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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 31 - November 11th

Turn 31 – November 11th

 

 

Antriebslos, ja fast schon müde betrachtete Anya ihre Hände, die kurz zuvor noch in Handschellen gesteckt hatten. Die Polizisten hatten ihr alles genommen. Taschenmesser, Feuerzeug, das Messer unter ihrer Schuhsohle, gar die versteckten Haarklammern. Mittlerweile kannten sie sie wohl einfach zu gut.

Eins stand fest: sie würde die kleine Zelle nicht verlassen können. Nicht ohne Hilfe.

Aber wer konnte ihr jetzt schon helfen? Levrier? Der war irgendwo, nur nicht hier. Die anderen? Bedingt. Vielleicht konnte Abby etwas erreichen, aber sie war zu umständlich, als dass Anya sich in so etwas auf sie verlassen konnte. Matt? Solange der nichts davon erfuhr, würde er nichts tun können – und selbst wenn, das Narbengesicht würde ihr garantiert in den Rücken fallen.

Und Redfield? Die hatte sie doch erst in diese Lage gebracht!

 

Anya war nie pessimistisch gewesen. Aber dieses Mal wusste sie, dass ihre Chancen äußerst schlecht standen, hier rechtzeitig herauszukommen. Ein Blick auf die kreisrunde Uhr neben dem hoch angelegten, kleinen Gitterfenster auf dem Gang gegenüber ihrer Zelle verriet Anya, dass es bereits kurz nach 11 Uhr war.

Und sie spürte eine fremdartige Anspannung, schon seit einer Weile. Ihr Körper wusste, dass der Turm von Neo Babylon jeden Moment kommen würde. War das letztlich der Grund für Levriers plötzliches Verschwinden?

Sie betrachtete ihr Mal. Es war noch da, mit ihm der Pakt. Nur seine Kräfte, die hatte er mitgenommen. Ansonsten hatte sich nichts geändert. Gar nichts.

Anya lachte bitter auf. Das hatten die beim ziemlich kurzen Verhör auch gesagt. Hoffnungsloser Fall, so hatten sie sie tituliert. Verdammt richtig!

Nur in diesem Fall … würde sie ihr Ding diesmal nicht durchziehen können, wenn das so weiterging.

Das Mädchen verstand selbst nicht, warum sie so niedergeschlagen war. Vielleicht weil sie tief in ihr wusste, dass sie bekommen hatte, was sie verdiente? Wie würde Abby es nennen, Karma?

Für alle anderen war es das Beste so, dessen war sie sich bewusst. „Tch …“
 

Nachdenklich blickte sie durch das Fenster. Diese bekloppte Pritsche war immer noch hart, ihr tat schon der Allerwerteste weh. Zumindest war sie allein, die anderen Zellen leer. Jetzt noch irgendwelche Drogensuchtis heulen zu hören wäre zu viel für sie.

Allerdings blieb die Frage, was ihr „Ding“ überhaupt war … und ob sie es wirklich durchziehen wollte …

 

~-~-~

 

Die drei jungen Menschen, die am Küchentisch der Familie Bauer saßen, tauschten Blicke voller Ratlosigkeit und Entsetzen aus. Kaum war Anya weg, hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie schnell handeln mussten. Und sie brauchten einen Plan.

„Ich habe das nicht getan“, schwor Valerie bereits zu dritten Male.

„Wir glauben dir doch“, versuchte Abby sie zu beruhigen.
 

Valerie wusste nicht mehr, was sie denken oder fühlen sollte. Auf der einen Seite hatte sie zugelassen, Anya näher zu kommen, konnte zum ersten Mal über ihre abscheuliche Tat hinaus das Mädchen sehen, das jetzt dringend ihre Hilfe brauchte. Andererseits war sie niemand, der je ohne Zweifel war – Anya stellte nach wie vor ein nicht zu verachtendes Risiko dar. Deren Festnahme war für ihr persönliches Glück mit Marc sozusagen das Beste, was hätte passieren können.

Aber ein Teil von ihr hatte Anya verziehen und wollte ihr helfen. Was sollte sie tun, für welche Seite sollte sie sich entscheiden? Joan … ihr Pakt war ungebrochen. Sie existierte noch irgendwo da draußen. Was würde sie ihr raten?

 

„Wenn Levrier, warum auch immer, inaktiv ist, dann kann Anya ohne Hilfe nicht entkommen“, grübelte Abby und wiederholte sich damit ebenfalls.

Sie sorgte sich fürchterlich um das Wohl ihrer Freundin. Die Dinge hatten sich so plötzlich überschlagen, dass es ihr schwer fiel, den Überblick zu wahren. Erst Valeries Ausbruch und nun eine gefangene Anya, gepaart mit Orions Zweifeln bezüglich Joans Ambitionen. Auch jetzt ließ der Schattengeist nicht davon ab.

Dennoch, egal wie sie zu Anya standen, wichtig war, jene erstmal zu befreien.

 

„Dann bist nur noch du übrig“, sprach Nick und sah den Schattengeist nachdenklich an, piekte ihn mit dem Zeigefinger in den Bauch.

Ihm war nicht danach, seine Rolle zu spielen. Nicht jetzt, wo Anya im Knast saß und auf ihre Hilfe hoffte. Wie sonst sollte man ihre letzten Worte an sie interpretieren, bevor sie abgeführt wurde?
 

Es war schon schlimm genug, zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass er Anya von ihrem schrecklichen Los nicht befreien konnte. Und dass alles, was er im Grunde für sie tun konnte … nicht richtig, gar gefährlich war. Über die Bedrohung Edens konnte er zwar hinwegsehen, wenn es hieße, Anyas Zukunft etwas leichter zu gestalten. Aber helfen konnte er ihr bei der Erfüllung ihres Plans nicht.

Er war ein Versager, nicht mehr. Im Grunde gehörte er eingesperrt und nicht sie!

Die Zelle war für Anya immer die Endstation gewesen, denn es war ihr nie gelungen, von dort auszubrechen, egal was sie hatte hinein schmuggeln können. Und die Polizisten wurden nicht dümmer, leider.

 

„Ohne Levrier sitzt sie in der Patsche“, gluckste er halbherzig, „sie hat einfach zu viel gekokelt.“

Vor Valerie musste er die Maske aber anbehalten – auch wenn sie ihn vermutlich schon lange durchschaut hatte. Es war egal. Die einzigen Menschen, die er an der Nase herumführen musste, waren Anya und seine ignoranten Eltern. Der Rest war ihm, zumindest in diesem Augenblick, gleich.

„Aber der Nickinator wird sie da rausholen, hehe.“

Und wie er das würde!

 

„E-es tut mir leid“, jammerte Orion, der sich in der Mitte des runden Tisches wiederfand. Umzingelt von vier Brüsten – okay, drei, Abbys flache Dinge gingen als eine durch – und einem Idioten. Und alle starrten ihn feindselig an.

„Ich musste doch etwas tun! Gegen Joan und diese dumme Tsun ohne Dere! Niemand darf Val-chan etwas tun, es ist doch meine Pflicht, sie zu verteidigen!“

Symbolisch streckte er die Stummelärmchen vor ihr aus.

Er tat nur, was der Chef ihm aufgetragen hatte – Valerie bewachen. Es war schon schlimm genug, dass er seine Pflichten vernachlässigte, um hin und wieder mit Nick abzuhängen, aber hier ging es um so viel mehr!

Deshalb hatte er sogar einen anonymen Hinweis an die Polizei von -ihm- abgeben lassen, wer für die Brände in den letzten Wochen verantwortlich war. Völlig egal, ob sie Anya etwas nachweisen konnten – sie würde den Tag nicht mehr erleben, an dem über so etwas Banales entschieden wurde. Nur darauf kam es Orion an.

 

„Ich würde gerne wissen, warum du Joan so sehr hasst“, sagte Valerie enttäuscht und erhob sich schließlich. „Auch wenn ich mir sicher bin, dass dir verboten wurde, darüber zu sprechen. Im Endeffekt ist es ohnehin zweitrangig und muss warten. Abby, Nick.“

Die beiden sahen beim Klang ihres Namens überrascht auf. „Ich habe mich entschieden. Anya hat noch eine Chance verdient. Ich werde ihr helfen und in den Turm gehen. Irgendjemand muss dort oben aufpassen, dass alles mit rechten Dingen zugeht – und ich denke, ich bin die Einzige, die dafür infrage kommt.“

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Abby, die ihre Erleichterung über Valeries Entscheidung in Form eines Lächelns nicht verbergen konnte.

„Mein Vater. Vielleicht kann er etwas erreichen, er ist immerhin der Bürgermeister. Das Problem ist bloß, dass er gerade auf einer Geschäftsreise ist. Die Nummer und den Namen vom Hotel habe ich nicht hier, deswegen muss ich nachhause.“

„Ruf doch zuhause an und frag einen Angestellten danach. Oder Marc?“, schlug Abby vor.

Plötzlich verfinsterte sich Valeries Gesichtsausdruck. „Geht nicht. Wir haben kein Personal, ausgenommen einem Gärtner und Marc dürfte längst im Bett sein. Wie ich ihn kenne, hat er sein Handy ausgeschaltet. Ich werde wohl oder übel nachhause müssen.“

Ihr Ausdruck gewann wieder etwas Freundliches. „Keine Sorge, ich beeile mich. Versprochen.“

Abby nickte zögerlich. „O-okay.“

„Und was macht ihr?“

Auch das Hippiemädchen erhob sich nun langsam und nahm ihre getönte Brille ab.

„Wir werden direkt zur Polizeistation fahren. Vielleicht schenkt man uns Gehör.“ Plötzlich öffnete sie ihre Augen, in denen die Iriden ein grelles Rosa annahmen. „Jedenfalls wäre das wünschenswert für alle Beteiligten.“

Valerie schreckte zurück, doch als sie genauer hinsah, hatten Abbys Augen längst wieder ihre alte Farbe angenommen. Das musste wohl ihre Einbildung gewesen sein. „O-okay. Also los, gehen wir!“

 

Das gesagt, begaben sie sich zusammen vor die Haustür der Familie Bauer und schritten über den kleinen Weg herüber zur Gartentür.

„Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache“, gab Abby zu bedenken.

„Ist bestimmt nur Hunger“, gluckste Nick und zwinkerte ihr zu.

„Also gut, hier trennen sich unsere Wege“, meinte Valerie, als sie auf dem Bürgersteig ankamen. Sie musste nach links, während Abby und Nick die Straße in die andere Richtung nehmen mussten.

Ohne viele Worte zu verlieren, lief sie los und rief: „Viel Glück euch beiden.“
 

Und kaum war sie außer Hörweite, verschwand Nicks dummes Grinsen. „Da ist doch was faul.“

„Ich glaube auch. Aber um Valeries Alleingänge können wir uns jetzt nicht kümmern, Nick.“

Er sah seine Freundin nachdenklich an, als sie einen Schritt nach vorn nahm, seinen Blick mied. „Willst du wirklich so weit gehen? Deine Kräfte benutzen?“

„Ja. Wenn es sein muss, ja.“ Sie wirbelte mit feurigem Blick um. „Ich habe keine Angst mehr vor ihnen! Und wenn sie mir dabei helfen, euch zu beschützen, dann nutze ich sie auch!“

Was den hochgewachsenen Kerl zum Schmunzeln brachte. „Ich kann nicht sagen, dass ich mich gerne mit Cops anlege, wenn sie mir direkt gegenüberstehen. Aber wenn ich auch nur dein Köder sein kann, dann benutz' mich nach Herzenslust.“

„W-wer sagt denn was von Köder!?“, sprudelte es aus Abby heraus, die spürte, wie sie rot anlief. „W-wir klären das in einem Gespräch, klar!? Und jetzt los, wir haben's eilig!“

 

~-~-~

 

„Das wäre die Letzte“, murmelte Matt und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

Drei Kisten hatte er zusammen mit Alastair im Schutze der Nacht in den alten VW-Bus geladen, der neben ihrem Motel parkte.

