Sterben kann so schön sein... von Erenya (... oder auch nicht) ================================================================================ Kapitel 21: Jetzt gibt's Ärger ------------------------------ Wie gerne hätte ich die Natur Japans genossen. Ich meine, wie wahrscheinlich war es, dass ich jemals wieder zurückkehren würde? Also nach Japan, um die Natur zu genießen. Eher unwahrscheinlich. Leider. Deswegen war es noch schlimmer, dass ich diesen Wald, der sich oberflächlich kaum von den Deutschen unterschied, nicht genießen konnte. „A-Anubis!“, keuchte ich und konzentrierte mich dabei darauf, seine schwarzen Schakalohren nicht aus den Augen zu verlieren. Viel mehr als die konnte ich nämlich nicht ausmachen. Der junge Ägypter war flink und hatte obendrein den für mich unpässlicheren, aber schnelleren Weg zurück zu den anderen gewählt. Für ihn als Gott gab es scheinbar keine Grenzen. Gerade quälte mich Anubis einen steinigen Abhang hinab, der sicher selbst einen Navy Seal in die Knie gezwungen hätte. So ganz ohne Sicherheitsseil oder andere Ausrüstung. Nicht das ich auch nur mit einem Teil ihrer Ausrüstung etwas hätte anfangen können. Es grenzte nahezu schon an ein Wunder, dass ich noch nicht gestürzt war, wobei ich mich an jedem halt gebenden Brocken klammerte, als würde er mein Fels in der Brandung sein. Der nächste Schritt war daher immer der schwerste, denn ich wusste nie, ob er nicht vielleicht mein letzter sein würde. „Ka Bara?“, hörte ich Anubis vor mir, am Ende des steilen Hanges rufen. Vorsichtig lugte ich zu ihm hinab und erblasste bei dem Gedanken, dass ich immer noch die Hälfte vor mir hatte. „I-Ich komme... W-Warte bitte!“, rief ich hinab und fragte mich, ob es gut war, gerade jetzt nicht die Jungfer in Nöten sein zu wollen. Ich sah wieder auf den mit erdachten Weg, der immer noch wenig einladend aussah. Überall lag Geröll, Baumwerk und vor allem viel Schlamm. Dabei war das schon der Weg, der meiner Meinung nach am Begehbarsten war. Auch wenn meine Hände bereits bedeckt mit Schlamm waren und meine Knie schmerzten. „Bara Bara!“ Ich verzog das Gesicht, denn Anubis' Tonus hatte etwas, dass mir wahrscheinlich sagen sollte, dass ich mich beeilen sollte. Doch schneller als langsam, aber sicher, ging nicht. „I-Ich komme doch schon... Irgendwie...“, flehte ich verzweifelt, denn ich konnte mir gerade nichts schlimmeres vorstellen als das Anubis mich hier alleine zurück ließ. Durch diesen Gedanken hatte ich mich zu einem Schritt ermutigt. Ich trat auf einen Stein, der auf den ersten Blick sicher schien, aber kaum, dass ich mein Gewicht darauf verlagerte, gab dieser nach. Der Schock sorgte dafür, dass ich selbst den letzten sicheren Halt losließ und in die Tiefe stürzte. Der harte Aufprall blieb aber auf, denn anders als ich, hatte Anubis schnell reagiert und mich aufgefangen, auch wenn er mich dabei etwas unbeholfen festhielt. „Danke...“, nuschelte ich und ließ mich von Anubis absetzen. „Ka bara bara?“ „Ja, alles in Ordnung, dank dir. Aber ich glaube nicht, dass ich weiter diesen Weg gehen kann. Hör mal, Anubis...“, begann ich und holte tief Luft. „Für dich mag es ein leichtes sein solche Abhänge hinab zu klettern, durch Büsche zu schleichen, dich von Baum zu Baum zu schwingen, andere Götter mit Saftflaschen auszukno-“ Ich stockte. Besser ich hielt den letzten verräterischen Gedanken zurück, auch wenn ich mir sicher war, das Anubis nicht wirklich viel von mir verstand. „Ich meine, all die Dinge zu tun, die ihr Götter so einfach könnt. Für mich als Mensch ist das manchmal, vor allem jetzt, unmöglich, denn es bringt mich an meine Grenzen. Schau...