Der König von Kalaß von Elnaro ================================================================================ Prolog: Der Kontinent Altera ---------------------------- Unsere Geschichte spielt in Kalaß, einem neutralen und nicht ganz freiwillig unbewaffneten Stadtstaat im Herzen der Inselgruppe Altera. Die Hauptinsel wird von ihren Bewohnern gern als Kontinent bezeichnet, denn sie markiert mit ihren kleinen Nebeninseln den Mittelpunkt ihres Lebens und es ist das einzige Festland, das sie kennen. Der Kontinent also teilt sich in ein nördliches und ein südliches Gebiet, die durch einen eher schmalen Korridor miteinander verbunden sind. Der Stadtstaat liegt an eben besagter Landverengung zwischen den beiden Königreichen Roshea und Yoken, die aber trotzdem auch eine eigene Grenze miteinander haben. Kalaß bildet die Hochburg der Kunst und des Handwerks. Passend zur Schönheit ihrer Schöpfungen ist sein Wappentier der Pfau. Es gibt heute jedoch nur wenige Orte an denen die grünen Wimpel oder Flaggen der Stadt zu sehen sind. Einer davon ist das aufwendig kunstvoll gestaltete Rathaus, das an allen Toren und Portalen mit dem Wappentier verziert ist. Kalaß verfügt über einen Zugang zum Meer und einen Hafen, über den es regen Handel betreibt und seine gefertigten Kunstschätze in die gesamte bekannte Welt verschifft. In der Mitte der Stadt befindet sich, auf einem Hügel, eine alles überragende alte Festung, die als Zweitresidenz des Königs fungierte, als Kalaß noch ein Königreich war. Heute gibt es keinen König mehr, weshalb die Burg nicht mehr bewohnt wird. Die Stadt verfügt über ein modernes Bewässerungssystem, das zumindest in den Erdgeschossen aller Häuser fließendes Wasser erlaubt. Wie sich schon erahnen lässt, war Kalaß einmal nicht nur der Name eines Stadtstaates, sondern eben auch der Name eines ganzen Reiches, doch das ist lange her. Ihr früherer Name lautete Tarbas die Festungsstadt, in der sich König Ramon von Kalaß vor zweihundert Jahren nach einem langen Zweifrontenkrieg gegen Roshea und Yoken verschanzte. Damals war Tarbas jedoch nicht die Hauptstadt von Kalaß, denn das war Nalita, der Königssitz im Westen. Da Tarbas die Festungsstadt nicht eingenommen werden konnte, erhielt sie ehrfürchtig den Beinamen „Die uneinnehmbare Stadt“. Aller Wehrhaftigkeit zum Trotz fiel das Land jedoch und König Ramon, samt seiner Monarchie, wurden vernichtet. Als letzter Grund und Boden, der noch zum Land Kalaß gehörte, nennt man Tarbas seit diesem Zeitpunkt spöttisch Kalaß. Der verlorene Krieg veränderte alles. Kalaß wurde zu einem Stadtstaat, der zum Pazifismus verpflichtet wurde. König Nienna von Yoken zwang den Adel zur Enteignung und beraubte ihn ihrer Titel. In den Straßen der engen Stadt wird gemunkelt es lebten noch heute Nachfahren der Königsfamilie in Kalaß, die das Wissen über ihren eigenen Ursprung verloren haben. Das ist eine romantische Vorstellung für all jene, die sich danach sehen erneut zu einem Königreich zu werden, um sich der Unterdrückung des südlich gelegenen Roshea zur Wehr zu setzen, denn trotz des Nichtangriffspaktes, festgehalten in den Tarbasser Verträgen, erheben sich nach einem zweihundert Jahre andauernden Frieden, nun erneut Unruhen auf dem Kontinent Altera. Kapitel 1: Des Hauptmanns Heimat -------------------------------- Pom pom pom, klopft es drei mal hart an der blauen Holztür der alten bettlägerigen Margret, die geschockt über das Laute Geräusch des ungebetenen Besuches zusammenzuckt. „Versteck dich, Kind!“ flüstert sie, mit einem Gesichtsausdruck, der eher einem panischen Ruf entsprechen würde. Es ist bereits dunkel und die Sperrstunde hat schon lange begonnen, zu der sich jeder Bewohner der Stadt nur in seinem eigenen Haus aufhalten darf, doch die alte Dame ist nicht allein. Der ungebetene Gast tritt in das Haus ein, ohne ein Zeichen der Bewohnerin abgewartet zu haben. Natürlich ist er ein Soldat, was auch sonst? Doch es ist nicht irgend einer, das erkennt die alte Dame sofort. Es ist der Hauptmann der Besatzungsmacht höchst persönlich, der sie mit einem abendlichen Besuch beehrt. „Guten Abend, die Dame. So spät abends noch Licht? Das ist ungewöhnlich für Sie. Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragt er laut, jedoch frei jedwedes einschüchternden Tonfalls, sondern fast schon freundlich. „Führen Sie darüber Buch?“ will Magret spitz wissen. Er soll ruhig merken, dass er unerwünscht ist, er und das ganze üble Soldatenpack da draußen. „Das tue ich in der Tat. Was glauben Sie wie ich sonst den Überblick behalten soll? Na wie auch immer. Es scheint Ihnen gut zu gehen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht.“ Der Soldat bleibt freundlich, aber auch skeptisch. Er lässt kurz seinen Blick durch den Raum schweifen, bemerkt den frisch aufgebrühten Tee und eine mitten im Raum stehende Tragetasche, lässt sich davon jedoch nichts anmerken und verlässt das kleine Haus wieder. Ein hübscher Kerl, findet Margret. Wenn er doch nicht zu falschen Seite gehören würde. „Du kannst wieder heraus kommen, Liebes.“ fordert die alte kranke Dame ihren Besuch auf. Noch etwas geschockt, aber auch erleichtert krabbelt die junge Ärztin Kara unter dem Bett hervor, die sich in der kürze der Zeit kein besseres Versteck suchen konnte. Sie kann froh sein überhaupt darunter gepasst zu haben. Wäre sie nicht so schlank, hätte man sie wohl erwischt. Verstehen konnte sie allerdings nichts von dem was gesagt wurde. Sie sah nur ein Paar Militärstiefel unmittelbar und bedrohlich vor sich stehen. Sie hat sich noch nicht einmal ganz erhoben, da stößt der Soldat Margrets blaue Tür erneut auf und tritt mit einem großen Schritt in das Haus ein. Er stellt sich direkt vor die, noch vor dem Bett hockende Ärztin. Ihr bordeauxrotes Haar ist so lang, dass es auf dem Boden aufliegt, was seinen Blick ein wenig fesselt. Mit ihren türkisen Katzenaugen schaut sie langsam an dem Soldaten hinauf, erkennt einige Abzeichen an seiner Brust und ahnt schon um wen es sich handelt, denn dieser Soldat ist kein Unbekannter für sie. Es ist Nico Dugar, der Hauptmann der die Stadtkontrollen koordiniert. Nicht nur der alten Dame ist aufgefallen, dass es sich bei ihm um einen ausgesprochen schönen und groß gewachsenen Mann handelt. Auf die junge Ärztin Kara wirkt er sehr anziehend, was sie sich unter diesen Umständen jedoch nur sehr ungern eingesteht. Seine Haltung ist außergewöhnlich aufrecht, selbst für einen Soldaten. Er streicht sich sein dunkles, violett schimmerndes Haar an seinem rechten Scheitel nach hinten, als er die junge Frau erkennt. In einem klaren und strengen Ton weist er sie nun zurecht: „Kara, was denkst du dir nur dabei?“ Ein kurzer Blick auf sein Gesicht genügte ihr. Sie vermeidet lieber den Blickkontakt zu ihm und schaut deshalb angestrengt zu Seite. Kühl entgegnet sie: „Du weißt was ich von der Sperrstunde und dem Militär halte, Nico.“ Er kann sie ja verstehen, doch an der Sache ändern kann er nichts. Resigniert atmet er aus, wobei er seine Haltung lockert. Anstatt von ihm weiter Notiz zu nehmen, steht die junge Ärztin elegant auf und wendet sich einer kleinen Kommode zu, beendet die Mixtur einer Salbe gegen Margrets Ausschlag und verreibt sie anschließend sanft auf dem Arm ihrer Patientin. Der junge Hauptmann beobachtet sie dabei geduldig. Sie trägt wieder einmal nur ein leichtes und sehr kurzes Kleid und das obwohl der Winter gerade erst vorbei ist. In Kalaß herrscht jedoch ein so angenehmes Klima um diese Jahreszeit, dass sie damit trotzdem nicht friert. Schön für den jungen Mann, der sich auf diese Weise um so häufiger an der Ästhetik Karas makelloser Figur erfreuen kann. Sie beendet ihre Behandlung, deshalb packt Nico die junge Frau etwas unsanft am Handgelenk und zieht sie, sich freundlich von Margret verabschiedend, hinter sich her. Kara kann gerade noch so nach ihrer Tasche greifen, bevor er sie zum Hinterausgang in die Nacht hinein führt. Erst an einer schwach beleuchteten dunklen Gasse macht er Halt. Diese Frau bringt ihn noch irgendwann zum Verzweifeln. Als hätte er nicht schon genug Probleme, muss sie sich für ihre Berufsehre auch noch solchen Gefahren aussetzen. Dafür kann er nur wenig Verständnis aufbringen. Er positioniert sie zwischen sich und einer Ziegelmauer und wirft ihr, sich um einem sanften Klang in der Stimme bemühend, vor: „Ich will gar nicht daran denkenwas geschehen wäre, wenn nicht ich dich zuerst gefunden hätte. Weißt du was meine Leute mit schönen jungen Frauen wie dir machen, wenn ich gerade nicht da bin? Diese Soldaten zu hüten ist schwerer als die Stadt unter Kontrolle zu halten und es wird immer schlimmer, je länger die Besatzung anhält. Kara, ich kann dich nicht immer beschützen.“ Auf den vebalen Angriff des forschen Hauptmanns reagiert sie mit einer inneren Abwehrhaltung, auch wenn sie genau weiß, dass er recht hat. Immerhin hat ihr Herz hat einen kleinen Freudensprung gemacht, als er sie als schön bezeichnete. Natürlich ist sie froh, dass er es war, der sie gefunden hat und kein Anderer, denn sonst würde sie jetzt wirklich in der Klemme stecken, das ist ihr klar. Trotzdem ist es ihr vor ihm ganz besonders unangenehm. Seit er, zusammen mit der Besatzung, nach Kalaß zurückkehrte, sind sich die beiden bisher zwei mal bei Routinekontrollen begegnet, doch dies ist es das erste Mal, dass sie vollkommen allein sind. Die beiden sind Freunde aus Kindertagen, doch Nico entschied sich dazu dem Königlich Rosheanischen Militär beizutreten, was ihn nun in die missliche Lage bringt seine eigene Heimatstadt besetzt zu halten. Er freute sich auf ein Wiedersehen mit ihr, doch die sah nur einen Feind, einen Überläufer in ihm. Trotz dieser Enttäuschung empfindet sie immer noch Gefühle für ihn, die sie für Kindereien hält. In diesem schwachen Licht kann Kara seinen Gesichtsausdruck kaum erkennen. Sie vermutet, dass er verärgert sein könnte, was er in Wahrheit nicht ist. Es scheint keinen Sinn mehr zu haben vor ihm weiter davon zu laufen wie sie es schon einige Zeit tut. Da sich die beiden immer nur missverstehen, ist jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen ihm zu sagen, was sie bewegt: „Nico, tritt aus dem Militärdienst aus und hilf uns einen Widerstand aufzubauen! Mit deinem Wissen könnten wir uns vielleicht richtig gegen die Besatzung wehren. Was bringt es, wenn du nur mich beschützt?“ Er lächelt sanft und schüttelt leicht dem Kopf. Er streicht sich mit seiner linken Hand durchs Haar und sagt ein wenig eitel, aber auch verständnisvoll: „Ich bin in meiner jetzigen Position doch viel wertvoller für euch. Weiß du denn nicht, dass ich der Kalaßer Stadtwache detaillierte Informationen über die geplanten Kontrollen zuspiele? Davon abgesehen muss ich dich anscheinend aufwecken. Was habe ich nicht schon alles über das Königlich Rosheanische Militär, seine Truppenstärke, Hierarchien und Stützpunkte weitergeleitet? Warum bleibt eure Stadtwache und euer Ältestenrat trotzdem weiterhin vollständig untätig? Ich glaube nicht, dass sie noch weiteres Wissen von mir benötigen. Ich denke eher das Problem liegt darin, dass sie mir nicht Vertrauen.“ Kara wusste davon nichts und ist überrascht. Sie steht in Kontakt zur Vorsitzenden des Kalaßer Ältestenrats, doch diese hat nie etwas darüber erzählt. Ihre Unwissenheit beschämt sie, was Nico trotz des schwachen Lichts an ihrem Blick erkennen kann. „N-Nico, das habe ich nicht gewusst. Ich...ich weiß sogut wie gar nichts über den Zustand der Besatzung und...auch nicht über dich, seit du fort gegangen bist.“ flüstert die junge Ärztin inzwischen etwas eingeschüchtert. Ihr neuerliches Interesse an ihm gefällt ihm. Er hatte nämlich schon bei ihrem ersten Wiedersehen klar gemacht, dass er ernsthaftes Interesse an ihr hat, doch sie verhielt sich eher zurückweisend. Nico bewundert ihre anmutige Schönheit, die auch ihre momentane Unsicherheit nicht wett macht. Das schwache Licht, das aus einem der Fenster in die Gasse gestrahlt wird, lässt ihre Augen funkeln. Es fällt ihm schwer sich in einem solchen Moment zu kontrollieren und er gibt seinem Verlangen nach endlich ihr wunderschönes langes Haar zu berühren, das ihn so fasziniert. Er kann nicht mehr an sich halten und sieht auch keinen Grund dazu, denn mehr als zurückweisen kann sie ihn nicht. Er greift nach einer ihrer langen roten Haarsträhnen und lässt sie zärtlich durch seine Finger gleiten. Kara zuckt leicht irritiert zusammen, erinnert sich aber daran, dass Nico das schon früher gemacht hat, doch jetzt wo sie beide erwachsen sind, fühlt es sich anders an. Sie hatte durchaus bemerkt, dass sie ihm nicht egal ist, doch sie dachte das hätte mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit zu tun und dass er sie deshalb auch immer noch als Kind betrachtet. Er nähert sich ihr Stück für Stück, während er die Haarsträhne in seiner Hand betrachtet. Selbst für Kara, die in Beziehungsfragen manchmal etwas auf dem Schlauch steht, ist klar, dass er etwas für sie empfindet, doch auch wenn sie es erwidert, bleibt er einer der Besatzer ihrer Heimatstadt und damit kommt sie nicht zurecht. Nico sieht Kara sanft und direkt in ihre katzenhaften, türkisblauen Augen, die in diesem schwachen Licht ihre Tiefe nur erahnen lassen. Er kommt noch einen kleinen Schritt näher an sie heran und sagt nach einigem Zögern fast zärtlich: „Geh mit mir nach Yoken!“ Überrascht legt sie ihre Hand auf seine Brust und drückt ihn von sich weg. Im Gedanken er wolle dieser Stadt genau so entfliehen, wie er es vor zehn Jahren schon getan hat, wendet sie sich ein Stück von ihm ab und antwortet schroff: „Vergiss das gleich wieder, Nico! Ich werde Kalaß nicht verlassen, denn sie braucht uns.“ „Von hier aus können wir nichts ausrichten, Kara, glaub mir das. Deshalb möchte ich dich bitten mich zu begleiten.“ versucht er zu erklären, doch das macht sie nur noch wütender. „Du denkst du kannst hier nichts ausrichten und willst einfach alles hinter dir zurück lassen? Das ist typisch für dich!“ Der junge Hauptmann weiß gar nicht was er falsch gemacht hat und versucht zu schlichten: „Wir sind hier in einem starren System gefangen, an dem wir nichts ändern können, Kara. Wir haben zu wenig Spielraum für Aktionen. Wir müssen raus aus Kalaß. In Yoken finden wir vielleicht...-“ Kara unterbricht ihn verständnislos: „Wie egoistisch bist du eigentlich? Ich dachte ich habe in dir einen Verbündeten gefunden, aber du willst uns nur alle im Stich lassen. Dann geh doch alleine nach Yoken! Hab ein schönes Leben!“ Die junge Frau stürmt völlig verständnislos und wutentbrannt davon und Nico versucht sie vergeblich aufzuhalten: „Du verstehst mich falsch. Yoken ist von dieser Besetzung auch sehr stark betroffen. Es geht mir um Unterstützung...von...“ Es hat keinen Sinn weiterzusprechen, denn er muss leise machen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und die junge Frau ist ohnehin schon zu weit entfernt um zu verstehen was er ihr versucht zu sagen. Sie will es auch gar nicht hören, denn sie glaubtverstanden zu haben was er will. Sie ist davon überzeugt er wolle aus der für ihn unbequemen Situatuin fliehen, so wie damals, als er sie einfach hier zurück gelassen hat. Nico ist der Überzeugung es gäbe genau drei Wege die Besatzung zu beenden. Den ersten versucht er gerade vergeblich zu beschreiten, indem er der Stadtwache wertvolle Informationen zukommen lässt. Er hatte gehofft, dass sie diese für gezielte Manöver gegen die rosheanische Besatzug einsetzen, um sie zu vertreiben, aber es tut sich überhaupt nichts. Der zweite Weg führt über eine Abkommandierung der Truppen durch den König von Roshea, doch Nico hat noch keine Idee wie er darauf Einfluss nehmen kann. Der letzte Weg führt über den Eingriff einer anderen starken Nation, nämlich dem angrenzenden Königreich Yoken. Mit deren Unterstützung wäre es vielleicht möglich Kalaß zurück zu erobern. Ohne Kara an seiner Seite will er die Stadt jedoch nicht verlassen. Nico sieht ihr noch so lange nach wie er kann. Er atmet schwer aus und schließt kurz die Augen. Er braucht einen Moment, um seinen Ärger über das Missverständnis herunterzuschlucken. Ein bei ihm sehr selten vorkommendes Gefühl beschleicht den sonst so zuversichtlichen Hauptmann. Er sorgt sich um das Wohlergehen der jungen Ärztin, die nicht wie sonst von der heißspornigen jungen Stadtwache begleitet und mit Leidenschaft verteidigt wird, mit der er schon einmal aneinander geraten ist. Nico war erleichtert einen so fähigen Leibwächter an ihrer Seite vorzufinden, denn aus seiner Sicht stellt Kara ein attraktives Ziel für fehlgeleitete Soldaten dar. Sie völlig ungeschützt Patientenbesuche ausführen zu lassen, findet er zu diesen Zeiten unverantwortlich, aber vielleicht ist er in dieser Sache auch nicht ganz unvoreingenommen. Sie ist schließlich nicht irgendein Mädchen, sondern seine einzige Kindheitsfreundin und der Grund warum sein Herz noch immer in seiner Heimat Kalaß verankert ist. Erfolgsverwöhnt sucht er nach Fehlern, die er in der Konversation gemacht haben könnte. Normalerweise richtet sein angeborener Charme alle Unstimmigkeiten, doch ausgerechnet bei dieser einen jungen Frau, nach der er gesucht hat, scheint er nicht zu wirken. Unter den vielen Einwohnern der Stadt war sie gar nicht so leicht aufzuspüren und es kann lange dauern, bis er ihr wieder begegnet, was ihn deprimiert. Er kehrt zurück zu seinem Regiment, das in der Tarbasser Festung stationiert ist und sucht dort seinen Lieblingsplatz auf, eine Terrasse auf der ein stetiger frischer Wind weht. Die Frühlingsnacht mag nicht besonders kühl sein, doch die frische Brise hilft dem jungen Mann seine Gedanken zu ordnen, die sich in der letzten Zeit immer stärker um dieses eine Mädchen zu drehen scheinen. Von der Terrasse kann er die ganze Stadt überblicken und auch wenn sie im Dunklen liegt, erkennt er im Schein des Mondes in allen Richtungen die riesige Stadtmauer, außer im Westen, wo sie sich zum großen Handelshafen hin öffnet. Südlich von ihm ragt das prunkvolle Kalaßer Rathaus aus den engen Gassen der Stadt empor und östlich erhebt sich die imposante Kathedrale am Marktplatz, ein Ort in dem er als Kind viel Zeit verbracht hat. Kapitel 2: Hochmut kommt vor dem Fall ------------------------------------- Monatelang haben Kara und Nico jetzt schon keinen direkten Kontakt mehr zueinander gehabt. Er sieht sie hie und da vorbei huschen, bekommt sie jedoch einfach nicht zu fassen, um das Missverständnis aus jener Nacht dem Weg zu räumen. Sie war für ihn zum Greifen nah und jetzt könnte sie ihm kaum ferner sein. Kara hat es aber zumindest geschafft sich nicht mehr von Soldaten erwischen zu lassen, wenn sie wieder einmal die Sperrstunde verletzte. So uneinsichtig wie sie ihm schien, wird sie dieser Praxis wohl nach wie vor nachgehen. Aus seiner Sicht halst man ihr einfach zu viel auf. Gelegentlich treffen die beiden bei Routinekontrollen aufeinander, die auch tagsüber statt finden. Dabei müssen alle Hausbewohner nach und nach aus ihren Häusern heraus treten und sich auf der Straße aufstellen, während ein Soldat das Haus überprüft und eventuell sogar durchsucht. Natürlich ist Hauptmann Dugar federführend gewesen als die Kontrollen eingeführt wurden, entspricht dies doch seinem primären Zuständigkeitsbereich, doch wird ihm das von seinem kalaßer Kontaktmann, dem Leiter der Stadtwache Fendaris stetig vorgeworfen. Fendaris bezeichnet diese Maßnahme als Terror an der Bevölkerung, womit er in Nicos Augen auch wahrlich nicht ganz Unrecht hat. Trotzdem haben die beiden große Differenzen, denn als Nico ihm vorschlug immer ein Mitglied der Stadtwache bei seinen Kontrolle mitzuführen, spottete Fendaris, dass er für so eine Farce keine Männer entbehren könne. Fast drei Monate dauert es, bis Nico seine Kindheitsfreundin bei einer Routinekontrolle in einer Situation antrifft, in der er ein paar Worte mit ihr wechseln kann. Sie hat einen freien Tag, den sie mit dem jungen Mann verbringt, der vor ein paar Monaten noch ihr Leibwächter gewesen ist. Der junge Mann an Karas Seite ist ebenfalls ein Mitglied der Stadtwache, was in Kalaß nicht augenscheinlich ist, denn sie tragen weder Uniform noch Waffen, da dies gegen die Tarbasser Verträge verstoßen würde. Er ist ein hübscher Kerl, muss Nico neidlos zugeben. Sein indigoblaues Haar hat er sich stets zu einem sauberen Dutt am Hinterkopf zusammen gebunden, was ihm gut steht, doch seine ausgeprägte Muskulatur sollte er nach Nicos Geschmack nicht ganz so stark zur Schau stellen. Nico weiß weder den Namen des Jungen, noch in welchem Verhältnis er zu Kara steht. Es ist mittlerweile Sommer geworden und die beiden Kontrollierten stehen, gemeinsam mit Nico und zwei weiteren Soldaten vor dem Haus in der brütend heißen Mittagssonne, während sie warten bis ein dritter Soldat im Haus fertig mit seinem Kontrollgang ist. Hendryk, so heißt die junge Stadtwache, hat solche Kontrollen schon lange gefressen. Am liebsten würde er sofort ins Haus gehen, den Soldaten, der da in seinen Sachen herumwühlt, anpacken und im hohen Bogen hinaus werfen, doch leider sind ihm dabei die drei Clowns vor sich im Weg. Dem schmierigen Hauptmann Nico Dugar begegnet er jetzt zum zweiten mal in Begleitung von Kara. Er erinnert sich nur zu gut an ihr erstes Aufeinandertreffen vor etwa acht Monaten. Der Hauptmann schien sich sehr zu freuen Kara nach all den Jahren wieder gefunden zu haben. Er richtete ein paar freundliche Wiedersehenssworte an sie. Da sie ihn mit Recht als Verräter betrachtete, hatte sie sich zwei Monate lang erfolgreich vor ihm versteckt. Dieses erste Treffen hatte sie aber anscheinend durcheinander gebracht, weil Nico sich nicht wie erwartet wie ein aggressiver Besatzer verhielt, sondern sich äußerst interessiert bei ihr erkundigte wie es ihr ergangen sei. Hendryk missfiel schon damals die Art wie der eitle Hauptmann die schöne Kara musterte und er bemerkt auch heute wieder die vielsagenden Blicke in ihre Richtung. Er ist froh, dass Kara den Soldaten weiterhin ignoriert, denn seit ihm Fendaris verboten hat sie bei den Patientenbesuchen zu begleiten, weiß er kaum noch was in ihr vorgeht. Nico trägt heute aufgrund der Hitze nicht seine vollständige Uniform. Seine Jacke hat er um den Schwertschaft seines Schwertes gelegt, das an seinem Gürtel befestigt ist. Kara sieht jetzt zum ersten Mal seit Beginn der zehnmonatigen Besatzung seinen Körper, der sonst immer von seiner Uniform umspielt wurde. Er ist unerwartet braun gebrannt, deutlich brauner als sie oder Hendryk. Sie kann sich das nicht erklären, denn das dürfte er eigentlich nicht sein, wenn er in der Hauptstadt von Roshea stationiert war. Kara schaut ihn sich genau an. Seine Muskulatur ist nicht so ausgeprägt wie die Hendryks, doch er ist gut gebaut. Die zehn Jahre beim Militär haben sein Körper gestählt. Das enge weiße Shirt bildet einen Kontrast zu seiner braunen Haut, was ihren Blick fesselt. Sein Anblick macht sie ein wenig nervös, was die sonst so beherrschte junge Frau an sich selbst kindisch findet. Nico hat genug von Karas Katz- und Mausspiel. Als er vor ihr steht, beugt er sich ein kleines Stück zu ihr und haucht ihr ein: „Kara, rede bitte wieder mit mir.“ zu. Die Nähe zu ihm ist ihr vor Hendryk unangenehm, wodurch sie, nach einem flüchtigen Blick auf ihn, etwas errötet. Sie weiß nicht wie sie sich in dieser Situation am besten verhalten sollte und bekommt völlig überfordert zwischen den Fronten stehend kein Wort heraus. Hendryk weiß jedoch auch ohne einer Aussage von ihr ganz genau was hier los ist, weshalb ihm platzt der Kragen. Kara so offensiv anzubaggern geht ihm gegen den Strich. Da er ein Mann der Tat ist, macht er einen Schritt zwischen die beiden. In einem verärgerten, aber klarem und festem Ton sagt er dem Hauptmann ins Gesicht: „Lass -sie -in -Ruhe!“ Es gab diese Situation so ähnlich schon beim ersten Aufeinandertreffen der drei vor acht Monaten, doch im Gegensatz zu damals, gehen Nicos Gefolgsleute heute nicht dazwischen. Ihr Hauptmann hatte in einer Besprechung kurz darauf klar gemacht, dass er keines Schutzes bedürfe und mit Kalaßer Bürgern problemlos selbst zurecht komme. Unter den Soldaten geht seit dem trotzdem das Gerücht die Runde ihr Hauptmann habe sich in eine kalaßer Schönheit verkuckt. Nico richtet sich enttäuscht wieder auf. An Karas Wachhund kommt er also auch nicht vorbei. Er atmet schwer aus und zieht seine Leute ab. „Nagut, Männer. Wir sind hier fertig. Weiter zum nächsten Haus.“ Er wirft noch einen Blick zur zurückhaltenden Kara, die etwas missmutig zur Seite schaut. Nach der Kontrolle gehen sie und Hendryk ins Haus zurück. Genervt fragt er sie: „Ist zwischen dir und diesem überheblichen Hauptmann irgendwas vorgefallen?“ Ihm ist bewusst, dass dieser Nico Dugar jener Mann ist, der vor vielen Jahren Kalaß den Rücken gekehrt und Kara als Kind zurück gelassen hat. Das hatte sie ihm diesen Zusammenhang bereits nach dem ersten Treffen mit Nico schon erklärt. Etwas widerwillig gibt sie zu: „Er hat mich bei einer Kontrolle nach der Sperrstunde vor drei Monaten erwischt.“ „Was? Du bist erwischt worden? Bist du verrückt? Warum hast du mir das nicht erzählt?“ schnauzt sie Hendryk ungewollt an, denn genau vor so einer Situation ängstigt er sich. Er ist ziemlich außer sich vor Sorge, versucht seinen Ton jedoch wieder etwas nach unten zu regulieren. „Mensch Kara, dann muss ich jetzt auch noch froh sein, dass nur dieser Typ dich gefunden hat. Er scheint ja einen Narren an dir gefressen zu haben. Ich höre in letzter Zeit die heftigsten Geschichten darüber was in der Stadt so abgeht. Wenn du Glück gehabt hättest, dann hätten sie dich nur in den Kerker geworfen.“ Sie lächelt verlegen: „Sowas ähnliches hat er damals auch gesagt.“ Hendryk reicht diese Erklärung und glaubt jetzt zu verstehen wo das Problem zwischen den beiden liegt, deshalb bohrt er nicht weiter nach. Er möchte sie nicht bedrängen, glaubt aber auch nicht, dass Nico eine Bedrohung in irgendeiner Hinsicht für Kara oder ihn darstellen könnte. Hendryk wurde unterdessen von Fendaris, dem Anführer der Stadtwache, zu zwei Kameraden in den Bereich des Stadttors von Kalaß versetzt. Dies ist der einzige Zugang zur Stadt, die zum Meer hin offen von einer U-förmigen großen Mauer umschlossen ist. Nahe des Stadttores befinden sich das Händlerviertel und der Markt. Die drei Stadtwachen haben den Auftrag die rosheanischen Truppen, die sich in diesem Bereich aufhalten, zu überwachen, aber nur im äußersten Notfall einzugreifen. Hendryk findet, dass das eine ziemlich schwammige Anweisung ist. Er fragt sich ab wann denn ein äußerster Notfall vorliegt und was genau „eingreifen“ eigentlich bedeuten soll? Schlichten? Verhaften? Wenn ja, dann mit Gewalt? Er sprach schon mit seinen beiden Kameraden über das Thema und sie erklärten ihm, dass ein äußerster Notfall erst dann eintritt, wenn das Leben eines kalaßer Bürgers bedroht sei. Im Grunde bedeutet es, dass sie niemals eingreifen sollen, unglaublicherweise wurde bisher während der kompletten Besatzung noch kein einziger getötet. Die drei Stadtwachen sitzen gemeinsam im Schatten auf den Stufen der imposanten Kathedrale von Kalaß, der ihnen zumindest etwas Abkühlung verschafft. Sie beobachten das Geschehen auf dem Markt, der sich direkt vor ihnen befindet. Die Kathedrale ist dem Gott Fuathel gewidmet, einem der vier großen Götter auf dem Kontinent Altera. Dieser ist der türkisfarbene Gott des Windes, der laut Legende unerkannt auf Erden wandeln soll und nicht an einen Ort gebunden werden kann. In der Kathedrale stehen deshalb keine Abbilder des Gottes, sondern nur Symbole für ihn. So befindet sich direkt über dem großen Eingangstor ein Vogel, der seine gigantischen Schwingen über die ganze Breite der Kathedrale ausbreitet. Es ranken sich noch weitere Legenden um ihm. So soll er der Urahn der früheren Königsfamilie von Kalaß gewesen sein, der sie unsterblich machte. Hendryk schenkt solchen Geschichten keinen Glauben. Wieso auch? Es gibt nichts übernatürliches in Altera, da ist er sich sicher. Diese ganzen Göttergeschichten sind in seinen Augen nur Hirngespinste und Wunschvorstellungen der Menschen. Auf dem Kontinent gibt oder gab es neben dieser noch drei weitere solcher Kathedralen. Eine für den gelben Gott der Erde in Nalita, der Hauptstadt Rosheas, den roten Gott des Feuers in Deskend, der Hauptstadt Yokens und den schwarzen Gott des Wassers in Aranor, der alten Hauptstadt Rosheas. Hendryk kennt sie nicht einmal beim Namen, er ist eben nicht gläubig. Dem alten Brauch in einer Kathedrale zu heiraten, würde er trotzdem nachgeben. Seine Gedanken schweifen kurz zu Kara. Er kräuselt die Lippen. Er sollte ihr vielleicht wirklich langsam sagen, das er mehr als Freundschaft für sie empfindet, gerade jetzt wo dieser arrogante Hauptmann aufgetaucht ist. Am Nachmittag beobachtet Hendryk, wie zwei rosheanische Soldaten ganz offen von Laden zu Laden und von Stand zu Stand ziehen, um Schutzgeld fordernd die Hand aufzuhalten. Einer von ihnen ist der Versorgungsoffizier Leutnant Celestro Haven. Er ist ein gepflegter, sich für äußerst gut aussehend haltender und recht exzentrischer Mann, der sich darauf einiges einzubilden scheint. Er ist leicht zu erkennen an der Rose an seiner Brust, an eben jener Stelle wo verdienstvolle Offiziere ihre Orden tragen, nur hat er eben keine. Hendryk ist ihm ein paar mal flüchtig begegnet, hatte aber noch nie etwas mit ihm zu tun. Er hat sich über alle Führungsoffiziere informiert und weiß in Grundzügen wer für was verantwortlich ist. Dieser Offizier sorgt für Nahrungs- und Waffennachschub und Baustoffe für die Burg, die gerade wieder in Schuss gebracht wird. Da er die strikte Anweisung hat nicht einzugreifen, muss er die Zähne zusammenbeißen. Völlig verständnislos fragt er seine beiden Kameraden wieso der Ältestenrat und die Stadtwache so etwas zulassen. Eduard, der ältere und zugleich pummeligere von beiden, antwortet ihm: „Jungchen, wir sind unbewaffnet und zu dritt. Die haben Waffen und sind schnell mal zu zwanzigst, wenn du nicht aufpasst. Was wollen wir da bitte machen? Wenn wir uns auflehnen, provozieren wir nur noch mehr Gewalt gegen kalaßer Bürger. Verstehst du das nicht?“ Diese Aussagen verbessern Hendryks Verständnis kein bisschen. Er ballt seine Hände zu Fäusten und schluckt seinen Frust vorerst herunter. Gleich am Abend nach seinem ersten Tag auf dem Markt, beschwert er sich bei Fendaris, im prunkvollen Rathaus von Kalaß, denn dort befindet sich dessen Büro. Hendryk stürmt ohne anzuklopfen hinein. Fendaris, ein ist ein sehr großer, schick gekleideter Mann mit breiten Schultern, der durch seinen Körperbau auf den ersten Blick gar nicht zur Büroarbeit in einem Rathaus zu passen scheint. Tatsächlich geht er voll darin auf. Er wirkt recht jung geblieben, nur sein graues Haar verrät sein Alter. Fendaris sitzt gerade an seinem filigran verzierten Holzschreibtisch und geht einige säuberlich geordnete Akten durch. Als er Hendryk, sein Sorgenkind, erkennt, hebt er nur die Augenbrauen, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Der junge Heißsporn wird direkt ziemlich ungehalten und laut. „Wieso lassen wir uns das alles gefallen? Ich dachte wir wären zum Schutz der Bürger entsandt wurden? Stattdessen stehen wir nur unbeteiligt herum und lassen diese Schweine machen was immer sie wollen.“ Fendaris antwortet ihm gelassen. Er hat den Blick immer noch in seinen Aktenordner vertieft: „Ihr steht nicht nur herum, ihr meldet alle Aktivitäten in einem Statusbericht an mich weiter, den ich dann gemeinsam mit dem Rest des Ältestenrats auswerte.“ Diese Antwort schmeckt Hendryk überhaupt nicht. Er haut mit seiner flachen Hand auf Fendaris‘ Schreibtisch. Ein dumpfer Ton ist zu hören und ein paar Akten rutschen von ihrem Stapel. Hendryk kann sich nicht kontrollieren und schreit jetzt fast: „Das ist alles? Wir werden seit neun Monaten besetzt und das ist alles?“ Fendaris lässt jetzt von seinen Akten ab und schaut gelassen zu seinem Schützling auf. „Hendryk, bist du hier weil du deine Arbeit als Stadtwache verlieren willst? Wenn ja, dann mach nur so weiter. Ich frage mich was ein Junge wie du sonst machen kann.“ Bei seinem letzten Satz huscht ihm ein gehässiges Grinsen übers Gesicht. Hendryk ballt seine Hand, die er gerade auf den Tisch gehauen hat, zur Faust. Er hat den starken Impuls Fendaris eine rein zuhauen, doch er weiß, dass er sich zügeln muss. Er braucht eine Sekunde bis er sich wieder in den Griff bekommt. Er geht ein kleinen Schritt zurück und sagt ganz handzahm: „Nein, ich möchte meinen Job behalten. Entschuldigen Sie bitte.“ bevor er wieder hinaus geht. Dabei ruft ihm Fendaris hinterher: „Lange schau ich mir das nicht mehr mit dir an!“ Ohne sich zu Fendaris umzudrehen, oder etwas zu entgegnen knallt Hendryk die Tür hinter sich zu. Jeden Tag, eine ganze Woche lang, tritt der junge Mann weiter seinen Dienst am Stadttor an und frisst seinen Frust in sich hinein. Seine Kollegen scheinen sich an den Anweisungen nicht sonderlich zu stören, was ihn noch mehr aufregt. An seinem achten Tag beobachtet er wie ein Soldat eine junge, hübsche Verkäuferin bedroht, die das Schutzgeld nicht bezahlen will. Er sieht wie Leutnant Haven dies von weitem beobachtet und nicht eingreift. Dann bemerkt Hendryk, wie einer der Soldaten bei der jungen Frau handgreiflich wird und lautstark zu ihr sagt: „Wenn du kein Geld hast, dann musst du deine Schulden eben anders ableisten!“ Niemand von den umstehenden Händlern greift in die beklemmende Situation ein. Die junge Frau versucht sich zu wehren, doch er Soldat packt sie und schleift sie hinter sich her. Hendryk hat genug gesehen. Es ist ungeheuerlich wie unbeteiligt seine beiden Kameraden darauf reagieren. Sie entgegnen ihm: „So ist es eben. Dann muss sie halt bezahlen.“ Hendryk reicht es. Er hat genügend Aggression in sich hineingefressen, um nacheinander alle fünf Soldaten, die sich in seinem Blickfeld befinden, zu entwaffnen und außer Gefecht zu setzen. Das glaubt er jedenfalls. Doch er hat noch eine andere Idee als einen offenen Kampf. Er zögert nicht lang und schreitet zur Tat. Seine Kameraden versuchen ihn festzuhalten. „Lass es, Junge.“ Er kann sich jedoch losreißen. Die beiden rufen ihm nach: „Hendryk hör auf! Du bringst uns nur alle in Schwierigkeiten!“ Er schleicht dem Soldaten, der die junge Händlerin hinter sich her zieht, in eine unbelebte Seitengasse nach, doch bevor er ihr etwas tun kann, tippt ihm die junge Stadtwache auf die Schulter. Der verdutzte Soldat dreht sich um und erhält direkt ein Schlag ins Gesicht, der ihn taumeln lässt. Hendryk legt einen zweiten Schlag nach und der Soldat sinkt zu Boden. Das war ja einfach, denkt er zufrieden. Die junge Frau ist eingeschüchtert und bedankt sich leise, worauf Hendryk wohlwollend eingeht: „Keine Ursache. Das ist meine Aufgabe als Stadtwache. Trotzdem rate ich dir dein Geschäft bis auf weiteres erstmal zu schließen. Ich befürchte, dass er dir wieder auf die Pelle rücken wird, egal ob du die Schutzgebühr bezahlst oder nicht.“ Sie nickt ihm scheu zu. Hendryk geht selbstzufrieden zurück auf die belebte Straße. Er fühlt sich gut, fast wie ein Held. Sein Gefühl für Genugtuung wird jäh unterbrochen, da er, wieder auf dem Platz angekommen, direkt von zwei Soldaten und dem Leutnant empfangen wird, die ihn nach einigem Gerangel überwältigen können. Der junge Mann hält sich im Kampf lieber etwas zurück, da er befürchtet, dass es schwere Konsequenzen für ihn haben wird, wenn er die drei Soldaten überwältigt und vielleicht schwer verletzt, deshalb lässt er sich festnehmen. Sie legen ihm Handschellen an und führen ihn zum Rathaus. Auf dem Vorplatz des Rathauses bleiben sie stehen. Leutnant Haven ruft nach Fendaris, der den Lärm tatsächlich durch sein verziertes Fenster hindurch wahrnimmt, es öffnet und hinaus schaut. Als er Hendryk in Handschellen zwischen den drei Soldaten sieht, schläft ihm das Gesicht ein. Hendryk war das Problem, ... wer auch sonst? Er setzt sich in Bewegung, um hinunter zu gehen. Hendryk versucht sich von der unangenehmen Situation abzulenken indem er die aus seiner Sicht völlig übertriebenen Pfauenabbilder zählt, die das Rathaus an jeder Ecke und Kante schmücken, doch er kommt nur bis dreiundzwanzig, bis Fendaris eilig heraus gestürmt kommt. Als er Hendryk sieht schüttelt er streng den Kopf. Leutnant Haven schubst die junge Stadtwache von sich weg und wirft ihm den Schlüssel zu seinen Handschellen vor die Füße. „Fendaris, hast du deine verlausten Köter nicht unter Kontrolle? Diese sogenannte Stadtwache hat grundlos einen meiner Männer angegriffen. Sorg dafür, dass wir ihn auf dem Markt nie wieder unter die Augen bekommen, sonst können wir für nichts mehr garantieren! Auch nicht für die Sicherheit der kalaßer Bürger.“ Fendaris antwortet kriecherisch mit einem falschen Lächeln: „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Leutnant Haven. Es ist wirklich schwer gutes Personal zu finden heutzutage.“ Die Soldaten drehen sich um und gehen. Hendryk hat seinen Chef noch nie so gesehen. Er erkennt ihn kaum wieder. Er bückt sich, hebt den Schlüssel auf und befreit sich geschickt von seinen Handschellen, die er Fendaris in die Hände wirft. Dieser staucht ihn tief verärgert zusammen. „Was hast du dir dabei gedacht? Du hattest doch klare Anweisungen!“ Hendryk schüttelt verbissen den Kopf. Er sieht Fendaris direkt ins Gesicht. „Er hätte sie vergewaltigt! ...eine junge Händlerin, die das Schutzgeld nicht bezahlen konnte. Wie soll ich bitte über sowas hinwegsehen können? Das müssen doch selbst Sie kapieren.“ Er hat es jetzt geschafft den sonst so ausgeglichenen Fendaris zur Weißglut zu treiben. Er brüllt seinen Untergebenen an: „Das ist ein vertretbares Opfer, verdammt nochmal. Es geht hier um Menschenleben. Wir lassen das Militär in Ruhe und im Gegenzug tun sie uns nichts.“ Hendryk brüllt hemmungslos zurück: „Ach und das nennen Sie nichts tun? Das kann ich nicht akzeptieren!“ Fendaris beruhigt sich ein wenig. Er schüttelt den Kopf. „Dir wird aktuell nichts anderes übrig bleiben, mein Junge. Es wird die Zeit kommen, wo ich Leute wie dich brauche, doch für den Moment bist du vom Dienst suspendiert.“ „Scheiße!“ platzt es aus Hendryk heraus. „Ich hatte dich gewarnt.“ fügt Fendaris hinzu, doch Hendryk fragt kleinlaut: „Darf ich dann wenigstens wieder Kara begleiten, die völlig allein in der Stadt unterwegs ist?“ Fendaris schüttelt erneut den Kopf. „Nein, es ist besser wenn wir dich den Soldaten erst mal nicht mehr unter die Nase halten. Ich denke mir für dich was anderes aus.“ Ohne ein weiteres Wort kehrt Hendryk um und geht nach Hause. Er weiß nicht was er dazu noch sagen soll. Drei Tage später klopft es an Hendryks Tür. Er ist immer noch frustriert und hofft, dass es jemand mit einem neuen Auftrag für ihn ist. Er will unbedingt wieder arbeiten. Zu seiner Verwunderung steht jedoch die junge Verkäuferin vor ihm, die er auf dem Markt gerettet hat. Hendryk ist ziemlich überrascht. Sie wusste ja nicht einmal seinen Namen. „Hallo Hendryk, vielleicht erinnerst du dich noch an mich. Du hast mich vor drei Tagen vor dem Soldaten beschützt. Darf ich rein kommen?“ Hendryk hat nichts dagegen und bittet sie herein. Sein Haus ist wie eh und je nicht besonders aufgeräumt und auch nicht besonders gut geputzt. Es liegen die Klamotten von vorletzter Woche auf dem Boden, doch das stört die junge Frau jedoch überhaupt nicht. Hendryk schätzt sie Anfang zwanzig. Sie hat schulterlanges, lockiges, rehbraunes Haar und dunkelbraune Augen. Er findet sie hübsch. Er bittet sie an seinem Esstisch Platz zu nehmen, der überraschenderweise ebenso wie die Küche, pieksauber ist. Er bietet ihr einen kalten Blütentee an, den er in einer Glaskaraffe aufbewahrt. Sie nimmt dankend an und beginnt zu erklären was sie hier her geführt hat: „Mein Name ist Natja. Du wunderst dich vielleicht woher ich weiß, wer du bist und wo du wohnst. Ich musste mich bei einigen Stadtwachen durchfragen. Ich habe erfahren, dass du wegen mir suspendiert wurdest und ziemlich traurig deswegen bist, deshalb möchte ich mich bei dir entschuldigen und mich auch aufs herzlichste bei dir bedanken.“ Hendryk freut sich, dass es so anständige Menschen wie sie gibt, die sich persönlich bei ihm bedanken wollen. Das macht ihn irgendwie stolz, deshalb verkündet er geehrt: „Du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Du hast nichts Falsches getan, Natja.“ Sie lächelt. „Du bist ein guter Mensch, Hendryk. Es ist ungerecht, dass du dafür bestraft wirst. Wenn es doch mehr wie dich gäbe...dann könnten wir uns gegen diese Besetzung wehren.“ Er nickt: „Genau meine Meinung.“ Sie atmet tief ein, ganz so als ob sie ihren Mut zusammen nehmen müsste, um weiter zu sprechen. „Ich habe hier in Kalaß noch keinen so mutigen Mann wie dich getroffen. Du hast meine Ehre und meine Integrität verteidigt. Bei uns in der Händlergilde hat man nicht gern Schulden bei jemandem, weißt du.“ Hendryk hebt die Augenbrauen. „Ok?“ Sie hat ihre Hände auf ihrem Schoß liegen und knüllt nervös den Stoff ihres etwa knielangen Rockes zusammen. Wahrscheinlich unabsichtlich rutscht er dadurch etwas nach oben und gibt ihm den Blick auf ihre schönen, schlanken Beine frei. Hendryk versucht das angestrengt zu ignorieren. Sie holt wieder tief Luft. „Ich bewundere dich. Du hast mir geholfen und nun möchte ich dir helfen. Ich könnte dich zum Beispiel bei der Hausarbeit unterstützen. Ich würde dich sehr gern näher kennen lernen und vielleicht wird ja dann auch...mehr daraus?“ Sie ist rot geworden. Hendryk versteht worauf sie hinaus will, aber er hat gar keine Augen für andere Frauen, seit er gemerkt hat, dass er auf Kara steht. Wäre das hier ein paar Monate früher passiert, dann hätte er sie wahrscheinlich als Freundin in Betracht gezogen. „Geh wieder nach Hause, Natja. Ich kann dir nicht geben was du brauchst.“ sagt er verständnisvoll zu ihr. Sie macht ein trauriges Gesicht. „A-aber ich...Magst du mich nicht?“ Er schüttelt den Kopf und setzt ein freundliches Lächeln auf. „Das ist nicht das Problem. Ich finde dich wirklich sehr nett, aber ich mag eine andere Frau.“ Sie nickt und lächelt dabei. „Das verstehe ich. Ich wollte nicht aufdringlich sein, tut mir Leid. Ich werde dann jetzt gehen. Vielen Dank für den Tee. Ich hoffe, dass du mit der Frau deiner Träume glücklich wirst. Wenn nicht, kannst du mir Bescheid geben.“ Sie steht auf und verlässt verlegen sein Haus. Als die Tür zu ist, atmet Hendryk erleichtert aus. Ist es normal, dass einem die Herzen der Frauen zufliegen, wenn man Leute beschützt? Wenn ja, warum fliegt ihm dann nicht Karas Herz einfach so zu? Er hat sie schon so oft beschützt. Die Welt ist nun einmal ungerecht und Kara ist etwas ganz besonderes. Ein paar Tage später schafft Kara ihre Hausbesuche wieder nicht, bevor die Sperrstunde beginnt. Es ist eine schwüle wolkenverhangene Sommernacht. Sie ist zuversichtlich, dass sie es ungesehen bis nach Hause schafft. Es wäre ja nicht das erste Mal. Sie hat es bereits vier, fünf mal geschafft. Immerhin ist diese Nacht ziemlich dunkel und sie hat mittlerweile einige Übung darin sich hinter den Rücken der Soldaten ungesehen zu bewegen. Sie schleicht sich also vorsichtig aus der Tür ihres letzten Patienten. Sie versucht die Hauptstraßen zu vermeiden und nimmt die Nebenstraßen, so wie sie es an den anderen Tagen auch schon erfolgreich getan hat. Mittlerweile schaut sie sich jeden Tag, bevor sie aus dem Haus geht, gewissenhaft die aktuelle Planung der Routen und Kontrollstationen an, welche die Soldaten nehmen. Heute wird die breite Zeger Straße kontrolliert, was ziemlich ungünstig für Kara ist, denn sie muss diese Straße auf jeden Fall überqueren um nach Hause zu gelangen. Wie erwartet sieht sie dort eine Patrouille, der sie versucht aus dem Weg zu gehen. Sie versteckt sich hinter einer dunklen Hausecke und konzentriert sich darauf einen Moment abzupassen, zu dem sie die große, hell beleuchtete und weit einsichtige Straße überqueren kann. Kara will abwarten, bis die Patrouille weit genug gelaufen ist. Sie ist so auf die Hauptstraße fokussiert, dass unbemerkt hinter ihr eine Person aus dem Schatten auftaucht. Die Männerstimme sagt erfreut: „Hallo, schönes Kind. So spät noch allein unterwegs?