Contiguity Magica von WrightGerman (A Crow and her Heaven) ================================================================================ Kapitel 7: Mami Tomoe --------------------- Contiguity Magica Kapitel 07: Mami Tomoe   Was Unterdessen geschah: Mami Tomoe   Regen und Schule. Was gab es trübsinnigeres, als eben genanntes? Welches Ärgernis, dass den Jüngeren dieser Tag geschenkt wurde, während die Älteren auf die Schulbank mussten. Aber damit musste man zu leben lernen, wenn man an der Mitakihara-Mittelschule aufgenommen werden wollte. Gute Leistungen sprossen nur aus dem vielen Lernstoff hervor. Und im Abschlussjahrgang musste man auch den Samstag als einen offiziellen Schultag im Kalender eintragen. Nicht immer, aber auch nicht selten. Immerhin hatte sich der Regen soweit verzogen, dass der Himmel wieder aufklären konnte. Passend für … „Mami“, rief eines der zwei heran eilenden Mädchen, hob den Arm zum Gruße hoch und fing sich den verärgerten Blick des Lehrers ein, an dem sie gerade vorbei stürmte. Die andere hielt ihre Geschwindigkeit auf Schritttempo, da sie um das Verbot, was das Laufen im Korridor betraf, wusste. „Toshibara-san und ich wollen einen Tee trinken gehen. Kommst du mit?“ Mami war ein Mädchen von fünfzehn Jahren, mit goldblondem Haar, dass sie zu zwei spiralförmigen Zöpfen geflochten hatte. Sie war gerade im Begriff ihre Schultasche aus dem Spind zu holen, als sie ihre goldenen ihrer Klassenkameradin zuwandte. Sie biss sich hinter verschlossenen Lippen auf die Zunge, denn beinahe wäre sie dazu verleitet gewesen zuzusagen. „Na, was ist?“ Das Mädchen war vor sie zum Stehen gekommen. Sie hatte ein ansteckendes Lächeln. „Oh, das tut mir Leid, Nigasawa-san“, sagte Mami und bemühte sich um ein wohlwollend freundliches Gesicht, „aber ich habe leider auch heute schon wieder –“ „Ach komm“, unterbrach das Mädchen sie in beinahe flehendem Tone und umschloss die weichen dünnen Hände mit den ihren, „dieses Mal musst du einfach mitkommen. Die haben eine ganz tolle und neue Teesorte rein bekommen, die – hey!“ „Na komm, jetzt dräng sie nicht“, packte das andere Mädchen ihre Freundin am Kragen und zog sie von Mami weg. „Wenn sie nicht will, dann zwing sie nicht dazu.“ Ihre Worte, wenngleich sie nett gemeint, waren mit einer kränkenden Gleichgültigkeit verpackt, die Mami das Gefühl gab, dass die Einladung nur von einer Seite Zustimmung gefunden hatte. „Es tut mir wirklich leid.“ Sie bemühte sich, nicht geknickt zu erscheinen. „Ach was, kein Ding. Verzeih, dass wir dich aufgehalten haben“, erwiderte Toshibara und verneigte sich rasch, ohne die Hand vom Kragen ihrer Freundin zu nehmen. Dann zog sie an diesem und schleifte sie an Mami vorbei, den Korridor entlang. Den lauten Protest, den sie damit heraufbeschwor, ignorierte sie gekonnt. Mami sah den beiden hinterher. Noch lange, nachdem sie hinter der nächsten Biegung verschwunden waren. Ihr hübsches Lächeln war verblasst. Als sie ihre Tasche nahm und die Spindtür schloss, sich zum Gehen umwandte und ihr Blick über den leer gewordenen Flur streifte, Ich wäre gerne mitgekommen …, bemerkte sie erst, wie allein sie wiedereinmal war. Allein.   Das finale Leuten der Schulglocke endigte den Tag für die jungen Menschen. Wer einem Club angehörte, der harrte noch in den entsprechenden Räumlichkeiten, bis das Abendrot der Sonne sich über das Land erstreckte. Für Mami aber war der der letzte Glockenschlag auch gleichzeitig die Erlösung von dem Leben, dass sie nur träumte zu führen. Ein normales Mädchen sein, dass sich über die Hausaufgaben auslässt und sich viel lieber Gedanken um ihre Freizeit machte, denn Sorgen um die anstehende Klassenarbeit, für die sie eigentlich ihre Nase in ihre Hefte stecken müsste. Ein Mädchen, dass sich mit ihren Freundinnen traf, um mit ihnen zu shoppen, ein Eis zu essen und sich über die glänzende Platte ihres Lehrer ergötzen, die er mit ein paar Strähnen drüber gekämmt zu verstecken versuchte. So ein Mädchen war sie nicht. Dieses Leben war ein Traum. Und der letzte Glockenschlag ihr Weckruf. Mamis Apartment lag günstig zwischen der Schule und den vielen Einkaufsmöglichkeiten, die Mitakiharas Innenstadt zu bieten hatte. So sehr sie für ihre im Herzen, wie auch im wörtlichen Sinne entfernte Verwandtschaft kaum mehr als ein gutes Wort im Jahr aufwenden konnte, so sehr musste sie ihnen doch zugestehen, wie viel Mühe sie sich damit gaben, ihr nach besten Eigenbedürfnissen ein so angenehmes Leben zu verschaffen, wie es ihnen die prall gefüllte Geldbörse ermöglichte. Eine schöne, geräumige, zweistöckige Wohnung und das monatliche Einkommen von rund sechzigtausend Yen, das aus des Onkels großen Hafen Monnaie in den ihren einsegelte, bloß damit sie ihnen ja fern vom Leibe blieb. Eine Geste, die Mami gern entgegennahm. Sie hegte ebenso wenig Liebe für die ferne Verwandtschaft, wie diese es für sie tat. Ein monatlicher Anruf und sechs Sätze – „Wie geht es dir?