Neue Welt von DasMaKi (Spuren der Zeit) ================================================================================ Prolog: Nummer eins ------------------- „Wo bin ich...wo war ich?... Ich erinnere mich nicht mehr,.. wie ich hier her gekommen bin... Was ist das für ein Ort? Bin ich am Schlafen? Nein. Ich bin wach... und doch am Träumen. Oder? Hat man mich...entführt?“ Er ging weiter, humpelnd, zog das rechte Bein leicht hinterher und atmete schwer. Es war dunkel und roch nach Qualm und Tod, entfernt brodelte ein rotes Feuer... Kapitel 1: -1- -------------- Funkelnde Sterne, der Himmel schwarz. Der große, helle Vollmond zeigte sich weit oben. Das Gras noch nass von der Regennacht zuvor. Stille. Weiter schritt sie über das feuchte Gras hinweg in die Richtung des dunkleren, bizarren, doch zugleich Interesse weckenden Waldes. Obgleich des strahlenden Mondes konnte sie aufgrund der Dichte des Waldes kaum die eigene Hand vor Augen sehen. Dunkelheit drängte sich dazwischen. Nach mehr und mehr Schritten tiefer hinein konnte sie vor sich immer klarer sehen. Weit voraus machte sich zwischen den Bäumen das Licht des am Himmel schwebenden Balls erkennbar. Eine Lichtung zeigte sich ihr und ein leises Knacken der Äste ertönte bei fast jedem ihrer Schritte auf ihnen. Noch kleine Tropfen, die von den Bäumen fielen und an ihr hängen blieben. Barfuß, nur mit Hemd und Hose bekleidet, wanderte sie durch diese Welt. Hinter und neben ihr waren die Bäume wie Häuser hochgewachsen. Noch im Dunkeln, die Lichtung nicht betretend, lauschte sie dem, was sich vor ihr abspielte. Wer war dieses Wesen am anderen Ende der Lichtung? Starrte es sie etwa an? Wie angezogen von einem unsichtbaren Magneten bewegte sie sich auf die Lichtung zu, betrat diese schließlich, spürte die Wärme, die allein nur das Mondlicht von sich warf. Das Wesen stand noch immer an dem Ende der Lichtung, dort, wo der Schatten wieder begann. Ein Rascheln. Knisternde Büsche. Sie drehte sich herum. Hier war also noch etwas, das sie zu beobachten schien. Als wäre dieses Wesen ihr gegenüber im Schatten nicht schon genug gewesen. Mit einem Mal stand es etwa fünf Meter näher…und doch, als hätte es sich gar nicht bewegt. Alles schien so irreal. Ebenfalls in der Lichtung stehend erkannte sie nun, was sich ihr näherte. Es sah aus, wie ein kleiner Mann, nicht größer als einen Meter und vierzig Zentimeter. Sowie dessen Kleidung als auch der Mann selbst waren dunkel, fast schwarz, nicht jedoch ein Braunton, wie es bei Menschen bekannt ist, sondern schien fast als Schatten selbst, dessen Augen einen mit einem Blitzen ungeheuer anstarrten. -Was war das? Wieder konnte sie hören, wie sich hinter ihr im Wald etwas bewegte. Auch an ihren Seiten wurde es immer lauter, mehr Bewegung, mehr Rascheln und Knistern…auch eine Art Kichern war inzwischen bemerkbar. Einen Blick nach links – am Ende der Lichtung stand auf einmal ein weiteres kleines Wesen. Rechts – überall kamen mit einem Mal schattenähnliche Gestalten aus dem Wald und beobachteten sie, sie war umzingelt. Wieder wandte sie sich hektisch nach vorn und – der kleine Mann stand auf einmal wieder etwa sechs Meter näher an ihr. Der vorher friedlich und sogleich mysteriös scheinende Wald war erfüllt von einem hämischen Gekicher, ein durch und durch boswilliges Kichern, das wahrscheinlich von den vielen Wesen stammte. Ein breites Grinsen, kleine, schmale Augen, zeigten sich auf den schwarzen Fratzen. Ihr Grinsen…das machte nicht das Gefühl von Freundschaft oder Freude. Dieses Grinsen hatte etwas Bedrohliches, Angsteinflößendes, und Unheimliches. Es fühlte sich an, als sei alles Geschehnis hineingestopft in nur wenige Sekunden. Blitzschnell bewegten sich diese dunklen, grinsenden Schatten auf sie zu, das Kichern wurde zum lauten Dröhnen, wie teleportiert sprangen sie hin und her, näher in ihre Richtung, umzingelt von ihnen drehte sie sich zu allen Seiten, hatte jedoch keinen Ausweg. Sie wollte rennen, doch es funktionierte nicht, gleich wie eine unsichtbare Wand, die sie aufhalten würde. Und als wäre sie auf einem Mal unter Wasser. All ihre Bewegungen im Vergleich zu denen der Männer liefen langsamer und gebremst.. Sie standen schon direkt vor ihr und wollten doch noch weiter voran, diese Gesichter…dieses Gesicht, das jeder dieser Wesen trug, brannte sich in ihr Gehirn, drängte sich ihr immer weiter vor Augen, bis eines ihr ganzes Blickfeld eroberte. Schnell riss Jounia die Augen auf und bemerkte ihr eigenes, noch sehr hektisches Atmen. Es war also alles nur ein Traum.. Kapitel 2: -1|2- ---------------- Mit müden Bewegungen rieb sie sich den restlichen Schlaf aus den Augen und suchte mit der Hand anschließend nach ihrem Wecker, um auf die Uhr zu schauen. Zeit, aufzustehen. Langsam erhob sie ihren Körper, einige schokoladenbraunen Haarsträhnen klebten verschwitzt an ihrem Kopf. Jounia setzte sich hin und ließ ihre Gedanken noch ein wenig beim Traum schweifen, den sie hatte… Ein Haufen kleiner, schelmisch grinsender Wesen, deren boshaftes Lächeln, das einen fesselte und was auch immer sie tun wollte, konnte sich nicht rühren und nicht fliehen. Wie aus eines ihrer alten Bücher, oder einige ihrer tiefsten Ängste gesammelt für diesen einen Traum, so schien es. Inzwischen stand sie auf, nahm einige Sachen aus dem Schrank und bewegte sich in das Badezimmer gegenüber des Flures. Das war in dieser Nacht ein sehr ungewöhnlicher Traum… Hieß es nicht stets, man würde beim Schlafen das am jeweiligen Tag Erlebte verarbeiten? Wahrscheinlich war ihre letzte Geschichte wieder so realistisch, dass ihre Fantasie ihr mal einen Streich spielen wollte... Etliche kleine Kreaturen, die sich ihr blitzschnell näherten, lachend, als hätten sie durch und durch böse Absichten. Was sollte ihr dieser Traum sagen? Weder erlebte sie jemals eine ähnliche Situation, noch wünschte sie sich eine dieser. Und was soll es für eine Angst sein, symbolisch von Zwergen verfolgt und ausgelacht zu werden? Es gab Situationen, in denen sie andere Mitmenschen bedauerte, dafür, nur in der verarmten Realität zu leben. Momente wie dieser allerdings ließen Jounia, wenn auch nur für einen Bruchteil eines Augenschlags, ihre Fantasie verdammen. Wie man es auch drehte, es hatte doch keinen richtigen Sinn gemacht. Darüber hinaus war es schließlich nicht das erste Mal, dass sie etwas suspektes geträumt hatte. Nach einigen Minuten verließ sie das Badezimmer, frisch gewaschen, angezogen. Es war mitten im Juni an einem Freitag und seit einer gefühlten Ewigkeit wieder einmal der Hauch von Sommer. Bevor sie also diese Zeit zu nutzen wagte, setzte sie sich noch ein wenig in die Küche. Für gewöhnlich hielt Jounia stets einen relativ langen Schlaf, allerdings hatte sie sich dieses eine Mal vorgenommen, jeden Tag etwas eher aufzustehen, um auch etwas von ihm haben zu können, vom Sommer. Bereits seit fast drei Jahren blieb der heiße Sommer aus, denn die höchstens ein-zwei Wochen im Jahr, an denen man sich trauen konnte, kurze Hose und Hemden zu tragen, waren für sie kein richtiger. Eine knappe Stunde nachdem sie das Bett verlassen hatte, verließ sie auch das Haus, während die Sonne des Vormittags weit oben ihre Pracht zum Vorschein brachte und die Umgebung sowohl schwitzen als auch strahlen ließ. Kapitel 3: -1|3- ---------------- Draußen angekommen musste sie noch ihr Fahrrad von seinem Schloss befreien, das Gott sei Dank im Schatten stand und demnach noch nicht zu heiß geworden ist. Sie wollte sich mit mehreren Freunden treffen, um mit ihnen durch die Welt zu fahren. Sie lebten am Rande einer Großstadt. Eine Art ärmeres Städtchen… Viele Äcker und Felder, aber größer als ein Dorf, schöne Landwege und Wälder, um Fahrrad zu fahren, allerdings gab es auch Viertel nicht weit von ihr, zu denen Jounia sich nicht hinzugehen traute. Viertel, in denen man die Menschen geradewegs verarmen roch. Man versuchte, den Schein einer schönen Stadt zu wahren, jedoch wussten die Einwohner bestens darüber Bescheid, was sich hinter den gestrichenen Fassaden abspielte.. Die Armut wurde durch die Nachtwachen, welche täglich ihre Kreise zogen, bestens verschleiert für die oberen Stände, die es nicht sehen wollten. Neben diesen gab es außerdem auch ein kleines Tal unten am Stadtrand, in dem auch für kleinere Kinder ein schöner Spielplatz gebaut wurde. Er war zwar schon etwas älter, trotzdem funktionierten die Spielgeräte und durch das Vernachlässigen des Mähens gab es auch im ganzen Tal hochgewachsenes Gras und Wildblumen in den verschiedensten Farben mit den verschiedensten Namen, von denen Jounia keinen einzigen kannte. Mit ihrer Freundin gab sie ihnen die Namen, die am ehesten zu deren Antlitz passte. Sonnenfunk, Liebesblatt, Dornenauge... Dieses Tal war der Ort, an dem sie sich treffen wollten. Der Hinweg war ja ganz einfach, denn zum Tal hin musste sie bergab… An vielen Straßen und Wegen vorbei, endlich im Tal angekommen bei einer Wiese am Eingang eines Waldes. Ein fröhliches Lächeln begrüßte sie dort bereits. Zwischen Wiese und Weg stand ihre langjährige Freundin Anna mit ihrem Fahrrad und wartete auf sie und die Restlichen, die noch kommen würden. Anna war achtzehn Jahre jung, nur einige Monate älter als sie. Von ihrem Schopfe herab hing bis zum Ansatz der Brust ihr zur Seite geflochtener Zopf strohblondgetönter Haare und ihr Pony, der ihr im Normalfall bis zu den Augen reichte, wurde ebenfalls zur Seite gesteckt. An ihren Augenbrauen erkannte man ihre normalerweise rotbraunen Haare, jedoch standen ihr die blonden ebenso gut. Die Farbe Grün erfüllte ihre Augen und sie trug ein dunkelblaues Hemd über einer blauen kurzen Jeanshose. Jounia hingegen ließ ihre schokoladenbraunen Haare offen hinunter hängen, welche schon bis knapp unter die Brust reichten. Einen Pony trug sie nicht, da sie es sich nicht getraut hat, ihn zu schneiden aus Angst, es könne ihr hinterher nicht gefallen, vielmehr war es ein Seitenscheitel, der die Frisur in ihrem Haar ausmachte. Ihre Augen waren dunkelbraun und auch ihr Teint schien dunkler als der Annas. Das Oberteil strahlte mit einem bräunlich-beigen Erdton eine Wärme aus, wie auch bei Anna bestückt mit einem Ausschnitt für den Ansatz der Oberweite, während Jounias abgeschnittene, verfranzte Hose ein dunkles Schwarz hatte. „Hey,“ kam es schließlich aus Anna heraus. „Na, wie geht’s dir so?“ Sie stieg neben ihr von ihrem Rad hinab. „Gut und dir?“ „Auch… von den anderen hast du noch nichts gehört?“ Anna schüttelte leicht den Kopf, „aber die müssten eigentlich auch jetzt gleich hier sein.“ Währenddessen stellten die beiden ihre Räder zur Seite und machten es sich auf der Wiese bequem. „Wie lange hast du schon hier gewartet?“ „Drei Minuten vielleicht.. Ich kam auch gerade erst.“ Jounia nickte nur sachte als Verständigung. „Ist das mit heute Abend noch in Ordnung?“ Anna lächelte ein wenig, zuckte aber gleichzeitig mit ihren Schultern, „naja… ich hatte mich vertan, meine Eltern sind erst nächstes Wochenende weg, aber ich hab mit ihnen geredet, es wird wohl alles klappen.“ – „Ach so okay. Naja macht ja nichts, wir stellen ja schon nichts Schlimmes an,“ lächelte sie ihr zu, als in diesem Moment das Geräusch von auf Sand, Kieselsteinen und Ästen fahrenden Rädern erklang. Etwa fünfzig Meter entfernt erblickten sie schließlich die „Restlichen“, die sich mit zwei Rucksäcken auf dem Rücken näherten. Ardjan, Luca und Philipp waren ebenfalls schon seit einer Weile mit den Mädchen befreundet. Letztes Jahr allerdings bestand die Freundesgruppe noch aus Sechs, bis Louisa sich ihnen abspaltete, als sie mit ihrem Partner zusammen gekommen ist und Kontakt mit seinen Freunden aufnahm, die im Gegensatz zu den anderen bereits arbeiten gingen oder auf der Straße gelandet sind. Es war nicht ihre Abwesenheit, welche die Anderen am meisten störte, sondern die Ungewissheit darüber, welche Geschichten unserer Vergangenheit sie mit ihren neuen Freunden teilen würde. Natürlich war auch sie eine jahrelange Freundin, jedoch wird man in einer solchen Situation, in der sich die Freundin ganz von einem abkapselt, schon etwas stutzig. Wahrscheinlich dachte sie gar nicht mehr an Jounia und die Anderen. Ohne Louisa allerdings merkte die Gruppe, wie ihnen etwas fehlte, versuchten allerdings, nicht an sie zu denken. Nachdem auch die drei Jungs ihre Fahrräder zu unseren stellten, schmiss Luca seinen Rucksack ebenfalls auf den Boden, während Philipp vier Flaschen in unsere Mitte warf. So in etwa war dies in ihrem Kreis öfter, ein gemeinsames Zusammensparen für die Flaschen, welche sie bei einem von ihnen so lang verstauten. Bevor sie wie abgemacht eine Radtour machten, trafen sie sich an der Wiese, setzten sich, um über alles Mögliche zu philosophieren, um oft auch zu beschließen, gar nicht mehr fahren zu wollen… „Na ihr zwei, wie geht’s?“, fragte Luca, nahm sich eine der Flaschen und öffnete sie mit einem Flaschenöffner, den er aus seiner Tasche genommen hatte. „Ganz gut,“ Anna ließ sich nach hinten fallen, legte sich in das grüne Gras. Jounia nickte und tat das Selbe, „gibt es irgendwas Neues?“ „Nicht wirklich,“ kam es aus allen drei jungen Männern heraus, die sich währenddessen niederließen, ob sitzend oder liegend und sich entspannten. Auf der Wiese, den Blick aufwärts gerichtet zum Himmel, konnte man die Augen kaum öffnen, so erhob sich die Sonne direkt über ihren Köpfen in der Mittagshitze. Die Strahlen stachen einem in die Augen und waren sogleich erfüllt von lieblicher Wärme und Geborgenheit. Jounia durfte dem kleinen Fluss lauschen, der einige Meter von ihnen entfernt durch Steine und Äste plätscherte, den verschiedenen Vogelarten, die sich in den Baumkronen tummelten und sangen, weiches, grünes Gras unter sich spüren, als läge sie auf einer Wolke, den Moment genießen, der sie wünschen ließ, es sei wenigstens einige Zeit lang die Ewigkeit… Kapitel 4: -1|4- ---------------- Die Stimmen der Anderen rissen sie wie erwartet vom Schwärmen in die Wirklichkeit zurück. „Nicht träumen, Jounia,“ sprach Ardjan, schubste ihre angewinkelten Knie kurz zur Seite. „Ja, ist ja gut,“ lachte diese kurz auf und setzte sich wieder hin. Auch Anna hatte sich zuvor wieder aufgerichtet und zu fünft vollendeten sie ihren Kreis auf dem frisch duftenden Gras. Normalerweise sah Jounias Mutter es nie gern, wenn sie auch nur die kleinste Menge an Alkohol zu sich nahm. Besonders nicht an einem sonst normalen Tag. Jedoch glaubte sie nicht, dass sie diese eine Flasche kühles Bier in der Gesellschaft der besten Freunde, unter Augen der scheinenden Sonne und des endlosen Himmels, Stunden später zu Hause noch wahrnehmen könnten. Es war etwas, das sich einen frei und unabhängig fühlen ließ, worauf sie daher nicht verzichten wollte. Nicht in der Welt der Bewachung und Planung. In einer Stadt, in der alles perfekt erscheinen muss für das Wohlergehen der Erhabenen. Luca öffnete ihr die Flasche. „Aahhh!“ schrie Anna auf einem Mal auf und war voll mit dem Inhalt ihrer Flasche überschüttet. Philipp hatte an ihrem Arm gewackelt, als sie versuchte, aus ihr zu trinken und keiner konnte mehr ein Lachen unterdrücken. Während auch Philipp sie nur angrinste, stellte sie ihre fast leere Flasche auf den Boden und stand auf, langsam, denn trotz der in der Luft liegenden Wärme, fing sie leicht an zu frieren, nachdem sie den Moment der lediglichen Erfrischung sehr schnell erreicht hatte. Als sie ihren Blick erhob, wusste Philipp Bescheid, sprang auf und wartete lachend und gespannt auf Annas Reaktion. In diesem Augenblick griff sie sich seinen Schlüssel, der beim Aufstehen aus seiner Hosentasche gefallen war, holte aus und warf ihn über die Fahrräder, über den braunen Weg hinweg in den Wald. Ein sowohl verdutzter als auch geschockter Blick erstreckte sich über sein Gesicht. Zunächst verstummte er verwundert, doch unter dem Lachen der anderen konnte auch er sich sein Schmunzeln kaum mehr verkneifen. „Die holst du aber,“ stieß Philipp kurz aus. „Denkst du wohl. Du bist selbst Schuld, wenn du mich voll schüttest.“ Ardjan, den Philipp kurz beobachtete, gab ihm ebenfalls nicht die gewünschte Reaktion von einem Rechtgeben, vielmehr machte er sich ein wenig über Philipp lustig und zuckte nur mit den Schultern, als hätte er sagen wollen Tja Kleiner, das hast du dir leider selbst eingebrockt! „Ist ja gut… aber komm wenigstens mit suchen,“ lächelte er Anna schließlich an, sie nickte. „Kommt ihr auch mit?“ Philipp warf den anderen einen fragenden Blick zu, woraufhin auch diese aufstanden, um ihm zu helfen. Als Philipp und Anna vorausgingen, Luca und Ardjan hinterher, sah Jounia noch einmal hinauf. Von der grünen Wiese aus in Richtung Wald, von dem Gras auf der Erde bis hinauf in die Baumkronen, obgleich man das Ende nicht ganz erkennen konnte, da die Sonne einem die Sicht verblendete. Gemeinsam liefen sie in den Wald hinein, nicht weit, um den weggeworfenen Schlüssel zu finden. Sie waren umgeben von Nadelbäumen, an denen noch Harz klebte, in welchem sich viele Insekten verfingen und hängenblieben bis zu ihrem Dahinscheiden. Tiere, die unsere Wege in ihr Revier, den Wald, haargenau verfolgten und sich nicht hinaus trauten, bis die Gruppe wieder hinausgehen würde, die Erde und die heruntergefallenen Nadeln der Bäume auf dieser wurden durch die sich zum Himmel streckenden Bäumen verdunkelt und waren doch noch hell aufgrund der gelben Sonne. Ein kurzer Blick Richtung aufwärts. Sie glitzerte durch die Baumkronen herab, fast schien es, als wäre Feenstaub droben, welcher durch die Luft schweben würde, gleichsam wie in Märchen, in denen er auch die Zeugen dessen zum Fliegen heben könne. „Ich habe grade voll das Déjà-vu,“ schoss es auf einmal aus Jounia heraus, als sie an ihrem Bein ein wenig feuchtes Gras spüren konnte, das wahrscheinlich noch nicht trocknen konnte, da die Sonne es nicht erreichte. Es fählte sich beinah an, wie in ihrem Traum. Ardjan, Philipp, Anna und Luca drehten sich um, die einen lächelten, die anderen verzogen ihre Mimik nur etwas verwirrt. „Warum das denn?