“ Kara erschreckt und zuckt zusammen. Sie ist geschockt, versucht aber noch wegzulaufen, wobei sich ihr eine zweite Person in den Weg stellt. Es handelt sich, wie sie es sich schon gedacht hat, um zwei Soldaten. Kara versucht an dem als zweites aufgetauchten Soldaten irgendwie vorbei zu huschen. Der Erste befielt mit eindeutig freudiger Stimme: „Halt sie fest!“ Wie ihm befohlen wurde, packt der Zweite ihren Arm und drückt ihre Schulter an die Wand. Der erste, offenbar ranghöhere Soldat richtet ein: „Gut gemacht.“ an seinen Gefolgsmann. Kara wehrt sich heftig. Sie kann sich fast losreißen als sie nun der ranghöhere Soldat an der anderen Schulter an die Mauer drückt. Sie will eigentlich nicht schreien, um nicht von den anderen Soldaten auch noch entdeckt zu werden, doch ungewollt platzt es laut aus ihr heraus: „Lasst mich los!“ Sie hat große Angst und zittert. Genau davor hatten sie immer alle gewarnt, doch sie wollte es nicht glauben. Eigentlich kann sie es immer noch nicht glauben, obwohl sie sich gerade in dieser Situation befindet. Ihr kommt alles so unwirklich vor. Was sie nicht weiß ist, dass sich die Gewalt gegen Schwächere und besonders gegen Frauen in den letzten Monaten deutlich gesteigert hat. Das Frustrationslevel der Soldaten scheint zu steigen. Dabei haben alle Soldaten strikte Anweisung von ganz oben unbedingt ganz besonders auf sexuelle Gewalt zu verzichten. Sie steht sogar unter Strafe. Da sich aber gezeigt hat, dass sich die Soldaten nicht gegenseitig anzeigen, bleiben diese Strafdelikte zumeist folgenlos. Kara wehrt sich mit aller Kraft, doch es nützt nichts. Der ranghöhere Soldat ist Marco Loran, kein einfacher Soldat, sondern ein Offizier. Er ist ein gut aussehender, aber wenig muskulöser Mann Mitte dreißig, der seine langen dunkelblonden Haare am Nacken zu einem Zopf zusammen bindet. Er ist Oberleutnant unter Nico Dugars Kommando und ein schwieriger Fall, denn er ist nur schwer zu kontrollieren. Schon einige Male wäre Loran von ihm fast aus dem Regiment geworfen worden, doch bisher hat er es immer geschafft seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, denn er hat einen starken Verbündeten und Fürsprecher beim rosheanischen Militär. Er macht gern Streifzüge, die er nicht bei seinem Hauptmann anmeldet, denn der würde diese niemals genehmigen. Oberleutnant Lorans Ziel sind dabei Situationen wie diese. Er liebt es Macht über andere auszuüben. Die bildschöne Kara kommt ihm wie gerufen. Bisher hat er die Menschen nur unter Druck gesetzt und mit Prügel gedroht, manchmal auch Geld erpresst, um seine Machtposition zu demonstrieren, doch die schöne Kara weckt in ihm noch andere Gelüste. Er ist selbst ein wenig davon überrascht und gibt seinen neuen Drang interessiert nach. Mit laszivem Lächeln auf dem Gesicht haucht er der jungen Frau zu: „Es ist unartig von dir so spät noch unterwegs zu sein. Ich denke ich werde dich hier und jetzt deiner Strafe zuführen.“ Der andere Soldat fragt etwas verunsichert: „Was soll das werden, Herr Oberleutnant?“ „Sieh zu und lerne wie man unartigen Frauen Disziplin beibringt, Arenzo.“ Loran versucht Kara an der Wange zu berühren. Sie dreht energisch ihren Kopf weg, drückt ihn an die Mauer und fleht: „Lasst mich gehen! Ich-ich habe meine Lektion gelernt. Wirklich.“ Loran packt zu. Er umfasst unsanft ihr Kinn und ihren Hals und zwingt sie so sich ein Stück zu ihm zu drehen. Dabei rutscht ihr ein quiekender Ton heraus. Loran ist genervt und zieht sein Schwert: „Sei still und hör auf zu winseln! Hysterische Weiber kann ich nicht ausstehen. Du wirst deine Strafe akzeptieren müssen.“ Kara ist geschockt von einer Waffe bedroht zu werden und verstummt. Sie hat Todesangst. Ihr wird heiß und kalt, denn sie weiß sie ist absolut wehrlos. Zwei Straßen weiter macht Hauptmann Nico Dugar einen seiner Kontrollgänge, um seine eigenen Leute zu überwachen. Schlaf findet er in letzter Zeit immer weniger. Die jüngsten Entwicklungen machen ihm zu schaffen. Das Militär droht zu verrohen und er weiß, dass ein paar Leute darunter sind, denen er absolut nicht vertrauen kann. Er weiß zum Beispiel, dass er seinen Leutnant Celestro Haven und seinen Oberleutnant Marco Loran im Auge behalten muss, die heute Abend beide keinen Dienst haben und auch nicht in ihren Quartieren anzutreffen waren. Gut, dass Nico heute ein schlechtes Gefühl hatte, denn er glaubt so etwas wie Schreie gehört zu haben. Er nimmt sie nur schwach war und ist sich nicht mal ganz sicher, ob es sie überhaupt gegeben hat. Er beschließt dennoch ihrem Ursprung auf den Grund zu gehen. Gerade als Loran Karas Oberteil ungeschickt mit seinem Schwert zerschneidet und ihr dabei versehentlich leicht in ihre weiße makellose Haut ritzt, sieht Nico aus der Ferne schemenhaft, dass eine Person von zwei Soldaten bedrängt wird. Er läuft schnell los, um seine Leute von dieser Person wegzuholen. Es gibt keinen Grund einen kalaßer Bürger so zu bedrängen. Er will die beiden zur Rede stellen. Auf dem Weg zu ihnen erkennt er jedoch Kara, die von Oberleutnant Loran mit dem Schwert bedroht wird und kein Oberteil mehr trägt. Natürlich Loran... und ausgerechnet sie. In ihm brennen alle Sicherungen durch. Er zieht unbedacht sein Schwert und geht direkt auf Loran und seinen Gehilfen los. Wutentbrannt brüllt er nur: „LORAN!“, bevor er mit dem Schwert ausholt. Der zweite Soldat kann aufgrund des Warnrufs seines Hauptmanns gerade noch reagieren und den Schwerthieb auf den Oberleutnant abwehren. Er stellt sich mit gezogenem Schwert schützend vor ihn. Nico hat keine Mühe ihn zu entwaffnen und ihn mit einem gezielten Schlag mit dem Schwertknauf außer Gefecht zu setzen. Er geht direkt zum Angriff auf Loran über, der zwar das Schwert schon in der Hand hält und auch genügend Zeit hatte sich auf die Attacke seines Hauptmanns vorzubereiten, doch ist er im Vergleich zu ihm ein miserabler Schwertkämpfer, weshalb er absolut keine Chance hat. Das war ihm schon klar, als er Nico Dugar in der Ferne erkannte. Nach einem gezielten Schlag wird auch er außer Gefecht gesetzt. Der ganze Kampf war nur eine Sache von Sekunden. Kara ist zu Boden gesunken und zittert am ganzen Körper. Sie ist gerade nicht in der Lage zu verstehen was da genau passiert ist. Sie steht unter Schock und verhält sich apathisch. Nico sieht sie ausdruckslos an. Ihm wird klar was er da getan hat. Er steckt sein Schwert weg, zieht die Jacke seiner Uniform aus und legt sie ihr um die Schultern, um ihren nackten Oberkörper zu bedecken. Kaum hörbar leise flüstert sie: „Nico...?“ Sie ist nicht sicher, ob sie ihn wirklich vor sich sieht oder er eine Fantasiegestalt ist, die nur in ihrer Vorstellung existiert. Mit ruhiger Stimme antwortet er: „Es ist jetzt alles in Ordnung, Kara. Ich bin bei dir.“ Er sieht sich flüchtig um. „Hör zu, wir müssen hier weg. Es werden bald andere Soldaten hier sein, die sofort merken werden, dass ich meine eigenen Männer angegriffen habe.“ Er klingt etwas verunsichert und richtet sich mit seiner linken Hand das Haar, das im Gefecht etwas durcheinander geraten ist. Da Kara nicht aufstehen kann, trägt er sie auf seinen Armen, was ihm keine Mühe macht. „Wo soll ich hin?“ Er dreht sich um, sieht nun einen kalaßer Bürger an einer offenen Tür stehen und wild mit den Armen wedeln. Der Bürger ist ein Kunstschmied mittleren Alters mit etwas schütterem Haar. Er will offensichtlich nicht rufen, um die beiden nicht zu verraten. Aus Mangel an Alternativen trägt der Hauptmann die verstörte Kara eilig zu ihm. Mit klarer, vertrauenserweckender Stimme sagt der Schmied: „Ich habe gesehen was Sie getan haben. Kommen Sie! Ich kann Ihnen Zuflucht gewähren.“ Er geht voraus in sein Haus hinein und in seiner Ratlosigkeit folgt Nico ihm. So richtig wohl ist ihm nicht bei der Sache. Er hat keine Ahnung wie das hier enden soll. Im Erdgeschoss erkennt Nico einen Kleiderschrank, der schräg im Raum steht und ihm den Blick auf eine sich dahinter befindliche geöffnete Tür freigibt, die in einen langen, dunklen Gang führt. Diesen geheimen Gang hat er bei seinen Kontrollen nicht gefunden. Nico fragt zögerlich: „Wohin führt dieser Gang?“ und der Mann antwortet: „Zu einem komplexen Tunnelsystem, das unter Kalaß verläuft. Folgen Sie mir. Ich gehe vor. Die Tunnel sind ein wahres Labyrinth.“ Nico fragt sich warum er als Hauptmann der Stadtkontrolle nichts von diesem Versorgungstunnelsystem weiß. Die dunklen Gänge werden nur von der Öllampe des hilfsbereiten Mannes erleuchtet. Sie sehen alt aus, sind aber definitiv von Menschenhand angelegt worden, denn an einigen Stellen sind sie mit Ziegeln gemauert. Sie laufen fast eine viertel Stunde, bis sie an einer verschlossenen Tür ankommen, an der sich der Kunstschmied anmelden muss. Es wird hektisch gestikuliert, aber trotzdem geflüstert. Nico versteht deshalb nicht was sie sagen. Er fragt sich ernsthaft, ob es eine gute Idee war dem Mann hierher zu folgen. Sich im Haus zu verstecken hätte im Zweifelsfall auch schon reichen können. So neben der Spur war er schon lange nicht mehr, um so viele Fehlentscheidungen nacheinander zu treffen. Aber was nützt es darüber zu grübeln. Er muss die Situation so nehmen wie sie ist, jetzt wo er wieder einen klaren Kopf hat. Nach einiger Zeit öffnet sich das Tor und die drei betreten einen sehr großen, unterirdischen, aber gut mit Öllampen ausgeleuchteten Hohlraum. Zwei bewaffnete Stadtwachen stürmen auf den rosheanischen Hauptmann zu. Er hat schon damit gerechnet, dass man ihn hier nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Ihm wird das Schwert abgenommen. Nico lässt sie gewähren, auch wenn sein Schwert eine Spezialanfertigung ist an der er sehr hängt. Nun kommt ein Mädchen auf ihn zu. Kara erkennt sie. Es ist Ikky, eine auszubildende Arzthelferin, die sie vor einiger Zeit noch bei ihren Hausbesuchen begleitete. Sie nimmt ihm Kara ab, die langsam wieder stehen kann, obwohl sie noch immer sehr wackelig auf den Beinen ist. Kara abstützend geht sie mit ihr davon. Nico sieht ihr mit gemischten Gefühlen nach. Er steht nun allein, nur noch mit Shirt, Hose und Schuhen bekleidet, aber ohne Waffen und Jacke vor den bewaffneten Männern, doch sie bedrohen ihn nach wie vor. Er hofft auf ihr Wohlwollen, immerhin hat er in der Vergangenheit schon mit ihnen zusammengearbeitet. Er zeigt seine leeren Handflächen, um zu suggerieren, dass er ungefährlich ist. Die beiden bewaffneten Männer gehen vorsichtig an ihn heran, legen ihm Handschellen an, ziehen ihm dann hektisch einen dunklen Sack über den Kopf und führen ihn ab. Nico versteht das Misstrauen nicht. Wenn er wollte, könnte er sie noch immer mit Leichtigkeit überwältigen, doch was würde er damit erreichen sollen, außer sie sich alle noch mehr zum Feind zu machen? Kara zuliebe lässt er es über sich ergehen. Sie führen ihn ab. Er ist nochmal gut zwanzig Minuten unterwegs, bevor sie an einer Kerkerzelle ankommen in die sie ihn hineinwerfen. Den Anfang des Weges hatte er sich noch gemerkt, doch etwa nach der Hälfte ist er durcheinander gekommen. Alleine findet er niemals zurück. Er ist ziemlich unzufrieden mit dem Ausgang der Situation. Kapitel 3: Als Feind unter Freunden ----------------------------------- Kara und Ikky haben fast keinen Kontakt zueinander gehabt, seit die zwei Jahre jüngere Arzthelferin nicht mehr an den Hausbesuchen teilnimmt. Die beiden sind nicht wirklich befreundet, sondern hatten eher eine rein kollegiale Beziehung zueinander. Sie sind einfach zu verschieden. Es ist auch nicht einfach mit Kara befreundet zu sein, da sie nur sehr selten etwas über sich preisgibt und Freizeit hat Kara auch fast keine, in der man sich mit ihr treffen könnte. Sie nutzt die Zeit die sie hat aus, um sich immer weiter zu bilden oder sie verabredet sich mit ihrem besten Freund Hendryk zum gemeinsamen Kochen, was für die beiden allein Lebenden einen Zeitvorteil bedeutet. Ikky mag Kara trotzdem und schätzt ihre Fähigkeiten. Es tut ihr unglaublich leid was ihr zugestoßen ist. Sie bringt Kara in eine Art Krankenzimmer, in dem ein Bett steht. Es ist mit mehreren Öllampen gut beleuchtet. Sie setzt ihre ehemalige Kollegin auf dem Bett ab, zieht ihr die Jacke des Hauptmanns aus, die sie auf einem Stuhl ablegt, versorgt die kleine Schnittwunde an Karas Schulter und bindet ihr zerschnittenes Oberteil notdürftig mit einem Knoten zusammen. Sie traut sich zunächst kaum zu sprechen, weil ihr selbst auch als Kind und ihren Eltern einmal ein großes Unglück zugestoßen ist, doch dann flüstert sie: „Du bist in Sicherheit. Ruh dich aus, Kara. Ich bleibe heute Nacht bei dir, ja?“ Kara hat einen völlig leeren Blick. Sie sieht Oberleutnant Lorans überhebliches Lächeln vor sich. Sie beugt sich nach vorn, anstatt sich hinzulegen und beginnt zu schluchzen: „...Ich konnte überhaupt nichts... überhaupt nichts dagegen tun. Ich konnte überhaupt nichts...“ Tränen laufen ihr übers Gesicht. Ikky setzt sich neben die aufgelöste junge Frau aufs Bett. Sie versucht sie zu trösten und legt ihren Arm um sie. „Glaub mir, ich weiß wie es ist, sich hilflos zu fühlen.“ Kara lehnt sich ein wenig an Ikky heran, die nun auch ihren anderen Arm um sie legt. Es braucht seine Zeit, bis Kara sich ein wenig beruhigt und nach einigen Stunden erschöpft einschläft. Als die junge Frau am nächsten Morgen allein aufwacht, schreckt sie hoch. Sie muss sich erst einmal orientieren und begreifen was gestern passiert ist. Die Erinnerungen lassen ihren Körper verkrampfen, doch sie will sich davon nicht beherrschen lassen und sieht sich im Raum um, denn vielleicht findet sie etwas das ihr hilft den Schmerz zu verarbeiten. Eine der Öllampen ist ausgebrannt, doch die anderen brennen nach wie vor. Dann sieht sie im schwachen Licht die Jacke einer rosheanischen Uniform neben sich auf dem Stuhl liegen und erinnert sich an Nico. Sie beugt sich hinüber, um sie an sich zu nehmen und betrachtet sie im Anschluss nachdenklich. Die ratlose junge Frau fragt sich wofür wohl seine beiden Orden und all die Abzeichen stehen mögen. Zärtlich fährt sie mit ihrem Zeigefinger über das kalte Metall. Einer der Orden sieht aus wie eine Sonne und darin ist ein Hirschkopf zu sehen, der andere entspricht vollständig der Form des rosheanischen Wappentieres. Wahrscheinlich spiegeln sie zwei große Verdienste wider, die ihn so jung schon zum Hauptmann aufsteigen ließen, aber das ist nur eine Vermutung von ihr. Andere Soldaten tragen so etwas jedenfalls nicht, also scheint es etwas Besonderes zu sein. Sie vergräbt ihr Gesicht in der Jacke und atmet tief ein. Der wunderbare Körperduft des Hauptmanns haftet noch daran und Kara füllt ihre Lungen damit. Sie fühlt wie sich die Anspannung in ihr etwas löst. Sein Duft wirkt beruhigend auf sie. Er hat sie gerettet und sie ist ihm dafür zutiefst dankbar. Jetzt gerade tut er es schon wieder, denn der Gedanke an ihren Helden verhindert, dass Kara in Verängstigung verharrt. Sie muss ihn sehen, muss sicher stellen, dass er gut behandelt wird. Als Ikky stürmisch den Raum betritt, hält Kara die Jacke noch immer innig umarmt, deshalb zuckt die junge Frau ertappt zusammen, als sich die Tür öffnet und versteckt sie sie schnell verschämt hinter sich. Natürlich hat Karas junge ehemalige Assistentin bemerkt was los ist. Etwas angewidert von Karas Verhalten verdreht sie die Augen, schluckt das jedoch noch einmal herunter und fragt liebevoll: „Geht es dir wieder besser?“ Die im Bett sitzende junge Frau nickt und antwortet leise: „Es geht wieder. Danke, Ikky. Mir ist dadurch etwas klar geworden. Ich weiß jetzt wie hilflos ich bin und auch wie hilflos Kalaß ist. Ich verstehe jetzt warum Nico beim Militär geblieben ist, obwohl es in seine Heimatstadt einmarschierte. Genau deshalb ist er geblieben. Er hat recht. Es ist besser auf solche Dinge Einfluss nehmen zu können, als es jemand anderem, gefährlicherem zu überlassen. Was sagst du?“ Ikky reißt die Augen auf, schüttelt den Kopf und widerspricht verbissen: „Da bin ich ganz anderer Meinung. Für mich ist er ein Volksverräter.“ Was Kara geschockt zusammenzucken lässt, denn damit hatte sie nicht gerechnet. „Ikky, wie kannst du nur so etwas sagen? Wo ist Nico? Ich will zu ihm!“ Ikky antwortet kalt: „Sie haben ihn in den Kerker geworfen, wo er hin gehört.“ Die rothaarige junge Frau wirft entsetzt ihre Bettdecke von sich und ruft: „In den Kerker? Aber er ist ein Held. Er hat mich gerettet und sich dazu gegen seine eigenen Leute gestellt.“ Darüber kann Ikky nur erneut den Kopf schütteln. Dabei urteilt sie hart: „Ich sehe in ihm nur einen brutalen Soldaten.“ Natürlich weiß Kara, dass Ikkys Eltern vor vielen Jahren auf einer Reise angeblich von rosheanischen Soldaten ermordet worden seien, doch das ist kein Grund sie zu pauschalisieren, deshalb widerspricht sie vehement: „Das ist mir egal, Ikky. Ich will ihn sehen! Jetzt! Wo ist er?“ „Ich kann dir auf diese Frage nicht antworten, selbst wenn ich wollte. Es gibt nur wenige, die wissen, wo sich die Zellen hier unten befinden.“ Kara hat jetzt nicht die Geduld sich in Ikkys Position hinein zu versetzen. Sie ist einfach nur genervt von ihr und versucht eine andere Lösung zu finden. Sie denkt an Hendryk, der es als Mitglied der Stadtwache eigentlich wissen müsste wo die Gefangenen hin gebracht werden. Sie schnappt sich Nicos Jacke und stürmt davon, um ihm zu suchen. Ikky lässt sie einfach stehen. Als Fendaris von dem Vorfall erfährt, kommt ihm eine Idee. Er schickt einen Boten zu Hendryk, der immer noch vom Dienst suspendiert ist. Dieser Bote erklärt der jungen Stadtwache, dass Kara etwas zugestoßen sei, doch dass es ihr wieder gut ginge. Hendryk ist zunächst total geschockt und will alle Einzelheiten zu dem Vorfall erfahren, die ihm der Bote, soweit er sie kennt, auch erklärt. Nachdem er sich seine Version der Geschichte angehört hat, ist er verdammt sauer auf den gefangenen rosheanischen Hauptmann. Da Fendaris so eine Reaktion geahnt hatte, sah er hierin eine gute Gelegenheit Hendryk wieder in den Dienst einzusetzen. Kurzerhand ließ er ihn in den Wachdienst für den gefangenen Hauptmann Nico Dugar einteilen. Hendryk nimmt die neue Aufgabe dankbar an, denn mit diesem Hauptmann hat er noch eine Rechnung zu begleichen. Seine beste Freundin Kara wird er leider erst nach Dienstschluss besuchen können, denn er wird unmittelbar an seinen neuen Dienstort geführt. Nico sitzt auf der Pritsche, die er in seiner Zelle stehen hat. Ratlos starrt er auf den kargen Natursteinboden. Er hat keine Idee wie es jetzt weitergehen soll. Er gibt sich selbst die Schuld für diese Situation. Wegen einer Frau so die Beherrschung zu verlieren sieht ihm nicht ähnlich. Mit einem kühlen Kopf wäre er in der Lange gewesen ohne dem geringsten Problem mit der Situation umzugehen. Seine Leute zurecht weisen, Kara an Bewohner eines der Häuser übergeben, fertig. Statt dessen griff er einen Offizier an und ließ sich gefangen nehmen wie ein Anfänger... er dachte er sei alt genug um sich den Kopf nicht mehr so sehr von einer Frau verdrehen zu lassen. Er zweifelt an seiner eigenen Zurechnungsfähigkeit. In der Zelle findet er nichts, das ihn von seinen trüben Gedachten ablenken könnte. Sie ist überschaubar. Ihm stehen ein Tisch und einen Stuhl sowie eine Pritsche zum Liegen und immerhin sogar fließendes Frisch- und Abwasser zur Verfügung, so wie es in Kalaß üblich ist, sogar für Gefangene. Er hat kein Fenster oder Tageslicht. Das einzige Licht im Raum stammt von zwei kleinen Öllampen außerhalb seiner Zelle. Hendryk hat bisher noch nie Gefängniswächter spielen müssen. Er weiß weder wo die Zellen sind, noch was ihn dort erwartet. Er wird zum Kerker geführt und dann zur Ablösung der Nachtwache eingeteilt. Der junge Mann wartet ab bis er allein mit dem Gefangenen ist, bevor er ihn verhört. Dann begibt er sich zu den Gitterstäben von Nicos Zelle, tritt dagegen und geht verbal auf ihn los. „Es ist deine Schuld, dass das passiert ist. Ich dachte du bist der Hauptmann dieses ehrlosen Haufens, aber du hast ihn überhaupt nicht im Griff. Wenn dir was an Kara liegt, warum hast du sie dann nicht beschützt?“ Nico antwortet nicht auf die verbalen Attacken. Er hat den neuen Wachmann bisher nicht eines Blickes gewürdigt. Stattdessen schaut er noch immer stoisch nach unten. Zudem wüsste er auch nicht was er darauf antworten sollte. Im Grunde hat diese junge, etwas aggressive Stadtwache ja recht, er hat in seiner Rolle als Kommandant versagt. Hendryk schlägt vor Wut mit seiner Faust gegen die Gitterstäbe, die einen lauten, dumpfen Ton von sich geben. „Antworte mir, verdammt! Sag oder tu irgendwas!“ Nico reagiert auf diese Aufforderung. Er will den Heißsporn nicht länger reizen und fragt ganz ruhig: „Wie geht es ihr?“ Hendryk antwortet ungehalten in einem genervten Ton: „Ich war noch nicht bei ihr.“ Er schnalzt mit der Zunge und erklärt weiter: „Tss, der Chef hat mich direkt hier her beordert. Er versicherte mir sie habe sich schon wieder gut erholt. Sonst wäre ich gar nicht hier unten. Aber vor dir brauche ich mich nicht zu rechtfertigen.“ Nico schaut jetzt zum ersten Mal zu der Stadtwache hoch und erkennt den jungen Mann, der Kara immer vor ihm bei dem Hauskontrollen verteidigt hat. Er versteht jetzt wieso er so wütend ist. Er ist erleichtert über seine Worte und lächelt sanft. „Ich mache mir Sorgen um ihren psychischen Zustand. Kümmere dich bitte um sie.“ Hendryk bleibt weiter ungehalten. „Das lass ich mir ausgerechnet von dir doch nicht sagen. Natürlich kümmere ich mich um Sie. Sie ist schließlich meine feste Freundin.“ Er flunkert, um Nico endlich aus der Reserve zu locken. Nach außen hin reagiert Nico nicht darauf. Er antwortet nur: „Es beruhigt mich zu wissen, dass jemand für sie da ist.“ Hendryk regt auch diese Aussage auf. Er fragt sich wieso dieser arrogante Wichtigtuer Offizier einfach nicht aus der Fassung zu bringen ist, wohingegen er selbst fast explodiert. Erneut tritt er gegen das Gitter und setzt sich die nächsten Stunden schweigend vor die Zelle. In Nicos Kopf arbeiten währenddessen Hendryks Worte. Er soll mit Kara zusammen sein? Er? Vielleicht hat Kara deshalb abweisend auf seine Annäherung an jenem Abend reagiert, an dem er sie gebeten hatte mit ihm nach Yoken zu gehen. Sinn machte seine Aussage schon. Vielleicht war dieser Junge von Anfang an nicht nur ihr Leibwächter. Er hatte schon immer ziemlich aggressiv auf seine Annäherungen der schönen Kara gegenüber reagiert. Nico kann ja nicht davon ausgehen, dass eine Frau wie sie nur auf ihn, ihren Prinzen auf dem weißen Pferd, gewartet hat. Zugegeben wird ihm das jetzt erst richtig bewusst. Sie ist ja schließlich keine sechzehn mehr, sondern eine erwachsene Frau, wohingegen ihm diese Stadtwache wie ein trotziges Kind vorkommt. Er hat Probleme sich vorzustellen, dass sich seine wunderschöne, anmutige Kara mit jemandem wie ihm, einem Jungen ohne Manieren und ohne gesellschaftlichem Rang, zufrieden geben würde. Sie ist wie eine Königin und die junge Stadtwache wie einer ihrer Ritter, der sie beschützt. Eine Königin lässt sich nicht mit einem Ritter ein, das wäre absurd, ganz egal wie sehr er sie vergöttert. Kara war den ganzen Tag unterwegs um alle möglichen Leute nach dem Verbleib des Hauptmanns zu befragen. Sie hatte keinen Erfolg und musste feststellen, dass man Angst vor ihm hat. So wie er schon sagte, auch wenn er Kalaß mit Informationen versorgt hat, so hat er sich das Vertrauen der Menschen nicht verdient. Sie weiß erst mal nicht weiter und wartet vor Hendryks kleinem Haus, das nur zehn Minuten Fußweg von ihrem entfernt liegt, auf seine Rückkehr. Es dämmert schon, als er an seinem kleinen, typisch schmalen kalaßer Haus ankommt. In dem Moment, in dem er sie erkennt, beginnt er auf sie zu zu rennen. „Kara, ich war gerade bei dir und du warst nicht da. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ ruft er, kurz bevor er bei ihr ankommt. Dann nimmt er sie in die Arme. „Ich bin so froh, dass nichts schlimmeres passiert ist. Wie geht es dir?“ Sie genießt seine Umarmung und antwortet gelöst: „Es ist schon ok. Nico hat mich noch rechtzeitig gerettet.“ Hendryk verdreht die Augen und wird abschätzig: „Dieser unfähige Hauptmann...? Würde er seinen Job besser machen, wärst du gar nicht erst in diese Situation gekommen.“ Nach acht Stunden mit Nico Dugar in einem Raum, kann er sich jetzt etwas Besseres vorstellen, als auch noch über ihn zu reden. Er öffnet die Holztür zu seinem Haus und bittet Kara herein. Bei ihm ist es wie immer etwas schmutzig und unaufgeräumt. Kara ist das ebenso egal wie es das Natja war. Sie muss ja nicht hier wohnen. Die junge Frau tritt nach ihm ein und entgegnet: „Ich weiß, du kannst Nico nicht leiden, aber für den Moment ist es mir egal was du von ihm hältst. Ich möchte ihn besuchen und ihm danken. Kannst du mich zu seiner Zelle führen?“ Das macht Hendryk ärgerlich. „Nein, kann ich nicht. Ich habe da klare Vorschriften und für den Typen werde ich sie bestimmt nicht überschreiten.“ Auf einmal wird er regeltreu und Kara ist sichtlich enttäuscht. „Du hast nicht das Recht darüber zu bestimmen, ob ich ihn sehen darf.“ Er entgegnet: „Stimmt, das habe ich nicht. Das hat nur der Ältestenrat. Frag doch den!“ „Ja, das werde ich auch und ich werde seine Freilassung beantragen.“ schimpft sie und Hendryk schüttelt den Kopf. „Dann tu was du nicht lassen kannst. Ich für meinen Teil kann den Kerl nicht ausstehen.“ Kara versteht das ehrlich gesagt nicht und wird gereizt: „Du kennst ihn doch gar nicht und weißt auch gar nichts über ihn.“ Den Ball kann Hendryk locker zurück spielen. „Hah, aber du, ja?“ Seine Worte sitzen. Kara weiß tatsächlich auch so gut wie gar nichts über ihn. Sie braucht nur an seine Uniform und die zwei Orden und all die Abzeichen zu denken. Sie ist beleidigt und dreht sich weg, um zu gehen. Das war nicht Hendryks Ziel, deshalb sagt er weich: „Warte bitte, ich bringe dich nach Hause. Ich möchte nicht, dass du allein unterwegs bist.“ Kara sagt nichts dazu, denn sie weiß, dass das eine noble Geste ist. Schweigend gehen die beiden die zehn Minuten Fußweg durch einige schmale Gassen zu ihr. Die Sperrstunde hat bereits eingesetzt und sich müssen sich ruhig verhalten. An ihrem Haus angekommen bedankt sie sich knapp für seine Begleitung und auch Hendryk verabschiedet sich: „Mach am besten erst mal keine Hausbesuche mehr.“ Kara nickt und antwortet: „Beeil dich bitte und geh zurück!“ Sie geht hinein in ihr ebenso kleines und schmales, zweistöckiges Haus, in dem sie nun ganz alleine ist. Schweren Herzens muss sie zugeben, dass es jetzt einfach zu gefährlich ist Hausbesuche zu machen und nimmt sich vor morgen gleich als erstes in die Arztpraxis ihres Ausbilders zu gehen, um ihm dies mitzuteilen. Erledigt vom Tag und traurig über sie Situation, findet sie nur wenig Schlaf. Auf dem Rückweg spürt Hendryk, wie ihm ebenfalls das Herz schwer wird. Ihm wird schmerzlich klar, dass er den Hauptmann wahrscheinlich deshalb nicht ausstehen kann, weil er im Begriff ist Karas Herz für sich zu gewinnen. Die Art wie sie über ihn gesprochen hat, war ein klares Zeichen dafür. Er begreift nicht wie dieser überhebliche Mann das geschafft hat. Mag Kara so etwas etwa? Das macht ihn nur noch wütender auf ihn. Gleich am nächsten Tag tritt Kara vor den Ältestenrat. Dieser sitzt im prunkvollen Rathaus von Kalaß. Die junge Frau will versuchen den Rat davon zu überzeugen, dass es falsch ist Nico einzusperren. Sie sitzt gemeinsam mit den neun ständigen Stellvertretern der verschiedenen kalaßer Berufsgruppen in einem großen, mit kunstvollen Holzvertäfelungen verzierten Saal mit Kassettendecke im Rathaus an einer langen Tafel. Den Vorsitz des Ältestenrats hat Farsa Gena, die Vertreterin der Gilde der Gelehrten, dem auch Kara angehört. Die Vorsitzende ist Mitte fünfzig, etwas stämmig und hat dunkelbraunes, streng nach hinten gebundenes Haar. Sie steht mit beiden Beinen im Leben und wird mit ansonsten unvergleichlichem Respekt im Rat behandelt. Sie ist eine vernünftige Frau, die von Kara sehr geschätzt wird. Für das Anliegen der jungen Frau hat sie aufgrund der Dringlichkeit eine außerordentliche Sitzung einberufen. Wäre Kara einem anderen Stand angehörig, hätte sie das womöglich nicht ohne weiteres getan. Kara hat ein enges Vertrauensverhältnis zu Farsa Gena. Die Ratsvorsitzende eröffnet die Sitzung mit den Worten: „Verehrter Ältestenrat, wir haben uns hier zu einem außerordentlichen Treffen versammelt, um uns anzuhören, was uns die junge angehende Ärztin Kara über unseren neuen Gefangenen, den Hauptmann der Königin, zu berichten hat. Sie bringt den Antrag vor den Gefangenen frei zu lassen. Da wir noch nie in eine solche Situation gekommen sind, müssen wir entscheiden wie wir mit ihm weiter verfahren wollen. Dazu bitte ich Kara zunächst zu Wort. Im Anschluss diskutieren wir über unsere Möglichkeiten und stimmen über unsere Vorschläge ab.“ Die laute Stimme Farsa Genas halt im großen Sitzungssaal wieder. Einige Mitglieder nicken, andere sind genervt von der Überflüssigkeit dieser Sitzung. Kara erhält das Wort. Sie erhebt sich von ihrem Stuhl und die anderen Ratsmitglieder starren sie an. Sie wird ein wenig nervös. Sie ist keine gute Rednerin, aber sie versucht ihr Bestes. „Ich weiß nicht was Sie über den Vorfall vorgestern Nacht gehört haben, deshalb möchte ich erklären wie es wirklich war. Ich habe …äh, eigenverantwortlich die Sperrstunde verletzt und bin von zwei Soldaten überfallen worden, die nicht auf Befehl des Hauptmanns unterwegs waren. Sie griffen mich an, doch der Hauptmann Nico Dugar hat es zu meinem Glück bemerkt und seine eigenen Männer angegriffen, um mir zu helfen. In seiner Not folgte er einem Bürger, der ihm Zuflucht gewährte. Er führte uns in unser geheimes Tunnelsystem.“ Es gibt eine schroffe Wortmeldung von Bodral, einem dunkelhaarigen, großgewachsenen Vertreter der Handwerker: „Er ist selbst schuld. Als Hauptmann hätte er seine Leute einfach Maßregeln können. Dann wäre das Problem mit der Flucht gar nicht erst aufgekommen. Wahrscheinlich war das alles von ihm geplant. Fakt ist doch, dass er jetzt unseren Unterschlupf kennt und wahrscheinlich auch weiß, dass wir den Widerstand planen. Er hat auch unsere Waffen gesehen. Wir können ihn mit diesem Wissen nicht einfach wieder hinaus spazieren lassen.“ Fendaris, der Vertreter der Beamten und gleichzeitig Anführer der Stadtwache stimmt Bodral zu: „Es ist doch auch ganz gut für uns. Der Kopf der Stadtaufklärung ist den Invasoren abhandengekommen. Seine koordinierten Aktionen haben doch bisher verhindert, dass wir unseren Widerstand richtig aufbauen konnten.“ Das wird der kernigen Vertreterin der Bauern Zodora zu viel: „Was erzählst du da, Fendaris? Du erhältst doch jede Menge Informationen von diesem Hauptmann. Wann finden die Routinekontrollen statt? Wann sind wo nachts Patrouillen geplant und so weiter. Soweit ich weiß hat er dir auch Informationen zur Struktur und zum Umfang des stationierten Regiments geliefert. Jetzt hat er seine eigenen Leute sogar attackiert. Meine Güte, was willst du denn noch? Willst du, dass er durch einen anderen ersetzt wird, der uns keine Informationen mehr liefert?“ Fendaris ist aufgebracht. Er fühlt sich persönlich angegriffen. „Frauen haben eben keine Ahnung von Kriegsführung. Außerdem ist das ohnehin egal, denn er käme sowieso vors Kriegsgericht, wenn wir ihn laufen lassen.“ Fendaris scheint dabei zu vergessen, dass die Besatzung von einer Frau, der Königin von Roshea ausgeht. Bodral stimmt ein: „Wieso statuieren wir nicht ein Exempel an ihm? Auf diese Weise könnten wir Roshea unsere Entschlossenheit zeigen und dass wir uns nicht länger unterdrücken lassen.“ Kara wird bleich. Das Gespräch entwickelt sich in eine andere Richtung, als sie es geplant hatte. Die schöne anmutige Alshala, Vertreterin der Lebensmittelgilde sagt in gefasstem Ton: „Er hat dir bestimmt nicht alles offen gelegt, mein lieber Fendaris. Wie wäre es, ihm erst einmal noch weitere Geheimnisse zu entlocken? Von mir aus auch mit Folter. Wir wissen ja nicht einmal mit Sicherheit warum wir besetzt werden. Das sind alles nur Spekulationen.“ Die zierliche Lish, Vertreterin des Kunsthandwerks klinkt sich ein: „Jetzt reicht es aber. Meine Damen und Herren, beruhigt euch doch erst einmal. Ihr wollt ihn schon foltern und was weiß ich nicht noch alles und habt noch nicht mal mit ihm gesprochen.“ Bodral meldet sich wieder zu Wort: „Er ist aus Roshea. Aus ihm kommen sowieso nur Lügen.“ Die Diskussion geht noch einige Zeit so weiter, bis Farsa Gena sie beendet: „Wie ich sehe wird der Rat heute keine Einigung erzielen können. Kara, dein Antrag auf Freilassung wird damit bis auf Weiteres vertagt.“ Kara entgegnet verwirrt: „Was heißt das? Bedeutet das er bleibt eingesperrt? Darf ich ihn wenigstens besuchen?“ Die Frage verursacht neuerlich Diskussionen im Raum, die Farsa Gena jäh beendet: „Auch das ist zu kontrovers. Es ist besser, wenn du ihn nicht beeinflussen kannst und er dich nicht beeinflusst. Die Sitzung ist damit geschlossen.“ Kara verlässt desillusioniert den Raum. Farsa Gena kommt nach der Versammlung zu ihr und sagt verständnisvoll: „Es ist schwierig im Rat in eine Einigung zu erzielen, bevor man mit jedem Einzelnen im Vorfeld gesprochen hat. So wird Politik eben gemacht. Du solltest zu deinen Gegnern gehen, um jedem dein Anliegen persönlich vorzutragen.“ Kara hat die Nase voll vom Rat und denkt über einen anderen Weg nach Nico wenigstens besuchen zu können. Dem Hinweis vom Farsa Gena wird sie trotzdem folgen. Kapitel 4: Gefühlswelten ------------------------ Da Kara weiß, dass ihr Freund Hendryk am nächsten Morgen wieder seinen Wachdienst an Nicos Zelle antritt, beschließt sie ihm heimlich nachzuschleichen, um zu erfahren wo sich der Kerker mit seiner Zelle im unterirdischen Gängelabyrinth befindet. Sie setzt ihre Idee in die Tat um und folgt der jungen Stadtwache, so unauffällig sie kann, durch die dunklen Gänge, was er allerdings schnell bemerkt. Er lässt sich nichts anmerken und führt Kara in die Irre. Er trägt eine Öllampe, die das einzige Licht spendet. An einer Abzweigung stellt er seine Lampe ab und versteckt sich. Er lässt die junge Frau an sich vorbei laufen, was sie wie gewünscht verwirrt. Gerade war er doch noch vor ihr und plötzlich ist er verschwunden. Orientierungslos dreht sie sich um und hinter ihr steht er. Er hat sich bedrohlich wirkend aufgerichtet. Das Licht, das ihn von unten trifft, trägt zu seiner bedrohlichen Erscheinung bei. Streng fragt er: „Was soll das werden?“ Die sich ertappt fühlende Kara schweigt. Nun wird er überheblich. „Glaubst du ich merke es nicht, wenn mir jemand folgt?“ Kara schaut beschämt nach unten, sagt dann aber leise: „Was soll ich denn machen, Hen? Der Ältestenrat hat meinen Antrag abgelehnt und will auch noch, dass ich Nico nicht einmal besuchen darf und dass du mir nicht helfen willst, hast du mir gestern schon klar gemacht.“ Ihre Aussage beleidigt den jungen Mann ein wenig. „Wer sagt denn, dass ich dir nicht helfen will? Ich sagte lediglich du sollst dir eine Erlaubnis besorgen. Ich muss ziemlich aufpassen was ich mache. Fendaris hat mich auf dem Kieker. Ich genieße kein besonderes Vertrauen mehr bei ihm. Das sieht man schon daran, dass ich mit meinen Fähigkeiten in Zeiten wie diesen als Zellenwache eingeteilt werde. Das ist der letzte Mistjob. Jeder Idiot kann ihn ausführen und damit kann ich mich noch glücklich schätzen. Wenn ich jetzt wieder gegen seine Anweisungen verstoße, fliege ich vielleicht ganz aus der Stadtwache. Ich brauche also schon einen guten Grund, um ein solches Risiko einzugehen.“ Er will nichts riskieren, wenn er keinen Sinn darin sieht, das versteht sie und macht ihr Hoffnung. „Dann gebe ich dir einen Grund. Der Ältestenrat ist ein zahnloser Tiger. Er ist total zerstritten und nicht entscheidungsfähig. Ich glaube das ist auch der Grund warum sich der Widerstand so schlecht entwickelt. Wenn du mich fragst wird der Ältestenrat niemals tätig und Kalaß wird endgültig fallen.“ Hendryk hat sich das schon gedacht. Nach allem was er eine Woche zuvor auf dem Markt gesehen hat, glaubt er ihr das aufs Wort. Trotzdem will er wissen was passiert ist und fragt nach: „Wie kommst du darauf?“ Kara erklärt ruhig: “Es stimmt doch, dass Nico bisher von niemandem vernommen wurde, nicht wahr?“ Und Hendryk nickt: „Soweit ich weiß nicht.“, deshalb macht sie weiter: „Sie spielen mit dem Gedanken ihn zu Foltern oder zu töten, ohne auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Einige im Rat sind total abgehoben und haben den Sinn für die Realität verloren. Dabei bin ich mir sicher, dass Nico etwas einfällt was wir tun könnten, um uns ein für alle Mal von der Besetzung zu befreien.“ Das bestätigt Hendryks Verdacht. Ein Freund von Nico wird er dadurch trotzdem nicht. „Es ist schlimmer als ich dachte, aber ich bin mir nicht sicher, ob du den Hauptmann da nicht etwas überschätzt. Dennoch hast du mich überzeugt. Wir sind beide der Meinung nicht mehr einfach nur zusehen zu können, wie Kalaß den Bach runter geht. Ich bringe dich zu ihm. Befrage ihn danach welche Möglichkeiten uns bleiben. Aber denk nicht, dass ich dich mit dem Typen alleine lasse.“ Kara fällt Hendryk um den Hals, der etwas überrascht ist. Sie säuselt ein süßes: „Ich danke dir.“, was sein Herz noch weiter erweicht. Sie löst sich und er kommentiert: „Aber lass dich nicht schon wieder erwischen.“ Weshalb sie ihm leicht auf seinen harten Oberarm boxt und kontert. „Pass auf was du sagst.“ Er grinst: „Aber es stimmt doch. Sich erwischen zu lassen scheint eins deiner neuen Hobbys geworden zu sein. Du hast den Kopf immer in den Wolken. Ohne mich als Begleitschutz bist du ziemlich aufgeschmissen. Am besten begleite ich dich auch auf dem Rückweg, sonst läufst du noch jemandem in die Arme.“ Sie ist erst etwas beleidigt, weil sie sich selbst gern als fehlerlos betrachtet, doch in diesem Fall hat er ein klein wenig recht, deshalb lacht sie dann auch. Die beiden unterhalten sich ausgelassen, während sie gehen. Hendryk ist sehr erleichtert, dass Kara schon wieder lachen kann. Dann hat sie wohl wirklich keine schweren seelischen Schäden vom Überfall davon getragen. Sie ist zu einer sehr starken Frau herangereift, die sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Das war nicht immer so, deshalb ist er sehr stolz auf sie. An den Zellen angekommen muss Kara sich erst verstecken und warten, bis Hendryk seinen Vorgänger abgelöst hat. Sie sieht Nico von Weitem und ihr Blut gerät in Wallung, was ihr unangenehm ist. Kaum ist die Wachablösung abgeschlossen, ist sie trotzdem nicht mehr zu halten. Sie läuft zu Nico, der auf seiner Pritsche sitzt. Als sie ihn ruft macht sein Herz einen kleinen Sprung. Er schaut überrascht hoch und erblickt seine wunderschöne Kara, die schon vor seiner Zelle steht und die Gitterstäbe umfasst. Er ist unendlich froh sie zu sehen. „Kara...? Kara, wie geht es dir?“ fragt er aufgeregter als für ihn üblich. Sie wird von Gefühlen übermannt und antwortet leise mit zittriger Stimme: „Ich-ich hatte einen Schock, aber jetzt geht es wieder. Hättest du mir nicht geholfen...ich...-Viele andere haben mitbekommen was da passiert ist, aber sie haben nichts gemacht, weil sie Angst hatten. Nur du bist mir zu Hilfe gekommen, nur du Nico und nun hast du wegen mir alles verloren. Es tut mir so leid.“ Während sie spricht berührt Nico ihr langes, bordeauxrotes in der Flamme der Öllampen seidig glänzendes Haar. Ihr schießt das Blut in den Kopf als er wieder eine ihrer Strähnen durch seine Finger gleiten lässt, was auch Hendryk nicht entgeht. Dieser kann es nicht fassen was hier abgeht. Die beiden verhalten sich wie ein Liebespaar, dabei hat Hendryk diesem Kerl erzählt er wäre Karas Freund und er ist trotzdem so dreist. Nico ist das in diesem Moment gar nicht bewusst und er will Hendryk damit schon gar nicht provozieren. Er hat einfach alles um sich herum vergessen und ist vollkommen in seiner Flamme Kara versunken, die das ebenso ist. Der Gefangene haucht sanft zu seiner Geliebten: „Gib dir nicht die Schuld. Ich hätte dich besser beschützen müssen.“ Nun reicht es der jungen Stadtwache. Er klinkt sich in das schnulzige Gespräch ein faucht genervt: „Ja, das hättest du. Als ich Kara noch beschützt habe, ist sowas nicht passiert.“ Nun dreht sich Kara, aus ihrer Trance gerissen, zu Hendryk um und macht ihm Vorwürfe für seine Gehässigkeit: „Sei nicht so hart zu ihm! Du siehst doch was er für mich geopfert hat.“ Hendryk fragt sich derweil ernsthaft warum er jetzt der Böse ist und entgegnet verständnislos, aber resigniert: „Schon gut. Jetzt bring ihn auf den neuesten Stand und dann frag was du fragen willst.“ Kara erzählt Nico vom Ältestenrat. Sie versichert ihm weiter für ihn zu kämpfen. Sie fordert ihn im Gegenzug auf etwas über die Besetzung zu erzählen, denn Tatsache ist, dass sie fast nichts darüber weiß. Der Hauptmann hat nichts dagegen und beginnt zu erklären: „Die Okkupation wird angeführt von Königin Estell, der Gattin König Riecards von Roshea. Seit sie hier ist, hat sie sich selbst den Titel Imperatorin verliehen, mit dem wir sie ansprechen sollen. Sie hat für die Besetzung nur wenige Männer erhalten. Diese hat sie aber alle persönlich handverlesen. Es ist kein einziger Stabsoffizier anwesend, was mich zum höchsten ihrer Offiziere macht. Sie gibt die Richtung vor und ich kommandiere die Einheit. Unter mir haben ich allerdings noch ein paar andere Offiziere. Der komplette Stab verblieb in Roshea, deshalb führt sie die Besetzung autonom an und braucht auch nicht Bericht zu erstatten. Meine Position ist etwas exponiert…nun mein Verrat wird sie besonders hart treffen. Ich kann nicht vorhersagen wie sie reagiert, weil sie von launischer Natur ist.“ Nico lässt gezielt einige Informationen aus, die er für zu heikel für die beiden junge Leute empfindet. Besonders vor Kara würde er gern einiges zurück behalten, denn sie könnte es falsch verstehen. Diese Zusammenhänge kannte sie nicht, doch die wichtigste Information fehlt, deshalb fragt sie nach: „Warum werden wir überhaupt besetzt?