“ „Gut. Dir?“ „Auch gut.“ „Alles klar.“ „Gut, tschüss.“ „Tschüss.“ – war alles, was zur Verbindung der zwei Seiten beitrug. Na ja, das und das Geld, wobei dieses schon wieder mehr einem Grenzwall ähnelte, der jeden Monat mit neuen Steinen aufgewartet wurde. Aber solange das geschah, konnte auch sichergegangen werden, dass die eine Seite sich noch auf dieser Welt wägte, während die andere sie dafür verteufelte. Wenn nicht offen, so doch im Stillen. Als sie Zuhause angekommen war, zog sie die weißen Schuhe vor dem Eingang aus, stellte den Regenschirm in den Schirmständer und begab sich sogleich in den zweiten Stock. Dort wartete, auf einem gelben Sitzkissen aufrecht sitzend, ihr wohl einziger Freund. „Willkommen zurück, Mami.“ „Hallo Kyubey. Na, hast du dich auch benommen, während ich weg war?“ „Selbstredend.“ Kyubey verfolgte Mamis Bewegungen wie ein Hund, der auf seine Leckereien wartete. Oder wie ein wachsames Tier, dass um eine ständige Bedrohung bangte. So genau wusste man das bei ihm nie. Mami legte ihre Tasche auf dem Ecksofa, welches den Glastisch zur Hälfte umzäunte, ab und gesellte sich zu ihm. Mit der flachen Hand liebkoste sie sein Fell, was ihr ein vergnügliches Kichern entlockte. Sein kleiner Körper wog sich einträchtig mit dem Richtungswechsel ihrer Hand, wie es ein Grashalm im Winde tat. Man hätte wirklich meinen können, dass er sein Vergnügen aus dieser liebevollen Geste schöpfte. Kyubey war Mami der beste – der einzige – Freund in dieser gefühlskalten Welt. Als er den Vertrag mit ihr geschlossen und sie zum Magical Girl gemacht hatte, war er ihr nur selten von der Seite gewichen. Die Schulzeit stellte für ihn daher das ideale, zuweilen auch einzige Zeitfenster bereit, in welchem er sich auf die Suche nach weiteren potenziellen Vertragspartnerinnen begab. Sicher gab es auch seine vielen vielen Klone, die er mühelos in der ganzen Stadt verteilen könnte. Doch das kleine Alien war sich sehr eigen, was die Benutzung seiner unzähligen Körper anging. Mehr als einer pro Stadt, war für ihn eine schändliche Vergeudung von Zeit und Energie, die er von der Lebenszeit des Universums abrechnen musste. Und er war schließlich auf diesen Planeten gekommen, um genau das Gegenteilige zu bewirken. Was Mami anging, so wusste sie nichts von seinen Plänen, hinterfragte seine Existenz nicht und sah in ihm nicht mehr, als ein Wesen, dass die Menschheit vor der Bedrohung durch die Hexen zu retten versuchte. Dass er sich dafür unfeiner Mittel bediente und junge Mädchen mit dem Versprechen eines Wunsches zu einem Dasein als Hexenjägerinnen verdammte, das kümmerte sie nicht; beziehungsweise: nicht mehr. Getreu dem Prinzip, nachdem die Welt sich nun einmal drehte: Wenn du etwas gibst, so bekommst du als Gegenleistung auch etwas zurück. So hatte sie ihr Schicksal zu akzeptieren gelernt und die positive Seite an diesem Pakt gesehen. Sie lebte. Und das verdankte sie nur ihm. Der Nachmittag war noch jung. Nach der Schule erledigte Mami eigentlich immer ihre Hausaufgaben, machte sich ihr Essen, unterhielt sich mit Kyubey bis zur Abenddämmerung und verließ alsbald darauf das Apartment, um auf Hexenjagd zu gehen. Doch der gewohnte Alltag machte einer gezwungenen Veränderung platz. Seit kurzem mehrte sich das eigentümliche Phänomen, dass sich die aufgenommene Spur einer Hexe nach einer bestimmten Zeit der Verfolgung plötzlich verlor. Der Soul Gem, ein ideales Instrument zum aufspüren und ausfindig machen der üblen Kreaturen, erlosch so plötzlich wie er aufleuchtete, wenn sich eine Hexe bemerkbar machte. Wäre der Soul Gem ein irdisches Instrument, so würde sie den Fehler wohl in der Technik suchen. Aber Kyubey beteuerte seine einwandfreie Funktionalität unter allen irdischen Gegebenheiten. Und es war unmöglich, dass sich eine Hexe so schnell auf so weite Distanz entfernen konnte, dass es dem Soul Gem nicht möglich war, die Spur weiter zu verfolgen, er sie also verlor. Nicht alle zumindest. Das Verlöschen der Fährten konnte demnach nur noch eine logische Schlussfolgerung nach sich ziehen. Jemand anderes musste wie besessen auf Grief Seeds aus sein. Das war nicht gut für sie. Der Soul Gem nahm allmählich eine trübe Farbe an und würde das Licht noch weiter aus seiner schönen Form bleichen, würde sich auch ihre Lebenskraft dem Ende neigen. Sie musste sich dringend einen Grief Seed ergattern. Andernfalls wäre es das Lebenslicht in ihren Augen, dass sich verflüchtigen würde. Sie stand also auf und anstatt zum Herd, ging sie in ihr Schlafzimmer, wo sie sich neu umkleidete. Sie streifte sich einen olivgrünen Rock über, der sich angenehm zu einem Paar langer blauvioletter Seidenstrümpfe gesellte. Für den Oberkörper brauchte es zu dieser Jahreszeit – der nämliche Frühling – nicht mehr, als ein weißes langärmliges Hemd, dem golden glänzende Knöpfe von der Brust bis zum Rocke schmückten. Der weite Kragen versteckte den braun-gummierten Hosenbund, der sich über beide Schultern erstreckte. Über die Füße zog sie ein feines Paar weiße Lederstiefel, die ihr bis knapp unter die Kniescheibe langten. Schlussendlich warf sie sich die kleine weiße Handtasche über die Schulter, welche von einem dünnen Lederriemen getragen wurde. „Du gehst?