Life as a Pokemon von Ryouxi ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Viviana hatte einen seltsamen Traum gehabt, aus dem sie durch das laute Piepen ihres Weckers gerissen wurde. Kaum war sie erwacht, konnte sie sich nur noch vage an ihren Traum erinnern. Das Einzige, das sie noch sicher wusste, war, dass es um Pokémon gegangen war. „Uff, was für ein Traum...“ Doch nun wollte sie erst einmal den Wecker ausmachen, das Piepen nervte wirklich. Ohne ihre Augen auch nur einmal geöffnet zu haben, griff sie nach dem Wecker, doch irgendwas war falsch, sie kam nicht an den Wecker. Erschrocken riss das Mädchen die Augen auf. Alles um sie herum schien riesig, träumte sie etwa noch immer? Mit einem Schlag war all ihre Müdigkeit verflogen und sie sprang auf – oder zumindest versuchte sie das. Sie verhedderte sich, warum auch immer, in der Decke und landete mit einem erstaunlich leisen 'Bump' auf dem Boden. „Aua“ Sie wollte sich an die schmerzende Stelle am Kopf fassen, und erst dann fielen sie ihr auf, ihre felligen Pfötchen. „Wha!“ Was war mit ihr passiert? Schnell stand sie wieder auf ihren nun vier Beinen, wenn auch nicht sehr sicher. Was war das nur? Sie hob eine Pfote und fiel prompt auf die Nase. Auf vier Beinen zu stehen war schwieriger als man dachte. Als sich Viviana erneut aufgerichtet hatte, tappste sie, nun etwas vorsichtiger, zu dem großen Spiegel, der in ihrem Zimmer stand. Nachdem sie noch ein paar Mal gestolpert war, sah sie schließlich ihr Spiegelbild. Einen Moment musste das Mädchen überlegen, ob es nun wirklich vor seinem Spiegel stand. Denn was es vor sich sah, war eindeutig nicht Viviana, auch wenn es hellbraune Augen und Haare hatte – oder eher Fell. Viviana kannte das Pokémon, dass nun vor ihr stand, es war ganz eindeutig ein Evoli. Sie fand es zwar unglaublich süß, aber was hatte es in ihrem Zimmer verloren? Das Mädchen ahnte bereits schlimmes, auch wenn es sich nicht erklären konnte, wie das möglich sein sollte. Als sie sich schließlich vorsichtig bewegte, wurde ihr Verdacht bestätigt, sie war dieses Evoli! Geschockt stand Viviana noch eine ganze Weile vor dem Spiegel. Draußen verschwanden die letzten Sterne am Horizont, und in der Ferne färbte sich der Himmel leicht rosa. Doch von all dem bekam das Mädchen im Augenblick nichts mit. Es starrte einfach nur das Evoli vor sich an, und dieses starrte zurück. Träumte sie etwa immer noch? Aber für einen Traum fühlte sich alles hier viel zu echt an. Aber was sollte es denn sonst sein? Sie war verwirrt. Hin und wieder zuckte sie mal mit einem ihrer nun sehr langen Ohren oder hob eine Pfote, nur um sich zu vergewissern, dass wirklich sie das war. Schließlich seufzte Viviana und ließ ihre Ohren hängen, das war doch nur ein Traum, ein böser Traum. Dann aber begann sie das ganze positiv zu sehen, immerhin war sie eigentlich keine so negative Denkerin. Das Ganze hatte sicherlich auch seine gute Seiten, nicht war? Zum Beispiel war sie nun eines der süßesten Pokémon, die sie kannte, auch wenn sie sich selbst nicht streicheln konnte. Aber sie war ein Pokémon, dann hatte sie auch die Fähigkeiten solcher – auch wenn sie ungefähr genauso von Nutzen war wie Bummelz – und würde Shinya so keine größere Last auf seiner Reise sein – zumindest dachte sie das. „Shinya“ erschrocken schaute Viviana aus dem Fenster, die Sonne war kurz davor aufzugehen. So schnell es ging, eilte das nun Pokémon gewordene Mädchen aus seinem Zimmer – der nervtötende Wecker hatte mittlerweile auch aufgehört zu klingeln. Während sie mehr stolpernd als laufend in die Küche kam, kamen ihr noch weitere Dinge in den Kopf. Sie hatte noch nichts für die Reise gepackt – aber würde sie überhaupt etwas mitnehmen können? Immerhin war sie nun ein Pokémon. Und ein Evoli mit Vivianas Tasche um sah sicher merkwürdig aus, zudem konnte das Mädchen nicht mal so richtig laufen. Das war doch zum Verzweifeln. Während sie sich noch ärgerte, kam ihr der nächste Gedanke in den Kopf. Was war mit ihrer