“ Und Nico erklärt geduldig weiter: „Kalaß ist gar nicht das Ziel der Aktion. Es geht um einen Konflikt mit Yoken, der Roshea zu dieser Provokation verleitet hat. Königin Estell ist für Wirtschaft und Handel im Königreich Roshea verantwortlich. Es gab Probleme mit einigen Handelsverträgen mit Yoken. Der König Miikal von Yoken wollte veraltete Lieferverträge überarbeiten. Es ging wohl vor allem um Luxusgüter, die für den überaus dekadenten Hofstaat von Roshea benötigt werden. Roshea hat einige Waren bisher zu Billigpreisen erhalten, die einfach nicht mehr realistisch sind. Zum Teil geht es auch um Fleisch von Tieren, die immer seltener werden. Da Yoken die Lieferung der Waren fast eingestellt hat und sich König Riecard vor dem Hofstaat nicht eingestehen kann, dass er bestimmte Speisen nicht mehr beschaffen oder bezahlen kann, hat Estell vorgeschlagen Yoken militärisch unter Druck zu setzten. Da auch diese Aktion nicht viel kosten durfte, wurden nur wenige Soldaten zur Verfügung gestellt. Man muss wissen, dass die direkten Grenzen zwischen Roshea und Yoken gut geschützt sind, die des zwischen beiden Ländern liegenden Stadtstaats Kalaß aber so gut wie gar nicht, deshalb will sie Kalaß als Militärstützpunkt. Diese Stadt wird von imposanten Mauern umgeben, die darüber hinaus aber kaum geschützt sind. Lediglich die unbewaffnet Stadtwache, steht einem Einmarsch im Wege. Nichts für ungut, aber gegen eine bewaffnete Armee hat die Stadtwache keine Chance. Mit Kalaß gibt es zwar einen Nichtangriffspakt, der vor gut zweihundert Jahren geschlossen wurde. Für den hat sich Königin Estell aber nicht mehr wirklich interessiert.“ Nicos „Nichts für ungut“ hatte nichts geholfen. Hendryk, der so schon zuvor genervt war, fühlt sich persönlich angegriffen. Er ist deutlich muskulöser als der eitle Hauptmann und würde nur zu gern zu ihm in die Zelle kommen, um ihm zu zeigen wer der Stärkere von beiden ist. Abschätzig schimpft er: „Mit euren Schwertern seid ihr stark, aber sobald ihr sie verliert, bleibt nicht mehr viel übrig von euch.“ Nicos blaue Augen funkeln im Schein der Öllampen. „Willst du mich herausfordern?“ Da Hendryk den Eindruck macht, als wolle er gleich den Zellenschlüssen holen, um sich mit dem Hauptmann zu prügeln, geht Kara zwischen die beiden. „Was soll denn das? Hört sofort auf, ihr beiden!“ Die Stadtwache schaut den feindlichen Offizier verbissen an, der ihn wiederum herausfordernd anlächelt. Für Kara ist dieser Konflikt unverständlich, denn sie alle wollen doch das Selbe. Wieso streiten sie sich dann? Sie will ihn einfach nur beenden. “Ich denke es reicht für heute. Es ist gleich Mittag und ich muss zurück.“ schließt sie. Sie wendet ihren katzenhaften Blick an Nico und sagt sanft: „Ich hol dich hier raus, versprochen.“ Deshalb wird sein Gesichtsausdruck wieder ernst. Er nimmt ihr Versprechen an, denn es ist sein einziger Lichtblick in dieser Dunkelheit. Er glaubt wenn Kara sich nicht für ihn einsetzt, wird er hier drin verrotten. Die beiden verabschieden sich. Nico berührt noch einmal sehnsüchtig Karas langes, rotes Haar, wobei Hendryk innerlich erneut an die Decke geht. Die junge Stadtwache bringt sie durch die dunklen, feuchten Gänge zurück. Die beiden schweigen den ganzen Weg über. Kurz vor dem Ausgang bleibt er unvermittelt stehen, was Kara verwundert. Er dreht sich nicht zu ihr um. „Kara, was findest du nur an diesem Kerl?“ Sie ist perplex. So eine Frage hat sie noch nie aus Hendryks Mund gehört. „W-was meinst du damit?“ Der junge Mann wird ungehalten, bleibt aber mit dem Rücken zu ihr stehen. „Er taucht hier nach geschlagenen zehn Jahren wieder auf und ist gleich dein großer Held.“ brüllt er, was Kara etwas eingeschüchtert entgegnen lässt: „Aber das ist er in meinen Augen auch.“ Er schnaubt verärgert. „Tss, ich habe dich und andere unzählige Male beschützt, bin ich etwa kein Held? Ich war all die Jahre für dich da, ich habe dich getröstet und wieder aufgebaut, als du am Boden warst, als ER dich vor zehn Jahren verlassen hat. Ich habe alles für dich getan und kaum kommt er wieder, bin ich nichts mehr für dich?“ Sie ist völlig sprachlos. Hendryk hat bisher noch niemals mit ihr so über seine Gefühle gesprochen. Er dreht sich ein Stück zu ihr um. „Du solltest meine Frau werden, nicht seine.“ Sie glaubt ihren Ohren und Augen kaum. Erkennt sie da das Glitzern einer Träne an seiner Wange? Hat sie ihn überhaupt schon jemals weinen sehen? Sie bekommt keinen Ton heraus. Dann stürmt er davon und lässt die verwirrte Kara stehen. Sie haucht ergriffen seinen Namen. Ihre Beine werden weich, deshalb lehnt sie sich an die kalte Wand und gleitet daran hinunter. Zusammengekauert auf dem kalten Steinboden in der Dunkelheit sitzend fragt sie sich wie sie das übersehen konnte? Wie naiv ist sie eigentlich? Hendryk war die ganze Zeit in sie verliebt und in seinen Augen drängt sich Nico nun zwischen die beiden. Jetzt wird ihr das auch klar, aber es ist viel zu spät. Das meiste was sie in der letzten Zeit zu Hendryk gesagt hat, war mit diesem neuen Hintergrund ziemlich unsensibel. Der Gedanke daran tut ihr weh. Sie zieht ihre Beine ganz eng an ihrem Körper und beginnt ganz leise zu weinen. Sie weiß einfach nicht wie sie in Zukunft damit umgehen soll. Hendryk wischt sich Tränen aus dem Gesicht, die es tatsächlich gegeben hat. Er schämt sich dafür es so etwas Peinliches gesagt zu haben, doch ein bisschen froh ist er schon, dass jetzt raus ist. Er geht zu einem seiner Kollegen. „Du musst mich ablösen. Mir geht es heute nicht so gut.“ Dieser antwortet überrascht: „Junge, du siehst wirklich schlimm aus. Ist schon in Ordnung. Geh nach Hause. Ich übernehme den Rest deiner Schicht.“ Der junge Mann bedankt sich und geht heim. Dabei wird er von Ikky beobachtet. Sie wundert sich warum er schon Schluss hat und beschießt ihn zu besuchen, wenn sie ihre eigene Arbeit erledigt hat. Zuhause angekommen randaliert Hendryk in seinem Haus. Er wirft Tische und Stühle um, weil er nicht eiß wie er seiner Aggression Herr werden soll. Nach einiger Zeit stellt er einen der Stühle wieder auf, setzt sich darauf und legt nach vorn gebeugt seinen Kopf in seine Hände. Er sagt leider zu sich selbst: „Verdammt, so gewinnst du sie bestimmt nicht für dich, du Idiot.“ Danach versinkt er tiefe Gedanken, die ihn auch nicht glücklicher machen oder ihm weiter helfen. Etwa nach einer Stunde klopft es an seiner Tür, weshalb er entnervt: „Nein!“ ruft. Das „Lass mich in Ruhe.“ ist ihm im Hals stecken geblieben. Ikky tritt ein und sieht sich um. Hendryk hebt seinen Kopf schräg, schaut sie verärgert an und sagt kalt: „Ich hab ‚Nein‘ gesagt.“ Darauf antwortet sie überfreundlich: „Für mich hat es sich wie ‚herein‘ angehört.“ und lächelt: „Na, hier sieht es ja noch schlimmer aus als sonst. Ist etwas passiert? Was ist los?“ Hendryk beachtet sie gar nicht, deshalb schleicht sie interessiert um ihn herum. „Du hast entweder deinen Job bei der Stadtwache verloren, oder es hat etwas mit Kara zu tun. Du bist heute früher heim gekommen als sonst, also würde ich auf die Stadtwache tippen... … ...nein? Dann doch Kara.“ Er entgegnet genervt: „Geh wieder! Das geht dich nichts an.“ Er will in einem so schwachen Moment wie diesem einfach keine Zuschauer haben. Er hat nicht einmal ein besonders enges Verhältnis zu Ikky. Sie lässt jedoch noch nicht locker und rät weiter: „Oh, jetzt hab ich‘s. Du hast es ihr gesagt und ihre Antwort hat dir nicht gefallen.“ Er fragt verständnislos: „Was soll ich ihr denn gesagt haben?“ Und Ikky antwortet schau: „Na, dass du in sie verliebt bist. Das hat doch ein Blinder gesehen, so wie du an ihrem Rockzipfel hingst.“ Da sie es nicht zu kapieren scheint, nimmt Hendryk einen herumliegenden Holzkrug und wirft ihn aggressiv nach dem neugierigen Mädchen. Dabei faucht er: „Bist du nur hier um dich über mich lustig zu machen?“ Sie weicht aus und antwortet immer noch freundlich: „Im Gegenteil. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich glaube Kara war die einzige, die es nicht gemerkt hat. Das muss sie jetzt erst mal verarbeiten. Bleib am Ball und pass auf diesen Volksverräter von Hauptmann auf. Kara mag ihn, wieso auch immer. Also gut, ich lasse dich jetzt in Ruhe. Vielleicht konnte ich dir ja wenigstens ein bisschen dabei helfen runter zu kommen.“ Sie verschwindet wieder durch die Tür. „Na endlich.“ kommentiert er zähneknirschend. Wieso sollte ihre Anwesenheit ihm in irgendeiner Weise geholfen haben? Dieses dumme Gör hat nur ihr Sensationsbedürfnis gestillt, da ist er sich sicher. Morgen weiß es vermutlich die ganze Stadt, aber er hat ohnehin keinen guten Ruf, also kann es ihm auch egal sein. Das einzige was für ihn zählt ist Kara. Hendryk denkt darüber nach wie er seine zukünftigen Wachschichten mit dem Hauptmann überstehen soll. Er ist ziemlich frustriert. Am nächsten Tag tritt er wie gewohnt seine Schicht an. Ihm bleibt ja nichts anderes übrig. Er nimmt sich einen Stuhl, der am Tisch direkt vor Nicos Zelle steht und stellt ihn in den Eingangsbereich des Raums, Hauptsache weit weg von diesem frauenausspannenden Kerl. So hat er zwar noch alles im Blick, muss seinen nervtötenden Kontrahenten aber nicht sehen. Zwei Stunden sitzt er schweigend da. Seine Gedanken kreisen nach wie vor um Kara. Dann bricht er das Schweigen und fragt Nico, ohne ihn anzusehen: “Warum hast du sie vor zehn Jahren sitzen gelassen? Sie war total am Boden zerstört. Ich habe sie erst kurz danach kennen gelernt. Sie war ein introvertiertes Mädchen, das niemandem vertraut hat. Es hat Jahre gedauert ihr Vertrauen zu gewinnen und herauszufinden warum sie sich so schwer damit tut, Beziehungen zu neuen Menschen aufzubauen.“ Nico lag bis dahin entspannt auf seiner Pritsche, doch nun setzt er sich verwundert auf. „A-aber, sie war doch immer so aufgeschlossen.“ Aufgeschlossen hat Hendryk sie noch nie erlebt. Vorwurfsvoll betont er: „Du bist so etwas wie ihr Kindheitstrauma.“ Nico muss das erst mal verarbeiten, denn das sind harte Worte, die ihn emotional bewegen. Er sinkt in sich zusammen, als er weiter darüber nachdenkt. Nach einer Pause sagt er: „Auch wenn ich dir keine Rechenschaft schuldig bin, unter diesen Umständen will ich dir etwas über mich erzählen...“ Hendryk dreht sich zu Nico um, als dieser mit seiner Geschichte beginnt: „Ich kenne Kara schon seit ihrer Geburt. Ich war ein Waisenkind, das von seiner Großmutter aufgezogen wurde. Da Großmutter und Karas Eltern befreundet waren, sah ich das Mädchen sehr oft. Als ich achtzehn war, riss Großmutters Tod ein großes Loch in mein Herz, denn sie war meine einzige Familie in Kalaß. Ich wusste nichts mehr mit mir anzufangen. Sie wollte immer, dass ich in die Politik gehe, doch ich sah mein Leben nicht mehr in dieser Stadt. Ich meldete mich bei der Königlich Rosheanischesn Armee, um den Schmerz zu vergessen, für den ich keinen Trost fand. Ich verabschiedete mich von der damals zehnjährigen Kara. Sie war auch als Kind schon sehr hübsch mit ihrem langen roten Haar. Großmutter sagte zu Lebzeiten immer dieses Mädchen sei meine Braut und ich lachte darüber, doch heute verstehe ich was sie damit meinte. Ich hatte schon immer eine besondere Bindung zu Kara, doch sie war damals nicht groß genug um mich in der Stadt zu halten. Natürlich sah ich, dass das Mädchen beim Abschied weinte, aber ist das nicht normal? Dass ich sie so verletzt haben könnte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich-ich habe sie doch nicht im Stich gelassen. Sie hatte doch ihre Eltern.... War ich denn eine so enge Bezugsperson für sie?“ Nico macht eine Pause und atmet tief aus. „Ich weiß so wenig über Kara. Würdest du mir erzählen wie es ihr in den letzten zehn Jahren ergangen ist?“ Hendryk kann sich ein abschätziges Lachen nicht verkneifen. „So einfach machst du es dir also, ja? Du lässt einfach alles hinter dir zurück und dann kommst du wieder und denkst alle hätten nur auf dich gewartet? Nur als Randnotiz und auch wenn es dein Ego noch höher hebt, du Vollidiot warst ihre einzige richtige Bezugsperson. Keine Ahnung wie du das angestellt hast, aber sie hat eine stärkere Verbindung zu dir, als zu ihren Eltern. Kara hat eher eine unterkühlte Familie, wenn du mich fragst. Nun willst du wissen wie es ihr ergangen ist? Was denkst denn? Nachdem du verschwunden bist, war Kara nicht mehr dieselbe. Sie beschloss nicht mehr wie geplant in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten und Lehrerin zu werden, sondern sie wollte plötzlich Ärztin werden. Sie lernte verbissen Tag und Nacht und ich war an ihrer Seite. Ich, hörst du? Kurz bevor sie ihren Abschluss machen konnte, brach der Krieg über die Stadt herein und sie musste ihre Ausbildung abbrechen. Sie beschloss ihre Fähigkeiten so effektiv wie möglich einzusetzen und sich aufopferungsvoll um die Kranken und Verletzten zu kümmern. Ikky, die auszubildende Arzthelferin und ich halfen ihr dabei. Die kleine Göre war Karas rechte Hand und ich beschützte die beiden Frauen bei ihrer Arbeit, besser als du es gemacht hast, wohl gemerkt. Man mich von Kara ab, weil ich meine Arbeitskraft nicht vergeuden sollten. Fendaris hielt den Personenschutz für überflüssig und obendrein zu zeitaufwendig. Wir kannten ja nach einiger Zeit alle Kontrollzeiten, durch dich, wie ich heute weiß. Er sagte Kara könne auch ohne mich die Uhr lesen. Dabei kennt dieser Idiot Kara nicht. Wenn sie in die Arbeit vertieft ist, dann kennt sie nichts anderes mehr. Naja und ohne Personenschutz hat Ikky den Außendienst verweigert, weil sie sich vor den Soldaten fürchtet.“ Hendryk erzählt das alles nur, um Nico ein schlechtes Gewissen zu machen. Dieser Plan geht nicht auf, denn Nico ist dankbar für jede Information die er erhält und bringt das auch zum Ausdruck. „Danke, dass du so gut auf sie aufgepasst und sie in schweren Zeiten unterstützt hast. Ich schätze das sehr.“ Die junge verstimmt Stadtwache schaut abschätzig zu seinem Gefangenen hinüber und entgegnet trotzig: „Pah, für dich hab ich das bestimmt nicht getan.“ Als gestandener Hauptmann fällt es Nico nicht schwer Hendryks letzte Bemerkung zu ignorieren und setzt die Befragung fort: „Ich habe Kara gesucht, nachdem unsere Truppen hier einmarschiert sind. Kann es sein, dass sie sich absichtlich vor mir versteckt hat? Ich hätte sie eher finden müssen.“ Hendryks Tonfall bleibt auch weiterhin abschätzig: „Klar, natürlich hat sie sich vor dir versteckt. Kara hat dich gleich am ersten Tag gesehen, was glaubst du denn? Wie hätte sie dich auch übersehen sollen? Du und die Königin ritten auf geschmückten Pferden an der Spitze des Zuges. Das zerstörte wohl auch ihr letztes Fünkchen Glauben an dich. “ Sich von dieser Äußerung nun doch angegriffen fühlend, verteidigt sich Nico: „Glaub bloß nicht, dass mir das leicht gefallen ist. Die Besetzung hätte mit mir oder ohne mich stattgefunden. In meiner Position konnte ich wenigstens Einfluss auf das Geschehen nehmen.“ Doch das macht Hendryk nur noch ärgerlicher, denn selbstgerechtes Denken regt ihn auf und an diesem Mann ganz besonders. Ein für alle Mal will er jetzt die Fronten klären. Er steht auf, bleibt aber in der Entfernung stehen und fixiert seinen Kontrahenten. „Seit du wieder da bist, ist Kara total durcheinander und noch kopfloser als sonst. Halt dich in Zukunft von ihr fern! Ich lasse mir von dir nicht zerstören was ich jahrelang mit ihr aufgebaut habe, klar?“ Das kam unerwartet. Nico grinst herausfordernd und sagt forsch: „So ein Versprechen kann ich dir nicht geben. Sie gehört dir nicht. Ob sie mich sehen will oder nicht, ist ganz allein ihre Entscheidung.“ Das war zu viel für Hendryk. Er tickt wieder aus, schmeißt den Tisch um, der neben ihm stand und brüllt: „Wie soll ich es bitte noch fünf Stunden mit dir aushalten? Ich hasse selbstgerechte Typen wie dich.“ Nico grinst selbstsicher und fragt: „Bist du eigentlich immer noch Karas fester Freund? Wenn ich es recht bedenke, dann hat sie dich gestern ziemlich links liegen lassen.“ Hendryks Geschichte bröckelt und Nicos Nachfrage trägt nicht unbedingt dazu bei, dass er sich beruhigt, ganz im Gegenteil. Der junge Hauptmann versucht den ungestümen Heißsporn nur noch weiter aufzustacheln, der erwartungsgemäß ungehalten reagiert. „Was soll die Frage? Ehrlich, ich sag dir, wenn der Rat beschließt dich zu foltern, dann melde ich mich freiwillig als Folterknecht.“ Nico beginnt zu lachen. Es ist kein hämisches Lachen, sondern ein offen freundliches, was in dieser Situation total aus dem Konzept bringt. „Findest du das etwa lustig?“ Fragt er und Nico antwortet freundlich: „Weißt du was? Ich mag dich, Junge. Du hast das Herz am rechten Fleck. Soldaten wie dich gibt es jede Menge bei uns – jung und voller Energie, aber keine Ahnung wohin sie sie richten sollen. Das sind mir die liebsten. Wenn du mit mir wetteifern möchtest, nur zu, aber ich werde es dir nicht leicht machen.“ Hendryk versteht die Welt nicht mehr und bekommt nur ein verdutztes: „Häääh...?“ heraus. Nico fügt erfreut hinzu. „Es ist erquickend mit dir zu reden. Danke, du hast in mir wieder die Lebensgeister geweckt. Ich habe schon gedacht ich würde hier unten versauern, aber jetzt habe ich wieder neuen Mut gefasst.“ Mit voller Wucht prallt Nicos ganzes Charisma auf den jungen Hendryk, der so etwas noch niemals zuvor erlebt hat. Gerade wollte er den Kerl am liebsten noch umlegen und jetzt ist er ihm sympathisch. Er denkt sich, dass es wohl kein Wunder ist, wenn Kara von diesem Mann verwirrt ist. Ihm geht es gerade ganz ähnlich. Er will sich nicht zu offen beeindruckt zeigen und überspielt. „Mir egal. Ich kann dich nicht ausstehen.“ Doch Nico kennt den Blick der jungen Stadtwache. Es ist Achtung, die er für ihn empfindet, was ihm bestätigt, dass ein wirklich guter Junge in ihm steckt und nicht nur ein ungehobelter Raudi. Der neu erstarkte Offizier steht auf, um ein paar Kraftübungen zu machen, um sich fit zu halten. Hendryk fühlt sich direkt herausgefordert und steigt darauf ein, denn das kann er nicht auf sich sitzen lassen. Während der Übungen scherzt er: „Mein Name ist übrigens Hendryk, meine Freunde nennen mich Hen. Für dich bin ich also Hendryk.“ Nico antwortet ganz beiläufig während er einige Liegestütze macht: „Alles klar, Hen. Du kannst mich auch Nico nennen und musst mich nicht mit meinem militärischen Rang ansprechen.“ Da die junge Stadtwache leicht aus der Reserve zu locken ist, brüllt sie: „Du sollst mich doch Hendryk nennen! Hen-DRYK! Und ich käme niemals auf die Idee dich mit deinem bescheuerten Rang anzusprechen!“ „Weil dir der Anstand fehlt.“ lacht Nico und muss seine Übung deshalb kurz unterbrechen. Hendryk schüttelt verständnislos den Kopf, weil er nicht begreifen kann, dass er diesen komischen Kerl bereits beginnt zu mögen. Die beiden spornen sich zu Höchstleistungen an. Seit diesem Tag bringt Hendryk dem rosheanischen Hauptmann jeden Tag eine ordentliche Mahlzeit mit. Er kann es selbst kaum glauben, aber er will nicht, dass Nico aufgrund des schlechten Essens weniger Leistung erbringen kann. Außerdem sorgt er dafür, dass Nico alles erhält, was er für einen würdevollen Aufenthalt benötigt. Aus der Rivalität entwickelt sich über mehrere Wochen eine rivalisierende Freundschaft. Nico liebt es sich mit dem hitzköpfigen Hen zu streiten. Das ist für ihn eine wunderbare Unterhaltung in dieser tristen Zelle. Imperatorin Estell hat inzwischen ein stattliches Kopfgeld auf Nico ausgesetzt. Er soll lebend zu ihr zurück gebracht werden. Kara liest diese Information in der Propagandaschrift, die von der Besatzung monatlich herausgegeben wird. Ab und zu schleicht sich Kara zu den beiden in den Zellentrakt und überbringt Nico diese und andere Nachrichten von draußen. Sie freut sich über die wachsende Freundschaft der beiden Männer. Sie verhält sich inzwischen zurückhaltender gegenüber Nico, um Hendryk nicht zu verletzen und es erträglicher für ihn zu gestalten. Manchmal unterhalten sich die drei über Politik oder Kriegstaktiken, manchmal über Alltäglichkeiten, zum Beispiel was sich in Kalaß so alles verändert hat und was immer noch genau so ist wie damals vor zehn Jahren. Persönliche Themen sparen sie weitestgehend aus, solange sie zu dritt sind, da es sonst nur zu unnötigen Spannungen kommen würde. Kara erzählt davon wie sehr sie ihre Patienten vermisst, aber dass sie sich ohne Begleitschutz nicht mehr hinaus traut. Nico erläutert seine Idee Yoken um Hilfe zu bitten und dies dem Ältestenrat vorzuschlagen, doch Kara erklärt ihm, dass er diesen Vorschlag auf keinen Fall vor dem Rat vorbringen darf, da der Rat Yoken und Roshea gleichermaßen hasst. Diese Engstirnigkeit hat historische Gründe, denn vor gut zweihundert Jahren war Kalaß noch ein ganzes Königreich. In einem Zweifrontenkrieg gegen Yoken und Roshea war es jedoch unterlegen und schrumpfte zu dem heutigen Stadtstaat Kalaß. Noch heute trägt die Stadt stolz den deshalb den Beinamen „Die uneinnehmbare Stadt“. Unter Bedingungen, die in den sogenannten Tarbasser Verträgen festgehalten werden, durfte die Stadt weiter bestehen bleiben. Sie stammen aus der Feder des damaligen Yokener Königs Nienna und werden bis heute im Rathaus ausgestellt. Darin wurde festgehalten dass der Adel enteignet, die Monarchie aufgelöst und alle Waffen aus der Stadt verbannt werden mussten. Deshalb ist der Groll gegen Yoken besonders groß. Roshea hatte kaum einen Anteil daran. Natürlich kennt Nico die Historie der drei Länder, hat er doch bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr die Politik studiert, doch unterbrechen wollte er Karas Erzählung trotzdem nicht. Sie spricht nicht allzu viel und es erfreut ihn ihr zuhören zu dürfen. Dass wegen dieser alten Geschichten jedoch immer noch Differenzen mit Yoken bestehen, war ihm zugegebenermaßen nicht bewusst. Wenn Nico und Hendryk allein sind, unterhalten sie sich auch über persönliches und heute ist das Thema Vorerfahrungen mit Frauen. Hendryk hatte Nico angeflunkert was seine Beziehung zu Kara anging und deshalb glaubt der Offizier noch immer, dass da mal etwas zwischen den beiden war. Er würde gern genaueres herausfinden und befragt Hendryk deshalb nach früheren Freundinnen. „Von der Nachtwache habe ich erfahren, dass du früher hin und wieder Mädchen mit zum Wachdienst an der Grenzmauer genommen hast und dafür ordentlich bestraft wurdest. Ist da was dran?“ Hendryk gefällt das gar nicht. „Wieso erzählt der Idiot dir sowas?“ Nico lächelt verschmitzt. „Es stimmt doch, oder? Die Geschichte war ziemlich plausibel und... detailliert. Das war doch nicht Kara, oder?“ Hendryk ärgert sich über seinen gesprächigen Kollegen. „Nein, natürlich nicht. Kara würde so was nicht mitmachen. Sie ist anders als andere Mädchen. Sie-“ Er stockt, denn er will nicht zu viel erzählen, dabei sieht Nico das gar nicht so verbissen. Er geht ganz locker mit diesem Thema um und empfindet auch nichts schlimmes dabei sich zwischen Hendryk und Kara zu drängen. Seiner Ansicht nach hat niemand ein Anrecht auf einen anderen. Jeder kann frei entscheiden mit wem er zusammen sein möchte und mit wem nicht. Ohne weiter darauf einzugehen stellt Hendryk interessiert, aber auch mit spöttischem Unterton die Gegenfrage: „Na und? Du hattest bestimmt auch schon mal Probleme, die durch Frauen ausgelöst wurden, oder? Garantiert, siehst schließlich aus wie ein Gigolo.“ Nico lacht, denn er versteht die Anspielung auf sein Äußeres, weiß er doch selbst, dass sein zartes Gesicht mit den hohen Wangenknochen in Kombination mit seinem funkelnden Blick ausgesprochen positiv von Frauen aufgenommen werden. „Wer hatte das nicht? Aber ich glaube du willst mir nur Geschichten entlocken, die du Kara erzählen kannst, um mich aus dem Rennen zu nehmen.“ Hendryk antwortet ganz offen: „Nein, mach ich nicht. Erzähl schon! Ich sterbe hier unten vor langer Weile, du nicht?“ „Also gut, ich erzähle dir eine. Aber versprich mir, dass Kara nichts davon erfährt.“ Hendryk nickt vertrauenserweckend. „Geht klar.“ Und da Nico ihm glaubt, beginnt zu erzählen: „Ich war zweiundzwanzig, gerade in den Offiziersstand erhoben, also zum Leutnant ernannt worden und erhielt mein erstes Kommando. Ich war damals bereits seit fast drei Jahren in Aranor stationiert. Warst du schon mal in Aranor?“ Hendryk schüttelt den Kopf, weshalb der Gefangene eine Erklärung einschiebt: „Aranor liegt nicht weit entfernt von der Wüste Salaij im Süden von Roshea. Da es am Meer liegt, ist die Luft jedoch halbwegs erträglich. Im Sommer kann es trotzdem ziemlich heiß werden. Die Stadt ist ziemlich groß, verwinkelt und unübersichtlich. Wenn man sich nicht auskennt, hat man sich schnell verlaufen. Es ist nicht wie hier, wo es kein soziales Gefälle gibt. In Aranor treffen Arm und Reich auf engstem Raum aufeinander. Außerdem gibt es dort kein fließendes Wasser wie hier. Wasser ist ein rares Gut, das unglaublich wertvoll ist. Meine Aufgabe war es den Sklavenhändlerring ausfindig zu machen und auszuheben. Leider wird der Sklavenhandel hinter verschlossenen Türen in Aranor immer noch betrieben, auch wenn Roshea inzwischen Gesetze dagegen erlassen hat. Ich schlich mich unter falscher Identität in den Sklavenhändlerring ein. Ich gab mich als Geschäftsmann aus, der Sklaven im großen Stil einkaufen wollte. Mein eigentliches Ziel war es herauszufinden woher die Sklaven des Sklavenhändlers stammen, um den gesamten Kreislauf zu zerstören. Ich ging bei ihm ein und aus. Er hatte mehrere persönliche Dienstmädchen, darunter zwei junge, hübsche Schwestern und diese beiden freuten sich besonders darüber, wenn ich sie besuchen kam. Ich verliebte mich in die jüngere der beiden.“ Hendryk wirft ein: „Hatte sie vielleicht lange Haare und die andere nicht?“ Nico macht ein überraschtes Gesicht. „Wie kannst du das wissen?“ Welshalb Hendryk spottet: „War nur so ein Gedanke. Scheint mir dein Beuteschema zu sein.“ Doch Nico verteidigt sich: „Denkst du ich bin so einfach gestrickt?“ Kopfnickend grinst Hendryk den Hauptmann an, der ins Grübeln kommt. Eigentlich hatten alle seine Frauen in dieses Bild gepasst. Innerlich gesteht er sich ein, dass Hendryk wohl Recht hat. Er übergeht es jedoch und erzählt weiter. „Der Sklavenhändler bemerkte meine Vorliebe für diese beiden Mädchen und schenkte sie mir, da er sich von mir weitere gute Geschäfte erhoffte. Er sagte, dass sie sowieso dauernd nur über mich reden würden. Da ich die beiden zu mir nahm, konnte ich meine Deckung nicht aufrecht erhalten. Dass ich nur eine von beiden liebte, blieb nicht lange verborgen. Die andere wurde eifersüchtig.“ Hendryk unterbricht Nico. „Warte, warte, warte! Du hattest also zwei schöne Mädchen…gleichzeitig? Soweit, so verachtenswert, aber das Schlimmste kommt erst noch: Du vermasselst es?“ Nico verteidigt sich: „Sei nicht so gehässig. Was hättest du denn getan, wenn sich zwei schöne Frauen... Was soll‘s? Das geht dich sowieso nichts an. Außerdem bin ich noch nicht am Ende meiner Geschichte. Die Ältere verriet mich an ihren ehemaligen Herrn und ich flog auf. Ich lebte dann noch eine Weile mit der jüngeren Schwester zusammen, aber die Beziehung hielt nicht lange. Den Sklavenhändlerring habe ich dann mit Hilfe meiner Truppen schwächen können, aber da ich nicht die komplette Struktur kannte, hat er sich nach und nach wieder aufgebaut wie ein Krebsgeschwür. Ich habe damals unglaublich viel Anerkennung für meinen Erfolg bekommen, dabei fühlte es sich an wie eine Niederlage. An meiner Jacke hängt ein hoher und äußerst seltener Verdienstorden dafür. Lass ihn dir vor Kara zeigen, wenn es dich interessiert.“ Hendryk hat gebannt dem Rest der Geschichte gelauscht und schließt verblüfft daraus: „Das ist wirklich eine heftige Geschichte. Ich meine, du hattest zwei Freundinnen gleichzeitig?“ Verwundert schaut Nico seinen Wachmann an. „Hen, das kann nicht alles sein was bei dir hängen geblieben ist. Was ist mit der Moral, dass es mit mehreren Frauen einfach nicht gut gehen kann? Oder dass man aufpassen sollte, wem man vertraut? Oder vielleicht, dass man Gefühle und Geschäfte trennen sollte? Nein?“ Dieser lacht zur Antwort. „Nicht wirklich, Nico. Wieso auch? Du siehst nicht nur aus wie einer, du bist ein Gigolo und das bestätigt mich darin dir Kara auf keinen Fall zu überlassen. Aber mal im Ernst, einen Ruf als Weiberheld hast du dir damit bestimmt in deiner Truppe verdient.“ Nico schüttelt den Kopf und entgegnet ernst: „Das ist nichts worauf man stolz sein sollte.“ Nico und Hendryk haben jetzt so viel über ihre gegenseitigen Erfahrungen gesprochen, dass Nico nicht anders kann als seinen Mitstreiter nach Kara zu befragen. „Was ist mit Kara? Ihre Schönheit muss doch auch anderen als uns ins Auge gefallen sein.“ Hendryk sieht kein Problem darin ein paar Sätze über sie zu äußern. Auf Anhieb fallen ihm zwei Anekdoten ein, die er nun zum Besten gibt. Er erzählt amüsiert: „Natürlich fällt sie auf, doch an sie heranzukommen ist wirklich nicht leicht. Ich war ja auch oft bei ihr und ich kann wirklich einschüchternd wirken, weißt du? Als sie sechzehn war paukte sie mit einem anderen angehenden Arzt für eine Zwischenprüfung. Er erzählt überall herum er würde schmutzige Sachen mit ihr treiben, was nicht stimmte. Ich hörte das Gerücht und fragte Kara, ob ich es für sie aus der Welt schaffen soll, doch sie erledigte es selbst. Sie hörte er sei im Pub, ging dort hin und ohrfeigte ihn vor den Augen seiner Freunde. Ich hörte die sagte sowas wie: ‚Nicht mal im Traum würde ich einen wie dich ran lassen.‘ oder so.“ Der Hauptmann lacht amüsiert auf: „Das hat sie gesagt? Kara ist eine wunderbare Frau.“ „Ich war leider nicht dabei und kenne nur die Nacherzählung. Na gut, ich hab noch eine Geschichte für dich. Ein Jahr später zog Kara bei ihren Eltern aus. Das wurde auch höchste Zeit. Du weißt ja wie klein die Häuser hier sind. Direkt neben ihr wohnte und wohnt auch immer noch ein junger Handwerker. Damals war er zwei- oder dreiundzwanzig, glaube ich. Wenn ich gerade nicht da war, half er ihr dabei ihr Haus vor- und einzurichten. Kara ließ sich sehr gern von ihm helfen, denn er war geschickt, geschickter als ich jedenfalls. Ich bin nur gut im Verprügeln, haha, wenn ich ein guter Handwerker wäre, dann wäre ich wohl kaum zur Stadtwache gegangen. Wie auch immer. Er verlangte nie eine Gegenleistung, bis zu dem Tag, an den er ihr einen Heiratsantrag machte.“ Nico schaut ungläubig: „Völlig ohne Vorwarnung?“ Und Hendryk antwortet belustigt: „Laut Kara schon. So hat sie es mir erzählt. Auch da war ich nicht selbst dabei. Sie hat ihn natürlich abblitzen lassen. Der Junge war völlig fertig. Er hatte schon seinen Eltern von seiner bildschönen Verlobten erzählt. Das war natürlich peinlich für ihn. Keine Ahnung in was für einer Traumwelt er gelebt hat, aber mit ein paar handwerklichen Tricks lässt sich Karas Herz garantiert nicht erobern.“ Da kann Nico nur zustimmen. Kapitel 5: Vor dem Ältestenrat ------------------------------ Kara ist unterdessen schwer damit beschäftigt jedes einzelne Mitglied des Ältestenrats in die Mangel zu nehmen. Sie kann erreichen, dass sich die beiden unentschlossenen Mitglieder, der Geistliche Donnt und der Händler Gathos zu Gunsten des Hauptmanns entscheiden. Die Bäuerin Zodora, die Kunsthandwerkerin Lish und Farsa Gena standen von Anfang an auf Nicos Seite. Auch den Handwerker Nohsil konnte sie nach einem persönlichen Gespräch leicht überzeugen. Sie hat nun nur noch drei Gegenstimmen gegen seine Freilassung. Das sind nach wie vor der Anführer der Stadtwache Fendaris, die Vertreterin der Lebensmittelproduzenten Alshala und der Handwerker Bodral. Einen von ihnen muss sie noch überzeugen. Bei einer so schwerwiegenden Entscheidung darf es nicht mehr als zwei Gegenstimmen geben. Da sie zu den Männern Fendaris und Bodral überhaupt keinen Zugang findet, wendet sie sich nochmal an Alshala. Diese ist Bäckerin und betreibt eine der produktionsstärksten Bäckereien in Kalaß. Kara besucht sie nach Ladenschluss in ihrer Backstube, die sich am anderen Ende der Stadt befindet. Sie wird sich beeilen müssen, wenn sie vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein will. Von einer Mitarbeiterin erhält sie ein übrig gebliebenes Brötchen, an dem sie gerade herumkaut, als Alshala sie empfängt. Sie ist eine sehr schöne und elegante Frau und die Jüngste im Ältestenrat, deshalb auch noch nicht sehr lange dabei. Ihr Haar ist hochgesteckt und ein bisschen Mehl hängt daran. Die Bäckermeisterin legt ihre weiße Schürze ab, die ein elegantes grünes Kleid zum Vorschein bringt. Die beiden gehen gemeinsam in die Backstube. Äußerst selbstbewusst und von sich überzeugt beginnt Alshala das Gespräch: „Ich weiß schon was dich zu mir führt, Mädchen.“ Kara lächelt etwas verunsichert. „Du willst, dass ich zustimme den hübschen Häftling frei zu lassen, aber weißt du, mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Er war engster Vertrauter der Königin, warum sollte sich das geändert haben?“ Die junge Frau versucht gegenüber der edlen gestandenen Dame souverän zu bleiben und antwortet selbstsicher: „Er hat schon immer auf unserer Seite gestanden.“ „Glaubst du“ antwortet Alshala abschätzig und erläutert: „Vielleicht hat er dich nur um den Finger gewickelt. Sobald er aus der Zelle heraus kommt, lässt er dich fallen wie eine heiße Kartoffel, läuft zu seiner geliebten Königin und erstattet ihr Bericht über unsere geheimsten Verstecke. Du kannst sicher verstehen, dass ich dieses Risiko für nicht notwendig erachte. Auf dem Spiel steht die Sicherheit einer ganzen Stadt und diese muss ich gegen die Freiheit eines einzelnen Mannes abwägen.“ Auch wenn Kara das versteht, wendet sie ein: „Alshala, Sie vergessen, dass er auch für die Königin eine Gefahr darstellt. Sie würde ihn wohl kaum einfach wieder in den eigenen Reihen aufnehmen, nachdem er seine eigenen Leute attackiert hat. Er kann gar nicht zurück.“ Für Alshala ist das kein Argument. „Du bist so blauäugig, Kind. Hat er dir so den Kopf verdreht, dass du das glaubst? Für schöne Männer wie ihn ist es ein Leichtes junge Frauen wie dich zu manipulieren. Wahrscheinlich war das von Anfang an von ihm genauso geplant.“ Kara bleibt stur: „Bitte stimmen Sie wenigstens einer Anhörung zu! Auch für dieses Votum brauche ich sieben Zustimmungen und ich habe nur sechs.“ Alshala gibt nach. „Ja, meinetwegen soll er vor den Rat treten und sagen was er zu sagen hat. Ich würde ihn schon gern sprechen hören. Das kann ja nicht schaden.“ „Vielen Dank.“ Freut sich Kara, doch Alshala lacht etwas überheblich. „Bedank dich nicht zu früh, Kleine. Wenn mir nicht gefällt was er zu sagen hat, kommt er trotzdem nicht frei.“ Kara ist optimistisch: „Das wird es. Sie werden sehen.“ Kara geht Nico und Hendryk am Folgetag heimlich ohne Ankündigung besuchen. Die beiden Männer sind ziemlich überrascht sie zu sehen. Sie haben gerade eine Partie Schach gespielt. Den Tisch hat Hendryk direkt an die Gitterstäbe geschoben, sodass Nico seine Züge selbst machen kann. Vor ein paar Tagen erst hat der Offizier seinem Wärter die Grundregeln beigebracht und er lernt sehr schnell. Zunächst überrascht über die veränderte Tischposition überbringt die junge Frau aufgeregt ihre freudige Nachricht. „Ich habe es geschafft, Nico. Du bekommst eine Anhörung vor dem Ältestenrat. Im Anschluss wird dann nochmal über deine Freilassung abgestimmt. Die nächste Sitzung ist schon übermorgen. Überleg dir was du sagen willst!“ Er nickt ernst und Hendryk zeigt sich beeindruckt. „Gut gemacht, Kara.“ Die drei feiern noch ausgelassen und sprechen über alles Mögliche, nur nicht darüber was Nico dem Rat vorbringen möchte und das hat er auch so beabsichtigt. Es fällt niemandem auf, dass diese Sache gar nicht mehr zur Sprache kommt. Zwei Tage später ist es soweit. Hendryk holt den Gefangenen aus der Zelle ab und erklärt ihm: „Es sind noch ein paar Stunden bis zur Anhörung. Bis dahin solltest du dich umziehen. So kannst du dort nicht aufkreuzen.“ Nico schaut an sich herunter. Er weiß im ersten Moment nicht worauf Hendryk hinaus will, bis er bemerkt, dass er seine Uniform trägt. Wenn auch ohne Jacke, hat eine rosheanische Uniform für einen Kalaßer einen doch eher fahlen Beigeschmack. Kara hütet die Jacke wie einen Schatz und Nico wird sie nicht zurück verlangen, schließlich ist es von Vorteil etwas von sich bei ihr zu haben. Hendryk schließt die Zelle auf und die beiden Männer stehen sich nach der langen Zeit ohne Barriere gegenüber, das erste Mal nachdem sich ihre rivalisierende Freundschaft entwickelt hat. Trotz des vielen Sports, den sie gemacht haben, fällt Hen auf, dass sein Kontrahent noch immer einen angenehmen Körperduft verströmt, doch wie merkwürdig käme es rüber einen Kommentar dazu abzugeben, statt dessen sagt er frech: „Und benimm dich. Wenn ich mit deinem Betragen unzufrieden bin, kommst du direkt wieder da rein.“ „Wenn ich es gewollt hätte, wärst du jetzt schon bewusstlos.“ Kontert Nico , woraufhin Hendryk spöttisch lacht: „Ha, versuch‘s doch, dann müssen sie dich zur Anhörung tragen!“ Die beiden funkeln sich an. Dann haut Hendryk dem Mann, der in vielerlei Hinsicht eigentlich sein Feind sein müsste, völlig unerwartet mit der flachen Hand auf den Rücken. „Haha, du bist echt in Ordnung, Nico. Das werden die Ratsmitglieder schon merken. Wenn du frei kommst und eine Unterkunft brauchst, bist du bei mir willkommen.“ Dieser freut sich über das Angebot. Wer hätte gedacht ausgerechnet hier unten einen so guten Freund zu finden? Am Nachmittag tritt der rosheanische Hauptmann endlich vor den Rat. Ratsversammlungen sind immer öffentlich, aber es interessiert fast keinen der Bürger. Die lange Zeit der Besetzung, ohne dass etwas dagegen getan wird, hat die sie politikverdrossen gemacht. Die Versammlung findet im großen Ratssaal statt, der wie ein Halbkreis aufgebaut ist. Hier finden sonst die Gerichtsverhandlungen statt, oder sie würden hier stattfinden, wenn es noch welche gäbe. Seit dem Waffenverbot und der Angleichung der Gesellschaftsstände, gibt es in Kalaß so gut wie keine Kriminalität mehr, weshalb es auch keine Verhandlungen gibt. Im Hintergrund an der Wand hängt eine riesige grüne Flagge mit dem Wappentier von Kalaß, dem Pfau. Kara und Hendryk nehmen in den fast leeren Zuschauerrängen platz. Ikky ist auch gekommen. Sie setzt sich jedoch nicht zu den beiden. Sie fühlt sich von ihnen verraten. Das Kara und Hendryk sich für die Freilassung eines rosheanischen Soldaten einsetzen, kann sie ihnen nicht verzeihen. Sie hofft inständig auf ein negatives Urteil. Hendryk ist froh, dass sie Abstand nimmt. Er kann ihr nicht vergeben wie schaulustig sie gewesen ist, als es ihm schlecht ging. Die neun Ratsmitglieder sitzen wie eine Jury vor einem Rednerpult, vor das nun der anzuhörende Nico Dugar tritt. Farsa Gena, genau in der Mitte aller Mitglieder stehend, eröffnet die Sitzung. Der Angeklagte stellt sich als Hauptmann mit der Hauptaufgabe der Stadtaufklärung vor. Er erzählt zunächst alles was er über den Konflikt zwischen Roshea und Yoken weiß und was Kalaß damit zu tun hat. Es ist im Kern dasselbe, das er schon Kara und Hendryk erzählt hat. Die meisten Zusammenhänge kannte der Rat, einige waren neu. Sie wussten zum Beispiel nicht wie labil der königliche Hof in Roshea ist. König Riecard hatte auf Kalaß immer einen sehr starken Eindruck gemacht. Nico erklärt ruhig mit einem Funkeln in den Augen: „Eben diesen Umstand, dass der Hof innerlich zerstritten und vergiftet ist, können wir uns zu Nutze machen, wenn wir die Besetzung beenden wollen. Wir brauchen nur einen kleinen Auslöser und schon wird Riecard seine Königin zu sich zurück beordern müssen.“ Zodora, die stämmige Vertreterin der Bauern fragt interessiert nach: „Und den haben Sie?“ Und Nico antwortet selbstbewusst und zuversichtlich lächelnd: „Möglicherweise.“ Bodral, der konservative Handwerker wirft ein: „Wenn eine Lösung existiert, warum haben Sie sie dann nicht schon viel früher umgesetzt?“ „Darauf habe ich zwei Antworten. Zum einen hatte ich noch nie so viel Zeit, um über das Problem nachzudenken und zum anderen ist die Umsetzung sehr riskant.“ erläutert Nico entkräftend. Alshala, die Bäckerin, bei der Kara vor kurzem war, wird ungeduldig: „Sie haben jetzt genug darum herum geredet. Wie lautet denn Ihre Idee?“ Jetzt kommt der schwierige Teil seines Vortrags, der einige Zusammenhänge enthält, die er vor Hendryk und Kara bisher verbogen hat. Unwillkürlich fährt er sich durch die Haare und beginnt dann auszuführen: „Um das zu beantworten muss ich noch ein paar Dinge über Imperatorin Estells Personalpolitik erklären, die innerhalb des Militärs höchst umstritten ist. Diese Frau sucht sich ihre Gefolgsleute gewissenhaft und nach einem bestimmten Muster aus. Sie durfte zwar nur wenige Männer mitzunehmen, hatte aber die Befugnis diese alle selbst von Hand zu verlesen. Meine folgende Äußerung beruht nicht auf Gerüchten. Sie besetzte die höheren Positionen mit Männern, die sie zum einen für absolut loyal hielt und zum anderen ihren persönlichen Vorlieben entsprachen.“ Zodora kann nicht an sich halten und platzt erheitert mit der Frage dazwischen: „Soll das heißen, die gesamte Offiziersriege besteht aus den Geliebten einer selbst ernannten Imperatorin?“ Bodral steht von seinem Stuhl auf und ruft gehässig dazwischen: „Ha, ich habe eine bessere Frage. Wie sind SIE denn an Ihren Posten gekommen, Herr Hauptmann?“ Kara versteht gar nichts mehr. Davon hatte Nico in den letzten Wochen kein Wort erzählt. Er soll ein Geliebter der Königin sein? Das will sie nicht glauben. Sie ist aufgewühlt und hält die Luft an. Nico schaut offen nach und nach in die Gesichter der Neun, bleibt bei Farsa Gena stehen und lächelt selbstsicher. „Ich weiß, dass mich diese Information in ein schlechtes Licht rückt. Viele unserer Offiziere sind tatsächlich auf diesem Weg zu ihrem Posten gelangt. Ob Sie mir das jetzt glauben oder nicht, ich gehöre nicht dazu. Beim Einstellungsgespräch hat sie sich versucht mir zu nähern. Man hat mir angeraten in so einem Fall unbedingt auf sie einzugehen, was ich aber nicht tat. Wozu auch, denn ich habe sie abblitzen lassen und den Posten trotzdem bekommen.“ Kara atmet erleichtert durch und Hendryk ärgert sich ein bisschen. Um Haaresbreite wäre Nico beim Kampf um Karas Herz aus dem Spiel gewesen. Nicos ungeheures Selbsstbewusstsein erfüllt den ganzen Saal. Er mag der Angeklagte sein, doch es kommt den Zuschauern und Anklägern eher vor wie eine Bewerbung. Noch immer ein zuversichtliches Lächeln auf den Lippen erklärt er weiter: „Ich war der beste Anwärter für den Posten des Kommandanten, denn ich habe nicht nur achtzehn Jahre in dieser Stadt gelebt, sondern auch schon größere Erfolge in meiner Laufbahn vorzuweisen, als die meisten Generäle, die sich in Nalita hinter ihren Schreibtischen verkriechen. Aufträge, die mir anvertraut werden, und seien sie noch so schwierig, führe ich zum Erfolg, denn ich bin ein unnachgiebiger Mann der Tat und das ist auch bekannt beim Königlich Rosheanischen Militär. All das machte mich zur einzig geeigneten Wahl für Imeratorin Estells rechte Hand. Eines möchte ich noch hinzufügen. Bitte glauben sie mir, alle wie sie hier sitzen, wäre es mein Wunsch gewesen Kalaß zu Fall zu bringen, dann wäre es schon geschehen. Ich bin es, der den Eroberungseifer der Imeratorin bremst, denn sie hört auf das was ich sage. Mein Wunsch ist es meine Heimatstadt möglichst unversehrt aus dieser Situation heraus zu bringen, auch wenn es fast unmöglich scheint. Dafür arbeite ich Tag und Nacht.“ Seine Rede hallt nach und schüchtert nicht wenige im Raum etwas ein, anderen macht sie Mut. Nico findet es schade, dass nicht viele Menschen aus der Bevölkerung an der Anhörung Teil nehmen, denn hier hätte er die Gelegenheit gehabt ihre Herzen für sich zu gewinnen. Nicht jeder lässt sich gleichermaßen von Nicos überzeugender charmanter Art vereinnahmen. Erfolge sind schön und gut, doch trotzdem hat er Alshalas Frage nicht beantwortet, weshalb sie noch einmal ungeduldig nachfragen muss: „Wie lautet denn nun Ihre Idee, Herr Dugar?