“, fragte Kyubey, als sie fertig umgezogen aus dem Zimmer kam. „Ja. Ich muss dringend auf Hexenjagd gehen, bevor sich mein Soul Gem noch ganz vertrübt.“ „Und wieso bist du dann nicht sofort gegangen?“ „Ich will nicht unbedingt als Schulmädchen gekleidet am helllichten Tag eine Hexe jagen. Es könnte zu unangenehmen Fragen führen, sollte mich jemand aus meiner Klasse erkennen.“ „Aber sie würden dich auch so erkennen, gleich ob Schulkleidung oder private Tracht“, bemerkte Kyubey spitzfindig, wie eh und je. „Ja, schon. Aber ich kann mich damit herausreden, dass ich auf dem weg zu einer Verabredung bin oder noch Einkäufe zu erledigen habe. Eben das, in welche Richtung mich der Soul Gem führt; ob nun in die Innenstadt oder weiter davon raus. Tue ich das in meiner Schuluniform, fragen sie sich, ob ich keine anderen Sachen zum anziehen habe. Und da sie wissen, dass ich alleine lebe, würde ich nur ihr Mitleid erregen, wodurch sie mich vielleicht gar nicht mehr in Ruhe lassen. Und vergeudete Zeit kann ich mir überhaupt nicht leisten, wie du weißt.“ „Ohne, dass ich dir deine Zeit stehlen will“, wand Kyubey ein, „aber was ist, wenn du einfach sagst, dass du dich gerne in deiner Schuluniform gekleidet, auf die Straße begibst?“ „Dann zerreißen sie sich im Stillen das Maul über mich, weil sie aus dieser Antwort entnehmen, dass ich mich dafür schäme, arm zu sein. Ganz egal ob sie überhaupt wissen, dass es nicht so ist. Und ich wüsste nicht, ob ich das ertragen könnte.“ Diese Antwort legte Kyubey nachdenklich den Kopf zur Seite. „Ich gebe zu es fällt mir schwer, diese Sorgen nachzuvollziehen. Aber ich verstehe was du meinst. Viel Glück bei der Jagd, Mami.“ „Danke Kyubey. Und benimm dich, während ich weg bin“, sagte sie mit einem verschmitzten Grinsen, ehe sie durch die Tür verschwand; und Kyubey zurückließ. Das mehrstöckige Apartment durch die Treppe zur Straße verlassen. Sie ging ihre gewöhnliche Route, die sie auf etwa zwanzig-minütiger gerade Strecke an eine Brücke vorbeiführen würde. Von dort aus käme sie ins Industrieviertel. Aber das war gar nicht Mamis Ziel. Zumindest nicht zuerst. Sie wollte die üblichen Orte abklappern. Welche, die berüchtigt für ihre Selbstmordrate waren. Da war zum einen ein verlassenes Bürogebäude im äußeren Kern des Zentrums – es sollte bald abgerissen werden, ein leerstehendes Lagerhaus nahe am Fluss, sowie weitere, über die Stadtkarte verteilte und von Menschen wegen gräuelicher Geschichten gemiedene Plätze. Ideal, um eine Suche nach einer Hexe zu beginnen. Und wie sie das tat, die Straße entlang und mit gedankenverlorenem Blicke zum aufgeklarten Himmel stierend, verarbeitete sie das noch jüngste Phänomen wie ein Schreiber die Übersetzung einer fremden Sprache in die seine. Sie war gerade von der Schule zurück. Der Schlüssel war noch nicht einmal vollständig ins Schloss der Apartmenttür eingedrungen, da machte schon der Soul Gem auf sich aufmerksam. Eine Hexe war in der unmittelbaren Nähe erschienen. Die pflichtbewusste Mami packte selbstverständlich die Gelegenheit beim Schopfe, lag doch der letzte, in ihrem Besitz befindliche Grief Seed schon mehrere Tage zurück. Sie setzte die Schultasche im Hausflur ab und nahm direkt darauf die Spur der Hexe auf. Diese lenkte sie ins Einkaufszentrum, das namentliche Mitaki-Arcade, von wo aus die Spur jedoch, wie jede anderen seit den letzten Tagen, einfach verschwand; als hätte es die Hexe nie gegeben. Mami, die die Welt nicht mehr verstand. Kyubey, der um das Wissen über dieses vermeidliche Mysterium keinen Hehl machte und dann wieder Mami, die nicht wusste, dass Kyubey etwas wusste. Auf ihre Frage hin, ob er denn eine Ahnung hätte, was es mit dem Verschwinden der Hexen auf sich hatte, meinte Kyubey nur: „Es könnte mit einem anderen Magical Girl zu tun haben.