„Nun müssen wir nur noch auf das große Event warten.“ Er drehte sich mit ernstem Blick zu seinem Freund herum, der mit verschränkten Armen in den Himmel starrte. „Ich hoffe, du kneifst nicht in letzter Sekunde.“

„Ich habe es dir versprochen, Matt. Dass wir das bis zum Ende durchstehen und diesem perfiden Spiel ein Ende setzen. Dir und Refiel. Aber wisse, wenn Anya Bauer auch nur versucht-“

„Ja, ich weiß“, stöhnte Matt, trat an Alastair heran und schlug ihm kräftig auf die Schulter. „Erspar' mir die Details mit dem, was du aus ihr machst. Ehrlich, langsam glaub ich, du bist ihr verlorener Zwillingsbruder, was eure Fantasie angeht.“

Der Mann im roten Mantel schnaubte nur.

 

Wow, das große Finale, die letzte Schlacht, das entscheidende Gefecht. It's the final countdown, dududuuuuuuu~

 

„Alastair, jag mir bitte eine Kugel in den Schädel, wenn der Plagegeist in meinem Kopf immer noch da ist, sobald wir hiermit durch sind“, stöhnte Matt genervt.

Er musste wirklich darauf achten, das Übel nicht beim Namen zu nennen. Wenn Alastair erfuhr, wer sein Paktpartner war, würde er eigenhändig die Pforten der Hölle aufreißen, um sie beide dorthin zu verfrachten, so viel stand fest. Von Another würde Matt ihm erst erzählen, wenn ihr gemeinsamer Pakt durch Erfolg gekrönt aufgelöst wurde. Zwar würde Alastair ihm dann dennoch an die Gurgel gehen, aber zumindest wäre die Edensache bis dahin geklärt.

Aber Matt musste insgeheim zugeben, dass er selbst zweifelte. Würde alles glatt gehen? Nein, irgendwas war da. Irgendwas würde sie dort erwarten, mit dem nicht zu spaßen war. So war es immer. Er hasste dieses blöde Gefühl im Bauch.

 

Jetzt kommt es drauf an, Menschlein. Von diesem Turm soll nichts mehr übrig bleiben, hast du das verstanden? Ich bezahle meine Putzfrauen schließlich nur, wenn sie ihren Job gut erledigen.

 

„Schon klar“, brummte Matt.

Warum Another den Turm unbedingt zerstören wollte, hatte der Dämonenjäger selbst jetzt nicht in Erfahrung bringen können. Und das beunruhigte ihn zunehmend. Viel mehr als die kleinen Steinchen vor seinen Füßen, die unruhig auf dem Boden zu vibrieren begannen.

 

~-~-~

 

Henry warf einen traurigen Blick herüber zu seiner Schwester. Sie war immer noch blass, aber immerhin bei Bewusstsein.

Beide saßen sie in einem Auto, er am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz. Müde lehnte sie ihren Kopf gegen die Scheibe und starrte von der Straße hinweg über das weite Footballfeld herüber zur Livington High, die sich ihr in der Ferne kaum erschloss.

„Wir haben das jetzt lange genug durchgekaut“, sagte Henry streng. „Du bleibst hier. Ich gehe an deiner Stelle.“

„Aber ich bin die aktuelle Paktträgerin von Isfanel“, sagte sie, ohne sich ihm zuzuwenden. „Ich muss es tun.“

„An diesem Punkt spielt es keine Rolle mehr, wer wer oder was ist.“ Henry strich Melinda sanft über das schulterlange, braune Haar, das in einer Welle endete. „Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder leiden musst. Das habe ich dir versprochen.“

Die Erde begann leicht zu erzittern.

 

~-~-~

 

Valerie fasste sich mit geweiteten Augen an die Brust, sank auf ihr Bett. Die Hände aus Entsetzen vor den Mund geschlagen. Völlig vergessen war ihre Absicht, ihren Vater anzurufen.

Das konnte nicht wahr sein, es durfte nicht! Wie hatte er- wie hatte er das bloß erfahren!?

„Du dachtest, du könntest alleine dort hoch gehen, habe ich recht?“ Marc stemmte voller Unverständnis die Hände in die Hüfte. „Ich weiß, dass du Angst um mich hast. Aber ich werde dich dort nicht alleine hingehen lassen. Nicht in diesen Turm. Isfanel hat mir gesagt, dass niemand ihn jemals betreten sollte. Schon gar nicht Zeugen der Konzeption – wir, du!“

„Deswegen- deswegen will ich doch allein gehen!“, sagte sie mit Tränen in den Augen und sah flehend zu ihm auf. „Verstehst du das nicht!?“

Wie hatte er nur sein Gedächtnis zurückbekommen!? Wieso!?

„Was ich getan habe, ist unentschuldbar, Valerie. Wenn jemand allein gehen müsste, dann ich. Aber wir beide wollen Anya retten, oder nicht? Dann müssen wir beide gehen!“ Er reichte ihr die Hand lächelnd entgegen. „Also bitte! Ich weiß nicht, wie ich überlebt habe, aber das ist meine Chance, das alles wieder gut zu machen.“

Also wusste er noch nicht alles? Dass der Sammler ihn zurückgeholt hatte?

Valerie nahm seine Hand. „Es tut mir leid, Marc. Wenn keiner von uns den anderen gehen lässt, dann-“

Ein lautes Donnern erschrak beide zutiefst.

 

~-~-~

 

Mit kleinen Tränchen in den Augen saß Orion in der Mitte des runden Tisches. Sie waren einfach gegangen, ohne ihn weiter zu beachten. Nicht einmal geschimpft hatten sie mit ihm. Und keiner wollte verstehen. Aber wie auch, wenn sie -es- nicht wussten?

Orion legte seine kleinen Stummelhändchen auf den Zwiebelkopf. Sollte er die Anweisungen des Chefs ignorieren und sich in die Eden-Sache noch weiter einmischen, oder abwarten? Auf jeden Fall musste er zu Valerie! Und-
 

„Ich muss sie warnen!“, entschied er und sprang kurzerhand vom Tisch.

So schnell es ihm seine kleinen Beinchen erlaubten, rannte er in den Flur und zur Haustür, die er mit einem Sprung an die Klinke öffnete.

Egal was der Sammler wollte, Orion konnte Valerie doch nicht in die Hände dieser Monster geben, auf keinen Fall. Und so rannte er über den Garten hinaus auf die Straße und sah sich hastig um.

Obwohl er Valerie bereits so viel über Eden verraten hatte, wollte sie dennoch in den Turm! Er kannte sie gut genug, um das zu wissen. Wieso war sie nur so stur!? Was hatte diese Joan getan, um so überzeugend zu wirken!?

Wieso wusste keiner von ihnen, dass-!?

 

Plötzlich erbebte die Erde und Orion fiel auf sein Hinterteil. Und seine Augen weiteten sich beim Anblick dessen, was sich in weiter Ferne abspielte. Der Himmel, voller grauer Wolken, Blitze schlugen in ihnen umher wie Schlangen.

Doch ehe Orion sich aufrappeln konnte, fiel plötzlich von hinten ein grelles Licht auf ihn. Mit Schrecken in den Augen wandte er sich um.

Man hörte nur noch das Quietschen von Reifen.

 

~-~-~

 

Kaum noch zwei Straßen von der Polizeistation entfernt, blieben Nick und Abby entsetzt mitten auf dem Bürgersteig stehen.

„Das kann nicht-!“ Abby nahm sogar die Brille ab. „Der Himmel …“

Auch sie war überrumpelt von den grauen Wolken, die über Livington gezogen waren. Nick legte ihr die Hand auf die Schulter. „Merk dir diesen Anblick. So etwas wirst du vielleicht nie wieder sehen.“

Er deutete mit der anderen Hand auf den einzigen Fleck am Himmel, der vollkommen frei von Wolken war. Wie das Auge des Sturms wirkte er, mit dem klaren Sternenhimmel. Doch was Nick wirklich meinte, waren die flackernden Lichter, die in regelmäßigen Abständen von oben nach unten einfach da waren, aus dem Nichts erschienen. Zu undeutlich jedoch, um etwas daraus zu identifizieren.

 

Plötzlich erklang ohrenbetäubendes Getöse, ein heftiger Wind schlug ihnen entgegen. Nick konnte nur noch erkennen, wie Lichtsäulen, hoch wie Wolkenkratzer von verschieden Punkten der Stadt in die Höhe schossen. Er erkannte eine rote und eine grüne.

„Nick, wir müssen uns beeilen!“, rief Abby angestrengt und stieß im Anschluss einen spitzen Schrei aus.

Neben ihnen hatte es laut gekracht. Ein Autofahrer, der dem ebenfalls zugesehen hatte, war mit seinem Wagen gegen eine Laterne gefahren. Wankend stieg er aus dem roten Mercedes und betrachtete fassungslos das Geschehen.

„Ja, schnell!“, meinte Nick, der froh war, nicht auch noch Ersthelfer spielen zu müssen.

 

~-~-~

 

Anya presste sich die Hände auf die Ohren, doch es brachte nichts. Sie stöhnte vor Schmerz auf, aber das grässliche Geläute dieser Glocken wollte nicht aus ihrem Schädel weichen.

Wie ein ängstliches Kind hatte sie sich in die hinterste Ecke der Zelle zurückgezogen. Mit den Beinen angewinkelt am Körper, hielt sie die Augen fest geschlossen. Doch auch so sah sie es, warum auch immer.

 

Ihre Schule. Die Aula. Der graue Himmel, nur an einem Fleck klar. Alles gleichzeitig, sie konnte sich nicht auf eines der Bilder konzentrieren, sie waren alle in ihrem Kopf.

Weitflächige Kreise bildeten sich in großer Höhe über der Schule von oben nach unten herab und auf etwa alle zwei Meter entstand ein neuer. In ihrem Umfang wurden sie immer weiter, dabei zierten unzählige Zeichen und Symbole ihr Inneres. Es wäre ein Fest für jeden Okkultisten.

Jeder Kreis hatte eine der Farben braun, rot, weiß, gelb, blau, grün oder violett. Immer abwechselnd. Es war, als würden diese Kreise mitten in der Luft ein Gebilde erzeugen wollen.

Und als Anya sah, wo der letzte Kreis entstand, ahnte sie bereits, was geschehen würde. Denn der letzte Zirkel, bestehend aus allen vorhergegangenen Farben, umschloss beinahe das gesamte Schulgelände. Von seinem Ursprung schossen fünf Linien in verschiedenen Farben in fünf verschiedene Richtungen über den Erdboden, durch die ganze Stadt. Die Kanalisation, Victim's Sanctuary, die Straße am Waldrand, der Park – und vor dem Garten der Familie Bauer.

Anya öffnete erschrocken die Augen, gleichzeitig die ganze Stadt und die Zelle vor sich.

„Mum, geh da weg!“, schrie sie aufgebracht.

 

Da war sie, ihre Mutter und stieg verwirrt aus dem Wagen, den sie vor ihrem Grundstück parkte. Sie schritt verwirrt zu der Vorderseite des Autos, betrachtete irritiert die Reifen.

Und dann geschah es schon. Anya wurde die Sicht des Geschehens an diesem Ort genommen durch eine riesige, violette Lichtsäule, die aus dem Boden schoss. Dort, wo ihre Mutter eben gewesen war!

„Mum!“

Aber nicht nur dort, es war dasselbe bei allen anderen Orten, an denen ein Pakt geformt worden war. Eine blaue Säule in Victim's Sanctuary, eine rote im Park, grün für die Kanalisation und gelb am Waldrand.

Alle schossen sie zeitgleich in dem Himmel. Über Livington bildeten diese Säulen die Eckpunkte für ein riesiges, weiß leuchtendes Pentagramm, welches unheilvoll über der Stadt zu hängen begann.
 

Und in dessen Mitte, dort war – das Schulgelände.

Anya stieß einen erschrockenen Schrei aus. Die Gebäude der Stufen, die Sporthallen, einfach alles – es wurde einfach fortgerissen, weg geschubst, von der aufwallenden Erde verschlungen.

