Contiguity Magica von WrightGerman (A Crow and her Heaven) ================================================================================ Kapitel 09: Aufeinandertreffen ------------------------------ Contiguity Magica Kapitel 09: Aufeinandertreffen     Unterdessen: Mami Tomoe   Anders als Shiro, der sich über die Dächer fortbewegt hatte, war Mami lieber mit den Füßen nahe dem Boden. Sie genoss die Spaziergänge am Abend. Die Ruhe herrlich und angenehm, das bläuliche Licht der Laternen von den Straßen dem Nachthimmel schwach entgegen geworfen und die laue Frühlingsbrise, die ihr von Zeit zu Zeit ins Gesicht schlug, dankbar entgegengenommen. Unter der Kuppel aus frischer und wohl genehmer Atmosphäre, liebte Mami den Spaziergang durch die leeren Straßen Mitakiharas. Es erinnerte sie an die „Sternennacht“ Vincents van Goghs, nur ohne die geschnörkelte Linienführung, die für den Post-Impressionismus unabdinglich war. In vielen Nächten, wenn Mami diesen Weg entlang geschritten, der weitläufigen Lichterkette bis nach Hause gefolgt war, dachte sie über die Kunst nach; wie viel an Wirkung nur ein einziges Bild auf den Menschen haben konnte und wie viel Wirkung es auf sie hatte. Es war ein beruhigendes Gefühl, den dunklen Wolken, die die glatte Stirn mit weiten, bis zur Mitte des Gesichtes herabhängenden Schatten verdunkelten, stets mit einem positiven Gedanken entgegenzuwirken. Ein Künstler, der sich freiwillig in die Obhut einer Anstalt begeben und dennoch nie der Trostlosigkeit des kalten Gemäuers erlegen, sondern stets das Glück mit einem Blick aus dem Fenster gesucht und auch gefunden hatte, verlieh ihr die Kraft, auch an ihrem Glück festzuhalten. Das zumindest, waren die üblichen Gedanken. An einem üblichen Tag, zu üblicher Stunde. Heute aber konnte sie sich nicht dieser Üblichkeit hingeben. Dafür waren ihr zu viele andere Fragen durch den Kopf gegangen. Mami war geschickt darin, ihre wahren Gedankengänge unter Verschluss zu halten. Schon einige Jahre lief sie mit diesem Lächeln herum, das sie mittlerweile wie ein zweites Gesicht trug. Verrückt, wo ihr Anfangs noch die Wangen von diesem falschen Strahlen schmerzten, war es nun die reine Gewohnheit, die sie zur Heiterkeit veranlasste. So hatte sie zumindest diesem „Magical Boy“ das blauäugige Dummchen vormachen können, für die er sie offenbar hielt. Sie war zu lange bereits als Magical Girl aktiv, um sich nicht einmal bei Kyubey zu erkundigen, ob es auch männliche Hexenjäger gab. Dies hatte er vehement verneint, was also die Frage in ihr auftat, wer oder was dieser Kei Tsumoya tatsächlich war. Der Grund, warum sie ihn so willentlich zu sich nach Hause eingeladen und ihm die Alles Glaubende vorgaukelte, war, das die zweifelhafte Möglichkeit bestand, das nicht etwa dieser Kei, sondern ihr langjähriger Freund Kyubey sie angelogen hatte. Immerhin, er war ein junger Mann, der die Kräfte eines Magical Girls besaß. Eine wahrscheinlich seltene Ausnahme, war er doch der Erste, der ihr begegnet war. Diesem Rätsel, wenn es nicht sogar ein Intrigenspiel war, musste sie auf den Grund gehen. Sie würde vorerst dieses kleine Spielchen mitspielen und durch scharfe Beobachtungen den wahren Lügner so entlarven und zur Rede stellen. Denn wer auch immer log, würde bestimmt nicht auf ihr Drängen von seiner Schwindelei abweichen. Sie konnte dieser nur mit Logik entgegenwirken. Und um zu wissen was logisch war, musste sie sich erst einmal durch das Gewirr aus Wahr und Falsch tasten.   „Ich bin wieder da“, rief Mami, während sie die Schuhe von ihren Füßen und die Tasche, die an dem weißen ledernen Gurt baumelte, von ihrer Schulter zog. Gleich darauf stellte sie das Schuhpaar ordentlich vor dem Eingangsbereich hin, zog die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel zweimal ganz herum, bis sich der Widerstand bemerkbar machte. Darauf wandte sie sich um und trat in das schön möblierte Zimmer, wo sie sich auch gleich nach Kyubey umblickte. Doch er war nicht da. Nicht auf dem Stuhl, das vom Polster bedeckt, nicht auf dem Tisch, das vom Porzellan gedeckt, nicht auf der Treppe, die ins zweite Stock sie bringt und nicht im zweiten Stock selbst, wo sie sich am meisten nach ihm sinnt. Kyubey war wohl wieder einmal ausgegangen. Ausgehen bedeutete in diesem Falle, dass er seiner Hauptaufgabe nachging, welche darin bestand, fortwährend nach Mädchen zu suchen, mit denen er einen Vertrag besiegeln könnte. Immerhin, um der steten Bedrohung durch die Hexen, die niemals weniger zu werden schienen, Herr zu werden, musste eine nicht unerhebliche Anzahl an Magical Girls vorhanden sein. Gleichwohl konnte er auch nicht alleine Mami betreuen, sondern musste sich um alle Mädchen gleichsam kümmern. Ihnen Vernunft einbläuen, wenn