“ Ich hob meine Hände, an denen ich ein paar Schürfwunden hatte, die ich bisher geheim gehalten hatte. Anubis bemerkte sie und sah auf seine eigenen Hände, die vollkommen unversehrt waren. Als wäre dies eine Erkenntnis, die noch zu überprüfen war, sah er wieder auf und betrachtete mich genauer. Ihm entging nun nicht mehr, dass meine Jacke etwas eingerissen war und selbst die Hose mit Schlamm besudelt war. Anders als er. Seine Schritte waren trittsicher, sein Gleichgewicht übermenschlich und sein entschuldigender Blick so unglaublich süß. „Ka bara bara ka ka bara“, murmelte er und ich vermutete, dass dahinter eine Entschuldigung steckte. „Schon in Ordnung, ich hätte früher etwas sagen sollen“, erwiderte ich und bemühte mich zu lächeln. Irgendwie war diese Situation schon ironisch, denn es zeigte sich erneut, dass wir beide noch viel übereinander lernen mussten. Immerhin mussten wir das nicht alleine tun. „Können wir vielleicht einen leichter begehbaren Weg gehen?“, fragte ich und sah Anubis bittend an. Für einige Sekunden sah er mich an, bevor seine Ohren zuckten, er sich von mir abwandte und sich umsah. Er flüsterte dabei immer wieder „ka“ oder „bara“, so als würde er mit sich selbst sprechen. Immerhin eine Gemeinsamkeit die wir hatten. Ich neige auch hin und wieder dazu mit mir zu reden.   Anubis bemühte sich wirklich und ging dieses Mal lieber auf Nummer sicher, dass die Wege die er wählte, auch für mich begehbar waren. Es bewies mir, dass er mich wohl irgendwie verstanden haben musste, was mir ein wohliges Gefühl in der Magengegend bereitet. Ich war der erste Mensch, den Anubis verstanden hatte. Ich nicht Yui. 'Außer dies ist der Spielanubis... Was wahrscheinlicher ist, immerhin existiert Akira.' Ich schluckte schwer, als dieser Gedanke sein Haupt erhob und mein kleines Glücksgefühl vertrieb. Was wenn ich mich die ganze Zeit irrte und dies hier die Götter aus dem Spiel waren? Das hätte zumindest erklärt warum ich Dionysos... nein eigentlich erklärte das gar nichts. Selbst in den Spielen war Dionysos nicht sonderlich groß dargestellt worden. Eigentlich war das schade, denn so ein schlechter Kerl war er nicht. Auch wenn er meinem Schamgefühl nicht gut tat. Aber so gesehen tat mir kein Gott gut. Richtig gefährlich war mir allerdings nur Akira, also Amaterasu geworden. „Ka Bara?“ Ich erschrak, als Anubis plötzlich stehen blieb und mich besorgt ansah. Scheinbar dachte er, dass er zu schnell lief, weil ich mehr als nur ein paar Meter zurückgefallen war. „Schon okay. Tut mir leid, ich war geistig gerade etwas abgedriftet.“ Um ihm nicht noch größere Sorgen zu bereiten, lief ich schneller auf ihn zu, immer darauf bedacht, nicht auszurutschen.   Böse Blicke begrüßten mich und Anubis, als wir endlich zurück zum Strand gekommen waren. Bei meinem Glück musste es natürlich Thoth sein, der das Begrüßungskomitee war. „Spätzünder...“, begann er seine Predigt gefährlich ruhig und ich wünschte mir ein Erdloch, in dem ich verschwinden konnte. „Mit einem 'Es tut mir leid.' kann ich dich sicher nicht besänftigen, oder?“ Sein Blick war tödlich. Zum Glück nur im metaphorischen Sinnen, sonst hätte ich mir gewünscht, dass sein böser Blick wenigstens Bonbons warf. Ersteres wäre sonst wirklich tödlich gewesen und dieses Mal wirklich. „Ich habe es dir gesagt! Misch dich nicht in die Angelegenheiten von Göttern ein! Aber du konntest es nicht lassen und was ist das Ergebnis? Du verschwendest wertvolle Zeit, indem du dich von der Tunte entführen lässt. Hast du auch nur einmal darüber nachgedacht, was dein Tun für Folgen hat?