“ Er hoffte er hätte alle Anwesenden die Ursprungsfrage vergessen lassen, doch das hat er zu seinem Leidwesen nicht gschafft. Er fährt sich wieder durch sein Haar, was seine Nervösität auffliegen lassen würde, wenn jemand wüsste, dass er das völlig unbeabsichtigt tut, wenn er unsicher wird. Etwas widerwillig legt er seinen Plan offen. Das Lächeln vergeht ihm dabei. „Nun, meine Idee hat mit Imperatorin Estells Beziehungen zu ihren Offizieren zu tun. König Riecard wusste lange nichts von ihren Affären. Als neuerliche Gerüchte darüber auftauchten, schickte er seiner Gemahlin einen Wachhund auf den Hals. Einen Spitzel, der sie den ganzen Tag über begleitet. Er ist seit höchstens zwei Monaten vor Ort. Er kam kurz bevor ich Kara rettete. Würde ihm jemand beweisen, dass die Imperatorin Ehebruch begeht, würde sie unverzüglich vom König zurückbeordert. Bei dem instabilen Hofstaat, den er hält, kann er sich ein solches Verhalten von seiner Gattin nicht bieten lassen. Er würde an Macht verlieren, was ihn höchst angreifbar für den Hochadel macht, der ihn zu entthronen gedenkt, sobald er einen Fehler begeht. Doch solange sein Ansehen groß genug bleibt, kann er auch König bleiben.“ Die Kunsthandwerkerin Lish wirft mit einer eher lieblichen Stimme die Frage ein: „Und wer soll Ihrer Meinung nach die Königin an den Vertrauten des Königs verraten? Das müsste ja jemand sein, der sich bei ihr im Stützpunkt befindet.“ „Das wäre selbstverständlich ich. Wenn ich sie nicht persönlich verraten kann, so finde ich bestimmt unter meinen Freunden jemanden, der es für mich übernehmen kann. Auf jeden Fall müssten Sie mich an sie ausliefern.“ erläutert Nico und Kara springt auf. Aus ihr platzt ein empörtes „Wie bitte!?“ heraus, was er bis zu zu sich hören kann und darauf ein verbissenes und unglückliches Gesicht macht. Kara hält er für das größte Hindernis für diesen Plan, weil er befürchtet sie damit zu verletzen, was sich nun bewahrheitet. Ein lautes Raunen geht durch den Raum, bis Farsa Gena das Getuschel beendet. „Ruhe im Saal! Wir haben seinen Vorschlag gehört. Wir werden zwei Abstimmungen machen. Eine über sein Recht sich frei bewegen zu können und eine über seinen Plan zum Sturz der Besatzungsmacht.“ Der Ältestenrat stimmt ab. Alle, deren Zustimmung Kara vor der Anhörung erlangt hat, stimmten für eine Freilassung und auch Alshala hat sich dazu durchgerungen dafür zu stimmen. Sie kann sich nicht so richtig erklären wieso sie ihre Meinung geändert hat. Der Hauptmann hat eine Ausstrahlung, die sie tatsächlich auf ein Ende der Besatzung hoffen lässt. Sie ist auch eine Fürsprecherin ihn loszuschicken um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Sie weiß nicht was es noch zu verlieren geben soll, was bei diesem laschen Ältestenrat nicht schon längst verloren ist. Er ist seit Monaten der erste, der überhaupt einen konkreten Vorschlag zur Befreiung vorgebracht hat. Sie will sich an diesem kleinen Strohhalm festhalten. Der Rat steht allerdings nicht hinter ihr. Bei dem Vorschlag Nico auszuliefern, scheiden sich die Geister erneut und es kommt zu keinem klaren Ergebnis. Nico erhält seine Freiheit unter Auflagen. Er darf sich nur in bestimmten Bereichen der Stadt aufhalten und keinen Kontakt zum Militär von Roshea aufnehmen. Als Farsa Gena die Entscheidung verkündet ist Nico ist in erster Linie unglaublich erleichtert endlich aus diesem dunklen Kellerloch heraus zu kommen, in dem ihm die Luft zum Atmen gefehlt hat. Es liebt es den frischen Wind auf seiner Haut zu spüren und konnte die Gefangenschaft deshalb nur schwer ertragen. Seine beiden größten Unterstützer freuen sich zwar ebenfalls über den Erfolg, doch Kara ist auch ziemlich verärgert. Nach der Auflösung der Sitzung, tritt Nico an Farsa Gena heran: „Ich habe, wenn möglich, eine persönliche Bitte an Sie und den Rat.“ Sie schaut ihn interessiert an. „Welche denn, junger Mann?“ „Es geht um Kara. Sie macht seit einiger Zeit keine Hausbesuche mehr bei ihren Patienten, doch sie fehlen ihr. Alleine will sie sie jedoch nicht mehr machen. Hendryk muss doch nun keinen Wachdienst mehr halten und könnte sie zum Schutz begleiten. Könnten Sie ein gutes Wort für ihn bei Fendaris einlegen, um ihr Geleitschutz zu gewähren?“ Nico lässt seinen Charme spielen, während er seine Bitte ausspricht. Er hat sie voll in seinen Bann gezogen, denn sie ist beeindruckt von seiner Erscheinung. „Keine Bitte im eigenen Sinn, Herr Dugar? Sehr interessant. Ich werde sehen was sich tun lässt.“ Nun ist der Hauptmann endlich frei und darf den Ratssaal verlassen. Unmittelbar nach seiner Bitte wird die junge Stadtwache Hendryk wird direkt zu Farsa Gena und Fendaris in einen Nebenraum gewinkt. Er denkt, dass er für den Vorfall am Markt jetzt vielleicht noch verspätet zur Rechenschaft gezogen wird. Auf jeden Fall wird es ein Personalgespräch aller höchster Güte für ihn und das macht ihn etwas nervös. Kara geht unterdessen gezielt auf Nico zu, der noch mitten im Saal steht. Sie lächelt nicht. Bei ihm angekommen fällt sie ihm nicht in die Arme, wie er sich das vorgestellt hatte, sondern gibt ihm eine gepfefferte Ohrfeige, ganz so wie in Hendryks Geschichte über den Lügen erzählenden Kommilitonen. Nico war darauf überhaupt nicht vorbereitet. Das laute Klatschen ist im ganzen Ratssaal zu hören und zieht die Blicke der verbleibenden Leute auf sich. Mit fragendem Blick sieht er sie an, während sich seine Wange vom Schlag rot zu färben beginnt. Völlig aufgebracht wettert sie: „Was fällt dir ein vor dem Rat so einen Vorschlag zu machen und nicht mit mir vorher darüber zu reden!?“ Nico packt Kara am Arm und zieht sie hinter sich ein Stück her in eine ruhige Ecke, in der keine Zuschauer hat. Er wendet sich an sie und sagt leise in einem möglichst verständnisvollen Ton: „Du hättest ihn abgelehnt.“ Sie reagiert immer noch genauso aufgebracht wie zuvor: „Ganz genau und deshalb ziehst du es auch vor es mir gar nicht erst zu sagen. Nico, kaum…kaum bist du wieder da, willst du mich gleich wieder verlassen- schon wieder. Erst Yoken und jetzt… “ Kara spürt wie ihr bei diesem Satz heiße Tränen über ihre Wangen laufen. Die hatte sie zunächst versucht zurückzuhalten, doch jetzt schämt sie sich nicht mehr dafür. Soll Nico ruhig sehen, was er da angerichtet hat und genau das tut er auch. Er versteht, dass sie um ihn weint und spürt zum ersten Mal ihre tiefe Zuneigung. Er hält die Situation für geeignet sie zärtlich zu umarmen. Er nimmt die Möglichkeit in Kauf von ihr zurückgewiesen zu werden, doch dieses Risiko geht er gern ein. Ohne jede Gegenwehr, lässt sie es zu. Wie lange hatte er schon mit der Vorstellung gespielt sie einfach so in den Arm nehmen zu können? In seiner Zelle hatte er viel Zeit darüber nachzudenken wie es wäre mit Kara zusammen zu sein. Ganz sanft, im Versuch sie nicht noch weiter aufzuregen, sagt er: „Ich wäre nur kurz weg. Nach erfolgreicher Mission kehre ich zu dir zurück.“ Sie ist überwältigt von dem Gefühl endlich in seinen Armen zu liegen. Es fühlt sich ganz anders an als eine Umarmung von Hendryk. Das macht ihr nur noch mehr Angst Nico gleich wieder zu verlieren. Sie will nicht, dass er allein in den Kampf zieht. Sie würde ihn gern begleiten, doch was soll sie in dieser Situation schon ausrichten? Sie fleht ihn an: „Bitte tut es nicht... Wenn dich die Königin nicht tötet, dann macht dich spätestens dein Verrat zum Staatsfeind von Roshea.“ Nico streicht ihr sanft durch ihr seidiges dunkelrotes Haar und versucht sie zu beruhigen. „Dann hätte sie das Kopfgeld auf mich nicht lebend ausgesetzt. Kara, vertrau mir. Der König von Roshea wird mir für meine Treue Danken. Ich werde zurückkehren, denn ich habe dort viele Freunde.“ Er sagt ihr das alles als wäre er sich seiner Sache sicher. In Wahrheit ist er das nicht. Sie lösen die Umarmung etwas. Kara fasst sich ein wenig und sagt mit wieder erstarkter Stimme: „Es ist ohnehin egal was du über deine Erfolgschancen denkst. Der Rat wird deinem Vorschlag niemals zustimmen.“ Er versteht nicht ganz und fragt wieso. Sie antwortet überzeugt: „Du weißt wie konservativ der Ältestenrat ist. Er hat viel zu große Angst verraten zu werden. Jetzt wo du deinen Vorschlag ausgeplaudert hast, wird er dich vielleicht sogar überwachen lassen. Das hätte ich dir auch schon vorher sagen können.“ Nico versteht es immer noch nicht und konkludiert: „Aber wenn sie auch weiterhin untätig bleiben, wird diese Stadt früher oder später komplett fallen.“ Kara stimmt zu. „Ja, so wird es sein.“ „Was für ein Starrsinn....Aber ich muss dir noch etwas anderes sagen Kara. Ich habe Farsa Gena vorhin darum gebeten dir Hendryk wieder als Begleitschutz an die Seite zu stellen, damit du wieder Hausbesuche machen kannst. Wenn sie zustimmt und du wieder deine Runden machst, dann pass bitte ganz besonders auf dich auf. Ich kenne den Mann, der dich überfallen hat. Er ist einer von der Sorte, die sich an Dingen festbeißen können.“ Erklärt er, was Kara sehr freut und sie wunderschön lächeln lässt. „Vielen Dank. Du weißt gar nicht was mir das bedeutet. Wenn Hen bei mir ist, brauche ich keine Angst zu haben. Er wird mich vor diesem Soldaten beschützen.“ Das Paar schweigt einen Moment. Die junge Frau legt ihre Stirn an Nicos Brust und er seine Arme wieder um sie. Nach einer kurzen Verzögerung fordert sie zärtlich. „Ich habe auch eine Bitte an dich, Nico. Wenn der Rat deinen Vorschlag ablehnt, bleibst du dann bei mir? Lass uns gemeinsam gegen die Besatzer kämpfen und...lass mich...lass mich bitte nie wieder allein.“ Der junge Mann erinnert sich daran was Hendryk ihm über Karas Kindheit erzählt hat. Er berührt sie sanft am Kinn, sodass sie ihren Kopf anhebt. Die beiden sehen sich an, während eine einzelne Träne Karas gerötete Wange herunterläuft, die Nico zärtlich mit dem Daumen wegwischt, in sich geht und dann leise und ein wenig widerwillig verspricht: „Wenn du es dir wünschst, gehe ich nicht.“ Sein Blick ist stark und sanft zugleich und das hat eine unwiderstehliche Wirkung auf Kara. Er beugt sich ein Stück zu ihr hinunter. Als sich ihre Lippen zärtlich berühren, zuckt die junge Frau kurz ein wenig zurück, doch Nico lässt sich davon nicht beirren. Er fährt ihr zärtlich durch ihr volles Haar an ihren Hinterkopf, um sie ein wenig an sich heran zu drücken. Also sie ihre Hand auf seinem Rücken ablegt, hat er die Bestätigung dafür, dass der Kuss für sie völlig Ordnung ist. Trotzdem muss Nico beherrschen. Er hatte Karas Hingabe in den endlos langen Nächten in seiner Zelle herbeigesehnt und mehr als einmal gingen seine Gedanken mit ihm durch. Diese Frau ist für ihn bestimmt. Seine Großmutter hatte recht, denn Kara ist Nicos absolute Traumfrau. So ein intensives Gefühl hat er noch nie zuvor für eine Frau empfunden und das ist es auch was ihm die Sinne raubt als sei er ein Jugendlicher. Mitten während des Kusses findet Hendryk die beiden in einer leicht verwinkelten Stelle des großen Saales vor. Eigentlich wollte er Kara die freudige Nachricht überbringen, dass er sie wieder bei ihren Hausbesuchen begleiten darf, doch als er die Situation erkennt, hält er inne. Für ihn bricht eine Welt zusammen und ohne ein Wort zu sagen verschwindet er. Die beiden Liebenden haben Hendryks Anwesenheit nicht bemerkt. Die junge Frau ist ziemlich aufgeregt, denn da sie so große Schwierigkeiten mit Beziehungen hat und so unnahbar ist, hatte sie noch niemals einen festen Freund. Hendryk, der ihr mit Abstand am nächsten stand, weiß das natürlich, Nico aber nicht. Die beiden beginnen nach der jungen Stadtwache zu suchen, doch sie bleiben erfolglos. Da Nico selbstverständlich kein eigenes Haus und auch noch andere keine Unterkunft hat, geht er erst einmal mit zu Kara, was Farsa Gena genehmigt hat. Die beiden waren noch nie länger miteinander allein und haben beide sehr unterschiedliche Erwartungen von der Situation. Die Dämmerung beginnt langsam einzusetzen, als sie bei ihrem Haus ankommen. Es ist mild und man sieht schon jetzt, dass es eine sternenklare Nacht wird. Nico genießt das laue Lüftchen, das ihm durch die Haare weht und kann sich nur schwer vorstellen jetzt schon wieder freiwillig in ein Haus hinein zu gehen. Er bemerkt das Plätschern des Kanals vor ihrem Haus, was ihm ebenfalls zusagt. Er erklärt sanft, seine Situation, weshalb sie ihm vorschlägt sich mit ihm auf das Dach zu setzen, um die Sterne zu beobachten. Natürlich stimmt er erfreut zu und die beiden steigen über den Dachboden hinaus auf das blau geschieferte Dach. Es nicht zu steil, um darauf zu liegen. Kara hat das sogar schon öfter gemacht. Sie legen sich nebeneinander hin. Nico schaut sich seine Liebste genau an, denn er kann sein Glück kaum fassen. Ihre makellose helle Haut reflektiert das Licht des Mondes, der auch ihr dunkles Haar schöner glänzen lässt als das Firmament. Er setzt sich auf und beugt leicht sich über sie, um sie besser betrachten zu können, was sie unsicher macht. „Was tust du?“ fragt sie und er flüstert sanft: „Deine Schönheit betrachten, mein Engel.“ Sie fühlt sich geschmeichelt, doch sie weiß gar nicht so genau wie sie darauf reagieren soll. So hat sie noch keiner genannt, naja jedenfalls nicht ohne eine Ohrfeige zu kassieren. Sie sieht ihm direkt in seine schimmernden blauen Augen. Dann beugt er sich zu ihr hinunter und küsst sie erneut. Sie legt ihre Arme um ihn. Der Kuss ist zärtlicher und intimer als ihr erster. Kara ganzer Körper beginnt zu kribbeln. Solche intensiven Gefühle hatte sie noch niemals zuvor und sie glaubt die Kontrolle über sich zu verlieren, was ihr Angst macht. Sie weiß nicht, ob das normal ist, wenn man jemanden küsst, den man liebt, doch es erscheint ihr schon recht heftig, deshalb zieht sie sich plötzlich und ohne Vorwarnung zurück. Nico bemerkt, dass es ihr zwar gefallen hat, er aber wahrscheinlich doch etwas zu forsch war. Er ärgert sich, was er versucht vor ihr nicht zu zeigen. Er legt sich nach hinten und nimmt seine Hände hinter den Kopf. Kara legt sich neben ihn, mit ihren Kopf auf seinen Arm, den er nun um sie legt. Ihre Hand ruht auf seiner Brust und streichelt ihn ein wenig. Nach einer kurzen Weile der Stille flüstert Kara: „Nachnamen wurden in Kalaß doch bereits vor Ewigkeiten abgeschafft, aber du hast einen. Hattest den schon immer? Ich erinnere mich nicht daran.“ Für Nico war es mittlerweile so selbstverständlich einen Nachnamen zu haben, dass er darüber gar nicht mehr nachgedacht hat. Erst Karas Frage bringt seine Erinnerungen an die Namensgebung zurück. „Den habe ich mir bei der Einbürgerung nach Roshea selbst gegeben. Beim Militär ist es nachteilig keinen Nachnamen zu haben.“ Das interessiert Kara sehr. Sie stützt sich etwas auf, um ihn ansehen zu können. „Du hast ihn dir selbst ausgesucht? Dann bedeutet er etwas?“ Nico blickt sie etwas traurig an, doch sie hat das Gefühl er würde durch sie hindurch schauen, als er antwortet: „Ja, so ist es. Es ist etwas kompliziert und tief mit mir verwurzelt.“ Jetzt will sie es erst recht wissen. „Erzählst du es mir?“ „Ich kann es versuchen zu erklären, aber ich weiß nicht, ob es mir gelingt.“ Haucht er, doch die drängt weiter: „Bitte versuche es!“ Er blickt tatsächlich an ihr vorbei. Während er spricht schaut er sich den wunderschönen, hellen Mond an. „Es hat etwas mit meiner Großmutter zu tun. Ich hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu ihr. Ich kann es nur schwer beschreiben. Oft musste ich sie nur ansehen und sie wusste schon was ich sagen wollte. Wir haben uns ohne Worte verstanden. In ihrer Nähe hatte ich ein Gefühl von Geborgenheit, von dem ich heute denke, dass es über normale Emotionen hinausgeht. Sehr oft gingen wir gemeinsam in die Kathedrale von Kalaß. Darauf habe ich mich immer gefreut, denn ich fühlte mich dort sehr wohl. Großmutter erzählte mir, dass unsere Familie eine ganz besondere Verbindung zu dieser heiligen Stätte hätte und sie hatte recht. In der Kathedrale ist am Altar ein Artefakt aus einem aquamarinfarbenen Kristall eingelassen, das den Windgott in Form eines flügellosen Vogels symbolisiert. Der Legende nach wurde dem Windgott die Fähigkeit zu fliegen genommen, weshalb er gezwungen war auf der Erde unter den Menschen zu leben. Die Flügel des Kristallvogels wurden um die Fassung herum in Stein gehauen. Er ist heute noch da. Du kennst ihn bestimmt. Das habe ich noch niemanden erzählt, aber wenn ich nah an ihn herangehe und ihn berühre, dann spüre ich etwas, das sich so ähnlich anfühlt wie die Geborgenheit bei meiner Großmutter. Ich verstehe es selbst nicht, aber das verbinde ich am ehesten mit so etwas wie einer Familie. Das Artefakt trägt den Namen Fuathel Dughar Juwel, das Windgott Sturm Juwel. Ich habe es vereinfacht und zu meinem Nachnamen modifiziert. Es fühlt sich richtig an diesen Namen zu tragen.“ Er wendet seinen Blick wieder Kara zu, die ihn mit großen Augen ansieht, was ihn zum Lächeln bewegt. „Es ist nicht nachvollziehbar, oder?“ Kara bemerkt ihren überraschten Gesichtsausdruck und ändert ihn ab zu einem sanften Lächeln. „Für mich als Gelehrte ist es, um ehrlich zu sein, wirklich sehr schwer zu verstehen. Du sprichst von Telepathie und heiligen, fast schon magischen Artefakten so, als würden sie tatsächlich existieren. Außerhalb von Göttersagen oder okkulten Büchern höre ich zum ersten Mal von so etwas.“ „Du glaubst mir nicht?“ Fragt er ohne Vorwurf, doch es wühlt sie auf. „Das habe ich nicht gesagt. So etwas würdest du nicht erfinden. Ich finde es merkwürdig. Ich sollte mich mit der Herkunft des Windartefakts in der Kathedrale beschäftigen.“ Nico muss ein wenig lachen. „Wie rational du bist, eine wahre Wissenschaftlerin.“ Sie macht wieder große Augen. „Findest du das gut oder schlecht?“ Fragt sie, was er einfach nur süß findet. Er streichelt ihr über ihr Haar, was sie beruhigt und flüstert: „Etwas von beidem. Dinge zu hinterfragen ist gut, aber zu viel Zweifel kann dich auf Dauer unglücklich machen und das möchte ich nicht.“ Sie sinkt wieder auf seine Brust. „Dann zeig mir bitte wie man die Dinge nehmen und akzeptieren kann wie sie sind.“ „Das werde ich.“ Den Rest der Nacht sagt keiner von beiden etwas. Sie genießen einfach die wunderschöne, milde und sternenklare Nacht und ihre gemeinsame Zeit. Bis zum Morgen liegen sie gemeinsam auf dem Dach. Kapitel 6: Oberleutnant Lorans Chance ------------------------------------- Erst als die Sonne aufgeht, gehen Nico und Kara ins Haus, machen sich frisch und frühstücken miteinander. Die beiden haben so gut wie gar nicht geschlafen, sind aber trotzdem nicht müde. Nico fühlt sich befreit und voller Energie, seine Liebste ist, vielleicht durch die Liebe, vielleicht aber auch durch den Schlafmangel, etwas aufgedreht. Als es klopft, sprintet Kara zur Tür und öffnet sie neugierig mit Schwung. Ein etwas müde aussehender Hendryk steht davor, den sie fast überschwänglich freundlich begrüßt. Er kann sich schon denken wieso sie so fröhlich ist und das macht ihm nur noch mehr zu schafften. Er war die ganze Nacht nicht zu Hause und hat sich in der Stadt herumgetrieben, obwohl er weiß wie gefährlich das ist. Er hatte Glück auf keinen Trupp gestoßen zu sein, dabei wollte er das wahrscheinlich sogar, denn dann hätte er sich wenigstens mal wieder richtig prügeln können. Er weiß noch nicht wie er damit umgehen soll, dass er Kara und Nico in dieser eindeutigen Situation gesehen hat, aber trotzdem hat er ihr versprochen sie zu beschützen und das wird er auch halten. Die junge Stadtwache hat keine Ahnung wo Nico übernachtet hat und es ist ihm auch egal, naja nicht ganz egal. Nachdem was er gesehen hat, hofft er dass er nicht bei ihr übernachtet hat, wovon der aber nicht ausgeht, weil das eigentlich nicht Karas Art ist. Als er vor ihrer Tür steht, befindet sich Nico nicht in seinem Sichtfeld, was ihn doch ein wenig erleichtert. Kara bittet ihn zunächst herein. „Hen, da bist du ja. Wir haben nach dir gesucht. Wo warst du denn?“ Er kann der jungen Frau nicht in die türkisen kartenhaften Augen sehen, die er an ihr so mag, weil ihn das nur schmerzen würde. „Ach, ich-ich brauchte nur Zeit um über Nicos Plan nachzudenken. Ist doch auch egal... Ich bin eigentlich hier, um dich abzuholen. Ich darf dich wieder begleiten und deshalb kannst du ab heute wieder deine Besuche machen. Ich war in der Praxis und habe Bescheid gegeben. Hier ist deine heutige Liste.“ Er hält ihr ein Blatt Papier hin, auf der Namen und Adressen stehen. Kara nimmt sie an sich und antwortet erfreut: „Das ist eine tolle Nachricht. Vielen Dank, Hen.“ In diesem Moment ruft eine Männerstimme aus Richtung des Badezimmers: „Ich verstehe dich ganz schlecht. Warte kurz, ich bin gleich fertig.“ Nach einem kurzen betretenem Schweigen von Kara, tritt Nico aus dem Bad hervor, der grade dabei ist sein Shirt wieder anzuziehen. Schon bei seinem Zuruf zur Salzsäule erstarrt, sieht Hendryk seinen Freund und Konkurrenten halb nackt in Karas Haus herum spazieren. Aus ihm platzt es nun aggressiv heraus: „Ach, hier hat der Gigolo heute also geschlafen?“ Mit Hendryk hatte er jetzt nicht gerechnet, deshalb macht Nico ein überraschtes Gesicht, doch bevor er antworten kann, springt Kara stellvertretend ein: „Was meinst du mit Gigolo? Er… naja er sagte mir du hättest dein Haus als Unterkunft angeboten, doch du warst nicht da, deshalb… Wir konnten ja nicht einfach in dein Haus eindringen.“ Hendryk senkt seinen Blick. Er muss aufpassen nicht direkt auf den Schürzenjäger Nico loszugehen. Dass er überhaupt nicht auf Karas Aussage eingeht, empfindet sie als Zustimmung. Da sie noch eine Menge vorzubereiten hat, bevor sie auf Patientenbesuche gehen können, verabschiedet sie sich knapp und geht in den Nebenraum. Nico eilt zu dem völlig verstörten Hendryk und versucht ihm leise, aber sehr verständnisvoll zu befragen: „Kann es sein, dass du gestern verschwunden bist, weil du uns gesehen hast?“ Hendryk dreht sich, die Arme verschränkend, von ihm weg. Für ihn ist die Sache klar. Kaum hat Nico einen Fuß in der Tür, entreißt der der wundervollen Kara die Unschuld. „Und? Wie war sie so?“ fragt er spitz, was Nico sauer macht. „Hör auf so über sie zu sprechen!“ Der sich im Recht fühlende Hendryk antwortet abschätzig: „Das musst du gerade sagen, du Casanova. Du hättest sie ja nicht gleich flachlegen müssen, wo sie doch…, ach egal.“ Nico glaubt nicht was er da hört. „So denkst du also von mir, ja? Ich dachte das hätten wir geklärt.“ Hendryk steht seitlich zu Nico, sieht ihn an zuckt mit den Schultern. „Die Anzeichen sind doch eindeutig.“ Eins und eins zusammenzählen kann er ja wohl noch. Da war die Anbahnung, der Kuss, die gemeinsam verbrachte Nacht, der halbnackte Liebhaber... das reicht ihm als Beweis. Nico geht näher an die junge verärgerte Stadtwache heran. Trotzdem wird sein Ton ein wenig lauter, sodass er Gefahr läuft, dass sein Liebste ihn hört. „Es ist Kara, über die wir hier sprechen und nicht irgendein Mädchen. Sie ist etwas Besonderes. Das weißt ich genauso gut wie du, klar? Was wäre ich für ein Mann gleich bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet mit ihr ins Bett zu steigen?!“ Hendryk spottet: „Ein ziemlicher Arsch auf jeden Fall.“ Nico verteidigt sich fast schon flehend, was sonst eher nicht seine Art ist. „Über den Kuss hinaus ist nichts passiert. Wir haben uns nur die Sterne angeschaut und mehr nicht. Frag sie doch selbst!“ Hendryk löst seine verschränkten Arme. Ihm geht ein Licht, als er einen leicht verzweifelten Unterton in Nicos Ausführung wahrzunehmen glaubt, deshalb huscht ihm ein Grinsen übers Gesicht. „Sie hat dich nicht ran gelassen, oder? Nico, ehrlich, so verzweifelt wie du gerade aussiehst, glaube ich dir, dass da nichts weiter gelaufen ist.“ Nico atmet tief durch. Natürlich hätte er so lange weiter gemacht, wie sie ihn gelassen hätte und das wäre ein Fehler gewesen. Es war wohl also ganz gut, dass sie ihn letzte Nacht zurück gewiesen hat. Jetzt ist er fast schon erleichtert darüber, denn er hat in der jungen Stadtwache einen guten Freund gefunden, den er nicht gleich wieder verlieren will. Hendryk erklärt nun wieder angespannt: „Trotzdem, das was ich mit eigenen Augen gesehen habe reicht mir erstmal. Keine Ahnung…“ Nico kann sich vorstellen was er ihm damit sagen will. Es fühlt sich wahrscheinlich nicht gut an das Mädchen vor der Nase weggeschnappt zu bekommen. Er sollte es lieber langsam angehen lassen, deshalb fragt er: „Passt auf Hen, ich halte es für keine gut Idee gleich bei Kara einzuziehen. Sag, steht dein Angebot noch, dass ich bei dir wohnen kann?“ Hendryks Gesichtsausdruck erhellt sich als er das hört. Ein Gigolo, der bei ihm wohnt, kann keinen Schaden anrichten, deshalb stimmt er nur zu gern zu: „Klar steht das noch. Jede Nacht, die du nicht mit ihr verbringst, ist mir willkommen, Kumpel.“ Die beiden grinsen sich herausfordernd an. Nico klopft Hendryk auf die Schulter. „Danke.“ Kara hat inzwischen alles gepackt und kommt in just diesem Moment zurück und sagt: „Ich finde es toll, dass ihr euch jetzt so gut versteht.“ Die Männer müssen darüber etwas lachen, denn ihre Naivität in manchen Dingen ist einfach nur niedlich. Ihr ist nach wie vor nicht aufgefallen wie groß die Rivalität zwischen den beiden in Wahrheit ist. Zwischenmenschliche Beziehungen zu deuten ist nun einmal wirklich nicht ihre Stärke. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie eher wenig Erfahrungen mit anderen Menschen gesammelt hat. Sie war immer eine Eigenbrötlerin, die fast ihre komplette Jugend damit verbracht hat Bücher zu wälzen. Niemals ist sie mit anderen jungen Leuten unterwegs gewesen. Ihr einziger richtiger Freund war all die Jahre nur Hendryk, der neben ihr noch einen „normalen“ Freundeskreis hatte. Als Ärztin kann dieser Makel recht hinderlich sein, denn sie hat Schwierigkeiten damit Lügen aufzudecken und manchmal auch damit Emotionen zu lesen. Ihr selbst ist das gar nicht so bewusst. Kara und Hendryk verabschieden sich. Nico bleibt an diesem Tag in Karas Haus zurück, denn sie wollen keine Zeit mehr verlieren. Hendryk hat noch eilig einen Zeitplan für die heutige Route aufgestellt, der recht gut funktioniert. Er hat sich in der Praxis alles mitgeben lassen, was sie brauchen, weshalb sie heute nicht vorher zum Markt müssen. Das ist sowieso eine Zone in der er besonders Acht geben muss nicht gesehen zu werden. Oberst Haven kann sich mit Sicherheit noch an sein Gesicht erinnern. Jetzt wo Ikky nicht mehr dabei ist, geht er Kara helfend zur Hand und er erinnert sie stets an den Zeitplan. Die beiden sind ein effektives Team. Auf ihrer Tour kommen sie auch bei der alten Dame Margret vorbei, die sich besonders freut Kara zu sehen und erleichtert über ihrer Begleitung ist: „Hendryk, schön dich wieder zusehen. Wie lange ist es wohl her? Ein halbes Jahr? Ich bin so froh, dass du Kara wieder begleiten darfst. Es war schlimm ohne dich. Sie kam überhaupt nicht mit ihrem Zeitplan zurecht. Nur gut, wenn du da mal wieder Ordnung rein bringst.“ Kara, die gerade eine Kräutertinktur anrührt, lacht verlegen. Hendryk, der nichts weiter zu tun hat steht an der Tür und schaut durch das Glas darin auf die Straße hinaus. Er dreht sich zu Margret und antwortet schelmisch lächelnd: „Ohne mich ist sie eben aufgeschmissen.“ Kara schaut etwas beleidigt zu ihm als sie das hört, auch wenn er vielleicht recht hat. Die alte Dame lacht und fragt Kara leise, so dass er sie nicht hört: „Bist nun endlich mit Hendryk zusammen?“ Kara schüttelt verdutzt den Kopf. Es haben scheinbar wirklich alle außer ihr selbst davon gewusst. Margret fragt weiter: „Schade, er ist wirklich ein guter Junge. Und was ist mit dem hübschen Offizier, der dir vor ein paar Monaten geholfen hat? Der stand doch eindeutig auch auf dich, oder nicht?“ Kara wundert sich wirklich, wie Margret das alles wissen kann? Sie druckst herum: „Der Offizier…naja, wir...“ Die alte Dame bohrt weiter nach: „Oh, ist da vielleicht was zwischen euch?“ „Margret, woher weißt du das nur alles? Es ist mir etwas unangenehm, aber ja da ist etwas zwischen mir und dem Offizier. Erzähl es bitte nicht weiter.“ Die alte Dame ist richtig aufgeweckt. „Ist das aufregend, eine verbotene Liebe. Hach, ich wär so gerne noch mal jung. Aber ich verstehe das natürlich und solange du es nicht möchtest, werde ich keiner Menschenseele davon erzählen.“ Kara bedankt sich. Als sie fertig sind gehen sie zum nächsten Patienten. Die junge Frau hat keinen genauen Überblick über den Tagesplan. Hendryk führt sie und gibt ihr vor wie viel Zeit sie hat. Am fortgeschrittenen Nachmittag betreten die beiden ein Haus das Kara keinem ihrer Patienten zuordnen kann und neue Fälle nimmt sie zurzeit nicht an. Hendryk schließt die Tür hinter ihr. Sie macht einen verwundeten Gesichtsausdruck: „Was machen wir hier?“ Er bleibt an der Tür mit dem Rücken zu Kara stehen. Sie schaut sich um, doch es scheint niemand im Haus zu sein. „Hen, wo sind wir denn hier?“ „Das ist das Haus meines Onkels. Er ist um diese Zeit noch bei der Arbeit.“ Er dreht sich zu ihr ins Profil, schaut sie aber immer noch nicht an. „Ich brauchte einfach mal ein Ort, an dem ich ungestört mit dir reden kann.“ Kara schaut nach wie vor etwas verwundert, nickt aber leicht. „In Ordnung, was hast du auf dem Herzen?“ Nach einer kurzen Pause, sagt er frei heraus: „Du hast dich von Nico küssen lassen… Ich habe es gesehen. Ich weiß, du bist mir keine Rechenschaft schuldig, aber...“ Hendrik dreht sich jetzt ganz zu Kara um, die ein wenig neben der Spur ist. Das ist eine sehr schwierige Situation für die beiden. Er macht einen Schritt auf sie zu, sodass er sehr nah vor ihr steht. Sie weicht nicht zurück, obwohl er ihr etwas näher gekommen ist, als sonst. „Kara, sei bitte ehrlich. Was empfindest du für mich?“ Vor so einer Frage hatte sie sich gefürchtet. Sie schweigt kurz und versucht dann sanft zu lächeln. „Hen, ohne dich wäre ich nicht die, die ich jetzt bin. Ich habe dir alles zu verdanken. Du bist für mich wie ein Teil meiner Familie, wie ein Bruder vielleicht.“ Er entgegnet gefasst: „Ich verstehe.“ Er scheint völlig unbeeindruckt von ihrer Antwort zu sein. Er tritt noch ein weiteres kleines Stück an sie heran und streichelt ihr mit seinem Handrücken über die Wange. Wieder weicht sie nicht zurück, doch ihr Herz beginnt schneller zu schlagen und ihr Mund wird plötzlich trocken. Er beugt sich ein Stück zu ihr hinunter und lehnt dann seinen Kopf seitlich an den ihren. Mit der Hand, die eben noch an ihrer Wange war, streichelt er ihr jetzt sanft am Hinterkopf durchs Haar und den anderen Arm legt er um sie. Er flüstert ihr ins Ohr: „Es sollte sich ganz natürlich für dich anfühlen, wenn dich dein Bruder umarmt, aber du kannst vor mir nicht verbergen, dass du nervös bist. Ich spüre es. Warum belügst du dich also selbst?“ Kara lässt ihren Kopf an seine Schulter sinken. Sie schämt sich. Ihr schlägt mittlerweile das Herz bis zum Hals. Sie findet es gemein was er da macht, weil er ihr und auch sich selbst damit nur weh tut. Er hebt ihr Kinn sanft an und nähert sich ihr, um sie zu küssen. Kurz bevor sich ihre Lippen berühren, flüstert sie mit geschlossenen Augen: „Hör auf damit, Hen. Das verletzt nur uns beide.“ Da ihn das nicht aufhält, muss sie ihr Gesicht ein wenig von ihm weg drehen. Von Nico hat sie sich küssen lassen, aber von ihm nicht. Damit ist es eindeutig. Hendryk richtet sich auf. Sein Blick wirkt ernst und etwas verkrampft. Kalt sagt er: „Ich musste das probieren, sonst hätte ich mir auf ewig Vorwürfe gemacht. Aber ich verstehe…“ Er geht einen kleinen Schritt zurück, berührt sie aber noch. „Da gibt es noch etwas, das mich beschäftigt...etwas das mich einfach nicht in Ruhe lässt.“ Er macht eine kurze Pause, bevor er verbissen weiter spricht. „Bitte sag mir, wenn ich es dir eher offenbart hätte, ich meine noch bevor Nico wieder aufgetaucht ist, hätte ich dann eine Chance bei dir gehabt?“ Sie fleht ihn an: „Bitte tu dir das nicht an! Denk nicht über solche Dinge nach!“ Er lässt sie los und dreht sich weg. „Warum nicht? Die Frage drängt sich mir seit Wochen immer wieder auf. Ich bekomme sie nicht aus meinem Kopf.“ Sie berührt seinen Arm. Gerade erschien er noch so gefasst, doch jetzt zittert er. Sie sucht seinen Blick doch er versucht ihr auszuweichen. Sie weiß wie sehr ihn die Frage gequält haben muss, damit er sich überwinden konnte sie auszusprechen. Zögerlich antwortet sie: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ Hendryk ballt seine Hand zur Faust und flüstert verzweifelt: „Ich bin so ein Idiot.“ Er geht hinaus und die junge Frau läuft ihm nach. Den Rest des Weges schweigen sie sich an. An Karas Haus wartet Nico schon auf die beiden. Er freut sich sie wieder zu sehen. Er war einkaufen und hat das Abendbrot vorbereitet. Schon von Weitem erkennt er die miese Stimmung der beiden. Er schnappt sich etwas Brot und Wurst vom Tisch und packt es ein. Er macht sich bereit für den Aufbruch, denn wie gemeinsam Abendessen sieht ihm das nicht aus. Da scheint es dicke Luft gegeben zu haben. Hendryk läuft an ihm vorbei und sagt dabei: „Lass uns gehen!“ Dann dreht er sich um und sagt etwas unterkühlt: „Bis morgen, Kara.“ Sie bemüht sich um ein herzliches „Bis morgen“. Sie berührt die Hand ihres Liebsten, der schon langsam los läuft. Dabei lächelt er sie zärtlich an, doch sie erwidert es nicht, sondern hat einen traurigen Blick. Kara läuft noch ein paar Meter mit und streckt ihren Arm nach Nico aus, bis ihre Hände sich verlieren. Sie sieht den beiden Männern nach, die ihr mehr bedeuten als alles andere auf der Welt, dann geht sie ins Haus, wo ein bereits vorbereitetes Abendbrot auf sie wartet, das sie zu Tränen rührt. Nico holt die zwanzig Meter, die Hendryk schon in schnellem Schritt voraus gegangen ist, rasch auf. Er fragt: „Ist irgendwas schlimmes passiert?“ Doch Hen deutet ein Kopfschütteln an. „Die Route war gut. Wir haben alles gut geschafft.“ Nico lässt die junge offensichtlich noch immer oder auch wieder verstimmte Stadtwache den Rest des Weges in Ruhe. Er merkt, dass er nicht reden will. Am Haus angekommen bittet Hendryk seinen Gast herein. Es ist ein kleines Haus, aber es wird für die beiden reichen. Nico erwartet eigentlich, dass er einen kleinen Rundgang erhält, doch der verbitterte Hendryk fordert in einem unterkühlten Ton: „Schlag mich!“ was Nico verwundert. Hendryk wird gereizter: „Na los, hau mir eine rein!“ „Wieso sollte ich...?“ fragt Nico verdutzt, der immer noch nicht ganz versteht was hier los ist. Hendryk wird langsam laut, denn er schreit schon fast: „Verdammt, tu es einfach!“ Als Nico wieder nicht reagiert geht Hendryk auf ihn los. Sein Schlag ist sehr kraftvoll, doch viel zu träge um Nico zu treffen. Dieser weicht locker aus. Er packt Hens Arm, bringt ihn zu Boden, lehnt sich mit einem Knie und seinem gesamten Körpergewicht auf ihn, um ihn bewegungsunfähig zu machen und ruft angespannt: „Was soll das?“ Hendryk lacht verzweifelt und röchelt: „Genau so muss sich verlieren anfühlen.“ „Was ist dein Problem?“ will Nico wissen. Belustigt und doch verzweifelt antwortet die Stadtwache: „Den Schmerz nur in meinem Inneren zu fühlen ist echt unerträglich, aber diesen hier verstehe ich.“ Nico atmet schwer aus, denn er versteht es jetzt. Er lässt Hendryk aus der Klammer, doch dieser sagt grinsend: „Und einen Kampf bist du mir sowieso noch schuldig.“ Er dreht sich geschickt um und schlägt Nico für diesen unerwartet ins Gesicht. Der dreht sich kurz weg und holt dann zum Gegenschlag aus, der sein auch Ziel nicht verfehlt. Es entsteht eine handfeste Prügelei, in der Nico ist zwar etwas überlegen ist, doch wenn ihn einer von Hendryks Schlägen trifft, dann tuen diese richtig weh. Die Möbel werden mal wieder etwas in Mitleidenschaft gezogen, aber sie haben ohnehin schon einige Blessuren durch Hens neuerliche Wutausbrüche. In einer Kampfpause sagt er keuchend, aber immer noch grinsend: „Das reicht, das reicht. Du bist echt gut. Hören wir auf, bevor ich noch ohnmächtig werde.“ Nico taumelt zum Esstisch und setzt sich auf einen noch intakten Stuhl. „Geht es dir jetzt besser?“ fragt er sich die Haare richtend. Hendryk antwortet geschlagen und erleichtert: „Ja, mir tut alles weh. Danke, Mann.“ Nico lehnt sich nach hinten. Er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er schüttelt den Kopf. Er fährt sich dabei gleich noch einmal durch die Haare um seine Frisur wieder zu richten, die nicht halten will und sagt trocken: „Du bist ein Chaot. Weißt du das?“ Hendryk legt sich auf den Rücken und schaut zur Decke, während er sich das Kinn haltend, entgegnet. „Yap, weiß ich.“ „Hast du Hunger?“ fragt Nico direkt und Hendryk brummt ein zustimmendes „Hmmhmm“. Der Offizier nimmt aus seiner Tasche was er von Kara mitgenommen hat und legt es auf den Tisch. Hendryk setzt sich zu Nico und die beiden Essen. „Schmeckt nach Eisen“ bemerkt Hen, was die beiden zum Lachen bringt. Am Morgen darauf haben beide einige sichtbare Blessuren. Es ist nichts ernstes, aber trotzdem schmerzhaft. Hendryk geht wie verabredet zu Kara. Sie hat sich schon ein wenig davor gefürchtet ihn heute wieder zu sehen, doch als sie seine Wunden sieht, vergisst sie ihre Angst und fragt aufgebracht und besorgt: „Oh nein, was ist passiert? Seit ihr auf Soldaten gestoßen?“ Hendryk grinst: „Ich irgendwie schon gegen einen.“ Die junge Frau versteht es nicht, deshalb versucht er es zu erklären: „Du kennst ihn. Er sieht in etwa so aus.“ Der verletzte junge Mann richtet sich auf, nimmt die Schultern nach hinten, drückt seinen Rücken durch und seine Brust hinaus. Dann fährt er sich mit seiner rechten Hand durch sein Haar, streicht sich den Pony nach hinten und setzt einen überheblichen Blick auf. Als Kara das sieht, erkennt sie Nico in ihm. Sie muss sich von ihm weg drehen um zu verbergen dass sie rot geworden ist. Hendryk wollte sich über Nicos übertrieben aufrechte Haltung und seine Frisur lustig machen, doch Kara findet es sexy. Sie bemerkt wie hübsch er eigentlich ist und das nachdem er erst gestern versucht hat sie zu küssen... Sie braucht einen Moment, bis ihr klar wird was er ihr damit sagen will. Die beiden Männer müssen aneinander geraten sein. „Nein, das glaub ich nicht. Ihr habt euch doch nicht etwa geprügelt? Ich dachte ihr vertragt euch mittlerweile gut.“ „Sagen wir mal so, wir hatten noch eine Rechnung offen, die jetzt beglichen ist.“ antwortet er sein indigoblaues Haar wieder in die Ursprungslage bringend. Kara versteht es trotzdem nicht, aber lässt die Sache aber auf sich beruhen. Sie schüttelt den Kopf und fragt sich wieso Männer ihre Probleme auf diese Art lösen müssen. Auf jeden Fall ist sie froh, dass Hendryk nicht mehr Trübsal bläst, deshalb machen die zwei ihre Runde wie gewohnt an diesem Tag. Es ist schon fast Herbst aber immer noch ziemlich warm in Kalaß. Die Tage werden wieder kürzer, was auch bedeutet dass sich Kara und Hendryk mit jedem Tag ein bisschen stärker beeilen müssen, denn die Sperrstunde beginnt mit der Dämmerung, egal um wieviel Uhr sie ist. Sie benutzen eine sich wöchentlich wiederholende Route. Damit sich Kara und Nico trotzdem sehen können, gehen die beiden danach immer erst zu Hendryks Haus, wo sie gemeinsam zu Abend essen. Danach bringt Nico Kara nach Hause. Meistens sprechen die beiden dabei über die Erlebnisse des Tages. Als sie an einem Novembertag besonders gut in der Zeit sind, bittet Kara Nico noch mit in ihr Haus hinein zu kommen. Der junge Mann hält zu ihr immer einen gewissen Abstand, besonders wenn Hendryk dabei ist. Leider hat er deshalb so gut wie nie die Möglichkeit sie zu berühren, was ihn langsam etwas frustriert. Kaum ist die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, stellt er sich direkt vor sie, sodass sie die Haustür im Rücken hat. Er lehnt sich über sie und schaut mit einem sanften Blick auf sie herab, was sie leicht einschüchtert, ihr aber keine Angst macht, denn er würde ihr nie etwas tun das sie nicht möchte. Etwas ungeduldig werdend erklärt er: „Wir haben Krieg und sitze den ganzen Tag herum. Außerdem finde ich, wir haben zu wenig Zeit füreinander. Ich möchte etwas verändern. Ich halte noch immer an der Idee fest Yoken um Hilfe zu bitten, egal was der Rat davon hält. So kann es einfach nicht mehr weitergehen.“ Sie streichelt mit ihrer Hand über sein Gesicht, um ihn zu besänftigen. „Ich verstehe dich. Ich möchte auch mehr Zeit mit dir verbringen... Vielleicht hattest du ja recht damit gemeinsam nach Yoken zu gehen. Lass uns darüber mit Hen sprechen.“ Nico ist froh, dass Kara es jetzt versteht. Doch er hätte sich eigentlich auch gewünscht, dass sie ihn einläd diese Nacht bei ihr zu bleiben. Frei nach dem Motto: Was nicht ist, kann ja noch werden, beugt er sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Sie kommt ihm sogar etwas entgegen und der Kuss ist voller Liebe und Leidenschaft. Sie ist etwas mutiger geworden, was ihn erregt. Er streicht sanft mit der Handfläche über ihren Hintern, ihre Taille und stoppt an ihren Brüsten. Mit der anderen Hand und umfasst er straff ihre Taille. Sie löst sich von seinen Lippen. Mit geschlossenen Augen lehnt sie sich leicht nach hinten. Da sie schon wieder das Gefühl bekommen hat, dass ihr die Kontrolle entgleitet, flüstert sie: „Nico… nein, es ist schon so spät.“ Er lässt von ihrer Brust ab, aber umfasst Kara weiterer an der Taille. Sie öffnet die Augen und sagt entschlossen: „Ich glaube es ist besser wenn du jetzt gehst.“ Sein Blick verfinstert sich. Er lässt sie los. Es ist nicht das erste Mal, dass sie ihn abblitzen lässt, dabei weiß er nicht genau woran es liegen könnte. „Was ist denn los?“ Sie weicht aus: „Es ist nichts. Ich hatte einfach einen harten Tag und bin müde.“ Auch wenn er weiß, dass das gelogen war, akzeptiert er es, verabschiedet sich und geht. Nico und Hendryk unterhalten sich noch an diesem Abend. Sie sitzen gemeinsam am Tisch und spielen Schach wie sie es oft tun. Der Offizier bevorzugt die schwarzen Figuren, weshalb Hendryk mit den Weißen spielt. Sie schärfen mit diesem Spiel ihr analytisches Denken, offiziell jedenfalls, inoffiziell messen sie ihr Können. Auch wenn man denken könnte, dass Nico der jungen Stadtwache als Stratege aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung als Offizier, überlegen sein müsste, so wird man im Spiel eines Besseren belehrt. Er kann Nico durchaus das Wasser reichen und das obwohl er das Spiel erst seit ein paar Wochen kennt. Seine Gewinnquoten steigen kontinuierlich, zur Zeit von dreißig auf vierzig Prozent, was schon beachtlich ist. Der Jungspund ist hoch motiviert den Meister zu überholen, denn er tönt: „Ich krieg dich noch!“ Nico grinst: „Als zusätzlichen Ansporn schlage ich heute vor, dass derjenige, der drei von fünf Spielen gewinnt dem Anderen eine Frage stellen darf, die wahrheitsgemäß beantwortet werden muss. Egal wie unangenehm sie ist.“ Hendryk ist einverstanden. Er ist absolut siegessicher. Die beiden verbringen fast die ganze Nacht damit gegeneinander zu spielen. Nico gewinnt ganz knapp drei zu zwei, worüber sich Hendryk sehr ärgert, denn er hatte eine Frage auf den Lippen, die er nur bei einer solchen Situation hätte stellen können. Nicos Frage bezieht sich auf Karas Zurückweisung, die ihn langsam an der Ehre kratzt. Er weiß nicht wen er sonst um Rat fragen könnte. Als ihr Exfreund müsste Hendryk doch schließlich wissen was mit ihr los ist. Allerdings glaubt er, dass er unter normalen Umständen eine solche Frage nicht hätte stellen dürfen. Hendryk drängt: „Na los, dann stell deine Frage, verdammt.