Mutter? Sie hatte sich doch noch von ihr verabschieden wollen, doch so war das völlig unmöglich. Und wenn sie einfach abhauen würde, würde sich die Frau sicherlich Sorgen machen. Aber... Sie war ja nicht einmal da, das war gar nicht üblich für sie. Ein wenig verwirrt schaute sich Viviana um, und nun? Einen Moment lang vergaß das Mädchen ihre Eile und schaute sich unentschlossen um. Ihr Blick fiel auf den Tisch vor ihr, er wirkte nun riesig. Viviana schluckte kurz, als ihr ihre schreckliche Lage wieder bewusst wurde. Doch schnell wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf etwas Anderes gezogen, einen Zettel der anscheinend auf dem Tisch lag – zumindest sah es von hier unten so aus. „Ein Zettel?“ Es war also wirklich etwas passiert, nur dann hinterließ sie Zettel. Aber wie sollte sie denn jetzt da ran kommen? Unschlüssig schaute sie zu dem Stück Papier hoch. „Ich darf noch nicht mehr Zeit verlieren.“ Bei Sonnenaufgang würde Shinya Flori verlassen, egal ob Viviana nun da war oder nicht. Trotzdem wollte sie wissen, was auf diesem Zettel stand. Also machte sie sich daran, auf einen der Stühle zu springen, um dann auf den Tisch zu gelangen – zumindest war das der theoretische Plan. In der Praxis gestaltete sich das ganze aber schwieriger. Beim ersten Versuch berührten Vivianas Pfoten zwar die Sitzfläche, aber sie rutschten wieder ab, so dass sie heute bereits zum wiederholten Mal schmerzhaft auf dem Boden landete. Sie konnte ja nicht mal richtig laufen, geschweige denn springen. Beim zweiten Mal schaffte sie es aber immerhin auf die Sitzfläche, auch wenn sie ziemlich unsicher stand und beinahe wieder runter gefallen wäre. Ihre Beine zitterten nun ziemlich heftig. Trotzdem gestaltete sich der Sprung auf den Tisch als wesentlich einfacher, immerhin hatte sie dort eine größere Fläche zum Landen und konnte nicht runter fallen. Nach einem vorsichtigen Blick über die Tischkante konnten sie ihrer Beine kaum mehr tragen. Von hier oben sah es noch höher aus als von unten. Sie wollte aber nicht noch mehr Zeit verlieren, also nahm sie ihren noch übrig gebliebenen Mut zusammen und schlich schon fast zu dem Zettel, der natürlich auf dem Kopf lag. Um ihn lesen zu können musste sie ihn also erst einmal umdrehen, na toll. Mit einem kurzen Blick auf ihre fingerlosen Pfoten machte sich Viviana daran, das Stück Papier zu drehen. Sie konnte nur noch zuschauen, wie der Zettel zu Boden flatterte, auch ihr böser Blick änderte nichts daran. Kurz ließ sie Ohren und Schweif hängen, doch dann machte sie sich wieder an den Abstieg, was sie schlucken ließ. Wenn sie gedachte hatte, der Aufstieg wäre schwierig gewesen, dann würde das hier nun eine Qual werden. Wie sollte sie denn unfallfrei auf ihren Pfoten landen? Diesmal hatte sie nur einen Versuch, wenn sie diesen vermasselte, würde das eine schmerzhafte Landung werden. Trotz allem zögerte Viviana den Sprung nicht lange heraus. Da sie sich nicht traute nur auf den Vorderpfoten zu lande, diese waren ja eigentlich ihre Arme, landete sie sicher auf allen Vieren. Auch wenn sie durch diesen gelungenen Sprung mutiger wurde, vollführte sie den zweiten Sprung mit derselben Technik. Nun konnte sie sich endlich diesem Zettel widmen, und wehe, es stand nichts wichtiges darauf, sie hatte genug Zeit deswegen vertrödelt. Liebe Viviana, es tut mir Leid, dass ich nun nicht bei dir sein kann. Ich hätte mich gerne noch einmal richtig von dir verabschiedet, aber es gab einen wichtigen Notfall bei der Arbeit. Das wird vermutlich noch eine Weile dauern, also warte nicht auf mich – nicht dass Shinya ohne dich aufbricht. Ich hoffe, ihr beiden vertragt euch weiterhin gut und habt viel Spaß, und passt gut auf euch auf. Übrigens steht ein Frühstück für dich im Kühlschrank. Und melde dich mal bei mir, immerhin will ich auch wissen, was ihr so anstellt. Das war typisch für ihre Mutter – keine Grüße, keine genaueren Informationen. Aber Viviana konnte das nur recht sein, auch wenn sie gerne auf den Brief geantwortet hätte. Im Augenblick gab es wichtigeres. Die Sonne warf ihre Strahlen bereits durch das Fenster und das Mädchen befürchtete, dass Shinya bereits losgegangen war. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihn noch einholen wollte. Während sie zur Haustür eilte, grummelte ihr Magen leise. Die Nachricht ihrer Mutter hatte ihren Hunger geweckt – im Kühlschrank stand etwas zu essen, an das sie aber vermutlich nicht herankommen würde. Wenn sie so von hier verschwinden würde, würde ihre Mutter sicherlich Verdacht schöpfen. Sie hatte nicht auf ihre Nachricht geantwortet, die mitten auf dem Boden lag, das Essen stand unberührt im Kühlschrank, und möglicherweise würde sie auch bemerken, dass Vivianas Zimmer nicht so aussah, als hätte sie noch ihre Tasche gepackt. Trotzdem musste sie nun los. Sie hatte es sich so sehr in den Kopf gesetzt mit Shinya zu gehen und wollte nicht, dass er alleine unterwegs war, dass sie fast vergaß, dass sie auf einmal ein Pokémon war. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie hier geblieben wäre, um herauszufinden, was mit ihr los war, falls das überhaupt möglich war, doch diese Option kam ihr im Moment gar nicht in Gedanken. Ihr wurde jedoch schnell wieder bewusst, dass sie sich in ein kleines Evoli verwandelt hatte, als sie plötzlich vor der großen Haustür stand. Sie schien wie eine unüberwindbare Mauer. Bis jetzt hatte das Mädchen Glück gehabt, da alle Türen offen gestanden hatten, doch bei der Haustür war dies natürlich nicht der Fall. Eigentlich war es ganz einfach, sie musste einfach nur die Klinke erreichen und diese herunterdrücken – doch sie war ein kleines Pokémon, ihr Ziel schien unerreichbar. Trotzdem begann Viviana sofort an der Tür herauf zu springen, sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren. Schon nach wenigen Sprüngen konnte sie mit ihren Pfoten die Türklinke erreichen, doch sie wusste wirklich nicht, wie sie diese öffnen sollte. Nach einigen weiteren Versuchen sah sie schließlich ein, dass das so nichts werden würde. Einen Augenblick blieb sie schwer atmend stehen und schaute zu der Klinke herauf, es blieb dem Mädchen nur noch eins übrig. Viviana fixierte noch einmal das Stück Metall über sich, ehe sie ein weiteres Mal nach oben sprang und sich in der Klinke verbiss. Ein seltsames Gefühl, denn eigentlich gehörte es nicht zu Vivianas Hobbies auf Türklinken herumzukauen – doch es funktionierte, mit ihrem Körpergewicht zog sie den Griff nach unten und die Tür öffnete sich leicht. Zufrieden ließ Viviana von dem Griff ab und fiel, nicht gerade geschickt, wieder zu Boden. „Nun wäre auch das geschafft“, erleichtert schaute das Pokémon in die Freiheit, die nun vor ihm lag. Ohne weiter darüber nachzudenken, zwängte es sich durch den dünnen Türspalt und atmete tief ein. Die Kälte füllte schmerzend Vivianas Lungen, doch sie fror nicht. Dass das an ihrem nun recht dicken Fell liegen konnte, daran dachte sie nicht. Sie ging davon aus, dass es noch immer so warm war wie gestern, auch wenn in Wirklichkeit der Winter langsam, aber sicher seine Hände über dem Land ausbreitete. Mit ein wenig Ekel biss Viviana in das Holz der gemaserten Tür und zog diese langsam wieder zu. Ihr Vorhaben entpuppte sich als ein ziemlicher Kraftakt, doch sie wollte die Tür unter keinen Umständen offen stehen lassen. Nachdem die Tür endlich ins Schloss gefallen war, hätte sich das Mädchen am liebsten eine Pause gegönnt, doch nun musste sie wirklich los. Auch wenn die Sonne kühl und nicht wärmend wirkte, so stand sie eben doch am Himmel und war das Zeichen dafür, dass Shinya bereits aufgebrochen war. So schnell wie möglich eilte Viviana zum Markt. Immer wieder stolperte sie und musste sich mühsam aufrappeln – ihre nun vier Beine machten sie wahnsinnig. Auch wenn ihre Stürze die meiste Zeit von dem dicken Fell an ihrem Hals abgefangen wurden und sie daher kaum etwas spürte, waren sie doch recht kräftezehrend. Zudem erschien ihr der Weg länger als je