“ lachte Anna kurz auf, während Philipp nur verunsichert fragte, was dies sein solle. „Na ich habe irgendwie das Gefühl, das hier schon einmal erlebt zu haben,“ entgegnete Jounia ihn. Ein kurzer Schlag auf seinen Hinterkopf, ausgeführt vom Ältesten, ließ die Unterhaltung wieder etwas auflockern, nachdem alle durch sie einen Moment still standen. „Ich glaube ich hab ihn!“ schrie Anna erfreut, bis sie merkte, dass es nur ein Tannen-zapfen war, den die Sonne beschien, „okay... doch nicht…“ Sie wrang ihr Hemd am Bauch kurz aus, viele Tropfen vom Bier fielen nicht mehr hinaus, jedoch sah man noch den großen Fleck der Flüssigkeit auf ihm. Sie sah Jounia kurz an, lächelte sachte: „Irgendwie ist das inzwischen mehr erfrischend als kalt…und bei dem Wetter trocknet das bestimmt ganz schnell.“ Ihre Freundin nickte. „Mensch, Anna,“ fing Philipp jammernd an, „wenn ich den Schlüssel nicht finde, ist das wirklich schlecht, da ist auch der Wohnungsschlüssel dran. Du hättest mich doch einfach auch nass machen können, statt meinen Schlüssel weg zu werfen.“ „Das war mir aber zu unkreativ!“ Wie es sich gehörte, hielten die Mädchen zusammen und lachten beide leise über diese Antwort, im Wissen jedoch, dass es wohl noch nicht ruhig genug war, um es für Philipp überhörbar zu machen. Doch selbst er musste über diese Situation kurz schmunzeln. Luca schob mit seinem Fuß etwas Erde zur Seite, um ein glänzendes Etwas erkennen zu können. „Ich hab ihn!“ Er hob den gefundenen Schlüsselbund auf und streckte ihn sichtbar für alle anderen in die Luft. Die Erleichterung war deutlich in Philipps Antlitz erkennbar und Anna lächelte ihn teils frech und belustigt, teils beschämt an, beinahe Schuld am Verschwinden dessen gewesen zu sein. Luca warf ihm den Schlüssel zu, Philipp fing ihn direkt und packte ihn wieder in seine Hosentasche zurück. Gemeinsam bewegten wir sich die fünf Freunde wieder in Richtung Waldausgang. Dabei legte Philipp kurz seinen Arm um Anna, drückte sie lachend an sich und ließ sie wieder los. Mit langsamen Schritten – es war erst kurz nach Eins und sie hatten die Zeit – gingen sie wieder zurück zum vorigen Platz und stellten mit Enttäuschung fest, dass auch die restlichen Flaschen umgefallen waren. „Na toll..,“ wich es aus Ardjan. Luca klopfte ihm auf die Schulter und hob seine Flasche auf: „ Ach, meine ist zumindest nicht vollkommen leer und wir haben ja noch viele dabei.“ Auch die anderen erhoben ihre Flaschen in der Hoffnung, es sei noch etwas drin. Nur Anna hat durch den Streich Philipps eine neue Flasche gebraucht, da ihre völlig geleert war. „Aber das Geld…“ murmelte Ardjan, beschwerte sich jedoch nicht weiter. Nach ungefähr einer halben Stunde stiegen sie schließlich doch noch auf die Räder und fuhren ein Stück durch den Wald. „Ein Wunder, dass wir dieses Mal wirklich losfahren, “ rief Luca, der letzte in der schmalen Fahrerreihe, von hinten nach vorn. „Irgendwann müssen wir das ja mal machen!“ antwortete ihm Ardjan, beide mühselig atmend wegen der Steigung des Waldwegs. Kapitel 5: -1|5- ---------------- Es vergingen knapp zwei Stunden Fahrradfahren über den abwechselnd bergab – bergauf führenden Waldweg. Der Weg, verlegt mit zahlreichen beim Darüberfahren knackenden Ästen und kleinen Steinen, war erfüllt vom Duft der Bäume und vom Harz, das an ihnen klebte. Erschöpft auf der anderen Seite des Berges angekommen, an einem kleinen Fluss, zogen alle die Schuhe aus, setzten sich an diesen und tranken die letzten Biere aus. Bis die Sonne am Horizont zu verschwinden begann und ein flammendes Farbenspiel im Himmel zeigte, blieben sie sitzen, erzählten sich Geschichten und lachten. Viel zu spät erst brachen sie wieder auf, um nach Hause zu kommen… Der Weg war anstrengend und als Jounia endlich die Heimatsseite des Berges erreichte, war schon fast eine tiefblauschwarze Dunkelheit eingebrochen. Nur noch ein Funken vom blauen Schein kam am Rand der Erde zum Vorschein. Die Laternen flackerten mit deren weißem Licht, wenn sie nicht schon zerstört waren von Jugendlichen, die in der Nacht ihr Unwesen trieben oder von den Obdachlosen, um schwieriger von der Nachtwache gefunden zu werden. Inzwischen wurde die Kluft zwischen arm und Reich immer größer. Am Rande der Stadt war zwar alles viel ländlicher und bestückt mit vielen schönen, versteckten Momenten, allerdings ebenso mit Menschen der Straße, die sich zum eigenen Schutz ebenso wie die schönen Momente versteckten, um nicht an der Wache ihre Existenz zu verlieren, während nach außen hin der Schein für die Geldhabenden einer perfekten Stadt getrübt werden soll. Mit vorsichtigen Blicken in alle Richtungen fuhr Jounia die Dunkelheit entlang, ungesehen von der Wache, welche fast jede Nacht umherfuhr, um für Ordnung zu sorgen. Und doch verschlimmerte die große Stadt durch die Gier die Lage derer, die in die Armut versanken. Einen Blick nach links – nur Wohnhäuser, Stille. Rechts ebenso. Jounia fuhr weiter. Ab und zu konnte man ein Flüstern von denen hören, die wie sie noch auf den Straßen waren. Wenige aber. Die Straßen waren sauber und glatt, dafür sorgten ebenfalls von der Stadt dazu angestellte Menschen, damit nicht die geringste Stelle ein schlechtes Bild aufwirft. Man erkannte das Elend oft erst nach genauerem Hinsehen. Vom Bordstein herunter fuhr sie vom Gehweg auf der Straße weiter. -Was war das? Auf einmal konnte Jounia aus dem Geflüster und der übertönenden Stille des Verbergens ein Kichern heraus lauschen. Ein Kichern, das ihr bekannt vorkam… In diesem Moment des Erlauschens machten es ihre Ohren mit einem kurzen Zucken bemerkbar und fühlten sich gleichsam derer eines Spürhundes an, wenn sie sich aufstellten. Wieder. Ein Kichern, welches sie kannte, dieses Mal lauter, als zuvor, als würde es näher kommen. Panisch wandte sich ihr Blick zu allen Seiten. Als sie plötzlich auch einen Schwenker mit dem Fahrrad machte, fasste sie wieder die Konzentration und fuhr weiter, schneller. Inzwischen war auch die Wärme der Sonne nicht mehr vorhanden, es wurde kalt. „Was hast du so spät noch draußen zu suchen? Runter von der Straße mit dir, “ hörte Jounia einen Mann rufen, der sich jemanden näherte. Die Nachtwache war dort. Ungesehen konnte sie an ihnen vorbei fahren. Als sie ihren Blick mit den an ihr vorbeiziehenden Menschen mitbewegen wollte, ertönte auf einem Mal eine Stimme eines weiteren, entfernten Menschen, die sie beinah an ein Kichern aus ihrem Traum erinnerte. In ihrem Kopf wurde es lauter und eine Fratze erschien vor ihrem innerem Auge für einen Bruchteil einer Sekunde. Jounia verlor die Kontrolle über den Lenker, erschrak, blickte rasch wieder nach vorn, riss den Lenker mit und fuhr kurz mit engen, schiefgelegenen Kurven hin und her, bevor ihr Fahrrad nicht mehr mitspielen wollte, sich das vordere der Räder quer stellte und sie darüber fiel. „Mist, “ flüsterte sie und rieb sich ihren rechten Ellbogen. In diesem Augenblick schien ein helles Licht auf sie, das sie blendete. „Sie da!“ rief ihr ein Mann zu, „Das Gleiche gilt für Sie, gehen Sie nach Hause!“ Es war die Wache. „Ja…“ erwiderte sie mit noch leicht benommener Stimme. Einer der zwei Männer kam näher, der zweite blieb bei einem anderen Jugendlichen, der dabei war, Graffiti an eine Hauswand zu sprühen. Jounia kannte ihn nicht, aber sie wusste, dass damit sehr hohe Kosten als Strafe auf ihn zukommen würden… „Na los.“ Sagte der sich Nähernde zu ihr mit Bestimmtheit in seiner Stimme. Er trug eine schwarze Uniform, einen Hut, der verborgen unter seinem Stoff eine runde Platte, also einen integrierten Helm hatte, etwas kleines Rechteckiges an der rechten Seite seines Gürtels, das aussah, wie eine Art Elektroschocker und Stiefel. „Ich bin ja schon auf dem Weg, “ entgegnete sie ihm und stand auf. Der Mann blieb ernst vor ihr stehen und beobachtete sie beim Aufheben des Rades, half ihr nicht. Ohne etwas zu sagen, fuhr sie langsam los und konnte noch sehen, wie er die Nase rümpfte, hinterherblickte und sich anschließend wieder seinem Partner zuwandte. Das vorige Geräusch, welches sie erschreckte hatte sie inzwischen schon vergessen, schnallte unten am Haus angekommen das Rad fest an und ging hinauf… Kapitel 6: -1|6- ---------------- Am nächsten Morgen schien die aufgehende Sonne schon früh durch ihr Fenster. Die Augen öffnete sie nur langsam, um den sachten Vogelgesang noch ein wenig genießen zu können. Jounia hatte sich kaum Gedanken darüber gemacht, was sie in dieser Nacht geträumt hatte, was ungewöhnlich war. Denn das Schönste am Schlafen war für sie immer das Träumen. Wo sonst kann man durch einen bloßen Gedanken machen, was immer man sich vorstellt, ob man nun einhundert Meter hoch und weit springen kann, oder gleich anfängt, zu fliegen. Schade daher, dass man oft keine Erinnerungen mehr daran hat… Noch eingemurmelt in der Decke richtete sie sich auf, saß auf ihrem Bett, den Blick aus dem Fenster gerichtet, unter welchem es stand. Vor dem Fenster stand ein hochgewachsener Baum, der mit seiner Krone bis zum vierten Stockwerk reichte. Dort, wo die Vögel ihre Nester sorgfältig gebaut hatten und dort, wo sie nun singend auf den Ästen saßen. Unter ihnen liefen Menschen auf den Straßen herum. Ab und an war es recht interessant, sie zu beobachten, einige, denen man ansehen konnte, dass sie nicht aus reichem Hause kommen, andere, bei denen das Gegenteil zutraf. Einige Tage zuvor erst kam Jounia im Zug eine Frau entgegen, von der man nur schwierig den Blick abwenden konnte. Sie hatte rotgefärbte Haare, toupiert, sodass sie fast von allen Seiten abgestanden haben und ihre Frisur der einer ausgedachten Figur ähnelte. Ebenso Blutrot waren ihr Mund bemalt und Muster auf ihrem sonst dunklen Mantel, der ihr bis unter die Hüfte reichte. Um ihre Augen erkannte man schwarze Konturlinien. Sie war nicht unbedingt sehr schlank, war aber auch nicht in der Art gewichtig, dass man sie hätte dick nennen können. Vor sich schob sie einen purpurnen Kinderwagen her, durch die automatisch aufgehende Tür des Zugs hindurch, durch welche Jounia aussteigen sollte. Macht es nicht die Neugier des Menschen aus, dass er gern in solche Wagen hineinsieht, um kleine Neugeborene sehen zu können, ob sie recht niedlich waren, – und das waren sie ja immer – um ein Funkeln in deren kleinen und doch für sie so großen Augen strahlen zu sehen? Nun sah beim Vorbeigehen auch sie hinterher, drehte ihren Blick ein wenig, um hineinsehen zu können. Allerdings war es kein neugeborener Mensch, der dort jenen Blick erwiderte… Was sich im Innern des „Kinder“-wagens befand, war zwar auch nicht groß, allerdings hatte es vier Beine, an ihnen jeweils eine kleine Pfote, eine lange Schnauze mit feuchter Nase, zwei große Ohren und war am ganzen Körper bestückt mit braunen Haaren, Fell. Nein, es war kein Kind, sondern ein im Wagen gegen Herausspringen festgeschnallter Hund. Hinter Jounia verschlossen sich die Türen, der Zug fuhr weiter und sie blieb noch ein-zwei Sekunden mit verdutzter Blick stehen… Obwohl einem die Welt ansonsten völlig normal vorkam, gab es Momente wie diese, die einen die Unterschiede und die Kluft zwischen den sozialen Schichten noch einmal vor Augen führten. „Jounia!“ Nachdem sie sich die Welt aus ihrem Fenster eine kurze Zeit lang ansah, riss sie eine Stimme wieder in die Realität. Sie schmiss die Decke von den Beinen herunter und setzte sie mit Schwung auf den Boden vor dem Bett. Ihre Mutter war es, die sie rief. „Ja?, “ fragte sie, in die Küche gehend, in welcher sie sich befand. „Du müsstest heute einmal Essen kaufen, ich schreibe dir eben alles auf.“ Mit zustimmendem Gemurmel verschwand Jounia wieder in Richtung Badezimmer. Sie lebte gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater in einer sehr bescheidenen Wohnung eines insgesamt grauen Zehnfamilienhauses. Ihr Vater arbeitete für die oberen Stände als Bauarbeiter und ihre Mutter war Verkäuferin in einem kleinen Laden, der wie viele anderen der baldigen Pleite bevorzustehen schien. Die Wohnung bestand aus einem kleinen Badezimmer, Jounias Zimmer, dem Schlafraum ihrer Eltern und einer geräumigen Wohnküche, deren Raumabschnitte durch eine kleine, meterhohe Halbwand voneinander getrennt waren. Nach nur kurzer Zeit nahm sie sich den Zettel ihrer Mutter, den sie schrieb, während Jounia sich fertig gemacht hatte und ging aus der Wohnungstür. Der Himmel und die Erde unter ihm waren an diesem Tag ähnlich, wie am vorigen, weshalb sie sich auch an diesem wieder das Fahrrad nahm, das durch den nächtlichen Unfall ein leicht verbeultes Rad davon trug. Nicht aber gravierend. Der Weg zum Laden dauerte nicht lang. Entlang der Schienen, auf einem schmalen Weg, welcher üblicher Weise längst nicht mehr als Weg verwendet wurde, da die Menschen überwiegend mit der Bahn fuhren, oftmals hoffend, es würde nicht bemerkt werden, keine Fahrkarte zu besitzen. Allerdings bestand diese Welt aus Hektik und Eile, was sie dazu zwang, sich mit ihr zu sputen. Nach ungefähr fünfzehn Minuten Fahrt kam Jounia am Laden an. Er war sehr voll an einem Samstag, auch an diesem. Ab und an konnte man bekannte Gesichter sehen und sie hielt Ausschau, beobachtete jene, die ihr entgegen kamen. Ein Mann mit einem knielangen Mantel, an dessen Ränder kleine Löcher gerissen waren, darunter ein Hemd, dem man ansehen konnte, dass es einst weiß gewesen ist und dabei dem Betrachter die Selbstinterpretation überließ, wie lang es seine Ursprungsfarbe nicht mehr hatte, hielt ein Brot in den Händen. Er hatte zwar nicht gleich den Anschein, ein Obdachloser zu sein, doch konnte man ihm auch nicht viel Geld in seiner Tasche zutrauen. Es schien eher wie ein alter, verlassener Mann. Jounia ging, einen kleinen Sack Kartoffeln vor sich hertragend, an einem Kind vorbei, kaum größer, als einen Meter und nicht älter, als fünf, das sich, statt sich selbst mehr zu kaufen, bei einer Frau erkundigte, ob das Geld reiche, um für die kleine Schwester ebenfalls etwas zu besorgen. Jounia konnte nicht anders, als über ihn zu lächeln. Wie sagt das Sprichwort noch gleich? Die Armen sind die Gütigsten. Je erhabener, desto eigensinniger.. oder so ähnlich, kam es ihr kurz durch den Kopf... Nein, dieses Mal war nirgendwo eine Spur der schwarz-roten Dame mit ihrem „Hunde“-wagen. Es war ein kleiner Laden, nicht groß und ohne Drumherum. Also nicht geeignet, für Menschen, wie jene, sondern eher für die untere oder normale Schicht, wie der Jounias. Der, des alten Mannes und der des kleinen, teilenden Jungen. Nachdem Jounia auch die restlichen Lebensmittel bezahlte und aus dem Laden hinausgegangen war, schreckte sie zusammen. „Oh nein!“ stieß sie heraus, als sie bemerkte, dass ihr Rad nicht mehr an Ort und Stelle gewesen ist. Der Ärger schoss in ihr herauf und sie wendete ihren Blick ruckartig hin und her, um es womöglich zu finden. „Da!,“ pochte es aus ihr in dem Moment, in dem sie einen anderen auf dem Ihren fahren vermutete. Im nächsten Augenblick allerdings, nach einem Augenschlag, war es das nicht mehr. „Nein...,“ verzog sie ihre Augenbrauen verärgert zusammen, „ nein, das ist es doch nicht..“ -Und schon wieder! Sie zuckte mit ihren Augen zu einer anderen Person, einem Mann, der ihr Rad zu fahren schien. Jounia lief einige Meter auf ihn zu, sie wollte erst anfangen, schneller zu werden, als auch dieses Rad auf Mal ein anderes war. „Was...,“ ihre Verwirrtheit konnte man ihrem Angesicht direkt entnehmen. Hinzu kam ein Funke Beklommenheit, als sie bei Sicht in verschiedene Richtungen, fast alle Personen, welche Rad fuhren, auf dem Ihren sah. Was ist das? Was geht hier vor? Fast fühlte es sich an, als würden sich alle einen Spaß aus sie machen, aber wie soll das möglich gewesen sein. In der Hektik fuhr Jounia ihre Augen weiter umher, bis sie letzten Endes wieder zum Eingang des Ladens angekommen waren. -Es war da. Es ist da. Das kann doch nicht sein. Sie traute sich vorerst nicht, darauf zu zu gehen. Unsicher schwenkte sie ein letztes Mal ihren Blick umher, sah aber keinen einzigen Menschen mehr fahren, wie zuvor. Schnell belud sie ihr Rad mit dem Besorgten und setzte sich darauf. Ihr Herz pochte nervös in ihrer Brust und zunächst wusste sie nicht,wie sie sich verhalten solle. Um sich zu beruhigen schloss sie für einen Moment die Augen und fasste sich an die Stirn. Werde ich verrückt? Nach kurzem Zögern war sie bereit, sich wieder auf den Weg zu machen. Kapitel 7: -1|7- ---------------- Am Abend saß sie noch einige Zeit in ihrem Zimmer und starrte in das Nichts über sich, während sie im Bett gelegen hat, um nachzudenken. Ungläubig schüttelte sie über sich selbst den Kopf, schloss die Augen dabei kurz. Ihren Eltern wagte sie davon zunächst nichts zu sagen. Sie erzählte sowieso niemanden etwas davon, was sie träumte oder was in ihr vorgeht. Einige Male hatte sie es versucht, Anna näher zu bringen, jene, die Jounia am ehesten verstehen würde, allerdings fühlte sie sehr schnell, dass sie nicht verstanden wurde. Aus diesem Grund bemühte sie sich erst gar nicht mehr bei Anderen.. Mit Laufe der Verdunkelung des Himmels stand sie auf und ging in den Flur. Durch den Platzmangel wurde er häufig zum Abstellen verschiedener Gerümpel verwendet. Unter anderem stand hinter der Eingangstür der Wohnung ein deckenhohes Bücherregal, in welchem Jounia erspähen wollte, ein bestimmtes Buch zu finden. Ihre Mutter, Marlena, war recht abergläubisch, wie einige ihrer Vorfahren auch, weswegen wenige, sehr alte Bücher ebenso noch vorhanden im Regal standen. Mit einer Taschenlampe, da das Licht der einzelnen Glühbirne nicht reichte, welche von der Decke hing, suchte Jounia nach einem Buch, in dem sie etwas über Traumdeutungen lesen konnte. Hier waren doch einmal mehr, überlegte sie und nahm sich eines von weit oben. Die Nacht wurde für sie dieses Mal länger, als die vorigen. „...verschlüsselte Botschaften aus unserem Unterbewusstsein,“ las sie erwartungsvoll. Sie erhoffte sich Antworten darauf, auf ihren Traum und auf den Tagtraum, der sich anfühlte, als sei er real gewesen, „...es gibt niemanden, der nicht träumt, auch im Fall des Vergessens.“ Jounia blätterte immer weiter, um den richtigen Abschnitt zu finden, „Das Träumen, verfolgt zu werden resultiert oftmals aus verdrängten Ängsten oder starken Schuldgefühlen..