“ Auch wenn Thoths Frage rein rethorisch war, konnte ich nicht anders als seinem Vorwurf einen Konter zu bieten. „Hör mal, es ist nicht so, dass ich mich eingemischt habe! Oder darum gebettelt habe entführt zu werden! Aber dir wäre sicher auch nicht recht gewesen, wenn Amaterasu und Susanno-o mit ihrem göttlichen Kampf für Unruhen auf der Welt gesorgt hätten. Soviel wert muss dir deine Welt doch sein.“ Ich sprach eher unbewusst von Thoths Welt, denn mit meinem „Scheinwissen“ über die Götter hätte ich das nicht wissen dürfen. Thoth hatte laut Kamigami die Welt erschaffen. In der ägyptischen Mythologie war jedoch nie die Rede davon gewesen. „Der Aho und Saufkopf waren da, sie hätten das geregelt.“ Ich murrte, denn dieses Gespräch kam mir seltsam bekannt vor. Nur das ich es nicht mit einem sogenannten Saufkopf führte. Das schlimmste an diesem Gespräch war aber, ich war ausnahmsweise unschuldig. „Ich hab doch nichts getan, verdammt! Amaterasu hat irgendwas total falsch verstanden und mich einfach mitgeschleppt. Ich habe nicht darum gebettelt, Thoth!“ Aus einem dummen Reflex heraus betonte ich Thoths Namen und offenbarte damit, wie wütend seine Standpauke mich machte. Er war schlimmer als jeder Kunde, mit dem ich jemals gesprochen hatte, auch wenn mir schmerzhaft bewusst war, wie Recht er hatte. „Wie dem auch sei, wir haben keine Zeit mehr für diese Spielchen. Verabschiede dich von Shizuku-san und Reiji-san.“ Er duldete keine weiteren Widerworte, dass wurde mir bewusst, als er sich abwandte und in Richtung des Hauses ging, dass mir in den letzten Stunden so vertraut geworden war, dass es sich anfühlte, als wäre es Monate gewesen die ich hier verweilt hatte. Eine gewisse Art von Wehmut überkam mich und der Wunsch hier bleiben zu können, wurde wach. Egal welche Folgen es gehabt hätte, ich hätte damit leben können, meine letzten Tage hier zu verbringen. Aber Thoth hätte das sicher nicht zugelassen. Er wollte wissen, was passiert war. Und dafür hatte er sich mit mir bereits einen großen Ballast aufgeladen. Als wäre die Last der Welt nicht schon schwer genug. „Vielleicht macht er sich wirklich Sorgen...“ Es war ein Gedanke, der sich erhob als die Wut verraucht war. Wahrscheinlich war Thoth so pissig, weil er sich Sorgen macht. In Anbetracht der Tatsache, dass er impulsiv war und er nicht seine Gedanken nicht gerade vorsichtig formulierte, war das schon eine mögliche Theorie. Und... Irgendetwas in mir wollte genau das glauben. Thoth durfte aus irgendeinen unerfindlichen Grund nicht der Idiot werden, der er manchmal war. Oder den ich nur zu gerne gesehen hätte. „Erenya-chan, den Göttern sei dank. Dir geht es gut.“ Wie schon als mich das Boot aufs Meer getragen hatte, war es Shizuku die mich mit einer herzlichen Umarmung begrüßte. Mir tat es leid, dass ich ihr erneut Kummer bereitet hatte, denn das war nicht Sinn und Zweck der Sache gewesen. Wobei diese Entführung niemals einen Sinn hatte. „Alles okay, dank Anubis. Er hat mich gefunden und zurückgebracht“, erklärte ich mit einem Lächeln und versuchte sie damit irgendwie zu beruhigen. Sie konnte das Lächeln zwar nicht sehen, aber im Call-Center lernte man, dass man es hören konnte. „Um weitere Unanehmlichkeiten zu vermeiden, werden wir sofort aufbrechen“, erklärte Thoth ernst, wobei Shizuku mich fester umarmte, als wollte sie verhindern, dass der Gott mich ihnen entriss. „Thoth-sama, sollte sie sich nicht noch etwas ausruhen?“ Es war Reiji, der seine Sorge kundtat und um einen Aufschub bat. Doch Thoth machte mit einem Kopfschütteln deutlich, dass es dieses Mal keine Ruhepause geben würde. „Wir haben eure Gastfreundschaft lange genug strapaziert. Außerdem müssen wir herausfinden, was diesen Fehler verursacht hat.