Der schwarze Turm, er wuchs aus dem Untergrund wie eine Krankheit, die alles mit sich riss, was sich ihr in den Weg stellte. Wann immer er einen der magischen Kreise passierte, welche genau bis an die Mauern des Bauwerks reichten, leuchteten diese kurz auf und blieben in Form einer farbigen Linie am Turm zurück.

Nach oben wurde der Turm von Neo Babylon immer spitzer, ganz an seinem Ende ragten zwei steinerne Arme aus der Spitze hervor und hielten ein Gebilde, in dem sich unzählige, goldene Glocken befanden. Alle läuteten im Takt.

Anya hielt sich den Kopf schreiend und sah mit an, wie der Turm schließlich ungefähr einen Kilometer über der Erdoberfläche in seinem Wachstum zum Stehen kam. Über ihm nur der klare Nachthimmel, die Mitte des Pentagramms und die grauen Wolken, die über den Außenflächen jenes fünfzackigen Sterns und darüber hinaus der ganzen Stadt thronten.

Der Turm von Neo Babylon war erwacht. Anyas perplexer Blick fiel auf die Uhr im Gang neben dem Fenster, aus dem sie ironischerweise ebenjenen Turm mit eigenen Augen sehen konnte. Die Uhrzeit: Punkt 12.

 

~-~-~

 

„Hast du das gesehen!?“

Abby und Nick hatten sich nur schwerlich von dem schaurigen Anblick lösen können, der sich ihnen auf dem Weg zur Polizeistation geboten hatte. Doch nun hatten sie es geschafft und ebenjene betreten.

„Ja hab ich, Abby“, antwortete Nick.

Doch schon im Empfangsraum wurde klar, dass sie auch gleich wieder umdrehen konnten. Am Tresen diskutierten zwei Polizisten in blauen Uniformen hitzig, während eine Gruppe weiterer an ihnen vorbei nach draußen rannte.

Im rechts neben ihnen liegenden Wartebereich tummelten sich Menschen, die ebenfalls von einer Beamtin – die, die Anya abgeführt hatte – beruhigt werden mussten.

„Das kann ja heiter werden“, gab sich Nick frustriert beim Anblick der meuternden Menge, die von der Polizistin kaum unter Kontrolle gehalten werden konnte.
 

Zusammen schritten sie eilig auf den Tresen zu. Doch ehe auch nur einer von beiden ihr Anliegen vorbringen konnte, wurden sie harsch von dem glatzköpfigen Polizisten abgewiesen, der mit seinem Kollegen argumentierte.

„Bitte geht in den Wartebereich, ihr seht doch, dass hier die Hölle los ist!“

„Aber-“

Der andere, ein schlaksiger Blonder, schnitt Abby das Wort ab. „Wir kümmern uns um euch, aber im Moment steht das Telefon nicht still. Die Leute sind ganz aufregt!“

„Danke, Captain Obvious“, erwiderte Nick ärgerlich. „Uns ist egal, was da draußen los ist! Ihr habt unsere Freundin eingesperrt, obwohl sie nichts getan hat!“

„Ihr meint Bauer? Pah! Das kleine Flittchen sitzt jetzt schön in der Zelle“, erwiderte der Blonde garstig. „Die seht ihr so schnell nicht wieder. Und jetzt verschwindet!“

„Du-!“

Doch Abby hielt Nick am Arm fest, ehe er über den Tresen hinweg zuschlagen konnte. „Nicht! Das macht alles nur noch schlimmer!“

„Du willst 'ne Prügelei anzetteln, huh!?“, erwiderte der Deputy boshaft. „Willst wohl gleich mit in die Zelle, was!? Joe, hilf-“

„Lass den Unsinn, für so etwas haben wir keine Zeit!“ Der Glatzkopf machte eine verscheuchende Bewegung. „Für heute belassen wir es dabei, aber wenn ihr eure Freundin besuchen wollt, kommt zu einem ruhigeren Zeitpunkt wieder!“

„Er hat recht“, murmelte Abby und zog den wütenden Nick ein Stück weg, welcher nicht davon ablassen konnte, mit dem blonden Polizisten hasserfüllte Blicke auszutauschen.

 

„Was machen wir jetzt?“, fragte sie leicht panisch im Anschluss, als sie sich eine ruhige Ecke neben der Eingangstür gesucht hatten, welche von ein paar Palmentöpfen flankiert war.

„So kommen wir nicht weiter“, murmelte er, immer noch mit Blick auf dem Tresen. „Deswegen machen wir es kurz und schmerzlos. Dass hier das blanke Chaos los ist, kommt uns gerade recht. Die müssen hier irgendwo die Schlüssel haben. Mehr brauchen wir nicht.“

„Okay“, nickte Abby und rückte ihre Brille zurecht. „Aber wo sind die? Und wie kommen wir an die ran?“

„Du lenkst sie ab, während ich mich am Tresen vorbei in die hinteren Räumlichkeiten schleiche. Irgendwo dort sind auch die Zellen. Ich wette, die meisten Cops sind zurzeit unterwegs, weswegen hier alles chronisch unterbesetzt sein dürfte.“

Abby packte ihn am Arm. „Bist du verrückt!? Wie soll ich das machen, hier sind viel zu viele Leute! Und was, wenn dich einer dabei erwischt!?“

„Das Risiko müssen wir eingehen! Und du bist doch eine Sirene, oder nicht? Lass dir was einfallen. Und jetzt komm!“

Ohne sich auf weitere Proteste einzulassen, zog Nick das Mädchen mit sich. Ihm war klar, wie dumm dieser Plan war, aber sich etwas Besseres einfallen zu lassen würde zu lange dauern!

 

~-~-~

 

„Mum …“

Anya betrachtete ihre zitternde Hand, welche sie vor sich ausstreckte. Sie hatte keine Ahnung, warum sie all das gesehen hatte, zweifelte jedoch nicht daran, dass dies wirklich geschehen war. Der Turm, den sie durch das Fenster sehen konnte, war Beweis genug.

„Levrier, ist Mum in Ordnung? Was war das?“

Doch er würde nicht antworten, soviel wusste Anya mittlerweile. Etwas war mit ihm geschehen. Vielleicht dasselbe wie mit Joan, die einfach verschwunden war. Woher sollte jemand wie sie wissen, wie man solche Dinge einzuschätzen hatte?

Eden. An allem war nur dieses Ding schuld! Wieso war es da, was wollte Levrier damit erreichen? War es wirklich ein Tor, wie Redfield gesagt hatte? Wenn ja, wo führte es hin?

Aber all das interessierte Anya nicht. Sie wollte nur wissen, ob es ihrer Mutter gut ging! Wenn sie doch wenigstens telefonieren könnte!
 

„Anya!“

Das Mädchen schreckte von ihren Gedanken auf. Schritte hallten vom Gang, der die Zellen miteinander verband, zu ihr. Und die Stimme, sie kannte sie nur zu gut.

Sofort sprang Anya auf, verließ ihre Ecke und rannte an das Gitter. Kaum ein paar Sekunden später standen sie vor ihr: Abby und Nick.

„Anya, wir holen dich da raus!“, strahlte ihre Freundin und präsentierte den Zellenschlüssel.

„Wie habt ihr-!?“ Die Blondine konnte ihr Glück kaum fassen.

„Ich dachte schon, wir müssen sonst was anstellen, um an die Schlüssel zu bekommen“, meinte Abby und ging herüber zur Tür. „Aber letztlich ist im Wartesaal eine Panik ausgebrochen, weshalb wir uns unbemerkt an den Polizisten vorbei stehlen konnten.“

„Hehe, ja“, gluckste Nick, „ich hab sogar in das Büro von diesem Idioten gepinkelt, um dich zu rächen.“

Anya blinzelte verdutzt. „Hä?“

„Vergiss ihn, er macht bloß Witze.“ Abby warf einen bösen Blick auf Nick. „Du weißt, er hat's ja nicht so mit der Wahrheit.“

„Hol den Anya-Muffin da raus. Ich hab Hunger. Aber guck mal“, er drehte Anya den Rücken zu, an dem ein Rucksack hing. „Wir haben deinen Kram zurückerobert. Und deine Duel Disk haben wir dir auch mitgebracht. Zur Aufmunterung.“

„D-danke. Habt ihr“, begann die Blondine zögerlich und stellte sich Abby gegenüber vor die Tür, um endlich diese verdammte Zelle verlassen zu können. „Habt ihr das gesehen? Was draußen passiert ist?“

„Ja.“ Mit traurigem Blick schob das Hippiemädchen den Schlüssel ins Schloss. „Es war-“
 

„Keine Bewegung!“

Die Drei wirbelten erschrocken herum.

Anya konnte es aufgrund der anliegenden Zellenwände nicht genau sehen, aber auf dem schmalen Gang standen plötzlich die beiden Beamten vom Tresen. Mit gezückten Waffen.

„Wusst' ich's doch!“, sagte der schlaksige Blonde triumphierend. „Ich hab doch gesagt, ich hab zwei Ratten gesehen, die sich hier herumgeschlichen haben! Wollt eurer kleinen Freundin wohl beim Ausbruch helfen, was?“

„W-wir können das erklären“, stammelte Abby panisch.

Anya fühlte, als würde sich in ihrem Magen ein schwarzes Loch öffnen. „Was ist da los!?“

„Geht von der Zelle weg, ihr zwei! Los!“

„Aber-!“

Der Blonde schnauzte: „Los!“

„Nein! Das können wir nicht!“, entgegnete Abby plötzlich mutig und trat einen Schritt vor. Sie nahm ihre Brille ab, schloss ihre Augen und öffnete sie sogleich wieder. Die Iriden hatten sich rosa verfärbt, während sich ihr Haar mit einem Schlag alle Farbe verlor. „Sie werden jetzt gehen, alle beide. Und vergessen, was Sie hier gesehen haben! Bitte!“

Beide starrten die Sirene gebannt an.

Und auf Anyas Gesicht breitete sich ein gehässiges Grinsen aus. Die Sirenenkräfte! Damit würden diese Typen alles tun, was sie sagte. Genau wie Nick, vermied sie es, ihre Freundin jetzt direkt anzusehen.

„Puh, das war knapp“, meinte Abby und drehte sich wieder der Tür zu. „Ohne diese Krä-“

Ein lauter Knall ertönte.

„Abby!“, kreischte Anya aufgelöst, als ihre Freundin wie eine Puppe in sich zusammenbrach. Sie zwänge ihre Hand durch die Gitterstäbe, doch ihre Freundin lag am Boden und rührte sich nicht. „Abby!“

 

~-~-~

 

Der Sammler trat direkt an das brennende Auto heran, ohne Angst vor dem Feuer. Sein Blick lag dabei auf der dunkelblonden Frau, die durch die Wucht der Energiesäule über den Gartenzaun hinweg auf das Grundstück der Familie Bauer geschleudert worden war. Sie lag auf dem Rücken und direkt neben ihr eine kleine, schwarze Gestalt.

„Du hast sie gerettet“, meinte der rothaarige Brite tonlos und ging einfach an dem brennenden Wagen vorbei, betrat das Grundstück mit einer Lässigkeit, als wäre er zum Kaffee eingeladen worden.

„Aber was unsere Kundin angeht“, murmelte er dabei weiter und trat direkt an die beiden regungslosen Körper. Dann bückte er sich und las das schwarze Knäuel auf. „Hast du als mein Diener versagt, Orion. Ich mache dir aber keinen Vorwurf.“

Damit verschwand er schlagartig von der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte.

Kurz darauf schlug Anyas Mutter, die komplett mit Ruß beschmiert war, stöhnend die Augen auf.