“ Er war ihrer Frage bewusst aus dem Weg gegangen. Das kleine Wesen, das nie die Unwahrheit sprach. Und trotzdem ließen die doch recht eindeutigen Fragen zu vielen Gelegenheiten erfolgreiche Umwege um des Kerns der Ehrlichkeit zu. Gab es eine sichere Möglichkeit auszuschließen, dass beispielsweise nicht nur Shiro und Homura die Jagd auf die Grief Seeds anführten – und Kyubey war nicht zu jeder Gelegenheit bei ihnen, also gab es die –, so war es ihm gestattet, seine Antwort allgemeiner zu formulieren, selbst wenn er es vermutlich besser wusste. Mami, die also nichts über ihren Freund im weißen Pelz wusste, andersrum jedoch dachte, sie hätte eine grobe Ahnung davon, wie er denn ticken würde, war in diesem Spiel demnach auf verlorenem Posten. Indem sie nämlich seine konsistenzarmen Aussagen als wahrheitsgetreue Worte aufnahm, galt ihr oberstes Anliegen natürlich der Identität ihrer neuen Konkurrentin; gleich nach dem Einsammeln dieses Grief Seeds, den sie so dringend benötigte. Und sprach man vom Teufel – der Soul Gem beschleunigte das Tempo im Aufhellen und Abklingen des Lichtes. Gleichwohl nahm die Intensität des goldenen Schimmers zu, welcher seine glasige Eierschale umgab. Mami war von einer der Querstraßen zum Fluss gelangt. Auf der anderen Seite des dreißig Meter breiten Kanals erstreckte sich das rustikale Bild des industriellen Parts der Stadt. Und die Spur schien sie genau dorthin zu führen. „Ein recht ungewöhnlicher Ort für eine Hexe“, sinnierte Mami. „Aber was dieser Tage als ungewöhnlich galt, ist zur Normalität geworden.“ Sie suchte entlang des Flusses einen Überweg, den sie nur zweihundert Meter weiter in Form einer Brücke vorfand. Dieselbe Brücke, die Shiro noch wenige Minuten zuvor überquert hatte, um genau derselben Hexe ihrer Beute zu berauben und ihr Dasein als Fluch der Welt zu endigen. Mami überquerte die Brücke und gemahnte sich zur Vorsicht. Jeder Schritt war sorgfältig gesetzt, um sich geräuschlos und schnell zwischen die Fabrikhäuser hindurch zu bewegen. Als ein erfahrenes Magical Girl war ihr diese Art des Vorgehens bei der Jagd in Fleisch und Blut übergegangen. Sie tat es schon mehr instinktiv, denn bewusst; gleichwohl dass ihr rasch die Abwesenheit der Mitarbeiter des Geländes auffiel. Ihr Fehlen erschien ihr zwar verdächtig, aber nicht hinderlich. Sogar im Gegenteil, je weniger Menschen in der näheren Umgebung, desto ungestörter konnte sie ihre Arbeit verrichten und sich frei und ungezwungen umherbewegen. Was sie zwar nicht tat, aber könnte. Als Magical Girl musste sie eben stets damit rechnen, irgendwo auf einen unbeteiligten Passanten oder Mitarbeiter, je nach Ort und Zeit, zu treffen. Und ihrer Erfahrung nach waren Menschen nie weit von der Aura bösartiger Wesen, die die Welt wie die Tumore den Körper befielen, entfernt. Letzten Endes war es die Vorsicht allein, die ein Magical Girl vor einem schlimmen Tod bewahrte. Sie folgte weiterhin der Spur und erreichte das Gebäude, in dem die Hexe sich niedergelassen hatte. „Da drin also.“ Mami lehnte, bevor sie den Entschluss zum Eintreten fasste, lieber erst einmal der Sicherheit folgend gegen die Außenmauer des riesigen Gebäudes und lugte hinein. Keine Menschen, weder im gleißenden Lichte der Dachfenster, noch im umliegenden Schatten. Nur das, von Runen verzierte Tor der Hexe; der Eingang in ihre Welt. Sie hielt ihren Soul Gem bereit und wollte gerade zum Portal stürmen, als sie den dahinterliegenden Körper erspähte. Der Impuls, sofort in die Deckung zurückzufallen, verflüchtigte sich direkt nach dem zweiten Mal hinschauen. Ein regungsloser, am Boden liegender Mensch – erst der dritte Blick verriet ihr, dass es eine Frau war – neben dem Portal einer Hexe, bedeutete meist nichts Gutes. Sie eilte an dem Tor vorbei und auf die regungslose Frau zu, kniete sich hin und vergewisserte sich gleich ihres vitalen Zustandes. Zwei Fingerspitzen ruhten auf dem Hals der Bewusstlosen. Mami übte einen leichten Druck auf diesen aus und … ja, sie fühlte einen Puls. Und dieser war nicht einmal schwach, wie man es bei Menschen vermuten würde, denen man langsam doch stetig die Lebenskraft aussaugte. Die Frau lebte noch. „Aber wieso?“ Mami legte nachdenklich Daumen und Zeigefinger über das Kinn. Ihr scharfer Blick musterte das Hexenopfer. Es war ihr unvorstellbar, dass sich ein lebender Mensch bewusstlos neben dem Eingang zum Reich einer Hexe befand. Normalerweise verschwanden die Opfer in der anderen Welt und somit aus dieser. Das es hier lag, ohnmächtig und lebend, konnte nur einen logischen Schluss nach sich ziehen. Mami richtete sich langsam auf, den Soul Gem zwischen Zeige- und Mittelfinger haltend und wandte sich dem Tor zu. Diesen hob sie auf Augenhöhe, woraufhin er, auf ein telepathisches Kommando reagierend, golden aufzuleuchten begann. Was hierauf passierte, war das typische Phänomen einer etappierten Verwandlung, die jedes Magical Girl hinter sich brachte, ehe sie sich in den Kampf stürzte: Der olivgrüne Rock wurde golden wie die Sonne und das langärmlige Hemd wich einen weißen ärmellosen mit einem hochgeschlossenen Kragen, um den sich eine grellgelbe Schleife wickelte. Vom Oberarm hinab bis zum Handgelenk formten sich aus dem Nichts zwei weiße Puffärmel. Um ihre schmale Taille wand sich ein dunkelbraunes Korsett, das von drei Schnallen zusammengehalten wurde und ihren ausgereiften Busen, in