“ „Ach, das hilft mir doch alles nicht. Was denn für Schuldgefühle?,“ seufzte Jounia, blätterte zur letzten Seite, welche Tagträume thematisieren sollte, auf welcher sie einen Abschnitt fand, den sie kurz still innerlich abwägte. „Erfahrungen nach könnten die realistischsten Tagträume angeblich Vorahnungen oder sogar zukünftige Geschehen sein... Es soll Personen geben, die regelmäßig Visionen ihrer Zukunft erträumen...“ Jounia hielt inne. „Okay. Das wäre ja schon unheimlich,“ wisperte sie und es fühlte sich an, als würde ihr ein kleiner, eisiger Schauer über den Rücken laufen. Sie blätterte weiter. An manchen Seitenrändern waren alte Notizen und Skizzierzungen, die sie allerdings – wenn überhaupt - nur sehr schwer entziffern konnte, da sie teilweise mit Bleistift gemacht wurden und im Laufe der Jahre bis zur fast endgültigen Verblassung verschwammen. Andere schienen in Hektik verfasst worden und dazu sehr alt zu sein, weswegen sie nicht lesbar waren, da sich auch die Art zu Schreiben mit der Zeit verändert hat. Zwischen den kaum lesbaren Notizen konnte sie schwach die Worte „alte Welt?“ und etwas, das aussah wie „Dorme“ entziffern., vermochte allerdings nichts damit anzufangen. Sie stieß ein lautes Stöhnen heraus, ließ das Buch vom Bett fallen und legte sich auf den Rücken. Was soll mir das jetzt sagen? Eine Vorahnung? Darauf, dass man mir mein Fahrrad klaut? Das ist ja Blödsinn Jounia schüttelte erneut ahnungs- und ideenlos den Kopf, obgleich es niemand beobachten konnte, „Ach... dieser Traum.. er bringt mich völlig durcheinander.“ Sie legte ihre Arme über ihren Kopf, nachdem sie das kleine Licht löschte und schloss ihre Augen... Nur wenige Momente nachdem sie ermüdet ihren Blick verschwärzte stand sie im Nichts... Um sie herum wurde es weiß, der Boden, auf dem sie stand und alles Andere auch. Nichts war zu sehen. Jounia wandte ihre Sicht zu den Seiten, ohne ihren Körper mit zu drehen, sie wusste nicht was zu tun sei, bis sich hinter ihr das Weiß zu färben begann. Die Farbe verwandelte den Boden, auf dem sie stand in Stein und um diesen Weg herum waren Felder. Die Umgebung wurde zunächst unbemerkt hinter ihr gefärbt, bis diese Farbe nach vorn sprießte, wie eine Welle, die selbst Jounias Haare kurz nach vorn wehte. Der Weg, auf dem sie stand, führte weiter nach vorn, das Ende war kaum sichtbar und auch die Felder an den Seiten verliefen spürbar endlos weiter voran. Der goldgelbe Raps strahlte zwar durch die Helligkeit des Tages, doch war der Himmel nicht sonnengefüllt, wie im normalen Sommer, wirkte stattdessen eher so hellblau, dass es fast weiß war, aber wolkenlos und windstill, als die Farbe die Umgebung fertig schuf. Nicht die geringste Brise war zu fühlen und Jounia war allein in der hellen Natur. Die Wärme schmiegte sich an ihre Haut und durchdrang sie bis ins Innere. Es war wie einer der Träume, den sie als Kind hatte, nur war sie dieses Mal allein. Jounia begann zu laufen. Sie nahm Anlauf und sprang in die Luft, so hoch es ging. Träume, um deine verrücktesten Verlangen zu stillen -und seien sie doch so abwegig, hörte sie sich selbst in ihrem Kopf sagen, als sie in die Luft stieg. Ähnlich war es bei ihr schon einige Male. Sie sprang so fest, wie sie nur konnte in die Luft mit der ganzen Kraft ihrer Beine und mit Schwung ihrer Arme, sodass sie abhebte und weiter in die Luft stieg, als ihr Haus hoch gewesen ist. So hoch fast, wie die Vögel flogen, welchen sie es anschließend gleich machte. Unter sich konnte sie die Felder nun von oben betrachten und die Bäume, welche nun noch so klein zu sein schienen, sie spürte den Wind, der durch ihr schnelles Steigen durch sie hindurch drang, aber nicht kältete. In diesen Momenten nahm sie in der Luft an jenen Punkt, der sie wieder zum Sinken brachte, mit ihren Armen Schwung, als seien es Flügel – und sie flog... An jene Träume erinnerte sie sich auch dieses Mal, als sie diesen Punkt erreichte, obgleich er anders war, als sonst. Nicht umgeben von ihren Freunden oder ihrer Familie, kein strahlend blauer Himmel und auch die Brise des frisch gemähten Grases fehlte zur Vollkommenheit. Aber sie wollte fliegen. Es war ein ihr innerstes Bedürfnis. Und so breitete sie ihre Arme aus und riss sie nach hinten. -Nichts geschah. Nichts, außer dem stetigen Sinken ihres Körpers, das Fallen. Jounia bekam Angst, Panik, ihre Augen weiteten sich und ihr Mund verzerrte sich furchtsam. Hatte sie denn etwas falsch gemacht? Wieder riss sie ihre Hände und Arme vor und zurück, auf und ab und auch ihre Beine sollten dabei helfen – doch nichts half. Jounia fiel. Die Wärme der Umgebung wurde heißer. Heißer drang es in ihr ein, bis es die Lunge erreichte und ihr das Atmen schwer fiel, sie hörte auf. Immer tiefer fiel sie, bis sie die Höhe der Bäume erreichte, die Höhe der Häuser, die Vögel stiegen an ihr herauf und sie konnte den Asphalt förmlich schon schmecken. Jounia schaffte es nicht, die Augen aus des sonst so natürlichen Schreckreflexes zu schließen, weit aufgerissen starrte sie auf den näher kommenden Boden, bis es auf Mal schwarz wurde... Schweißgebadet hörte sie sich selbst keuchen, als sie aufwachte und im nassen Bett lag. Kapitel 8: -1|8- ---------------- Es war Sonntag und von weitem hörte sie schon die Glocken der Kirchen läuten. Man erzählte sich, dass nur die unverständigen Menschen dort hin gingen und doch war sie voller, als Jahre zuvor, von jenen, die dort ihren Schutz suchten. Jounia konnte sich nicht an mehr Traumdetails erinnern, als jenes Steigen und Fallen über den Feldern, und doch hatte sie länger geschlafen, als sonst. Als sie sich aufrichtete, sah sie den weißen Himmel, der sich noch nicht für die kräftige Sonne öffnen wollte. Auch ein paar Raben flogen weit entfernt und doch erkennbar am Horizont entlang, die Jounia beobachtete. Sie legte ihre Arme auf die Fensterbank und ihr Kinn auf diese. Keineswegs wirkten die Raben bedrohlich, als auf mal einer dieser sank. Es schien, als würde er einen Sturzflug machen, um am Grund einen Wurm, oder eine Maus zu fassen, fast sah er aus wie ein Adler, der Kopf voraus nach unten flog. Jounia sah gespannt zu. Der Rabe flatterte kurz mit seinen Flügeln, sank weiter hinab... „Er flattert mit seinen Flügeln? Beim Sturzflug?“ Jounia wunderte sich darüber, als sie schließlich bemerkte, dass er nicht aus freien Stücken in Richtung Boden sank. Er flatterte und versuchte, zu steigen – ohne Erfolg. Der Rabe fiel Kopf voraus bis zum Aufprall, Jounia schreckte vom Fenster zurück, die Augen weit geöffnet, mit den Armen von der Fensterbank abstützend. „Das war doch genau wie...“ sie wagte es kaum, den Satz in Gedanken zu vollenden, zu unheimlich war ihr diese Situation. Sie drehte sich vom Fenster weg und saß auf der Bettkante, erschrocken von dem Gesehenen. An diesem Tag blieb sie zu Hause, nicht nur, da es Sonntag war, sondern auch, um sich zu beruhigen. Wieder blätterte sie am Abend in Büchern herum, fand allerdings nichts, was gravierend anders war, als in der Nacht zuvor. Neue Welt.... Dorme.... Nordberg.... allerdings nichts, mit dem sie etwas hätte anfangen können. Darüber hinaus legte sie das Buch schnell zur Seite, um durch Unbehagen einen weiteren Schauer über den Rücken vorzubeugen. Im Laufe diesen Tages verschlechterte sich das strahlende Wetter vom vorigen und es wurde nass. Wasser tropfte vom Himmel in jede Gasse, überließ nichts trocken und stoppte erst, als es aus jeder Ecke triefte. Seit der nächsten Nacht hatte es nicht mehr geregnet, doch war der Himmel noch weiß und trüb, in der Luft lag weit entfernt ein blasser Nebel. An diesem, zweiten Tag sollte Jounia sich wieder aus dem Haus trauen, wenn nicht des Wetters wegen, sondern vielmehr der Gesellschaft von Freunden. Am Nachmittag verließ sie das Haus in den sehr leichten, tröpfelnden Regen. Über ihrer schwarzen, langen, engen Hose bekleidete sie ein langärmliches, weißes Hemd, jedoch auch eine dünne Jacke mit Kapuze zum Schutz vor dem Regen. Jounia zog sich die Mütze über ihr zur Seite geflochtenes Haar und ging rasch in Richtung Gleise, um an diesem Tag mit der Bahn fahren zu können, die Jacke blieb dabei geöffnet und weitete sich ganz leicht durch jeden Luftzug, der ihr entgegen kam. Die Häuser wurden hinter ihr kleiner, bis der sachte Nebel sie verblasste. Jounia kam am schmalen Weg an, welcher durchnässt war und umgeben von zahlreichen Pfützen, als sie weit vor sich in der trüben Luft etwas zu erkennen glaubte. Ihre Mütze schob sie ein Stück weiter nach oben, kniff die Augen zusammen und versuchte, es schärfer betrachten zu können. Es war schwarz verschwommen. Von weitem sah es aus, wie ein großer Haufen an Stoff, welcher regungslos auf den Schienen lag. Beim Näherkommen nahm es langsam Gestalt an und es waren sowohl Kopf, als auch Füße erkennbar, die von einem Körper herausragten. Jounia bekam es direkt mit der Sorge zu tun. Sorge um diesen jenen, welcher da zu liegen schien. Sie lief schneller, um näher heran zu kommen, bis sie abrupt stehen blieb. Noch immer sah sie sich den nassen Körper an, konnte es allerdings nicht glauben, dass dort tatsächlich einer lag. Sie zog sich ihre Kapuze wieder etwas tiefer und rieb sich die Augen. Dieses Mal falle ich nicht darauf rein brummte sie währenddessen in ihrem Kopf. Sie nahm die Hände wieder von ihren Augen ab und steckte sie sich in die Taschen. Aber nein, noch immer sah sie dort etwas liegen. Aus der Ferne vernahm sie ein Geräusch, das wie aneinander reibendes Eisen klang und tatsächlich war es der Zug, welcher näher zu kommen drohte. Jounia sah nach hinten, doch zu sehen war noch nichts. Wieder wurde sie schneller und lief zu dem Menschen auf den Gleisen, der dort lag, ohne sich zu rühren. Um sie herum waren keine anderen Menschen, nur sie und der Körper, niemand, der ihr das, was sie sah, bestätigen konnte. Der Zug hinter ihr wurde lauter und Jounia begann, zu Rennen, um der Person noch zu Hilfe kommen zu können, ihre Kopfbedeckung rutschte von ihrem Schopfe und die Haare flogen durcheinander. Unter sie spritzte das Regenwasser aus den Pfützen bei jedem Schritt in alle Richtungen. „Hey!“ rief sie mit der Hoffnung, sie würde gehört, doch nichts geschah, "hey!," wiederholte sie trotzdem noch lauter. Obwohl der Nebel nur in der Ferne lag, schien es, dass der nasse Körper, der zwar im Nebel noch verschwommen, näher jedoch gut zu sehen war, in jenem Moment wieder verschwimme. Jounia wandte hektisch ihren Blick nach hinten, um zu erfassen, wie weit der Zug noch entfernt war – sein Licht kam näher, so nah, dass sie es nicht mehr schaffen würde, den Menschen noch vor Ankunft des Zuges zu erreichen. Trotz alledem lief sie weiter und drehte ihren Kopf wieder vorwärts. „Was...“ Jounia blieb stehen, der Mensch war fort. „Da war doch... oder nicht? Ich meine...,“ sie wusste nicht mehr, was sie tun soll, wo sie hin soll, ihr Kopf war leer. Ihre Hände hielt sie kurz vor das Gesicht, verdeckte ihre Sicht und schloss die Augen. Vielleicht sollte sie lieber zu Hause bleiben, dachte sie sich, als der dünntröpfelnde Regen dicker wurde und dichter. Der Zug hielt kurz am Gleis, fuhr jedoch schnell weiter und Jounia lief aus dem Regen unter das Dach, um dort weiter auf ihre Bahn zu warten. Sie musste nicht lang warten und ihre Mitfahrgelegenheit fuhr ein. Die ganze Zeit über senkte sie ihren Kopf, gedankenvoll wie eh und je, und stellte sich zur Seite in eine freie Ecke, um niemanden, der es nötiger hatte, einen Sitzplatz zu versperren. Mit Anna traf sie sich nicht mehr vorher, fuhr gerade weiter zu Philipp, da auch ihre Freundin dorthin kommen würde. Sie war beinah am richtigen Gleis, als sie im Waggon entfernt einen der Stadtwache hörte, der für Kontrollen zuständig war. Jounia hob wieder ihren Blick und sah sich langsam um, sie hatte keine Fahrkarte, dafür hatte ihre Familie nicht das nötige Geld, also riskierte sie diese Fahrt. Neugierig sah sie zu verschiedenen Menschen, mit spitzem Blick wandten sich ihre Augen hin und her. Jounia fühlte sich beobachtet. Sie fühlte ein dutzend paar Augen, welche auf sie gerichtet waren und sah in die Richtung, aus denen sie sie glaubte. Keine dutzend Paar, doch waren es drei paar Augen, die ihren Blick erwiderten. Unter ihnen war eine ältere Frau mit lockigen grau-weißem Haar mit spitzer Nase und giftigen Brauen, ein großer, kahler Mann, der einen dunkelgrauen Dreitagebart trug und gefährlich wirkte, und ein Mädchen, nicht älter als sieben, eingepackt in Mantel und Stiefel, mit leerem Blick. Jounia sah alle drei an, blieb bei keinem der Drei lange verweilen und senkte ihren Blick letzten Endes wieder auf den Boden. Die Stadtwache war nur noch wenige Personen von ihr entfernt, als sie angekommen war, sie drehte sich rasch herum und verschwand durch die Tür, ohne zurück zu sehen. Kapitel 9: -1|9- ---------------- „Was ist los?,“ wunderte sich Philipp, nachdem er Jounia die Tür geöffnet hatte und sie ansah. Zunächst überlegte sie, ob sie ihm etwas sagen solle, von den Menschen in der Bahn oder von ihrer erneuten Wahnvorstellung und seufzte. „Nichts, nur der Regen..“ Sie zog ihre Jacke aus und setzte sich in das Wohnzimmer, in welchem Luca bereits gesessen hat. Den ganzen Abend über täuschte Jounia vor, sich zu amüsieren, während in ihrem Kopf ein reinstes Durcheinander gewesen ist. Ständig dachte sie an die letzten paar Tage, an den Traum von den vielen Schatten, dem Menschen auf den Schienen, von ihrem Fallen auf den Asphalt, den Menschen, die auf ihrem Fahrrad weggefahren waren, selbst an den Vogel, den Raben, der abrupt stürzte.... „Jounia,“ lachte Anna heraus und wedelte mit ihren Armen vor ihrem Gesicht herum und sie kam auf Mal wieder zu sich, „du bist doch dran.“ Jounia legte eine der Spielkarten, die sie auf der Hand hatte, auf den Stapel und lachte ihr entgegen „ja.. Tut mir leid, ich war am Träumen“ Nachdem ihre blonde Freundin die Augen rollte, spielten sie vergnügt weiter. Es verging in etwa eine Stunde, bis es an der Tür klopfte. Philipp ging, um sie zu öffnen und Ardjan trat herein. Er trug zwei große Taschen, die mit Essen gefüllt waren. Kurz bevor Jounia gekommen war, verschwand er, um etwas für sie alle zu besorgen. An diesem Abend waren die Eltern Philipps ausgegangen. Im Gegensatz zu ihm, welcher teilweise wilde Seiten an sich hatte, gehörten seine Eltern zu jener Sorte, welche ihr Geld dafür an die Seite legten, mit den anderen Erwachsenen etwas unternehmen zu können, damit das Ansehen nicht sinkt. Es drehte sich alles um das Ansehen. So dachten zumindest Philipps Eltern, mit denen er regelmäßig lange Diskussionen führen musste darüber, wie er sich kleide und wie er sich gab. Er jedoch war stark genug für sich selbst und um seinen Bedürfnissen ohne Gerede nachzugehen. Die Zeit verging schnell, als die Freunde gemeinsam gegessen und sich vergnügt haben, der Regen hörte auf und die Wolken zogen weiter. Die Klarheit des Himmels zeigte, wie die Sonne gen Westen wanderte und langsam sank. Anna und Jounia verabschiedeten sich von den Jungs, die noch in der Wohnung saßen und gingen zur Tür, Anna voraus. Beim Herausgehen hielt Philipp Jounia kurz an der Schulter zurück, sie wandte sich ihm zu. „Ist wirklich alles in Ordnung?,“ sorgte er sich, da er mitbekommen hatte, dass sie an diesem Abend oftmals mit ihren Gedanken an einem ganz anderen Ort gewesen ist. Jounia drehte sich ganz zu ihm und und nickte leicht lächelnd. Sie wusste sowieso nicht, wie sie ihm das Geschehene genau erklären sollte. Er könne sie für nicht bei Sinnen halten, dachte sie sich. „Ja, wirklich, ich hab nur... schlecht geschlafen in den letzten Tagen.“ Philipp schien kurz über ihre Worte zu schmunzeln und legte seine Hand zustimmend auf ihre Schulter, „Dann ist gut,“ er sah weiter voraus zu Anna, „also wir sehen uns dann in ein paar Tagen.“ diese winkte ihm zu und zu zweit verschwanden sie und Jounia aus dem Haus. Es war ein hohes Gebäude, fast zwölf Stockwerke hoch, aber von außen saniert und schneeweiß. Nur hinter dem Haus und in einer Durchfahrt am Erdgeschoss waren versteckt noch Bilder an die Wände gesprüht worden. Anna und Jounia gingen durch diese Durchfahrt zum Hinterausgang des Grundstückes. „Du hast keinen Fahrschein, oder?“ fragte Anna und lächelte dabei verschmitzt, Jounia schüttelte den Kopf. „Dann ist es vielleicht besser, wir laufen ein Stück. Abends sind die ja immer so viel unterwegs, wie du weißt.“ „Stimmt... Wir müssen uns auch etwas beeilen, es wird dunkel.“ Die beiden Freundinnen gingen etwas schneller, um so spät nicht mehr auf die Wache treffen zu müssen. „Du warst heute ganz schön seltsam,“ Anna sah ihre Freundin fragend an. „Du bist nicht die Erste, die mir das sagt,“ Jounia atmete schwer aus, überlegte, wie sie ihr etwas sagen könne, schließlich war sie diejenige, die sie am ehesten verstehen würde, „die letzten paar Tage waren ziemlich... unheimlich.“ Die beiden sahen sich gegenseitig in die Augen, Anna zog verwirrt ihre Brauen zusammen, „unheimlich?“ Jounia nickte, „Ja, naja... ,“ sie blickte ihre Freundin an und sah ein, dass sie es nicht verstehen würde. Sie hatte es einst bereits versucht, sie darauf anzusprechen, zwar nicht auf die Träume aus den letzten Tagen, allerdings generell, als Anna über diese Fragen zu lachen begann, „Du weißt schon. Schlecht geschlafen und tagsüber ein grauer Tag...“ „Ja gut, Wenn man an solch einem Wetter draußen ist, kann einem allein schon unheimlich werden.“ Jounia wagte es nicht, detaillierter zu werden, hörte stattdessen auf, darüber zu reden. „Was machst du morgen?