 

~-~-~

 

Anya ging in die Knie. „Abby … !“

Nick hatte sie in den Arm genommen und presste hilflos seine Hand auf die Wunde an ihrer Schulter, aus der eine Menge Blut sickerte. „Halt durch!“

„Was ist das!?“, wollte der Blonde derweil aufgeregt von seinem glatzköpfigen Kollegen wissen. „Für einen Moment, da habe ich-! Als wäre ich-!“

„Ich weiß es nicht!“, erwiderte der ebenso hysterisch. „Sie muss ein Monster sein! Es ist, als hätte sich unter uns ein Höllenschlund geöffnet! Erst diese Lichter in der Stadt, jetzt dieses-“

„Was machen wir mit ihr!? Sie ist noch nicht tot!“

„Lasst ihre Finger von ihr, ihr dreckigen- ARGH!“ Anya war mit einem Satz aufgesprungen und rüttelte heftig an den Gitterstangen, sich dabei nur allzu bewusst, dass dies nichts brachte. „Warum habt ihr geschossen, ihr Dreckskerle!? Sie hat euch doch nichts getan!“

„Halt den Mund, Bauer!“ Der Blonde war zu ihr getreten und hielt ihr die Waffe direkt vor die Nase. „Sonst bist du die nächste!“

Einem Reflex nachgebend, wich das Mädchen zurück. „Elender-!“

Doch sie kam gar nicht weiter, denn plötzlich richtete der Polizist seine Waffe auf Abby.

„Lass das!“, befahl ihm sein Kollege aufgebracht. „Du kannst sie doch nicht-!“

„Was, wenn sie -das- wieder macht!?“, meinte der andere hysterisch. „Wir sollten sie erledigen! Sie ist ein Monster!“

 

Derweil schlug Abby die Augen auf und sah direkt in Nicks Gesicht, der neben ihr kniete und sie festhielt. „Tut mir leid …“

„Sag nichts!“, befahl ihr der mit wackliger Stimme. „Du musst dich nicht entschuldigen! Alles wird gut, so schlimm ist die Wunde nicht!“

„Ich dachte, ich kann sie kontrollieren, meine Kräfte.“ Abbys Augen hatten wieder ihre gewöhnliche Farbe angenommen. Genau wie ihr Haar. „Aber wie es aussieht, habe ich mich geirrt. Vielleicht kann ich niemanden verführen, weil ich nur ein Halbblut bin? Das ist … mir peinlich …“

„Abby, ich sagte doch, du-“

„Am Ende war ich wirklich nutzlos.“ Sie drehte ihren Kopf von ihm weg. „Zu denken, dass ich vorhin noch mit diesen Kräften vor dir angegeben habe. Das ist mir wirklich peinlich.“

Sie schloss daraufhin die Augen. Den Schmerz in ihrer Schulter nahm sie kaum wahr, sie fühlte sich einfach nur benommen. Müde.

 

Es erinnerte sie an die Zeit, als ihre Eltern noch gelebt hatten. Damals, als sie noch ein kleines Kind war, hatte ihre Mutter ihr immer etwas vorgesungen, wenn sie nicht einschlafen konnte. Und danach war sie immer müde gewesen, weggenickt, genau wie jetzt. Dieses Lied war schön gewesen, doch leider hörte sie es nur noch verschwommen, die Erinnerungen daran waren schon nahezu verblasst.

Auch hatte ihre Mutter ihr einmal etwas über dieses Lied erzählt. An die Details erinnerte sich Abby nur noch sehr vage. Es solle wohl alles Böse von einem fern halten und wenn sie, Abby, große Angst hatte, solle sie dieses Lied singen und alles würde gut werden.

Als sie sich daran erinnerte, wurde auch die Musik klarer, sie erinnerte sich wieder an die Melodie.
 

Und sie hatte doch Angst. Angst davor, was jetzt mit ihr geschehen würde. Mit Anya und Nick. Jeden Moment würde vermutlich ein weiterer Knall durch die Polizeistation gehen und dann würde sie in der Dunkelheit versinken.

Abby begann, das Lied zu summen, so gut es ging. Ihre Mutter hatte auch einen Text dazu gehabt, keinen englischen, sondern eine andere Sprache.

Plötzlich wunderte sich Abby. Mit Sprachen kannte sie sich gut aus, aber die Wörter dieses Liedes hatte sie noch nie gehört. An ein paar erinnerte sie sich noch.

Jene brachte sie in dem Lied unter, das sie zu singen begann. Es war lückenhaft, aber Abby spürte, wie sie allein der Klang der Melodie beruhigte. Wörter, an die sie sich nicht mehr erinnerte, ersetzte sie durch andere Kreationen ihrer Fantasie.

„Abby! Abby! Hör nicht auf zu singen!“, drang Nicks Stimme an ihr Ohr.

Das Mädchen dachte auch nicht daran. Der Rhythmus war so schön, so beruhigend, dass sie gar nicht anders konnte, als mit ihm zu gehen. Ihn immer wieder aufs Neue anzustimmen.

Dennoch öffnete sie die Augen und sah Nick an, doch sein Blick war geradeaus gerichtet. Jenem folgte sie und sah die zwei Polizisten, wie sie auf der Stelle verharrten. Ihre Dienstwaffen lagen dabei auf dem Boden. Wie gebannt sahen sie Abby an, rührten sich nicht von der Stelle.

„Ich glaube, das ist …“

Auch Anya von der anderen Seite der Zelle sah die Polizisten verstört an. „Das ist ein … Sirenenlied? Abby, woher kannst du das!?“

Doch ihre Freundin wagte nicht, darauf zu antworten, denn das würde das Lied unterbrechen. Plötzlich wusste Abby auch, was sie da sang. Ihre Mutter hatte es immer „La fina kanto“ genannt, das letzte Lied. Jetzt realisierte Abby es, denn ihre leibliche Mutter war eine Sirene gewesen – es war die ultimative Technik ihrer Art, das letzte Lied. Dazu gedacht, alles in der näheren Umgebung in eine Traumwelt zu schicken. In einer Sprache, die zwar spanisch anmutete, doch andere Ursprünge hatte.

 

Langsam richtete sie sich auf, ohne dabei mit dem Singen aufzuhören. Dabei hielt sie sich die blutende Schulter und wurde sofort von Nick abgestützt.

„Wieso sind wir nicht betroffen?“, fragte Anya, als beide sich ihr zuwendeten, damit Nick die Tür aufschließen konnte.

„Hehe, weil wir nicht auf Abbys Blacklist stehen“, gluckste Nick, um Anya dadurch verständlich zu machen, dass Abbys Lied wohl nur diejenigen betraf, die sie als Feinde betrachtete. Jene nickte dazu unsicher.

Kaum war Anya endlich frei, sammelte sie Abbys Brille auf und setzte sie der Freundin auf. „Danke, Masters! Ich schulde dir was!“

Ihr Blick wanderte herüber zu den beiden Polizisten, die mittlerweile zusammengesackt waren und träge an der nächstgelegenen Zellenwand beziehungsweise der Außenwand lehnten. Zornig krempelte sie die Ärmel ihrer Lederjacke hoch, doch Nick griff ihren Arm. „Wir müssen doch in den Turm und in Edens Arsch treten, Anya-Muffin!“

„Kch!“

Zusammen schritten sie an den beiden Beamten vorbei, doch nicht, ohne dass Anya den Blonden anspuckte.

„Ich schwöre dir, wenn dieser Kackmist vorbei ist, werde ich dich wenn nötig bis ans Ende der Welt verfolgen, damit ich deinen verdammten Schädel skalpieren und anschließend als Bowlingkugel verwenden kann! Mistkerl!“, sprachs und setzte einen Tritt nach, der direkt in die Weichteile ging. Doch außer einem Zucken war dem Blonden nichts zu entlocken.

Und während Abby weitersang, lächelte sie dabei.

 

~-~-~

 

Matt parkte den Wagen, als er am Straßenrand Valerie und Marc entdeckte, die den etwa vierhundert Meter entfernten, gewaltigen Turm fassungslos betrachteten.

Von dem Schulgelände war nichts mehr übrig geblieben. Nur noch die Einzelteile der Gebäude, die hier und da unter der dunklen Erde hervortraten, erinnerten an die Livington High. Bisher waren Polizei und Feuerwehr noch nicht hier gewesen, um alles abzusperren. Aber lange würde es nicht mehr dauern, dachte Matt nervös und stieg zusammen mit Alastair aus.

 

Sieh dir das Ding an. Man sollte meinen, sein Erbauer hätte gewisse Komplexe hinsichtlich seiner unteren Körperregion. Was soll das überhaupt sein, ein Leuchtturm? … oh verdammt, jetzt hab ich einen Ohrwurm von dieser deutschen Sängerin. Wie hieß sie doch gleich? Lena?

 

Der Dämonenjäger ignorierte Another gekonnt und schritt herüber zu den beiden Wartenden, die ihm schon entgegen kamen. Hinter ihnen endete die Straße abrupt und ging in Verwüstung über.

„Damit hätte ich nie gerechnet“, sprudelte es sofort aus Marc hinaus. „Ich hoffe nur, dass niemand auf dem Campus war, als er aufgetaucht ist.“

„Wenn ja … sind sie jetzt vermutlich tot“, murmelte Valerie betrübt.

„Habt ihr den Sprengstoff?“, hakte Marc weiter nach.

Matt nickte. „Ja. Alles, was wir jetzt noch brauchen, sind unser Stargast und Henrys Schwester. Hat einer von euch was von den beiden gehört?“

Doch das Pärchen schüttelte nur synchron den Kopf.

Matt schlug sich die Hand vor den Kopf. „Großartig! Anya sollte keine Zeit verlieren! Es heißt, der Turm würde bei Sonnenaufgang wieder verschwinden …“

„Oh, glaub mir“, meinte Valerie und ihr Blick wurde deutlich nervöser, „wie ich Anya einschätze, ist sie schon ganz scharf darauf, ihn zu betreten. Und sei's nur, um ihn in die Luft zu jagen.“

 

~-~-~

 

Abby presste die Lippen fest aufeinander, als sie von Nick und Anya gestützt die Polizeistation verließ. Auf der Straße angelangt, befreite sie sich von den beiden und legte ihre Hand auf die Schusswunde an ihrer Schulter. Der Schmerz machte sich jetzt deutlich bemerkbar, da sie nicht mehr sang.

„Was hast du da gemacht?“, fragte Anya in einer Mischung von Faszination und Skepsis.

„Das war … 'La fina kanto'“, antwortete ihre Freundin, deren Stimme von dem Gesang schon ganz heiser war. Doch es war ihr im Endeffekt gelungen, sämtliche Anwesenden auf der Polizeistation in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen. Aber jetzt war ihre Kraft erschöpft.

Torkelnd stieß Abby an Nick, der sie behutsam an sich zog. „Die stärkste Sirenentechnik. Zumindest glaube ich, dass es so ist. Meine Mutter hatte sie mir immer als Lied vorgetragen, damit ich einschlafen konnte. Dass ich mich ausgerechnet heute daran erinnere, muss wohl Schicksal sein.“

„Von mir aus. Wichtiger ist, dass wir dich jetzt ins Krankenhaus bringen!“

„Dann trennen sich unsere Wege jetzt, Anya“, meinte Abby betrübt und zeigte mit dem Finger in Richtung des Turms. „Tut mir leid, dass ich dich nicht dorthin begleiten kann …“

„Schon okay, ich werde auch so klarkommen …“

 

Anya sah nun auch in die Richtung des Turms von Neo Babylon und musste innerlich schlucken.

Es war, als wäre die ganze Stadt gefangen in der dicken, tiefgrauen Wolkenschicht. Über ihnen flimmerte das gewaltige Pentagramm, in dessen Mitte sich die Turmspitze befand.

Und auch, wenn Anya Abby ungern alleine ließ, war sie froh, dass es am Ende nur ein Durchschuss durch die Schulter war, der sie verletzt hatte. Sie würde durchkommen, das stand außer Frage.

Außerdem … war es das Beste, wenn sie ihr nicht in den Turm folgte. Denn Anya wusste nicht, wie ihre Freundin reagieren würde, sobald die Wahrheit um ihre Absichten ans Licht kam. Eine Wahrheit, die nicht mehr zu ändern war.