sie ihr Urteilsvermögen fehlleitete, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, damit sie keine unklugen Entscheidungen trafen oder von unbeantworteten Fragen abgelenkt wurden. Im nicht seltenen Falle war er ihnen aber auch einfach nur die gute Gesellschaft, die ihnen in einsamen Stunden Trost und Unterhaltung spendete, damit sie sich nicht der Verzweiflung durch die Isolation von der Gesellschaft hingaben. Dies betrübte Mami zwar, schätzte sie doch das kleine Anderswesen wie einen wahren Freund, war aber auch im gleichen Maße froh über diese selbstlose Handlungsdevise. Immerhin, er hätte ebenso gut einen Vertrag mit den Mädchen aushandeln und sie dann einfach sich selbst überlassen können. Dafür schätzte sie ihn. Auch, wenn ihr ein „Schade“, über die Lippen huschte, weil sie sich den Abend nun selbst unterhalten musste. Mami erklomm die Treppe ins obere Geschoss, schaltete dort das Licht ein und setzte sich an den gläsernen Tisch, über den sie sich nur kniend beugen konnte. Sie hatte sich ein Heft zur Hand genommen, überging die bekritzelten Seiten und notierte auf einer leeren alles, was sie zu der kurzen Begegnung mit der Hexe noch im Kopf behalten hatte. Dies tat sie, um möglichen Verbündeten und zukünftigen Magical Girls im Falle ihres Ablebens etwas zu hinterlassen. Sie glaubte, das Hexen nach einem Muster verfuhren, hatte es selbst bei manchen Begegnungen so erfahren. Bestimmte Gattungen, seien sie in animalischer, humaner oder dämonischer Gestalt, verfolgten eine ähnliche Strategie im Kampf, die sich nur durch ihre Fähigkeiten unterschied. Sie glaubte aber auch, dass gleich aussehende Hexen auch über dieselben Fähigkeiten verfügten. Einmal, so entsann sie sich, traf sie zu verschiedenen Zeitperioden auf zwei Hexen, die nicht nur dasselbe Aussehen, dieselbe Farbmischung teilten, sondern sich auch methodisch beängstigend identisch verhielten. Sie war sich sicher, dass diese Notizen einmal das Leben vieler Mädchen retten könnten. Und möglicherweise sogar ihr eigenes. Als sie dann fertig war, schloss sie das Heft wieder, legte es zusammen mit dem Stift zur Seite und streckte, in Folge der langsam eintretenden Ermüdung, die Arme der beleuchteten Decke entgegen. Wie Tageslicht grellte die Wohnung im goldenen Schein der Deckenlampe. Da fällt mir ein, sinnierte Mami dann, den Kopf nachdenklich auf eine Hand stützend, hatte er nicht Kazamino erwähnt? Ja, richtig. Er sagte, er sei aus Kazamino. Kazamino … jetzt erst fällt mir diese Similärität zu ihr auf. Nicht nur dieselbe Stadt, auch, dass er den Grief Seed so bereitwillig angenommen hatte und sogar in Erwägung zog, mit mir zu kooperieren. In irgendeiner Weise trägt das ihre Handschrift. Damals war sie genauso. Ich frage mich, ob … Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das ist verrückt. Das entspräche nicht ihrem charakterlichen Muster. Oder doch …? Hach, es ist alles so kompliziert. Na ja, es bringt mir nichts, mir jetzt noch den Kopf zu zerbrechen. Am Besten ist, ich lasse den morgigen Tag erst einmal passieren und schaue, was ich in Erfahrung bringen kann … wenn er denn kommt.“ So stand sie denn auf, ging die Treppe zu ihren Bett – es lag offen und einsehbar, ohne Wände drum herum – hinauf, deckte sich und schlummerte nach kaum mehr als zwei Minuten weg.     Unterdessen: Homura Akemi   Die dürre Gestalt erschien von ihrem Platz größer und breiter, als sie in Wahrheit war. Shiro hatte sich so vor sie gestellt, das es Homura unmöglich war, den Mann ihnen gegenüber weiter in Augenschein zu nehmen. Sicher war das nicht seine eigentliche Absicht und es schien vermessen zu glauben, er könne sie hinter sich verstecken. Nichtsdestoweniger war es ein bewegendes Symbol der Verbundenheit, die seinem Schwur eine ganze Menge an Gewichtung bei warf. Nur wollte Homura nicht beschützt werden. Auch hatte sie niemals von ihm verlangt, sein Leben für ihren Schutz zu geben. Schließlich war in einer Welt, die von Pakten und Versprechen in eine Zeit des Kapitalismus getrieben wurde, sich jeder selbst der nächste und es gab kaum einen, der mit einer Waage ohne Gegengewicht feilschte. Nur einen Menschen kannte sie, der so dumm genug war, dies zu tun. Und das mindeste was Homura tun konnte, war im Ausgleich so lange am Leben zu bleiben, so lange zu kämpfen und dasselbe Zeitraffer stetig zu wiederholen, bis sie ihre Pflicht erfüllt hatte. Der Fremde schielte an Shiro vorbei und beäugte Homura mit dem boshaften Grinsen eines Scharlatans. „Kein Freund von dir, habe ich recht?“, fragte sie Shiro, nachdem sie sich aufbäumte und an seine Seite schritt. Sie war ohnehin schon entdeckt, da konnte das paradoxe Paar dieses Versteckspiel auch gleich beenden. „Tatsächlich nein“, entgegnete der Mann, als hätte sie die Frage an ihn gerichtet. Mit einer schwungvollen Armbewegung verneigte er sich, gleich einem galanten Prinzen vor seiner Prinzessin. „Ich bin der Hexer Reaps, meine Teuerste.