“ fragte Anna nach einer peinlichen Stille. Jounia zuckte mit ihren Schultern, wusste selbst nicht, wie sie die nächsten Tage verbringen solle. Die vergangene Zeit war für sie schwer zu verarbeiten, weshalb sie sich die nächsten Tage etwas zurückziehen wollte. "Etwas ausruhen," hauchte sie heraus, "ich bin ziemlich kaputt." Ihre Freundin musterte sie kurz und flüchtig, "nicht, dass du krank wirst." Krank..., fantasierte sie, vielleicht fehlt mir wirklich etwas... Womöglich ist dort irgendetwas, das in meinem Kopf nicht ganz richtig läuft. Vielleicht bin ich tatsächlich krank... oder werde es. Anna beobachtete für einen Moment Jounias leeren Blick an sie vorbei. "Du solltest dir wirklich etwas Ruhe gönnen," riet sie, als ihre Freundin durch Annas winkende Hand wieder zu sich kam, diese stöhnte leise aus. Nach einigen Minuten standen sie vor Annas Haus, auf die Fahrt mit der Bahn hatten sie inzwischen völlig verzichtet, genossen lieber die frische Luft, obgleich diese am direkten Stadtrand erholsamer gewesen wäre, als näher im Innern. Sie verabschiedete sich von ihr, drehte sich um und ging, mit den Händen in den Hosentaschen, um sie etwas zu wärmen. Anna verschwand im Haus. Es wurde kühl... Kapitel 10: Ende Eins --------------------- Der Himmel war schon mit einem kräftigen Dunkelblau eingefärbt und drohte, sich noch weiter zu verschwärzen. Allein ging sie die Straße entlang und je weiter sie lief, desto weniger Autos kamen ihr entgegen und desto stiller wurde es, bis auf manche Stimmen, die man entfernt hören konnte. "Jounia," ein Flüstern, das schien, als sei es von jemanden, der nur kurz hinter ihr war, sie zuckte zusammen, wollte aber nicht direkt Angst zeigen, um eine peinliche Situation zu vermeiden. Sie drehte sich beim Weitergehen ein wenig herum, traute sich aber nicht, stehen zu bleiben, um einen längeren Blick zu erhaschen. -Niemand da... Ihre Stirn runzelte sie ein wenig, vielleicht habe sie sich ja verhört, und ging weiter. "Pssst," war wieder etwas zu hören und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, dieses Mal blieb sie stehen. Ruckartig drehte sich um und wollte den Unbekannten, der sie ärgere auf frischer Tat ertappen. Sie war kurz davor, etwas zu sagen, als sie sich umdrehte und niemanden vorfand. Ein Blick nach rechts, schnell nach links, doch direkt bei ihr war keiner zu sehen. Unter einer Laterne in einer Nebengasse waren zwei Personen sichtbar, die miteinander redeten, sie machten keinen reichen Eindruck, da ein langer Stoffmantel, der schon sehr alt zu sein schien, den einen der beiden bekleidete und wärmen sollte. Das muss von denen gekommen sein, dachte sie bei sich und ging weiter. Inzwischen war der Himmel tiefschwarzblau und Jounia hatte die Hälfte der Strecke hinter sich, als sie Schritte hören konnte. Dieses Mal konnte sie auch unter Laternen keine Menschen erblicken, schmulte vorsichtig über ihre rechte Schulter nach hinten. In diesem Moment wurden die Schritte lauter. Sie zuckte rasch zusammen, ein innerlicher Schock, sodass sie eigentlich wie versteinert stehen bleiben wollte. Stattdessen blickte sie wieder nach vorn und ging schneller als zuvor, die Arme verkrampft um ihren Bauch gehalten. Werde ich wahnsinnig? Hilfe! Ich habe wohl zu viele Bücher gelesen...Ruhig Jounia, du bist bald zu Hause dachte sie bei sich und schaffte es fast, sich zu beruhigen...bis zu dem Moment, in welchem sie ein Kichern hörte. Hektisch wechselte sie ihren Blick zu allen Seiten, doch niemand war zu sehen. Nichts, was einer Person glich. Laternen...Büsche... Mit einem Mal gab es einen lauten Knall und die Laterne, unter der sie sich in dem Augenblick befand, ging mit sprühenden Funken aus und ein weiteres hämisches Kichern erklang nicht weit von ihr entfernt. Es hat sich teilweise angehört, als würde jemand versuchen, etwas zu sagen, aber es klangen nicht wie normale Worte, vielmehr ein Nuscheln und Verdrehen der Buchstaben, der Worte, sodass kein verständliches dabei herauskam. Im Schockmoment konnte sie es nicht mehr unterdrücken und stieß einen kurzen Stechschrei heraus und wandte sich panisch um sich selbst. Jounia bekam es mit der Angst zu tun und sie wusste nicht, mit wem oder was sie es zu tun hat. Vielleicht waren es auch nur Jugendliche, die ihr einen Streich spielen wollten. Die Stimmen waren nicht das größte, das ihr diese Furcht zugefügt haben. Sie waren nicht sehr laut, nur fast ein Flüstern. Jounia lief immer schneller, bis sie beinahe rannte. Immer wieder drehte sie sich beim Laufen um, zu den Schritten, die deutlich unter ihr zu hören waren, und doch war sie mutterseelen allein. Sie kam sich nicht bei Sinnen vor, als sie Schatten hinter dem eigenen erkennen konnte, die ihr nachliefen, nicht aber einen Körper, der diesen Schatten hätte werfen können. Rascheln in Gebüschen und die Angst, verfolgt zu werden, trieben sie dazu, letztendlich so schnell zu laufen, wie sie konnte. Mit panischem Blick, den sie nach rechts und links warf, hatte es in manchen Momenten den Anschein, dass eine schwarze Gestalt direkt neben ihr laufen würde, die aber im nächsten Moment nicht mehr da war. Auf beiden Seiten erschien sie und verschwand nur nach Bruchteilen einer Sekunde. Oder war es mehr, als nur eine Gestalt... Wieder war ein Kichern zu hören. Ein Kichern, so unheimlich wie kaum etwas, das Jounia aus Erzählungen oder Büchern kannte. Ein Kichern, welches den Anschein von geraumer Bosheit und den Wunsch nach Schlechtem machte. Jounia wurde verfolgt. Verfolgt von Ängsten, wie man sie nur aus der Kindheit kennt, aus Momenten der Dunkelheit und der Vorstellung, ungewöhnliche Kreaturen würden hinter einem herlaufen. Ihre Angst verblendete sie, sah nur noch schwarz, um sie herum war nichts mehr, außer der Schwärze der Nacht, der Panik und der sie verfolgenden Gestalten. Ohne etwas zu sehen rannte sie weiter voran, aus dem Dunkel heraus auf den einzigen hoffnungsbringenden Lichtschimmer, den sie verschwommen wahrzunehmen wagte. In ihrem Kopf war es so laut, als würde man ihr direkt ins Ohr rufen, allerdings nicht aufgrund von Stimmen, sondern als wären es tausend verschiedene Geräusche gleichzeitig, man konnte kein einzelnes heraus filtern. Inzwischen war sie unbemerkt auf dem Trampelpfad neben den Schienen angekommen und lief weiter. Sie sah nichts, wusste nicht wohin, lief nur benetzt von der Furcht innerlich. Schaudernd wollte sie einen Blick zur Seite erhaschen, sah nach links. Sie erschrak und schrie mit entsetztem Blick auf, als direkt vor ihrem Kopf aus der Dunkelheit eine Grimasse zum Vorschein kam mit leuchtend weißen Augen und einem verschmitzten, widerwärtig dreckigen Grinsen. "Aaahh!," stieß sie heraus, wich zurück und stolperte dabei über etwas eisernes, während das Licht bedrohlich nah heran kam. Es war ein Moment der klaren Sicht, als sie beim Fallen nach vorn sah, von wo sich dieses Licht näherte. Ihre Augen und Nasenlöcher weiteten sich und Todesangst stieg in ihr empor– ein Zug. Er war nur knapp zwei Meter von ihr entfernt, weiter fahrend, ein lautes Dröhnen nahm sie noch wahr, als sie nach dem Fallen mit dem Kopf auf dem Boden aufzuprallen drohte... Kapitel 11: -2- --------------- Es war, als fiele sie durch den Boden hindurch nur einen Wimpernschlag vor dem Überrollen des Zuges, und landete mit dem Kopf auf einem anderen Boden. Es dauerte eine knappe halbe Stunde, bis Jounia wieder zu Bewusstsein gekommen war. Ihre Augen waren schwer und ihr Kopf schmerzte, als sie sich wieder auf ihre ermüdeten Beine stützte. Sie rieb sich die Augen und fasste ihren Kopf, um sie herum war es verdunkelte Nacht, es roch nach Wald und Holz, umgeben von Bäumen und die Schienen waren fort... Wo bin ich hier?, fragte sie sich selbst und erschrak, ich war doch... Hat man mich verschleppt? Sie untersuchte ihren Körper, um nach Anzeichen dafür zu suchen, fand aber nichts. Alles war ihr fremd, keinen Laterne zu sehen, kein Weg unter ihr, nur Gras und Äste der Bäume. Sie fühlte sich allein, nichts war zu hören, außer der nächtlichen Geräusche der puren Natur von summenden Insekten und den Lauten von Eulen. Ich kann ja nicht einfach hier bleiben..ich muss irgendwie zurück finden.. Jounia ging über dem mit Gras und Moos bestückten Waldboden entlang, unter ihr die Äste knackten und ihr Herz pochte laut. Es war auf Mal viel kühler, was aber vielleicht daran lag, dass sie einige Zeit auf dem Boden gelegen hat und auskühlte. Sie muss im Wald unten im Tal sein, dachte sie bei sich, jedoch hatte sich dieser Gedanke nach einem kurzen Wolfsgeheule schnell wieder von ihr verabschiedet und sie ging etwas schneller, ohne jedoch die kleinste Ahnung zu haben, wohin. Oftmals bekam sie es mit der Angst zu tun, als etwas nicht weit von ihr raschelte oder ein Ast leise aufknackte wie ein kleiner Knochen, weil er von etwas zerdrückt wurde. Es dauerte nicht lang und Jounia fing wieder an, immer schneller zu werden. Es war nirgends auch nur die kleinste Erinnerung geweckt worden, schon einmal dort gewesen zu sein und es schien egal zu sein, wie weit sie noch lief, das fremdartige Gefühl änderte sich nicht. Immerhin waren die Stimmen verschwunden..die Schatten und die Schritte, die sie vor dem Aufprall noch verfolgten. "Ja, man muss mich hier hergebracht haben...aber wo ist hier? Ich erkenne gar nichts wieder.." Jounia atmete laut, die Unsicherheit konnte man glatt dort heraus hören, kraftlos und doch fast keuchend. Immer schneller lief sie, wich den herunter hängenden Zweigen mit Armbewegungen aus. Einfach weiter, dachte sie bei sich, irgendwann muss man ja aus dem Wald heraus kommen... Inzwischen war der Himmel rabenschwarz und der einzige Lichtschimmer stammte von dem sichelförmigen Mond weit oben, unerkennbar für sie wegen der zahlreichen noch schwärzeren Bäumen, welche die Sicht auf den Himmel erschwerten. In ihr stieg die Verzweiflung hervor, neben dem leichten Keuchen war ein leises Winseln wahrzunehmen und Tränen fügten ihr einen noch schwereren Blick zu, als überhaupt schon. Es ward stiller und fast nichts mehr zu hören, außer dem leichten Knacken der Äste und Gräser, auf die sie trat, schleichend und unsicher. Der Weg kam ihr ewig lang vor, als ein kleiner Hoffnungsschimmer ihr Herz verleitete, einen starken Schlag zu pumpen -Licht. Sie wischte sich die Tränen aus dem verschwitzten frierenden Gesicht und näherte sich diesem. Traue niemanden, ging ihr mehrere Male durch den Kopf, aber was blieb ihr anderes übrig, als sich zu nähern?... Als Jounia sich leicht gebückt näherte, konnte sie erkennen, was dort das Licht trotz des hinter Tannen versteckten Sichelmondes brachte. Es war ein kleines Lagerfeuer, knisternd und warm, das gerade reichte für jene zwei Personen, die sich gegenüber an ihm schmiegten, aber schwiegen. Es schien, als sei es ein junger, trainierter Mann und eine schmalere Person, die mit einem dünnen Ast in das Feuer piekte und das Holz ein wenig verteilte. Beide saßen auf der Erde, der Mann mit angewinkelten Beinen, seine Ellenbogen auf die Knie gelegt und den Kopf leicht gesenkt, ihm gegenüber die schmalere Person, auf ihren Unterschenkeln sitzend und streckte sich nach vorn. Jounia blieb kurz stehen und zögerte damit, ob sie näher gehen solle, oder nicht. Sie könnte das Risiko eingehen und unwissend auf die Fremden zugehen, oder umkehren und sich einen sicheren Ort suchen. Kurz biss sie sich auf die Unterlippe. „Komm her,“ sagte der Mann mit bestimmtem und doch warmen Ton, seinen Kopf zu ihr gewandt. Auch die andere Person blickte zu ihr, als würde sie auf etwas warten. Jounia war zwar im ersten Moment überrascht, näherte sich jedoch, ohne etwas daraufhin zu sagen. „Setz dich. Wir tun dir nichts,“ er trug einen langen dunkelbraunen Mantel mit Kapuze, darunter eine lederne Weste. Unter der Kapuze hervor erkannte man sein maskulines Antlitz mit Augen so ozeantief, obgleich man die Farbe aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Er warf die Kapuze zurück, sodass man seine braunen Haare entdeckte. Jounia setzte sich vorsichtig hin, die Beine angewinkelt, als sei es ein Schutzschild für sie, die Arme um sie geschlungen. „W-Woher wusstest du,“ stotterte sie ein wenig mit erdrückter Stimme und blickte zu der schmaleren Person “dass ich da war?“ Es war kein zweiter Mann, sondern eine junge Frau, etwa im gleichen Alter wie sie, nicht viel älter. Es schien, als hätte sie feuerrote Haare, vielleicht war es auch nur das Feuer, das diese so aussehen ließ, die vorn über ihre Stirn hingen und zur Seite hin noch leicht ihre Augen kreuzten, auch an der Seite fielen dünne Strähnen nach vorn, während die restlichen Haare nach hinten in einen Pferdeschwanz gebunden sind, aus dem sich teilweise geflochtene und mit Perlen bestückte Strähnen erstreckten. Auch sie trug einen einfachen langen Mantel, darunter ein eng anliegendes, schulterfreies Oberteil und eine enge Hose darunter. Ebenfalls beides aus Leder gemacht in dunklen Tönen. Sie lächelte nur, sagte aber nichts. „Nun..,“ hörte man die tiefe, warme Stimme des Mannes wieder sagen, welcher auch nur ein kurzes aber erkennbares Schmunzeln im Gesicht trug „du hast dich zwar angestrengt, aber du glaubst doch nicht, dass wir dich nicht gehört hätten.“ Jounia zog die Augenbrauen kurz zusammen, er hatte sie etwas eingeschüchtert, da sie nun wieder das Gefühl von Unsicherheit und Angst bekam, trotz der kurzen Stille zuvor vielleicht doch nicht allein gewesen zu sein. „Achso...“ murmelte sie und senkte leicht den Kopf, „ich weiß gar nicht, wie ich auf einmal hier hergekommen bin...“ Der Mann nickte wieder, sah in das knisternde Feuer: „Ja, momentan haben glaube ich einige von uns einen recht anstrengenden Weg hinter uns..“ Die Blicke von ihm und der jungen Frau trafen sich, dann warf er auch Jounia einen zu, der Verständnis zeigen sollte, sie jedoch konnte das nicht erwidern, kniff unbewusst wieder die Brauen zusammen. Sie war sich sicher, dass die beiden nicht den selben Weg hinter sich hatten, wie sie, entgegnete ihm aber nichts darauf. Sie selbst hielt das Geschehene für so unwahrscheinlich und unglaublich, dass sie nicht von Menschen, die sie gerade erst kennenlernen sollte und ihr noch fremd waren, ihr jedoch zumindest Wärme und momentanen Schutz boten, für völlig wahnsinnig gehalten werden wollte. Sie räusperte sich leise und legte ihren Kopf auf die Knie. Das Mädchen neben ihr sagte die ganze Zeit über nichts, stocherte ab und an im Feuer herum und lauschte. „Schlaft ihr heute Nacht hier draußen?“ fragte Jounia nach einer knappen Minute des Schweigens der Drei und kam ihrem Gegenüber somit noch merkwürdiger vor. „Wir haben nicht vor, mitten in der Nacht noch den ganzen Weg bis zur nächsten Stadt zurückzulegen. Du etwa?“ erwiderte er. So weit bin ich doch gar nicht gelaufen, ich kann nicht so weit weg vom Gleis sein, dachte sie bei sich, brachte aber außer ein fragwürdigem „Ähm“ nichts heraus. "Dann bleib bei uns, das ist sicherer." Die rothaarige Frau rutschte ein wenig vom Feuer weg, legte sich seitlich auf den Boden, legte ihren Mantel um sich und deckte sich mit einer dünnen Decke zu, die bislang hinter ihr lag. Auch der Mann rutschte ein wenig nach hinten und griff in eine Tasche. Er zog eine ähnliche Decke heraus und warf sie Jounia zu, „du kannst sie diese Nacht haben, ich brauche sie nicht unbedingt.“ Jounia nahm sie entgegen, während er sich schwungvoll nach hinten auf seinen Rücken legte, den Mantel ebenfalls um sich geschwungen. Sie zögerte noch, wickelte sich aber doch hinein und legte sich nach einem leisen, piepsigen „Dankeschön“ auf die Seite. „Ich bin Jounia,“ kam es doch noch aus ihr, sie lag dort mit geöffneten Augen, die zum Feuer gerichtet waren. „Nenn mich Thrian,“ erwiderte er, obgleich er zunächst mit seiner Antwort wartete. „Dilenna,“ hörte man auf Mal eine sanfte, leise Stimme antworten. Es war das Erste und Letzte, das die so stille, rothaarige Person in dieser Nacht zu Jounia sagte. Kapitel 12: -2|2- ----------------- Sie hatte noch lange ihre Augen geöffnet und doch träumte sie, ließ alles, das sie an diesem Tag erlebt hatte noch einmal vor ihrem innerem Auge abspielen. Angst stieg in ihr auf, vor dem, was war und vor dem, was noch kommen möge. Es schien ihr nach einigen Minuten nicht real, nicht wahr genug, jedenfalls hoffte sie es. Sie schloss die Augen, hoffend darauf, beim Aufwachen wieder in ihrem eigenen Bett zu liegen. Das Feuer war noch lange an, um Kreaturen oder wilde Tiere fern zu halten, bis es schließlich nach mehreren Stunden, als der Himmel über den Bäumen wieder heller wurde, von selbst ausging. Schon früh am Morgen wachte Jounia wieder auf und streckte sich vorerst, als läge sie in ihrem Bett. Davon ging sie auch erst aus, bis sie ihre Augen öffnete. Dort oben war keine weiße Decke zu sehen, kein Fenster an ihrer Linken, sondern der nackte weißliche Himmel. Ein Stück Himmel, der umkreist war von langgestreckten Bäumen und zu ihrer Linken sah sie in den Wald hinein. Erschrocken davor, dass es doch kein Traum war, riss sie die Augen auf und blickte zurückhaltend zur anderen Seite. Dort saßen Thrian und Dilenna, die zu ihr sahen. Jounia war es peinlich, noch geschlafen zu haben, während die anderen beiden augenscheinlich schon länger auf waren und das sah man ihr auch an, als sie sich aufrichtete. Es kam kaum ein Wort aus ihr heraus, als Dilenna ihr etwas Braun-Graues zuwarf, das Jounia im Reflex auffing. Es war etwas zu Essen, eine kleine Kugel, die sie nicht kannte. Es ähnelte Brot, hatte aber beim Abbeißen eine ganz andere Konsistenz, die an zusammengepressten Reis erinnerte, Thrian war ebenfalls am Essen, er war schon fertig damit, seine Sachen von der Nacht in einem Beutel, der neben ihm lag, gepackt zu haben. „Was hast du ohne Verpflegung so weit draußen gamacht?,“ fragte Dilenna, die nicht mehr am essen war und auf ihrem Beutel als Kissen saß. „Naja,“ stotterte Jounia und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, „ich...wusste nicht, dass es mich so weit nach draußen verschlägt. Wo sind wir hier eigentlich?“ Man sah ihren beiden Gegenübern die ungläubigen Gesichter an. „Du kommst nicht von hier, hm? Wir sind auf dem Weg zum westlichen Späherntal. Willst du auch dorthin?