 

„Harper, du gehst mit Masters. Und wehe, ich komme zurück und es fehlt ihr auch nur ein Haar!“

Auf die Anweisung hin blinzelte Nick einen Moment verdutzt, ehe er breit grinste. „Ich werde persönlich für ihr Wohlbefinden sorgen, hehe.“

„Denk nicht mal dran!“, fauchte Anya, die schon wieder Zweideutigkeiten witterte.

„Wirst du das wirklich packen?“, fragte Abby traurig, doch Anya wandte ihnen beiden schon den Rücken zu. Dabei hob sie ihren Arm und streckte ihren Daumen aus.

„Klaro. Eine Anya Bauer versagt nie. Also dann, bis nachher, Leute!“

Damit rannte sie einfach über die Straße in die Richtung des Turms, ließ Abby und Nick allein zurück.

 

„Sie ist eben nicht der Typ für lange Abschiede“, meinte Letzterer trocken, nachdem das Mädchen außer Sichtweite war. Dabei legte er seinen Arm um Abbys Hüfte und schultere den ihren.

„Ich hoffe, sie tut nichts, was sie am Ende bereut …“

„Was das angeht, hatte Anya nie die Wahl. Irgendwann musste selbst ich das einsehen, oder denkst du, ich hätte sie sonst gehen lassen? Und lieber sie als Eden, als … ganz allein.“

„Nick“, schluchzte Abby plötzlich, „ich will nicht, dass sie geht. S-sie ist die fieseste Person, die ich kenne … aber sie ist meine Freundin!“

Der junge Mann mit dem verstrubbelten, braunen Haar sah betrübt auf das Mädchen herab, welches den Blick von ihm abgewandt hatte und mit dem Finger hinter ihrer Brille im Auge nestelte.

„Ich bin vielleicht der Falsche, um so etwas zu sagen, aber … hoffen wir einfach auf ein Wunder.“

„J-ja.“

Sie stöhnte überrascht auf, als Nicks Griff sich festigte und er sich ruckartig mit ihr in Bewegung setzte. „Dann kümmern wir uns jetzt erstmal um dich. Und um meinen Zeh …“

„D-denk bloß nicht, dass ich dir für neulich schon verziehen habe! Das vorhin war nur ein Teil deiner Strafe!“

Nick lachte auf. „Jetzt färbt sie schon auf dich ab. Ich glaube, ich muss mir neue Freunde suchen, da wird man ja seines Lebens nicht mehr froh.“

Das gesagt, schleppte er das Mädchen den Bürgersteig entlang, mit dem weit entfernten Ziel Krankenhaus. In der Hoffnung, nur für dieses eine Mal in Punkto nicht existierender Wunder eines Besseren belehrt zu werden.

 

~-~-~

 

Nicht an sie denken, sagte sich Anya und rannte stur geradeaus. Durch enge Seitenstraßen, den Bürgersteig entlang, immer auf den Turm zu.

Sie durfte nicht mehr an die Menschen denken, die ihr etwas bedeuteten. Die waren jetzt fort und würden nie wieder kommen. Ihre Mutter war sogar tot! Es gab jetzt nur noch sie, Anya. Und die Wahl, für immer zu leiden oder dafür zu kämpfen, wenigstens einen angenehmen Tod zu sterben.

Und Anya versuchte ihr Gewissen damit zu beruhigen, dass die anderen an ihrer Stelle dasselbe tun würden. Keiner von denen war besser als sie!

„Levrier!“, rief sie in die Nacht hinein und blieb mitten in einer weiteren engen Seitenstraße stehen.

Von ihrem Paktpartner folgte jedoch wie schon zuvor keine Reaktion.

Was Anya nur umso nervöser machte. Nur er wusste, wie es im Turm weitergehen würde. Er hatte mal etwas von einem Ritual gesagt, aber wie sollte das aussehen? Warum war er weg?

Irgendetwas stimmte da nicht! Er konnte doch unmöglich …

Anya betrachtete das Mal an ihrem Arm. Es war noch dasselbe schwarze Kreuz in einem Dornenring, das sie vor ungefähr zwei Monaten in der Aula erhalten hatte. Nicht ausgewaschen, verblasst, sondern klar und deutlich. Levrier war nicht tot. Wenn selbst Redfields Mal noch aktiv war, obwohl Joan jetzt vermutlich in irgendeiner Gebärmutter finstere Pläne schmiedete, dann musste noch irgendeine Verbindung zwischen ihr und Levrier bestehen.

Könnte er schon im Turm sein und auf sie warten?

„Tch! Du bleibst echt bis zum Schluss eine Nervensäge, oder?“

Anya wusste, dass sie es noch früh genug herausfinden würde. Also rannte sie weiter.

„Wehe, ihr Pisser kriegt Muffensausen! Ich schwöre, dass ich euch blitzschnell finden und in den verdammten Turm schleifen werde!“, versuchte sie dabei, ihre Nervosität hinsichtlich der anderen zu überspielen. Von ihnen hing jetzt alles ab …

 

Etwa fünf Minuten später hatte Anya es geschafft.

Vor ihr endete die Straße abrupt und ging in braune Erde über. Häuser gab es direkt um die Schule herum nicht. Stattdessen gab es mal eine Straße, die sich wie ein Kreis um das Campusgelände gezogen hatte, doch diese war nun unter all dem Schutt verborgen. Dahinter erst begann das Wohngebiet.

Vorsichtig betrat Anya die zerstörte Fläche. Von ihrer Schule war tatsächlich nichts mehr übrig geblieben. Hier und da lagen ein paar Trümmer, an einer Stelle ragte einer der Pfosten des Südtores aus der dunklen Masse heraus.

Es bereitete Anya ein gewisses Gefühl von Genugtuung, dies zu sehen. Mit etwas Glück würde Mr. Bitterfield, der Direktor, einen Herzinfarkt erleiden, wenn er sah, was aus seinem ganzen Stolz geworden war. Zu dumm, dass sie das nicht mehr erfahren würde.

Anya wandte den Blick von ihrer näheren Umgebung ab und richtete ihn stattdessen auf den Turm, der sich knapp einen halben Kilometer von ihr entfernt wie ein Wolkenkratzer durch den Himmel bohrte. Aus der Ferne konnte sie keinen Eingang ausmachen. Lediglich leuchteten in regelmäßigen Abständen verschiedenfarbige Ringe am Turm auf, verdunkelten sich wieder und strahlten dann wieder Licht aus. Anya vermutete, dass dies die einzelnen Ebenen, die Stockwerke des Turms sein könnten. So abgedreht, wie der aufgetaucht war, wäre das gut denkbar.

 

Unschlüssig, was sie jetzt tun sollte und wo die anderen waren, rannte sie auf den Turm zu. Je näher sie ihm kam, desto schlimmer sah ihre Umgebung aus. Nun wurde deutlich, dass ihre Schule wie ein Stück Papier einfach auseinander gerissen worden war. Das halbe Dach der Unterstufe lag unweit von ihr im Sand.

Und während Anya sich dem Turm weiter näherte, fragte sie sich, wie lange es wohl dauern würde, all die Schäden zu beseitigen. Und eine neue Schule zu bauen. Aber noch viel wichtiger: wie würde man den Leuten erklären, was hier überhaupt geschehen war? Allerdings war Anya sich sicher, dass den Sesselpupsern im Weißen Haus schon etwas einfallen würde.
 

Letztlich hatte sie es geschafft und stand dem Turm nun auf wenigen Metern gegenüber. Allerdings konnte sie keinen Eingang ausmachen. Der musste sich wohl auf der gegenüberliegenden Seite befinden. Und während Anya das riesige Gebäude zu umkreisen begann, ließ sie es nicht aus den Augen.

Von Nahem wirkte es genauso bedrohlich wie aus der Ferne. Seine Außenwand bestand aus etlichen schwarzen Ziegelsteinen mit glatter Oberfläche. Fast wie Marmor. Abgesehen davon wurde dieses Bild nur am Ende jedes Stockwerkes durch die verschiedenfarbigen Ringe unterbrochen. Erst ganz oben, auf den letzten zwei oder drei Stockwerken – Anya konnte es selbst mit in dem Nacken gelegten Kopf nicht gut erkennen – ragten diese riesigen, ebenfalls pechschwarzen Arme aus dem Turm und hielten je ein Dutzend goldener Glocken an einer Art Bogen fest.

Am unheimlichsten war jedoch der Vollmond, der über dem Turm stand und ihn in silbernes Licht tauchte. Nur dort oben gab es nach wie vor keine grauen Wolken.

„Tch! Wehe dieses Teil hat keinen Aufzug!“, zischte Anya und setzte die Runde fort. Man konnte schließlich nicht von ihr erwarten, bis nach oben die Treppen zu benutzen!

 

„Anya!“

Das Mädchen sah wieder nach vorn. Selbst im Mondlicht war die Gestalt, die da auf sie zu gerannt kam, kaum auszumachen, aber an der Stimme hatte sie sie trotzdem erkannt.

„Hey, da ist ja unser Stargast“, scherzte Matt, als er ihr entgegen kam und atmete tief durch. Seine Stirn war schweißnass. Es machte den Eindruck, als wäre er seit Stunden über das Gelände gerannt.

„Hi“, erwiderte Anya etwas unschlüssig. „Was ist los? Ist die Narbenfresse abgehauen, oder warum siehst du aus wie ein Fettsack nach einem Marathon?“

„Ich habe nach Verletzten gesucht, wonach sieht es sonst aus? Um die Warterei zu überbrücken und mich nützlich zu machen“, erwiderte er nun beleidigt und kratzte sich am Kopf. „Aber scheinbar ist niemand hier gewesen, als es passiert ist.“

„Wie schade …“

Matt musste grinsen. „Irgendwie habe ich mit dieser Antwort gerechnet. Aber hey, ist auch egal, komm mit! Das solltest du dir unbedingt ansehen!“

Schon rannte er wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Schultern zuckend, folgte Anya ihm und musste innerlich aufatmen. Zwei hatte sie damit in der Tasche …
 

Kurz darauf kamen sie an der Frontseite des Turms an und Anya sah sofort, was Matt ihr zeigen wollte.

Dort war er, der Eingang. Und obwohl er im Vergleich zum Turm klein, ja regelrecht winzig anmutete, machte er doch einiges her. Von etwa zweieinhalb Metern Höhe, sah er im ersten Augenblick aus wie ein Torbogen, dessen Inneres mit einer Mosaikplatte ausgefüllt war. Anya erkannte sofort die leuchtenden Farben ihres Elysions wieder. Das saftige Grün, kräftige Braun und strahlende Meeresblau. Doch auch rote, gelbe, violette und weiße Teile waren im Tor vorhanden.

Der Unterschied zum Elysion bestand, neben der Form, jedoch darin, dass aus diesem Bild kein Sinn entnommen werden konnte. Zwar waren beide Hälften des Tores symmetrisch, doch ansonsten schienen die dreieckigen Mosaikteile wahllos aneinander gefügt worden sein. Ein Griff oder Schloss, ja irgendeine Möglichkeit, das Tor von außen zu öffnen, fehlte.

„Wie kitschig“, kommentierte Anya den Anblick garstig.

„Jop“, stimmte Matt ihr zu. „Wir haben versucht hinein zu kommen, aber scheinbar hat der Turmherr noch keinen Dienst. Die Flügel rühren sich keinen Millimeter, wenn man sie nach innen drückt.“
 

Anya jedoch hatte sich längst umgedreht und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie und Matt nicht alleine waren.

Da war Alastair, der auf einer von drei länglichen Kisten hockte und finster zu ihr herüber starrte. Vor ihm standen Marc und Valerie, Letztere hielt eine Taschenlampe in der Hand und leuchtete, scheinbar in ein Gespräch mit Marc verwickelt, auf die Aufschriften der Kisten. Die Warnung, jene mit Vorsicht zu behandeln, war in eindrucksvollem Rot darauf hinterlassen worden.