“ Er ist nicht sauer, dass er verloren hat, sondern enttäuscht, dass er seine eigene Frage jetzt nicht mehr stellen kann. Nico will sich mit seiner Frage lieber erst einmal etwas herantasten. „Was mag Kara eigentlich?“ „Du stellst komische Fragen, aber lass mich überlegen. Sie mag Bücher, rosheanisches Essen, Katzen,…“ antwortet Hen zynisch, der schon verstanden hat was sein Gegenspieler wissen möchte. Nico schüttelt den Kopf. „Nein, ich meine was mag sie an Männern? Auf was steht sie? Ist sie romantisch?“ Hen lacht etwas, als er das hört. „DU bist doch der Gigolo und nicht ich. Mensch, Nico, warum fragst du mich das? Versagen deine Verführertricks etwa bei ihr?“ Nico antwortet etwas resigniert: „So könnte man es ausdrücken. Sie ist sehr distanziert.“ Hendryk grinst in sich hinein. Er kann sich schon vorstellen was da passiert ist. Er gibt ihm irgendwie ein gutes Gefühl, dass sogar ihr großer Held Nico an ihrer unsichtbaren Barriere scheitert. Sie ist eine schwierige Frau, keine Frage, deshalb gibt er Nico auch eine ehrliche Antwort. „So ist sie doch schon immer. Ich glaube nicht, dass du irgendwas falsch machst. Mit Kara musst du eben mehr Geduld haben, als mit all deinen anderen Weibern.“ Nico sieht streng zu Hendryk hinüber und sagt verärgert: „Du hast immer noch ein völlig falsches Bild von mir.“ Doch Hen hat Nico mit Absicht provoziert. Mal wieder hat die junge Stadtwache einen Teil der Wahrheit durchschaut, denn so etwas hätte Nico sich sonst von keiner Frau bieten lassen. Hendryk entgegnet: „Ich weiß nicht was ich sonst dazu sagen soll.“ und das weiß er wirklich nicht, denn er war schließlich auch nie mit ihr zusammen. Dass sich der eitle Offizier Beziehungstipps von seinem Kontrahenten geben lassen will, deutet in jeden Fall darauf hin, dass er ziemlich verzweifelt sein muss. Nico gibt noch eine andere Idee zum Besten: „Kara hat doch eine Freundin namens Ikky, oder? Vielleicht kann ich sie fragen.“ Hen lacht Nico für diese dumme Idee aus, noch prustend sagt er: „Lass es lieber, sie kann dich nicht ausstehen und zwar nicht so wie ich, sie hasst dich nämlich wirklich.“ Das überrascht Nico sichtlich und Hendryk erklärt. „Sie hasst alle rosheanischen Soldaten bis aufs Blut. Du bildest da keine Ausnahme, mein Lieber. Deshalb hat sie auch den Kontakt zu Kara und mir abgebrochen. Mir ist es egal. Ich vermisse das Gör jedenfalls nicht.“ Langsam verstehend, warum sich Hendryk auf die Frage hin kaum halten konnte, nickt Nico. Er lässt das Thema auf sich beruhen, auch wenn er mit der Antwort nicht wirklich etwas anfangen kann. Er weiß auch nicht was er sich davon erhofft hat. Kara ist für ihn ein großes Mysterium. Am nächsten Tag machen Hendryk und Kara wie immer ihre gewohnte Runde. Oberleutnant Marco Loran bemerkt die junge Frau auf der Straße, die für ihn im Augenwinkel wie die schöne junge Frau aussieht, für die ihn sein Hauptmann bewusstlos geschlagen hat. Sie hat ihn in seinen Gedanken in den ganzen drei Monaten nicht los gelassen. Er wünscht sich sie unbedingt wieder zu finden. Er will sie besitzen, die Frau für die sein verhasster Hauptmann Dugar seine geliebte Imperatorin verraten hat. Marco Loran war nach Nico Dugar der größte Anwärter auf den Posten der Führung der Stadtkontrolle. Trotz seiner Bereitschaft alles für seine Imperatorin zu tun, bekam der unnachgiebige Dugar den Posten, der dazu auch noch zum Hauptmann befördert wurde. In seinen Augen ist das eine Ungerechtigkeit, die seines Gleichen sucht. Seit Nico weg ist, ist er endlich zum Befehlshaber der Stadtkontrolle geworden. Befördert wurde er dazu allerdings nicht. Er führt die Kontrollen unkoordinierter, aber rigoroser durch als sein Vorgänger. Er hat noch einige Schwierigkeiten damit die Führung zu übernehmen. Nicht alle wollen seinem neuen Befehlen Folge leisten und es liegen bereits einige Beschwerden über seinen Führungsstil vor, die Imperatorin jedoch ignoriert, denn sie steht voll hinter ihrem Oberleutnant. Als Loran einen Tag später am gleichen Ort nur zu einer anderen Zeit wieder das Gefühl hat die schöne rothaarige junge Frau zu sehen, begibt er sich aktiv auf die Suche nach ihr und findet sie tatsächlich. Er beobachtet wie sie von einem kampfstark aussehenden jungen Mann, wahrscheinlich einer Stadtwache, begleitet wird, was ihn etwas ärgert. Loran ist kein Krieger. Er kann ganz passabel mit dem Schwert umgehen, was ihm gegen einen gut ausgebildeten Kämpfer jedoch nicht weiter helfen wird. Loran erkennt schnell das Muster hinter der wöchentlichen Route der jungen Frau und ihrem Begleiter. Er lässt ihnen von seinen Leuten eine Falle stellen. Sie umstellen ein Gelände, das Kara und Hendryk täglich betreten. Hendryk fällt glücklicherweise die Veränderung in der Stationierung der Truppen auf und bricht die Hausbesuche für diesen Tag ab. Er, Kara und Nico beraten sich am Nachmittag über diesen Vorfall. Nico macht es große Sorgen. Mehr noch als den anderen. Er erarbeitet einen rotierenden Routenplan für die beiden und bittet sie noch vorsichtiger zu sein. Am liebsten wäre es ihm selbst mitzugehen. Er nimmt es als Anlass noch mal über seinen Plan nach Yoken zu gehen, zu sprechen. Sie beschließen nichts zu überstürzen und ab sofort intensiv weitere Informationen über Yokens aktuelle politische Lage zusammenzutragen. Loran ärgert sich unterdessen über seinen Misserfolg, gibt jedoch nicht auf. Er beschreibt seinen Soldaten das Aussehen der beiden. Diese melden alle Sichtungen an ihn weiter. Loran erkennt erneut ein Muster, das zwar ungleich komplizierter ist, ihm aber bekannt vorkommt und er kann vorhersagen wann die beiden wo auftauchen werden. Diesmal erstattet er Bericht bei Imperatorin Estell. Sie gibt ihm die Erlaubnis seinen Plan umzusetzen und die rothaarige Frau, für die ihr Hauptmann so weit gegangen ist, unversehrt zu ihr zu bringen. Er stellt ihnen erneut eine Falle. Er hat ein Haus ausfindig gemacht, das sie zweimal pro Woche besuchen und sich für das Vorhaben besonders gut eignet, da es klein ist und keinen Hinterausgang hat. Er postiert sich sowie fünf seiner Männer im Haus. Den Patienten lässt er verlegen, weil er keine weiteren Zeugen für dieses Sache braucht. Diesmal ist er siegessicher. Als Kara und Hendryk in das präparierte Haus eintreten, scheint zunächst alles in Ordnung zu sein. Hendryk bleibt wieder an der Tür stehen und geht Kara nur auf Bitten zur Hand. Sie geht ins Wohnzimmer hinein, wo sie jedoch statt vor ihrem Patienten, vor Oberleutnant Marco Loran steht, der sie belustigt anlächelt und höflich fragt: „Hallo schönes Kind. Weißt du noch wer ich bin?“ Sie erkennt ihn sofort und schreit Hendryk zu: „Hen! Es ist eine Falle!“ Kaum hat sie es ausgesprochen, wird sie schon von Loran am Arm festgehalten. Hendryk eilt herbei und wird jäh von zwei Soldaten gestoppt, die sich gut im Raum versteckt hielten. Die Stadtwache schafft es zwar sie nacheinander zu entwaffnen und kurz zu Boden zu bringen, doch es greifen schon zwei weitere Soldaten an. Der nahkampferprobte Hendryk hat große Mühe allein gegen so viele Gegner zu bestehen. Er schafft es jedoch durch ihre Reihen hindurch bis zu Kara durchzudringen, der es gelungen ist sich aus Lorans Griff loszureißen. Die beiden rennen zur Tür, wo ein fünfter Soldat schon auf sie wartet. Er ist so groß und breit, dass er fast die komplette Tür verdeckt. Mit nur einem gezielten Schlag streckt er den angeschlagenen Hendryk nieder, der nun bewusstlos zu Boden geht. Der riesige Mann packt Kara und hält sie von hinten an ihren Oberarmen fest. Loran, ballt die Faust zum Sieg, geht in Richtung des riesigen Soldaten und lobt ihn anerkennend: „Gut gemacht, Gardor. Da hat es sich doch gelohnt die Imperatorin in Kenntnis zu setzen.“ Er steigt über die vier anderen Soldaten hinweg, die sich grade wieder aufrichten. „Und ihr seid ein nichtsnutziges Pack.“ Hauptgefreiter Tomsen, eigentlich ein immer gut gelaunter Kerl, dem solche Aufträge gar nicht liegen, richtet sich gerade wieder auf. Er entgegnet leise abschätzig: „Ziemlich überheblich für einen, der selbst nichts drauf hat.“ und Loran brüllt gereizt: „Wie war das?“ Er tritt Tomsen das Standbein weg, sodass er gleich wieder auf dem Boden landet. Der Oberleutnant geht zu der jungen Frau, wegen der er hier ist. Er mustert sie und grinst lüstern. „Wo ist denn dein Retter Nico Dugar heute?“ Sie wird von dem Soldaten Gardor so fest gehalten, dass sie sich kaum bewegen kann. Loran bohrt weiter nach: „Mach dir nichts vor, meine Hübsche. Du bist nur eine seiner vielen Liebeleien. Er hat doch auch in jeder Stadt eine andere, manchmal wohl auch gleich mehrere habe ich gehört. Aber er ist auch bekannt dafür, dass er den Frauen einiges anvertraut, deshalb glaube ich auch, dass du weißt wo er sich gerade aufhält.“ Kara schaut angestrengt weg, was Loran aufregt. Er packt ihre nach vorn gefallenen Haarsträhnen und zieht sie daran an sich heran. Als ihr Gesicht nah vor seinem ist, fragt er gereizt: „Wo ist er? Sag es!“ Sie spürt seinen Atem auf ihrer Haut, was sie widerlich findet, deshalb antwortet sie unüberlegt: „Du kannst mich!“ Was sein Gesicht erhellt, denn diese Vorstellung gefällt ihm. Lasziv entgegnet er: „Oh, wieso sollte ich so eine Einladung ausschlagen?“ Er leckt sich die Lippen. Noch immer an ihren Haaren ziehend, fährt mit seiner freien Hand über Karas Körper. Er beginnt an ihren Wangen geht über ihr Dekolleté, ihre Brüste und den Bauch zu den Oberschenkeln. Kara versucht sich vergeblich zu wehren, als er unter ihrem Rock ihre Innenschenkel streichelt. Gerade noch bevor etwas Schlimmeres passiert, ruft der Hauptgefreite Tomsen von hinten: „Herr Oberleutnant, mit Verlaub, wir sollen das Mädchen unversehrt zu unserer Imperatorin bringen.“ Lorans Blick verfinstert sich wieder und er wendet sich von Kara ab. „Tomsen, verdammt nochmal. Wer hat Ihnen erlaubt in so einem Ton mit einem Offizier zu sprechen? Das Mädchen ist doch unversehrt, auch wenn ich ein bisschen mit ihr spiele.“ Trotzdem lässt er Karas Haare los, denn seine Lust ist leicht zu zerstören. Sie atmet etwas durch, doch in der Klemme steckt sie immer noch. Tomsen entgegnet: „Entschuldigen Sie bitte, Herr Oberleutnant.“ Dass sein Gefolge nicht hinter ihm steht, macht Loran ihm ziemlich zu schaffen und lässt deshalb nun ganz von Kara ab. „Also gut, nehmt sie mit.“ befiehlt er schroff. Er ärgert sich sehr über seinen vorlauten Gefolgsmann. Er schaut neben sich, wo die verletzte und immer noch bewusstlose Stadtwache liegt, tritt ihn frustriert noch einmal und geht dann zur Tür hinaus. Alle anderen Soldaten folgen ihm. Als Tom an Kara vorbeigeht flüstert sie ihm ein verzweifeltes, aber auch erleichtertes „Danke“ zu. Die junge Frau hatte große Angst, denn wieder befand sie sich in der Opferrolle, aus der sie sich nicht selbst befreien konnte, doch für den Moment hat sie es überstanden. Sie hat keinen so schweren Zusammenbruch wie beim letzten Mal, denn sie ist daran gewachsen. Freiwillig geht macht sie keinen Schritt, sodass der Soldat Gardor sie den ganzen Weg bis zur Festung Tarbas tragen muss, wo sich die Königin niedergelassen hat. Nach kurzer Bewusstlosigkeit wacht Hendryk wieder auf. Er hat ziemliche Schmerzen und glaubt mindestens eine gebrochene Rippe zu haben. Er schleppt sich trotz seiner Verletzungen so schnell er kann nach Hause. Nico hört jemanden an der Tür und ruft: „Ihr seid aber heute früh zurück.“ Er war gerade mal wieder aus Langeweile dabei Hendryks in den letzten Jahren vernachlässigtes Haus zu putzen und aufzuräumen, denn er hat echt nichts Besseres zu tun. Er geht nach unten und sprintet zum verletzen Hendryk, der sich an den Türrahmen angelehnt hat. „Was ist passiert? Wo ist Kara?“ Hendryk antwortet keuchend: „Sie haben uns aufgelauert. Ich hatte keine Chance... Ich war bewusstlos, aber ich glaube sie haben sie in die Festung mitgenommen.“ Nico beginnt den verletzten Hendryk notdürftig zu verarzten und verkündet entschlossen: „Ich hole sie wieder zurück.“ Er will aufstehen, doch Hen hält ihn am Arm fest. „Nein, sie wollen dich. Sie ist der Köder um dich zu fangen. Ich hole sie. Es ist schließlich meine Schuld.“ Er stützt sich ab, um aufzustehen und keucht dabei ziemlich. Nico spottet: „In deinem Zustand? Du kannst kaum stehen und willst allein in das Hauptquartier der Imperatorin eindringen? Bist du lebensmüde? Außerdem ist es auch meine Schuld. Ich habe den Routenplan erstellt.“ Nico steht auf und die junge Stadtwache lässt ihn diesmal gewähren. „Ich muss gehen. Das weißt du. Ich bin der einzige, der sie dort lebend wieder raus holen kann.“ erklärt Nico noch einmal, bevor er den verwundeten Hendryk zurück lässt. Er beeilt sich, denn er weiß, dass jetzt jede Minute zählt. Kapitel 7: Die Höhle der Löwin I -------------------------------- Das Hauptquartier der Königin ist die Festung namens Tarbas im Zentrum der Stadt Kalaß. Sie empfindet diese Residenz als geradeso angemessen für sich, denn sie ist das Prunkschloss von Nalita gewohnt. Die stark befestigte Burg steht erhaben mitten in Kalaß auf einem Hügel und ist von allen Seiten zu sehen. Sie hat dicke steinerne Mauern, die dafür sorgen, dass es hinter ihnen im Winter angenehm warm und im Sommer angenehm kühl bleibt. Königin Estell ließ die Festung in den letzten Monaten in Stand setzen, restaurieren und vorrichten. Die alten Gemäuer wurden zwar von der Stadtverwaltung erhalten, aber da sie nicht mehr bewohnt waren, verwahrlosten sie stark. Zweihundert Jahre lang hatte hier kein Herrscher mehr gelebt, doch Estell verleiht ihr neuen Glanz. Das ist jedenfalls ihre Ansicht. Noch immer arbeiteten die Soldaten täglich am Wiederaufbau der Burg. Königin Estell ist eine schöne Frau Ende dreißig, doch man sagt sie sehe eher aus wie Ende zwanzig. Sie hat langes schwarzes Haar, das sie sehr oft nach oben steckt. Ihre dunklen, fast schwarzen Augen erzeugen ein Gefühl von Tiefe, als könnten sie jeden verschlingen, der zu tief in sie hineinschaut. Sie investiert viel Zeit in ihr Äußeres. Sie macht sich jeden Tag selbst zurecht. Keine einzige Dienerin hat sie sich aus dem Schloss von Roshea mitgebracht, denn sie lehnt das unehrliche, kriecherische Verhalten, das eine Dienerschaft mit sich bringt, ab. Lieber wollte sie sich nur mit Soldaten umgeben, die zwar ebenfalls gehorsam, aber weniger heuchlerisch sind. Oft trägt sie knappe Kleider, die mit Gold, Silber und Edelsteinen verziert sind. Ihr Kleidungsstil ist eine Mischung aus den Stil des orientalischen Aranor und dem königlichen Nalita. Sie betont ihre Augen mit Tusche und bemalt sich ihre Lippen rot, was in Adelskreisen eher ungewöhnlich ist. Sie hat einen atemberaubenden Körper, den sie in Szene zu setzen weiß. Als Generalin der Armee hat sie die alleinige Befehlsgewalt über ihre eigenen, hier stationierten Truppen und Ihr unorthodoxer Führungsstil wird von den Soldaten akzeptiert, zum Teil sogar verehrt. Sie nennt sich selbst Imperatorin, ihre Soldaten spricht sie mit Vornamen an und mit den meisten ihrer Offiziere pflegt sie amouröse Beziehungen. Imperatorin Estell empfängt ihre Gäste normalerweise im ehemaligen Thronsaal der Festung. Das ist eine große Empfangshalle mit hellgelbem Marmorfußboden und breiten Marmorsäulen. Überall hat sie royalblaue rosheanische Flaggen aufhängen lassen, die den silbernen Hirsch als Wappentier tragen. Wie eine wahre Herrscherin setzt sie sich gern auf den ein paar Stufen erhaben stehenden Thron von wo aus sie ihre Soldaten befehligt. Am liebsten würde sie den Thron neu ausstatten, ihn vergolden und mit Edelsteinen besetzten lassen. Da sie die Zivilbevölkerung bisher in Ruhe gelassen und sie somit keinen Zugriff auf das Kunsthandwerk in Kalaß hat, muss sie sich mit diesem Vorhaben noch etwas gedulden. Sie selbst ist der absoluten Überzeugung, eine gute Herrscherin zu sein und sie glaubt, dass die Bürger von Kalaß von ihren Soldaten zwar überwacht, aber nicht terrorisiert werden und dass man sie im Volk deshalb liebt und akzeptiert. Ist sie denn nicht auch viel besser für den Stadtstaat als dieser nutzlose Ältestenrat? Bisher hat sie selbst jedoch noch mit keinen Bürger von Kalaß gesprochen, geschweige denn hätte je einer die Festung von Kalaß Burg betreten, seit es besetzt wird. Doch das wird sich heute ändern. Der riesenhafte Gardor trägt die junge Frau bis an das Tor der Festung, wo sie von einer Menge Soldaten beäugt wird, die noch nie gesehen haben wie ein Zivilist in den Stützpunkt gezwungen wurde und entsprechend verwundert miteinander tuscheln. Loran beschließt seine Gefangene nach wie vor nicht zu knebeln, da ohnehin keine Fluchtgefahr besteht und bringt sie persönlich zu Königin Estell. Diese sitzt anmutig in einem kurzen blauen Dress auf ihren Thron und beobachtet interessiert wen ihr Oberleutnant da mitbringt. Er schubst Kara vor sich her. Ihr Haar hängt ihr, völlig durcheinandergekommen, halb vor dem Gesicht. „Knie nieder vor deiner Imperatorin!“ befiehlt er. Doch Kara weigert sich und bleibt stehen. Der Oberleutnant will gerade handgreiflich werden, als sich die Königin vergnügt zu Wort meldet. „Marco, mein Lieber, wie ich sehe hast du endlich einen Erfolg zu vermelden. Das hat aber gedauert.“ Er steht still und antwortet gehorsam: „Entschuldigt bitte die Verzögerung, Imperatorin Estell. Dafür gibt es keine Ausflüchte.“ Estell steht von ihrem Thron auf. Sie ändert ihre Stimmung sprunghaft und wirkt plötzlich aufgekratzt. „Und was ist mit Nico? Hast du mit ihm immer noch keine Ergebnisse vorzuweisen?“ Sonst ist Loran immer gefasst und überheblich, doch gegenüber der Königin muss er spuren, was er aber sehr gern tut. „Wir konnten ihn leider noch nicht ausfindig machen, aber da wir jetzt seine Geliebte haben, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er hier auftaucht.“ Estell verzieht das Gesicht. „Seine Geliebte sagst du? Es gefällt mir nicht, wenn du sie so nennst. Lass es in Zukunft.“ Da Loran wohl in ein Fettnäpfchen getreten ist, reagiert er demütig mit einem lauten: „Sehr wohl, Imperatorin.“ Sie läuft um ihre viele Jahre jüngere Gefangene herum, die sie als Konkurrentin betrachtet. „Jetzt lass sie mich in Ruhe ansehen.“ Von der Situation angewidert, sucht Kara nach einem Fluchtweg oder irgendetwas, das sie für sich nutzen kann. Sie sieht sich um und findet einiges ziemlich merkwürdig. Zum Beispiel fällt ihr in einer dunklen Raumecke ein kleiner Mann auf, der als einziger keine Uniform trägt, wohl aber angestrengt zuhört. Zudem hat Kara vorher noch nie eine echte Königin gesehen, aber so stellt sich keine vor. Sie denkt darüber nach, warum sich diese ganzen Männer von einer halbnackten Frau herum kommandieren lassen. Zugegeben hat Kara, trotz den nahenden Winters auch nicht viel mehr Kleidung an. Sie trägt ein langärmliges, aber kurzes, schlichtes Kleid, Stiefel und darunter Strümpfe, die bis über das Knie reichen, doch sie ist auch nicht die Anführerin einer ganzen Armee. Nachdem die Königin ihre Gefangene lange genug gemustert hat, verkündet sie amüsiert: „Auf so was wie dich steht er also? Du bist ja fast noch ein Kind, hast kaum was auf den Rippen und auch keinen ordentlichen Vorbau… Dafür hast du wirklich hübsches Haar, das muss ich neidlos anerkennen. Wie würde mein lieber Nico wohl reagieren, wenn ich es dir abschneiden würde? Was wäre dann noch von dir schäbigem kleinen Ding übrig, hm? …Hach oje, wahrscheinlich wäre er dann wirklich böse auf mich. Das ist nicht gut. “ Nach ihrem kurzen Moment des Zweifels, lacht sie vergnügt. Kara hat jedoch viel weniger Angst vor den Drohungen der Königin, als vor den lüsternen Blicken Lorans, die sie auf sich spürt. Die junge Frau will gar nicht daran denken was passiert, wenn sie in seine Obhut übergegeben wird. Sie hat sich nicht so lange bewahrt, damit sich dann ein so widerlicher Mann an ihr vergreifen kann. In diesem Moment glaubt sie selbst der Tod wäre besser als Loran ausgeliefert zu sein. Als ein weiterer Soldat den Raum betritt reißt es sie aus den schwermütigen Gedanken und die Königin sowie Loran wenden ihre Blicke von ihr ab. Er meldet aufgeregt: „Imperatorin Estell, Hauptmann Dugar, oder… der ehemalige Hauptmann Dugar...?“ In Kara keimt Hoffnung auf, dass er gekommen ist, um sie hier raus zu holen. Estell wird hellhörig und unterbricht den meldenden Soldaten. „Komm zum Punkt, Junge!“ Er fährt fort: „Er steht vor den Toren der Burg und verlangt einen Austausch.“ Sie wundert sich warum das so schnell ging, wendet sich dem Soldaten jetzt ganz zu und keift gereizt: „Meine Güte, nehmt ihn doch einfach gefangen und bringt ihn zu mir! Wieso sollte ich mich auf einen Austausch einlassen? Was sollte er schon gegen mich in der Hand haben?“ Der Soldat stottert eingeschüchtert: „Mit Verlaub, er hat gedroht sich selbst etwas anzutun wenn wir ihn ohne erfolgten Austausch gefangen nehmen oder ihn anderweitig überlisten wollen.“ Kara und Estell sind gleichermaßen geschockt, wohingegen Loran verständnislos den Kopf schüttelt. Die junge Gefangene, die bisher noch kein Wort gesagt hat, schreit laut: „Nico, nein!“ und will sich in Bewegung setzen, doch Estell packt sie an den Haaren und zieht aggressiv daran. „Halt den Rand, Kleine! Dass er soweit für dich gehen würde, hätte ich nicht gedacht.“ Sie lässt Karas Haare los, schubst sie so kraftvoll von sich weg, dass sie hinfällt und sagt resigniert mit einem gereizten leichten Lächeln im Gesicht: „Aber es ist akzeptabel.“ Sie wendet sich an Loran. „Marco, bereite den Austausch vor! Wenn dieser Göre oder Nico irgendetwas passiert, wirst du persönlich zur Rechenschaft gezogen.“ Er bestätigt mit einem: „Jawohl, Imperatorin!“ Auch wenn ihm die Situation überhaupt nicht gefällt. Für ihn wäre es super gewesen, würde Dugar sich selbst den Gnadenstoß gewähren. Es würde ihm perfekt in die Karten spielen, doch Estell hat es nun zu seinem Problem gemacht ihn genau davon abzuhalten. Widerwillig packt er Karas Arm, die angeekelt zusammenzuckt. Geringschätzig richtet die Königin noch ein paar letzte Worte an die junge Frau: „Es ist schade, dass es jetzt so schnell ging. Ich hätte dir mit Vergnügen deine ach so tollen roten Haare abgeschnitten. Doch ich glaube es ist besser, wenn du unversehrt bist. Du kannst dich glücklich schätzen, kleine Offiziershure.“ Sie lacht und setzt sich wieder auf ihren Thron. Beim hinaus gehen bekommt der Oberleutnant mitgeteilt, dass sein Hauptmann die Bedingung gestellt hat, dass Hauptgefreiter Tomsen den Austausch vornimmt. Loran war heute schon einmal mit Tomsen aneinander geraten und könnte Nico dafür gleich nochmal töten. Widerwillig lässt er den Hauptgefreiten aus der Krankenstation holen, denn Tom musste einige Blessuren behandeln lassen, die er vom Aufeinandertreffen mit Hendryk davongetragen hat. Zudem muss er nun erst einmal über die Situation aufgeklärt werden, was einen Moment dauert. In dieser Zeit stehen Loran und Kara allein zusammen im Eingang der Empfangshalle. Während er ihren Hintern befummelt, flüstert er ihr lüstern in Ohr: „Ich krieg dich noch, mein hübsches Kind.“ Mit aller Kraft drückt sie sich von ihm weg, holt aus und gibt ihm eine Ohrfeige, die er nicht kommen sah. Zwei Wachsoldaten, die es mitbekommen, haben Mühe ein Lachen zu unterdrücken. Sie freuen sich, dass Oberleutnant Loran sein Fett wegkriegt und Hauptmann Dugar wieder zu ihnen zurück kehrt und sind deshalb bester Stimmung. Der Offizier findet es gar nicht komisch von einem Mädchen vorgeführt zu werden und holt selbst zum Schlag aus, vor dem sie sich bereits wegduckt, als endlich der Hauptgefreite Tom Tomsen dazu stößt und extra laut unterbricht: „Hauptgefreiter Tomsen meldet sich zum Dienst, Herr Oberleutnant!“ Loran lässt von ihr ab und nimmt Abstand von Kara, ohne ein weiteres Wort zu sagen, doch sein angespannter Gesichtsausdruck spricht Bände. Oberleutnant Marco Loran, Hauptgefreiter Tom Tomsen und Kara gehen gemeinsam bis zum Eingangsportal der Festung, von wo aus die Brücke und das Tor zu sehen sind, die in die dicken Mauern hinein führen. Von weitem können sie den ehemaligen Hauptmann schon am Tor stehen sehen. Es bietet sich ihnen ein skurriles Bild. Die Torwachen stehen still vor dem in Zivil gekleideten Nico, der angespannt Richtung Kara starrt. Oberleutnant Loran bleibt stehen und lässt den Hauptgefreiten Tomsen mit Kara allein weitergehen. Er schüttelt Zähne knirschend den Kopf und zweifelt an seinen Soldaten, über die er jetzt das Kommando haben sollte und nicht Nico Dugar. Je näher Kara Nico kommt, desto schneller läuft sie. Bei ihm angekommen fallen sich die beiden in die Arme und Freude, Trauer und Angst vermischen sich in ihr. Tom salutiert vor Nico, doch der hat im Moment nur Augen für Kara. Die Liebenden küssen sich von Gefühlen überwältigt. Die junge Frau fühlt sich in seinen Armen viel schwächer als in der Stunde davor, in der sie um ihr Leben fürchtete. Sie hat das Gefühl ohnmächtig zu werden, doch gerade noch rechtzeitig fängt sie sich wieder. Als der sanfte Kus endet, haucht Nico seiner Geliebten ein sanftes: „Zum Glück ist dir nichts passiert“ zu und sie entgegnet mit weicher Stimme flüsternd: „Es tut mir so leid, Nico.“ Zart lächelnd schüttelt er den Kopf, dann wendet er seinen nun strengen Blick an Tom und befiehlt: „Bring sie unversehrt nach Hause, Tom!“ Dieser erwidert ohne den geringsten Zweifel: „Jawohl, Herr Hauptmann.“ „Du kannst Tom vertrauen.“ Gibt der junge Offizier seiner Liebsten mit, bevor er sie aus seinen Armen entlässt. Sie bekommt keinen Ton mehr heraus und wird von Tom weg geführt. Noch immer fühlt sie sich schwach und angreifbar und ihre Knie zittern. Sie fragt sich warum es so kommen musste, weiß aber nicht was sie an der Situation ändern könnte. Von weitem sieht sie, wie respektvoll die Soldaten mit ihm umgehen. Dabei wird ihr klar wie verschwendet sein Potenzial die letzten eineinhalb Monate gewesen ist und das war nur ihre Schuld. Sie war es, die ihn ausgebremst hat, ohne sich mit dem unvermeidlichen zu befassen. Nico ist zutiefst erleichtert, dass der Austausch tatsächlich geklappt hat. Der Gedanke daran Kara sei allein in der Obhut Lorans und Estells hat ihn fast um den Verstand gebracht, weshalb er mal wieder völlig kopflos vor Sorge das einzige anbot, das ihm in seiner Situation noch zu Verfügung stand: Sein Leben. Auch wenn es zum Erfolg geführt hat, so muss er sich dringend abgewöhnen die Nerven zu verlieren, wenn es um Kara geht. Einer der Wachsoldaten erweckt ihm aus seiner Trance, als er anerkennend zu Nico sagt: „Gut, dass Sie wieder da sind, Herr Hauptmann.“ Dieser antwortet gedankenverloren: „Ich glaube nicht, dass ich jetzt noch Hauptmann bin, Gefreiter Camorra.“ „Da bin ich mir nicht so sicher. Sie waren der beste Kommandant, den wir je hatten. Wir werden uns für Sie einsetzen und das ist nicht nur meine Meinung.“ stellt der Gefreite fest und sieht dabei seinen Kammeraden an, der ebenfalls davon überzeugt, nickt. Etwas ergriffen von ihrer Treue entgegnet Nico: „Ich danke euch, meine Freunde.“ Sein Blick verdunkelt sich, als er sich in Richtung der Festung umdreht, die sich bedrohlich vor ihm erhebt. „Bringt mich jetzt zur Imperatorin damit ich herausfinden kann, wo ich stehe.“ Es erschallt ein gleichzeitiges: „Jawohl, Herr Hauptmann.“ der beiden Wachsoldaten, die ihn hinein bedleiten. Marco Loran hat die Szene von weitem beobachtet. Er hat zwar akustisch nicht verstanden was sie gesagt haben, doch es reicht ihm ihre Körpersprache zu lesen, um zu verstehen was da gerade passiert ist. Verärgert geht er zurück in den Thronsaal. Auf dem Rückweg schnürt es Kara die Brust zusammen vor Schmerz und sie macht sich selbst Vorwürfe, weil sie sich schuldig fühlt. Wieder war sie zu nichts zu gebrauchen, dabei hat sie extra einen Beruf gelernt, mit dem sie glaubte Nico behilflich sein zu können. Außerdem ist sie ziemlich verwundert über alles was sie da gerade auf dem Hügel erlebt hat. Auf dem Weg durch die Stadt zurück fragt sie Tom was da eigentlich gerade passiert ist: „Wieso geht die Königin auf so einen Deal ein? Ich verstehe das nicht.“ Tom antwortet ihr unbescholten: „Du hast ja keine Ahnung was bei uns los war, seit unser Hauptmann weg ist. Die Imperatorin hatte so schlechte Laune, dass sie alles und jeden um sich herum angeschrien hat. Das habe ich bei ihr zuvor noch nie erlebt. Ich glaube sie ist wie besessen von ihm. Soweit ich weiß ist er der einzige, der sie konsequent zurückgewiesen hat und es trotzdem auf so einen hohen Posten schaffen konnte. Tja, also wenn du mich fragst, ist er so etwas wie der Mann, den sie nicht haben kann und das macht ihn umso attraktiver für sie. Sie will ihn um jeden Preis für sich gewinnen. Diesem Umstand verdankst du dein Leben. Hätte sie dir was angetan, hätte er ihr das doch nie verziehen.“ Kara ist angewidert. „Das ist ja ekelhaft!“ Tom lächelt freundlich. „Dachte ich mir, dass du sie nicht leiden kannst.“ Nach knapp einer dreiviertel Stunde sind sie an Hendryks Haus angekommen. Die junge Frau geht zuerst hinein, denn es sollte kein Soldat sein, den er zuerst zu Gesicht bekommt. Hendryk sitzt zusammengesunken am Tisch und hat den Kopf auf die Tischplatte gelegt. Er trägt kein Oberteil und um seine Brust ist ein notdürftig ein Verband angelegt wurden. Als er aufschaut und Kara erblickt, springt er unvermittelt auf, was ihm wegen seiner Verletzungen ziemliche Schmerzen bereitet, doch er ruft, ohne dass man dies in seiner Stimme bemerken würde: „KARA!“ Als er auf sie zuläuft, sieht er den Soldaten hinter ihr stehen. Er ändert sofort seine Richtung und reagiert auf die neue Situation. Unmittelbar packt er ihn, drückt Tom an den Türrahmen und brüllt hasserfüllt: „Dich kenn ich doch. Dich habe ich vorhin schon mal vermöbelt. Wo ist der Rest deiner Truppe?“ Tom winselt verängstigt: „Ich- ich bin alleine.“ Kara muss bestätigend dazwischen gehen. „Hen, warte! Es stimmt was er sagt. Lass ihn bitte wieder runter. Er ist Nicos Freund und in Ordnung. Er hat mich zwei Mal gerettet und hier her zurückgebracht.“ Hendryk lässt den Hauptgefreiten los, der erst einmal durchatmen muss. Dann sagt er herablassend zu dem jungen Hauptgefreiten: „Gut gemacht und jetzt hau ab!“ Wie soll er jemanden vertrauen, der bei der Entführung seiner geliebten Freundin beteiligt war? Tom verlässt die beiden ohne ein weiteres Wort. Kara fällt ihrem Freund Hendryk um den Hals und sagt völlig verzweifelt zu ihm: „Nico hat sich selbst ausgeliefert.“ Doch Hendryk versucht Kara ein wenig zu beruhigen. „Ich weiß, Kara. Mach dir keine Sorgen, denn jetzt hat er die Chance seinen Plan ausführen, den er vor dem Rat vorgestellt hat. Wahrscheinlich versucht er die Besatzung jetzt von innen heraus zu zerstören.“ Hendryk kommt wegen seiner Schmerzen ins Taumeln, was Kara bemerkt, Sie findet ihre Fassung wieder und lässt ihn geschockt los. „Oh, bitte entschuldige. Lass mich deine Wunden versorgen.“ Wenigstens hier kann sie helfen. Er hat einige Prellungen, doch zum Glück sind, entgegen seiner Befürchtung, keine Rippen gebrochen. Hendryk fühlt sich in Karas sorgenden Händen gut aufgehoben, denn er vertraut ihr voll und ganz. Während der Behandlung entspannt er sich und sagt grinsend: „Wenn Nico wiederkommt und er dich nicht gut behandeln sollte, dann gib mir Bescheid. Ich hau ihm dann persönlich eine rein.“ Kara lächelt traurig. Kapitel 8: Die Höhle der Löwin II --------------------------------- Nico betritt die imposante Burg, die ihm noch nie so groß vorkam wie jetzt. Alle Soldaten, denen er auf seinem Weg begegnet, grüßen ihn wie gehabt als ihren Hauptmann. Auch einer der fünf Offiziere, Truppendienstverantwortlicher Leutnant Rick Randall, der extra in den Thronsaal kam als er hörte was passiert ist, bleibt ehrfürchtig vor ihm stehen und grüßt ihn. Randall ist ein außerordentlich großer und muskulöser Mann. Bereits sein bloßes Erscheinen kann einschüchternd wirken. Seine Aufgaben beziehen sich auf die Ordnung im Inneren und er setzt, wenn nötig, auch Bestrafungen durch. Zudem leitet er den Wiederaufbau der Festung. Nicht zuletzt durch ihn verbreitet sich das Wissen um die Rückkehr ihres Hauptmanns unter den Soldaten wie ein Lauffeuer. Der Respekt für ihren ehemalig höchsten Offizier und Kommandanten beruht nicht nur auf seinem Rang, denn sie schätzen ihn als Mensch und würden ihn auch außerhalb der militärischen Rangordnung als Anführer betrachten. Nico tritt selbstbewusst, jedoch nicht allzu glücklich über die Situation vor Königin Estell. Er steht still und grüßt sie förmlich: „Imperatorin.“ Estell hat sich wieder auf ihrem Thron gesetzt. Sie hat ihre schlanken, schönen Beine elegant übereinander geschlagen, wodurch die Kürze ihres Rocks mit voller Absicht ziemlich tiefe Blicke zulässt. Freundlich und sanft sagt sie: „Du kannst dich rühren, Nico. Sag, wie fandest du deinen Ausflug? Hast du deinen Urlaub genossen?“ „Meinen Urlaub, Imperatorin?“ fragt er verwundert und ihre Antwort bleibt sanft, wenn auch etwas ungeduldig. „Mein lieber Nico, sei doch nicht so förmlich! Ich werte deinen Ausbruch nicht als Desertion, hab also keine Angst. Im Grunde hast du nichts weiter getan, als deine Leute zurechtzuweisen und bist danach in Gefangenschaft geraten. Das ist weder verwerflich, noch strafbar. So lautet jedenfalls die Information, die mir zugetragen wurde. Ich sehe zwar, dass deine Mittel vielleicht etwas überzogen waren, aber das sei die verziehen. Loran braucht sogar ab und zu mal einen kleinen Schlag auf den Kopf. Ich weiß ja wie er ist.“ Der natürlich immer noch anwesende Oberleutnant Loran ist verärgert über diese Aussage und macht sich auch nicht die Mühe diese Emotion zu verbergen. Amüsiert darüber wirft Estell einen kleinen Blick zu ihm hinüber, denn sie liebt es ihn zu necken. Dann wendet sie sich wieder Nico zu, steht auf und geht zu ihm. Sie stellt sich nah an ihn heran und haucht: „Darüber, dass eine Frau mit im Spiel war, will ich hinwegsehen, wenn du es auch kannst. Ich bin weder eifersüchtig noch nachtragend, weißt du. Bist du damit einverstanden, oder möchtest du die Geschichte ergänzen oder vielleicht korrigieren?“ „Nein, Imperatorin.“ antwortet er zum einen erleichtert, zum anderen etwas beunruhigt. Sie wird langsam etwas ungeduldig und faucht: „Nico, nenn mich wieder Estell!“ Sie lässt ihren Zeigefinger auf seiner Brust kreisen. Er ist etwas angewidert, was er nur schlecht verbergen kann, deshalb schließt er die Augen. Sie spricht weiter: „Wenn du willst, kann ich dir deine alte Stellung wieder geben, allerdings mit einigen Einschränkungen. Nimm es mir nicht übel, aber ich lasse dich nicht mehr im Außendienst arbeiten. Du hast Ausgehverbot und wirst stattdessen mein persönlicher Berater. Sicherlich hast du viele nützliche Dinge während deiner Gefangenschaft gesehen, die uns weiterhelfen können. Deinen alten Posten behält Marco.“ Der Hauptmann und der Oberleutnant sind gleichermaßen erleichtert. Sie fügt hinzu: „Du kannst dich für heute zurückziehen, wenn du möchtest. Dein Quartier steht natürlich noch frei und dir zur vollen Verfügung. Wir haben es nicht angerührt als du kurz weg warst. Ich erwarte deinen Dienstantritt morgen früh. Du kannst wegtreten. Ich wünsche dir eine gute Nacht, mein Lieber.“ Nico verabschiedet sich. Er ist ziemlich verwundert über ihre Sanftheit. Er hatte erwartet als Fahnenflüchtiger angeklagt und von Königin in Stücke gerissen zu werden. Das hätte sie jedenfalls mit jedem anderen an seiner Stelle getan. Er hatte bestenfalls gehofft in Gefangenschaft zu geraten, um von dort aus eine Revolte anzuzetteln oder einen seiner treuen Gefolgsleute dazu zu bringen die sexuellen Eskapaden der Königin beim Spitzel des Königs zu verraten. Das ist natürlich nicht so einfach, weil der Spitzel mit eigenen Augen sehen müsste was da vor sich geht. Eine Revolte hält er für zu riskant, denn die Treue seiner Leute zum König von Roshea hält er für gefestigter als ihre Ergebenheit ihm gegenüber, deshalb bleibt er bei seinem zweiten Plan. Er ist sich sicher, dass die Königin ihren Überwacher irgendwie überlisten und sich weiterhin mit den Offizieren treffen kann. Dieser war erst einen Monat lang da, bevor Nico ausgeschieden ist, deshalb weiß er nicht wie sich die Situation entwickelt hat. Wenn er richtig informiert ist, wird sie in ihren privaten Gemächern nicht von ihm überwacht, aber bis dahin kann man nicht ungesehen vordringen. Wenn sie wie vermutet nach wie vor Herrenbesuch empfängt, muss Nico herausfinden wie sie mit ihnen kommuniziert und wie sie zu ihr gelangen. Nico kehrt wie befohlen zurück in sein altes Quartier. Er wird von all seinen Freunden, Kameraden und Gefolgsleuten freudig begrüßt. Leutnant Randall hat dafür gesorgt, dass die Soldaten ihm zu Ehren an diesem Abend spontan ein Fest veranstalten. Nur einige wenige nehmen nicht teil, darunter Oberleutnant Marco Loran. Alle anderen Führungsoffiziere sind anwesend, sogar der sonst eher zurückgezogene Oberleutnant Jorik Fermar, der die Königin hinter den Kulissen strategisch berät. Auch der Versorgungsoffizier Celestro Haven nimmt an der Feier teil, obwohl er und der Hauptmann nicht gerade beste Freunde sind. Nico ist sich dessen bewusst, dass der Leutnant ab und zu über die Stränge schlägt und Schutzgelder auf dem Markt erpresst. Er hat ihn deshalb schon mehrfach verwarnt und vor der Königin angeklagt. Sie hatte den schönen Haven aber jedes Mal nur darum gebeten nicht Hand an die Stadtbewohner zu legen, was er auch einhielt. Die Schutzgelderpressung duldet sie. Nico sind und waren die Hände gebunden. Der zurückgekehrte Hauptmann freut sich über den starken Rückhalt unter dem Großteil seiner Männer. Dass sie ihn so vermisst hatten, hätte er gar nicht erwartet. Er und Randall sind die guten Seelen unter den Führungsoffizieren, wobei Randall dies mit seinem einschüchternden Äußeren gut zu verbergen weiß. Diese beiden haben die Moral bei den meisten Soldaten immer hoch gehalten. Die Abwesenheit Hauptmann Dugars hat sich auf das Verhalten der Soldaten sehr stark negativ ausgewirkt, was er ab sofort wieder in Ordnung bringen will. Er sieht keinen Grund dafür jetzt Trübsal zu blasen. Die ehrliche Freunde seiner Leute ist ansteckend. Er lacht und feiert mit ihnen. Einige Soldaten dienen schon mehrere Jahre unter Nico Dugars Kommando. Die kramen alte Geschichten hervor, die aus der Zeit stammen als Nico noch in Aranor stationiert war. Er hatte damals eine Bande zerschlagen, die den Trinkwassersee Lanima unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Das ist neben sehr knappen Brunnenwasser die einzige Süßwasserquelle der Wüstenstadt Aranor. Er soll daraufhin noch einen legendären Schatz aus dem See geborgen und die Hälfte der Beute für später positioniert haben. Außerdem kommen sie auf die Geschichte mit den Sklavenring zu sprechen, den Nico schwächen sollte. Das war ihm damals zu wenig, also zerschlug er ihn fast vollständig und befreite damit tausende von Sklaven. Das für alle wichtigste Detail sind jedoch die beiden Tänzerschwestern, eine legendäre Erzählung, die bereits Rekruten zu Ohren bekommen, um ihnen das Militär schmackhaft zu machen. Nico hört sie allerdings gar nicht gern, denn so wie sie von den Soldaten erzählt wird, entspricht sie kaum noch der Wahrheit. Man kann sich sicher vorstellen, wie blumig ein angetrunkener Soldat die Geschichte vom jungen Offizier Nico Dugar und seinen zwei Liebessklavinnen erzählen kann. Jeden Tag soll er unausgeschlafen zum Dienst erschienen sein, weil ihn seine beiden lüsternen Frauen nicht in Ruhe lassen wollten. Tatsachen oder Wahrheiten treten bei solchen Geschichten gern mal in den Hintergrund. Kein Wunder also, dass Nico den Ruf eines Schürzenjägers innehat. Hier in Kalaß hat er schließlich auch wieder eine neue Flamme und eine Beziehung zu einer kalaßer Frau hat hier sonst kein einziger, der ihnen bekannt wäre. Sie klopfen ihm auf die Schultern mit dem Spruch: „So ist er eben, unser Hauptmann.“ Es bringt nichts sich dagegen zu wehren und Nico weiß das mittlerweile. Er kommentiert es nicht und die anderen rufen feierlich: „Verstehen wir, ein Gentleman genießt und schweigt.“ Am nächsten Morgen haben einige Soldaten einen Kater und bekommen Ärger von Oberleutnant Loran, der einfach nur genervt ist von der ganzen Angelegenheit. Nico hat ebenfalls reichlich getrunken, doch hat er diese Probleme an nächsten Morgen nicht und auch noch niemals gehabt. Er tritt wie befohlen in aller Frühe seinen Dienst an, wird in seinen Posten eingewiesen, erhält einen neuen Arbeitsplatz und wird auf den neuesten Stand gebracht. Viel hat sich während seiner Abwesenheit nicht geändert. Die Königin steckt ihrem Hauptmann am Nachmittag einen Zettel zu, auf dem geschrieben steht wie er durch einen Geheimgang in ihr privates Quartier gelangen kann. Er soll sich unbedingt vorsehen und ungesehen bleiben. Früher lud sie ihn ganz offen zu ihm ein, doch nun ist dies ihr Weg die Offiziere heimlich zu sich zu rufen. Er freut sich die Information über den geheimen Gang erhalten zu haben. Eigentlich würde ihm das schon reichen, doch er muss noch sicher stellen, dass er den Wachhund der Königin nicht zum falschen Moment dort hinein schickt. Er braucht schon handfeste Beweise gegen sie. Nico ist guter Hoffnung die Mission vielleicht in wenigen Tagen schon erfüllt zu haben. Früher hat er die Avancen seiner Königin schon mehrfach zurückgewiesen, doch diesmal befindet er sich in einer anderen Situation. Er wird ihrer Einladung folgen müssen, um sein Wohlwollen zu beweisen. Er kann sie auch hinter verschlossener Tür noch zurückweisen, doch er hat nichts dagegen offen mit ihr zu sprechen, ohne von König Riecards Mann bespitzelt zu werden. Dass sie vor vier Wochen den Geheimgang gefunden hat, war ein Glücksfall für sie. Sie hat ihn nicht selbst anlegen lassen, sondern er war schon vorhanden als sie hier eingezogen ist. Sie lehnte sich gegen die Wand neben ihrem Bett und bemerkte einen leichten Luftzug, der ihr verriet, dass sich dahinter etwas verbirgt. Bisher wissen nur ihre Offiziere davon. Wie befohlen betritt der junge Hauptmann am Abend das Quartier seiner Königin. Der Eingang ist nicht schwer zu finden, jetzt wo er weiß, wo er sich befindet. Links neben ihrem Bett öffnet sich eine kleine Geheimtür, aus der Nico gebückt heraustritt. Er war noch niemals in ihrem Quartier uns schaut sich erst einmal die Gegebenheiten ab. Es ist ein recht großer Raum, der aus zwei Teilen besteht. Im vorderen Teil an der Tür befindet sich eine Couchgarnitur und im hinteren das Bett. An den Wänden sind Öllampen angebracht, die oft zu brennen scheinen, was die Rußreste direkt hinter ihnen an der Wand verraten. Vom Geheimgang aus kann man die Couchgarnitur kaum einsehen und das Bett ist ziemlich nah am der versteckten Tür in der Wand. Das sind keine guten Voraussetzungen für ein Spitzel, der von seinem Versteck aus lauschen soll, zumindest solange sie nicht im Bett ist, doch es nützt nichts. Nico muss mit dem Leben was er vorfindet. Es muss trotzdem funktionieren. Estell ist hocherfreut als Nico eintritt und steht von der Couch auf, um ihn zu empfangen. „Endlich besuchst du mich, Nico. Es ist wunderbar dich wieder in Uniform zu sehen. Keinem steht sie so gut wie dir, mein Lieber. Oje, und wie ich sehe hast du deine Orden verloren. Ich lasse sie dir ersetzen und verleihe dir noch einen weiteren, wenn du willst, aber bitte nimm erstmal Platz.