“ Dilenna schien sich nicht zu wundern, dass sie nicht von dort kam, die beiden haben auf ihrer Reise schon mehrere Flüchtlinge sehen können. Jounia nickte aus Neugier darauf, wie dieser Ort aussehen mag, da sie noch nie zuvor davon gehört hatte. Sie schluckte das letzte Stück Reisbrot herunter und stand mit den anderen beiden auf. Thrian wickelte die Decke, auf der Jounia in der Nacht zuvor lag, ein und stopfte sie ebenfalls noch in seinen Beutel. Er schien nicht allzu voll zu sein in Anbetracht dessen, dass sich eine Decke in im befand. Außer ihr hatte er nur wenig zu Essen dabei, das sich langsam dem Ende zuneigte und Münzen. Ansonsten nur das, was er am Leibe trug. "Wir sollten weitergehen," Thrian warf sich den Beutel über seine Schultern und ging voraus. Dabei wehte sein Mantel zur Seite, woraufhin man etwas silbernes darunter herblitzen sah. Jounia zuckte zusammen, als sie es erkannte. Es schien, als trage er etwas bei sich, das einem Schwert ähnelte. An manchen Stellen schien es sehr scharf geschliffen, allerdings konnte sie nicht alles sehen, da der Mantel wieder zurück schwing und es erneut verdeckte. Dilenna zeigte Jounia ein leichtes zustimmendes Lächeln mit ihren Mundwinkeln und lief nach vorn, während Jounia zögernd hinter den beiden her tapste. Es dauerte nicht lang und sie kamen aus dem Wald heraus, liefen dann neben ihm entlang. Noch war die Sicht in die Weite etwas vernebelt, der Himmel war weiß und es war kühl, der Geruch von nassem Holz lag in der Luft. Eine Wanderung von insgesamt viereinhalb Stunden, zwischendurch setzten sie sich für wenige Minuten hin, um die Beine auszuruhen und an einem kleinen Bach, der neben ihnen verlief, zu trinken. Jounia hatte dies allerdings bislang noch nicht getan, da ihr das Wasser immer recht trüb und schmutzig vorgekommen war. Bei ihrem letzten Zwischenstopp allerdings, tauchte auch sie ihre zur Schüssel geformten Hände hinein und trank, überrascht davon, wie gut es im Gegensatz zu ihrer Vorstellung davon schmeckte. Vor allem aber, wie gut es tat, nach mehreren Stunden endlich wieder eine Erfrischung wahrnehmen zu können. "Es dauert nicht mehr lange und wir sind da," brummte Thrian, blickte nach vorn und hielt sich die Hand als Sonnenschutz über die Augen, "weniger, als eine Stunde." Jounia raffte sich wieder auf und ging den Rest der Wanderung wieder hinter den beiden her. Die Fremden hatten inzwischen zwar einen Namen und waren auch seit der Nacht friedfertig gewesen, allerdings war ihr alles noch nicht wahrhaftig genug, als dass sie jetzt in irgendjemanden, oder irgendetwas Vertrauen schöpfen konnte. So schwieg sie weiter und holperte unsicher ihres Weges. Kapitel 13: -2|3- ----------------- Nach dem Halt waren es nur noch kurze zwanzig Minuten, bis sie im westlichen Späherntal angekommen sind, eine kleine Stadt, Dorf könnte man eher sagen. Jounia kam es vor, als sei sie durch die Zeit gereist, als sei sie im Mittelalter gelandet, so schienen wenige Häuser noch komplett aus Holz, viele andere waren schon aus großen, klumpigen Steinen geschaffen und aus den Schornsteinen stieg grauschwarzer Qualm empor. Oder träumte sie gar noch? Es ging ihr einiges durch den Kopf, als sie das Tal gesehen hatte. Das kann doch nicht sein Sie schaute in alle Richtungen, jedoch waren weder Autos noch sonst irgendetwas ihr Bekanntes zu sehen, doch aufgrund der Unsicherheit wagte sie kein Wort und lief ihren Vorderleuten leise hinterher. Draußen liefen reichlich Menschen herum, aber keiner von diesen machte den Anschein, viel Geld zu besitzen. Einige trugen nur lange Stoffmäntel, welche ebenso wie ihre braunen Stiefel von Schlamm übersäht waren, andere hatten auch lederne Westen oder Hosen an sich. Die Straße war nicht betoniert, nur grob gepflastert und mit großen Lücken teilweise, in denen dich das Regenwasser zu Pfützen ansammelte. "Weißt du von hier aus, wohin?," fragte Dilenna sie. Jounia hatte zugestimmt, in dieses Tal zu wollen, aber wohin hätte sie sonst gehen können? Für sie war alles neu, alles fremd, als wäre sie noch immer nicht ganz bei sich. Man sah ihr die Unsicherheit im Gesicht deutlich an, obgleich sie es versuchte, zu verhindern. Was nun, dachte sie bei sich und schwenkte den Blick nach links und rechts, dann wieder in Dilennas funkelnden grünen Augen, "Also..," stotterte sie, "nicht wirklich, um ehrlich zu sein..." Dilenna schaute zu Thrian, der ein paar wenige Schritte von den beiden entfernt schon auf seine Begleiterin wartete. Er hatte mitgehört und Dilenna ohne etwas zu sagen verständlich und sachte zugenickt. "Dann kannst du für heute noch einmal zu uns." Jounia war sehr dankbar, aber auch beschämt, unwissend, wie sie den beiden nur erklären könne, was vor sich ging und wo sie wirklich herkommt. Unwissend, weil sie selbst nicht die geringste Ahnung hatte und auch darüber, wer ihre neuen Gefährten eigentlich waren. Durch die Wanderung war der Tag bereits einige Stunden fortgeschritten und zwar war der Himmel noch immer weißgrau und trüb, der Nebel aber war verzogen. Thrian voran, schritten die drei über die gepflasterte Straße, eine beladene kleine Pferdekutsche kam ihnen noch entgegen, von wo der alte Kutscher Jounia einen seltsamen Blick zu warf und ihr hinterher starrte. Mit knarrender öffnender Tür, über welcher eine kleine Glocke zu klingen begann, traten sie in ein Dunkelbraunes Haus, über dessen Eingang "Rolandas Wirtshaus" geschrieben stand. Thrian und Jounia setzten sich gemeinsam an einen Tisch, während Dilenna sich zur Theke bewegte. "Bringt den beiden bitte etwas zu Essen, ich setze mich auch gleich dazu," ihr bestimmender Ton gab es jedem zu verstehen, lief an der Theke vorbei zu einer etwas molligeren Frau mitte Vierzig mit Schürze, welche gerade Krüge auswusch und trocknete. "Bei allen teuren Seelen!," erfreute sie sich, sie zu sehen, "ich dachte schon, sie hätten dich erwischt" "Mich nicht, Rolanda, mich nicht," Dilenna legte ihre Hand auf ihre Schulter, klopfte sachte und zustimmend, "aber schön, dich mal wieder zu sehen. Sag mal..," Rolanda unterbrach sie mit einem nicht zu übersehenden Nicken, "keine Sorge, jetzt setz' dich erstmal." "Das ist Rolanda," stellte Thrian Jounia vor und winkte ihr zu, "Dilenna kennt sie, seit sie ein Kind war. Dafür werden wir hier nicht den vollen Preis bezahlen müssen." Jounias Augen wurden größer, "ach, Bezahlen.." Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf, "du musst nicht, ich kann mir vorstellen, dass du keine Cupeten dabei hast. Vorerst haben wir noch genug." "Es tut mir leid, ich werde euch das bestimmt zurück geben.." Thrian aber schüttelte nur erneut den Kopf. Als Dilenna von der Frau zurück kehrte, setzte sie sich an den kleinen Tisch, sodass jeder an einer eigenen Tischseite seinen Platz finden konnte. Es dauerte nicht lang und das Essen kam dampfend bei ihnen an. Auf ihren Tellern waren gekochte Kartoffeln mit Blaubeerhirschragout gelegen. Zunächst wagte Jounia es kaum, anzufangen, fand es letztenendes allerdings doch zu unhöflich, als dass sie etwas auf dem Teller hätte liegen lassen können. Zugeben musste sie es innerlich allerdings doch, dass sie darüber hinaus das Ankommen ihres Hungers verspürte. Es war etwas, das Jounia so noch nie zuvor probiert oder davon gelesen hatte, jedoch fand sie nach dem dritten Bissen direkt Gefallen daran. Die ersten beiden galten zunächst dem Zweck, es vorsichtig zu probieren, da es ihr das Ragout doch ein klein wenig zu gewagt erschien. Nach dem Essen blieben sie noch eine Weile sitzen und tranken Sahnebräu, eine sahnigsähmige Mischung aus Milch, Honig und Dunkelbier. Es erinnerte Jounia etwas an das Bier, welches sie schon kannte, nur schmeckte es intensiver. Intensiver und gleichzeitig cremig weich, benetzt mit einer karamellig, sahnig-vanilliger Note. Es schmeckte ihr gut. Zu gut, wie sie schnell merkte. Nach einem kleinen Glas dieses Getränks merkte sie bereits, dass sich ihre Sicht ein wenig veränderte. Dilenna unterhielt sich einige Zeit mit Rolanda, indes blieben die anderen beiden am Tisch sitzen, die eine trotz des Getränks nichtssagend und still, zurückhaltend und beobachtend, der andere nicht schüchtern, eher konzentriert und ernst, verfolgte das Gespräch seiner Gefährtin und machte, als es Zeit wurde, darauf aufmerksam, wieder aufzubrechen. Jounia wusste innerlich, dass der Mann, der ihr gegenüber saß nicht mit der weiteren Gefährtin verwandt sein konnte und trotzdem machte es den Anschein, dass er sie schütze. Nach einiger Zeit also sah Dilenna erneut zu ihrem Gefährten - sie blickte unterdessen sowieso immer wieder zu ihm hinüber, um das Verhalten der Neuen zu mustern - und erkannte seinen tiefen Blick. In diesem Augenblick wusste sie Bescheid. Es war Zeit, weiter zu ziehen. Kapitel 14: -2|4- ----------------- Dilenna verabschiedete sich herzlich und zu dritt verließen sie das Gebäude. Jounia beobachtete wieder die Straße, die sie entlang gingen zu einem noch größeren Gebäude, aus dessen Schornstein wolliger Qualm in den Himmel stieg. Im Innern wurde der Kamin entzündet, um Wärme zu spenden. Als sie es betraten, wandten sich Thrian und seine Gefährtin der Theke zu, Jounia schlich ein-zwei Schritte voran zum Kamin. Das flackernde Feuer und die romantische Wirkung der schießenden Funken ließen sie ein wenig träumen. Noch nie hatte sie einen Kamin gesehen, da in ihrer Welt mit harten Heizungen geheizt wurde, nicht mit einem großen Feuer in einem Haus. "Wir brauchen drei Schlafräume für diese Nacht," sagte Thrian bestimmend zum Mann, der ihm gegenüber stand. Sie waren in einer Herberge, um in dieser Nacht nicht obdachlos zu sein. Dilenna stand bei ihm, sah ein wenig um sich, beobachtete Jounia vorm Feuer stehen. In dem Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, war Thrian fertig, drehte sich um und sie gingen in ihre Schlafräume. Die Herberge war zwei Geschosse hoch und der Eingangs-bereich war mit einem Luftraum versehen. Man konnte von dort mit seinen Augen der Treppe hinauf folgen und in das obere Geschoss blicken. Ein Geländer trennte die Zwischendecke vom Luftraum und ging quer über den Eingangsbereich. Dort oben war ein langer Flur mit vielen Zimmern, die man erreichen konnte, auch im Erdgeschoss gab es mehrere Schlaf-räume. Jounia kam in ihrem Zimmer an und verschloss leise hinter sich die Tür, schob den Riegel vor und setzte sich auf das Bett. Es war nicht sehr luxuriös, aber gemütlich wegen des Holzes, das sowohl dem Raum an sich, als auch den Möbeln ihre Form gab. Vor dem Fenster hingen türkise Vorhänge und das Bett war in ebendieser Farbe bezogen. Es stand auf der gegenüberliegenden Seite des Fensters, unter dem ein walnussbrauner Tisch stand. Dilenna hatte ein gleiches Zimmer, nur spiegelverkehrt und am anderen Ende des Flures, während Thrian direkt im Nachbarszimmer übernachtete. Sie blieb erst einige Minuten auf dem Bett sitzen und musterte das Zimmer. Ihre Jacke, verschlammt und mit Rissen wegen der nächtlichen Verfolgungsjagd übersäht, fand auf dem Stuhl am Tisch ihren Platz und erst, nachdem sie für die Nacht ihre Schuhe losgeworden ist, ist ihr aufgefallen, dass das Licht im Raum nicht etwa von einer Lampe, sondern von Kerzen auf dem Nachttisch neben dem Bett kam. "Wer ist da?," schoss es aus ihr heraus, als sie sich beim Klopfen an der Tür erschrak. "Ich bin es, Dilenna." Jounia öffnete vorsichtig die Tür. "Darf ich herein kommen? Ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen." "Nein, hab' ich nicht, komm rein." Nachdem sie Dilenna herein ließ, schloss sie die Tür erneut mit hervorgeschobenen Riegel. Dilenna setzte sich vor das Bett auf den grauen Teppich, Jounia wunderte sich darüber, setzte sich allerdings ihr gegenüber ebenfalls auf den Boden. "Wie gehts dir?," "Ähm.. .ganz in Ordnung, denke ich. Und dir?" Dilenna nickte nur, "darf ich fragen, wo du hergekommen bist? Ich kenne deine Art von Kleidung nicht." "Habe ich euch das noch nicht gesagt?" Dilenna schüttelte den Kopf. Natürlich hatte sie ihnen das noch nicht erzählt, das wusste sie selbst, aber sie hatte keine Ahnung, was sie ihr hätte sagen können, ohne gleich für wahnsinnig angesehen zu werden. Wo sind wir denn hier nochmal?, warf sie mit Gedanken in ihrem Kopf hin und her, westliches.. oder war es das östliche...das östliche Was denn?.. Es klang wie Spion oder Wanderer.. Irgendetwas ganz altes. Dilenna sah sie leicht verwirrt an, während es schien, als würde Jounia geistig völlig woanders sein und ins Nichts an sie vorbei starren. "Also..?," fragte sie leise, mit leicht quitschender Stimme, sowohl verwirrt, als auch langsam ein wenig ungeduldig. "Nördliches Lauscher - ich meine Späherntal!" schrie sie sie förmlich an, als es ihr wieder eingefallen war. Dilenna schaute verdutzt, sagte vorerst nichts. Nach einem kurzen Stirnrunzeln fasste sie wieder ihren Ausdruck und ließ Jounia nicht bemerken, dass jener Ort, den sie soeben genannt hat, bereits vor einem halben Jahrhundert wie aus dem Planeten ausradiert wurde und die letzten Bewohner, wenn sie nicht geflohen sind, ebenso geschlachtet wurden, wie Säue. "Ach, so ist das," sagte sie leise, fast murmelnd. "Sag mal, Dilenna," flüsterte Jounia. Nach all ihren Überlegungen, darüber wo sie denn sei, oder wann], hatte ein kleiner Funke ihr den Gedanken in den Kopf gesetzt, ineine Art Zeitloch gefallen zu sein, worüber sie einst gelesen hatte, doch als sie zum Bett sah blieb ihr diese Frage wie ein Stein im Halse stecken, sie schluckte, "...wie geht es morgen weiter?" Vielleicht ist das alles am nächsten Morgen vorbei, fiel ihr ein, vielleicht würde sie dann endlich wieder bei sich im eigenen Bett liegen. Vielleicht, aber nur Vielleicht.. würde sie doch träumen. "Nun ja. Thrian und ich werden weiterziehen. Ich kann dir hier das Haus Riêla zeigen, die werden versuchen, dir weiter zu helfen. Sie helfen Flüchtigen..." Dilenna sah für wenige Sekunden in das Gesicht der ahnungslosen und nachdenklichen Jounia. "Ich fürchte, ich lasse dich nun wieder allein. Wir brauchen beide unseren Schlaf." Jounia nickte und beide erhoben sich. Dilenna ging zur Tür, öffnete sie und blickte noch ein letztes Mal zurück, "gute Nacht." "Gute Nacht," erwiderte Jounia, die ihr hinterher schlich und hinter ihr wieder die Tür fest verschloss. Noch immer fühlte sie sich unsicher, wie sollte es auch anders in dieser Situation sein, und klemmte als Schutz den Stuhl vom Schreibtisch unter den Türknauf. Es dauerte nicht lang, dass sie einschlief, zu anstrengend war der Tag, als dass sie noch lange hätte darüber philosophieren können. Die Lichtschenkende Kerze traute sie sich in dieser Nacht nicht, zu löschen. Leise klopfte es an einer der anderen Türen, unauffällig und gewissenhaft und ohne ein Knarken wurde sie geöffnet. Dilenna schlich hinein in das Zimmer und schloss still die Tür wieder hinter sich, Thrian setzte sich auf den Stuhl vor dem Tisch. "Wir müssen Acht geben. Etwas stimmt nicht mit ihr," hauchte sie heraus, "ich glaube... Sie ist kein normaler Flüchtling." "Was soll sie sonst sein?" brummte Thrian. Dilenna zog die Augenbrauen ahnungslos zusammen, "ich weiß es nicht." Ihr Gefährte legte seinen langen Mantel auf den Tisch vor sich, stand auf und begann, sein Schwert abzulegen, sagte nichts, Dilenna aber verstand sein Schweigen. "Ich habe sie gefragt, von wo sie gekommen ist. Thrian..." "Was hat sie gesagt?" "Sie stammt angeblich vom Nördlichen Späherntal." Thrian setzte sich wieder hin, "vielleicht wollte sie sich einen Spaß erlauben..." "Ja, welch ein Spaß.. Es war ihr Ernst. Glaube ich zumindest, es schien erst so, als hätte sie von nichts eine Ahnung, bis sie es mir sagte." "Sie ist dir nicht geheuer?," fragte er mit sachter und dunkler Stimme, Dilenna schüttelte nur den Kopf. "Vielleicht ist sie kein.." "Kein Mensch?," unterbrach er sie. " Du weißt, was ich meine," Thrian nickte und sah aus dem Fenster über dem Tisch. "Dann ist es wichtig, dass wir das herausfinden. Wenn man bedenkt, was ein Schattendämon in menschlicher Gestalt verursachen kann.." "Was machen wir jetzt?," Dilenna ging einige Schritte auf ihn zu, mit ernster und sorgvoller Miene. Er blieb sitzen und sein stechender Blick richtete sich gegen sie, "Dann müssen wir unseren Plan umwerfen. Wir nehmen sie mit zum Seelenhirt, Du erinnerst dich sicher an ihn? Der wird herausfinden, was mit ihr nicht stimmt." "So viel Cupeten haben wir nicht mehr bei uns," sorgte sie sich, doch Thrian stellte sie vor die Wahl. Die Wahl zwischen der Sicherheit der Menschen und dem Hingeben zum eigentlichen Plan von ihnen, ein großes Stück eigener Vergangenheit aufzuwirbeln und sich zu Rächen. Ein Schattendämon, ließ Dilenna es sich durch den Kopf gehen, dann wäre vermutlich nicht nur das westliche Späherntal in Gefahr, sondern noch mehr Menschen. Die Schuld von den Toden hunderter unschuldiger Menschen wagte sie sich nicht selbst zu geben. Das Wohl der Vielen ging vor ihrem eigenen, einigten sie sich, und sie würden nach dem Besuch beim Seelenhirt schnellstmöglich dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. "Also zum Seelenhirt," wiederholte sie, um sicher zu gehen, Thrian nickte. Dilenna nahm tief Luft und fuhr einen großen Seufzer aus."Dann sehen wir uns morgen," sie drehte sich kurz zögernd wieder um, "gute Nacht." Dilenna kehrte zurück in ihren eigenen Schlafraum. Thrian verschloss seine Tür nicht und legte sein Schwert und die restlichen, wenigen Werkzeuge, Proviant und Cupeten direkt neben seinem Bett nieder. Nach dem Gespräch mit seiner Gefährtin entschied er wie so oft schon, nicht bei geschlossenem Riegel zu übernachten. So wäre er schneller bei ihr, falls etwas geschieht. Thrian blickte noch eine Zeit lang wach an die Decke, während er im Bett lag und die Schritte Dilennas zu ihrem Zimmer belauschte, bis es letztendlich still geworden war. Erst dann wagte auch er, einzuschlafen. Kapitel 15: -2|5- ----------------- Anna und Jounia saßen in ihrem Zimmer, die eine quer auf dem Bett gelegt, die Beine an der Wand empor gelehnt, die andere im Schneidersitz daneben. Durch das Fenster schien blass der weiße Himmel. "Hattest du schon einmal einen Traum, der dir so real vorkam, dass du im Nachhinein nicht wusstest, ob es tatsächlich nur ein Traum, oder eine Erinnerung war?," schlich es sich aus Jounia heraus, die ihre braunen Augen öffnete, die zuvor entspannt geschlossen lagen, Anna blickte ungläubig auf sie herab, "Hmm.. Ich kann mich nur noch selten an meine Träume erinnern. Oft ist einfach alles schwarz." "Das wäre mir irgendwie zu traurig. Zu langweilig," Jounia setzte sich auf. "Das schon," kicherte ihre Freundin, "aber so wie du es beschreibst, ist es doch auch nicht normal. Da bekommt man ja Existenzangst. Das klingt... gruselig." Auch Jounia fing an zu kichern, als sie bemerkte, dass Anna sie nicht ernst genommen hatte. Ganz im Gegenteil -Sie fürchtete, als nicht bei Sinnen angesehen zu werden und versuchte, es ihr als anfänglichen Scherz zu verkaufen. "An einen kann ich