Das Grinsen auf Anyas Gesicht drohte über ihre Wangen hinaus zu schießen. Zumindest für einen Moment, bis sie erkannte, dass das Zeug tatsächlich eher ein Hindernis für sie darstellte.

„Cool, was? Ich denke, das Zeug dürfte reichen, um ein nettes Feuerwerk zu starten.“

Matt trat neben sie. Anya nickte nur stumm.

 

Wie sollte sie jetzt verhindern, dass der Sprengstoff im Turm gezündet wurde!?

Doch während der Dämonenjäger darüber lamentierte, woher er das Zeug hatte, kam Anya ein Geistesblitz. Um Eden zu vernichten, mussten sie das Herz zerstören – zumindest glaubten die anderen das. Wenn es ihr also gelang, mit ihnen bis zu diesem Kristallsaal zu gelangen und ihnen den Zünder für das Zeug abzunehmen, hatte sie gewonnen.

„... wir werden das Zeug erst auf dem Rückweg scharf machen“, erklärte Matt dabei. „Schließlich wollen wir auch lebend raus aus dem Turm. Fragt sich bloß, wo das Herz ist. Der Turm ist riesig, die Suche danach könnte Stunden dauern.“

„Oben im Kristallsaal, sagt Levrier“, meinte Anya abwesend. „Auf der Spitze des Turms oder so.“

Matt rümpfte die Nase. „Hätte ich mir denken können. Wozu sonst so ein riesiger Turm? Beziehungsweise, warum ist er überhaupt so riesig?“

„Keine Ahnung.“

 

Nun hatten auch Valerie und Marc Anya bemerkten und traten mit Alastair im Schlepptau auf die anderen beiden zu.

„Du hast es also geschafft“, ergriff Valerie das Wort und sah Anya nachforschend an. „Tut mir leid, aber ich konnte meinen Vater nicht erreichen. Wie bist du entkommen?“

„Das würde mich auch brennend interessieren“, wunderte sich Matt. „Wir waren schon fleißig am Pläne schmieden, wie wir dich aus der Zelle holen sollen. Was ist denn überhaupt passiert, dass sie abgeführt wurde?“

„Ich habe gerade Alastair alles erzählt“, antwortete die Schwarzhaarige ihm, „Anya wurde von Polizisten abgeführt, weil irgendjemand sie wegen Brandstiftung angezeigt hat. Wir waren gerade dabei, ihn dazu zu überreden-“

„Tch, ist jetzt auch egal. Ich bin ja jetzt hier“, raunte Anya und verschränkte missmutig die Arme. Dabei fügte sie gallig hinzu: „Anders als Pennerkind und Anhang.“

„Keine Ahnung wo die sind.“ Marc zuckte mit den Schultern. „Bisher sind wir ihnen nicht über den Weg gelaufen. Ein Anruf bei Mrs. Masters hat auch nichts gebracht, Henry war nicht bei Abby daheim. Zu dumm, dass wir keine Handynummer haben.“

„Selbst wenn, den beiden wird sicher die 'Veränderung' in der Stadt aufgefallen sein“, merkte Matt sarkastisch an. „Wir sollten ihnen noch einen Moment Zeit geben. Sicher sind sie schon unterwegs.“

„Dann würde ich vorschlagen, dass wir den Sprengstoff auspacken und in den Rucksäcken verteilen, die ihr mitgebracht habt.“ Valerie sah herüber zu den Kisten und legte einen Zeigefinger an die Unterlippe. „Die Kisten mitzunehmen wäre unsinnig, die könnten wir gar nicht hoch schleppen. Gut, dass ihr daran gedacht habt.“

Anya schnaufte leise. „Fein, machen wir das.“

 

Alsbald waren die Fünf damit beschäftigt, die Kisten zu öffnen und Sprengsatz um Sprengsatz vorsichtig in die sieben schwarzen Rucksäcke zu packen. Matt hatte gesagt, dass sie alle per Fernzündung funktionierten, dennoch warnte er davor, behutsam mit den Ladungen umzugehen.

Anya hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Es waren metallische Apparaturen, bestehend aus zwei Röhren und einem Display, das mit Drähten mit den Röhren verbunden war. Im Moment waren sie abgeschaltet, aber man musste kein Genie sein, um zu wissen, wie man sie aktivierte.

Neugierig drehte Anya eine der Apparaturen in der Hand herum. Für einen Moment erwog sie, die Sprengsätze zu manipulieren, aber verwarf diesen Gedanken schnell. Dazu müsste sie auch die vornehmen, die Valerie neben ihr in die Rucksäcke packte. Entweder alle oder keinen. Und außerdem … aber es war idiotisch, in so etwas noch Hoffnungen zu stecken. Für sie gab es keine mehr!

„Tch“, zischte sie und stopfte das Gerät schließlich frustriert in den Rucksack.

„Bist du nervös?“, fragte Valerie besorgt, die ihre Arbeit für einen Moment einstellte. Im Hintergrund öffneten Marc und Alastair die nächste Kiste. Matt indes hatte sich dazu bereiterklärt, etwaige Schaulustige fortzujagen und auf Polizei und Feuerwehr zu achten, ehe die sie entdeckten.

„Mir geht’s bestens, Redfield. Was ist mit dir? Schon Bammel?“ Anya sah sie bewusst nicht an.

„Ich müsste lügen, wenn ich das verneinen würde … weißt du, wohin das Tor führt, das dort oben ist? Eden? Orion wollte es mir nicht verraten.“

„Da muss ich passen“, schnaufte Anya und griff in die Kiste vor ihnen, setzte die Arbeit fort. „Bis vorhin wusste ich nicht mal, dass ich zu einem verdammten Tor werden soll. Ich meine, ein beschissenes Tor! Stell dir das mal vor, Redfield!“

Mit der Faust schlug Anya mit voller Wucht auf den Rand der Kiste, knirschte mit den Zähnen. „Ein beschissenes Tor …“

„Anya, ich werde dir sagen, wohin das Tor führen wird. Wenn wir damit fertig sind: nirgendwo hin. Also schmoll nicht, weil du nicht als Teufel inkarniert wirst. … was das angeht, bist du auch so auf bestem Wege dahin.“ Valerie kicherte leise.

„Bist du jetzt fertig mit deinen billigen Aufheiterungsversuchen!?“, fauchte Anya gereizt und stopfte den nächsten Apparat in den Rucksack, der damit voll war.

 

Etwa zehn Minuten später waren sie mit den Vorbereitungen fertig, doch von Henry und Melinda fehlte weiterhin jegliche Spur.

Die Fünf hatten sich vor dem Eingang zum Turm im Kreis aufgestellt, mit den sieben Rucksäcken in ihrer Mitte.

„Verdammte Gaffer, man sollte meinen, die haben nichts Besseres zu tun, als mitten in der Nacht eine Sightseeingtour zu betreiben“, beklagte sich Matt wütend. „Wo ist die Polizei, wenn man sie einmal braucht?“

Anya grinste diebisch und fuhr mit der Hand unter ihren Pferdeschwanz. „Im Land der Träume, sponsored by Abigail Masters.“

Auf die neugierigen Fragen der anderen hin schwieg das Mädchen jedoch genüsslich.

„Was nun?“, fragte Marc, der in der Zwischenzeit seine blauweiße Footballjacke über Valeries Schultern gelegt hatte. „Die beiden sind immer noch nicht da. Vielleicht kommen sie am Ende gar nicht?“

„Würde mich nicht wundern“, murmelte Anya und verzog die Augen zu Schlitzen, „und genau deshalb gehen wir jetzt da rein.“

Valerie zeigte sich davon ziemlich überrascht. „W-was? Jetzt schon?“

„Klar, Redfield. Die werden schon kommen“, gab sich die Blondine zuversichtlich, „sie müssen kommen, wenn sie vor Isfanel ihre Ruhe haben wollen. Ist der Turm weg, hat der keinen Grund mehr, die Schnöselkinder zu nerven.“

Matt nickte knapp. „Denke ich auch. Sie werden wissen, dass es das Beste für sie ist. Bleibt nur die Frage, ob Henry …

„Matt“, ermahnte Alastair seinen Partner, da dieser Stillschweigen über Henrys Begegnung mit dem Sammlerdämon bewahren wollte.

„Stimmt. Er wird es rechtzeitig hierher schaffen.“

„So penetrant wie er ist, ja“, raunte Anya und verschränkte die Arme, „und er weiß, dass das Herz von Eden nur mit vereinter Kraft sichtbar wird. Anstatt auf seine Majestät zu warten, sollten wir schon reingehen und alles vorbereiten. Umso schneller sind wir wieder draußen.“

Valerie schloss die Augen und dachte kurz darüber nach. „Ja, das ist eine gute Idee. So können wir auch die Lage im Turm klären. Der bleibt nur bis Sonnenaufgang, jede Minute ist kostbar.“

„Dann ist es jetzt entschieden!“ Anya, die mit dem Rücken zu dem Eingangstor stand, wirbelte herum und trat einen Schritt darauf zu. „Gehen wir da rein und rocken die Bude!“

„Yeah!“, riefen Marc, Matt und Valerie im Einklang. Nur Alastair fiel mit einem „Hmpf!“ heraus.

 

Und während die Rucksäcke an den Mann gebracht wurden, überlegte Anya, ob es die richtige Entscheidung war, nicht länger zu warten. Wenn die Schnöselkinder tatsächlich nicht kommen wollten, würden sie es auch nicht tun. Egal wie lange man auf sie wartete, sagte sie sich. Zumindest sah es ganz danach aus, sonst wären sie längst hier. Warum das Unvermeidliche noch länger hinauszögern?

Sie würde ihr Glück mit dem versuchen müssen, was ihr zur Verfügung stand. Diese Vier da.

 

„Seid ihr bereit?“, fragte Anya schließlich mit geschultertem Rucksack, bewaffnet mit ihrer Duel Disk am Arm. Genau wie Valerie und Marc. Matt und Alastair hatten bestimmt auch ihre D-Pads mit dabei, nur für den Fall. Obwohl Anya nicht verstehen konnte, warum sie keine fetten Wummen mitgebracht hatten.

Dabei leckte sie sich über die Lippen. Die alle gegen sie? Klang regelrecht verlockend.

„Auf zum großen Finale!“, rief sie schließlich verheißungsvoll und trat gegen die Tür. „Kümmel, öffne dich!“

„Anya“, stöhnte Valerie in belehrendem Tonfall und klatschte sich die Hand an die Stirn, „es heißt 'Sesam öffne dich'.“

Marc war ebenfalls etwas verloren im Bezug auf Anyas Art, den Turm betreten zu wollen. „Ich glaube nicht, dass du so reinkommst.“

„Bah, scheiß drauf, geh einfach auf!“, fauchte Anya und trat wild auf die Tür ein, die sich keinen Millimeter rührte.

„Vielleicht-“

Doch ehe Matt seinen Gedanken vortragen konnte, begannen die Farben des Mosaiks allesamt grell zu leuchten. Die Fünf wurden geblendet von dem Licht und ehe Anya sich versah, steckte ihr Fuß plötzlich in einer wässrigen Oberfläche, zu welcher die Steine geworden waren, ohne dabei jedoch ihr Muster zu verlieren.

„Sag ich doch, das geht!“

Das gesagt, schritt das Mädchen mutig durch die Oberfläche und war kurzerhand verschwunden. Mit mulmigem Gefühl folgten die anderen ihr schließlich.

 

„Wow“, hallte Anyas Stimme schließlich vom Inneren des Turms, „so habe ich mir das nicht vorgestellt. Seltsamer Ort.“

Vor ihr erstreckte sich eine riesige Säule aus grellem, weißgoldenem Licht. Anya legte den Kopf in den Nacken, doch vermochte dadurch nicht, bis zu ihrem Ende hinauf zu sehen. Wie auch, wenn der Turm so verdammt hoch war!?

„Also kein Fahrstuhl für dich, Anya“, kommentierte Matt den Anblick, als er mit den anderen neben jener angekommen war. „Was ist das?“

„Eden?“, überlegte Valerie unsicher.