“ „Das ist wirklich schade. Darf ich Erenya-chan dennoch kurz entführen. Ich wollte euch doch etwas für die Reise mitgeben.“ Thoth seufzte ergebend. Scheinbar konnte er Shizuku nichts abschlagen und das lag nicht daran, dass sie blind war. Er respektierte sie mehr, als er mich respektierte, was in mir ein unschönes Gefühl beschwor. Eifersucht. Behurtsam führte mich Shizuku ins Innere des Hauses. Es war wie an dem Abend, als wir Frauen unter uns in der Küche gewesen waren. „Hier Erenya-chan. In dieser Tasche haben Reiji und ich dir ein paar Sachen zusammen gepackt. Etwas zu Essen und Trinken. Einen Schal und du kannst dein Buch darin verwahren.“ Erneut offenbarte Shizuku, dass ihr Herz größer war als die gesamte Welt. „Pass auf dich auf, Erenya-chan. Halte dich aus den gefährlichen Sachen raus, vor allem wenn eure Reise euch weiter durch die Welt der Götter führt. Vergiss nicht, du bist sterblich und irgendwann wirst du wieder unter den Sterblichen verweilen. Kämpfe dafür, aber... Bestreite keine Kämpfe für Götter. Du kannst nicht gewinnen.“ Die Wärme die ich durch Shizukus Hände spürte tat und gleichzeitig machte sie mich melancholisch und nachdenklich. Ich wusste ja, dass sie Recht hatte. Kämpfe, welche die Götter untereinander ausfochten, konnte ich nicht schlichten, aber ich konnte doch auch nicht einfach so zugucken. „Danke für alles, was ihr für uns getan habt, Shizuku. Ich werde auf mich aufpassen. Außerdem, Thoth wird nicht zulassen, dass mir was passiert.“ Ich lächelte sie an, bevor ich sie in meine Arme zog und fest umarmte. Ich würde sie vermissen auf meiner Reise und ich würde niemals vergessen, was sie für mich getan hatte. Sie und Reiji. Ihre Tochter konnte sich wirklich glücklich schätzen, dass sie ihre Eltern waren. „Ich weiß. Dennoch, gib auf dich acht.“ Ich löste mich von Shizuku und nickte. Es konnte natürlich nicht schaden, wenn ich zusätzlich noch etwas auf mich achtete. Noch mehr Ballast sollte ich selbst Thoth nicht zumuten. Ich war mir sicher, dass bei aller Göttlichkeit, auch er seine Grenzen hatte. Und ich balancierte wahrscheinlich gerade auf dieser.   Ich war erleichtert, als ich vor dem Haus Hades und Dionysos wieder sah und eben jene Erleichterung konnte ich auch in ihren Gesichtern ablesen. Doch es fehlte einer. „Wo ist Apollon?“, fragte ich obwohl ich die Antwort nur zu gut kannte. Wenn Takeru nicht bei ihnen war, würde Apollon sicher ihn suchen. Ich hätte das zumindest so gemacht. „Apollon sucht nach Takeru und Amaterasu.“ „Wie?“ Beide sahen sich an, nachdem ich Dionysos Schilderung mit leichtem Entsetzen kommentiert hatte. Mir fehlten wirklich ein paar Stunden oder eher Momentaufnahmen, die seit meiner Entführung geschehen waren. „Als Amaterasu dich mitgenommen hat, haben Takeru, Apollon und ich nach dir gesucht. Allerdings war Amaterasu zu schnell, so dass wir die Spur verloren haben. Takeru meinte, dass Amaterasu dich sicher irgendwo eingesperrt hat. Er wollte deswegen nach ihm suchen und uns dann mitteilen wo er dich versteckt hat, für den Fall, dass er ihn findet bevor wir dich gefunden hätte.“ Ich konnte mir gut vorstellen, nachdem was Dionysos erzählte, dass Takeru die Denkweise seines Bruders wirklich analysieren konnte. Auch wenn ich mir genauso gut denken konnte, dass es dem Gott des Meeres dabei weniger um mich ging als um Tsukito und Amaterasu selbst. „Als Thoth bemerkte, dass etwas nicht stimmte und Anubis loslief, hat er mich losgeschickt um nach Dionysos und Apollon zu suchen.