mich doch erinnern," fuhr es auf mal aus dem Blondschopf heraus, ihr Gegenüber sah sie erwartungsvoll mit größer gewordenen Augen an, "ja, jetzt wo du es sagst, fällt mir einer ein. Wir waren mit den Jungs Essen. Näher in der Stadt, in diesem Restaurant, an dem wir letztens vorbei gegangen sind. Erinnerst du dich?" Jounia nickte ihr aufmerksam zu und fing an, zu lächeln. "Unrealistisch, ich weiß, aber es war ja nur ein Traum," fuhr Anna fort, "auf einmal fing Philipp auf seinem Stuhl an, zu grunzen und zu hüpfen wie verrückt. Ihr alle habt euch ganz seltsam verhalten und eh ich mich versah... Wart ihr Tiere. Philipp wurde zum Ferkel, Ardjan zum Gorilla," sie starrte zu Jounia und fing amüsiert an zu lachen, "ich weiß nicht mehr genau, was du warst, ein Pfau oder so etwas.. Und als ich zum Fenster sah, sah ich im Spiegelbild meinen Schnabeltier-Kopf." Auch ihre Freundin kicherte vor sich hin, obgleich sie sich etwas anderes erhofft hatte. "Zu Philipp würde aber auch ein Affe passen," lachte Anna und lehnte ihren Kopf wieder nach hinten an die Wand, während Jounia sich genauso neben sie setzte. "Hast du Lust, heute Abend raus zu gehen? Lucas Eltern sind nicht da und wir könnten alle zu ihm," die Mädchen blickten sich in die Augen, "mal sehen," erwiderte Jounia, schloss entspannt ihre Augen und legte den Kopf zurück... Als sie ihre Augen nach einer Weile öffnete, erblickte sie über sich eine dunkelbraunhölzerne Decke und es wurde ihr klar - es war nur eine Erinnerung an einen Ausschnitt eines Gesprächs zwischen ihr und ihrer Freundin, von der sie träumte. Schade dachte sie bei sich, ich wäre lieber wieder dort, als hier im... Ich weiss nicht einmal, wo genau ich bin. Oder wann... Dilenna und Thrian waren schon früh wach an diesem Morgen, an das frühe Aufwachen musste sich Jounia erst wieder gewöhnen. Während Dilenna in ihrer Unterkunft auf seine Rückkehr wartete, vertritt sich ihr Gefährte draußen die Beine. "Um nicht noch unnötig die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, sollten wir dafür sorgen, dass sie sich ein wenig anpasst," sagte er mit hauchender Stimme, "pass' du auf, dass sie nicht verschwindet, ich werde schon etwas besorgen," Dilenna hielt in ihrem Zimmer Wache, bis er wiederkommen würde und spähte immer mal wieder bei geöffneter Tür zum Eingang der Neuen herüber. In der Zwischenzeit setzte sie sich in Ruhe auf den Teppich in ihrem Raum und hielt inne. Sie verkroch sich tief in ihre Gedanken, an Jounia, an den zweiten Norden, das nördliche Späherntal, in welchem das Leben nicht mehr lebensfähig ist. Dilenna dachte an ihr eigentliches Ziel, an Thrian und daran, es nur für wenige Zeit aufzuschieben. Sie würde mit ihm weiter reisen. Weiter in den Westen und weiter in ihre damalige Heimat. Den Ort, der ihr alles schenkte und gleichzeitig alles von sie riss... Kapitel 16: -2|6- ----------------- Es dauerte nicht lang und Thrian kehrte mit schlammfarbenden Stoff zurück, eine ernste Miene zog sich über sein Gesicht hinweg, "hoffentlich war das keine Verschwendung." Dilenna schüttelte den Kopf, "nein Thrian, irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Da ist etwas an ihr ganz falsch.." Gemeinsam pochten sie an der Gemächertür Jounias, wenngleich Thrian nur hinter dem Rotschopf stand, den Stoff in den Armen haltend und bepackt mit Beutel und Klinge. Jounia hatte ihre Kleidung wieder angelegt, rau vor Dreck und teilweise zerrissen, entriegelte und öffnete die Tür, bevor sie vorsichtig einen Blick zwischen dem geöffneten Spalt erhaschte. Dilenna gab ihr ein beruhigendes und doch misstrauisches Lächeln und schob die Tür weiter auf. "Du kommst doch noch weiter mit uns," brummte Thrian mit einer so neutral gewollten Stimmlage, dass es schon fast unhöflich klang, er warf ihr den Stoff entgegen, den er zuvor besorgt hatte, "zieh das über." Nach einem kurzen hektischem Nicken gehorchte sie, "wofür ist das?" "zum Schutz," was gar nicht die Unwahrheit beinhaltete, da der Mantel, den sie bekam, ja ebenso gegen die frische Kälte, der sie im Morrewald antreffen würden, schützen sollte. Tatsächlich aber meinte er einen anderen, nämlich den Schutz vor der unbehagenen Aufmerksamkeit der Fremden und deren Folgen. Schließlich hielten die beiden Gefährten sich schon eine Zeit lang versteckt, was nicht durch Jounias skurrilen Kleidungsstil unterbrochen werden sollte. Nach einem Dankeschön verschwanden sie aus dem Raum und aus dem Gebäude, um auch das Tal wieder zu verlassen. Wieder war der leichte Nebel und die tropfende Feuchte aus der Luft auf der Haut zu spüren, die jene Tropfen fingen und ihr eine unerwünschte Frische spendeten, welche die beiden jungen Frauen mit ihren Mänteln wieder trockneten. Thrian aber nahm sie hin, er kannte die Kälte. Ihm wurde bereits die Kälte der Natur und die der Seelen mancher Wesen bekannt.. Auf dem Weg aus der Stadt machten sie bei einem Wanderhändler Halt, um für ihr letztes Geld Proviant für die Reise zu kaufen. Jounia folgte stumm, da ihr nicht nur ihre Vorläufer, sondern auch alle Menschen, denen sie entgegen kamen, noch zu fremd erschienen. Dilenna zog sich ihren Mantel über ihren Schopf und auch Jounia sollte dem nachgehen, während Thrian sich zwar nicht versteckte, allerdings seinen Blick während ihrer Wanderung mehrmals in verschiedene Richtungen wendete und sich umdrehte, als würde er überprüfen, nicht verfolgt zu werden. Nach wenigen Minuten des Laufens auf dem steineknisternden Weg aus dem Tal wurde dieses hinter ihnen immer kleiner. Weit entfernt vor ihnen erblickten sie mehrere dunkel gekleidete Personen, welche ihnen entgegen kamen. Thrian zog schlagartig seine Kaputze über und blieb stehen. Er warf seiner Gefährtin einen ernsten Blick zu und nickte zu der Neuen. Dilenna neigte sich ihr zu und nahm sie mit sich mit. Thrian lief hinterher, vom Weg herunter, zwischen Bäumen entlang über ein Feld. Es waren Männer eines Kampflagers, die im westlichen Späherntal nach zukünftigen Kriegern Ausschau halten wollten und Thrian kannte sie. Beim Laufen hielt er seine rechte Hand am Griff seines Schwertes bereit, für den Fall, dass er es benutzen müsse. Aus der Ferne blickte er noch einmal zurück, schmulte vorsichtig über seine Schulter hinweg und trieb die anderen an, noch schneller zu gehen, als er beobachten konnte, dass die Krieger stehen geblieben waren. Sie nahmen die erste Gelegenheit wahr, in ein kleines Waldstück zu gehen in der Hoffnung, dort ihre Ruhe finden zu können. "Wo gehen wir hin?" fragte Jounia schließlich. "Das wirst du bald erfahren, wir sind nicht mehr weit entfernt" Thrian lief stur weiter geradeaus. "Nein," knallte es auf Mal aus ihr heraus. Sie hätte es sich normaler Weise niemals getraut und war selbst erschrocken über ihr Widerwort. Alle drei blieben abrupt stehen, Dilenna und Thrian drehten sich zu ihr um. "Ich...," sie schluckte und erinnerte sich an Thrians Ausrüstung, "ich weiß nicht, wo wir sind oder wer ihr überhaupt seid, ich komm' doch nicht einfach mit, wenn ich nicht weiß, wohin!" ihre Stimme wurde zittriger und beinahe hätte sie vor Angst und Verzweiflung Tränen in den Augen bekommen. "Pass auf," Dilenna versuchte, sie mit ihren Worten zu beruhigen und ging ihr ein paar Schritte entgegen, als sie von Thrian an ihrer Schulter zurück gehalten wurde. Er wollte sie voreinander beschützen, da niemand von beiden genaueres über sein Gegenüber sicher wusste. "Wir gehen zu einem Ort, an dem uns beiden geholfen werden kann." "Komme ich dann wieder nach Hause?," die Verzweiflung war deutlich aus ihrer Stimme heraus zu hören. Der Rotschopf nickte ihr zu, als Thrian auf Mal spitzöhrig zur Seite blickte, als hätte er etwas gehört. "Kommt weiter," drängte er und lief voraus. Jounia blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Sie erhoffte sich, doch noch in ihre ersehnte Realität zu gelangen und wo hätte sie schon allein hingehen können ohne ein Funke der Ahnung, wo sie überhaupt steckte. Thrian war nicht so gutgläubig, zwar hatte Jounia eben auch ihre Zweifel, letzten Endes war sie aber doch mit gegangen. Er hatte keine Angst, keine Furcht davor, dass ihm etwas geschehen könnte, denn dafür war er zu stark, vielmehr prägte ihn sein voriges Leben und ließ ihn achtsam werden. Achtsam vor jene, die ihn suchten und vernichtend für diese, die ihn fanden... Jounia aber strahlte in seinen Augen keine Gefahr aus, sie wirkte hilfsbedürftig und angstvoll. Dilennas Worte in der Nacht zuvor aber verlangten auch hier seine Sinne stets beisammen. Dilenna verstand sein Drängen direkt, warf der Neuen einen bestimmten Blick hinzu und ging ihm nach. Sie kannten sich schon eine lange Zeit. Einst waren sie Kinder, als Thrian ihr mit gestohlenem Essen in die Arme lief. Viele Jahre später erst trafen sie sich wieder und verloren sich seither nicht mehr. Ihre Geschichten verknüpften sich an einer Stelle, an der beide den jeweils anderen am meisten gebraucht haben. Der Weg wurde mühseliger, da der Mann unter ihnen sie durch die verwachsensten Büsche und Sträucher zog. Vieles sah wie tot aus, verbrannt und zerstört, das einst Grüne war braun verfärbt und der Boden unter ihren Füßen hart wie nadeliges Stroh. Es vergingen fast zwei Stunden seit Anbruch im Späherntal und es begann ein kleiner Anstieg, der sich zu einem im Wald befindlichen Hügel formte. "Können wir mal eine Pause machen,?" keuchte Jounia und beugte sich vor, mit ihren Armen auf den Beinen stützend. "Eine Pause? Jetzt?," Thrian drehte sich um, um auf seine Gefährtinnen herab zu schauen. Selbst auf Dilennas Stirn konnte man leichte Schweißperlen erkennen, obgleich die Luft um sie herum kühl war. "Es dauert aber nicht mehr lang." Dilenna sagte nichts, wollte ihm kein Anzeichen des Einknicken beichten. Thrian aber merkte es, gab nach und nickte ihnen zu, "in Ordnung," er nahm seinen Beutel ab und legte ihn neben sich, hockte sich auf den Boden und hielt seine rechte Hand bereit. Bereit, jeden Augenblick seine Klinge greifen zu können, die halb unter seinem Mantel versteckt war. Jounia setzte sich ihm gegenüber und Dilenna seitens beider. "Hast du Durst?," fragte Dilenna sie, nachdem sie selbst aus ihrem Beutel trank, Jounia nickte und der Rotschopf warf ihr ihren zu. Es war ein brauner, kleiner Lederbeutel gefüllt mit Wasser, das sie im westlichen Späherntal noch besorgt hatten. Dilenna bemerkte, wie unruhig Thrian geworden war und hielt Jounia im Auge. Sie wirkt so anders, nicht bei Sinnen,dachte sie bei sich, aber ich glaube nicht, dass sie richtig gefährlich werden kann... oder? Was hat sie gesagt, von wo sie stammt - nördliches Späherntal. Das ist nicht möglich... Seit über siebzigtausend Monden ist es zerstört. Nur noch taumelnde Tote und Schattendämonen. Aber ich kenne nur Gerüchte darüber ihre Gedanken verstummten mit Aufklang eines Rascheln in der Nähe. Dilennas Augen blitzten zu ihrem Gefährten, welcher auch falkenäugig in die Ferne blickte. "Lasst uns gehen," er stand auf und schwing seine Tasche wieder über seine Schulter. Auch die beiden Frauen an seiner Seite erhoben sich. "Geht ihr beide voran," bestimmte er und blieb stehen, bis sie an ihm vorbei gegangen waren. Die Äste unter ihren Füßen knarrten, bis das Knarren und Knacken leiser wurde. Je höher sie auf den Hügel stiegen, desto grüner wurde das Gras und desto dichter die großen Bäume, bis sie letzten Endes auf dem Scheitelpunkt der Hügelspitze eine Hütte fanden, grün bewachsen von Dach bis Schwelle und im Vorhof bestückt und zahlreichen Kräutern. Beißend roch man Blut in der Luft, als die Drei beim Erblicken der Hütte kurz stehen blieben, dass es Feuchte in die Augen Jounias drückte, die sie zusammenkniff und versuchte, als wenig wie möglich durch die Nase zu Atmen. Unter ihren Füßen war das Blut verschmiert, eine lange Spur entlang des ganzen Waldrandes,kreisförmig um die Hügelspitze herum.. Dilenna und Thrian wunderten sich nicht, kannten diesen Ort bereits. Es war ein berüchtigter Ort von einem verrückt gewordenen und gefährlichen Alten. Nur die Wenigsten wussten, was alles an den Gerüchten über ihn wahr gewesen ist und welche Gerüchte es wert waren, ihn trotzdem oder gerade aus diesem Grund aufzusuchen. Furchtlos machten sie einen Schritt über die Blutspur und liefen weiter voran, Jounia hinterher. Kapitel 17: -2|7- ----------------- Beißend war der Geruch, abschreckend für wilde Tiere und unheimlich für all jene Wesen, welche den Weg bis dorthin fanden. Manche erzählte sich, ein alter Irrer würde dort hausen, hexengleich, der jeden verfluchen würde, der sich nähert, andere behaupteten, eine Aura wahrnehmen zu können und gehen von einem bösen Zauber aus, welcher sich an dieser Blutspur entlangziehe und dass das Blut von den vielen Eindringlingen stamme, welche direkt bei der Berührung dieses Zaubers verenden. Es flogen Gerüchte mit den Vögeln aus dem Wald von einem alten Dämon, welcher hinter dieser Schwelle eingesperrt worden sei und alles und jeden beim Übertreten ermorde.. Andere hielten den einsamen Einwohner dieser Hütte einfach für einen Greis, der selbst nicht mehr wisse, wer er sei.. Obgleich die Wahrheit, nämlich, dass ein alter, sehr gerissener aber keineswegs bosartiger Seelenhirt hier abgeschieden aller Menschen lebte, weit verbreitet war, wagten nicht viele den Schritt über die blutige Schwelle für seine Hilfe. Aus Angst vor der fehlenden Gewissheit, was geschehen würde.. Beim Näherkommen verblasste der Gestank des Blutes, überdeckt von einer Würze der starken Kräuter in der Luft, leicht vermischt mit Viehmist. Thrian stand an der Tür und pochte, als die brüchige, tiefbassige Stimme eines alten Mannes ertönte, "kommt herein." Es war ein dunkelhäutiger, breiterer Mann, der vor seinem Kessel, welcher über Feuerholz im Kamin hing, saß und stand auf, um seinen Gästen entgegen zu kommen. Er war auf Augenhöhe mit Thrian und trug einen dunkelbraunen Vollbart, aus dem graue Strähnen hingen, seine Haare waren durch eine bunte, gewickelte, tücherne Kopfbedeckung nicht zu sehen und ihn schmückten mehrere, lange Ketten, an denen verschiedene Knochen, Zähne, aber auch alte Münzen befestigt waren. Er wirkte nicht ansatzweise so alt, wie aus den Geschichten heraus zu hören war mit seinen kräftigen Armen und schien lebendig, statt schwach und zerbrechlich, obgleich seine Stimme inzwischen vieles durchgemacht hatte und geschädigter war, als der Rest seines Körpers. Zunächst musterte er seine Besucher von Kopf bis Fuß und nahm direkt wahr, dass die dritte Person, Jounia, die hinter den vorderen beiden stand, anders war. "Welcher Geist führt Euch hier her?" Thrian erhob seinen Blick ernst und furchtlos, "ein unbekannter Taumelnder." Der dunkle Mann verwunderte sich, bat die Gäste dennoch mit einer sich öffnenden Handbewegung herein. Die Hütte war auch von innen nicht groß und sehr ländlich gehalten. Beim Eintreten folgten seine Augen der dritten Person, die hinter den anderen hertapste, ahnungslos darüber wo sie waren und zurückhaltend, als sei sie fremd. Der Dunkle führte sie in einen leeren Raum. Nur ein rotbefleckter Teppich lag und der Mitte dessen und in der Decke war ein kreisförmiges Loch. Er ließ die drei am Anfang und stellte sich ihnen gegenüber ans Ende des Teppichs. "Was wollt Ihr?" fragte er, aufrecht und gewissenhaft, dass es die anderen leicht entmutigte. Nur Thrian nicht. Er stand ihm ebenfalls stattlich gegenüber. Jounia sah zu ihm herauf und war wohl angetan von seinem Mut, fühlte seine Kraft und Männlichkeit, welche nur noch von einer Verbindung des Erstaunens und der Angst vor seiner Stärke übertroffen wurde. Thrian gab seinem Gegenüber einen schwungvollen Blick zur Seite mit Deutung auf Jounia, ohne dass sie es merkte, er aber verstand und nickte. "Ich möchte allein mit ihm sprechen, wenn Ihr uns entschuldigt." Jounia sah Dilenna zunächst kritisch an und war eingeschüchtert, gehorchte aber wortlos und verschwand mit ihr aus dem Raum. "Bevor du fragst," sprach Thrian schnell heraus, als er merkte, dass der Dunkle Luft zum sprechen nahm, "will ich wissen, was du spürst." "Nun," nickte dieser, "du bist stark. Stärker als alle, die bisher hier waren. Wobei kannst ausgerechnet du Hilfe von mir brauchen?.. Die Rote scheint etwas zu verbergen...aber das scheint dir nicht wichtig zu sein. Die Andere - etwas stimmt nicht mit ihr. Es ist, als sei sie sich selbst fremd. Schwer, sie einzuschätzen, ohne zu Sehen. Wo hast du sie her?" Als Seelenhirt spürte er beim Anblick der Menschen eine leichte Aura dieser. Zum Sehen in die Seele allerdings benötigte er ein wenig mehr, als nur den ersten Blick. "Sie fand uns im Wald. Ich glaube, sie lief vor etwas davon" "Einen Flüchtling bringt du zu mir?" Thrian aber schüttelte den Kopf. Der dunkle Seelenhirt forschte in den hintersten Ecken seines Wissens nach, um zu versuchen, mehr zu erfahren. Und das sah man ihm an, "was erhoffst du dir von jemanden wie mir?" In Thrians Augen erkannte er den Ernst der Lage und schwieg kurz. Ein unbekannter Taumelnder...Thrians Worte gingen dem Seelenhirt noch einmal durch den Kopf. In diesem Moment wusste er Bescheid. Er starrte für einen kurzen Moment in die Ferne, wischte sich mit der Hand Schweißperlen von der Stirn und machte sich bereit. "Hol sie herein, alle beide." Dilenna und Jounia standen in der Hütte vor der Eingangstür und warteten still, bis Thrian zu ihnen kam. Während sich die Rote mit dem Rücken an die Wand gelehnt hatte, stand die Neue einen Schritt weiter entfernt, aufmerksam, ob sie einige Worte Thrians mit dem Seelenhirt erlauschen könne, ohne Erfolg. Er stand an der Tür und gab seiner Gefährtin ein leichtes Kopfschwenken zum Raum, woraufhin beide auf ihn zu kamen. Der dunkelbraune Mann stand mit verschränkten Armen vor seiner Brust konzentriert hinter dem befleckten Teppich im Raum, als die drei wieder eintraten. Thrian stellte sich vor die verschlossene Tür, um zu verhindern, dass jemand den Raum verlasse, Dilenna stand seitlich neben ihm. Jounia drehte sich kurz zu Thrian um, wunderte sich, was er dort suche, während langsam aber sicher Furcht in ihr herauf stieg. Als sie sich erneut nach vorn wandte, erkannte sie den ernsten, unerschrockenen Ausdruck des Mannes vor ihr. „Komm näher,“ diktierte er, Jounia ging einen kleinen, zittrigen Schritt voran, befangen machte ihr Herz einen enormen Schlag und ihr Körper wurde kalt. „Wer bist du?