Kombination mit dem dünnen Hemd, stark hervorhob. Die nackten Beine, vorher von zwei violetten Strümpfen bedeckt, zierten nun bis zum Oberschenkel reichende lila-weiß gestreifte Kniestrümpfe, über die sich ein langes Paar Stiefel zog, die von der Spitze bis zur Ferse gelb und von da an hinauf bis zur Kniescheibe in einem matschigen Braun getönt waren. Zu guter Letzt bildete sich auf ihrem Kopf ein schwarzes Barett, an dem eine weiße Feder und der Soul Gem, in Form einer goldenen Blume haftete. Mamis Outfit war, wie auch bei jedem anderen Magical Girl, einzigartig in seinem Design. Keine zwei Mädchen waren in derselben Kampfmontur unterwegs. Der magische Stoff sorgte für optimale Bewegungsfreiheit und Funktionalität im Kampf. Wie letzteres aussah, musste jede Hexenjägerin für sich selbst herausfinden. Ohne weitere Zeit zu verlieren, sprang Mami durch das Portal und gelangte unweigerlich in die Welt der Hexe Mariane. Die Welt, wie sie vorher aus Shiros Sicht beschrieben, gab sich bis ins kleinste Detail auch vor Mamis Augen wieder. Der erdbraune Weg aus Kies und Sand, der sich von dem feinkörnigen Weiß des Bodens hervorhob. Die Korallen, Algen und Steine, die auf dem Grund eines azurblauen Meeres badeten. Das gebrochene Licht der Sonne, dass bis auf eben jenen Grund hinab schien. All diese Idylle einer magisch simulierten Wasserwelt; völlig unberührt vom bereits tobenden Kampf zwischen der Hexe und dem Hexer. Das war natürlich nicht verwunderlich, funktionierten Hexenreiche eben doch ganz anders, als es ein Haus mit vielen Zimmern tat. Hier trugen sich keine Geräusche von Raum zu Raum oder von Ebene zu Ebene. Die räumliche Distanz glich der zweier unterschiedlicher Dimensionen. Etwas, was die versierte Jägerin natürlich wusste. Was ihr jedoch neu, war die Beschaffenheit dieser künstlichen Welt, aus schwarzem Zauber geschaffen. Normalerweise war das Reich einer Hexe ein grob verzerrtes und im höchsten Maße abstraktes Gebilde, das aus einem Picasso hätte stammen können. Überall war die Ordnung der Anarchie verfallen, es tummelten sich die Leibeigenen ihrer Hoheit wie lästiges Gewürm über durch das ganze Labyrinth verteilt und der Weg war nicht so offenkundig und klar ersichtlich. Verständlich, sonst wäre es ja kein Labyrinth. Die Welt einer Hexe war von Chaos erfüllt. Ein obskures Abbild, das von Gräuel, Hass und Schmerz geschaffen und der verkrüppelten Seele ein Heim, eine Zuflucht, eine Festung bot. So dachte Mami zumindest immer. Diese Welt aber war frei von Anarchie und Chaos, einte finstere Hexenzauber mit der Schönheit der Tiefsee und wirkte nicht abschreckend, sondern einladend. Sie war das völlige Gegenteil allem, dem Mami als Magical Girl bislang begegnet war und stellte ihre bisherigen Erkenntnisse auf den Kopf. Die Frage war, verbarg sich hinter diesem friedlichen Erscheinungsbild eine Strategie? Setzte die Hexe mit der Schönheit einer Unterwasserwelt auf die Vernachlässigung der Aufmerksamkeit ihres unerwünschten Gastes?Waren Hexen überhaupt zu strategischem Handeln fähig? So oder so, Mami war zu erfahren, als das sie außer Acht lassen würde, dass sie auf feindlichem Boden war. Hier hatte das Böse den Heimvorteil. Und sie würde es dem finsteren Wesen nicht noch einfacher machen, indem sie ihre Deckung sinken ließ. Mami schritt unerschrockenen Mutes den gewundenen Weg entlang. Ihre Augen wanderten von einer Seite der Meereswand zur anderen, stets auf der Hut, für keinen Moment unachtsam. Die Gefahr konnte überall lauern. Aber die Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah und sie erlaubte es sich Gedanken über die fehlenden Familiare zu machen. Welche kuriose Hexe beheimatete in ihrer eigens für sich geschaffenen Welt die ebenso eigens für sich geschaffenen Diener, die ihre Angriffslust im Zaum hielten und einen Eindringling lieber näher an ihre Herrin herantreten ließen, statt ihn zu attackieren? Die Ironie an dieser ganzen Geschichte war, das Mami bereits die Familiare gesehen hatte, als sie das Gesicht der fernen Oberfläche zuwandte. Doch den Schwarm schwarzer Fische, der sich im gleißenden Sonnenlicht so willkürlich bewegte, als würde er einen zeremoniellen Tanz praktizieren, hatte sie nicht als einen Haufen Familiare vermutet. Viel mehr dachte sie, er würde seinen Beitrag zur Tiefseeatmosphäre dazu steuern. Mit dieser Vorstellung lag sie zwar nicht gänzlich falsch, aber eben auch nicht vollkommen richtig. Das diese Fische, die nicht mehr taten, als in einem dichten Reigen einfach vor sich hin zu schwimmen, die untätigen Familiare waren, darauf wäre sie nicht gekommen. Ihre Füße trugen weiter und weiter, bis das Ziel erreicht und die Tür am Ende des Weges in Sicht war. Es war überraschend, wie einfach und unkompliziert der Marsch durch das magische Unterwasserparadies gewesen war. Selbst jetzt, so kurz