“ „Reaps?“ Homura verschränkte argwöhnisch die Arme. „Ein seltsamer Name.“ „Nun, es ist der Name, der mir bei meiner Wiedergeburt gegeben wurde. Ähnlich wie bei Eurem teuren Vispas hier.“ „Whispers?“, fragte Homura und machte Shiro das Geschenk eines verwirrten Ausdrucks, in ihrem Gesicht. Shiro mit verneinender Kopfbewegung: „Nein, Vispas. Ähnliche Aussprache, nur mit einem stummen ,Rʻ. Oh, und mit einem ,Aʻ, wo eigentlich das ,Eʻ ist.“ „Tut die Aussprache jetzt wirklich etwas zur Sache?“ „Eigentlich nein, da ich den Namen nie angenommen habe“, sagte Shiro grimmig. Homura machte einen kurzen Laut des Verstehens, der gleichwohl auch mit Desinteresse hätte verbunden werden können und wagte dann einen genaueren Blick auf den Mann zu werfen, nachdem sich der Mond seines Wolkengewandes entledigte und einen weißen Schein auf die Welt niederließ. Er war, soweit sie es einschätzen konnte, von zarten dreiundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahren, mit weiß-goldenem Haar, in dem ein wenig das Grau vom Alter mit einfloss, sonnengebräunte Haut und einem faltenlosen Gesicht, dass von den Zügen so hübsch geschmiedet, wie von seinem boshaften Lächeln ins Unheimliche verschlissen war. Die Haare trug er zu einem langen Zopf geflochten, der ihm bis zur Mitte seines Rückens reichte. Über den dunklen Stoff, welcher sich an an seinem Körper schmiegte, trug er einen vernarbten und aggressiv aufgemachten Brustpanzer, Armschienen um die Arme, dreilagige Schulterplatten und klobige Stiefel an den Füßen, die ein gehemmtes Bewegen vermuten ließen. Alles aus Metall. Vom Becken abwärts bis zu den Knien trug er nichts zum Schutz, außer den besagten schwarzen Stoff, der sich vom Hals, bis zu den Beinen eng an ihn schmiegte und einen Gürtel, der lose und schief und ohne erkennbaren Nutzen um seine Hüften lag. Shiro hat mich bereits davor gewarnt, dass es jemanden gäbe, der ihn wohl verfolgte. Das wird dann wohl dieser Jemand sein. So hätte Homura zumindest gewettet, wenn denn nicht Shiro – der ewig Unberechenbare – mit einer neuen Überraschung aufwartete, welche ihre nicht einmal ausgesprochene Vermutung mit Entsetzen entlohnten. „Also, da du mich kennst, werde ich mal annehmen, dass du mit Gamic unter einer Decke steckst.“ „Brillante Kombinationsgabe, du Klugscheißer“, erwiderte Reaps, provokant mit den Achseln zuckend. „Als wäre das keine Offensichtlichkeit gewesen. Oder kann es etwa sein, dass du noch mehr Hexer gegen dich aufgebracht hast? Mehr Fraktionen, die deinen Kopf gerne aufgespießt sähen?“ Diese Vorstellung schien ihn köstlich zu amüsieren, denn sein Grinsen wurde merkbar breiter. „Das würde mich allerdings auch interessieren“, sagte Homura. Als Shiro sie darauf mit großen Augen unsicher fixierte, nicht begreifend, was sie mit diesen Worten auszusagen versuchte, wandte sie ihm nur die seitliche Hälfte ihres Gesichtes zu und trat einen Schritt auf den Hexer Reaps zu. „Also, ich denke wir brauchen uns nicht hinter Förmlichkeiten zu verstecken. Du bist sicher nicht hier, um ein nettes Gespräch mit uns zu führen, richtig?“ „Oh, die Kleine hat Mumm“, feixte dieser mit von Hohn übergossener Fratze. „Bewundernswert. Nun, da du schon so ein cleveres Mädchen bist, soll dein Entgelt die Ehrlichkeit, aus den tiefen Kammern meines Herzens geschürft, sein. Obwohl ich es dir eigentlich nicht sagen muss, da du es schon selber erraten hast, wie ich an deinem verdrießlichen Ausdruck zu schätzen wage.“ Und damit hatte er recht. Homura rang in diesem Augenblicke bereits mit dem Gedanken, den Soul Gem in ihrer Hand zu aktivieren und mittels der ihr gegebenen Fähigkeit der Zeitmanipulation, einen schnellen und vernichtenden Angriff auf den bedrohlichen Manne zu verrichten. Was sie in diesem Vorhaben zügelte, war die respektable Furchtsamkeit, welche sie wachsam und bedächtig werden ließ. Immerhin, Shiro hatte ihr nichts von den Schwächen eines Hexers erzählt. Denn so wie Magical Girls nicht gleich starben, solange der Soul Gem noch unversehrt und gut von Magie genährt war, so war sie sich sicher, dass ein Kopfschuss einen Hexer nicht gleich umbrachte. Als hätte Shiro ihr förmlich in den Kopf gesehen, legte er ihr eine Hand auf die Schulter, welche Geste ihr in der althergebrachten Körpersprache der Protektoren bedeutete, keine unbedachte Aktion auszuführen. Er selbst tat dabei einen Schritt vor, fasste den feindlichen Hexer ins Auge, selbstbewusst und mit einschüchternder Miene, dass es selbst seinem Gegenüber kurzzeitig verblüfft aufblicken ließ und sprach mit einer tiefen und von Ernst durchdrungenen Stimme, wie sie Homura noch nie zuvor an ihm gehört hatte: „Oho, du denkst also, es wäre leicht uns zu besiegen?