“

Ricther aber schenkte ihr keine Antwort. Stattdessen öffnete sich hinter ihm ein ovales, spiegelndes Schattenportal, in das er mit Zed im Schlepptau verschwand.

 

~-~-~

 

Das Knarzen des Chefsessels wurde von dem Knarren der sich öffnenden Tür übertönt. Nick, gekleidet in einem förmlichen Businessanzug hatte die Beine übereinander auf seinem gläsernen Schreibtisch gelegt und starrte Aiden an, welcher gerade das Büro seines neuen Mitarbeiters betrat.

„Wie ich sehe, hast du dich bereits eingelebt“, kommentierte der brünette CEO von Micron Electronics den Anblick schelmisch.

Nick winkte ab. „Ach, so schlimm ist es hier gar nicht. Das Essen in der Kantine ist besser als alles, was meine Mutter mir jemals vorgesetzt hat, die Sekretärinnen sind heiß, die Einrichtung und das Equipment kann sich auch sehen lassen.“

Er ließ den Arm ausschweifen, als würde er Aiden das Büro präsentieren, welches eine moderne Glasoptik aufwies. Was zu der riesigen Fensterfront passte, die Nicks Schreibtisch direkt gegenüber lag.

„Zumindest würde ich das gerne sagen, aber leider hasse ich dich und damit auch alles, was dir gehört“, fügte Nick geradezu beiläufig an.

Was Größe anging, machte es dem seines Vorgesetztem durchaus Konkurrenz, schließlich gab es eine ganze Sitzecke mit Sofa und Tisch auf der gegenüberliegenden Seite.

„Ich denke, du wirst deine Meinung diesbezüglich früher oder später ändern“, erwiderte Aiden zuversichtlich, aber ebenso förmlich wie er es immer war.

Nicks Ton wurde deutlich härter. „Wenn du nicht hier bist, um mir meine Kündigung auf den Tisch zu legen, dann habe ich dir nichts zu sagen.“

Er machte eine verscheuchende Geste unter einem ebenso eindeutigen: „Und jetzt shoo!“

„Ich muss dich leider enttäuschen. Als mein Angestellter hast du auch Pflichten und die nennen sich Arbeit“, blieb Aiden im Türrahmen stehen, „in einer halben Stunde ist ein Meeting angesetzt. Dort wirst du unseren Auftraggeber kennenlernen. Sei pünktlich. Für Anya.“

Damit schloss er die Tür hinter sich und ließ einen Nick zurück, welcher verärgert die Stirn runzelte. In kindischer Manier rief er Aiden hinterher: „Aber ich bin doch immer so vergesslich!“

 

Eine halbe Stunde später allerdings stellte sich heraus, dass Nicks Gedächtnis doch zu funktionieren schien. Der junge Mann musste zugeben, doch ein wenig neugierig zu sein. Solange er nicht wusste, was Aidens Pläne für ihn waren, konnte er zumindest jedes bisschen Information nutzen, um seine eigenen zu entwickeln.

 

Nick saß daher bereits im ansonsten leeren Konferenzsaal, als Aiden schließlich mit dem angekündigten Gast hereintrat. Es war niemand Geringeres als Henry Ford, der einen dicken Aktenordner in den Händen hielt.

„Du?“, staunte Henry irritiert. „Du bist … ?“

„Ihr kennt euch?“, wunderte sich Aiden.

„Ja“, sagte Nick schnarrend, ohne die beiden anzusehen, „man kann sagen, wir haben viel zusammen erlebt.“

„Die Geschichte musst du mir erzählen“, bat Aiden interessiert und geleitete Henry herein.

„Träum' weiter“, kam es als gelangweilte Antwort. „Also, worum geht’s?“

Henry trat zu Nick vor und warf ihm den Aktenordner hin. „Darin ist das Grundkonzept des Spiels, das ich entwickelt habe. Es handelt sich um ein TCG, das den Begriff Virtual Reality neu definieren wird.“

„Du sollst eine tragbare Apparatur entwickeln, mit der man es jederzeit an jedem Ort spielen kann“, fügte Aiden noch hinzu.

Nick beugte sich vor, öffnete den Ordner und lachte gehässig. „Oh Gott, du hast nicht gelogen, als du sagtest, du willst einen Duel Monsters-Klon entwerfen.“

„Ein innovatives Konkurrenz-Produkt, das waren meine exakten Worte“, korrigierte Aiden ihn bestimmend, den Brünetten flankierend.

 

Nick überflog die Akten einen Moment, dann stieß er den Ordner genervt von sich. Henry derweil stand da wie auf einem Begräbnis, angespannt und bemüht, seine Beherrschung zu wahren.

„Das ist Schrott“, beurteilte Nick den Versuch des Ford-Sprosses, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, „viel zu kompliziert. Ich bitte dich, zwei zusätzliche Ressourcen-Systeme für ein Kartenspiel? Versuchs noch einmal. Am besten, du fragst deinen Daddy um Rat.“

„Nein, ich denke, die Idee ist vom Prinzip her sehr gut“, stand Aiden seinem Geschäftspartner bei.