“ Zunächst wusste sie nichts zu sagen, hoffte jedoch auf Dilennas einstigen Worte, er würde ihr helfen, „i-ich bin Jounia... Können Sie mir helfen?“ „Das kommt darauf an, was du willst. Wer bist du?“ „Jounia.“ Sie kniff unverständlich die Augen zusammen. Vielleicht habe er sie nicht verstanden, dachte sie bei sich. „Ein Name allein sagt nichts. Wer bist du?“ Der Seelenhirte wurde lauter und je bestimmter er sich anhörte, desto mehr kribbelte es in seiner Gegenüber, sie wusste nicht, was er von ihr wollte. „Ich habe Ihnen doch schon meinen Namen genannt, was wollen Sie denn noch?!“ Auch sie wurde jetzt lauter, aber erweichter und verzweifelter. Kurz wurde es still. Kapitel 18: -2|8- ----------------- Jounia wusste nicht, was sie tun soll, allmählich schossen wieder Tränen in ihre Augen und sie drehte sich um zu den anderen beiden. Diese jedoch sagten nichts, Dilenna senkte den Kopf, Thrian sah sie an, stand ernst und steif vor der Tür. „Du kommst vom nördlichen Späherntal?,“ prüfte der Dunkle sie. „Ja,“ haschte es aus Jounia, „ich meine nein... also...“ „Halt sie fest.“ Jounia erschrak und sah, wie der dunkle bestimmend zu Thrian äugte und nach hinten aus einer weiteren Tür verschwand. Sie wandte sich nach hinten, Thrian kam näher. „Was... hey“ stotterte sie und dicke Tränen verschwommen ihre Sicht, „Thrian...“ Sie wich seinen ersten Griffen aus und ging einen Schritt nach hinten, er wurde schneller und haschte nach ihrem Arm. „Was soll das?“ Der Seelenhirt kam wieder herein, in seiner Hand waren dunkle Kräuter, fast schwarz mit einem lila Schimmer, er ging auf Jounia zu. „Nein. Was ist das, was soll das?!“ sie wurde panisch und versuchte sich hin und her zu winden, als Thrian sie plötzlich auf den Boden drückte. „Lasst mich los! Bitte!,“ es fiel ihr immer schwerer, sich zu wehren, als der Seelenhirt ihr die Kräuter um die Handgelenke wickelte und es beobachtete. Es war eine Tinktur aus ein paar wenigen Kräutern und verschiedensten anderen Zutaten, mit deren Hilfe er die Besinnung einer unklaren Seele bestimmen sollte. Eine familiengeheime Tinktur seines Stammbaumes, deren Zusammsetzung bereits etwa vier Generationen zurück lag. „Wo kommst du her?“ fragte er erneut und Jounia fing an, zu weinen, versuchte immer weiter, Thrian von sich herunter zu schieben, er aber hielt ihre Haare am Boden fest, sodass sie auch ihren Kopf am Boden halten musste, und zückte aus einer Schnalle seiner rechten Seite ein scharfes Messer. „Was bist du?“ waren seine Worte, als Jounia ihn zur Seite stoßen wollte, weshalb er mit der Klinge noch näher kam, auch Dilenna hob ihren Kopf und ging näher auf die drei heran. Jounia konnte ihren Kopf zur Seite drehen und sah über den Teppich zu den Stiefeln des Hirten. Die roten Flecke des Teppichs waren direkt neben ihrem Kopf, nach Blut rochen sie schwach und Tod. Die Fingerbreiten Tränen sprangen aus ihrem Gesicht, sie konnte durch Thrians Gewicht und ihrer Panik nur noch schwer atmen, schluchzte, „lasst mich doch gehen...ich will nur wieder zurück.“ Sie erkannte, dass es nichts nutzte, zu betteln, sie war allein und wusste nicht einmal, wo. Sie hatte keine Chance außer die, alles zu versuchen, was sie konnte. Doch das war nicht viel. Ihr Körper zitterte vor Angst und auch ihre Lippen hielten nicht still. Der Seelenhirt ging einen Schritt auf sie zu und beugte sich herunter, um eine rote, klebrige Flüssigkeit über die Kräutertinktur an ihren Armen zu kippen. Aber dazu kam er nicht... Kapitel 19: -2|9- ----------------- Thrian war auf ihr, drückte sie auf den Boden und hielt ihr eine scharfe Klinge an den Hals, als man auf mal einen Schock in seinem Antlitz zu erkannte. Seine Finger, die den Griff des Messers hielten, wurden weiß, schneeweiß. Seine Augen erweiterten sich und entsetzt starrte er seine Hand an, Dilenna stand schräg hinter ihm und konnte nichts erkennen. Das Weiße an seinen Fingerkuppen schien, als würde es seine Hand vereisen und stieg immer weiter seinen Arm entlang. Thrian zog seine Hand zitternd näher an sich heran und erschrak. Panisch schrie er auf und ließ die Klinge aus seiner klappernden Eishand neben Jounia fallen. Er machte einen großen Satz nach hinten, zappelte hilflos mit seinen Armen und Beinen, bis er auf seinem eigenen Hintern landete und vor allen Augen saß. Durch seinen Aufschrei erschrak auch Dilenna und zuckte zusammen, Jounia wurde ganz still und selbst der Seelenhirt hielt zur Vorsicht Abstand. „Was ist auf einmal los?“ besorgte sie sich, Thrian starrte mit wahnsinnigem Blick zu seiner Gefährtin. „Siehst du das nicht?“ Dilenna schüttelte den Kopf und auch der dunkle Mann wusste nicht, was er sagen solle. Hysterisch hielt er den beiden seinen Arm hin, um ihn zu zeigen und sah Dilennas ratlosen Ausdruck. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen und konnte Thrians Reaktion nicht verstehen. „..Hast du Schmerzen?,“ fragte sie zögernd, Thrian war fassungslos. „Na...,“ er sah sich seinen Arm erneut an. „Was ist das?,“ wunderte er sich. Er war wieder normal, aus Fleisch und Blut, weder Eis noch Schnee klebten auch nur an ihm. Thrian stand auf, „ihr habt nichts gesehen?“ Wieder schüttelten die anderen beiden den Kopf. Jounia, die noch immer auf dem Boden lag, richtete sich nun auch langsam auf. „Was war mit dir?“ wollte seine Gefährtin wissen, welche gespannt ein paar Schritte von ihm entfernt stand. „Es war wie.. ein böser Zauber. Warst du das?“ Thrian hob den Kopf und sah direkt in die Augen des Seenenhirten, er aber verneinte. Nachdenklich wandten sich seine Augen zu dem Mädchen, Jounia, die ihm schräg gegenüber saß. „Hast du gesehen, was passiert ist?,“ Niemand bisher konnte ihm Recht geben, niemand hat das selbe gesehen, wie er, so war sie also seine letzte Hoffnung... Wenn nicht gar Sündenbock als Fremde, „oder hast du etwas damit zu tun?“ Thrian zog eine ernste Miene auf und doch war die Unsicherheit noch stark. Er hob sein Messer auf und stand bedrohlich dem Mädchen gegenüber. Jounia schüttelte rasch den Kopf, wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht, „n-n-nein. Ich meine, ich hab es gesehen, aber... ich war das nicht.“ Ihre Stimme war flach und zittrig. Der Seelenhirt war innerlich so stark über das Geschehene am rätseln, dass er leise brummte. „Ein böser Zauber... Was hast du gesehen?“ „Mein Arm,“ erwiderte Thrian, „er wurde auf einmal ganz weiß und teilweise gläsern. Es war, als würde er vereisen. Und jetzt,“ er hielt ihm den Arm entgegen und zuckte mit den Schultern, „nichts.“ Der dunkle Mann zog tiefdringend die Augen zusammen, machte sie klein und zog seine Unterlippe und sein Kinn nach oben. „Halt sie fest,“ befahl er auf Mal erneut und deutete auf Jounia, die ängstlich zusammenzuckte. Thrian zögerte erst, jedoch vermochte er es nicht, dem Seelenhirt zu widersprechen, welcher augenscheinlich genau wusste, was er zu tun hatte. „Lass' sie ruhig sitzen.“ Thrian beugte sich herunter zu ihr und hielt ihre Arme hinter ihren Rücken, Jounia saß auf ihren Unterschenkeln, „Nein, ich war es nicht, ich schwöre! Was wollt ihr von mir?“ Der Mann stand ihr gegenüber und hatte seinen Kelch mit roter Flüssigkeit schon zur Seite gestellt. „Sag uns die Wahrheit, Jounia. Wo kommst du her?“ Jounia biss sich auf ihren rüttelnden Lippen und atmete tief durch. „Ich...ich will nur zurück nach Hause, ich komme nicht von hier. Und ich weiß nicht, wo ich hier bin. Ich dachte, Sie würden mir helfen...“ „Wie bist du denn hier hergekommen, wenn du von weit weg kommst?“ „Daran erinnere ich mich nicht. Ich bin hier aufgewacht, ich war vorher noch ganz woanders... es ist, als würde ich aus einer ganz anderen Zeit stammen..“ Der Seelenhirt bekam große Augen, auch seine nüsternähnlichen Nasenlöcher weiteten sich und seine Brauen zogen sich in Richtung Stirn, als hätte er etwas erkannt, etwas in ihr gesehen, in ihren Worten. „Oder eine andere... Welt?“ Jounia nickte, und wieder perlten ein paar wenige Tränen von ihren Wangen herab. Ihr Gegenüber setzte sich vor sie auf den Teppich, gab Thrian das Zeichen, er könne sie wieder los lassen, welcher sich das nicht zwei Mal hat sagen lassen nach dem, was er zuvor zu sehen bekam. „Was ist los?“ wunderte er sich und stand auf. „Wenn das wahr ist, dann...,“ der Seelenhirt schüttelte sachte, fassungslos seinen Kopf, „in all den Jahren, in denen ich hier lebe, habe ich schon viele Menschen gesehen, viele Wesen... Aber noch keines wie dich.“ Jounia verstand nicht, was er damit sagen wolle, keiner tat es. „Lasst uns nicht hier sitzen wie die Tiere. Kommt mit.“ Er ging voraus in die Stube, in der auch der Kessel noch immer über dem Feuer hing. Vor der Feuerstelle lagen Felle von Wölfen und an einem Tisch im selben Raum stand ein einzelner Stuhl. Thrian, Dilenna und auch Jounia, welche aufstand, folgten ihm, wenngleich keiner dieser Drei verstand, was vor sich ging. Kapitel 20: -2|10- ------------------ In der Stube entfachte der Mann ein Feuer an gesammelten Holzspaten unter einem Topf und erwartete bereits die anderen, die wenige Momente auch eintrafen, Thrian voraus, während Jounia zurückhaltend hinterher trippelte, noch immer aufgelöst durch ihrer Todesangst kurz zuvor. „Ich habe leider nur einen Stuhl, ich bekomme nicht oft Gäste. Aber die Felle hier sind auch sehr gemütlich,“ lud der Seelenhirt die anderen herein und wandte sich ihnen zu, „nennt mich Shamehen. Kommt ruhig näher.“ Shamehen verschwand wieder durch die Tür und schien sehr ruhelos zu sein. Dilenna ging näher, bis sie sich auf den Fellen niederließ, Thrian drehte sich noch einmal herum zu Jounia und starrte sie an. Sie konnte seinen Blick nicht deuten, und er wusste auch selbst nicht, was er in diesem Moment denken solle, Wut, Unbehagen und Leere zur selben Zeit. Jounia wagte es nicht, ihm in die dunklen Augen zu sehen, ihre Sicht ging kurz hoch, fiel allerdings schnell wieder herab, an ihm vorbei zur Feuerstelle. Unsicher hielt sie sich am linken Arm fest und ging weiter, auch Thrian war inzwischen nach seinem kurzen Herumdrehen weitergegangen. Im selben Augenblick erschien Shamehen wieder in der Stube und hielt verschiedene Kräuter in seinen Händen, die er über dem Kessel teilweise zerpflückte, teilweise ganz hinein legte und rührte. „Setz' dich hin,“ er winkte Jounia zu sich, welche abseits stehengeblieben war und sich nicht näher heran wagte. Sie kam näher und setzte sich zu den anderen beiden, welche sich ebenfalls auf den grau-weißen Fellen niedergelassen hatten. Sie waren erstaunlich weich und dicht, eine fast fünf fingerbreite Tiefe von Haarspitze bis zum Leder. „Wie kamst du Unwissende darauf zu sagen, du seist aus dem nördlichen Späherntal?“ prüfte Shamehen sie, Jounia fühlte sich unsicher, ertappt und wusste erst nicht, was sie sagen sollte, während Shamehen weiter in seinem Kessel rührte. „Ich wollte nicht, dass Dilenna mich für verrückt hält, wenn ich ihr sage, dass... also wenn ich ihr...“ „Wenn du ihr sagst, von wo du wirklich kommst?“ Jounia nickte. Dilenna und Thrian staunten über ihre Worte und lauschten ihnen gespannt. Thrian behielt ab und an immer wieder kurz seinen Arm in Sicht und überprüfte ihn. „Kannst du mir sagen, wo ich hier bin?,“ schluchzte Jounia wimmernd. „Nun, Kleine, du bist hier im Morrewald in meiner Hütte,“ Shamehen fing an, zu kichern, „und ich bin Shamehen.“ „Ja, naja. Ich meine, was ist das hier, wie komme ich hier her?“ Der Seelenhirt holte kleine Tontassen aus einem Schrank hinter ihm. Er füllte sie mit der heißen, in Wasser aufgebrühten und mit Kräutern vermengten, qualmenden, klaren Flüssigkeit mit einer großen Kelle. Aus den vollen Krügen stieg warmer Dunst herauf und dunkelgrüne Kräuterhalme überlappten dem Rand. Gefüllt gab sie Shamehen seinen Gästen in die Hände und wandte sich wieder herum zu seinem Kessel. Thrian, Dilenna und Jounia saßen mit vollen Tassen auf den Fellen und doch trank keiner aus seiner heraus. Dilenna starrte in die Brühe, zuckte ein wenig nachdenklich mit den Brauen und roch vorsichtig an ihr. „Trinkt das,“ Shamehen klang entspannt. „Was ist das?“ brummte Thrian und sah herauf. Shamehen füllte einen weiteren Krug mit Brühe, drehte sich zu seinen Gästen und setzte sich ihnen Gegenüber. Er bemerkte, dass sie ihn erwartungsvoll anstarrten, hielt es allerdings für selbstverständlich. „Na, Tee,“ er blies mit einem Lächeln auf dem Mund den Qualm von seinem Tee und nippte daran. Jounia erkannte ein weiteres Lächeln im Gesicht des Rot-schopfes, welche ebenfalls anfing, die Hitze der Brühe weg zu wehen und tat es ihr gleich. „Ich hörte einst und in all den Jahren viele Legenden über einen alten Fluch. Hört aber, dass es sehr lang vorüber ist und Geschichten sich mit der Zeit verändern,“ Shamehen saß den anderen aufrecht im Schneidersitz gegenüber und trank in kurzen Redepausen immer wieder von seinem aufgebrühten Getränk. „Es gab eine Zeit der Farben, wie ich sie gern nenne. Eine Zeit, in der die Sonne in den Sonnenländern am Tage endlos strahlte und die Wälder saftig grün den Wesen der Welt Schutz boten. Vor über zweitausend Monden jedoch tobte ein Sturm über dieser ganzen Welt und blies sie schwarz und kalt, seither gibt es das Böse und die Niedertracht aller Völker. Einst, als ich noch nicht halb so alt war, wie jetzt, hörte ich einen graubärtigen, faltigen Mann in einer Schänke. Ich saß einen Tisch entfernt, als er jungen Kämpfern, die dort rasteten, eine Erdichtung über einen alten Fluch vortrug und auf dessen wahren Kern schwor. Zunächst hielt ich ihn für nicht bei Sinnen, für alt und wirr, doch er war nicht der einzige, von dem ich etwas derartiges in meinem Leben hörte. Er saß mit etwa fünf Mann am Tisch, jeder einen Krug Gebräu, als er mit tiefer Stimme begann," Shamehen räusperte sich, nahm einen Schluck des Tees und ließ ihn in seinem Mund langsam vergehen. Mit einem bedachten Blick in die Augen seiner Gefährten begann er, "»Einst gab es den Schein der Helligkeit, der die Wesen der Welt umgab. Er lehrte sie Gutes und gab auf sie Acht, nicht wissend, was eines vermag... Ein Jünger, ein weiser, war dem Schein zugetan, lernte mehr noch im Schatten der Nacht, bis er unbemerkt durch inn'rer Niedertracht, getrieben zum Fluch, den er gemacht. Obgleich die Erfüllung in jedem so groß, das Gute, die Wärme, das Wissen gelehrt, ein Wesen doppelzüngig gesinnt und nach Größe noch größer als des Scheines begehrt. Missglückt sein Versuch, gefallen durch den Sturm und zersetzt der ganze Ort. Schwarz wurd' die alte Welt, sein Geist weit verstreut und der Schein, das Gute flog fort «,“ Kapitel 21: -2|11- ------------------ Shamehen fing an zu lachen, „wisst ihr, die Krieger damals haben genau so ausgesehen, wie ihr jetzt, als sie das hörten.“ „Nun, Es ist beim ersten Hören etwas verzwickt...“ grübelte Dilenna vor sich her. Shamehen stand auf, „darf ich euch noch einschenken?,“ Thrian schüttelte stumm den Kopf und war noch mit seiner ersten Tasse beschäftigt, während Dilenna ihm ihre entgegenstreckte. „Nein, danke,“ murmelte Jounia, welche ihren Krug mit beiden Händen umschlang, um sie zu wärmen. Shamehen füllte die beiden Behälter wieder auf, „Es ist eben eine sehr alte Fabel. Eine der Bekanntesten, die ich kenne und ebenso die Älteste.“ Er übergab Dilenna ihren Tee, setzte sich wieder zu ihnen seitlich vor das knisternde Feuer und fuhr fort: „Ich habe sie schon so viele Male in meinem Leben gehört, sodass ich sie inzwischen frei erzählen kann... Man sagt, in der Fabel ginge es um einen ungeheuren Magiekünstler, der einen mächtigen Fluch aussprach. Vor langer Zeit waren hier in meiner bescheidenen Hütte zwei Reisende für einen Blutschwur, die viel herum gekommen sind. Wir unterhielten uns die halbe Nacht und sie berichteten mir von weiteren Erzählungen...,“ Shamehen blickte auf und sah die zusammengekniffenen Augen Jounias, „mit einem Blutschwur, musst du wissen, kann ich beschädigtes Blut eines Wesens reinigen. Sie erzählten mir jedenfalls von der Idee, es handle sich bei dem Schein um einen weiteren Magier, der vom herankommenden Lehrling vernichtet wurde, bevor er den Fluch aussprach. Daran glaube ich allerdings nicht,“ Shamehen erhob sich erneut, als er bemerkte, dass Thrian und Jounia inzwischen ebenfalls ihren Krug geleert hatten. „Wieso nicht?,“ brummte Thrian und übergab seinem Gegenüber den Behälter. „In der Fabel ist die Rede von den Wesen der ganzen Welt. Ich glaube nicht, dass ein einzelner Magier die Macht über eine ganze Welt haben kann. Und, dass ein einfacher Lehrling es schafft, diesen zu vernichten. Aber lasst euch gesagt sein, dass ich keine Beweise für jegliche Erzählungen habe... Andere halten die übergreifende Erwähnung vom hellen Schein für ein dünnes Gerücht. Für eine Beschreibung der Zeit vor dem großen Krieg...,“ er stoppte seine Erzählung und überreichte seinen Gästen die neuen Getränke, "der Sturm der Zeit. Vor längerer Zeit hörte ich eine weitere Geschichte, oder Auffassung, darüber. Einer, welche nichts mehr mit der Magie zu tun haben soll, sondern mit dem Beginn des großen Krieges... So soll der Sturm viel mehr als Heer angesehen werden, als eine Art großer Armee, welche sich heimlich ansammelte und letzten Endes den Krieg begonnen haben soll. Und dieses Heer soll so eine Wucht mit sich gerissen haben, wie ein alles verwüstender Sturm..." „Shamehen,“ wagte Jounia endlich ihre Worte und er hob seinen Blick in ihre Augen, während er sich wieder setzte, „verzeih', wenn ich dich unterbreche, aber was hat das Ganze mit mir zu tun?