“ „Uns“?, wiederholte Homura in Gedanken, ging sie doch fest davon aus, er würde eher alles daran setzen, sie aus diesem Kampfe herauszuhalten. „Dann“, sagte Shiro weiter, „will ich dir mit nur einem Angriff das Leben nehmen. Damit wir uns endlich deiner scheußlichen Visage entledigen können, die mich so hämisch provokant angrinst, dass es mich schaudern und wüten lässt.“ Das konnte Reaps nicht ohne ein hässliches Lachen kommentieren. „Hört, wie der Hahn kräht. Nun gut, dann zeig mir doch einmal deinen Angriff. Komm schon, werfe mir den Fehdehandschuh vor die Füße.“ „Nur zu gerne“, erwiderte Shiro, drängte Homura um zwei Schritte nach hinten und schuf mit seiner Zauberformel „Sphere-F“ neongrüne Linien, die sich längs überschnitten und ein mal ein Meter große Quadrate auf dem flachen Untergrund des Daches zeichneten. Da diese flache Stelle gerade einmal zehn mal fünf Meter Maß, war das Raster verhältnismäßig kleiner, als wie Homura es eigentlich gewohnt war, doch wusste sie um des strategischen Vorteils, den sich Shiro damit erkaufte. Der Hexer Reaps aber, der beirrt die Augen gesenkt und die Funktion dieses Zaubers zu Entschlüsseln begonnen hatte, war für diesen kurzen Augenblick soweit abgelenkt, dass er Shiros verschwinden bereits zu spät bemerkt hatte. Das entgeisterte Gesicht, dass er für den Bruchteil einer Sekunde aufgelegt, als der Kopf wieder in die Höhe schnellte und nur die zurückgebliebene Homura erblickte, gab ihr eine beinahe sadistische Befriedigung. Doch seine schnelle Auffassungsgabe verweigerte ihr dieses gewinnende Lächeln, denn er ahnte sofort, dass Shiro bereits hinter ihm mit einem Dolch lauerte. Gerade tauchte die Klinge tief genug in den Hals ein, dass die dünne Spitze auf der anderen Seite wieder hervorlugte. In diesem blitzschnellen Moment hatte Reaps bereits herumzuwirbeln begonnen, dass seine von Schrecken geweiteten Augen und das von Schmerzen verzerrte Gesicht ganz seinem Henker zugewandt waren. Verquerte Laute, die wohl als Worte gemeint waren, die er durch die geschlossene Zahnreihe zischte, vermischten sich zu einer dickflüssigen Substanz aus Gurgeln und Knurren. Obwohl der Größenunterschied nicht gerade gering, war es Homura dennoch möglich, an den Todgeweihten vorbei, die marmornen Züge Shiros zu erblicken, mit welchen er den verhassten Blick seines Gegners erwiderte. Kalt und erbarmungslos, die Falten tief von der scheinbaren Anstrengung, mit der er den Dolch weiter fest gegen den Hals drückte. Niemals hätte sie erwartet, je einen solchen Ausdruck in seinem Gesicht zu erblicken. Es war zum ersten Male seid ihrer Begegnung, dass er konzentriert und Kalkül mordete. Selbst bei den Hexen – schien es ihr zumindest – strahlte er einen Hauch von Mitleid für diese verteufelten Wesen aus, deren Leben er vorzeitig endigte. Stille kehrte ein. Die Todeslaute trug der Wind hinfort. Wolken legten sich über den Mond, woraufhin Mitakihara in ein schattiges Tuch gehüllt wurde. Dieser Zustand war nur von einer kurzen Lebensdauer, denn kurz darauf brach das fahle Licht wieder hervor und klarte alles, was von den Laternenmasten kaum berührt blieb, wieder auf. Ein eisiger Schauer befiel sie. Um Shiros Handgelenk hatten sich die fünf Finger des Hexer Reaps gewunden. Mit respekteinflößender Kraft, die unermüdlich gegen den Druck ankämpfte, den Shiros Hand auf den Dolch ausübte, schaffte er es die Klinge aus der Einstichwunde zu ziehen, woraufhin sich der breite Schlitz sofort zuzog und nicht einmal eine Narbe zurückließ. Shiro wollte seine zweite Hand zur Hilfe nehmen, doch fand sich diese ebenfalls im Griffe seines mächtigen Gegners wieder. Alle Mühen des Hexer Reaps, den Dolch von sich fernzuhalten, schienen mit einem Mal verschwunden. Auch, wenn Homura es von ihrer Position aus nicht sehen konnte, so wusste sie, dass dieser Mann, da er sein Gesicht dichter an das von Shiro heranführte, ihm hämisch ins Gesicht grinste. „Schade aber auch, Vispas“, sagte Reaps mit einer furchtbar unheilvollen Stimme. „Wäre es doch nur so einfach gewesen, nicht wahr?