„Sieht eher aus wie eine Energiequelle oder so etwas“, mutmaßte Marc, der wie Alastair zwei Rucksäcke geschultert hatte und drehte sich um. Hinter ihm war das Tor wieder normal geworden, nicht mehr wie die Oberfläche eines Sees aus Farben. „Ich hoffe, wir kommen hier auch wieder raus.“

„Darüber machen wir uns später Gedanken! Ich glaube, wir müssen die da nehmen, wenn wir hoch wollen“, meinte Anya genervt und zeigte auf eine Treppe, die sich links von ihnen erstreckte. Sie lag direkt an der Innenwand des Turms und verlief wie eine Spirale immer weiter nach oben. Ein verschnörkeltes Geländer aus purem Gold sollte verhindern, dass man auf seinem Weg in die Tiefe fiel.

„Hört zu“, begann Matt schließlich damit, Anweisungen zu geben. Er trat neben Anya und zeigte auf die Treppen. „Wir werden die Sprengsätze regelmäßig an den Wänden anbringen, aber sparsam, der Weg nach oben ist lang. Scharf machen sollten wir sie aber erst auf dem Rückweg. Ich will nicht riskieren, dass sie gezündet werden, bevor der Letzte diesen verdammten Turm verlassen hat.“

Anya grinste zufrieden, denn das hieß: sie musste nur verhindern, dass es einen Rückweg gab. Was kein Problem werden würde. „Klingt gut, Chef.“
 

Schließlich begann die Gruppe damit, vorsichtig die Treppe zu betreten. Sie bot festen Halt, obschon sie nicht sonderlich breit war. Der schwarze Marmor, aus dem sie bestand, war sauber, als wäre noch nie zuvor jemand hier gewesen.

Anya, die die Gruppe anführte, ging ein wenig voraus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber außer der Treppe gab es nichts. Keine Stockwerke, wie sie anfangs vermutet hatte. Während die anderen damit beschäftigt waren, die Sprengsätze anzubringen, schritt Anya unermüdlich voran.

Es kam ihr wie Stunden vor, wie sie Stufe um Stufe nahm und doch nicht wusste, wann ein Ende in Sicht war. Jedoch bemerkte sie, dass die Distanz zwischen dieser gewaltigen Energiesäule und der Treppe langsam geringer wurde. Das grelle Licht der Säule sorgte dafür, dass ihr Schatten zu bedrohlicher Größe gewachsen war und sie wie eine geisterhafte Gestalt verfolgte.

Die Blondine überlegte, wozu dieses Ding wohl dienen mochte. Als Stützpfeiler? Oder tatsächlich als Energiequelle für Eden, wie Marc vermutete? Egal, sie würde es sicher herausfinden, ob sie wollte oder nicht.

„Anya“, hörte sie von weit unten Matt rufen, „geh nicht zu weit voraus, du weißt nicht, was dich dort erwartet.“

„Ja ja“, rümpfte die die Nase und beugte sich über das Geländer. Doch die anderen befanden sich hinter der Säule, sodass sie nicht sagen konnte, wie viel Vorsprung sie schon hatte. „Wie sieht es aus?“

„Den ersten Abschnitt haben wir jetzt abgedeckt. Fragt sich nur, wie viel noch folgen …“

 

Und so ging das Spiel weiter. Mit der Zeit fing auch Anya an, ihren Rucksack zu leeren. Je höher sie kamen, desto mehr zehrte der Turm an ihren Kräften. Allmählich geschah sogar, was Matt ursprünglich vermeiden wollte: der Sprengstoff wurde knapp. Irgendwann hielt Anya plötzlich inne.

„Die Decke! Ich kann sie sehen!“

„Ernsthaft?“, hallte Valeries Stimme zu ihr hinauf. „Endlich!“

Die Energiesäule verschwand einfach in einer pechschwarzen Wand. Die letzten Sprengsätze, die sie noch hatte, sparsam verteilend, eilte Anya die Stufen hinauf und gelangte schließlich an einer Falltür an, die das Ende der Treppe darstellte. Wie das Eingangstor, war auch sie aus bunten Mosaikteilen gemacht und ähnelte im Endeffekt mehr einer Glasscheibe.

Anya starrte sie unruhig an.

„Sieht aus, als wären wir endlich oben.“

Erschrocken wirbelte die junge Frau herum, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

„Mach dir keine Sorgen, alles wird gut“, versuchte Marc sie aufzumuntern.

„J-ja.“

In diesem Moment erkannte Anya, dass sie ihm wohl noch nie so nahe gewesen war. Sie konnte die feinen Stoppeln um sein Gesicht sehen, er war nicht rasiert. Unter den Augen lagen dunkle Schatten, doch er lächelte aufrichtig.

Und es berührte Anya nicht. Sein Anblick machte ihr nichts mehr aus. Umso besser.
 

Sich von ihm abwendend, wartete sie auf die anderen, ehe letztlich alle vor der Scheibe angelangt waren.

„Auf ins Gefecht“, meinte sie kämpferisch und schritt einfach durch das Mosaik hindurch, das wie schon zuvor am Eingang bei Kontakt eine flüssige Form annahm. Die anderen folgten ihr.

Und begannen zu staunen, als sie letztlich in dem Raum angekommen waren, den Levrier vor einiger Zeit Kristallsaal genannt hatte.
 

Denn das war er auch. Atemberaubend schön. Schlicht. Aber schön.

Er war von beeindruckender Größe, angelegt als Kuppel. Dies war die Spitze des Turms. Der Boden bestand aus einem blau-silbernen, von innen leuchtenden Material, wie der Rest des Raumes. In ihm spiegelten sich die Reflexionen der Gruppe, die sich sprachlos im Saal verteilten.

Hin und wieder ragten spitze Kristalle aus dem Boden, der Wand oder der Decke. Doch eine Einrichtung gab es nicht. Wenn man den prächtigen Thron außen vor ließ, der, ebenfalls ganz aus Kristall, am anderen Ende des Raums auf einem Treppenansatz zu finden war.
 

Anya schritt, von einem Impuls geleitet, auf ihn zu. Angekommen, streckte sie zögerlich die Hand aus. Sie betrachtete ihn nachdenklich, fuhr letztlich mit den Fingerspitzen über eine der Lehnen. Eiskalt. Sie zog erschrocken die Hand weg.

„Könnt ihr das hören?“, fragte Valerie plötzlich.

Marc, der neben ihr sein Spiegelbild an der Wand betrachtete, nickte. „Ja! Sind das Glocken?“

„Ist es das erste Mal, dass ihr sie hört?“, fragte Anya und drehte sich den anderen zu.

„Ja, ich glaube schon.“ Matt legte seinen Rucksack ab. „Scheint, als ob der Glöckner von Notre-Dame selbst um diese Uhrzeit Dienst hat. Aber egal. Hat noch jemand von euch etwas Zeug?“

Zur Verdeutlichung nickte er auf den Rucksack.

„Leider nicht“, antwortete Valerie und bekam von Marc und Alastair Zustimmung.

„Ich“, meldete sich Anya.

„Gut, dann würde ich vorschlagen, dass wir das restliche Zeug hier verteilen.“
 

Es platzte einfach aus ihr raus, denn noch länger hätte sie es nicht für sich behalten können. „Sorry, aber das geht nicht.“

Verdutzt von Anyas Antwort blinzelte Matt irritiert. „Was spricht dagegen?“

„Ich.“ Mit kaltem Blick sah Anya auf den Dämonenjäger hinab. „Planänderung: hier ist Endstation!“

„Ich wusste es!“, brüllte Alastair plötzlich, als ihm die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde. „Ich wusste, du würdest uns verraten! Das war eine Falle!“

„Anya, du-!?“ Valerie weitete die Augen. „Nach allem, was-! D-das muss ein Irrtum sein!“

„Das meinst du doch nicht ernst!“, widersprach auch Marc erschrocken. „Wir sind ein Team! Wir wollen dir doch helfen! Für solche Scherze ist jetzt keine Zeit!“

„Ich mache keine Witze, Butcher. Es gibt kein Entkommen mehr für euch.“ Das Mädchen erhob den Arm und deutete mit dem Finger herüber zu der Stelle, in der das Mosaik eingelassen war. Nur, dass ein solches dort gar nicht zu finden war. „Dieser Raum kann nur betreten, aber nicht wieder verlassen werden. Levrier hat mir mal ein wenig darüber erzählt. Von dem, was passiert ist, als er das letzte Mal hier war.“

Matt fiel fassungslos auf die Knie. „Du hast uns … die ganze Zeit …?“

„Was hätte ich tun sollen?“ Anya wandte traurig den Blick ab und legte ihre Hand wieder auf die Lehne. Die Kälte beruhigte sie, ihren immer wilder werdenden Herzschlag. Es war ihr einfach herausgerutscht, die Wahrheit. Als wolle sie endlich an die Oberfläche treten. „Es ist … nicht so, dass ich wollte, das das hier passiert. Aber es gab nie Hoffnung für mich. Und als ich gesehen habe, wie es ist, eingesperrt zu sein in einer Welt voller Leere – in der Lampe des Jinns – da konnte ich nicht anders.“

Valerie presste ihre Lippen aufeinander, ehe sie ihre Stimme erhob. „Ich habe an dich geglaubt! Ich dachte, du wärst anders, hättest dich geändert! Du … ich-!“

„Halt die Klappe, Redfield“, meinte die Blondine tonlos. „Ich bin jetzt Eden, nicht mehr eure … Freundin. Hass mich, so viel du willst.“

„Wir müssen hier raus!“, geriet Valerie langsam in Panik und suchte den Saal nach einer Fluchtmöglichkeit ab. „Wir müssen Henry warnen, damit er nicht-!“

Matt schrie regelrecht vor Wut und Enttäuschung. „Wie denn!? Er hat keine Ahnung-!“

 

„Nicht nötig.“

Die Fünf schauten überrascht auf, drehten sich zur Quelle der wohlbekannten Stimme.

Als Matt aus den Augenwinkeln erkannte, wer da im Begriff war, den Kristallsaal durch die von Innen nicht sichtbare Öffnung zu betreten, schrie er: „Nicht! Verschwinde, das ist eine Falle!“

Doch Henry, der über seinem weißen Hemd einen hellbraunen Trenchcoat trug, nahm unbeirrt die letzten Stufen, dicht gefolgt von Melinda. „Ich weiß. Deswegen bin ich gekommen, um euch hier rauszuholen. Dankt mir später.“

Anya weitete überrascht die Augen beim Anblick der beiden. „Du willst was!? V-vergiss es, Kumpel, aber hier ist Schluss!“

Damit waren endlich alle hier versammelt! Anyas Herz machte einen Hüpfer vor Glück. Das ging ja viel schneller als erwartet! Also stand das Pennerkind doch zu seinem Wort!

Nun blieb nur noch das Ritual …

Seelenruhig schlenderte Henry jedoch über den glatten Kristallboden und fixierte sich auf Anya. „Was du nicht sagst?“

„Tch, vergiss es! Ihr seid jetzt hier mit mir gefangen!“ Sie breitete weit die Arme aus. „Der Kristallsaal lässt keines seiner Opfer gehen! Das hat Levrier gesagt! Und der war schon mal hier drin!“

„Soll ich dir mal was sagen?“ Der brünette, blauäugige junge Mann stellte sich vor Matt und griff in die Tasche seines Trenchcoats. „Dein Auftritt war langweilig. Jemand so Verdorbenem wie dir hätte ich mehr Geschmack in Punkto Performance zugetraut. Aber du stellst dich einfach vor sie und sagst ihnen, was sie ohnehin längst wussten. Wobei ich mich schon frage, wie blind man sein muss, um eine so offensichtliche Wahrheit dennoch zu verdrängen.“

„W-wir wurden“, stammelte Valerie, die das so nicht stehen lassen wollte, senkte dann aber den Kopf. „Nein, du hast recht. Ich … wollte nur das Gute in ihr sehen. Mehr … nicht.“

„Tch!“, zischte Anya daraufhin. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Wie begann man dieses verflixte Ritual!?