zuvor, was an ihrer geringen Größe liegen musste, so dass sie, an ihrem Ziel angekommen, völlig außer Atem war. Erschöpft ließ sie sich zu Boden fallen und schaute sich, schnell atmend, um. Von Shinya keine Spur, im Markt würde er sicherlich auch nicht mehr sein. Stattdessen verkrampfte sich mit einem Mal ihr kleiner Körper. Sie hatte die kalte Luft zu tief eingeatmet, so dass ihre Lunge nun zu brennen schien. Wie aus Reflex steckte sie die Nase unter ihrer rechte Pfote. Obwohl diese nicht sonderlich groß war, wurde die Luft schnell wärmer. Am liebsten wäre Viviana noch eine Weile so liegen geblieben. Denn obwohl sie auf dem kalten Boden lag, war ihr warm und sie empfand es als unglaublich angenehm. Doch es dauerte gar nicht lange bis sie merkte, dass sie hier nicht bleiben konnte. Nicht nur weil sie dann Shinya verlor, sondern auch weil hier Menschen waren. Eigentlich hatte sie keine Probleme mit anderen Menschen, doch nun war sie ein Pokémon und dazu noch ein ziemlich süßes. Nicht nur sie war dieser Meinung, sondern auch ein schon etwas älteres Mädchen, das auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Es hatte schulterlange, lilafarbene Haare und trug einen Pony. „Aww, was machst du denn hier?“ Fragend hob Viviana ihren Kopf, als sie die freundliche Stimme hörte. „Du bist ja niedlich.“ Viviana mochte es nicht, dass mit ihr wie mit einem Haustier geredet wurde, gleichzeitig war sie aber froh, dass sie die Worte noch verstehen konnte. Trotzdem sprang sie nun auf. „Ich bin nicht niedlich, kapiert?“ Aus ihrem Mund klang das wohl kaum glaubwürdig, immerhin fand sie selbst, dass Evoli total süß war. Doch daran hätte sie eigentlich keinen Gedanken verschwenden brauchen, hätte sie gewusst, dass ihre Worte für das fremde Mädchen völlig unverständlich waren. „Magst du etwa spielen?“ Das Mädchen lachte kurz und ging dann in die Hocke. „Na komm her“, lockte es mit fröhlicher Stimme. Viviana kannte sie zwar nicht, aber trotzdem war sie ihr unsympathisch. Nicht etwa weil sie unfreundlich war, sondern einfach nur, weil sie so mit ihr redete. Dass sie selbst so mit süßen Pokémon redete, das verdrängte Viviana im Augenblick gekonnt. Einige Sekunden schaute sie noch das seltsame Mädchen an – das, nebenbei gesagt, ziemlich groß war, auch jetzt noch, wo es in der Hocke saß – bis sie sich plötzlich einfach umdrehte und davon lief. Nicht so schnell wie vorhin und darauf bedacht dieses Mal nicht zu stolpern. Auf dem Weg zu einem sicheren Versteck kam sie an einigen verwelkten Blumen vorbei. Der Anblick machte Viviana traurig, trotzdem blieb sie nicht stehen und erreichte schließlich die schützenden Bäume. Mit einem kurzen Sprung verschwand sie im Unterholz – langsam gewöhnte sie sich an ihr zusätzliches Paar Beine – und schaute vorsichtig aus diesem hervor. Das Mädchen war ihr nicht gefolgt. Viviana wusste nicht, in welche Richtung Shinya gegangen war, doch sie hatte eine Vermutung. Langsam kroch sie wieder aus ihrem Versteck, in dem sie sich langsam albern vorgekommen war, und lief am Waldrand entlang. Sie wollte Richtung Windkraftwerk. Dort gab es eine Brücke, über die man zum Ewigwald kam. Viviana konnte sich gut vorstellen, dass Shinya dorthin wollte. Und wenn nicht, dann musste sie ihn wohl oder übel suchen gehen. Das Mädchen hoffte das Beste, während es an den verwelkten Blumen vorbeilief. Schon bald würde nichts mehr von ihnen übrig bleiben, und wenn doch, dann würde es unter einer weißen Decke begraben sein. Wieso hatte Shinya denn nicht bis zum Frühling warten können? Der Winter war wohl die denkbar schlechteste Zeit für einen Anfänger wie ihn, um auf Reisen zu gehen. Bei den Gedanken beschleunigte Viviana ihre Schritte leicht. Immer seltener stolperte sie, was sie ein wenig übermütig werden ließ. Sie schnürte an einem Zaun, der sie vom Fluss, welcher im Osten Floris floss, trennte, entlang, als sie plötzlich einen Schrei hörte. Hosted by Animexx e.V. 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