“ Shiro ächzte unter der Anstrengung, mit welcher er der Kraft des Mannes Herr zu werden versuchte. Aber unter der Rüstung barg sich ein muskulöses Gerüst, das beinahe den Aufwand, den es brauchte, um Shiros Arme von sich weg zu bewegen, in den Bereich des Nullpunkts hielt. Als er Shiro fixierte, zuckte eines seiner Beine hoch. Mit der stählernen Sohle voran, wuchtete der eiserne Stiefel ungebremst gegen den dürren Leib, was diesen vom Boden hob und ihn gegen die spiegelnde Fassade eines entfernten Hauses schmetterte. In Zuge des Aufpralls zerbrachen Körper und Glas gleichermaßen und Shiro verlor sich im dunklen Leib des Hünen. Homura, die immer so gerne die Berechnende, die Kühle, gab, wich in diesem Augenblick das Rot der Gesundheit aus den Wangen. Die schöne Haut war von einem Mal zum anderen vom Schrecken bleich gefärbt und von der Angst um das Wohlbefinden ihres Hexers mit vielen, tief dringenden Falten vernarbt. Sie wollte Shiro sofort ins Gebäude folgen, da warf sich auch schon der Hexer vor sie, eine Hand gegen die Hüfte pressend, die andere zu einem haltenden Befehl erhoben. „Langsam, langsam, schönes Fräulein“, sagte er, die Winkel seines Mundes feixend in einer steilen Kurve angehoben. „Wo willst du denn so plötzlich hin?“ Homura vergrößerte umgehend den Abstand zwischen sich und ihm. In ihrer linken Hand, die zu einer Faust geballt den Soul Gem verbarg, kämpften sich die violetten Lichtpartikel durch den schmalen Spalt der Finger hindurch. Und da sie die Hand vor ihrer Brust gehalten, hatte der Hexer – wie sie es an seinem Ausdruck bemerkte – das Leuchten natürlich registriert. Anstatt das er aber, wie sie es erwartet hätte – nun zur Tat schritt und sie attackierte, noch bevor sie die Möglichkeit zur Verwandlung hatte, verknotete er die Arme und nahm eine entspannte Haltung ein. „Du willst dich verwandeln, nicht wahr? Nur zu, ich hab´s nicht eilig. Ich warte, bis du fertig bist.“ „Du wirst also nichts tun, um mich aufzuhalten?“, fragte Homura, die der ominösen Passive misstraute. „Wozu sollte ich? Unser Freund“, Reaps deutete mit dem Daumen auf die Bruchstelle im Fenster, „braucht wohl noch ein kurzes Weilchen, bis er uns wieder Gesellschaft leisten kann. Bis dahin vertreib ich mir die Zeit gerne mit dir. Solltest du mich überleben, könnt ihr es ja mal zu zweit gegen mich probieren.“ Homura rümpfte die Nase, obgleich dieses widerlichen Grinsens, welches jedes seiner Worte mit selbstgefälliger Arroganz beträufelte. Doch, auf der anderen Seite betrachtet, war es sehr entgegenkommend von ihm, sie nicht als eine Herausforderung anzusehen. Drum nahm sie das Angebot nur zu gerne entgegen, entpackte den Soul Gem und startete die Transformation zum Magical Girl. Das breite Schuhwerk aus braunem Leder gefertigt, machte sich nun schlanker um ihren Fuß. Die Ferse drückte ein hoher Absatz nach oben und aus dem erdbraun brach ein tiefes Schwarz hervor, das sich mit ihrer Strumpfhose einte. Der Schulrock mischte Grau mit Violett und an seinem unteren Ende kam ein weißer Kranz aus Rüschen hinzu. Die Ärmel der Jacke verkürzten sich bis zum unteren Ende der Oberarme. Unter dieser neuen weißen Jacke trug sie einen schwarzen Pullover mit gefaltetem Kragen, der sich über eine Schärpe, von derselben Farbe wie ihr Rock, legte an dessen hinterem Ende zwei lange, dunkelviolette Bänder baumelten. Die dicke rote Schleife am Halse wechselte, ähnlich wie auch bei Mami Tomoe, zu einem schlanken Design über, war also lang und dünn und von der Farbe ihrer Augen bestrichen. Um ihr linkes Handgelenk manifestierte sich die Schilduhr, jenes magische Artefakt, das speziell auf sie zugeschnitten war und ihr die Macht über die Zeit zusprach. Die Verwandlung in ein Magical Girl dauerte für Außenstehende kaum mehr als zwei oder drei Sekunden. Auch zeigte sie nichts als eine helle Sphäre mit individuell kolorierter Korona, von welcher die Mädchen eingehüllt wurden und die nach Beendigung der Transformation auch gleich wieder verschwand. Das war ein wichtiger Fakt, um sich das Gesicht des Hexers vor Augen zu führen, der wohl noch nie einer Verwandlung von Mädchen zum Magical Girl beigewohnt hatte und seine Erwartungen, wie trister Wüstensand vom Wind erfasst, die Enttäuschung freilegte, mit welcher er Homura nun anblickte. „Also, da habe ich mir doch etwas mehr erhofft“, sagte er wie ein schmollendes Kind. „Ich meine, was, ihr verschwindet einfach im Licht wie eine Raube im Kokon und seit dann verwandelt? Ist ja langweilig.“ Homura, still und ernst, wie sie war, hob die Schilduhr vor sich hoch. Augenblicklich begannen sich die kleinen Rädchen in dessen Innerem zu drehen. Erst schnell, dann langsam, bis sie mit einem lauten Klick! abrupt stoppten. Alles, was einen Laut getan, war mit einem Mal verstummt. Die Autos, die mit ihren brummenden Motoren kommunizierten, das Säuseln des Windes, der mit seinen kalten Strömen durch die Luft schnitt, die Strömung des Flusses, der seine Bahn durch Mitakhiara zog, das kaum wahrnehmbare Dröhnen flackernder Laternen, die Schritte in der Dunkelheit verhallend, die Worte noch nicht geendigter Sätze plötzlich abgeschnitten – alle Sprache war tot. Homura nahm die Schilduhr wieder herunter. Zuversicht, die die Vorsicht umspülte, sie auf eine kleine Insel verbannte, die nicht weit der Küste des Festlandes entfernt lag, ließ sie voranschreiten. Sie näherte sich dem Manne festen Schrittes, der es mit trockener regungsloser Miene geschehen ließ. Sie kam vor ihm zum stehen, starrte ihm direkt in die kalten roten Augen, wie man sie auch bei skrupellosen Mördern bestaunen konnte. Keine Liebe war mehr in ihnen zu finden, alle Wärme alles Mitgefühl war aus ihnen getilgt, als wären sie Gift. Wahrlich, Homura betrachtete ihn und sah keinen Menschen, sondern eine Bestie vor sich stehen. „Gefällt dir, was du siehst?