Henry zückte ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und entzündete eine Flamme damit. „Aber lass mich dir etwas sagen, Anya. Du wirst in deinem letzten Moment allein sein. Du wirst hier alleine sterben.“

 

Mit einem Schwenk ließ er einen ganzen Flammenwall aus dem Feuerzeug frei, welcher neben Matt mitten in der Luft zum Stehen kam. Plötzlich formte sich daraus eine schlichte Holztür, die nun im Saal stand.

„Das ist unser Weg hinaus“, erklärte Henry dazu. „Den ich mit meinem Blut erkauft habe.“

„Lass uns gehen“, meinte die blasse und mitgenommen wirkende Melinda niedergeschlagen, drehte sich zu den anderen um. „Mit dieser Tür können wir den Turm verlassen. Macht euch keine Sorgen.“

„Nein!“, schrie Anya und machte einen Satz vorwärts. „Ihr könnt nicht-!“

Doch die anderen versammelten sich mit finsteren Gesichtsausdrücken hinter Henry, was Anya derart erschreckte, dass sie in ihrer Bewegung regelrecht einfror.

„Ich kann nicht glauben, dass du uns verraten hast“, sprach Matt leise und senkte den Blick, als er sich erhob, „ehrlich gesagt kann ich gar nicht glauben, was hier gerade abgeht. Aber … du hast mich wirklich enttäuscht, Anya.“

Valerie schluckte und trat neben ihn. „Du hast uns einfach ausgenutzt. Du wolltest uns opfern …“

„Und ich habe an dich geglaubt“, meinte Marc und legte seine Hände auf die Schultern seiner Verlobten. Seine Finger verkrampften sich förmlich in der blauweißen Jacke. „Hätte ich das gewusst, hätte ich dich damals nicht-“

„Dafür wirst du in der Hölle schmoren“, gab sich letztlich auch Alastair kalt und spuckte auf den Boden. „Schlangenzunge.“

„N-nein!“, schrie Anya und streckte den Arm aus. „Ihr könnt nicht gehen! Levrier, tu etwas! Gib mir Kraft, halt sie auf!“

„Levrier wird nicht kommen“, erstickte Henry ihre Hoffnungen jedoch im Keim. Die Hand des Mädchens senkte sich. „Er wird nie wieder kommen. Du bist jetzt Levrier, Anya.“
 

Sie sank auf die Knie.

„Der Gründer und du, ihr seid jetzt eins. Aber seine Kräfte wirst du dadurch nicht erlangen“, meinte Henry, ehe er ihr den Rücken zuwendete. „Das ist der Preis der Unsterblichkeit – so hat es zumindest ein gewisser Dämon, den du selbst schon getroffen hast, ausgedrückt. Ich kapiere es selbst nicht so ganz, aber du bist jetzt machtlos, Anya. Dein Plan ist nicht aufgegangen. Leb' damit. Oder auch nicht.“

Tränen rannen über die Wangen der Blondine, als sie zitternd eine Hand nach den anderen ausstreckte. „B-bitte! I-ihr dürft nicht gehen!“

„Und warum?“, fragte Henry schneidend.

„In meiner Situation hättet ihr dasselbe getan!“, verteidigte sich Anya verzweifelt. „Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte!“

„Wirklich?“ Matt schloss die Augen. „Das sehe ich aber anders. Verdammt, Anya! Ist dir nicht klar, was du hier tun wolltest!?“

„Vergleiche uns nicht mit dir!“, schrie Valerie wütend.

Anya biss sich auf die Lippen, als die Tränen nur so aus ihr herausquollen. „N-nein! Bitte! Ich- Ich-!“

„Was!?“, wurde nun auch Henry laut. „Was!? Was willst du!?“

„Ich will leben!“

 

Doch die Hand von Henry lag bereits auf der Klinke der Tür, die sich vor ihm mitten im Saal erstreckte. „Pech für dich: wir auch.“

Bevor er jedoch daran ziehen konnte, hielt Matt sein Handgelenk fest.

„Was ist?“

„Wie können sie hier nicht einfach alleine lassen …“

„Du machst wohl Witze!?“, schrie Valerie auf. „Sie-!“

Matt ließ den Kopf hängen und sah dabei herüber zu dem Mädchen, das wie ein Häufchen Elend vor dem Thron lag. „Sie hat recht. Was hätten wir an ihrer Stelle getan? Es ist so leicht, auf andere herabzusehen, sie für ihre Taten zu verurteilen. Aber nur, weil wir nicht diejenigen sind, die diese Entscheidungen treffen mussten.“
 

Er wusste, wie es war, als Täter behandelt zu werden. Selbst wenn er damit nur seine Schwester deckte, wusste er, wie sich die Verachtung anderer anfühlte. Und obwohl sein Fall mit Anyas nicht zu vergleichen war, wollte er es nicht dabei belassen.

Sie mussten doch wenigstens versuchen, eine andere Lösung zu finden! Das hatten sie die ganze Zeit, warum nicht jetzt!?

 

„Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst“, beklagte sich Henry und riss sich von dem Dämonenjäger los. „Heißt das, du bist trotz allem auf ihrer Seite!? Obwohl sie dich tot sehen wollte!?“

„Sie hat uns Freunde genannt …“ Matt straffte sich nun und sah Henry erhobenen Hauptes an. „Und Freunden hilft man, selbst wenn sie Scheiße gebaut haben!“

Marc sah das anders. „Aber ein Freund würde nie so etwas tun! Sie ist nicht unsere Freundin-!“

„Weil wir ihr nie eine Chance gegeben haben“, meinte Valerie bedrückt und sah ebenfalls zu Anya herüber. „Sie ist das Produkt unserer Fehler. Hätten wir besser auf sie Acht gegeben, wäre es nie hierzu gekommen. I-ich … kann nicht sagen, dass … ich ihr deshalb verzeihe. Aber … ein guter Mensch … hilft anderen in Not doch, oder?“

Dabei dachte sie an Joan und ihren letzten Wunsch. Sicher hätte jene Anya in dieser Situation beigestanden.

„Aber wie!? Wie sollen wir ihr helfen!?“, klagte Henry, der nicht mit Widerspruch gerechnet hatte und fuchtelte wild mit den Händen. „Ihr seid doch verrückt! Ich reiße mir den Arsch für euch auf und ihr-!“

„Henry, hör ihnen wenigstens zu“, bat Melinda neben ihm.

„Nein! Ich will das nicht verstehen! Wie stellt ihr euch das vor!? Sollen wir einfach an Gottes Tür klopfen und ihn um einen Gefallen bitten!? Pah!“

Matt legte die Hand an die Stirn. Er hatte tierisch Kopfschmerzen. „Wir könnten mit dem Plan weitermachen? Den Turm-“
 

„Nein …“

Die anderen drehten sich überrascht um, als sie Anyas Stimme vernahmen. Die hatte sich aufgerafft und torkelte rückwärts auf den Thron zu.

„Vergisst es. Das mit dem Herz von Eden ist alles nur erfunden …“

Das Mädchen legte ihre Hand über das Gesicht und stöhnte.

„Es ist vorbei. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Nicht für mich und nicht für euch. Hört auf, euch einzureden, dass ihr mich retten wollt! Ihr hasst mich! Also verschwindet!“

Matt stammelte überrascht: „Anya!? Wieso-!?“

Das Mädchen ließ sich auf den Thron fallen. Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. In ihm stand aufrichtige Reue geschrieben.

„Tut mir leid, dass ich euch hier hineingezogen habe. Ich hätte es besser wissen müssen. Geht, solange ihr noch könnt. Ich dachte, ich kann das durchziehen, aber …“ Sie nahm die Hand von ihrem Gesicht und grinste frech. „... ich bin halt die geborene Versagerin. Ich kann … meine Freunde nicht opfern. Ich weiß ja nicht mal -wie- das funktionieren soll. Tch, einfach lächerlich …“

„Was sagst du da!?“ Matt trat ein paar Schritte vor. „Eben erst-!? Ich versteh das nicht!“

„Geht endlich, ihr Idioten!“, schrie das Mädchen, deren Stimme durch den Kristallsaal hallte. Tränen rannen ihre Wangen hinab. Also war es in ihrem Fall Endstation Limbus. Anya versuchte sich damit zu trösten, dass niemand wusste, wie der Limbus wirklich aussah, wenn nie jemand daraus zurückgekehrt war. Vielleicht … gab es ihn gar nicht?

Aber sie hatte Angst. Fürchterliche Angst davor, allein zu sein. Aber lieber im Limbus ohne Schuldgefühle, als mit Blut an ihren Händen zu Eden zu werden. Denn letztlich … entschied immer noch sie, zu was sie wurde und zu was nicht! Sie, Anya Bauer!

„Haut ab, bevor es euch kriegt! Macht endlich, bevor ich es mir anders überlege! Ihr könnt mich nicht retten, also rettet euch wenigstens selber, ihr gehirnamputierten Dummschwätzer!“

 

Ihre Stimme ging jedoch unter dem plötzlichen Dröhnen von Glockenklang unter. Alle Anwesenden legten sich vor Schmerz die Hände auf die Ohren, selbst Anya. Sie alle pressten die Lider zusammen, als würde das den Effekt lindern, was es jedoch nicht tat.

Einer nach dem anderen begann zu schreien, denn der Lärm trieb sie regelrecht in den Wahnsinn.

Wie Fliegen fielen sie um. Erst Valerie, dann Marc, gefolgt von Melinda, Alastair und Henry.

„Was ist das!?“, ächzte Matt, der die Augen öffnete und erschrak. In ihnen spiegelte sich pures, goldenes Licht wieder.

Anya saß schlaff auf dem Stuhl, so als würde sie nur schlafen. Der Kopf angelehnt an die Schulter, die Hände auf den Lehnen. Doch hinter ihr, hinter ihr war-!

Bevor Matt begreifen konnte, was er sah, kippte auch er um und ging im endlosen Nichts verloren.

Unter dem Klang zerbarst sogar die Tür, die Henrys Feuerzeug geschaffen hatte. Die Holzsplitter schossen über die regungslosen Körper hinweg und lösten sich in kleinen Flammen auf.
 

Und da lagen sie, sieben Menschen im Kristallsaal des Turms von Neo Babylon, als das Glockengeläute endlich verstummte. An seiner Statt war ein neues, viel leiseres, regelmäßig erklingendes Geräusch getreten, wie eine tickende Uhr, doch viel ruckartiger und tiefer.

„Urgh“, erklang schließlich eine Stimme, schleifende Geräusche vermengten sich mit dem unheilvollen Ticken. Ein Schatten erhob sich inmitten der Bewusstlosen. „Hah …“

Der Umriss eines Fußes sauste auf das Feuerzeug herab, das neben Henry lag. Ein lauter Knall verkündete, dass jenes nicht länger funktionieren würde.

„Eden … endlich bist du hier …“

 

 

Turn 32 – Puppetmaster

Das Tor Edens steht kurz davor, geöffnet zu werden. Ein letzter Hoffnungsschimmer verbindet die Gefangenen des Turmes miteinander. Ein Schuss. Zwei Feinde verbünden sich widerwillig, um sich ihren Widersachern in den Weg zu stellen. Und der teuflische Plan kommt endlich ans Licht …

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-05-30T19:47:56+00:00 30.05.2017 21:47
Hi
Super Kapitel, Abby hat es einfach drauf, aber das einige Leute bei so einer Katastrophe noch gaffen müssen ist echt das letzte.
Ich bin von Matt echt beeindruckt, dass er immer noch zu Anya hält und auch Valerie geht noch in die Richtung.
Ich kann es gar nicht abwarten, wie es weiter geht.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
01.06.2017 18:29
Hey,
vielen Dank. Solche Gaffer gibt es zuhauf, leider. Besonders schlimm ist es, wenn sie noch Rettungswege etc. versperren.
Matt ist eben einfach naiv und Valerie zu gutmütig. Aber das haben sie nun davon.

LG,
-Aska-


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