“ Mein Blick wandte sich zu Thoth. Ich fragte mich wirklich, was in seinem Kopf vorging. Doch eines war mir klar... „Anubis ist bei einer Suche effektiver als der Saufkopf und der Aho. Am Ende wären die beiden nur verloren gegangen.“ Genau das hatte ich mir gedacht. Wobei Thoth noch etwas verschwieg. Etwas, dass mir erst jetzt bewusst wurde. Er sagte effektiver. Doch in Wahrheit meinte er schneller. Nur zu gut erinnerte ich mich an den vergangenen Abend, an dem mir Thoth klar gemacht hatte, dass die Zeit wahrscheinlich mein größter Feind war. Hätten nur Dionysos und Apollon nach mir gesucht, wäre die Wahrscheinlichkeit groß gewesen, dass ich noch einiges an Stunden in der Höhle verbracht hatte. Anubis hingegen konnte Fährten wittern. „Das erklärt aber nicht, warum Apollon Susanno-o und Amaterasu hinterher ist.“ „Er will-“ „Apollon befürchtet das beide wieder miteinander streiten und wollte sie finden, bevor einem von ihnen was passierte.“ „Dieser Aho!“, polterte Thoth, woraufhin ich zusammen zuckte. „Er hat sich nicht in die Angelegenheiten japanischer Götter einzumischen!“ Erneut machte Thoth die Regeln deutlich. Selbst mir hatte er das oft genug eingebläut und obwohl in mir alles danach schrie, dass wir vielleicht Apollon suchen und ihm helfen sollten, hielt ich mich zurück. Eine Thothpauke am Tag reichte selbst mir. Außerdem hatte ich Shizuku indirekt versprochen, auf mich aufzupassen und mich da gleich mal in die nächste Konfrontation von Göttern zu werfen hätte sich nicht in diese Kategorie gezählt. „Der Aho muss selbst aus seinen Fehlern lernen. Wir haben keine Zeit mehr für dieser Kindereien. Wir brechen sofort auf.“ Entsetzt sah ich zu Thoth und fürchtete, dass er seine Worte wirklich so meinte wie er sagte. So wie er es mir auch schon am Abend zuvor deutlich gemacht hatte. Er würde die Griechen zurücklassen, wenn sie der Meinung waren einem Freund helfen zu wollen. „Wir können nicht ohne Apollon gehen!“, griff Dionysos ein und sah Thoth ernst an. „Glaubst du sie hat die Zeit, damit wir hier auf deinen Bruder warten können? Jede Sekunde zählt und ich werde sie sicher nicht für den Aho verschwenden.“ Ich schluckte schwer. Alles in mir schrie danach, dass Thoth recht hatte. Und ich wollte ihm ja vertrauen. Außerdem hatte ich mir versprochen, keine weitere Last für ihn zu sein. Gleichzeitig wollte ich Apollon nicht zurücklassen. „Dann lass sie entscheiden...“, antwortete Dionysos ohne seinen Blick von Thoth abzuwenden. „Ihre Entscheidungen sind es, die uns wichtiger Zeit beraubt haben. Selbst du Saufkopf solltest verstehen, dass sie nicht in der Lage ist Entscheidungen zu treffen, die nicht destruktiv ihr selbst gegenüber sind!“ Da war es wieder. Thoth hatte mich analysiert und mein Handeln wahrscheinlich genaustens auf meinen Charakter nieder gebrochen. Er wusste, dass ich viel eher auf Apollon warten oder ihn gar suchen würde, als daran zu denken, dass dies mich in die Nicht-Existenz werfen könnte. Es wäre wahrscheinlich einfacherer gewesen, einfach auf Thoth zu hören, aber mal ehrlich, dass wäre alles andere als mein Stil gewesen. Ich hatte immer noch meinen eigenen Kopf. Aber sollte ich jetzt rein aus Protest das falsche tun? Wäre es das falsche? Was wenn Apollon noch wichtig für die Reise war? In meinem Kopf drehte sich alles. Zeus hatte doch sicher einen Grund uns nach Japan zu schicken... Wir hatten Takeru getroffen... Tsukito war verschwunden... Apollon war mit auf die Reise gekommen... Was sollte ich nur tun? Was war verdammt noch mal der richtige Weg? Würde ich mich wirklich einfach so auflösen? Konnte ich dieses Risiko eingehen? Was wenn Thoth sich irrte und wir so eine wichtige Schlüsselfigur in dieser Geschichte übersahen? „Ich kann nicht!