“ Sie deutet auf die Couch und er setzt sich. Vor ihm steht ein leeres Glas, das Estell gerade mit Cognac füllt. Nico vermutet, dass sie schon ein, zwei Gläschen getrunken haben muss, denn sie macht auf ihn einen leicht angeheiterten Eindruck. Bemerkenswert ist auch was sie trägt, oder eher was sie nicht trägt. Ihr Kleid besteht aus einem engen Korsett mit Spitze, das ihre Brüste sehr stark betont und einem sehr kurzen Seidenrock. Sie hat die Haare nicht wie sonst hochgesteckt, sondern trägt sie offen. Estell hat schönes schwarzes wallendes Haar und es steht ihr gut, doch mit dem von Kara kann es nicht mithalten. Nico beschleicht der unangenehme Verdacht, dass sie sich heute mit ihm nicht nur verbal austauschen möchte. Das macht ihn etwas unruhig, denn so hatte er sich das ganz und gar nicht gedacht. Die Königin nimmt nun neben ihm Platz, rutscht nah an ihn heran und lächelt lieblich, als sie beginnt zu erählen. „Ach Nico, weißt du warum ich das hier eigentlich alles mache?“ „Soweit ich weiß, wollt Ihr Yoken zur Kooperation bewegen.“ Antwortet er gefasst, worauf sie ihre Hand auf seinem Bein ablegt und er kurz die Luft anhält. „Ja, das ist die offizielle Version. Aber weißt du, Yoken ist bereits verhandlungsbereit, seit einer ganzen Weile schon. Ich halte die Besetzung von Kalaß aus einem anderen Grund aufrecht.“ Sie nimmt ihr Cognacglas, trinkt einen Schluck und wird darauf melancholisch. „Weißt du eigentlich, dass Riecard sich ein Dutzend Frauen zu seinem Vergnügen unterhält?“ Nico ist das bekannt, doch er hat keine Lust auf ihre Frage zu regieren, immerhin zielt sie in eine ihm unangenehme Richtung. Auf sein Schweigen hin holt sie weiter aus: „Ich habe es bei Hof nicht mehr ausgehalten und mir einen Weg gesucht um von dort auszubrechen. Um Riecard zu verletzen habe ich mich mit schönen Männern umgeben, doch es hat ihn nicht einmal interessiert. Er stimmte ohne an mir zu zweifeln meiner Auswahl zu. Ich glaube ich fing aus reinem Trotz an wirklich mit ihnen zu schlafen. Erst als neuerliche Gerüchte aufkamen, schickte er mir einen Überwacher auf den Hals. Nach mehr als einem Jahr, Nico, mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis er dahinter kam. Ich glaube es ist ihm vollkommen egal was ich hier mache, Hauptsache ich beschmutze seine Ehre nicht. Er als König darf offiziell so viele Mätressen haben wie es ihm beliebt, aber wenn ich mir einen Liebhaber suche, wird gleich eine Staatsaffäre daraus gemacht. Ich sehe es nicht mehr ein die treue Gattin zu spielen, der Verrat an meinem Gatten schmerzt mich dennoch, deshalb bin ich inzwischen unsicher.“ Ihre Hand wandert ein Stück Nicos Oberschenkel hinauf. Er schluckt und fragt sie wie er sich aus der Situation herauswinden könnte. Ihre Lebensgeschichte interessiert ihn nicht im Ansatz, deshalb überlegt er fieberhaft wie er das Thema ändern könnte. Als sie mit einer Verzweiflung in der Stimme, die er so noch niemals von ihr gehört hat, fragt: „Nico, sag mir, findest du mich deshalb abstoßend? Verurteilst du mich für mein Handeln?“ Fühlt er sich in die Ecke gedrängt. Er versucht sich eine möglichst diplomatische Antwort auszudenken, mit der er sie nicht beleidigt, sie aber im nächsten Moment auch nicht gleich über ihn herfällt. Noch bevor er seine Antwort formulieren kann, spricht sie weiter. „Nico, du bist der einzige, den ich das fragen kann, ohne Gefahr zu laufen, angelogen zu werden. Die anderen Offiziere sagen was ich hören will, aber du nicht. Du bist der einzige, der mir Kontra gibt, sei es in der Politik oder bei meinen Annäherungen an dich. Vielleicht hilft es dir über mich zu entscheiden, wenn ich dir sage, dass ich niemanden mehr an mich heran gelassen habe, seit du verschwunden bist. Mir ist klar geworden wie einsam ich bin. Keiner hier liebt mich als Frau, sondern nur als ihre Imperatorin. Vielleicht kann man mich auch gar nicht lieben, ich weiß nicht? ... Deshalb bitte ich dich mir ehrlich zu sagen, ob du mich verurteilst?“ Nun kann Nico nicht mehr ausweichen, denn er ist ihr eine Antwort schuldig. Immerhin ist er schon froh, dass ihre Hand an seinem Bein nicht weiter nach oben gerutscht ist. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie sich mit ihm gerade sehr unsicher ist. Notgedrungen antwortet er: „Nein, ich verurteile Euch nicht. Riecard ist kein guter Ehemann, denn er hat Euch dazu getrieben Eure eigenen Ideale zu vergessen.“ Glücklich über seine Antwort wendet sich die Königin ihrem Angebeteten nun noch weiter zu. Sie legt ihren Arm auf der Rückenlehne hinter ihm ab und fährt ihm durch sein volles, violettes Haar. Die Hand an seinem Bein bewegt sich zu Nicos Erleichterung wieder nicht. Er hofft inständig, dass sie ihm nicht zwischen die Beine geht, denn er hat in der letzten Zeit zwar viel Frust, aber auch sehr viel Lust mit Kara aufgebaut, die er nirgends kompensieren konnte, sodass sein Körper bei der kleinsten Berührung höchstwahrscheinlich mit Erregung reagieren wird. Estell würde das natürlich auf sich beziehen und ihn in eine problematische Lage bringen. „Du weißt gar nicht was das für mich bedeutet, mein lieber Nico.“ Schmachtet sie ihn erleichtert an, doch in diesem Moment hat er eine Idee wie er das wieder sachlicher werden lassen kann und fragt, ihre Hand an seinem bei ein wenig weg schiebend: „Aber wenn Yoken bereits verhandlungsbereit ist, warum ist es Euch dann jetzt nicht genug? Ihr habt doch alles erreicht was Ihr wolltet. Warum habt Ihr mich nicht schon damals in die Verhandlungsbereitschaft König Miikals von Yoken eingeweiht?“ Estell findet diese Frage ihres hübschen Hauptmanns fast naiv niedlich, deshalb kichert sie: „Hihi, ach Nico. Es ist doch nicht genug, solange Kalaß autonom ist. Nein, ich fühle mich hier viel wohler als bei Hof. Ich plane Kalaß dauerhaft als meinen Herrschaftssitz auszubauen und mich vom Königreich Roshea zu lösen.“ Damit hatte der Hauptmann nicht gerechnet und er fährt in sich zusammen. Er nimmt ihre Hände von sich und wird aufgebracht. „Estell, was Ihr da plant würde Kalaß in den Krieg stürzen, einen der nicht zu gewinnen ist.“ Estell erwidert kichernd: „Genau deshalb mag ich dich, mein lieber Nico. Du sagst was dir in den Sinn kommt. Natürlich wäre ein offener Krieg mit unserer kleinen Einheit nicht zu gewinnen, doch es geht auch anders. Am Hof gibt es bereits einen Konflikt über die Rechtmäßigkeit von Riecards Herrschaft, viele Streitereien über die Thronfolge und mindestens fünf hervorragende Thronanwärter. Würde Riecard etwas zustoßen, dann würden sie sich gegenseitig zerfleischen und damit den ganzen Hof ins Chaos stürzen. Das gesamte Militär wird währenddessen auf mich blicken, denn ich bin und bleibe die höchste Generalin des Königreiches Roshea, ganz unabhängig von meinen Titel als Königin. Während sich der Hochadel weiter streitet, steige ich durch einen Militärputsch an die Spitze des Landes auf. Nach Nalita will ich allerdings nicht zurück. Ich regiere von Kalaß aus, das ebenfalls fast mein ist.“ Darauf weiß Nico nichts zu entgegnen, denn er wusste nicht, dass sie solche Ambitionen hat. Die Imperatorin erklärt sanft: „Ach Nico, so viel wollte ich dir gar nicht gleich am ersten Abend verraten. Ich habe mich so über deinen Besuch gefreut, dass du mir schon all meine Geheimnisse entlocken konntest, du hübscher Schlingel. Sehr geschickt von dir. Dann brauche ich den Rest auch nicht mehr für mich zu behalten.“ Sie richtet sich auf und breitet ihre Arme vor ihm aus. „Mein liebster Nico, ich möchte dir ein Angebot machen. Es ist beeindruckend, welchen Einfluss du in nur einem Jahr auf das hier stationierte Regiment hattest. Ich habe deine Ankunft gestern genau beobachtet. Die Soldaten ehren dich nicht, sie vergöttern dich, ganz genauso wie ich. Du bist so geeignet wie kein anderer. Führe diese Stadt und auch Roshea mit mir gemeinsam in eine bessere Zeit! Kein Mann ist so geeignet Imperator zu werden wie du es bist. Du vereinst die Massen mit deinem Charisma und deiner Führungsstärke.“ Der junge Hauptmann glaubte auf alles vorbereitet zu sein, doch so ein Angebot hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Er würde ja behaupten sie sei größenwahnsinnig, doch ihr Plan ist gut, könnte sogar durchaus funktionieren und entbehrt nicht einen gewissen Reiz für ihn. Er spielt alles in Gedanken durch, während sie sich nach von zu ihm beugt und beginnt mit ihrer Hand unter seiner geöffneten Jacke über seinen Oberkörper zu fahren, während sie zärtlich fragt: „Was sagst du dazu, Imperator Nico?“ Ins Leere an ihr vorbei blickend, drückt ihre Hand von sich weg und steht auf. „Hört doch mal auf mit dem Gefummel und lasst mich nachdenken!“ schimpft er unsensibel, schroff und gedankenverloren, ohne Rücksicht auf seine eigentlich missliche Lage zu nehmen. Genau so kennt und liebt Estell ihn, weshalb sie sich keinerlei Gedanken darüber macht. Er geht ein Stück im Raum umher und sie folgt ihm. Als er stehen bleibt, legt sie ihren Kopf auf Nicos Rücken, umarmt ihn von hinten und fragt: „Du bist doch nicht wegen dieser Frau zögerlich, die du vor Loran beschützt hast, oder doch? Das wäre sehr verletzend für mich.“ „Was soll sie damit zu tun haben?“ sagt er als sei sie eine Nebensache, was die Imperatorin ihm abkauft. Wieder fährt sie in seine Jacke und diesmal sogar unter sein Shirt und streichelt über seine Bauch- und Brustmuskeln. Am liebsten würde sie ihn einfach aufs Bett werfen und ihn sich nehmen, doch sie spürt, dass sie ihn fast so weit hat, bis er die Führung übernimmt. So lange kann sie jetzt auch noch warten. „Estell, ich habe jetzt keine Lust auf sowas. Ich brauche etwas Zeit. Ich kann das nicht sofort entscheiden, versteht Ihr?“ ist seine heutige finale Antwort. Wieder nimmt er ihre Hände von seinem Körper und dreht sich zu ihr, als sie verständnisvoll lächelnd antwortet: „Vielleicht war das wirklich etwas zu viel für einen Tag. Ich gebe dir bis morgen Abend Bedenkzeit.“ Der junge Hauptmann ist erleichtert aus dieser Situation nochmal mit heiler Haut herausgekommen zu sein. Er wünscht Estell eine gute Nacht und verlässt ihr Quartier. Ihm ist klar geworden, dass er dem Spitzel keinen Termin nennen kann, an dem Estell von einem anderen Offizier einen nächtlichen Besuch bekommt. Der einzige Herrenbesuch den sie empfangen wird, wird seiner sein und er hat mehr Zeitdruck als er dachte. Das war es, was ihm durch den Kopf schoss, als sie ihm das Angebot seines Lebens gemacht hat. Er legt eine Hand in sein Haar als ihm bewusst wird was das für ihn bedeutet. Er sieht Kara in seinem inneren Auge vor sich, weshalb eine Brust schmerzt. Er macht in dieser Nacht kein Auge zu. Kapitel 9: Die Höhle der Löwin III ---------------------------------- Als Nico am nächsten Morgen aufsteht, ist er ziemlich neben der Spur. Er weiß was er zu tun hat, doch richtig von falsch zu unterscheiden fällt ihm im Moment reichlich schwer. Er kann die Königin nicht weiter hin halten, denn wartet er ab, schickt sie auch ohne seiner Mithilfe einen Attentäter zum König, dann allerdings ohne, dass der Spitzel davon erfahren würde. Hilft er ihr, wird er sie vielleicht etwas bremsen können, so wie er es früher schon immer getan hat. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Er muss Kara mit einer Frau betrügen, die er nicht liebt. Die Königin hat ihn in der Hand, denn selbst wenn er sich dazu entscheidet sie abzunehmen, wird sie ihn sich entweder mit Gewalt nehmen oder sie liquidiert ihn sofort. Sein einziger Handlungsspielraum besteht darin nachzugeben. Egal wie er es dreht und wendet kommt er immer wieder zum selben Ergebnis mitspielen zu müssen. Heimlich nimmt er Kontakt zum Spitzel des Königs auf, dessen Namen er jetzt erfährt. Nico erzählt Leparo vom Geheimgang zu den Privatgemächern der Königin. Er erklärt ihm wo dieser zu finden ist und sagt ihm er solle um genau neun Uhr bis zum Ende des Ganges gehen und die Tür einen Spalt öffnen, um zuzuhören und zuzusehen was geschieht. Der kleine Mann in edler Kleidung, und stets einem Schreibblock in de Hand bestätigt, dass er schon lange einen solchen Verdacht hegt. Er bedankt sich und versichert, dass er pünktlich sein wird. Nico hasst die Eigenschaft an sich, seine Fähigkeit die Herzen der Menschen aufschließen zu können, missbräuchlich einzusetzen. Er nutzt seinen Einfluss, um sie zu manipulieren und tut es immer wieder, dabei hatte er sich selbst einmal geschworen damit aufzuhören. Er fühlt sich schon jetzt auf vielerlei Hinsicht schmutzig und auch schuldig. Angestrengt versucht er seiner Arbeit nachzugehen, doch einigen Soldaten fällt es auf, dass ihr Hauptmann heute besonders ruhig und unaufmerksam ist. Am Nachmittag geht Nico allein auf eine vor kurzem erst hinzugefügte Veranda. Ein kühler Novemberwind fährt ihm durch sein violettes Haar, was er als sehr angenehm empfindet. Er lehnt sich nach vorn auf das Geländer und starrt ins Leere. Ein solches Verhalten sieht ihm eigentlich nicht ähnlich. Er ist normalerweise ein Mann der immer gut gelaunt, hoch konzentriert, zuverlässig und unbeugsam ist, deshalb geht ihm Hauptgefreiter Tomsen hinterher und fragt seinen Freund und Vorgesetzten was heute mit ihm los sei. „Ist alles in Ordnung bei dir, Nico?“ Tom ist zwar erst zur Armee gegangen kurz bevor Kalaß besetzt wurde, doch trotzdem sind er und Nico richtig gute Freunde geworden. Bei dem großen Rangunterschied ist das durchaus eine Seltenheit. Die beiden sprechen sich daher privat mit Vornamen an. Nach einer kurzen Pause antwortet Nico geistesabwesend: „Ich muss heute wahrscheinlich den Fehler meines Lebens begehen.“ Der junge Hauptgefreite versteht nicht was sein Freund damit sagen will und sieht ihn fragend an. Dabei bemerkt er, dass Nicos Augen glasig sind, glaubt aber das könnte auch am Wind liegen und will nicht zu viel hinein interpretieren. Nico, der immer noch ins Leere hinaus starrt, reagiert gar nicht auf Toms fragenden Blick. Dieser überlegt unterdessen immer noch was mit seiner Äußerung gemeint sein könnte. So einen Satz sagt man nicht einfach so daher. Er würde gern weiter nachfragen, doch ihm ist klar, dass Nico jetzt nicht darüber sprechen möchte. Er akzeptiert das und lässt seinen melancholischen Hauptmann allein zurück. Am Abend geht Nico, wie mit Estell vereinbart, durch den Geheimgang zu ihr. Seine Gefühle hat er versucht weitestgehend wegzuschließen. Heute trägt sie ihr Haar wieder offen, jedoch noch weniger Kleidung als am Tag zuvor. Ihr Outfit besteht nur noch aus einem Bustier und einem knappen Höschen. Darüber trägt sie ein durchsichtiges Negligé, das sie aber bald ablegt. Aus irgend einem Grund scheint sie zu ahnen, dass Nico ein Faible für lange offene Haare hat, denn normalerweise trägt sie es immer hochgesteckt. Vielleicht ist es aber auch nur Zufall. Er hat keinen Schimmer wie sie sonst aussieht, wenn sie sich in ihren Privatgemächern bewegt und es interessiert ihn auch nicht. Auch wenn er sich eingesteht, dass sie eine attraktive Frau ist, so wäre sie unter normalen Umständen nie für ihn infrage gekommen. Nico liebt die natürliche Schönheit. Schmuck und Make-up stören ihn an Frauen und haben seiner Meinung nach nichts an ihnen zu suchen und ganz besonders nicht an den schönen, denn es lenkt nur von dem ab, was er an ihnen anschauen will. Zudem kann er nicht außer Acht lassen, dass sie einen miesen Charakter hat, doch jetzt ist es völlig egal was Nico über Estell denkt. So oder so wird er aus dieser Sache nicht mehr herauskommen. Er ist mehr oder weniger der Überzeugung die richtige Entscheidung getroffen zu haben und dem Spitzel Bescheid zu geben. Um sein Leben zu retten, hätte er Estell ohnehin irgendwann nachgeben müssen. So hat sein Opfer wenigstens einen Sinn und dient nicht nur seinem Überleben. Die Königin bittet ihn, wie schon am Abend zuvor, wieder auf der Couch Platz zu nehmen. Sie spricht mit ihm über Einsamkeit, Vertrauen, Verrat, Liebe, Ehre, Pflichtbewusstsein, all diese Dinge, als ob sie außer Einsamkeit und Verrat irgendwas davon verdienen oder besitzen würde. Sie versucht sich damit scheinbar für ihren schlechten Charakter zu rechtfertigen. Währenddessen zieht sie nach und nach Nicos Kleidung aus, bis er nur noch seine schwarze Uniformhose trägt, wogegen er sich heute nicht zu Wehr setzt. Hin und wieder nimmt sie einen kräftigen Schluck Cognac und er trinkt ebenfalls mit, denn anders ist diese Situation für ihn nicht zu ertragen. Zärtlich streichelt sie seinen Oberkörper während sie spricht. Da Nico zwar lügen, aber nicht sonderlich gut Schauspielen kann, fällt es ihm sehr schwer den Handzahmen zu spielen. Zu gern würde er ihr sagen, dass sie eine schreckliche Frau ist die niemals einen Mann wie ihn verdient hätte, doch er muss sich zusammenreißen. Es geht um sein Leben und die Zukunft dreier Staaten, nicht mehr und nicht weniger. Er versucht konzentriert zu bleiben und Kara aus seinen Gedanken zu verbannen, denn sie lässt in zweifeln. Die große Standuhr verrät ihm, dass es Punkt neun Uhr ist und das bedeutet, dass es nun erst für ihn wird. Er schließt kurz die Augen, um in sich zu gehen, trinkt sein gerade wieder frisch aufgefülltes Cognacglas aus und entschuldigt sich innerlich bei Kara. Er fährt sich durchs Haar, dann nimmt er die Königin streng ins Visier, die bemerkt, dass er nun etwas verkünden will und ihm aufmerksam zuhört. „Ich habe mich entschieden.“ sagt er schroff. Nico glaubt im Hintergrund ein kleines Knirschen zu hören, was ihn hoffen lässt, dass der Zuhörer nun wie besprochen am Platz ist. Zu seinem Glück ist die Königin wie in Trance völlig gebannt von der bevorstehenden Ankündigung ihres Hauptmanns und hat nichts mitbekommen. Sie blickt ihn erwartungsvoll an, als er fast schon im Befehlston weiterspricht: „Estell, Euer Angebot ist zu verlockend. Ich will Euch nicht nur bei dem Vorhaben unterstützen den König zu stürzen, ich will es anleiten. Ich gehe davon aus die Wahl des Attentäters ist schon gefallen? Die folgenden Entscheidungen werde ich gemeinsam mit Euch treffen. Als Imperator werde ich endlich den Respekt erhalten, der eines Mannes wie mir würdig ist, denn ich bin zu höherem geboren. Ich erwarte, dass Ihr mir Eure Pläne vollständig vorlegt, denn Ihr mögt das Wissen haben, doch ich bin der bessere Stratege von uns beiden. Ihr schafft es nicht ohne meine Unterstützung in die gewünschte Position.“ Der heimliche Zuhörer Leparo stößt sich den Kopf vor Schreck, weshalb ein leises Poltern zu hören ist. Zu Nicos Erleichterung überhört die Königin das Geräusch, denn das ist mehr als sie erwartet hatte und sie bebt vor Erregung. Sie wirft sich an seine Brust und quiekt hocherfreut: „Oh Nico, ich wusste es. Ich wusste, dass du der Richtige bist und dass ich auf dich zählen kann. Du machst mich so glücklich. Ich habe richtig Gänsehaut bekommen. Du bist ein Alphatier. Das habe ich gleich gemerkt, als ich dir das erste Mal begegnet bin. Dich umgibt eine herrschaftliche Aura. Man will sich dir instinktiv unterordnen. Bist du dir dessen bewusst?“ Natürlich weiß er davon, auch wenn es noch niemand so treffend auf den Punkt gebracht hat. Was glaubt sie wohl wie er es bis hier hin geschafft hat? Doch das ist es nicht was er ihr sagt, denn er antwortet berechnend: „Dann passe ich ja hervorragend zu Euch.“ Er weiß, dass er jetzt aktiv werden sollte, weil er sonst Gefahr läuft sich unglaubhaft zu machen. Zurückgelehnt sitzt er auf der Couch und die zu ihm gelehnte Estell sieht ihm in seine eher ausdruckslosen und trotzdem funkelnden Augen. Es kostet eine ziemliche Überwindung für ihn sie am Hinterkopf zu packen und ihre Lippen auf seine zu pressen. Zärtlichkeit hat er für sie keine übrig, doch das stört sie kein bisschen. Ihr gegenüber war er schon immer so schroff und das ist es auch was sie von ihm erwartet und sie an ihm so erregt. Über ein Jahr hat sie um seine Aufmerksamkeit gebuhlt, ihn überall bevorzugt und jetzt zahlt es sich endlich aus. Während des Kusses öffnet sie nun auch seine Hose. Wie von Nico erwartet, reagiert sein Körper unmittelbar auf die Berührung. Er schämt sich fast ein bisschen dafür, denn im Grunde spiegelt es nicht seine Gefühlswelt wider. Als sie seine Erregung bemerkt, beendet sie den Kuss, leckt sich die Lippen und wendet ihre volle Aufmerksamkeit seinem Glied zu. „Überall so gut gebaut, was?“ kommentiert sie, bevor sie beginnt. Er denkt darüber nach, dass ihm die ach so große Imperatorin jetzt gerade zu Füßen liegt. Wenigstens etwas Gutes kann er der Sache also abgewinnen. Es fühlt sich fast wie ein Triumph an, doch noch ist er hier nicht fertig. Angespannt hält er die Augen geschlossen und versucht sich abzulenken. So geschickt wie sie ist, macht sie das nicht zum ersten Mal und zu seinem Ärger entgleitet ihm die Kontrolle recht schnell, weshalb Estell vergnügt quietscht. „Nico, du Teufel. Ich komme mir vor wie deine Mätresse.“ Ausdruckslos schweigend bleibt er sitzen, weshalb sie zu fordern beginnt: „Und jetzt zeigst du mir was du kannst! Du weißt doch ganz genau was Frauen mögen. Ich kenne die Geschichten, die man sich über dich erzählt, also halt dich nicht zurück.“ Er wünscht sich, dass es endlich vorbei wäre, doch so wie es aussieht, muss er doch aktiv werden. Emotionslos steht er auf und trägt sie zum Bett. Er bemerkt, dass Leparo noch immer im Geheimgang steht, wofür Nico ihn am liebsten umbringen würde. Dieser Voyeur hat schon lange was er benötigte, doch er ist noch immer nicht gegangen. Wenn die Sache jetzt wegen ihm aufliegt, war alles umsonst. Das macht den jungen Hauptmann so wütend, dass er Estell unsanft aufs Bett wirft. Endlich zieht Leparo sich zurück, doch die Wut ist noch immer in Nico und er wird sie an der Königin auslassen. Diese bekommt jedoch genau was sie will, denn endlich werden ihr gegenüber die Samthandschuhe weg gepackt. Wie lange hat sie schon auf so einen Mann gewartet? Er steigt über sie und sieht sie ernst an. Emotionen kann er nun einmal nicht heucheln, was in diesem Fall nicht schlimm ist, denn sie schmachtet: „Ja, genau so, mein Imperator!“ Nico ist unsanft und gefühllos, doch genau das gefällt ihr. Als er meint, dass sie genug hat, hört er auf. Keuchend liegt sie neben ihm. Immer noch völlig außer Atem haucht sie: „Alle wollen es mir immer nur recht machen, aber du nimmst mich wie es sich für einen Mann gehört.“ Nico kann sich nicht vorstellen, dass ihr das gefallen haben kann. Er hat sich ja nicht mal Mühe gegeben. Er hat echt keine Ahnung, aber scheinbar fand sie gerade das so erregend. Bis eben war sein Kopf völlig leer, doch nun fällt ihm Kara wieder ein und sein Herz verkrampft sich. Nach einer Weile steht er auf, geht immer noch nackt, wie er ist, zum Fenster und sieht hinaus in die Nacht auf die Stadt Kalaß, in der aller Wahrscheinlichkeit nach seine Liebste um ihn bangt. Kurz darauf kommt ihm Estell hinterher. Sie sieht mit ihm hinaus und sagt sanft: „Das hier wird alles dir gehören, mein Geliebter.“ und gibt ihm im Anschluss einen sanften Kuss in den Nacken, auf den Nico ebenso kalt reagiert, wie auf alles andere was sie sagt und tut. „Ich gehe wieder an mein Quartier. Ich möchte nicht, dass es auffällt, wenn ich nicht da bin.“ Was Estell fröhlich erwidert: „Oh, Das ist löblich von dir, Nico. Du bist immer auf den Schutz deiner Imperatorin bedacht.“ Er sammelt seine Sachen zusammen und zieht sich an. Dann wünscht er eine gute Nacht und verlässt ihr Privatgemach. Auch den Rest dieser Nacht macht er kein Auge mehr zu. Sein Gewissen quält ihn, denn er fühlt sich schuldig, benutzt und schmutzig. Das Gefühl ist so intensiv, dass er nun wieder daran zweifelt das Richtige getan zu haben. Am nächsten Morgen ist der Spitzel Leparo verschwunden, doch niemand scheint sich darum zu kümmern. Nico fühlt sich unwohl und verhält sich erneut distanziert zu Estell, in dessen Folge er ihre Einladungen zu sich ausschlägt, doch das kann er nicht ewig tun. Quälende Tage verstreichen, an denen Estell zunehmend weniger Scheu davor hat Nicos Nähe ganz offen auch vor den anderen Soldaten zu suchen. Allein mit ihr im selben Raum zu sein, belastet ihn schon. Vor seinen Gefolgsleuten sind ihm ihre Annäherungsversuche jedoch noch unangenehmer. Während den taktischen Beratungen sind alle Offiziere zugegen. Es ist die erste, die seit Nicos Rückkehr stattfindet. Durch die andauernden körperlichen Annäherungen von Königin Estell gegenüber ihrem Hauptmann Dugar, sind die anderen Offiziere einigermaßen irritiert. Sie alle hatten bereits ein Verhältnis mit ihr, doch war sie bisher noch nie so offensiv damit umgegangen. Außerdem wundert es sie, dass sich der bisherige vehemente Verweigerer Nico Dugar dafür überhaupt hergibt und das ausgerechnet nachdem er monatelang verschwunden war, was ihn in mancher Augen suspekt erscheinen lässt. Oft steht sie hinter dem am Tisch sitzenden Nico und legt ihre Arme um ihn. Besonders der etwas schmächtigere strategische Berater Oberleutnant Jorik Fermar und der Versorgungsoffizier Leutnant Celestro Haven stehen der neuen Situation sehr kritisch gegenüber. Beide kommen nicht so gut zurecht mit den Launen der Königin und würden mit Nico Dugar gern die Plätze tauschen. Haven versteht nicht was an Dugar besser sein soll als an ihm. Er selbst ist in seinen Augen schließlich mit großem Abstand der Hübscheste von allen. Der Offizier im Truppendienst Leutnant Rick Randall steht der Sache gelassener gegenüber. Er kann sich schon denken in welcher Lage sich Nico Dugar gerade befindet. Ihm ist die Abwesenheit des königlichen Wachhundes aufgefallen und er vermutet einen Zusammenhang zum Wiederauftauchen des Hauptmanns. Er selbst hat schon einmal darüber nachgedacht die Imperatorin auf irgend eine Art und Weise zu stürzen, doch ist ihm kein geeigneter Plan in den Sinn gekommen. Er vermutet nun in Nico Dugar einen Verbündeten. Hätte er das eher gewusst, so hätte er sich schon viel früher mit ihm darüber austauschen können. Der ebenfalls anwesende Marco Loran verhält sich hingegen wie immer distanziert und überheblich. Er war seinem Hauptmann gegenüber aber auch noch nie wohlgesonnen. Hauptthema der Sitzung ist Nicos Gefangenschaft und Oberleutnant Fermar beginnt ihn auszufragen: „Hauptmann Dugar, berichten Sie doch bitte darüber was Sie während der letzten Wochen in Kalaß alles gesehen haben. Ich schätze, dass Sie eine Menge Einblicke in die Organisationsstruktur der Widerständler erlangen konnten. Wo wurden Sie festgehalten? Sie waren wie vom Erdboden verschluckt.“ Alle vier am Tisch sitzenden Offiziere und die hinter Nico stehende Estell fixieren ihren Hauptmann. Bisher hat er sich über nähere Fakten ausgeschwiegen und nur davon berichtet, dass sich ein Widerstand zu bilden beginnt. Randall ist besonders gespannt auf Dugars Aussage. Für ihn wird sich jetzt zeigen, ob er mit seiner Einschätzung Recht behalten wird. Er geht davon aus, dass der Hauptmann keine weiteren Informationen preisgibt. Nico hingegen weiß, dass er sich unglaubhaft macht, wenn er behauptet er hätte nichts weiter gesehen. Seinen Verrat hat er bereits begangen. Sollte er aus irgendeinem Grund nun doch noch Scheitern, so ist Kalaß ohnehin verloren, also entscheidet er sich dafür zu erzählen was er weiß. „Setzt Euch bitte, Estell.“ befiehlt er, was sie gern befolgt und neben ihm Platz nimmt. Danach erläutert er was er gesehen hat: „Sie haben es treffend formuliert, Oberleutnant. Ich war buchstäblich von Erdboden verschluckt. Man hielt mich in einem unterirdischen Tunnelsystem gefangen, das sich womöglich unter ganz Kalaß erstreckt. Ich wundere mich, dass ich selbst nichts darüber musste. Der Widerstand bildet sich im Untergrund. Viele Bürger organisieren sich und sammeln ihre Kräfte. Als ich durch die Tunnel geführt wurde, habe ich gehört wie Waffen geschmiedet wurden. Die geschickten kalaßer Handwerker haben zwar keine Mühe damit scharfe Waffen zu schmieden, sie wissen allerdings nicht wie man sie ordentlich ausbalanciert. Optisch sind sie dafür aber wirklich schön anzusehen. Ihr Hauptproblem besteht darin diese Schwerter und Lanzen zu führen. Sie haben keine Waffenmeister und können sich gegenseitig deshalb kaum etwas beibringen und ihr Umgang damit ist dilettantisch. Die Organisation des sogenannten Widerstands ist ebenfalls lasch und stellt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Bedrohung dar. Ich würde trotzdem raten ihn zu unterbinden.“ Was Nico nicht wissen konnte, ist dass die Information über die Tunnel inzwischen an den hier anwesenden Führungsstab durchgesickert ist und sie gerade seine Loyalität auf die Probe stellen. Das geschah nicht auf Estells Befehl hin, denn sie vertraut ihrem Geliebten. „Nico, du kennst doch bestimmt auch Zugangspunkte zum Tunnelsystem, nicht wahr?“ fragt die Imperatorin hochmütig, die den anderen vier Offizieren damit beweisen kann, dass sie im Recht war. Nico beantwortet auch das mit der Wahrheit: „Ich kenne nur einen, aber das sollte genügen.“ Estell gibt ihm einen Kuss auf die Wange, denn sein Kopf ist damit aus der Schlinge, was ihm jedoch keiner verrät. Leutnant Loran hebt die Augenbrauen und sagt verstimmt: „Das soll uns jetzt seine Loyalität beweisen? Er könnte uns damit genauso gut versuchen in eine Falle zu locken.“ Die Königin wirft ihm für seinen vorlauten Beitrag einen bösen Blick zu und fragt: „Was halten die anderen davon?“ Sie lässt ihren Blick schweifen, doch keiner traut sich zu sprechen, bis sie Leutnant Randall direkt anspricht. „Was hältst du davon, Rick?“ Ausgerechnet er ist gerade am stärksten verwirrt, denn er dachte bis eben, dass Dugar möglicherweise seine Königin verraten wollen würde, doch diese Information schadet Kalaß. Er kann sich nur vorstellen, dass Marco Loran vielleicht recht hat mit seiner Vermutung und es eine Falle ist, deshalb antwortet er: „Das klingt sehr gut. Wir sollten alle nötigen Vorbereitungen treffen und die Höhlen ausräuchern.“ Estell nickt ihren anderen beiden Offizieren nacheinander zu. „Alles klar, stimmt ihr auch zu Celestro und Jorik?“ Als auch diese beiden etwas zögerlich nicken, richtet sich die Königin auf. „Du bist überstimmt, Marco. Alle anderen vertrauen auf Nicos Wort und ich tue es auch. Bereitet alles vor um, wie Rick so schön gesagt hat, die Höhlen auszuräuchern. Ich möchte euch nach wie vor darum bitten behutsam vorzugehen. Tötet nicht unbedacht. Ich will die Bürger nicht weiter aufwiegeln, sondern unter mir vereinen. Denkt euch jeder bis morgen einen Plan aus wie wir den Untergrund ohne Opfer unter Kontrolle bringen können! Alles weitere besprechen wir dann morgen.“ Estell löst die Runde auf und die vier anderen Offiziere verlassen den Raum. Als auch Nico aufsteht und gehen will, hält sie ihn zurück und streichelt ihm über die Brust. „Nun vertrauen dir die anderen endlich auch wieder. Möchtest du mir nicht noch ein bisschen Gesellschaft leisten, mein Geliebter?“ Er schaut kühl an ihr vorbei, als er antwortet: „Ich habe gerade mehrere Ideen und möchte sie zu Papier bringen. Entschuldigt mich bitte, Estell.“ „Ach Nico, wie pflichtbewusst du wieder bist. Arbeit mit Vergnügen zu vermischen, liegt dir offenbar nicht.“ Sagt etwas enttäuscht und lässt von ihm ab. Erleichtert verlässt Nico den Raum. Sie mag seine ruppige Art und sieht ihm sehnsüchtig nach. Sie will seine volle Aufmerksamkeit und wenn sie die nicht bekommen kann, dann will sie lieber gar keine. Nico profitiert von dieser Einstellung und kann Estell dadurch auf Abstand halten. Er schafft es sie bis zu jenem Tag abzulehnen, an dem endlich ein Teil der Armee des Königs von Roshea bis vor die Tore von Kalaß marschiert und es belagert. Sie fordert den unverzüglichen Rückzug der Imperatorin aus der Festungsstadt. Die Spitze der Armee wird angeführt von Generalmajor Shaan Coral, der gemeinsam mit vier weiteren Männern vor das Haupttor der Festung tritt. Der königstreue Stabsoffizier, Anfang vierzig wird von vielen Bürgern, die ihm beim Einmarsch beobachten, als Hoffnungsschimmer gesehen die Besatzung zu beenden. Rivalisierende Teile der selben Armee treffen aufeinander und das deuten sie, selbstverständlich richtig, als eine Überschreitung von Königin Estells Kompetenzen. Ohne Begleitung und unbewaffnet wird er von den Soldaten der Königin in die Festung begleitet und von Estell in ihrem Thronsaal in Empfang genommen. Ihre Späher haben sie schon vorgewarnt und sie hat Nico holen lassen, der jetzt neben ihr steht. Gastfreundlich sagt sie: „Sei mir willkommen, Shaan. Du bist mir wohl bekannt, denn nur zu gern hätte ich einen so schönen Mann wie dich in meine Armee aufgenommen. Du hättest hervorragend zu uns gepasst, doch der König ließ mich keine Stabsoffiziere mitnehmen. Es ist ein Jammer, denn du scheinst mir sehr fähig zu sein. Wie ich sehe, trägst du ein neues Abzeichen auf deiner Uniform, um dich von meinen Leuten zu unterscheiden. Das ist herzig. Wessen Idee war das?“ Generalmajor Coral antwortet laut und deutlich ohne auf die Frechheit der Königin einzugehen: „Auf Befehl des Königs muss ich Euch bitten, Eure Armee aus Kalaß abzuziehen, meine Königin. Ich habe den Auftrag Euch nach Nalita zu überführen.“ Estell lacht höhnisch, doch der neben ihr stehende Hauptmann ist erleichtert, bleibt aber nach außen hin unberührt. Coral rechnet damit, dass sie Befehl gibt ihn festzunehmen. Er hat schon vor sie vor der Armee vor den Mauern von Kalaß zu warnen, doch dann lenkt sie völlig unerwartet ein: „Dann tu dir keinen Zwang an, mein Hübscher und sei ruhig ein wenig grob zu mir, ja? Dem König sollte selbst ich mich nicht widersetzen.“ Estell vermutet einen Verräter in ihren Reihen, sie kommt jedoch im Traum nicht auf die Idee, dass es sich dabei um ihren geliebten Nico Dugar handeln könnte, denn sie ist blind vor Liebe. Auch ihre vier weiteren Führungsoffiziere hatte sie in ihren Plan zum Sturz des Königs eingeweiht. Oberleutnant Marco Loran schließt sie auch aus. Dann wären da nur noch Leutnant Haven, Leutnant Randall und Oberleutnant Fermar. Sie überlegt angestrengt welcher es gewesen sein könnte...wahrscheinlich aus Eifersucht auf Nico. Sie traut es allen dreien zu. Sie ergibt sich, weil sie weiß, dass sie in ihrem Zustand keine Chance hat. Ihr Regiment würde ohne Sinn und Verstand vernichtet werden. In einem offenen Krieg hätte sie nie eine Chance gehabt, denn nur mit List und Tücke ist für sie ein Sieg zu erringen, doch nun muss sie einen neuen Plan schmieden. Mit Hauptmann Nico Dugar, wie sie glaubt dem zukünftigen Imperator, an ihrer Seite, ist sie überzeugt alles erreichen zu können. Sie richtet in gedämpftem Ton ein paar Worte an ihn. „Lass dich nicht töten und befreie mich, sobald du kannst. Riecard wird mir nichts tun. Sorge dafür, dass mir meine Soldaten treu bleiben und bring sie zu geeignetem Zeitpunkt in Stellung. Ich zähle auf dich, mein Liebster.“ Sie steht auf und richtet laut das Wort an Coral: „Ich werde meine Männer zusammenrufen und informieren. Danach bin ich bereit unverzüglich aufzubrechen.“ Nico blickt erhaben auf die Szene. Er muss aufpassen, dass ihm kein Lächeln übers Gesicht huscht, denn das könnte ihn als den Verräter enttarnen. Ein Gefühl großer Genugtuung breitet sich in ihm aus. Wie angekündigt ruft sie einen Großteil ihrer Gefolgsleute im Burghof zusammen. Die Belagerung hat sich schon herumgesprochen und ihre Soldaten sind unruhig. Estell tritt auf einen Balkon, den sie selbst hat anlegen lassen und erhebt das Wort: „Meine lieben getreuen Anhänger, ich habe gute Nachrichten für euch. Wir haben Yoken in die Knie gezwungen und König Miikal von Deskend ist nun verhandlungsbereit. Unser Auftrag hier ist somit zur vollsten Zufriedenheit König Riecards von Roshea erfüllt worden und deshalb geben wir unsere hübsche kleine Konklave nun auf und kehren als Helden siegreich und stolz zurück in unser wunderschönes Königreich. Ich möchte jedem einzelnen von euch für seine Unterstützung danken. Ein besseres Regiment als euch hätte ich mir nicht wünschen können. Ich, als eure Imperatorin, möchte euch bitten mir auch in Zukunft weiterhin treu zu bleiben und auf meine Anweisungen zu warten.“ Das kam für die meisten ziemlich unerwartet und sie wissen nicht was es bedeuten und ob sie sich darüber freuen sollen. Jubel kommt jedenfalls keiner auf. Sie fügt hinzu: „Innerhalb der nächsten Woche werden wir uns aus Kalaß zurückziehen. Packt bitte eure Sachen und macht euch bereit zum Aufbruch. Das Kommando über euch übertrage ich Generalmajor Coral.“ Er taucht hinter ihr auf und begrüßt die Menge. „Mein Name ist Generalmajor Shaan Coral und ich koordiniere Ihre Heimkehr, die in der nächsten Woche stattfinden wird. Königin Estell wird bereits heute die Stadt verlassen.“ Sie macht eine winkende Geste, verlässt den Balkon und der Generalmajor folgt ihr. Ein letztes Mal geht sie zu Nico, der das Ganze mit einigem Abstand verfolgt hat und gibt ihm einen Kuss. „Wir sehen uns.“ Doch Nico antwortet nicht, weshalb sie glaubt er mache sich Vorwürfe diese Sache nicht verhindert zu haben. Sie geht mit Coral zur Tür hinaus und verlässt die Stadt unvermittelt. Von einem kleinen Soldatenzug, wird sie nach Nalita überführt. Für die Rückzugskoordination bleibt der Generalmajor wie angekündigt vor Ort. Er veranlasst den Einzug ein paar weniger königstreuer Truppen, um Estells fünf Offiziere abführen zu lassen. Hauptmann Dugar, Oberleutnant Loran, Oberleutnant Fermar, Leutnant Haven und Leutnant Randall verlassen unbewaffnet und von einer Traube von Truppen umgeben die Stadt. Für die anderen Soldaten soll es nicht aussehen wie eine Festnahme, auch wenn es in Wahrheit eine ist. Die fünf trauen sich unterdessen gegenseitig nicht über den Weg. Sie reden kaum miteinander und halten sich alle gegenseitig für den möglichen Verräter. Nico spielt dieses Spiel mit, um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Er glaubt, dass sie alle jetzt vermutlich zur Rechenschaft gezogen und in Nalita vor ein Kriegsgericht gestellt werden, was ihn unruhig macht. Nach zwei Stunden Fußmarsch hinter den Toren von Kalaß, steigen sie, auf Anweisung des für den Gefangenentransport verantwortlichen Major Ander, in eine ausbruchsichere Pferdekutsche. Den kompletten Weg zu Fuß zurückzulegen hätte zu lange gedauert. Der König erwartet sie bereits ungeduldig. Die fünf sitzen zusammengepfercht in der engen Kutsche. Unweigerlich entsteht eine anfeindende Unterhaltung zwischen ihnen. Bereits kurz nach dem Einsteigen lässt Marco Loran eine Bemerkung fallen: „Und das haben wir alles nur dir zu verdanken, Dugar.“ Nico wirft ihm als Antwort nur einen bösen Blick zu. Rick Randall, der mit seiner Körpergröße die meisten Probleme in der engen Kutsche hat und seinen Kopf etwas einziehen muss, schnalzt den neben sich sitzenden Loran an: „Tss, woher willst du das wissen, du Wichtigtuer? Du hast schon immer gegen unseren Hauptmann gehetzt. Das kannst genauso gut du gewesen sein, wo du doch von der Königin so abserviert wurdest.“ Deshalb lacht Loran nun sarkastisch auf. „Wann soll das denn gewesen sein? Ich stehe ihr mit Abstand am nächsten von uns allen und das wisst ihr genauso gut wie ich. Dugar ist nur gerade ihr neuestes Spielzeug.“ „Nachdem was er uns über den Widerstand der Stadt erzählt hat, glaubst du immer noch er sei der Verräter?“ gibt Randall gereizt zu bedenken, doch Celestro Haven hat einen ganz anderen Verdacht. „Nach allem was ich weiß, kannst es genauso gut du gewesen sein, Rick. Ich zweifle schon lange an deiner Loyalität.“ Randall wird wütend und würde aufstehen, wenn er könnte, um sich vor dem ihm gegenübersitzenden Haven aufzubauen. „Du zweifelst an meiner-“ Jorik Fermar fällt ihm ins Wort. „Jetzt reicht es mir aber mit Ihren wilden Schuldzuweisungen. Was wollen die Herren Führungsoffiziere denn damit erreichen? Was wäre denn, wenn es keiner der Anwesenden war? Merken Sie das nicht? Wir, die Führungsriege unserer Imperatorin, entzweien uns hier vielleicht völlig grundlos.“ Randall und Haven beruhigen sich etwas, doch Loran grinst und reagiert äußerst spöttisch auf den Kommentar Fermers: „Sowas kann auch wirklich nur ein Schuldiger sagen.“ „Wie bitte? Wann gab es Gelegenheit an mit zu zweifeln?“ ruft Fermar entsetzt, weshalb Loran laut auflacht: „Fermar, man merkt, dass du kein Außendienstler bist. Lass dir ein dickeres Fell wachsen. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass es Dugar war und kein anderer.“ Er grinst arrogant herausfordernd in Richtung Nico und dieser antwortet diesmal gereizt: „Ich bin immer noch amtierender Hauptmann und somit dein Vorgesetzter, also verhalte dich entsprechend.“ Loran setzt gerade zum Gegenschlag an, als unmittelbar die Kutsche stoppt. Es klopft an der verschlossenen Tür und Major Ander ruft befehligend: „Hören Sie auf sich abzusprechen! Das ist eine Festnahme und kein Kaffeekränzchen. Die nächsten Stunden ist gefälligst Ruhe da drin, sonst laufen Sie alle wieder! Haben Sie das verstanden?“ Nach kurzer Zeit der Stille setzt sich die Kutsche wieder in Bewegung. Marco Loran beugt sich wie in Zeitlupe zum schräg gegenübersitzenden Nico hinüber und flüstert grinsend: „DAS war mein Vorgesetzter. Du bist gar nichts für mich, Dugar. Ich werde deinen verlogenen Charakter ans Tageslicht bringen. Illoyale Leute wie du sind gefährlich, das wird auch der König einsehen. Ich selbst werde gestärkt aus der Situation heraus gehen. Du wirst schon sehen.“ Nico lehnt sich zurück und schließt die Augen, im Versuch den Oberleutnant auszublenden, denn er beansprucht seine Nerven wie kein anderer, deshalb kommentiert er abschließend entnervt: „Sei einfach nur still!“ Doch Loran muss das letzte Wort haben und lacht laut auf. „Als ob! Du bist doch nur sauer, weil ich Hand an dein Mädchen gelegt habe. Hübsche weiche Brüste hat sie und ihre Schenkel und ihr Hintern haben sich ebenso wunderbar weich und warm angefühlt.“ Das war zu viel für Nico, denn er rastet komplett aus und springt auf. Er ist fest entschlossen Loran auf andere Weise zum Schweigen zu bringen und er weiß, das ist ein Leichtes für ihn. Die links und rechts des Hauptmanns sitzenden Offiziere Haven und Fermar halten ihn mit aller Macht zurück, deshalb rumpelt die Kutsche hin und her. Fermer ruft überfordert: „Bitte beruhigen Sie sich, Hauptmann!“ Doch der schreit: „Lasst mich los! Ich bringe ihn jetzt auf meine Art zum Schweigen!“ Der einzige, der sich köstlich über Nico Dugars Ausraster amüsiert ist der hämisch grinsende Marco Loran. Wieder stoppt die Kutsche, doch Nico beruhigt sich nicht und muss noch immer von seinen beiden Leuten festgehalten werden. Major Ander schließt die Tür auf, schaut hinein und sagt resigniert, aber bestimmt: „Alles klar, bitte steigen Sie aus, meine Herren, denn sie haben es so gewollt. Sie laufen.“ Er legt allen Handschellen an und kettet sie aneinander. Danach steigt er auf sein Pferd und gibt dem Rest des Zuges Befehl wieder zu starten. Er richtet seinen Blick an die fünf Streithähne. „Ich hatte Sie gewarnt und Sie wissen, dass ich mich unglaubhaft mache, wenn ich eine Drohung nicht wahr mache.“ Den Rest des Weges laufen sie tatsächlich, auch wenn der König deshalb etwas länger warten muss. Leutnant Haven flüstert vorwurfsvoll zu Oberleutnant Loran: „Das ist deine Schuld, Marco.“ Der grinst nur. „Ich weiß, aber das war es wert.“ Haven huscht ebenfalls ein Lächeln übers Gesicht. „Ein bisschen schon.