vor dem Ziel, schien sie nichts aufhalten zu wollen. Die seltsamen Tage krönte wahrhaftig eine seltsame Hexe. Mit beiden Händen stieß sie die sperrige Doppeltür auf. Sie durchfuhr denselben Tunnel aus Schwärze, wie es auch Shiro tat, bevor er in das Zentrum des ganzen weltlichen Komplexes vorgedrungen war. Das tiefblaue Meer verwässerte sich, zog sich zu einem Kernpunkt zusammen der von plötzlich aufkommender Finsternis verschlungen wurde und entlud sich auf dieselbe Weise zu einer neuen Umgebung. Mamis Augen bot sich das von löchrigen Felsklippen umrundete Areal dar, in welchem der bereits entbrannte Kampf zwischen einem Monstrum mit Tentakeln – offenkundig die herrschende Hexe dieses Labyrinths – und einem Magical Girl stattfand. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei der zweiten Gestalt um ein Mädchen handeln musste, balancierte zwar auf standhaften Säulen der Logik, beruhten aber gleichzeitig auf fehlende Informationen, die wiederum zur Missinterpretationen führten. Mami kannte nur die zwei Parteien der Magie, welche die Hexen mit ihren Flüchen und die Magical Girls mit ihrer Hoffnung darstellten. Eine zusätzliche Irreführung stellten der schwarze Zopf und die magere Statur dar, die sie fälschlicherweise für den zierlichen Körperbau eines gleichaltrigen Mädchens hielt. Mami blieb, obwohl die Beschaffenheit der Umgebung sie als Fremdkörper eigentlich nicht begünstigte, von den beiden unbemerkt. Ihre Konzentration galt einzig und allein dem Kampf, der sich seinem scheinbaren Finale näherte. Die Hexe, die mit einer unglaublichen Gewandtheit, die man von Weichtieren so gar nicht kannte, zu einem scharfen Wendemanöver nach hinten ansetzte, steuerte mit dem breiten Ende ihres Körpers auf ihre Gegnerin zu. Diese wich mit einem Sprung in die Höhe aus. Was macht sie denn da? Da sitzt sie doch wie auf dem Präsentierteller! Und kaum, dass sie den Gedanken endigte, geschah es auch, dass sich die Hexe mit einem weiteren Manöver nach oben und dem Magical Girl hinterher begab. „Oh nein!“ Mami verlor keine Zeit. Sie zupfte an einem der losen Enden ihrer gelben Schleife. Der Knoten löste sich, das Band wirbelte in einer spiralförmigen Drehung vor ihr her, ein kurzer Lichtblitz hüllte dieses in ein strahlendes Weiß und verblasste sogleich wieder. Anstelle des rotierenden Bändchen, hatte sich nun eine absurd große Waffe materialisiert. Ihr Aussehen glich einer Taschenpistole, wie man sie zu Zeiten des wilden Westens verwendete. Vom braunen Griff bis zum silbernen Hahn, maß sie in etwa Mamis Größe. Dem langen, von geschnörkelten Reliefen durchzogenen Lauf, mündete ein großes Loch, das einen immensen Auswurf an Feuerkraft versprach. Ausgerichtet war sie auch schon. Zwei metallische Streben, die direkt an den Lauf geschweißt und der Waffe als eine Stütze dienlich waren, schufen sich aus einem goldenen Licht und gruben sich in den sandigen Untergrund. Dies alles geschah in weniger als einer Sekunde. Mami machte sie einsatzbereit. Mit einem festen Stand, der auf den schweren Rückstoß vorbereitete, hob sie den Arm in die Höhe, sprach die Befehlsformel: „Tiro-Finale!“, und schwenkte die Hand mit allen fünf Fingern gespreizt in Richtung der Hexe. Darauf schoss aus dem kopfgroßen Loch eine grelle, von einer goldenen Korona überzogenen Lichtkugel, dem ein lauter dumpfer Knall folgte. Wie erwartet, war der Rückstoß enorm und Mamis Füße gruben sich tiefer in den Sand, als sie zurückgestoßen wurde. Das Wasser, wenngleich es omnipräsent in dieser Welt war, verlangsamte den Angriff um keinen Deut. Mami beobachtete, wie die Kugel die Hexe erreichte, auf den Kontakt eine Sprengung erfolgte und alles in ein strahlendes Licht hüllte.     Eine gewisse Zeit danach: Shiro   Die Dunkelheit entglitt dem ruhenden Geiste und die Nacht wart dem Licht des Tages gewichen. Die bleiernen Lider erhoben sich mit träger Gleichgültigkeit. Die Müdigkeit machte den Schlaf attraktiv und beinahe unwiderstehlich. Doch ein süßer Duft, der seine Sinne wie der Hauch einer Göttin bezirzte, wollte ihn nicht wieder in das Reich der Träume einkehren lassen. Drum schlug er langsam seine Augen auf und was er erblickte, raubte ihm den Atem. Unter dem goldenen Schein einer untergehenden Sonne, malten sich die sanften Konturen des Lichtes über die weichen Züge eines engelsgleichen Gesichtes. Die schönen großen Augen, die weichen Lippen des kleinen Mundes, die von purpurnen Rot bestrichenen Wangen und die kleine Stupsnase. Alle Muskeln in Shiros Körper zogen sich zusammen, verkrampften. Keine Sekunde wollte er verschwenden und sich dieses Bild in all seinen Feinheiten und Details einprägen. „Was für ein Glück, du bist wach.