“, platzte es aus mir heraus und ich spürte wie die Götter mich ansahen. „Ich will nicht ohne Apollon gehen.“ Ich spürte wie Thoth mich wieder mit seinen Blicken erdolchte. Oh ja, gerade das brauchte ich jetzt. Einen mich erdolchenden Gott. Perfekt. Besser hätte mein spontaner Ausbruch des Gedankenkarusells nicht laufen können. „Thoth-sensei... wir sollten vielleicht etwas warten. Was wenn wir jetzt losziehen und Apollon nur wenige Sekunden danach eintrifft? Wir könnten einander verfehlen.“ Ich spürte Hades Hand auf meiner Schulter, die mir just in diesem Moment das Gefühl gab, dass ich nicht alleine gegen den ägyptischen Gott stand. Richtig, ich hätte es wahrscheinlich nicht. Dionysos wollte warten, ebenso Hades. Und das nicht weil sie sich keine Sorgen um mich machten, sondern auch weil sie um ihren Verwandten besorgt waren. „Bitte Thoth, es geht hier doch nicht nur um mich. Apollon gehört zu unserer Reisegruppe und ihn zu verlieren bedeutet, dass die Gruppe sich aufspaltet und wir damit ein wichtiges Mitglieder für unsere Reise verlieren.“ Flehend und bestärkt durch Hades sah ich zu Thoth, dessen finstere Miene sich aber nicht aufhellte. Doch etwas blitzte in seinen Augen auf. Mitleid? Mitgefühl? Irgendetwas, dass ich zuvor nicht in diesem Saphirblau gesehen hatte. „Es gibt niemanden, der Macht darüber hat... nicht einmal Ich. Deswegen können wir nicht länger warten.“ Seine Worte versetzten mir einen Stich. Sie hatten etwas bereuendes, etwas, dass mir Thoth in einem vollkommen anderen Licht präsentierte. Eines, welches ich zwar schon unbewusst wahrgenommen hatte, aber doch immer irgendwie verdrängt hatte. Hatte er Angst? „Dann warte ich hier. Sobald Apollon da ist, folgen wir euch“, verkündete Dionysos und erneut fuhr mich etwas schmerzhaft durchs Herz. Die Gruppe spaltete sich. Das was ich so sehr fürchtete, würde eintreffen und das nur, weil Thoth recht hatte. Und ich hasste ihn dafür. Warum verdammt musste er der Gott des Wissens sein? Warum musste seine verdammte Logik vollkommen logisch sein? „Ka Bara!“ Anubis Stimme ließ uns alle aufschauen. Sein Blick war scharf auf den Horizont gerichtet. Er kniff die Augen zusammen, während seine Ohren lauschend aufgestellt waren. „Ka Bara bara bara!“, rief er schließlich aus, wobei diese Worte mehr an Thoth als an den Rest von uns gerichtet war. Und bevor auch nur einer von uns reagieren konnte, lief der junge Ägypter los. „ANUBIS, KOMM ZURÜCK!“ Thoths Rufen war aber vergebens. Der Ägypter reagierte nicht mehr auf seinen Mentor, sondern lief unbeirrt weiter. Fragend sah ich zu Hades und Dionysos, die vielleicht mehr verstanden hatten als ich, doch beide hatten ihren Blick auf den Horizont gerichtet. „Ein Schnitzer...“, nuschelte Dionysos und ich selbst wandte meinen Blick in dieselbe Richtung, konnte aber aufgrund meiner Kurzsichtigkeit nichts ausmachen, was auch nur im entferntesten einem Schnitzer, oder was auch immer damit gemeint war, ähnelte. „Dionysos, folge ihm. Apollon könnte dort sein.“ Es dauerte höchstens einen Augenschlag, den Dionysos brauchte um sich in seine göttliche Kleidung zu werfen und Anubis zu folgen. „Verdammt...“ Ein leiser, genervter Fluch von Thoth machte mir deutlich, dass ihm die Gesamtsituation alles andere als gefiel. Denn anders als er es mir eben zu Verstehen gegeben hatte, würden wir wohl nicht so schnell aufbrechen. Vielleicht hatte die Göttin des Schicksals ja doch andere Pläne für unsere kleine Reisegruppe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)