“ Kapitel 10: Das Angebot ----------------------- Erschöpft vom tagelangen Fußmarsch endlich in Nalita, der Hauptstadt Rosheas angekommen, erhält jeder der fünf Offiziere eine Einzelhaftzelle im Schlosskerker. Sie werden nach und nach zu Einzelgesprächen zum König beordert. Nico ist der erste, den Riecard zu sich bestellt. Er trägt immer noch seine Uniform, was der König als gutes Zeichen interpretieren will. Der Hauptmann wird in einen kleinen Raum im Prunkschloss von Nalita eskortiert, in dem König Riecard wie ein Richter vor ihm sitzt und einige wenige Generäle um ihn herum platziert sind. Nico hatte den König bisher noch nie von so Nahem gesehen und erst Recht nicht mit ihm gesprochen, denn bei früheren Aufträgen erhielt er seine Informationen vom Generalstab. Er gibt zu, dass Riecard die Ruhe und Entschlossenheit eines guten Königs ausstrahlt. In den Reden und Ansprachen, die er bisher von ihm mitbekommen hat, war das nicht so deutlich spürbar gewesen. Er erkennt auch Leparo, den Überwacher wieder, dem er die Informationen über den Verrat gegeben hatte. Eindeutig handelt es sie hierbei um ein geheimes Kriegstribunal. Es erinnert ihn an seine Anhörung vor dem Ältestenrat in Kalaß, aus der er glimpflich davon gekommen ist und schon wieder muss er seinen Hals aus der Schlinge ziehen. Er tritt in Handschellen in die Mitte des Raumes vor einen Tisch und einen Stuhl, die für ihn bereit stehen und wartet bis der König ihn bittet sich zu setzen. Die Anwesenden mustern den aufrecht stehenden Hauptmann. Es dauert einen Moment bis König Riecard das Wort erhebt: „Nico Dugar, seit einem Jahr Hauptmann in Kalaß, davor langjähriger Führungsoffizier in Aranor.“ Nico stellt sich noch ein wenig aufrechter als schon zuvor und antwortet selbstbewusst: „Das ist korrekt, Eure Majestät.“ „Setzen und entspannen Sie sich, Hauptmann.“ Fordert der König und Nico kommt dem wie befohlen nach. Sich auf dem überraschend unbequemen Stuhl und das während seines eigenen Kriegstribunals zu entspannen, wird er jedoch nicht umsetzten können. „Sie haben Informationen an meinen treuen Gefolgsmann Leparo weitergegeben, die dazu führten, dass er meine Gemahlin Königin Estell des Ehebruchs und des Hochverrats überführen konnte. Soweit zu meiner Informationslage. Können Sie das bestätigen?“ Fragt der König unerwartet gelassen, was Nico etwas unruhig beantwortet: „Auch das ist korrekt, Majestät.“ Er macht sich Gedanken darüber, als nächstes als Liebhaber entlarvt und verurteilt zu werden und Riecard scheint dem jungen Offizier die Unsicherheit ansehen zu können, denn er beschwichtigt: „Sie haben vor diesem Tribunal nichts zu befürchten. Sie haben den Ernst der Lage erkannt und richtig gehandelt. Um Ihren König zu schützen, mussten Sie Ihre Königin verraten, das wissen wir. Ich bin Ihnen höchstpersönlich zu Dank verpflichtet. Es war bereits ein Attentäter zu mir unterwegs, den wir aufgrund Ihrer Warnung aufspüren konnten. Sie genießen Kronzeugenschutz und erhalten politische Immunität.“ König Riecard wendet seinen Blick an Leparo und fordert ihn auf Nico Dugar die Handschellen abzunehmen. Der kleine unscheinbare Mann schwebt leisen Schrittes und mit hohem Tempo auf Nico zu und beginnt seine Handschellen zu lösen. Nico schaut ihn mit fragendem und leicht panischem Blick an, was Leparo versteht und flüstert: „Er weiß nicht, dass Sie es waren. So etwas nenne ich Schutz der Quelle.“ Nico atmet erleichtert aus und entgegnet: „Sie sind ein guter Mann. Danke.“ Die Worte „wenn auch etwas pervers veranlagt“ schluckt Nico herunter. Leparo schwebt wieder zurück und der König spricht weiter: „Sie sind ein freier Mann, Nico Dugar.“ Der König erhebt sich und Nico sowie alle anderen Anwesenden tun es ihm gleich. „Aufgrund Ihrer Verdienste möchte ich Sie hiermit zum Major befördern. Glauben Sie mir, Sie werden es noch weit bringen.“ Nico nimmt die Beförderung zunächst an. Er hat sich eigentlich selbst geschworen aus dem Militärdienst von Roshea auszutreten, doch dies hier hält er nicht für den geeigneten Zeitpunkt, um es zu verkünden. „Ich danke Euch, Majestät.“ Nico betrat den Raum als Gefangener und verlässt ihn als Major Dugar. Er wird von einigen anderen Soldaten in Empfang genommen, die ihm zunächst ein Quartier in der Kaserne vor der Stadt zuweisen, bis sein konkreter Aufgabenbereich bekannt gegeben wird. Inzwischen werden noch die anderen vier Gefangenen verhört. Marco Loran plaudert, zum Teil erfundene oder stark überspitzte Geschichten über die anderen Offiziere aus. Er verliert allerdings kein einziges schlechtes Wort über Estell. Bei Nico Dugar braucht er sich gar nicht die Mühe zu machen etwas zu erfinden, denn die Fakten sprechen, aus seiner Sicht, gegen ihn. Die detaillierten Informationen decken sich mit denen Leparos, sind aber weit präziser. Loran gaukelt einen inneren Konflikt vor seine Königin und seinen König gleichermaßen schützen zu wollen. Er behauptet Randall, Haven und Fermar wären gemeinsam in die Planung zum Sturz des Königs involviert gewesen. Er selbst habe von dem Attentäter erst erfahren, als er bereits unterwegs war. Auf das Tribunal macht Loran einen glaubwürdigen Eindruck. Einen so klugen Mann will der König gern auf seiner Seite wissen. Er hat folgende Forderung: „Oberleutnant Loran, so wie ich das sehe, würden Sie einen hervorragenden Spitzel abgeben. Estell vertraut Ihnen. Das hat sie mir selbst bereits gesagt, als ich vor ein paar Stunden mit ihr gesprochen habe. Ich möchte Sie unter Vorbehalt wieder in den Dienst einsetzen. Besuchen Sie Estell regelmäßig und erstatten mir Bericht über Ihren Zustand und ihre Ziele! Ich muss wissen, ob noch immer eine Gefahr von ihr ausgeht.“ Estell hatte sich nach ihrer Ankunft in Nalita in Schweigen gehüllt. Das einzige was sie fragte war, was nun mit Nico Dugar und Marco Loran geschehen würde. Anstatt sie öffentlich hinrichten zu lassen, wie es in so einem Fall üblich gewesen wäre, ließ König Riecard sie in einen Turm seines Schlosses einsperren und rund um die Uhr bewachen. Loran hebt überheblich den Kopf: „Das wird mir nicht leicht fallen, denn sie ist meine geliebte Königin. Doch da für mich das Wort des Königs hochwertiger erscheint, werde ich Eurer Bitte nachkommen, Majestät.“ König Riecard hält diese Antwort für dreist. Es ist ihm völlig egal wie der Oberleutnant dazu steht und das war auch keine Bitte. Wenn er seiner Anordnung nicht nachkommt, wird er aus dem Verkehr gezogen, so einfach ist das. Er empfindet die Antwort jedoch auch als hochloyal und tief ehrlich, was ihn beeindruckt und ihm das Gefühl gibt, dass Loran auch in allen anderen Belangen die Wahrheit erzählt hat. Er fühlt sich bestärkt und entlässt ihn in den Dienst. Für Randall, Haven und Fermar zieht sich nun allerdings die Schlinge zu. Sie alle drei können nicht glaubhaft belegen ihren König in Schutz genommen zu haben, obwohl sie von der unmittelbaren Bedrohung wussten. Zudem widersprechen sich ihre Aussagen gegenseitig und sie verstricken sich in durchschaubare Lügen. Er legt ihnen ans Herz selbst aus dem Militärdienst auszutreten und ins Ausland auszuwandern. Was er ihnen nicht sagt, ist dass er ihnen Attentäter hinterher schicken wird, die sich um sie kümmern sollen. Eine öffentliche Exekution würde zu viel Aufmerksamkeit erregen. Dann hätte er das Kriegstribunal auch nicht im Geheimen abzuhalten brauchen. Im eigenen Land will er sie ebenfalls nicht aus dem Weg räumen lassen, da er das für zu leicht zurückverfolgbar hält. Er will um jeden Preis vermeiden zu viel Aufmerksamkeit darauf zu lenken und somit am Erfolg des Kriegseinsatzes zweifeln zu lassen. Der Hof spottet bereits über ihn. Es ist bekannt geworden, dass die Besetzung von Kalaß aufgehoben wurde, da laut seiner Aussage ihr hehres Ziel erreicht werden konnte. Der gesamte Vorfall wird vertuscht und er verkauft es als einen Sieg. Der Adel glaubt jedoch etwas anderes, und zwar, dass ihm schlicht und ergreifend das Geld ausgegangen sei. Tatsächlich hat die Ausbeutung der Stadt ihn zu einem finanziell ausgeglichenen Einsatz gemacht. Das Ausbleiben einer Siegesmeldung durch die Königin macht den Adel ebenfalls stutzig. Man munkelt sie müsse irgendetwas erlebt haben, das sie nicht verkraften konnte, weshalb sie sich jetzt verkriecht, schließlich sei sie ja nur eine zarte Frau, die in Kriegseinsätze nichts verloren habe. Die Besetzung sollte die finanzielle und militärische Macht des Königshauses demonstrieren, doch nun ist es geschädigt aus der Sache herausgekommen. In den Augen der Aristokratie hat das Königreich Roshea einen Pleitegeier zum König und eine psychisch geschädigte Königin. Das Volk hat keinen so negativen Eindruck von ihnen. Es fühlt sich gestärkt und beschützt durch die demonstrierte Stärke des Königlich Rosheanischen Militärs. Auch alle anderen in Kalaß stationierten Soldaten werden nach und nach der Armee von Roshea wieder zugeführt. Die meisten davon gehen zunächst zum nahegelegenen Nalita, um von dort wieder auf den Rest des Landes verteilt zu werden. Nico hat rückblickend einen vollen Erfolg errungen, zumindest militärisch. Psychisch hat er einiges abbekommen. Er lässt eine Botschaft an Kara und Hendryk senden, dass er seinen Plan erfolgreich in die Tat umsetzen konnte und bald zu Kara zurückkehren wird. Estell geht unterdessen davon aus, dass Nico bereits dabei ist einen Plan zu schmieden, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Nico reicht nach einer Woche seinen Austrittsgesuch aus dem Militärdienst bei seinem Vorgesetzten Oberst Zast ein. Er kann es sich einfach nicht mehr vorstellen jemandem blind zu dienen. Die ganze Struktur des Militärs ist ihm zu starr geworden. Er begründet es mit dem Konflikt seine Vorgesetzte, die Königin verraten zu haben und seine Position im Gefüge des Militärs nicht mehr zu sehen. Seine offizielle Erklärung hat Ähnlichkeit mit der von Marco Loran. Sein Austrittsgesuch zieht Kreise bis in die obersten Ebenen hinauf bis zum König persönlich. Nico erhält deshalb eine Vorladung für ein persönliches Gespräch mit König Riecard für den Abend des nächsten Tages. Er ist nicht gerade erfreut darüber, denn er will Roshea einfach nur verlassen, um zu seiner wunderschönen Kara zurückzukehren. An sie zu denken versetzt ihm allerdings Stiche ins Herz, denn er weiß noch nicht wie sie ihm begegnen wird, doch er wünscht sich im Moment nichts sehnlicher als wieder bei ihr sein zu können. Nico erhält aufgrund seiner Vorladung die Ausgehuniform eines Stabsoffiziers, entsprechend seines neuen Ranges als Major. Sie wird ihm von einem jungen Soldaten ein paar Stunden vor seinem Treffen mit dem König vorbeigebracht. Sie ist eigens für ihn maßgeschneidert worden, ganz so als ob der König ihn damit bestechen wolle zu bleiben. Mit einem unguten Gefühl reitet er von der nahegelegenen Kaserne vor den Toren der schönen Stadt Nalita zum Schloss des Königs. Als er ankommt, ist die Dämmerung bereits angebrochen. Das nalitische Prunkschloss wird von der warmen Abendsonne beleuchtet und bietet einen imposanten Anblick. Mit seinen hohen, spitzen Türmen und dem feinen, filigranen Baustil, ähnelt es einem Märchenschloss. Es ist in vielerlei Hinsicht einmalig auf dem Kontinent. Das setzt sich auch im Inneren fort, denn insgesamt hat das Schloss rund zweihundert Zimmer und eines davon ist pompöser ausgestattet als das andere. König Ramon, der das Schloss vor zweihundert-und-fünfzig Jahren erbauen ließ, muss über nahezu unbegrenzte Mittel verfügt haben. Nico wird am Tor des Schlosses bereits erwartet. Ein Bediensteter nimmt ihm sein schwarzes Pferd ab und ein anderer junger Bediensteter, Anfang zwanzig, führt ihn durch einen großen Schlosshof in die große Haupthalle des Schlosses, in der sich einige Adlige die Zeit vertreiben. Militärs haben üblicherweise keinen Zutritt zum Schloss und sind ein ungewöhnlicher Anblick für die feinen Herrschaften. Sie mustern den hübschen, schick zurecht gemachten, unbekannten Major. Besonders die Damenwelt scheint sich für ihn zu interessieren. Mehrere von ihnen, jung wie alt, drehen sich unverhohlen nach ihm um und zwinkern ihm zum Teil sogar zu. Nico reagiert nicht darauf, denn er glaubt das müsse wohl an der maßgeschneiderten Uniform liegen, die ihm tatsächlich ausgesprochen gut steht. Zwar kommt er schon immer gut bei Frauen an, doch dieses Verhalten ist in seinen Augen ungewöhnlich. Die beiden jungen Männer laufen noch eine Weile, bis sie an einem der Privatgemächer des Königs angekommen sind. Nico atmet noch einmal tief durch. Dann betritt er den prunkvoll eingerichteten und, wie auch der Rest des Schlosses, in blau gehaltenen Raum. Der König ist allein und sitzt auf einem bequem aussehenden Sessel an einem kleinen runden Tisch, auf dem ein hochwertig aussehendes Schachbrett mit Figuren in der Grundstellung steht. Das Licht der untergehenden Sonne scheint in warmen Farben durch das Fenster hinein. Der junge Bedienstete kommt rasch hinter Nico hervor und läuft leisen Schrittes in den Raum hinein, um zwei brennende Öllampen darin abzustellen, die später für Licht sorgen sollen. Der König steht auf und begrüßt seinen Gast freundlich: „Major Dugar, da sind sie ja. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Er deutet mit seiner Hand auf den an der anderen Seite des Tisches stehenden, mit seinen identischen, Sessel. Nico grüßt den König, setzt sich und sinkt tief in den weichen Sessel hinein. König Riecard lächelt freundlich. „Spielen Sie doch eine Runde mit mir.“ „Sehr gern, aber ich möchte eins besser im Vorfeld zu bedenken geben. Ich bin ein sehr guter Schachspieler und passe meine Fähigkeiten meinem Gegner nicht an.“ möchte Nico lieber im Vorfeld klären und das erstaunt den König sehr. „Sie sind sehr geradlinig, Herr Major.“ Doch Nico bleibt hart. „Das ist wahr, Eure Majestät. Mit dieser Eigenschaft bin ich immer sehr gut gefahren.“ Die beiden beginnen zu spielen. „Wie finden Sie Ihre neue Uniform? Sie steht Ihnen ausgezeichnet.“ stellt König Riecard fest. Nico behält den ehrlichen und geradlinigen Kurs bei und antwortet frei heraus: „Nun, ich finde es unnötig eine Uniform für nur einen Anlass schneidern zu lassen, auch wenn sie mir zugegeben gut gefällt. Eure Majestät, um es gleich auf den Punkt zu bringen, es ist nicht die Uniform, die mich am Militärdienst stört.“ „Sondern?“ Fragt Riecard wieder überrascht. Sein Gast legt einen harschen Ton an den Tag, den er ihm merkwürdigerweise durchgehen lässt. Nico holt Luft und spult völlig emotionslos seinen Text ab: „Während meiner Offizierslaufbahn habe ich viele Entscheidungen treffen müssen und nicht alle davon waren richtig. Daran konnte ich wachsen und mich weiter entwickeln. Bei meiner Stationierung in Kalaß unter der Führung Königin Estells habe ich jedoch feststellen müssen, dass meine ganze Erfahrung völlig wertlos ist, wenn ich einen Befehl von übergeordneter Stelle erhalte. Ich zweifle damit nicht die streng hierarchische Struktur des Militärs an, die ich für höchst effektiv halte. Es hat sich jedoch bei dem Befehl meiner Generalin, meinen eigenen König zu verraten, ein starker Konflikt in mir ergeben, der die Grundfesten meiner eigenen Überzeugungen erschütterte. Ich musste meine Prinzipien verraten, um das Richtige zu tun. Ich möchte nie wieder vor einer solchen Entscheidung stehen und erbitte deshalb den Austritt aus dem Militärdienst.“ Der König nickt lächelnd und leicht amüsiert. „Jetzt haben Sie mir fast wörtlich die Bekundung ihres Austrittsgesuchs vorgetragen. Ich möchte jedoch den wahren Grund von Ihnen erfahren. Deshalb habe ich Sie hierher eingeladen.“ Der junge Offizier atmet tief aus und schweigt und macht dann einen Zug auf dem Schachbrett. Daraufhin unterbreitet Riecard ihm ein Angebot. „Gut, in Ordnung. Wenn das Ihr wahrer Grund ist, dann möchte ich Ihnen anbieten in meinen Generalstab einzutreten. Auf diese Art erhalten Sie keine Anweisungen mehr von oben, bis auf die meinen. Damit wären Sie das jüngste Mitglied des Generalstabs, das es jemals gab, abgesehen von den Mitgliedern der Königsfamilie.“ Mit einem solchen Vorschlag konnte Nico nicht rechnen und hat sich nicht entsprechend vorbereitet. Er versteht nicht was der rosheanische Königsadel nur für einen Narren an ihm gefressen hat, um ihm solche Angebote zu machen? Die Überraschung ist ihm anzusehen und er fährt sich nervös durchs Haar, was König Riecard in lautes Lachen ausbrechen lässt. „Hahaha, habe ich es mir doch gedacht. Es geht Ihnen gar nicht um die Kommandohierarchie. Jedenfalls nicht ausschließlich. Was steckt noch dahinter? Jetzt sagen Sie es schon!“ Nico ist voll in seine Falle getappt und auch beim Schach ist er etwas ins Hintertreffen geraten. Er lässt sich in die Ecke drängen, das wird ihm gerade bewusst. Riecard hat sich anscheinend gut auf ihn vorbereitet, doch Nico möchte das Blatt wenden und ein Lächeln kommt ihm über die Lippen. „Gut gespielt, Majestät.“ Er macht einen Zug auf dem Spielbrett, den der König nicht verfolgt, weil er vom Gespräch abgelenkt ist. Nico hebt seinen Kopf und sieht Riecard nun auf Augenhöhe an. „Ich habe den offiziellen Gesuch nicht als Bitte gestellt, sondern als Forderung. Ich möchte bei Verlassen des Königreichs Roshea nicht als Fahnenflüchtiger gelten. Auch wenn ich gern für Euch gekämpft und geblutet habe, weil ich Euch für einen hervorragenden und gerechten König halte, so möchte ich nun in meine Heimat zurückkehren. Ich habe dort mein Herz verloren und damit meine ich nicht nur an die Stadt Kalaß.“ König Riecard lehnt sich nach hinten. „Endlich erfahre ich den wahren Grund. Es ist schade wenn ein so fähiger Mann wie Sie es sind, das Militär verlässt. Ich musste in letzter Zeit wirklich oft daran denken was passiert wäre, hätte mich ihre Warnung nicht frühzeitig erreicht. Sie sind bereit große Opfer zu bringen, um ihren König zu retten. Man spricht immer davon, dass das selbstverständlich sei, doch in Wahrheit sind solche Männer nur sehr schwer zu finden. Ich wollte Sie zu meinem persönlichen Schutz abstellen, Sie in die rosheanischen Adelskreise einführen und ihn von Ihnen analysieren lassen, um von ihnen ausgehende Gefahrenpotenziale schnell zu erkennen. Eine Position als meinen freien Berater, brauche ich Ihnen dann wohl auch nicht mehr anzubieten?“ Nico sitzt immer noch völlig aufrecht. Unbeugsam antwortet er: „Das ist korrekt, Eure Majestät.“ Der König lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. Nico nimmt diese Pause zum Anlass das Thema zu wechseln. „Wenn Ihr erlaubt, so würde ich gern eine Frage stellen.“ „Bitte.“ gewährt der König großmütig. „Was ist aus den anderen vier Offizieren geworden, die mit mir hier her kamen?“ fragt der junge Major und Riecard ist nicht überrascht. Er findet Dugar hat ein Recht es zu erfahren und erklärt: „Randall, Haven und Fermar habe ich ins Exil geschickt.“ Er macht eine Pause. „Loran habe ich als Kontaktmann zu Estell eingesetzt. Er als ihr Vertrauter überwacht sie und meldet mir ihren Zustand.“ Nico stutzt. Ausgerechnet Loran weiterhin mit der Königin kommunizieren zu lassen, hält er für einen großen Fehler. Er wird seine Position ausnutzen, um ihr wieder zur Macht zu verhelfen. Nico ist sich da absolut sicher. Das ist keine Ahnung, sondern ein Fakt. Er versucht es dem König möglichst feinfühlig beizubringen. „Eure Majestät, bitte bedenkt folgendes: Marco Loran war schon immer der engste Vertraute der Königin. Seine Loyalität gilt ausschließlich ihr. Niemals würde er sensible Informationen über sie ausplaudern.“ Der König wirkt angespannt. „Mir ist die Rivalität zwischen Ihnen beiden sehr wohl bekannt. Er hat ebenfalls kein gutes Haar an Ihnen gelassen, Herr Dugar. Auf persönliche Fehden kann ich bei meinen Entscheidungen keine Rücksicht nehmen.“ Es hat keinen Sinn König Riecard vor Loran zu warnen. Jedenfalls nicht für Nico, da ihm in dieser Sache kein Glauben geschenkt wird. Wieso der König ihn überhaupt einstellen wollte, wenn er sich als so beratungsresistent herausstellt, erschließt sich Nico nicht, doch er nimmt es als Anlass den Besuch enden zu lassen. „Wenn alles gesagt ist, dann möchte ich mich jetzt gern zurück ziehen, Eure Majestät.“ „Warten Sie einen Moment, Herr Dugar. Unser Schachspiel muss noch beendet werden. Darum können Sie mich nicht auch noch bringen.“ Nico fällt auf, dass er seinen Militärrang nicht benutzt hat und ist erleichtert. Er deutet mit einem selbstsicheren Blick auf das Spielbrett und lächelt schelmisch. „Welchen nächsten Zug wollt Ihr machen?“ König Riecard legt die Stirn in Falten. Sein weißer König steht im Schach und er hat keine Möglichkeit dieser Situation zu entweichen. Er ist von seinen eigenen Figuren so eingeengt, dass er immer nur noch zwei Züge hat, bis sie zu einer Mattstellung führen. Egal wie viele Möglichkeiten er durchgeht. Sein König wird jedes Mal geschlagen. Er hat keine Ahnung wie es dazu kommen konnte, denn er hatte Nicos schwarze Schachfiguren kontinuierlich reduziert, doch das hat er nicht kommen sehen. In Gedanken immer noch beim Schach sagt der König: „In Ordnung, gehen Sie, Herr Dugar. Ich bin damit einverstanden. Ihren Gesuch werden Sie morgen früh unterschrieben im Verwaltungsraum in Ihrer Kaserne vorfinden.“ „Danke, Eure Majestät.“ Nico verlässt erleichtert die Privatgemächer des Königs. Er wird wieder von dem jungen Bediensteten von vorhin hinaus begleitet. Bei Verlassen des privaten Sektors des Schlosses, lauern ihm einige adlige Damen auf, die ihn ansprechen. „Warten Sie bitte, junger Major!“ Weshalb Nico und sein Begleiter stehen bleiben. Eine der edel gekleideten jungen Frauen fragt ihn forsch: „Sind sie jetzt des Öfteren hier anzutreffen, Herr Major?“ Sie macht einen kleinen Schritt auf ihn zu und er findet das ziemlich aufdringlich, weicht aber nicht zurück. Die Stirn runzelnd, aber trotzdem freundlich antwortet er: „Da muss ich Euch enttäuschen, Hoheit.“ Eine andere Adlige sagt enttäuscht: „Oh, wie schade.“ Die junge Frau, die so nah an ihn herangetreten ist, legt eine Hand auf seine Brust und schlägt vor: „Dann bleiben Sie doch wenigstens heute Nacht bei Hof, Major! Es ist doch schon dunkel und wir haben den besten Wein des Landes, den wir gern mit Ihnen teilen würden.“ Der Bedienstete bemerkt, dass Nico die Zudringlichkeit der adligen Damen unangenehm ist. Er hätte ihm eine Nacht im Schloss gewährt, wenn er gewollt hätte, doch so sieht es ihm nicht aus. Er errettet ihn mit den Worten: „Der Herr Major hat leider keine Aufenthaltsberechtigung mehr für das Schloss, weshalb ich ihn jetzt hinaus begleiten werde. Die Hoheiten entschuldigen uns bitte.“ Er setzt den Schritt an um weiter zu gehen und Nico folgt ihm. Die Frauen winken ihm traurig nach und eine wirft ihm eine Kusshand zu. Da hat ihm dieser junge Bedienstete doch tatsächlich aus der Patsche geholfen, denn Nicos nächster Satz wäre weniger freundlich gewesen als sein vorheriger und das hätte eventuell Probleme auf den Plan rufen können. Auf dem Weg fragt Nico ihn nach dem Namen seines jungen Retters, der verdutzt antwortet: „Sie wollen meinen Namen wissen, Herr Major? Das wollte bisher noch niemand und ich führe Gäste schon seit Jahren im Schloss herum. Ich heiße Quenn Beltrus, angenehm.“ „Ebenfalls sehr angenehm, Quenn, wenn ich dich so nennen darf.“ Entgegnet Nico freundlich, weshalb der junge Schlossbedienstete stutzt: „Dürfen Sie, Herr Major.“ „Einfach Nico, bitte. Danke für deine Hilfe. Wenn ich eins im Moment nicht brauche, dann sind das Frauengeschichten.“ erklärt er, was Quenn zum Lachen bringt. „Bei sowas kann ich nicht mitreden, aber ich hätte immer gedacht es sei etwas tolles beliebt bei Frauen zu sein. Zumindest Prinzessin Laila ist doch ganz süß, finde ich und sie ist voll auf dich abgefahren. Ehrlich, so hab ich sie noch nie erlebt. Ich hätte dir diese Nacht Aufenthalt hier übrigens gewährt. Sie steht nämlich jedem Gast zu, der nach Sonnenuntergang noch im Schloss ist. Das wissen diese Hühner...ähm ich meine die edlen Damen nur nicht.“ Nico klopft Quenn auf den Rücken. „Es ist Segen und Fluch zugleich, mein Freund. Auf jeden Fall ist es ziemlich anstrengend.“ Er lacht und Quenn stimmt ein. Nico findet, dass Quenn ein echt netter und korrekter Typ ist. Er hat große Achtung davor hier zu arbeiten und seinen Humor immer noch behalten zu haben. Er versteht sich mal wieder mit demjenigen am besten, der im Rang weit unter ihm steht. Das ist typisch für ihn, denn Nico hat einfach ein Problem mit Machtgehabe und elitärem Geschwätz, das in Wahrheit meist Lästereien sind. Er findet es fast ein bisschen schade den jungen Quenn Beltrus in diesem Irrenhaus zurücklassen zu müssen. Am Schlosstor verabschieden sich die beiden. Nico erhält sein schwarzes Pferd zurück und reitet in die Kaserne. Ihm gehen eine Menge Gedanken durch den Kopf. Roshea hält er nach wie vor für eine Bedrohung für Kalaß. Kritisch wird es vor allem dadurch, dass Estell weiterhin Kontakt zur Außenwelt hat und auf diese Weise ihre Fäden ziehen kann. Er ist froh aus dieser Umgebung heraus zu kommen. Die Vorstellung als Handlanger des Königs in die Adelskreise eingeführt zu werden, um ihre Tätigkeiten zu überwachen, lässt ihn erschaudern. Er will sich gar nicht vorstellen was er als Spielball der Aristokraten hätte alles erdulden müssen. Sein Erlebnis mit den nach Aufmerksamkeit gierenden Frauen eben, hat ihm nur einen kleinen Vorgeschmack davon gegeben, was auf ihn zugekommen wäre. Am nächsten Morgen liegt, wie versprochen, sein unterzeichneter Austrittsgesuch im Verwaltungsbüro der Kaserne. Er meldet sich offiziell ab und gibt seine Uniformen zurück, wobei ihm die neue Maßgeschneiderte wirklich gut gefallen hat und es ihm um sie ein wenig Leid tut. Er nimmt den Sold, den er in den mehr als zehn Jahren Militärdienst angespart hat und macht sich auf den Weg zurück nach Kalaß. Dort ist durch Kara, Hendryk und Farsa Gena bekannt geworden, dass sich Nico für das Ende der Besetzung verantwortlich zeichnet und er wird von den kalaßer Bürgern wie ein Held gefeiert. Außerdem wird bekannt, dass der Ältestenrat keine Lösung herbei führen konnte und wohl auch niemals hätte erreichen können und dass er Nicos Befreiungsaktion zuvor abgelehnt hatte. Dadurch würd dem Rat die Grundlage, nämlich Unterstützung der Bürger, entzogen und von seiner Macht enthoben. Demnächst sollen deshalb Neuwahlen stattfinden, die unter der Leitung Farsa Genas vorangetrieben wird, und welche auch die provisorische Regierung verkörpert. Nico kehrt mit gemischten Gefühlen zurück nach Kalaß. Seine Schuldgefühle sind unterdessen wieder angewachsen. Zurzeit kommt er einfach nicht mehr mit sich selbst zurecht, was ein wenig an seinem Selbstbewusstsein kratzt. Er hofft, dass ihn Kara auffangen kann, doch er weiß nicht wie sie reagieren wird, wenn er gesteht was er tun musste. Der junge Mann reitet durch die engen Gassen, lässt sein Pferd auf der belebten Hauptstraße zurück, wo er schon unzählige Menschen zurück grüßen musste und geht durch die schmale Gasse am Kanal entlang, bis zu Karas Haus, an dessen Tür er klopft. Überglücklich fällt Kara ihm um den Hals, nachdem sie ihm die Tür geöffnet hat und will ihn küssen, doch er weist sie distanziert zurück. Mit einem beunruhigenden Unterton sagt er zu ihr: „Kara, warte. Wir müssen über etwas reden!“ Er wendet sich an Hendryk, den er jetzt eben erst bemerkt hat und bittet: „Würdest du uns bitte kurz allein lassen, Hen?“ Dieser wundert sich zwar, doch nichts Gutes ahnend folgt er der Anweisung. Nico hat ihn noch nicht einmal richtig begrüßt, was ihm nicht ähnlich sieht und schickt ihn hinaus, um seiner Liebsten etwas intimes mitzuteilen. Auch dieser Blick ist es gewesen, der ihm verrät, dass es ziemlich schlimm sein muss, was Hendryk bestürzt. Er beginnt sich ernsthafte Sorgen zu machen. Nico sieht seine geliebte Kara ernst an, was er normalerweise auch nicht tut, denn in ihrer Gegenwart hat er sonst immer etwas weiches im Blick. So hat er sie sogar noch nie angesehen, was nun auch die junge Frau beunruhigt. Mit möglichst ruhiger Stimme sagt er: „Ich musste etwas tun, auf das ich nicht stolz bin.“ Kara lässt ihn nun los und tritt ein kleinen Schritt zurück. Sie überlegt was das sein könnte und fragt unsicher: „Musstest-musstest du jemanden töten?“ Er antwortet mit fast unveränderter Miene: „Nein, das ist es nicht.“ „Das ist gut. Du weißt wie sehr ich das Leben schätze.“ Antwortet sie erleichtert, doch da er nichts weiter darauf entgegnet, denkt sie weiter darüber nach was es noch sein könnte und zuckt zusammen. „Moment, es hat doch nicht etwa etwas mit dieser Frau...? Nein, Nico, nein.“ Nach wie vor ändert sich nichts an Nicos Blick. Er streitet es nicht ab und Kara weiß was das bedeutet. Sie hält den Atem an und geht noch etwas zurück. Ihre Stimme wird leiser und beginnt zu zittern. Sie muss sich an die Sache herantasten und fragt: „Hat sie...hat sie dich geküsst?“ Nico atmet aus und versucht es abzukürzen. „Kara, um sie ausfliegen zu lassen musste ich dafür sorgen, dass sie erwischt wird und ich war gezwungen…“ Sie nimmt bestürzt die Hand vor ihren Mund und nuschelt: „Nein, tu mir das nicht an! Ihr habt miteinander…nein, Nico. Das ist…“ Kara kann den Satz nicht zu Ende führen und auch er schafft es nicht seine Geliebte zu beruhigen. Er ist ja noch nicht einmal mehr dazu fähig Kara noch in die Augen zu schauen und sieht betroffen zur Seite. Kara laufen inzwischen dicke Tränen über die Wangen und sie schreit ihn an: „Nico, wie konntest du nur so etwas Abscheuliches tun?! Geh mir aus den Augen und lass dich nicht mehr bei mir blicken.“ Dann stürmt die kopflos davon. Hendryk hat ihren letzten Satz verstanden, der so laut war, das er durch die geschlossene Haustür bis auf die Straße durchgedrungen ist. Er sieht sie aus dem Haus laufen, doch er geht zunächst aufgeregt zu Nico um sich zu erkundigen was los ist. „Was hast du getan?“ fragt er aufgebracht und voller Schmerz in der Stimme antwortet Nico: „Lauf ihr nach, sie braucht sich jetzt.“ Hendryk fragt nicht weiter nach und setzt sich direkt in Bewegung. Wer jetzt eigentlich jemanden gebraucht hätte, war er selbst. Nico hatte mit einer heftigen Reaktion von Kara gerechnet, aber ihr letzter Satz hatte ihn weit mehr verletzt als er gedacht hätte. Für ihn klang das ziemlich final. Er wusste nicht wie sie reagieren würde, doch irgendwie er hatte auf Ihr Verständnis gehofft. Vielleicht hätte er es ihr anders beibringen müssen, denn immerhin hatte er all seine Versprechen gehalten, egal wie unmöglich sie erschienen. Er hat die Stadt von der Besatzung befreit, überlebt und ist zu Kara zurückgekehrt, doch dafür hatte er seine Seele an den Teufel verkaufen müssen. Es stimmt, sie hatte nie von ihm verlangt, dass er den Helden spielen soll. Doch wie kann sie ihn dafür überhaupt verurteilen? Sie weiß schließlich auch fast nichts über seine Vergangenheit und das war für sie bisher auch kein Problem. Seine Gedanken kreisen um dieses Thema und können doch nichts am Resultat verändern. Auf dem Tisch liegt eine einfache Kette die Kara schon einige Male getragen hat, als die beiden zusammen waren. Sie besteht aus einer lackierten Muschel, die mit einem Häkchen an einem Lederriemchen befestigt ist. Sie ist ungewöhnlich schlicht für eine Kalaßerin, denn aufgrund des ausgeprägten Kunsthandwerks in der Stadt, trägt man hier aufwendiger gefertigten Schmuck, der üblicherweise zum Freundschaftspreis erstanden wird. Dieser hier sieht hingegen selbstgemacht aus. Als Andenken an Kara nimmt er die Kette an sich, bindet sie sich jedoch nicht um den Hals, sondern ums rechte Handgelenk und verlässt ihr Haus. Da sich in der Stadt natürlich herumgesprochen hat, dass er für die Befreiung verantwortlich war, ist Nico überall ein willkommener Gast. Er erbittet ein frisches Pferd, etwas Proviant und Reisekleidung und bricht unvermittelt nach Yoken auf. Dort will er Kontakt zum Königshaus herstellen, um die Lage von Kalaß zu schildern und vielleicht sogar die Anbahnung eines Bündnisses zu schaffen, denn er glaubt, dass Kalaß noch immer in Gefahr schwebt. Er weiß noch nicht was er danach tun soll. Da er Kara verloren glaubt, denkt er darüber nach sich vielleicht in Yoken niederzulassen oder nach Aranor zurückzukehren, wo er noch viele Freunde hat. Als er los reitet, läuft ihm eine einzelne Träne über die Wange, die im Wind trocknet. Er glaubt an einen Abschied für immer. Kapitel 11: Gebrochene Herzen ----------------------------- Aufgewühlt von der Situation, die er noch nicht vollständig begreift, beginnt Hendryk die Suche nach seiner besten Freundin Kara, die er in den letzten Wochen, in denen sie nichts von Nico hörten, immer wieder beruhigen musste. Er weiß nicht genau wo er die junge Frau suchen soll, denn normalerweise legt sie sich aufs Dach ihres Hauses, wenn sie nachdenklich ist, doch von da ist sie ja gerade weggerannt. Während er nach ihr sucht, denkt er an das Versprechen, dass er ihr vor ein paar Tagen gegeben hat. Er wollte Nico verprügeln, sollte er ihr wehtun. Nun ist dieser Fall ohne Zweifel eingetreten, doch er hat trotzdem nicht das kleinste Bedürfnis den Befreier von Kalaß zu schlagen, schon gar nicht nachdem er gesehen hat wie gebrochen er zurück kam. Hendryk hatte fast das Gefühl es sei gar nicht Nico, der zurück gekehrt sei, sondern nur ein Schatten seiner selbst. Er schien gebrochen und nicht der Mann, der immer einen arroganten Spruch auf den Lippen hatte, mit dem er ihn so zur Weißglut treiben konnte. Er muss unbedingt herausfinden was da los war, damit er sich selbst ein Bild machen kann. Er kennt Kara gut genug, um zu wissen wie engstirnig sei sein kann. Er findet sie allein auf einem, eine halbe Wegstunde entfernten, grünen Hügel, auf dem ein einzelner Kastanienbaum steht. Auf der Wiese liegen noch ein paar Kastanien und Blätter herum, doch der Baum ist so gut wie kahl. Von hier aus kann er sein eigenes und auch Karas Elternhaus sehen und er erinnert sich jetzt, dass sie als Kind manchmal hierhin gekommen ist, wenn sie traurig war. Zusammengekauert sitzt sie, ohne warmer Kleidung, unter dem kahlen Kastanienbaum. In Kalaß wird es zwar niemals richtig kalt, denn die Temperaturen fallen nicht unter den Gefrierpunkt, doch es kann an einem kühlen Dezembertag wie heute schon ziemlich kühl werden, was ein wärmeverwöhnter Kalaßer besonders schnell bemerkt. Hendryk selbst ist ebenfalls kopflos losgestürmt und trägt keine Jacke, doch er ist viel zu aufgewühlt um zu frieren. Behutsam verlangsamt er seinen Schritt und geht zu ihr auf den Hügel hinauf. Sie hat ihr Gesicht in ihren Armen vergraben, weshalb er nicht sehen kan, ob sie weint, doch er vermutet es. Als sie Hendryk bemerkt, schaut sie kurz hoch, versteckt sich jedoch gleich wieder und nuschelt in ihre Arme hinein: „Lass mich in Ruhe!“ Eigentlich hatte er es sich vorgenommen ruhig mit ihr sprechen, doch die Worte prechen vorwurfsvoll aus ihm heraus. „Vergiss es, Kara. Ich werde dich nicht in Ruhe lassen. Du rennst einfach weg und setzt dich flennend und wahrscheinlich frierend unter einen Baum wie ein kleines trotziges Kind. Glaubst du ich lass dich hier alleine erfrieren?“ Hendryk setzt sich neben die total aufgelöste Kara. Sie dreht sich ein Stückchen von ihm weg, doch er rutscht ihr einfach hinterher und beherrscht sich nun soweit etwas sanfter mit ihr zu sprechen. „Was hat er getan, das dich so verletzt hat?“ Normalerweise wäre er nicht so zudringlich, doch Nico hatte ihn ausdrücklich darum gebeten Kara beizustehen und er vertraut seinem Urteil. Sie wissen schließlich beide genau, dass Kara sonst niemanden hat, dem sie sich anvertraut. Es ist ein düsterer, grau verhangener Tag und in den meisten Häusern brennt Licht, so auch in ihrem Elternhaus. Nie im Leben wäre die junge Frau auf die Idee gekommen ihren Eltern von ihren Problemen zu berichten, denn schon als Kind fühlte sie sich von ihnen unverstanden. Da die junge Frau auf die Frage ihres um sie bemühten Freundes nicht antwortet, berührt er sanft ihren eiskalten, nackten Unterarm, den sie schlagartig von ihm weg und noch einmal „Lass mich!“ faucht. Wieder schießen ihr die Tränen in die Augen, die Hendryk allerdings nicht sehen soll, weshalb sie sich von ihm weg dreht. Quasi mit ihrem Rücken sprechend, sagt er mit ruhiger Stimme: „Ist schon in Ordnung, wenn du nicht mit mir darüber reden willst, aber glaub nicht, dass ich dich alleine lasse.“ Nun nimmt sie endlich ihren Arm von ihrem Gesicht und dreht sich, den Blick weiter nach unten gerichtet, zu ihm. Er legt seinen Arm um die ausgekühlte junge Frau, was sie akzeptiert. Sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter und schluchzt etwas, das für Hendryk wie ein „Wieso hat er das getan?“ klingt. Zu seinem Bedauern, weiß er leider immer noch nicht worum es eigentlich geht. Neue Hoffnungen macht er sich bei Kara zu diesem Zeitpunkt trotzdem nicht. Er sieht seine Rolle hier eher als die eines tröstenden großen Bruders, auch wenn er ein Jahr jünger ist als sie. Eine ganze Zeit lang sitzen sie stumm nebeneinander und die Stille wird nur von den fernen Geräuschen der Hauptstraße und einem unregelmäßig wiederkehrenden Schluchzer Karas unterbrochen. Nach und nach scheint sie sich jedoch immer mehr zu beruhigen. Sie hat sich eines der gelben Kastanienblätter genommen, das sie an den sichtbaren Blattadern zu immer kleineren Teilen auseinanderreißt. Unbeabsichtigt schluchzend holt sie Luft und haucht dann: „Danke, dass du für mich da bist.“ Was er stumm zur Kenntnis nimmt. Dann entschuldigt sie sich leise: „Es tut mir leid. Ich bin so egoistisch deinen Trost zu begrüßen und das nachdem ich dich… Ich könnte verstehen, wenn du meine Nähe meiden würdest.“ „Red nicht so einen Blödsinn, Kara! Ich war immer für dich da und das wird sich auch jetzt nicht ändern.“ beschwichtig er etwas grob. Die junge Frau lächelt sanft, wodurch ihr Tränenreste übers Gesicht fließen. Sie fühlt sich in seinen Armen geborgen, ganz so wie früher, denn es stimmt. Er war immer da, wenn es ihr schlecht ging. Eine weitere Weile verstreicht in Stille, bis sie endlich beginnt zu erzählen was sie bewegt. Traurig erklärt sie Hendryk alles, was sie über Königin Estell in Erfahrung bringen konnte, darunter auch welchen Hass die Aristokratin auf die ihr doch eigentlich fremde Kara hegte, weil sie es auf Nico angesehen habe. „Sie ist eine Schlange, die mich als Konkurrentin betrachtet, aber weißt du was das Schlimmste war?“ fragt sie rhetorisch und macht eine kleine Pause, weil die Erinnerungen sie plagen. „Dieser Offizier Loran, der mich damals zur Sperrstunde erwischte und der uns auch die Falle gestellt hat… er hat mich die ganze Zeit so gierig angegafft. Es war so ekelhaft. Du kannst dir das nicht vorstellen. Wenn ich überlege was passiert wäre, wenn mich Nico nicht so schnell dort raus geholt hätte…lieber wäre ich gestorben!“ Da sie den letzten Satz fast gebrüllt hat, legt Hen seinen Arm schützend um sie, was sie begrüßt. Darauf zu sagen hat er nichts, denn seine Körpersprache ist bereits ein ausreichender Ausdruck seiner Gefühle. Bisher hatte sie sich noch nicht zu dieser Sache äußern können und die junge Stadtwache wusste nichts Näheres über ihre Entführung. Die Anspannung aufgrund der großen Sorge um Nico, hatte sich ihr Herz in den letzten zwei Wochen verschließen lassen. Als sie sich bereit fühlt, erklärt sie weiter: „Gerade noch rechtzeitig ist Nico vor den Toren aufgetaucht. Aber hast du mal über den Austausch nachgedacht, Hen? Der kann gar nicht funktionieren und das wusste er ganz genau. Er hat gedroht sich selbst umzubringen, wenn er merkt, dass er getäuscht wird.“ Hendryk nickt nachdenklich, denn er hat die Situation noch nie vor seinem geistigen Auge vorgespielt und die junge Frau erklärt weiter: „Total geschockt ging die Königin sofort darauf ein und ließ mich laufen. Sind die alle verrückt? Hätte er das wirklich gemacht? Hat diese Frau geglaubt, er würde es machen?“ Etwas ungläubig lacht der junge Mann auf und nickt erneut. „Was hat der Kerl für radikale Ideen? Er muss daran geglaubt haben, dass es funktioniert. Was hätte es gebracht dort sein Leben zu verlieren?“ „Er muss doch gewusst haben, wie viel er der Königin bedeutet, sonst hätte er das doch nicht vorgeschlagen, oder?“ antwortet Kara, worauf Hendryk spekuliert: „Ja, oder er hat einfach nur hoch gepokert und gewonnen. Fakt ist, du warst der Königin völlig egal. Es ging ihr die ganze Zeit nur um ihn.“ Kara murmelt noch einmal angewidert: „Diese Schlange.“ Da dies nicht Karas Auslöser für ihre plötzliche Flucht vorhin gewesen sein kann, versucht der junge Mann nun erneut auf das Kernthema zu sprechen zu kommen: „Dass er bereit war sein Leben für dich zu opfern, ist es doch nicht was dich bedrückt. Also, was hat er getan?“ Zögerlich antwortet Kara: „Aber…,es hat damit zu tun. Erinnerst du dich noch an seinen Plan, den er vor dem Ältestenrat vorgestellt hat?“ Hendryk nickt und entgegnet knapp: „Klar, zusammengefasst wollte er die Seitensprünge der Königin mithilfe Spitzels an den König melden.“ „Und was denkst du wohl wer dafür gesorgt hat, dass sie einen begeht?“ Fragt sie zynisch, doch bereits nach dem letzten Wort japst sie laut nach Luft, doch dann schreit sie verzweifelnd: „Was denkst du wohl? Nico hat mich verraten, meine Gefühle für ihn durch den Dreck gezogen. Er selbst hat die Königin verführt, kaum dass ich weg war.“ Blitzschnell zieht sie ihre Beine wieder nah an sich heran, setzt sich in sich gekrümmt und verdeckt ihre Augen mit ihren Armen. Anstatt damit Mitleid bei Hendryk zu erregen, wird er wütend, aber nicht auf seinen Freund und Kontrahenten Nico, sondern in diesem ungewöhnlichen Fall auf die wehleidige Kara. Für ihre, aus seiner Sich völlig überzogene Reaktion, kann er nämlich nicht das geringste Verständnis aufbringen und deshalb wird er schnell ungehalten und schimpft unvermittelt los: „Wie bitte? Kara, steig mal von deinem hohen Ross runter! Er hat nicht nur sein Leben für dich aufs Spiel gesetzt, er hat auch noch seine eigene Königin verraten und wie im Vorbeigehen Kalaß befreit! Kapierst du eigentlich was er geleistet hat? Meine Güte, der Mann liebt dich über alles. Hätte es einen anderen Weg gegeben, dann hätte er den auch gewählt.“ Da Karas Gesicht tief in ihren Armen vergraben ist, kann er nicht verstehen was sie nuschelt, doch es ist so etwas wie: „Ja klar, er liebt mich so sehr, dass er sich gleich an Estells Hals werfen muss.“ Hen regt sich so auf, dass er aufstehen muss. Er kann sich das nicht anhören und dabei einfach so ruhig sitzen bleiben, denn die in ihm aufsteigende Aggression macht ihn verrückt. Dabei kann er selbst nicht so recht glauben wieso er sich hier so sehr für Nico einsetzt, wo eine Trennung ihm doch den Weg zu Kara frei machen würde. Trotzdem muss er es tun, denn er handelt stets nach Überzeugung und nicht nach seinem persönlichen Vorteil und schließlich tut Kara ihrem Geliebten Unrecht. Inzwischen brüllt er die eingeschüchterte junge Frau an: „Nico schwebte zwei Wochen lang in ständiger Lebensgefahr, doch er hat gesiegt und ist lebend zu dir zurückgekehrt. Kannst du dir nicht vorstellen was er durchgemacht haben muss? Ich habe ihm angesehen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er war so anständig dir alles sofort zu beichten, doch er hat sich so schuldig gefühlt, dass er dir kaum in die Augen sehen konnte. Er war angeknackst, doch du hast ihn gebrochen, Kara und das nur, weil du so prüde bist und so starre Moralvorstellungen hast. Du lebst in deiner kleinen unschuldigen Welt, in der du es nicht verzeihst, wenn sich jemand die Hände schmutzig macht. Stattdessen verurteilst du ihn und versinkst in Selbstmitleid.