“ Ja, das hätte er wohl gesagt, wäre er nicht im stillstehenden Meer der Zeit gefangen. Viel Zeit blieb ihr nicht. Nur wenige Sekunden dauerte dieser Zauber, bis die Zahnräder wieder nahtlos ineinander greifen und das Uhrwerk routiniert in Bewegung bringen würden. Es würde so sein, als hätte es diesen stillen Augenblick, in dem nur Homura alleine zu Handeln erlaubt war, niemals gegeben. Als sie also vor dem Hexer Reaps zum stehen gekommen war, hatte sie die Hand, die sie hinter ihrem Schild verborgen hielt, wieder hervorgeholt. Der schlanke Finger krümmte sich um den eisernen Abzug der schwarzen Pistole, dessen Lauf sie dem Manne prompt gegen die Stirn drückte. Die Schilduhr verfügte, neben der Manipulation der Zeit, auch über eine ebenso wirkungsvolle Beeinflussung des Raumes. Alles, was sie in ihre Schilduhr einführte, wurde bis zur Benutzung in einem Vakuum verstaut, das nicht kleiner als die Unendlichkeit war. Dem sechsfachen Donnergeheul war die Welt als Zeuge verschont geblieben. Denn niemand hörte, was die Nachtluft hinfort trug. Denn als der Fluss der Zeit wieder zu fließen begann, hatten die Kugeln auch schon dunkle Vertiefungen im Kopf des Hexers zurückgelassen, auf deren Folge er regungslos zu Boden stürzte. Auf dem Rücken liegend, das schockierte Gesicht dem Mond zugerichtet, musterte Homura ihn mit misstrauischer Miene, als würde sie von ihm erwarten, dass er noch einmal aufstehen würde. Und das würde er auch, dessen war sie sich sicher. Es war ohnehin nicht ihre Absicht, ihn zu eliminieren. Sie hatte sich lediglich die Zeit erkauft um Shiro zu bergen und sich schnell auf sichere Distanz zu diesem Mann zu begeben. Denn in unmittelbarer Nähe Madokas, wollte Homura einen offenen Kampf mit allen, ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, verhindern. Vom Rand des Daches, nachdem sie sich vom tot scheinenden Hexer abgewandt hatte, sprang sie in Richtung des riesigen Monstrums aus Glas und Metallknochen und landete zielsicher in der offenen Wunde, welche Shiros Aufschlag hinterlassen hatte. Hier fand sich Homura in einem dunklen weitflächigen Raum wieder, der vom äußeren Lichtwurf erhellt wurde. Die Eingeweide dieser Etage waren, so schätzte Homura, das denkende Zentrum eines Konzerns. Ein verschachteltes System aus Wänden, die die einzelnen Tische voneinander abschirmten. Monitore, Faxgeräte, Telefone, Kaffeemaschinen, Stifte, Teile der dünnen Wände – vieles hatte sich über dem grauen Teppichboden verteilt und dabei eine unfreiwillige Spur zu dem Übeltäter gelegt. Homura folgre der Spur und gelangte zu einer Kopiermaschine, die gegen eine weiß bestrichene Wand gepresst stand. Sie war verbeult und verbogen, das Glas des Kopierers von der plötzlichen Gewalteinwirkung zersplittert und der Deckel balancierte lose an einer dicken Ausbeulung. Darunter Shiro, der in das Gerät förmlich eingedrückt war wurde. Er ächzte vor Schmerzen; seine Augen bewegten sich unruhig, als suche er etwas. Als sie dann aber Homura erblickten, wurden sie ruhiger. Ein gequältes Lächeln legte sich über seine Lippen. „Das … kam unerwartet“, krächzte er. „Hat mich … wirklich überrascht. Starker … Tritt.“ „Warte, ich helfe dir.“ Sie beugte sich zu ihm herab, packte seinen Arm und schreckte sorgend zurück, als er unter ihrer Berührung einen Schmerzenslaut losließ. Für einen Moment hielt sie inne, dann packte sie den Arm erneut, ignorierte den gequälten Laut und zog ihn mit aller Kraft aus der unbequemen Lage. Mit einen letzten kräftigen Ruck fiel er wie ein kraftloses Kind in ihre Arme, sein Kopf über ihre Schulter gelegt und ihre Arme vorsichtig um seinen Körper geschlungen. Homura wollte ihm zum Aufstehen verhelfen, doch die kehligen Laute und sein Gewicht nagelten ihre Knie am am Boden fest. „Nur einen … einen Moment“, flüsterte er in ihr Ohr. „Wir haben keinen Moment“, widersprach sie ihm mit ruhiger doch energischer Stimme. „Er könnte jeden Augenblick hier aufschlagen und uns angreifen.“ „Ich … brauche nur einen kurzen Moment“, wiederholte er. „Dann kann … ich weiterkämpfen.“ „Wir werden aber nicht kämpfen. Wir werden uns zurückziehen.