“ Der schmale Mund malte sich zu einem Lächeln. Ihr Kopf zog sich langsam und gemächlich von dem seinen zurück. Er hatte nun einen besseren Blick auf ihre ganze Gestalt. Es war ein ernüchterndes Ergebnis, als er ihre Kleidung bemerkte. Nichts exotisches oder freizügiges, was er nach seinem Befinden einem Engel oder einer Göttin beimessen würde. „Oh man“,stöhnte Shiro, als er sich, den schmerzenden Gliedern zum Trotz, aufrichtete. „Langsam, langsam“, ermahnte ihn das schöne Mädchen mit sanfter Strenge. Shiro aber machte keine Anstalten, ihren Rat zu beherzigen. Lieber drehte er den Kopf in beide Richtungen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wo er sich gerade befand. In der Ferne erblickte er eine Sonne, die unter einem blutroten Himmel dem Horizont entgegensteuerte. Unter ihr die schattierten Bauten der großen Stadt, auf die er eine exzellente Sicht hatte. Seine Hände tasteten über eine leicht angeraute Oberfläche, wie man sie von dem Pflaster eines Gehwegs kannte. Als er das Gesicht seiner rechten Schulter zuwandte und seine Augen das schöne Mädchen erfassten, fing sie seinen Blick mit ihren Augen auf und legte den Kopf schräg, als würde sie etwas hinter den verwirrten Zügen etwas Seltsames vermuten. Von ihrem Kopf, wanderte sein Blick langsam hinab zu ihren Beinen. Sie saß in einer japanisch-typischen Art und Weise; hieß, auf den Knien hockend. Ihre Hände lagen gefaltet auf ihren Oberschenkeln. Auf ihnen, so vermutete er, hatte wohl vorhin auch sein Kopf gelegen. Als nächstes versuchte er sich zu entsinnen, was passiert war. Doch das stellte sich schnell als eine Sackgasse heraus. Er wusste, dass er gegen eine Hexe gekämpft hatte und dann plötzlich in ein grelles Licht eingetaucht war. Und jetzt, kurz vor Anbruch der Nacht, war er wieder aus seinem komatösen Zustand erwacht und von einem hübschen Mädchen bewacht worden. Das Mädchen … „Sag, wer bist du?“ Das Mädchen erwiderte die Frage erst mit einem Lächeln, stand dann auf und reichte ihm freundschaftlich die Hand. „Ich heiße Mami. Mami Tomoe.“ Shiro beäugte die Hand kurz, als würde sie ihm etwas Unbekanntes hinhalten. Dann nahm er sie entgegen und sie half ihm sogleich auf. „Und du bist?“ „Kei“, log er, ohne lange zu überlegen. „Kei Tsumoya.“ „Kei? Ein schöner Name.“ „Danke, ich reich es an meine Eltern weiter.“ Mami verkniff sich ein Lachen. „So“, sprach sie dann mit einem ernsteren Ton, doch demselben Lächeln weiter, „also Kyubey geht nicht nur Pakte mit Mädchen ein?“ Die Aussage verblüffte Shiro für einen kurzen Moment. Dann aber entsann er sich, dass sie kein gewöhnliches Mädchen sein konnte. Ein normales Mädchen würde einen bewusstlosen jungen Mann wohl kaum auf das Dach eines Gebäudes schleppen, das, wie er gerade bemerkte, für Menschen nicht einmal zugänglich war. „Wie bezeichnet ihr euch?“ „Wie meinen?“ „Na ja, wenn wir Magical Girls sind, müsst ihr Jungs …“ Sie machte eine Handbewegung, die es ihr erlaubte, den Satz nicht zu beenden. „Ach, so meinst du das. Wir nennen uns … Magical … Boys.“ Shiro verzog unmerklich das Gesicht bei dieser Aussage. Es klang selbst in seinen, an Lügen gewöhnten Ohren so unglaublich falsch. Mami aber entlockte dies ein Schmunzeln und es schien, dass sie seinen Worten Glauben schenkte. „Verstehe. Du bist der erste, auf den ich treffe.“ „Es gibt auch nur wenige von uns.“ „Wie viele?“ „Keine Ahnung. Weniger als Magical Girls, auf jeden Fall.“ „Verstehe. Und wo dein Soul Gem?“ „Mein Soul Gem?“ „Ja. Besitzen Magical Boys etwa keinen?“ Für einen kurzen Augenblick war ihm völlig dieses wichtige Detail, das unabdingbar für seine Schwindelei war, entfallen. „Nein … haben wir nicht.“ Mami betrachtete ihn mit argwöhnischer Miene. „Wir … haben das hier.“ Er fasste in seine Jackentasche und zauberte rasch einen kleinen metallischen Ring herbei, den er prompt hervorholte und ihn ihr präsentierte. „Ein Ring?“ „Ja. Ein … Soul Ring.“ Die Gesichtszüge lockerten sich wieder und es schien, als wäre der letzte Funken an behutsamer Skepsis von ihr gewichen. Noch bevor sie einen genaueren Blick auf den Ring erhaschen konnte, verstaute Shiro ihn schnell wieder in seine Tasche. Nicht, dass sie noch die Falschheit hinter ihm erkannte und ihn als gemeinen Lügner entlarvte. „Erlaube mir jetzt eine Frage“, wechselte er rasch das Thema. Mami nickte hellhörig. „Du hast doch die Hexe vernichtet, richtig?“ „Ja.“ „Was ist dann aus dem Grief Seed geworden?“ In den Worten steckte etwas verdächtigendes, wie bei einem Polizisten, der den gefangenen Dieb nach der gestohlenen Beute ausfragte. Mami aber schien auf diese Frage vorbereitet, beugte sich zu der kleinen Handtasche auf dem Boden hinab – welche Shiro erst jetzt bemerkte, dass sie da war – und zückte aus ihr das schwarze Juwel hervor. „Den hier?