„Dann wirst du mir sicher erklären, wie ich all das in ein Gerät packen soll, das in die Hosentasche passt?“, konterte Nick und sah seinem ehemaligen Geliebten dabei über Henrys Schulter hinweg bestimmend in die Augen. „Die Käufer werden mit den ganzen Regeln Schwierigkeiten bekommen. Duel Monsters ist schon keine leichte Angelegenheit. Etwas noch Komplizierteres hat auf dem Markt keine Chance.“

Henry drehte sich unsicher zu Aiden. Dieser stichelte: „Nun, ich wusste nicht, dass unser Chefentwickler auch Ahnung von Wirtschaft hat. Vielleicht sollten Sie das Konzept in der Art etwas ausarbeiten, um es zugänglicher zu machen, Mr. Ford. Was meinen Sie?“

„Ich kann es versuchen“, antwortete Henry merkbar zerknirscht und nahm den Aktenordner wieder an sich. „Aber vorher will ich es den anderen Vorstandsmitgliedern und Sponsoren vorstellen, wenn Sie gestatten.“

Aiden legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Natürlich, wenn Sie darauf bestehen. Aller Anfang ist schwer. Sie werden Ihrem Vater beweisen, dass Sie ein würdiger Erbe für seine Firma sind. Das versichere ich Ihnen.“

„Danke“, murmelte Henry ohne ihm dabei in die Augen zu sehen.

„Nun denn, ich bin nochmal kurz weg. Nick, bitte hilf Mr. Ford in Zukunft dabei, das Spiel anzupassen. Wenn jemand das kann, dann du.“ Aiden nickte den beiden zu und verschwand dann aus dem Konferenzsaal.

 

Nick sah Henry abwartend an, der still vor sich her grübelte. Dann ergriff der Ford-Spross das Wort, doch was er sagte, überraschte seinen Geschäftspartner.

„Dein Chef ist ein Blender.“

„Wie meinst du das?“, hakte Nick nach.

Henry lehnte sich neben ihn an den ovalen Tisch. „Seine Konditionen für eine Zusammenarbeit waren derart gut, dass mein Vater alles daran gesetzt hat, mit Micron Electronics zusammenzuarbeiten. Obwohl wir bereits mit einem europäischen Handelspartner Verträge geplant hatten.“

„Ich erinnere mich. Bulgarien?“

„Hat Abby dir davon erzählt?“

Nick schüttelte den Kopf. Tatsächlich wusste er schon seit geraumer Zeit davon, wie sonst hätte er versuchen können, Aiden zu erpressen, bevor der ihm Monochrome unter die Nase hielt? „Nein, Aiden hatte mal so etwas erwähnt. Aber wenn die Konditionen für euch so günstig sind, ist das doch gut.“

Doch der Blick des brünetten jungen Mannes verdunkelte sich. „Ganz sicher nicht. Mit den Zahlen macht eure Firma herbe Verluste. Es entbehrt jeglicher Logik.“

„Aiden hat sicher einen Plan, wie er das Geld wieder reinholt.“

„Oh ja, das befürchte ich auch“, erwiderte Henry gallig, „wenn es nach mir ginge, hätten wir diese Verträge nicht geschlossen. Es ist eine Farce. Einerseits soll ich selber ein Projekt übernehmen, andererseits bestimmt mein Vater, mit welchen Leuten ich dabei zusammenarbeite. Tch …“

 

Nick indes hörte kaum noch zu.

Ihm war sofort klar, warum Aiden alles daran gesetzt hatte, diesen Auftrag zu bekommen. Monochrome. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass er plante, das kleine Killerprogramm in jede der neuen Apparaturen einzuschleusen. Sozusagen Monochrome massentauglich zu machen. Denn niemand würde es je durchschauen, wenn er nicht genau wusste, wonach er im Programmierungscode suchen musste. Das war Monochromes größte Stärke – die Diskretion.

Mit Monochrome konnte sich Aiden Zugriff auf alle netzwerkfähigen Geräte im Haushalt des Besitzers machen. Ein kleiner Spion als Haustier. Und darüber hinaus wäre er in der Lage, jeden auszuschalten, der ihm in die Quere kommt. Völlig unbemerkt.

Mit diesem Programm war es Aiden möglich, eine geheime Weltherrschaft aufzubauen. Vorausgesetzt, sein Produkt verkaufte sich gut genug …

 

„Keine Sorge“, wandte sich Nick freundlich lächelnd an Henry, „ich kann mich voll für Aiden verbürgen. Also, dann lass uns mal darüber reden, wie wir dein Spiel möglichst nahe an der Ursprungsidee umsetzen können. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir dein Ressourcen-System. Überlass' die Sesselpupser nur mir.“

 

 

Turn 58 – Paradigms

Um ihr gestohlenes Deck zurückzubekommen, schaltet Anya Nick ein. Obwohl sie mit den Aufnahmen der Überwachungskameras einen Anhaltspunkt haben, gelingt es Nick nicht, die Diebin zu finden. Die Tage vergehen, sodass Anya gezwungen ist, sich ein Ersatzdeck zu beschaffen. Und da fangen die Probleme erst richtig an. Da sie Anya aufheitern will, geht Valerie mit ihr auf ein Fest in der Altstadt. Dort treffen sie auf Marc, der sich mit einem jungen Mann im Rollstuhl duelliert und …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-09-03T16:15:31+00:00 03.09.2017 18:15
Hey
Super Kapitel, Melinda und Anya haben doch mehr gemeinsam als man glaubt, vielleicht werden die beiden noch gute Freunde. Das von Zed war ja ne ganz miese Nummer, aber zum Glück konnte Levrier sie stoppen. Er tut mir leid, dass er einen eigenen Körper will kann ihm ja niemand verdenken. Mal sehen wie das weiter geht.
Nick hat mit seinem neuen Job ja alle Hände voll zu tun, bin mal gespannt wie das weiter geht.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
07.09.2017 17:29
Hey,
danke. Melinda ist ein Wirbelwind, in gewisser Hinsicht passt sie daher zu Anya, ja.
Zed hat halt nicht alles bedacht bei ihrem Plan.

LG,
-Aska-


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