“ „Du, Jounia, bist, würde ich sagen, der Beweis für eine weitere Art von Verständnis für die Fabel. Es gibt viele, vielleicht ein dutzend Theorien, schließlich gibt es sie schon eine halbe Ewigkeit. Ich habe davon hören dürfen, es gäbe, wegen der Formulierung „alte Welt“, seit diesem Fluch eine zweite, neue Welt neben der unseren. Manche sagen, sie sei erschaffen worden, andere behaupten, sie wurde nur an unserer wie herangezogen... Die meisten jedoch hielten das bislang für zu weit hergeholt. Wenn du, wie du sagst, aus einer anderen Welt kommst, dann entspricht eines davon allerdings vermutlich der Wahrheit... Erstaunlich,“ Shamehen senkte seinen Krug und sah aufgelöst in die Leere. Auch seine drei Gäste staunten über seine Worte und wussten für den ersten Moment nicht, was sie sagen sollen. Jounia war stumm und wie gelähmt aufgrund der Idee, aus einer einer anderen Welt zu kommen. Sie schaute kurz herüber zu Thrian und Dilenna, die ebenfalls im Innern grübelte und von einer eigenen, inneren Idee gepackt wurde, jedes Wort aller Fabeln, die sie kannte, noch drei weitere Male auseinander zu nehmen. „Einer.. anderen Welt? Kann ich denn irgendwie wieder zurück kommen?,“ fragte Jounia schließlich. „Das kann ich dir leider nicht sagen, Jounia,“ Shamehen der einsame Seelenhirt senkte seinen Blick wieder herab auf sie und stand auf, „dazu müssten wir wissen, wie du zu uns hier hin gelangen konntest,“ er fing an, ungeduldig und grübelnd in seiner Hütte auf und ab zu gehen, wedelte mit seinen Händen beim Artikulieren herum. Es war, als würde Shamehen all die alten Geschichten aus seinem Repertoire holen. Alles, was er bislang in seinem Leben hörte, alle Geschichten und Legenden, all jene, die er erlauschte und jene, die ihm Wanderer erzählten fügte er zusammen auf einfachem Pergament, „wenn du wirklich von dort kommst, Kleine... bringst du uns ein Stück vergessener Geschichte unserer eigenen Welt zurück. Es ist einfach... bemerkenswert.“ Kapitel 22: Ende Zwei --------------------- Die Zeit flog rasch wie ein Raubvogel auf Jagd und es ward Nacht. Shamehen lud seine drei Gäste ein, die Nacht sicher in seiner bescheidenen Hütte zu verbringen, um gestärkt am folgenden Tage wieder aufzubrechen - was sie dankend annahmen. Da er ein einsamer Seelenhirt auf einer Lichtung war, ist es ihm nicht möglich gewesen, ihnen Betten anzubieten, jedoch waren die Drei froh darüber, in einem warmen Raum nächtigen zu können, statt in der Kälte der Nacht. "Willst du mir noch helfen?," bat Shamehen Thrian, welcher nickte und aufstand. Gemeinsam verschwanden beide in den vorigen Raum mit dem rotbeträufelten Teppich durch die Hintertür nach draußen. Hinter der Hütte war ein kleiner, hölzerner Unterschlupf, in den sich die wenigen Ziegen längst zum Schlafen gelegt hatten, neben ihm, außen am Zaun, stand ein selbst gezimmerter, rechteckiger Kasten, den Shamehen öffnete. Er reichte Thrian einen der zwei Fässer darin und nahm sich einen eigenen, beide bis an den oberen Rand blutverschmiert und noch gefüllt mit etwa der Hälfte. Thrian roch kurz daran und rümpfte seine Nase. "Blut," vergnügte sich Shamehen über Thrians Reaktion, "das ist Wolfsblut. Ich jage sie..." Zu zweit bewegten sie sich von der Hütte weg, etwa zehn Mannsbein entfernt blieben sie kurz stehen, während Shamehen der Ferne lauschte und seinen Blick anschließend zum stummen Thrian wandte. "Angstblut eines Wolfes.. Das schreckt sie ab, und alle anderen ungebetenen Gäste." Thrian setzte einen ernsten und zugleich grübelnden Blick auf, "du musst stark sein." "Jetzt ja," Shamehen kicherte mit seiner dunklen, warmen Stimme, "am Anfang, musst du wissen, war es sehr schwer, einen Wolf zu erlegen. Und Angstblut zu ergattern völlig unmöglich." "Das kann ich mir vorstellen," lächelte auch sein Gegenüber nun fast. "...Geh' du da entlang und ich hier. Verteile es gut, aber pass' ja auf, dass du nicht alles auf einmal verschüttest." Nachdem Thrian zustimmend nickte trennten sich ihre Wege in entgegengesetzte Richtungen, um mit dem beißend stinkendem Blut jeweils einen Halbkreis um die kleine Lichtung zu ziehen, bis sie sich am anderen Ende dieser wieder trafen. In der Zwischenzeit waren Jounia und Dilenna weiter in der Wohnstube, das kleine Feuer spielte noch mit den ein oder anderen Funken. Dilenna zog aus ihrem Beutel die Wolldecke, die sie stets bei sich hatte und legte ihre lederne Bekleidung bis auf Hemd und Hose ab. Als sie ihre verschlissenen, alten Stiefel auszog, hielt sie, einen von ihnen in den Händen, kurz inne. "Es tut mir leid..." sie senkte ihren Blick und blinzelte kurz zu Jounia herüber, bis sie auch ihren Kopf gänzlich zu ihr drehte, Jounia hob ihren Kopf vom Boden herauf und sah ihr tief in die blattgrünen Augen. "Ich würde ja behaupten, du hättest mir etwas davon sagen sollen, aber... Keiner von uns hatte auch nur eine Ahnung. Und besonders wegen Thrian, als er dir heute so eine Angst gemacht hatte..." Dilenna versuchte, Erklärungen und Entschuldigungen zu finden, doch schienen die Worte teilweise in ihrem Halse stecken zu bleiben. "Dilenna...," unterbrach Jounia sie, "ich habe davon doch auch nichts gewusst. Ich dachte am Anfang noch, das wäre alles ein Traum und jetzt sind das auf einmal zwei Welten? Ich weiß doch immer noch nicht, ob ich all das glauben soll." Dilenna legte ihre Stiefel beiseite und setzte sich nieder zu ihr, "es ist zumindest eine Erklärung. Und das wolltest du doch, das wollten wir alle drei, eine Erklärung." Jounia nickte, senkte ihren Kopf und wusste nicht, was sie tun solle, was sie denken solle. Dilenna lehnte sich zurück, schob ihren Mantel als Kneul unter ihren Kopf und legte sich auf den grauen Teppich vor dem Feuer. Sie bemerkte, wie ihr Gegenüber noch immer an der selben Stelle saß und still auf den Boden starrte. "Leg' dich doch hin, es ist spät." Jounia schüttelte den Kopf, "was geschieht denn morgen? Ich habe so viel gehört an nur einem Tag, verschiedene Geschichten, Fabeln und Märchen, aber... keine einzige Geschichte darüber, wie ich wieder zurück kommen kann..." sie sah gleichsam angespannt und leer vor sich, Gedanken sprangen in ihrem Kopf quer, als Dilenna langsam verstand, seufzte, und sich wieder erhob. "Versuch zu schlafen, das beruhigt dich. Ich versichere dir, morgen werden wir in Ruhe den Hirt noch einmal fragen. Er war so aufgebracht an diesem Abend, dass man es ihm ansehen konnte, einen Seelenhirten so aufzuwühlen ist ganz und gar nicht leicht. Sie haben sicher schon vieles gesehen und von noch mehr gehört." Jounia nickte. Die beiden Männer standen sich gegenüber am abgeschlossenen Blutkreis und sagten vorerst nichts. Sie horchten in den Wald hinein, aus dem hier und da ein Federtier und weit entfernt leises Wolfsheulen ertönte. "Du brauchst neues Blut," wies Thrian hin, der Shamehen seinen leeren Behälter entgegen streckte, "soll ich dir helfen?" "Nein," erwiderte Shamehen, "du bist ein Kämpfer. Einen Wolf im Kampf zu erlegen erfüllt seinen Körper nicht mit Angst, das muss ich allein machen." Thrian verstand nicht ganz, nickte aber nichtssagend. Als Shamehen sich wieder zur Hütte umdrehte und sich darauf zu bewegte, ging auch Thrian zurück in die Wärme. Jounia und Dilenna saßen sich auf dem Teppich vor den noch glühenden Holzspaten gegenüber, als sich die Tür zu diesem Raum öffnete und ihr Gefährte hinein trat. Er sagte nichts, warf den jungen Frauen nur einen Blick zu, besonders in Jounias Augen blieb er für kurze Zeit verweilen, während er hinter sich die Tür schloss und seinen Mantel ablegte. Jounia erwiderte seinen Blick nicht lang, nur kurz bis sie verlegen auf den Boden schwenkte. An diesem Abend waren tausende Worte gesprochen worden, dass den drei Gästen kein neues mehr einfiel, zu sagen. Es war schon spät, als die Dunkelheit die Nacht durchfloss und auch die sonst leere, aber in jener Nacht gefüllte Wohnstube verdunkelte allmählich ebenfalls, bis nur vereinzelte Holzscheite rot glühten. Shamehen ging vorerst auch wieder in seine Hütte und stellte die leeren Behälter vor die Eingangstür. Neben dem verlassenen Ritualzimmer mit dem blut-besprenkelten Teppich öffnete er eine Tür, kaum zu unterscheiden von der Wand um sie herum. Es war eine Kammer, gut gefüllt mit Fellen, allerlei getrockneten Kräutern und Gefäße, dessen Inhalte man nicht einmal erriechen oder erahnen konnte. Zum Teil waren es eingelegte Gaulaugen, in Wieselspeichel getränkte Zungenstücke und ausgepresstes Rückenmark verschiedener wilder Tiere, aber auch Schafwolle, Milch und gemahlene Zähne. Er nahm sich ein Rohr und ein paar äußerst kleine, spitze Pfeile, die aus Wolfskrallen geschnitzt und umwickelt von feuchten Tüchern waren. Die Feuchte kam aus einem kleinen Fläschchen, welches mit einer selbst angerührten, benebelnden Substanz gefüllt war. Jede Erntezeit der giftigen Morphiskräuter, welche er selbst anbaute, nutzte er und sammelte die Blätter dieser ein, um die Flüssigkeit heraus zu pressen. Nach Zugabe von weniger als einem Tropfen Krötenmark wirkt die Flüssigkeit in jenem Fläschchen gefahrvoll sinnesbenebelnd für jeden, der mit ihr in Berührung kommen sollte. Shamehen warf sich ein großes Fell über die Schultern und verschwand im Wald... Er war still und näherte sich den Geräuschen der Finstertiere - der Wölfe. Zunächst nahm er in einer Baumkrone Platz, um einen Überblick zu bekommen, "zwei, drei.... Vier Stück. Gut." Vorsichtig hielt er das Rohr an seinen gespitzten Mund und setzte schnell eine Pfeilspitze hinein, dann zielte er. Es ist schon viele Jahre her gewesen, dass er sich diese Technik selbst angeeignet hat, so war er inzwischen so geübt, dass es in den meisten Fällen ohne Zwischenfall funktionierte. Mit raschem Druck schoss er dem ausgewählten Wolf die Spitze entgegen und beobachtete, wie er aufjaulte und zusammenzuckte. Alle Wölfe erschraken durch jenen Laut, blieben aber hohen Mutes Rücken an Rücken stehen, um knurrend in den schwarzen Wald hinein zu blicken. Von da an war es eine Frage von wenigen Augenblicken, bis die Tinktur anfing, zu wirken. Der Wolf senkte unsicher die Ohren und seine Rute zog er heran, das Stadium der Taubheit war erreicht. Als Shamehen dies bemerkte, zückte er Zapfen vom Baum, auf dem er saß, quetschte ein wenig Ziegenfleisch hinein, warf sie weiter fort und stieß ein Wolfsgeheul heraus, um die anderen drei Wölfe vom Benebelten davon zu jagen. Jener hörte nicht klar, was in diesem Moment vor sich ging. Hastig wechselte er den Blick zu verschiedenen Seiten und suchte vergeblich nach seinem Rudel. Als er versuchte, weg zu laufen, wusste Shamehen, dass das zweite Stadium, das des Schwindels, begonnen hat. Der Wolf machte sich klein, fletschte aber angespannt seine Zähne. Im Wissen dessen, dass nun auch die Sicht verschwommen würde, kletterte Shamehen vom Baum und sprang vor den Augen des Wolfes. Das Fell, das er sich mitgenommen hatte, zog er sich über, sodass er im hockenden Zustand nicht von einem der Finstertiere zu unterscheiden war. Er kroch näher, langsam und auf allen Vieren. Es war finster und der Wolf konnte nichts um sich herum hören, als nur ein leises Rauschen. Die verschwommene Gestalt vor ihm näherte sich schleppend, taumelnd und bedrohlich. Und doch roch es vertraut, das Fell eines Wolfes war zu erschnüffeln. Kurz vor der Nase des Wolfes blieb die Gestalt stehen, hocken, und bewegte sich schlängeln und windend, plötzlich raffte Shamehen sich auf und warf das Fell von seinen Schultern. Der Wolf erschrak bis aufs Mark, das Blut in seinen Adern raste und die Wirkung der Tinktur wurde schneller weiter verbreitet. Ihm wurde langsam aber sicher schwarz vor Augen und seine vier Beine wackelten so stark, dass er halb zu Boden sank. Shamehen sprang flink aus dem noch letzten Blickfeld des Wolfes an dessen blinde Seite. Das feste Greifen in beide Seiten, als er hinter ihm stand war wie das Packen an einen starken Nerv. Der Wolf konnte nichts hören, nichts mehr sehen und war getäuscht worden von seinem Geruchssinn, er wurde gepackt. Angst durchfloss ihn von seiner Fellspitze bis in die zusammensackenden Pfoten, als Shamehen in dem Moment eine Klinge zückte und ihm in die Kehle stieß. Ihm selbst gefiel diese Vorgehensweise nicht, allerdings hatte er sie sich selbst erlernt, um sich von jener der vorigen Seelenhirten, die er kannte, zu entfernen. Noch sein Vorgänger berichtete ihm in seiner Lehrlingszeit, dass die Wölfe zu Zeiten noch teilweise gefesselt, geknebelt und durch starken Schmerzen wie etwa das lebendige Häuten getötet worden sind. In Anbetracht dessen war Shamehen nun doch etwas Stolz über seine selbst entwickelte Wolfsjagd. Den blutenden Leib umwickelte er mit seinem mitgetragenen Fell, um nicht allzu viel des Angstbluts zu verlieren. Durch den in diesem Moment schon beißenden Geruch konnte er sich der Sicherheit vor den anderen Wölfen sicher sein. Er warf sich den Leib über die Schultern und trug das tote Tier zum weiteren Ausbluten zurück zu seiner Hütte... Kapitel 23: -3- --------------- Es war früh am Morgen, man hörte die Vögel des Waldes und die bereits wachen Ziegen hinter dem Haus. Shamehen war bei Ihnen, um ein paar kleine Krüge Milch zu melken und mit der Zeit erwachten auch die drei Gäste, die in der Wohnstube schliefen. Thrian verschwand für wenige Momente, um sich zu erleichtern und auch die anderen beiden machten es ihm anschließend gleich, bis es, als sie alle wieder in der Stube saßen, an der Tür klopfte. Shamehen brachte mehrere töpferne Behälter herein und stellte sie auf den Tisch. "Heiteren Morgen," wünschte er ihnen mit einem Lächeln auf dem Mund. Auch die anderen freuten sich über den netten Empfang, "ich habe frische Ziegenmilch. Das ist gute Stärkung für eure weitere Reise. Ihr habt mir ja noch gar nicht verraten, wohin es euch nun verschlagen wird." Thrian und Dilenna erhoben sich und sahen sich ahnungslos in die Augen. Wir waren auf dem Weg," fing Dilenna an, "über das große Tor gen Westen." Shamehens Blick ward nachdenklich und stiller, "ihr seid im Auftrag von Lord Berduhnn unterwegs?" seine Gegenüber aber schüttelte den Kopf. "Nein, eher im Auftrag der eigenen Seele.." "es ist eine private Angelegenheit," zischte Thrian dazwischen und schwenkte sein ernstes Antlitz zunächst zu seiner Gefährtin, die wieder zu Schweigen begann, dann zum dunkelhäutigen Hirten. "Ihr wisst, wen ihr vor Euch habt," Shamehen sprach deutlich, nicht jedoch befehlshabend, er goss Milch in die Tassen und übergab sie den jungen Frauen, anschließend dem kraftvollen Krieger. Als Thrian danach griff, hielt Shamehen sie vorerst noch fest und sah ihm tief in die dunklen Augen, "wenn ich in deine Augen blicke, dem Tor deiner Seele... Dann seh' ich viel Schmerz verborgen im Innern. Schmerz und unglaubliche Wut, die aus ihm hervordringt." Thrian zog seine Augen zusammen und sein Herz machte einen kleinen Sprung. Er fühlte sich ertappt, hatte Angst davor, auch nur einen Funken schwach zu wirken, besonders im Beisein zweier junger Frauen, "Ich hoffe, du wirst nicht von der Wut eingenommen," fügte Shamehen hinzu und ließ den Krug los, Thrian schüttelte den Kopf. Der Seelenhirte wechselte seinen Blick von dem trainierten Kämpfer zu seiner roten Gefährtin und sah ihr nun in die dunkelgrünen Augen, versuchte, auch ihre Seele zu erkunden. Ohne großen Erfolg.. Shamehen wusste, dass sie etwas verbarg, allein dadurch, dass er nicht in sie hinein schauen konnte, doch hielt er sie nicht für gefährlich, sah nicht das Schwarz, das in ihr schlummerte. Shamehen hielt inne und verharrte in ihrem Blick. Man sah ihm an, dass er nachdachte. "Trinkt," er wandte sich für wenige Momente um, seiner Kochstelle entgegen, gedrängt von vielen Gedanken, bis er sich wieder den anderen zu neigte. "Nun, lasst euch sagen, ihr seid nun Teil der Geschichte. Mit der jungen Dame an eurer Seite findet ihr womöglich Antworten auf Fragen, die sich schon eure Ahnen vor vielen Zeiten stellten. Noch viel wichtiger aber ist... Wenn es dir gelungen ist, Jounia, die Welt zu wechseln... dann mag ich mir nicht auszumalen, was noch alles geschehen kann...und was geschehen wird. Findet heraus, wie das alles passieren konnte." "Und wie ich wieder zurück komme," unterbrach ihn Jounia leise, fast unauffällig. "Habt Acht auf sie." Shamehen blickte gewollt fürsorglich und doch war er mehr als beunruhigt. Es dauerte nicht mehr lang, dass die drei Gäste ihre Ziegenmilch tranken und sich bereit für ihre nachfolgende Reise machten. Ihr Gastgeber dieser Nacht hatte nicht genug an Mittel, um ihnen reichlich mitgeben zu können, vielmehr gab er ihnen neben Wasser seine Weisheit mit auf den Weg, auf dass sie in vernebelten und dunklen Momenten daran denken und sich der Idee der alten Legende hingeben sollen. Sie hatten die Spitze des Hügels und das Dach der Hütte hinter sich und den Baumkronen gelassen, als ihr Vordermann stehen blieb. Thrian drehte sich zu den beiden Mädchen um, richtete noch einmal seinen Beutel, der über die linke Schulter gehängt war. Es fiel ihm schwer, die Worte zu sammeln und zu fragen, da er bislang immer den Weg anführte, doch nun war auch er ahnungslos, "wohin?" "Nun, wir... brauchen Antworten," entgegnete ihn Dilenna unsicher. "auf Fragen, die wir niemals gestellt haben..." Thrian konnte man seine schlechte Laune aus dem Gesicht und seinen Worten ablesen. Jounias Blick senkte sie zu Boden. Es war ihr unangenehm, dass einer der beiden, die sie führen wollten, es ganz und gar nicht für gut hieß und dass es an ihr lag, dass er nun einen anderen Weg einschlagen müsse. Auch, wenn sie es nicht absichtlich tat. Dilenna ging nah an ihn heran, "denk doch einmal nach, Thrian. Wir sind vielleicht Teil von etwas Großem," sie sprach leise, dass Jounia nicht viel mithören konnte, "auf der Suche nach Antworten müssen wir dort hin, wo wir welche bekommen," fuhr sie fort, als Thrian sie unterbrach, "oh, auf die Idee wäre ich nie im Leben nicht gekommen." Das lockerte die Stimmung etwas und beide hatten nicht länger einen ernsten, sondern einen amüsierten Ausdruck im Gesicht, obgleich es im Innern Thrians nicht anders aussah, als zuvor und seine Gefährtin wusste das, ging allerdings nicht weiter darauf ein. "Ich glaube, ein paar Tagesmärsche von hier ist eine größere Stadt als das Späherntal. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir dort mehr Informationen erhalten," Dilenna sah hoch zu ihrem Gefährten, "oder?" Er nickte, "Aldanaar," murmelte er, "also gut." er rückte seinen Beutel und sein Schwert wieder zurecht und drehte sich um. Durch die warme Nacht am glühenden Feuerholz und die frische Milch, welche ihnen am Morgen serviert wurde, machten sie erst später am Tag die erste große Pause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)