“ „Madoka …“, sagte er mit schwacher Stimme. „Wir sind hier nicht sicher. Und sie auch nicht, ebenso wenig wie alle anderen Menschen in diesem Krankenhaus, wenn wir so nahe daran kämpfen.“ Das schien Shiro zur Besinnung gerufen zu haben, denn er musste ihr beipflichten und befürwortete ihren Fluchtgedanken. Allmählich schien sich auch die Regeneration endlich durchzusetzen, denn er versuchte aus eigener Kraft aufzustehen. Beim ersten Mal knickten seine Beine ein und stürzte er wieder in ihrer Arme. Beim zweiten Mal konnte er sich mit ihrer Hilfe immerhin auf ihnen halten. Langsam, aber beständig, kehrten seine Kräfte zurück. Homura ließ ihn los und anfangs noch wackelig, dann aber beständig, konnte er wieder eigenständig stehen. Auch seine Stimme fand zur alten Kraft zurück. „Daran werde ich mich nie gewöhnen“, meinte er kopfschüttelnd. „Unser Freund?“, meinte er dann, zu Homura blickend. „Könnte jeden Moment hier aufschlagen. Wer weiß, wie schnell er sich von sechs Schüssen durch den Kopf erholt.“ „Schneller, als uns lieb ist.“ Erst verstand Homura nicht, bis ihr auffiel, dass Shiro gar nicht mehr sie anschaute, sondern der Blick über ihre Schulter ging. Sie wandte sich mit einer schrecklichen Vorahnung um und da stand er auch schon. Der dunkle Mann in der eisernen Rüstung, die Fratze von Ekel und Abscheu und auch von glühendem Zorn gebrannt. „Ihr beide kämpft wirklich auf die unfairste Art und Weise, wie ich es noch bei keinem anderen zuvor gesehen habe. Selbst die Magical Girls hatten mehr Karat, sich mir entgegenzustellen und mich nicht hinterrücks zur erdolchen oder zu erschießen.“ „Zu blöd, dass wir damit ohne Erfolg waren“, gab Shiro zur Antwort. Das eitle Antlitz erbost und der Rache sinnlich gestimmt, war von solchem Unmut durchwachsen, dass es nur an den, durch die Hautschicht nach außen tretenden, pochenden Krampfadern gefehlt hätte, um seine Gefährlichkeit vollkommen zu machen. Auch schien er die Worte erst wie ein brodelnder Kessel voll siedendem Wasser entgegenzunehmen, dem noch weitere Scheitel ins Feuer hinzugegeben wurden. Zähneknirschend und aus den Augen Funken sprühend, galt sein einziges Interesse nunmehr ausschließlich Shiro und Homura fürchtete, dass er nun seine ganze Kraft aufbringen würde, um sie beide zu vernichten. Umso härter traf sie die Überraschung, als sich seine verspannten Muskeln lockerten und sich die Mundwinkel nach oben bewegten, ohne dabei die gebleckten Zähne zu verhüllen. „Es ist unfassbar“, lachte er. „Hätte man es mir nicht versichert, würde ich es nicht für möglich halten, dass du eine der großen Hexen des Westens vernichtet hast. Wirklich, ich frage mich, wie so ein feiger Meuchler wie du, das fertig gebracht hat.“ Damit schien er einen Nerv bei Shiro getroffen zu haben, denn nun war er es, der das Gesicht in Unmut verzog. „Nun, es spielt wohl im Endeffekt sowieso keine Rolle. Jetzt, wo ihr mir den Fehdehandschuh hingeworfen und mich auf die feigste Art attackiert habt, ist euer Anrecht auf Schonung ganz verfallen. Nun …“ Er lachte erneut. „Nicht, dass ich diese euch überhaupt gewährt hätte.“ Und mit seinen Hände griff er das schlanke Leder, das um seine Hüften hing, löste die metallene Schnalle und zog es in seiner ganzen Länge mit einem kräftigen Schwung durch die Luft. „Du hast mir deine Waffen präsentiert, Vispas, nun erlaube mir, dir meine zu präsentieren.“ „Deinen Gürtel?“, meinte Shiro verdutzt. Doch er fehlte weit, wie Homura rasch erkannte. Dieser Gürtel war alles andere als gewöhnlich, hielt sich sein biegsamer Körper doch steif wie ein Stock. Die zwei Enden formten sich zu je zwei spitzen Enden, von denen die silberne Schnalle auch die längere Spitze war. Das kantige Leder selbst wurde schmal und rund wie ein Stab, das es sich gut in der Hand halten ließ. „Ein Speer“, meinte Homura, als sich das Licht des Mondes matt auf dem Griffstück, wie bei Leder und spiegelnd auf der langen Klinge, wie auf Metall, brach. „Gut erkannt“, pries er frech lobend ihren Scharfsinn. „Mal sehen was ihr dem mächtigsten Speer – dem Gae Bolg – entgegenzusetzen habt.“ Trotz des Eisens, das sich um Schulter, Brust und Beine wand, war er überaus schnell und der Stoß, der ihm voranging, von unvergleichlicher Kraft. Er war so schnell an sie gelangt, dass die scharfe Schneide einen langen roten Graben in Homuras Wange und einen Trümmerhaufen, der noch kurz zuvor einen kleinen Teil der Wand ausmachte , hinterließ. Sie selbst war dem Schicksal, das sie mit der Wand hätte teilen sollen, nur deshalb entronnen, weil es Shiro war, dessen Reflexe so ausgeprägt waren, dass er sie und sich zur Seite stieß. Staub wirbelte auf. Der Gestank von zerbröseltem Zement vermengte sich mit dem dünnen grau-weißen Schleier, welcher sich im Umkreis der drei in der Luft auftat. Die am Boden liegende und vom Staube ganz