“, fragte sie rhetorisch und erhob sich wieder. Shiros stierte ungläubig auf das kleine schwarze Ding, dass mit der langen dünnen Spitze aufrecht auf ihrer offenen Handfläche stand. Sie hatte es tatsächlich nicht verbraucht? Sie war das erste Magical Girl, dass sich nicht wie eine gierige Hyäne auf diesen kleinen magischen Lebensspender stürzte, ihn sogar freiwillig einem potenziellen Konkurrenten präsentierte. Und dann die Worte, die ihn beinahe völlig von den Beinen haute: „Willst du ihn?“ „D-Du gibst ihn mir?“, fragte er, woraufhin sie nickte. „Er hat genug Magie für uns beide. Ich habe mir meinen Teil schon genommen.“ Ach so, darauf ruht also ihre Großzügigkeit, dachte er, sich von dem Schock der freundlichen Geste wieder erholend. „Und was willst du im Gegenzug dafür?“ „Nichts“, antwortete Mami mit dem Lächeln einer herzensguten Frau. „Ich war ja schließlich diejenige, die ihr den Gnadenstoß versetzt hat. Eigentlich war es sogar falsch von mir, die Hälfte der Magie für mich zu beanspruchen. Leider aber war es notwendig, da mein Soul Gem beinahe völlig getrübt war. In dieser Stadt verschwinden neuerdings Hexen, sobald ich ihre Spur erfasst habe. Du weißt nicht zufällig etwas darüber?“ Kein Wunder, Homura und ich haben schließlich die letzten Tage beinahe pausenlos Jagd auf Hexen gemacht. Wenn ich ihr aber das sage, stellt sie noch mehr Fragen und wird am Ende noch in diese ganze Sache mit involviert. Das wäre äußerst unpraktisch. Aber sie wird mir auch wohl kaum abnehmen, dass ich mit den verschwundenen Hexen nicht zumindest teilweise etwas zu tun hätte. Bleibt mir also nur der graue Pfad zwischen beiden Entscheidungen. Den innerlichen Monolog abgeschlossen, nickte Shiro zögerlich. „Ja, also was das betrifft, so führt das wohl auf mich zurück. Verzeih. Ich wusste nicht, dass diese Stadt schon das Revier eines Magical Girls war und eigentlich hätte ich auch kein Anrecht auf diesen Grief Seed. Ich komme aus einer kleinen Ortschaft, nicht weit von Kazamino. Und so eine große Stadt, die massig an Grief Seeds abwirft, war einfach zu verlockend. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“ Er verneigte demütig sein Haupt, wie es ein gebürtiger Japaner entweder zum Gruß, zum Abschied oder eben – wie in diesem Falle – dann tat, wenn ihm etwas aufrichtigen Herzens leidtat. Shiro, in dem Fall, tat sein Handeln weniger leid. Er spekulierte darauf, dass hinter dem großzügigen Wesen, welches Mami zu Tage getragen hatte, auch eine gütige und vergebende Seele stand. Und das Vertrauen in ihre Freundlichkeit sollte nicht unbelohnt bleiben. Mami überreichte ihn den Grief Seed. „Ich danke dir.“ „Wie bereits gesagt“, entgegnete Mami, „es ist zur Hälfte auch deine Beute. Eigentlich sogar ganz. Ich sollte diejenige sein, die zu danken hat, dass du nicht erbost darüber bist, dass ich ihm die Hälfte seiner Magie entzogen habe. Ich halte nicht viel von Revieren und die Streitereien um Grief Seeds. Unsere Feinde sind schließlich die Hexen, nicht wahr?“ „Ähm, j-ja richtig.“ Shiros Gesicht lief heiß an und seine Wangen wurden mit einem Mal knallrot. Dieses schöne Mädchen und ihr reines Herz entzückten gar das seinige. Zu seinem Glück war Sekunden vorher die Dunkelheit der Nacht angebrochen, was die markante Röte ein wenig übertünchte. Er verstaute den Grief Seed in seiner Hosentasche, wandte sich um und verabschiedete sich, als Mamis Worte ihn jedoch inne hielten ließen. „Wir könnten ja demnächst zusammen auf die Jagd gehen.“ Sie sprach den Vorschlag so, als wäre es völlig selbstverständlich, wenn zwei Konkurrenten sich zusammentäten. „Ich …“ Fürchte das geht nicht! Er zögerte, diesen Gedanken in Worte zu wandeln. „Lass es mir durch den Kopf gehen.“ Verdammt! Mami strahlte über das ganze Gesicht. Sie schlug beide Hände zusammen und sprach in einem Ausruf der Freude: „Wunderbar.“ Sie drehte sich um, beugte sich zu ihrer Tasche hinunter, deren Existenz Shiro erst jetzt realisierte, zückte Stift und Papier hervor, kritzelte etwas auf das leere Blatt und überreichte es ihm dann. „Was ist das?“ Er nahm das kleine Zettelchen an und betrachtete die mit ehrlichem Unwissen die Buchstaben und Zahlen darauf. „Meine Adresse. Ich gehe für gewöhnlich immer so kurz vor der Abenddämmerung auf die Jagd, also gegen neunzehn oder zwanzig Uhr. Falls du um diese Uhrzeit nicht beschäftigt bist, können wir zusammen auf Patrouille gehen.“ „Ah, verstehe. Alles klar.“ Er verstaute den Zettel in der anderen Tasche seiner Hose, verabschiedete sich und verschwand rasch, bevor ihr noch etwas einfiel, womit sie ihn festhalten konnte. Sie, ihrerseits, sah ihm begeistert nach, als hätte er ihr bereits die Antwort, welche sie ersehnte, schon gegeben. Shiro wiederum fand die ganze Situation überhaupt nicht mehr zum Lachen. Es fehlte ihm noch, dass sich zu seinen vielen unsteten Sorgen noch eine weitere hinzugesellte. „Diese Frauen“, murrte er, als er von einem Dach zum nächsten sprang, „die bringen mich noch mal um.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)