eingehüllte Homura blickte zum Hexer Reaps auf. Seine roten Augen funkelten finster in ihre Richtung und sie meinte zu sehen, wie er die Spitze seines Speers in ihre Richtung lenkte. Sein Schlag dauerte dieses Mal aber länger, da auch sein Sichtfeld von der mageren Dichte der Staubwolke beschränkt war. Dieses Momentum wusste sie wohl zu nutzen, drum hielt sie die Schilduhr schützend vor sich und aktivierte das magische Artefakt, um ein weiteres Mal die Zeit zu einem abrupten Stillstand zu bringen. Im gleichen Augenblick aber blitzte die schwarze Speerspitze durch das rauchige Gewandt. Die Schwade brach in zwei Richtungen auseinander, wie es etwa eine Wolke tat, wenn ein starker Wind sie zerschnitt. Noch kurz bevor der Hexer ihr das Auge durchstoßen und die Klinge ihr hinten durchs Haar wieder ausgetreten wäre, tat die Schilduhr den von ihr geforderten Zweck und hauchte allen Lebens den Fluch der toten Zeit ein. Zur gerade rechten Zeit, denn der gezielte Stoß war nur unmittelbar vor ihrem Auge zum unnatürlichen Halt gekommen. Ihre Lunge befreite sich mit einem schweren Seufzer der Entlastung, welcher den Schrecken auf den Schwingen der geschöpften Erleichterung davontrug. „Das war zu knapp“, hauchte sie wie ein schwächliches Kind, richtete sich darauf rasch auf und schritt im knappen Bogen an ihm vorbei und auf Shiro zu. Der war, auf einem Knie hockend, mit ausgestreckter Hand und einem entsetzten Ausdruck erstarrt, als hätte er durch die dünne Schwade das ganze Geschehen, welches Homuras Ende hätte bedeuten können, beobachtet. Die Sprache seiner Haltung sagte ihr, dass er schon auf halbem Wege war wieder aufzustehen und auf den Hexer loszustürmen. Sie nahm seine Hand in die ihren, woraufhin die Wärme des Lebens in die vereiste Statue zurückkehrte. Mit einem lauten „Homura“ auf den Lippen, was etwa ab der Mitte des Rufes verklang, war er aufgestanden und gleich wieder mit den Knien voran zu Boden gestolpert. Beirrt von dem, was seine Augen ihm mitzuteilen versuchten, nämlich das er Homuras Hände um seine geschlossen fühlte, während sie ihn mit ruhiger und zuversichtlicher Miene anblickte, wo doch der Tod hinter ihr stand, kalt und leblos wie das Denkmal einer rühmlichen Legende aus Zeiten von Kampf und Blut. „So“, sagte er, nachdem er die Fassung wieder gefunden hatte, „sieht es also aus, wenn die Zeit stillsteht.“ „Ich schlage vor, dass du meine Hand nicht loslässt, wenn du dich dieses Anblicks weiter erfreuen willst“, entgegnete Homura, wandte sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass der Hexer noch immer in der gefrorenen Zeit festsaß und sagte dann weiter: „Wir ziehen uns besser für´s Erste zurück.“ „Dieser Vorschlag missfällt mir“, sagte Shiro. „Wir haben doch deine, die Zeit manipulierenden Fähigkeiten. Wieso ihm nicht jetzt den Gar ausmachen?“ „Ich entsinne mich, dass wir beide das schon versucht haben. Der Ausgang dieses Versuches war, dass er dich durch ein Fenster getreten und mich beinahe aufgespießt hätte. Trotz der verheerenden Wunden, die wir ihm zugefügt haben.“ „Ja, aber –“ „Und ich erinnere dich daran“, unterbrach Homura seinen Einwand, „dass du nicht kämpfen kannst, wenn ich die Zeit anhalte und dich nicht berühre. Außerdem kann ich diese Art der Magie nicht ewig aufrecht erhalten. Und wir wissen nicht, wie oft er sich dem Tod durch die beigefügten Wunden entziehen kann. Wir könnten ihn vielleicht töten, aber genauso gut könnte er auch uns töten. Bis die Zeit anhält, vergehen wertvolle Sekunden. Sekunden, in denen es ihm fast gelungen wäre, mir einen tödlichen Stoß zu versetzen, hätte sich nicht im allerletzten Augenblick noch die Zeit zum Stillstand bewegt. Ich will mich für´s Erste zurückziehen, bis ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie wir ihn am besten besiegen können. Vorher macht jede weitere Unternehmung gegen ihn gar keinen Sinn. Und bedenke, dass wir nicht die genaue Zahl unserer Feinde kennen. Wer weiß, wie viele sich derzeitig im Umkreis befinden und ihm zur Hilfe eilen können.“ „Und noch immer widerstrebt mir die Idee, mich zurückzuziehen“, meinte er zähneknirschend. „Aber ich gebe zu, das mir kein passendes Gegenargument einfällt. Gut, treten wir für diesen Moment den Rückzug an.“ Homura nickte. „Halte dich gut an meiner Hand fest. Wenn du sie loslässt, bleibst du wieder mit der Zeit stehen.“ „Ja ja, ich weiß“, gab er gereizt zurück. Sie traten die Flucht aus dem zerbrochenen Fenster und über die Dächer an. Im Schutze der eingefrorenen Zeit waren sie bald aus der Sichtweite des Gebäudes entschwunden. Schon bald darauf klackten die Zahnräder und alle Bewegung kehrte abermals in die Welt zurück. Wieder, als sei nie etwas gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)