“ Einiges davon wollte Hendryk seiner Freundin schon lange mal sagen, doch er hatte Angst sie damit zu sehr zu verärgern. Jetzt, dachte er, sei es auch egal. Schlimmer als Nico kann ihn ihre Reaktion ohnehin nicht treffen. Die junge Frau schaut aus ihrer dunklen, feuchtgeweinten Kuhle auf, denn seine Standpauke schockt sie. So etwas gemeines hat ihr engster Vertrauter noch niemals zu ihr gesagt und dafür muss es einen Grund geben. Anstatt ihm böse zu sein, denkt sie über seine Worte nach. Schmerzlich erkennt sie sich darin wieder, was sie ziemlich verwirrt und kurz darauf verdutzt fragen lässt: „U-und was glaubst du, soll ich jetzt machen?“ Hendryk überrascht die Wirkung seiner Worte ungemein und ihr Einlenken besänftigt ihn, weshalb sein Ton wieder weicher und etwas ruhiger wird. „Ich kann kaum glauben was ich jetzt sage, aber du gehst jetzt sofort zurück zu Nico, entschuldigst dich und sagst, dass du ihm verzeihst.“ empfiehlt er befehligend, weshalb sie ihn mit großen, verweinten und trotzdem noch katzenhaften Augen ansieht. „A-aber Hen...“ Er packt ihre Hand, zieht sie daran hoch und drängt ungeduldig: „Na los!“ Langsam setzt sie sich in Bewegung, doch sie beschleunigt ihren Schritt, fängt bald an zu rennen und Hendryk folgt ihr. Fast drei Stunden sind verstrichen seit sie ihr Haus verlassen haben und bei sich angekommen, muss Kara feststellen, dass ihr Liebster verschwunden ist. Sie ist aufgewühlt und gibt sich die Schuld daran, weil sie ihm gesagt hat, dass sie ihn nicht mehr sehen will. Die beiden junge Leute fragen bei den Nachbarn nach, ob einer von ihnen vielleicht beobachtet hat, wohin Nico gegangen sein könnte. Hendryk erkundigt sich im Haus zu ihrer Rechten und Kara im Haus zu ihrer Linken, wo der junge Handwerker wohnt, der ihr früher einmal den Hof gemacht hat. Mittlerweile hat er Frau und Kind. Kara klopft aufgeregt an seine Haustür und als sie ihr geöffnet wird plappert sie unaufgefordert sofort los: „Hast du Nico Dugar gesehen? Er war gerade noch hier. In welche Richtung ist er gegangen?“ Etwas überfordert antwortet er: „Er ist zurück in der Stadt? Das wusste ich nicht mal. Nein, ich habe-“ „Wer ist wieder in der Stadt?“ unterbricht ihn seine Frau, die ihren kleinen einjährigen Sohn auf dem Arm hat und den beiden an der Tür stehenden von hinten aus der warmen Stube zuruft, was Kara ebenso rufend beantwortet: „Nico Dugar!“ „Ah, Herr Dugar. Es heißt er habe die Stadt im Alleingang befreit. Ich habe mich ein, zwei Mal mit ihm unterhalten, nachdem er dich nach Hause gebracht hatte. Er ist ein wirklich sehr… netter Mann. Da hast du es gut getroffen. Vielleicht können wir ja mal zu viert gemeinsam zu Abend essen.“ ruft sie erneut und ihr Mann, der die ganze Zeit zwischen den beiden steht, wird langsam sauer. „Könntet ihr bitte aufhören euch über meinen Kopf hinweg zu zurufen?“ Was seine Frau wohlwollend aufnimmt und ebenfalls zu Tür geht. „Oh, entschuldige bitte, Schatz“ Die junge Ärztin wird langsam unruhig und erklärt: „Ich habe jetzt keine Zeit zu plaudern. Ich bin hier um zu fragen, ob du vorhin gesehen hast, in welche Richtung er gegangen ist. Er ist verschwunden.“ Die junge Mutter reagiert bestürzt: „Oh je, das tut mir leid. Ich habe ihn nicht gesehen. Er wäre mir aufgefallen.“ Schon halb im Gehen bedankt sich Kara freundlich und erklärt, dass sie weiter suchen möchte und die Frau des Handwerkers ruft ihr nach: „Viel Glück! Und vergiss nicht, das Angebot steht!“ Enttäuscht ruft Kara ihrem Helfer Hendryk zu: „Hattest du Erfolg?“ Er schüttelt den Kopf, daher erwidert sie ein trauriges: „Er ist weg...“ „Was hast du nur getan?“ wirft Hendryk ihr vor, weshalb sie ihn finster ansieht, denn das war unnötig, doch sie ergänzt: „So schnell gebe ich nicht auf. Irgendjemand muss etwas gesehen haben.“ Die beiden Fragen sich den ganzen Tag lang in der Stadt durch, bis sie tatsächlich ein paar Informationen gesammelt haben. Sie haben in Erfahrung bringen können, dass er sich ein Pferd und Vorräte besorgt hat, doch noch immer kennen sie sein Ziel nicht, was sie zu Spekulationen verleitet. Kara hat die Vermutung er könnte nach Yoken gegangen sein, denn das wollte er schon bereits während des Krieges besuchen. Allerdings gibt es aus ihrer Sicht, jetzt wo Kalaß befreit ist, keinen Grund mehr dafür. Hendryk glaubt da eher an seine Rückkehr in die Wüstenstadt Aranor, wo er sich seine Orden verdient hat, doch die junge Frau weiß davon gar nichts ist von dieser Idee verwirrt. „Was sollte Nico denn in Aranor wollen?“ fragt sie stirnrunzelnd, was nun wieder die junge Stadtwache verwirrt. „Na, dort war er jahrelang stationiert. Das sieht man doch an seiner Hautfarbe. Bestimmt hat er da noch einige gute Bekannte.“ Bei dem Stichwort fallen ihm spontan die beiden Tänzerinnen wieder ein, weshalb ihm für einen Augenblick ein Grinsen übers Gesicht huscht. Kara reagiert traurig auf die für sie völlig neue Situation. „Ich dachte er wäre ein Soldat aus Nalita.“ und Hendryk schüttelt den Kopf. „Nein hier waren keine Soldaten stationiert, die aus der Hauptstadt stammen. Die Königin musste sie aus den Randregionen von Roshea zusammenkratzen. Weißt du denn gar nichts, Kara?“ Dass sie so wenig weiß, macht sie nur umso trauriger. Hendryk hatte viel mehr Gelegenheit sich mit Nico auszutauschen als sie, worum sie ihn jetzt sogar beneidet. Der Gedanke an die Zelle, lässt sie an die Anhörung und in Folge dessen an Farsa Gena denken, die sie noch nicht befragt haben. Vielleicht hat er sich ja mit ihr abgesprochen, egal wie unwahrscheinlich es im ersten Moment für sie klingt. Sie klammert sich an diesen Strohhalm und macht sich gemeinsam mit Hen auf den Weg zu Rathaus. Dort angekommen bemerken sie ganz schnell, dass es hier gerade drunter und drüber geht. Da der Ältestenrat aufgelöst wurde, stellt Farsa Gena allein die provisorische Regierung dar, was sie, gelinde gesagt, ein wenig überfordert. Die alte Dame sieht mitgenommen aus, doch sie ist voller Energie. Gerade ist sie dabei schnellstmöglich freie Wahlen für einen neuen Stadtrat ohne Altersbeschränkung zu organisieren. Über ihren jungen Besuch freut sie sich jedoch besonders und beginnt unmittelbar und unaufgefordert über ihre Zukunftspläne zu philosophieren. Die beiden trauen sich nicht sie zu unterbrechen. Sie erzählt, dass der neue Stadtrat anders funktionieren solle als der Ältestenrat. Eine viel größere Anzahl von Vertretern der Gilden, sollten von den Bürgern in freien Wahlen bestimmt werden. Sie denkt an zwei bis drei Vertreter pro Gilde. Als Vorsitz stellt sie sich einen Unabhängigen vor, der den Stadtrat möglichst vorurteilsfrei leitet und nach außen hin vertritt. Fast schon euphorisch schwärmt sie: „Ich habe schon mit Herrn Dugar gesprochen. Ich bin so glücklich darüber, dass er zugestimmt hat ihn als Kandidaten für den Ratsvorsitz vorschlagen zu dürfen. Direkt von sich aus hat er das Angebot gemacht diplomatische Beziehungen zu Yoken aufzunehmen, was ich für eine überaus hervorragende Idee halte, aber was erzähle ich euch das. Ihr wisst das natürlich schon. Ihr seid schließlich seine Vertrauten.“ Kara traut sich jetzt endlich etwas zu sagen und gibt peinlich berührt zu: „Um ehrlich zu sein, wussten wir es diesmal nicht. Vielen Dank für die vielen Informationen. Wir möchten Nico Dugar gern hinterher reisen, weil wir… ihm noch was wichtiges sagen müssen.“ Farsa Gena lächelt verwundert, wobei sich ihr Gesicht in tiefe Falten legt: „Er ist aufgebrochen ohne es euch zu mitzuteilen? Wie ungewöhnlich. Nun, wenn ich so darüber nachdenke, hat er schon einen recht betrübten Eindruck gemacht. Für einen Mann, der in der ganzen Stadt als Held gefeiert wird, fand ich das durchaus ungewöhnlich, immerhin hat er bei der Anhörung den Eindruck gemacht zu seinen ruhmreichen Taten zu stehen und sich auch gern angemessen feiern zu lassen.“ Da Kara der alten Farsa Gena vollkommen vertraut, ist sie ehrlich und offen zu ihr: „Ich denke eher ich bin der Grund für seinen plötzlichen Aufbruch. Ich habe etwas unverzeihlich Dummes zu ihm gesagt.“ „Ah, die Liebe. Es tut mir leid Kara, aber für heute ist es zu spät, um ihm nach Deskend nachzureisen. Du wirst dich schon noch bis morgen gedulden müssen. Ich sorge dafür, dass ihr beide alles für eine Reise erhaltet, was ihr benötigt. Die Politik soll der Liebe nicht im Wege stehen. Wenn ihr ihn seht, könnt ihr ihm bitte ausrichten, dass sein Ratsvorsitz aller Wahrscheinlichkeit nach bestätigt wird und er alsbald zurückkehren soll? Ich glaube als er seiner Kandidatur zustimmte glaubte er nicht daran, gewinnen zu könnten. Doch so sieht es nun aus.“ Überglücklich fällt die junge Ärztin der provisorischen Stadtführerin um den Hals. Sie bedankt sich tausendmal mal bei ihr, weshalb Farsa Gena ergriffen lacht und Karas Rücken tätschelt. Die junge Stadtwache Hendryk hat so großen Respekt vor Farsa Gena, dass er sich so etwas nie getraut hätte. Sie ist eine der wenigen Personen, dessen Autorität er voll und ganz anerkennt, denn sie prahlt nicht mit ihrer Position und setzt ihre Macht weise ein, was er ungemein schätzt. Farsa Gena hält ihr Wort und am nächsten Morgen stehen, wie vereinbart, zwei Pferde und Reiseproviant, sowie eine kleine Summe Geld für Kara und Hendryk bereit. Diese großzügigen Geschenke werden von einem Boten zu ihre beider Häuser gebracht, wo sie dankbar in Empfang genommen werden. Die beiden jungen Leute, die ihre Heimatstadt Kalaß noch niemals verlassen haben, machen sich unverzüglich auf den Weg nach Deskend, der Hauptstadt von Yoken und Sitz der Königsfamilie. Kapitel 12: Ein Botschafter in der Fremde I ------------------------------------------- Nico hat auf seiner Reise nach Deskend einen Tag Vorsprung vor Kara und Hendryk. Da er sehr zügig unterwegs ist, reitet er fast einen weiteren Tag heraus, wodurch seine Reise voraussichtlich nur vier Tage andauern wird. Er muss zugeben, dass er von diesem wunderschönen Königreich beeindruckt ist. Yoken ist ein weites, grünes und in seinen Augen sehr schönes Land. Es wird dominiert von weiten Feldern und Waldflächen, die ihn zum Wandern einladen, doch dazu hat er keine Muße, denn dann hätte er Raum zum Nachdenken und ebendas versucht er zu vermeiden. Er atmet tief ein und seine Lunge füllt sich mit frischer, kalter klarer Luft. Er spielt mit dem Gedanken nach erfülltem Auftrag einige Zeit in diesem Königreich zu bleiben, hier vielleicht sogar ein neues Leben zu beginnen. Wo soll er sonst auch hin? Die Wahl in Kalaß zu gewinnen schließt er aus, denn er investiert nichts hinein. Ein Mann, der im Wahlkampf nicht anwesend ist, hat keine Chance auf einen Sieg, es sei denn ganz Kalaß wäre völlig verrückt geworden. Er will auch gar nicht gewinnen, denn dann würde er nur ständig seiner verlorenen Liebe begegnen. Aranor wäre ebenso noch eine Option für ihn, denn dort hat er Freunde, auch außerhalb des Militärs, die sich sicher freuen würden ihn wieder zu sehen. Er muss unwillkürlich an die ganzjährige Hitze denken, die in Aranor herrscht und ihm wird das grüne und kühle Yoken immer sympathischer. Neben der angenehmen Frische, strahlt es den Reiz des Neuen auf ihn aus. Fest entschlossen Roshea und Kalaß erst einmal hinter sich zu lassen, reitet er ins Unbekannte. Immer wenn er zur Ruhe kommt, schweifen seine Gedanken zu Kara. Um diese abzuschütteln treibt er sich selbst und sein Pferd bis an seine Grenzen an. Die ersten beiden Nächte verbringt er in Herbergen, die auf seinem Weg liegen. Es ist schon ziemlich spät und schon dunkel, wenn er dort ankommt und er kann von Glück reden noch ein Zimmer zu bekommen. Der frisch eingekehrte Frieden in Yoken, ermutigt die Bevölkerung nämlich wieder zu reisen. Das erkennt er an den vielen Familien, die ihm auf seinem Weg begegnen. In den Unterkünften hält er sich aber nicht lange auf und bricht bereits im Morgengrauen wieder auf. Er wechselt das Pferd jedes mal. Am Abend des dritten Tages lässt er die letzte erreichbare Herberge, die er hätte nehmen sollen, einfach hinter sich. Er hatte gerade einen sentimentalen Moment, den er versuchte abzuschütteln, in dem er sich und sein Pferd weiter antreibt. Er hofft es wird sich ihm vielleicht eine andere Möglichkeit zur Übernachtung bieten. Was er nicht weiß, weil er mit kaum jemandem spricht und sich auch reichlich schlecht auf diese Reise vorbereitet hat, ist dass dies für viele Wegstunden die letzte Unterkunft gewesen ist und eine lange und karge Wegstrecke vor ihm liegt. Zwar ist Nico nicht anspruchsvoll, er kann auch mal eine Nacht unter freiem Himmel verbringen, doch hat er sich an diesem Tag etwas zu viel vorgenommen und die Dezemberkälte reichlich unterschätzt. Heute ist es nämlich deutlich kälter als an den letzten beiden Tagen und der Frost des anstehenden Winters zieht ihm in die Glieder. Das hatte er nicht erwartet, denn es dauert wirklich lange, bis er beginnt zu frieren. Sein Atem und auch der seines Pferdes kondensieren. Zu allem Überfluss wird es in einer Stunde dunkel. Der Wind peitscht kalt über die steinige Ebene, was Nico weniger ausmacht als seinem Pferd, das nach einer stärkeren Bö oft ein wenig scheut. Er muss darauf achten es ruhig zu halten, sonst wirft es ihn noch ab. Die Sonne ist inzwischen untergegangen und nur der helle Vollmond leuchtet ihm den Weg. Gerade als er ans Umkehren denkt, sieht er auf dem weiten Land einen bewohnten Hof. Licht scheint aus einem der Fenster und das Haus wirkt auf ihn wie eine Oase in der Wüste. Er ist nun auf die Gastfreundschaft der dort lebenden Personen angewiesen. Er klopft hoffnungsvoll an die Tür, die ihm rasch von einem freudestrahlendem, etwa dreizehn-jährigem, etwas jungenhaftem Mädchen mit kurzen blonden Haaren geöffnet wird. „Papa, na endlich!“ platzt es aus ihr heraus, bevor sie verdutzt den fremden, durchgefrorenen jungen Mann wahrnimmt. Sie macht einen Satz nach hinten und ruft: „Huch!“ Ein Schwall wohliger Wärme strömt ihm aus dem Haus entgehen. Selbstsicher und so offen er kann, lächelt er dem Mädchen zu und sagt: „Es tut mir leid, aber ich bin nicht dein Papa.“ Sie schaut den Fremden mit großen Augen an und sagt etwas angesäuert: „Ja, offensichtlich.“ Dann wendet sie sich ab und ruft ins Haus hinein: „Es ist nicht Papa, sondern wieder so ein Depp, der die letzte Herberge verpasst hat!“ Sie dreht sich wieder Nico zu und sagt frech: „Brauchst nichts zu sagen, das kommt öfter vor.“ Nico kann sich ein amüsiertes Lachen über das freche Mädchen nicht verkneifen. Er sieht sich flüchtig im Raum um. Dies scheint eine Töpferwerkstatt zu sein, denn überall stehen Regale voll mit fertigen und halbfertigen Töpferwaren. Eine mittelalte, etwas rundliche Frau tritt in Nicos Blickfeld, welche die Mutter des Mädchens zu sein scheint. Sie sieht freundlich aus, macht aber einen besorgten Gesichtsausdruck. Sie maßregelt zunächst das Mädchen mit verständnisvollem Unterton: „Benimm dich bitte, Sanja.“ Dann wendet sie ihren Blick an Nico. „Entschuldige bitte das Benehmen meiner Tochter. Sie macht sich Sorgen, weil mein Mann Eritan noch nicht zurückgekehrt ist. Er ist vor drei Stunden los, um ein wenig Ton zu besorgen, um seine aktuelle Arbeit fertig zu stellen. Er brauchte nicht viel, deshalb ist er alleine los, doch er müsste schon lange zurück sein...ach was bin ich für eine verständnislose Person. Komm bitte erst einmal herein, mein Bester. Dir ist bestimmt sehr kalt. Mein Name ist Rietta und das ist Sanja.“ Sie deutet mit ihrem Blick sanft zu ihrer ungestümen Tochter. Nico ist bestürzt, denn er fragt sich wie er in die warme Stube eintreten soll, während dem Herrn des Hauses vielleicht etwas zugestoßen ist, deshalb lehnt er ab. „Mein Name ist Nico, vielen Dank. Aber ich werde nicht eintreten. Rietta, sag mir bitte in welche Richtung dein Mann gegangen ist. Ich werde ihn zurück holen.“ „Das würdest du? Hab vielen Dank!“ antwortet sie hoffnungsvoll und deutet mit der Hand nach draußen, als sie erklärt: „Weniger als eine halbe Wegstunde in diese Richtung befindet sich der Tonstich, aus dem wir unser Material beziehen. Er ist mit einem Pferd dahin aufgebrochen.“ Entschlossen antwortet Nico: „Alles klar. Ich bin in einer Stunde in Begleitung deines Mannes zurück.“ „Ich komme mit! Ich zeige ihm den Weg und verhindere, dass er in eine der Gruben stürzt. Ich würde den Weg im Gegensatz zu ihm, mit verbundenen Augen finden.“ platzt es aus Sanja heraus, die ihren Vater bereits zuvor allein suchen gehen wollte, doch ihre Mutter Rietta hatte es ihr verboten. Besorgt stimmt sie nun jedoch zu. Die Tochter des Töpfers und der ihr fremde Mann machen sich auf den Weg durch die kalte Finsternis. Nicos braunes Pferd haben sie zurück gelassen und Sanja hat einen Schimmel mitgenommen, der sich sehr gut mit dem Gelände auskennt und keine Angst vor den ungewöhnlich aufsteigenden Winden hat. Hätte Sanja allein losziehen dürfen, wäre sie den Weg auf ihrem Schimmel geritten. Da sie aber nun zu zweit sind, laufen die beiden das Stück bis zum Tonstich. Mit Nicos erschöpftem Leihpferd, das die Umgebung nicht kennt, sollte man den Weg nicht beschreiten, da man dabei Gefahr läuft auf dem unebenen Gelände zu stürzen, erklärt sie ihm. Sanjas Pferd haben die beiden eigentlich nur mitgenommen, um ihren Vater Eritan transportieren zu können, sollte er sich verletzt haben. Auf dem Weg deutet Sanja stolz auf ihren Schimmel und schwärmt: „Das ist Rex. Er ist unser bestes Ross. Hat dein Pferd auch einen Namen?“ Nico schüttelt den Kopf und gibt zu: „Sicherlich, aber ich habe keine Ahnung wie es heißt. Ich habe es mir heute Morgen erst in Rengnis ausgeliehen. Es ist also nur ein Leihpferd.“ Verdutzt erwidert Sanja vorwurfsvoll: „Nur ein Leihpferd? Was bist du denn für einer? Was heißt denn hier ‚nur‘? Aber was noch schlimmer ist, du bist heute Morgen in Rengnis gestartet? Das ist ganz schon weit für einen Tagesritt. Kein Wunder, dass es so erschöpft war. Du bist ein Tierquäler, Nico. Leuten wie dir dürfte man gar keine Pferde anvertrauen, nicht wahr Rex?“ Sie tätschelt ihr Ross. „Ich habe ihm viel abverlangt, aber an seine Grenzen ist es nicht gestoßen. Erst der stärker werdende Wind hat ihm zu schaffen gemacht.“ versucht sich Nico zu verteidigen, doch sie hat sich ihre Meinung über ihn schon gebildet. Nicht ganz überzeugt rät sie: „Na, wenn du meinst. Mir ist es egal wo du herkommst und wo du hingehst, aber mit deinem Pferd solltest du sorgsam umgehen.“ Nico lächelt und sagt beschwichtigend: „Du hast Recht, Sanja. Ich werde es in Zukunft beherzigen.“ Sie ist mit sich zufrieden den fehlgeleiteten jungen Mann von ihrem Standpunkt überzeugt zu haben. Die beiden betreten ein Gebiet mit immer häufiger werdenden Gruben, um die sie im Slalom auf sicheren Stegen herumlaufen müssen. Sanja läuft an der Spitze, Nico in der Mitte und der Schimmel bildet den Abschluss. Der Wind hat ein wenig nachgelassen und die beiden zünden jeder eine mitgebrachte Öllampe an. Es dauert nicht lange, da hören sie in der Ferne ein Rufen, das Sanja von der Stimme her ihrem Vater zuordnen kann, deshalb ruft sie erfreut: „Das ist er!“ Nico will einen Schritt schneller gehen, doch Sanja hält ihn auf. Der Boden unter ihm ist weich und nachgiebig und ein falscher Schritt und er verschwindet in einem dunklen Loch, was ihm um ein Haar gerade passiert wäre, hätte das Mädchen ihn nicht zurück gehalten. „Pass auf! Hier sind überall eingebrochene Stollen und Tonstichgruben. Bleib hinter mir und tritt nur dahin wo ich hin trete! Um Rex brauchst du dir keine Gedanken zu machen. So wie ich, weiß er wo der Tritt sicher ist und wo nicht.“ Nico dreht verdutzt den Kopf zu Rex, der auf den schmalen sicheren Passagen trabt als sei es nichts und hie und da einen eleganten kleinen Sprung über dunkle Löcher hinweg macht. Sanja scheint hier mit dem Pferd viel Zeit verbracht zu haben, schließt er. Nach ein paar Minuten erkennen sie Eritans hellbraunes Pferd, das allein in der Dunkelheit, neben einer neu entstandenen Grube steht. Sanja ruft nach ihrem Vater, der prompt antwortet: „San, wie schön dich zu hören. Ich bin gleich neben Lexa.“ Lexa ist die mit Ton beladene hellbraune Stute, die geduldig, aber unfähig zu helfen, neben ihrem in eine Grube gestürzten Herren ausharrt. Sanja läuft zur Grube und schaut hinein. Ihr Vater ist von der Erde um ihn herum eingeklemmt und kommt aus eigener Kraft nicht wieder heraus. Erleichtert sagt er: „Was für ein Glück, San. Ich dachte schon ich müsste die ganze Nacht hier ausharren. Oh, wer ist das?“ Nico schaut die Grube herab und will antworten, doch Sanja nimmt es ihm ab: „Das ist Nico. Ein Durchreisender, der Hilfe bei der Suche nach dir angeboten hat.“ Nico ist ein wenig überrascht, dass sie nichts Negatives über ihn geäußert hat. Bisher hat er von ihr nur Vorwürfe erhalten. Eritan wendet sich hoffungsvoll an ihn und bittet: „Nico, du siehst stark genug aus mich hier heraus zu ziehen. Nimm das Seil aus Lexas Satteltasche, wirf mir das eine Ende zu und bilde an diesem Baum da eine Seilwinde. Ich binde mich selbst am Seil fest. Wenn ich bereit bin, dann zieh bitte so fest du kannst!“ „Alles klar.“ bestätigt der Fremde. Er und Sanja schaffen es gerade so Eritan aus der Grube zu ziehen. Zu ihrer aller Glück ist er nur leicht verletzt, jedoch ziemlich durchgefroren. Sie setzen ihn auf Rex, der sich zu freuen scheint ihn gesund zu sehen. Das Pferd tänzelt ein wenig herum, weshalb Sanja es ein wenig maßregelt mit den Worten: „Rex, das reicht! Wir freuen uns alle, dass es meinem Vater gut geht, aber benimm dich jetzt. Er soll schließlich auf dir reiten.“ Sofort ist das Pferd ruhig und verhält sich ganz normal, was Nico völlig verblüfft. Noch niemals ist ihm ein so intelligentes und zu gleich eigenwilliges Pferd begegnet. Sanja hatte wirklich Recht. Er hätte seinen Pferden nicht so viel zumuten sollen, denn es sind mehr als nur Nutztiere. Der Rückweg verläuft Problemlos. Wie angekündigt sind die drei mit den beiden Pferden nach insgesamt einer Stunde auf den Hof zurück gekehrt. Rietta ist überglücklich sie zu sehen. Sie hilft ihrem Mann vom Pferd und nimmt ihn in den Arm, wobei ihnen Sanja selbstbewusst lächelnd zusieht. Sie essen an diesem Abend noch gemeinsam. Da Eritan sehr erschöpft ist, geht er nach einem heißen Bad, das seine Frau schon vorbereitet hatte, zu Bett. Die anderen drei stellen die Stühle vom Esstisch an den angeheizten Brennofen im Arbeitszimmer, um sich ordentlich aufzuwärmen. Kein anderer Ofen im Haus strahlt so viel Wärme ab wie dieser. Das Licht der Öllampen taucht den Arbeitsraum in warme Orangetöne. Rietta bedankt herzlich sich bei ihrem Gast. „Ich danke dir vielmals für deine Hilfe, mein Bester. Du hast geholfen, als wäre es etwas Selbstverständliches.“ Nico lächelt freundlich und wendet seinen Blick an Sanja. „Ohne Sanja wäre das nicht möglich gewesen. Rietta, du kannst deiner Tochter ruhig mehr zutrauen.“ Das Mädchen schaut überrascht freudestrahlend zu Nico, der ihr zuzwinkert. Sie flüstert: „Danke“ und fragt daraufhin interessiert: „Was ist dein Reiseziel?“ „Ich reise nach Deskend.“ antwortet er und sie springt unvermittelt auf. „Oh, ich wollte schon lange mal wieder Onkel Garis besuchen! Darf ich dich begleiten?“ Freundlich lächelnd antwortet er: „Von mir aus, sehr gern.“ Sie wendet ihren Blick an ihre Mutter: „Darf ich ihn begleiten?“ Nun schauen Sanja und Nico gemeinsam mit bohrenden Blicken zu Rietta, die nach einigem Zögern antwortet: „Na gut, von mir aus.“ Ihre Tochter fängt an zu jubeln. Die drei sprechen sich über das Organisatorische ab, doch die Sprache fällt nicht auf Nicos Reisegrund oder seine Herkunft, was er als sehr angenehm empfindet. Am nächsten Morgen stehen Sanja und Nico noch vor Sonnenaufgang auf, um weiterzureisen. Er bedankt sich herzlich bei Rietta und Eritan und setzt seine Reise nun in Begleitung fort. Nicos Leihpferd wird der Töpfer in das nahegelegene Städtchen mitnehmen um es dort in der Leihstation wieder abzugeben. Dann reiten die beiden auf Rex und Lexa los. Die Ablenkung hat Nico gut getan. Er ist nicht mehr ganz so schwer betrübt wie er es am Tag seiner Abreise war. Außerdem hat er jetzt eine Begleiterin für den letzten Reisetag, die seine negativen Gedanken etwas beiseiteschiebt. Auf dem Weg spricht sie die meiste Zeit mit und über ihre beiden Pferde. Sie erklärt, dass sie nicht lange in Deskend bleiben wird, da sie in der Töpferwerkstatt gebraucht wird. Zudem hat sie die beiden einzigen Pferde mitgenommen, die für den Transport des Tons vom Tonstich zur Werkstatt geeignet sind. Sie wollte, dass die beiden ihn ihrem Perdeleben auch mal etwas anderes zu sehen bekommen, als die immerzu gleichen Arbeitswege. Am späten Nachmittag kommen die beiden am Rande der Stadt Deskend, der Hauptstadt von Yoken an. Nico hat schon ein paar große Städte gesehen, doch er ist beeindruckt. Sie ist völlig anders als Aranor, Nalita oder Kalaß. Sie grenzt direkt an das Hagralgebirge, das sie süd-westlich umgibt und zum Meer im Nord-Westen hat sie eine Steilküste. Große weiträumige Straßen und Plätze bestimmen das Stadtbild. Fast patriotisch anmutend hängen überall rote Flaggen des Königshauses mit dem Wappentier von Yoken, dem Fuchs. Die Häuser der Stadt sind aus grauem Stein gebaut, der aus dem Hagralgebirge zu stammen scheint. Überall ist Platz für Grünflächen, die von einer stadteigenen Gärtnerei gepflegt werden. Das Schloss liegt am Rande der Stadt und hat die Berge im Rücken. Es ist großflächig und niedrig. Nico fällt auch die imposante Kathedrale auf, die dem roten Feuergott Phanatakare huldigt. Wenn er etwas Zeit hat, dann wird er sie besuchen, um hier etwas zu überprüfen. Erst einmal hat er jedoch wichtigeres im Kopf, denn er ist schließlich als Botschafter von Kalaß im Königreich. Nico begleitet Sanja noch bis zum Wohnhaus ihres Onkels Garis am nördlichen Rand der Stadt. Sie umarmt Nico und verabschiedet sich unerschrocken von ihrem doppelt so alten Begleiter mit strengen Worten: „Über Menschen scheinst du einiges zu wissen, aber über Pferde weißt du rein gar nichts, mein Lieber. Setz dich mehr mit deinen Gefährten auseinander! Ich hoffe, dass ich dir diesbezüglich etwas beibringen konnte.“ Sie scheint immer noch etwas sauer darüber zu sein, dass Nico seinem Leihpferd aus ihrer Sicht zu viel zugemutet hat. Er antwortet freundlich: „Keine Sorge, Sanja. Ich hatte die beste Lehrerin, die ich mir vorstellen kann.“ Sie lächelt forsch. Die Pferde bleiben natürlich bei ihr und der junge Botschafter ist ab sofort zu Fuß unterwegs. Wieder alleine hört er sich ein wenig in der Stadt um und spricht mit einigen Leuten. Seine vorübergehende Menschenscheu hat er dank der frechen Sanja wieder abgelegt. Gewohnt selbstsicher geht er auf die Menschen zu und befragt sie. Hier hegt niemand Vorurteile gegenüber Kalaß und die Deskender sind dem Stadtstaat gegenüber sogar äußerst positiv eingestellt. Tüchtig und ehrwürdig sollen die Menschen in Kalaß sein und außerdem gut gebildet und handwerklich auf höchstem Niveau. Nico freut sich über die netten Worte gegenüber seiner Heimatstadt. Das sind gute Voraussetzung für eine freundschaftliche Beziehung. Umso mehr ärgert es ihn wie die Kalaßer über Yoken sprechen. Von einigen hörte er etwas von einem Jäger- und Bauernvolk, das keine Ehre hätte, schamlos lügen und einen schon mal hinterrücks erschießen oder erstechen würde, wenn man nicht aufpasst. Zudem sei der König von Yoken ein feiger Mann, der sich hinter den hohen Bergen des Hagralgebirges in seiner Hauptstadt Deskend verkriechen würde. Nico kann sich nicht vorstellen, dass an diesen Gerüchten etwas Wahres dran sein soll. Er will sich vom Volk Yokens und seinem Königshaus lieber selbst ein Bild machen. Die Königsfamilie, bestehend aus König Miikal, seiner Königin Mariella und deren Tochter Yasane, ist beim Volk von Yoken nämlich außerordentlich beliebt und genießt höchstes Ansehen. Kapitel 13: Ein Botschafter in der Fremde II -------------------------------------------- Ein grünes Wachssiegel mit dem kalaßer Pfauenmotiv ziert einen handschriftlichen Brief Farsa Genas, der Nico beglaubigt im offiziellen Amt eines kalaßer Botschafters zu reisen. Zwar wurde das übliche Prozedere der schriftlichen Ankündigung eines Gesandten nicht eingehalten, doch der deskender Königshof ist nicht dafür bekannt besonders viel Wert auf unflexibler Vorgehensmodelle zu legen. Besonders jetzt, wo der Konflikt mit Roshea als beigelegt gilt, erwartet man am Hof sogar den ein oder anderen Besucher. Völlig problemlos wird der junge Botschafter also in den weitläufigen Schlosspark und anschließend auch in das recht neu wirkende Schlossgebäude eingelassen. Er tritt in einen großen, überwiegend in Rot gehaltenen Empfangssaal, der völlig ohne Säulen auskommt, was Nico bei dieser Raumgröße noch nie gesehen hat. Riesige Fensterfronten spenden eine Menge natürlichen Lichts, was den eher dunkel ausgestalteten Saal nicht düster wirken lässt. Beeindruckt von der Architektur läuft Nico über einen roten Teppichboden auf das Königspaar am anderen Ende des Raumes zu. Sie sitzen nicht wie gewöhnlich auf einem Podest, sondern auf normaler Bodenhöhe auf gepolsterten, mit rotem Velours bespannten Stühlen, von denen ein Dritter frei steht. Der auf dem rechten Stuhl sitzende König erhebt sich von seinem Platz, als er den Botschafter empfängt. Er ist um die fünfzig und wie der Rest des Königshauses, überraschend schlicht gekleidet, was Nico äußert sympathisch findet. Unterstrichen wird sein Eindruck durch sein rundliches Gesicht, das gut zu seinem etwas kräftigerem Körper passt, welches ihn sehr freundlich aussehen lässt. Seine Frau wirkt jung, doch einige Faltenansätze verraten ihr wahres Alter, das Nico als etwa zehn Jahre jünger als ihren Gatten einschätzt, obwohl ihr Haar so hell ist, dass man es schon als Weiß bezeichnen könnte. Sie trägt es offen, fixiert ihre vorderen Haarsträhnen jedoch elegant am Hinterkopf. Hinter den beiden steht die Prinzessin, ein hübsches Mädchen, das Nico ehrlicherweise als erstes bemerkt, sich jedoch für eine nähere Betrachtung bis zum Ende aufgehoben hat, denn sie ist in vielerlei Hinsicht besonders. Ihm drängt sich der Eindruck auf, sie mache gerade eine rebellische Phase durch, denn sie trägt ihr welliges, erdbeerblondes Haar recht wild offen, das sogar eines ihrer funkelnden smaragdgrünen Augen verdeckt. Weitere Indizien sind ihr schwarzes, kurzes Kleid mit dem Nietengürtel und ihre in die Hüften gestemmten Arme. Mit einem äußerst interessierten Blick beäugt das Mädchen den fremden Neuankömmling von oben bis unten. Nico bleibt auf gebührlichem Abstand stehen und wird von einem Hofdiener, der hinter ihm her lief und nun zu König eilt, als Gesandter von Kalaß vorgestellt, ohne dass sein Name dabei genannt wird. Diesen hat er nämlich bisher für sich behalten. Der noch immer aufrecht stehende König begrüßt ihn sehr freundlich mit den Worten: „Seid mir gegrüßt, Botschafter von Kalaß. Welche Kunde bringen Sie uns?“ Wie Nico es vom Militär gewohnt ist, steht er sicher und aufrecht vor der Königsfamilie und beginnt seine Ansprache. „Werte Majestäten, König Miikal und Königin Mariella, werte königliche Hoheit, Prinzessin Yasane.“ Nico schaut jeden einzelnen an, während er ihn oder sie anspricht, was die junge Prinzessin sichtlich überrascht. Normalerweise wird sie an dieser Stelle nämlich vergessen und nun ist sie ist Feuer und Flamme für den hübschen Fremden. Nico spricht in deutlichen Ton weiter: „Ich gehe davon aus, dass dem Königreich Yoken die fröhliche Kunde vom Ende der Besatzung Kalaßes bereits zugetragen wurde.“ Da er eine Pause macht, antwortet König Miikal erfreut: „Aber natürlich. Laut unseren Informationen geschah das auf Verdienst eines Einzelnen. Das ist doch richtig, oder? Wir wissen, dass die Besetzung in erster Linie dazu galt uns einzuschüchtern. Nicht nur Kalaß, sondern auch wir sind dieser einzelnen Person zu großem Dank verpflichtet, denn die braven Bürger das Königreichs Yoken litten sehr unter der ständigen Bedrohung direkt an unseren Grenzen.“ Die Sätze des Königs machen Nico etwas nervös, denn wenn herauskommt, dass dieser benannte Einzelne hier vor ihm steht, wird er auch hier stärker in den Mittelpunkt rücken, als es ihm in seinem momentanen Zustand lieb ist. Ohne weiter darauf einzugehen, erklärt er: „Ich möchte Euch gern Einzelheiten zum Zustand von Kalaß überbringen und eventuell über eine gemeinsame Zukunft mit Yoken nachdenken.“ Freudig verkündet der König daraufhin: „Sehr gern, Herr Botschafter. Ich brenne darauf zu erfahren was passiert ist, doch erholen Sie sich doch zunächst von der beschwerlichen Reise und kommen um fünf zu mir in meinen Beratungsraum. Meine Bediensteten werden Ihnen eine Mahlzeit servieren und ein Quartier zuweisen.“ Nico bedankt sich höflich. Er ist äußerst positiv überrascht vom Königshaus von Yoken, denn ganz im Gegensatz zum elitären Nalita, herrscht hier eine lockere und positive Atmosphäre. Der kalaßer Botschafter erhält eine Mahlzeit und hat danach eine Stunde Ruhe für sich, was ihm überhaupt nicht gut tut. Er legt sich aufs Bett seines schicken in Rot gehaltenen Gästezimmers und starrt gedankenverloren die kirschbaumfarbene Kassettendecke an. Er kommt ins Grübeln was er hätte besser machen sollen...nein, besser machen müssen, um seine große Liebe Kara nicht zu verlieren und seine Stimmung verdunkelt sich. Pünktlich fünf vor fünf klopft es an seiner Tür und er wird von einem Bediensteten zu den Privatgemächern des Königs geführt. Der Beratungsraum ist nicht besonders groß und wird, wie alles hier, von roten und braunen Tönen dominiert. Die großen Fenster haben aufgehört Licht zu spenden, denn es wird gerade dunkel, weshalb die roten schweren Vorhänge zugezogen werden. Wenn Nico ehrlich zu sich ist, fühlt er sich gerade gar nicht danach etwas über die Geschehnisse in Kalaß zu erzählen. Viel lieber würde er gleich wieder verschwinden, sich ein Pferd schnappen und davonreiten, doch das geht nicht. Er hat eine persönliche Audienz beim König von Yoken erhalten und die muss er nun auch nutzen. Leider kann er nicht aus sich heraus und seine schlechte Laune überspielen. Unglücklich mit der Situation fährt er sich durch das Haar, was König Miikal genau beobachtet. Er bittet darauf hin seinen Gast an einem kleinen Beratungstisch Platz zu nehmen und setzt sich selbst gegenüber. Mit besonders interessiertem Blick fragt er scharf: „Herr Botschafter, es nützt nichts Ihnen etwas vor zu machen. Am meisten interessiert mich die Heldengeschichte, die hinter der Befreiung stecken muss. Sie kennen den Mann, nicht wahr? Mir wurde zugetragen er sei Hauptmann unter Königin Estell gewesen. Erzählen Sie mir von ihm!“ Nico schaut den König mit eingefrorener Miene an, ohne zu reagieren, weshalb sich der König nun taktlos vorkommt. „Oh, entschuldigen Sie, dass ich so mit der Tür ins Haus falle. Ich habe Sie noch nicht nach Ihrem Namen gefragt. Bisher weiß ich nur, dass Sie der Gesandte von Kalaß sind. Das war sehr unhöflich.“ Nico hat noch kein Wort gesagt, seit er im Beratungsraum empfangen wurde, was viel unhöflicher war, als diese Frage, doch der König von Yoken entschuldigt sich bei ihm, nur wegen eines finsteren Blickes. Nicos Gedanken kreisen um seine eigene Erscheinung, denn er selbst ist nur irgend ein Botschafter, doch ein wahrer König ordnet sich seiner Laune unter. Estell, so widerwärtig sie auch sein mag, schien nicht mit allem falsch zu liegen was sie sagte. Erst sie, dann König Riecard und nun auch König Miikal scheinen sich seinem Willen zu unterwerfen, wenn er sich das wünscht. Er muss in Ruhe nochmal über diese Sache nachdenken, denn jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Seine Identität kann er jedenfalls nicht länger schützen und gibt zu: „Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Eure Majestät. Mein Name ist Nico Dugar.“ Weshalb der König noch stutziger wird, als er es zuvor schon war. Er schaut in die Luft und überlegt. „Dugar… Dugar… Den Namen hab ich doch schon mal gehört und zwar erst vor ein paar Tagen... Jetzt weiß ich es. Das ist der Name, der geflüstert wird, der des Befreiers, Hauptmann Dugar. Sie sind es doch nicht etwa selbst? Sind Sie Hauptmann Dugar? Der Hauptmann Dugar?“ Nico antwortet angespannt: „Kein Hauptmann mehr, aber...genau der bin ich.“ Freundlich, etwas hektisch und aufgelöst richtet der König ein „Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick“ an seinen Gast. Danach steht er von seinem Stuhl auf und verlässt den Raum zügig und bester Stimmung. An der Tür stehend ruft er aufgeregt laut: „Mariella! Yasane! Kommt bitte schnell her!“ Die beiden Damen eilen herbei, denn wenn der König ruft, dann muss es etwas wichtiges sein. Bestürzt fragt Mariella was denn los sei und der König flüstert zu ihr, so dass es auch seine Tochter hören kann: „Sie haben uns aus Kalaß nicht irgendwen geschickt. Das ist nicht irgendeinen Gesandter, sondern der Held höchst persönlich der Kalaß befreit hat, der dessen Name überall geflüstert wird -Hauptmann Dugar, auch wenn er jetzt kein Hauptmann mehr ist, sagt er. Ha, verständlicherweise.“ Die beiden Frauen versuchen überrascht, aber auch möglichst unauffällig zu Nico zu schauen, der ihre Blicke bemerkt und aufrecht erwidert. Wäre er guter Stimmung, würde er den Damen zuzwinkern, doch das ist er nicht. Aus Yasane platzt es heraus, weshalb sie freudestrahlend verkündet: „Ich wusste gleich, dass er etwas Besonderes ist.“ „Reiß dich bitte zusammen, Yasane.“ Maßregelt ihre Mutter das Mädchen und diese erwidert leicht genervt: „Was denn? Endlich passiert hier mal was und ich darf mich nicht darüber freuen?“ Königin Mariella versucht sanfter und schlichtend zu erklären warum sie das von ihrer Tochter verlangt: „Freu dich bitte so, wie es für eine Prinzessin angemessen ist, sonst finden wir nie ein Ehemann für dich, mein Liebling.“ Nach einer kurzen Pause des Schweigens antwortet Yasane kleinlaut: „Ja, Mutter.“ Heimlich rollt die junge Thronfolgerin mit den Augen, denn sie wüsste nicht wieso sie unbedingt einen braucht. Dann betreten die drei den Beratungsraum und die Königin begrüßt Nico noch einmal besonders freundlich. „Es ist mir wirklich eine Ehre Sie kennen zu lernen, Herr Dugar.“ „Ganz meinerseits, Majestät.“ entgegnet er etwas sanfter als zuvor. Prinzessin Yasane, die die Lektion von eben schon wieder vergessen zu haben scheint, begrüßt den Gast jedoch mit funkelnden Augen und den Worten: „Hallo, ich hoffe dir gefällt es hier bei uns. Kannst nämlich gern noch eine Weile bleiben.“ weswegen die Königin ihre Tochter mit finsterem Blick leicht mit dem Ellenbogen anstößt, die leis „Jaja, ist ja schon gut“ murmelt. Etwas verdutzt, antwortet Nico noch etwas freundlicher als zuvor: „Es ist schön hier. Danke für Euer großzügiges Angebot, Prinzessin.“ Sie kichert und wendet sich danach fordernd an ihren Vater: „Ich will bei der Beratung dabei sein! Bitte Vater, darf ich?“ Königin Mariella atmet schwer aus und schüttelt dabei ihren Kopf, doch König Miikal reagiert verständnisvoll auf die Bitte seiner Tochter. „Wenn Herr Dugar nichts dagegen hat, dann dürft ihr beide bleiben.“ schlägt er vor und Yasane, aber auch Mariella richten einen erwartungsvollen Blick an Nico der, nun endlich lächelnd, erwidert: „Wieso sollte ich etwas dagegen haben?“ Die beiden Frauen freuen sich und setzen sich mit an den Tisch. Die drei fixieren ihren Gast gespannt und der König richtet das Wort wieder an ihn. „Wie Sie merken, Herr Dugar, sind wir besonders daran interessiert zu erfahren, wie Sie die Besatzungsmacht vertrieben haben. Danach können wir gern über den politischen und wirtschaftlichen Zustand sowie Standpunkt von Kalaß und eine mögliche Zusammenarbeit sprechen.“ Nico hat nach wie vor keine Lust über diese Geschichte zu sprechen, denn sie belastet ihn viel zu sehr, doch ihm bleibt keine Wahl. Etwas resigniert antwortet er schließlich: „Dann muss die Politik wohl noch etwas warten... Nungut, ich beginne mit der Vorgeschichte, damit es ein wenig verständlicher wird.“ Die Königsfamilie hängt ihm gespannt an den Lippen. „Ich wuchs in Kalaß auf, verließ die Stadt aber als meine letzte lebende Verwandte starb. Beim Königlich Rosheanischen Militär fühlte ich mich gut aufgehoben und stieg schnell zum Offizier auf, war auch viele Jahre in Aranor stationiert. Nach sechs Jahren Offiziersdienst in Aranor zog mich Königin Estell ein, beförderte mich zum Hauptmann und machte mich zum Kommandanten der Mission meine Heimatstadt Kalaß zu besetzten. In meiner Position habe ich versucht die Bürger vor willkürlicher Gewalt zu schützen, was mir nicht immer gelang. Als Königin Estell mich in ihren Plan einweihte, König Riecard zu stürzen und Kalaß dauerhaft zu besetzten, handelte ich, denn das konnte das nicht zulassen. Deshalb verriet ich sie an den König, der sie mit einem größeren Regiment zur Aufgabe zwang. Das ist eigentlich schon alles was es darüber zu sagen gibt und das leitet mich über zum eigentlichen Anliegen meines Besuches, denn Kalaß ist aufgrund dieser Ereignisse destabilisiert. Während der Besetzung hat der Ältestenrat viele Fehlentscheidungen getroffen und sich deshalb aufgelöst. Da Kalaß immer noch derselben Gefahr ausgesetzt ist wie zuvor, möchte ich Euch um eine Zusammenarbeit bitten. Wie Ihr wisst, darf Kalaß selbst keine eigene Grenzarmee beschäftigen, aber wenn eine andere Armee den Stadtstaat verteidigt, verstößt das nicht gegen die alten Tarbasser Verträge. Es mag aktuell friedlich aussehen, doch ich glaubte, dass uns noch ein Krieg bevorsteht.“ Die drei haben Nico gebannt gelauscht, sind mit seiner trockenen, unaufgeregten und verkürzten Erzählweise äußerst unzufrieden. Normalerweise sieht es ihm nicht ähnlich Geschichten langweilig zu erzählen, was die drei aber natürlich nicht wissen können. Das war sein Kompromiss, um die Geschehnisse nicht erneut durchleben zu müssen. Der König erhebt das Wort: „Herr Dugar, über eine Grenzarmee können wir uns doch auch später noch unterhalten, wenn die Frauen weg sind. Sie haben in der Geschichte doch einiges weggelassen, wenn ich mich nicht tausche. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass Sie zwischenzeitlich in Kalaß in Gefangenschaft geraten seien und dazu haben Sie kein Wort gesagt. Entspricht das etwa nicht der Wahrheit?“ „Doch, das ist korrekt, aber mit Verlaub, es verändert rein gar nichts an der Faktenlage, Majestät. Es verlängert nur die Geschichte...und ich möchte nicht näher darauf eingehen.“ Etwas enttäuscht entgegnet der König: „Das istwirklich schade, doch Sie sind hier zu Gast. Es steht Ihnen natürlich frei zu erzählen was Ihnen beliebt. Mit dem Grenzschutz haben Sie freilich recht. Gern würde ich mich morgen in einer anderen Besetzung näher mit Ihnen dazu beraten um eventuelle Möglichkeiten durchzusprechen.“ Nico bedankt sich herzlich. Der neugierigen Prinzessin ist die Enttäuschung anzusehen, doch auch wenn sie sich dagegen sträubt, löst sich die Runde auf. Nico wird ein neues, luxuriöses Gästezimmer unweit der königlichen Privatgemächer zugewiesen, wohin er sich zurück zieht. Seine Stimmung hatte sich zwar ein klein wenig gebessert, doch jetzt wo er wieder allein ist, sinkt sie erneut ab. Als er jünger war, hat er schmerzliche Gefühle einfach mit Alkohol abgetötet und diese Lösung wird ihm auch für sein jetziges Problem immer sympathischer. Er schaut in den Schränken nach und wird tatsächlich fündig. Zwei Flaschen Rotwein und zwei Gläser stehen in einer Kommode, von denen er je eines nimmt. Er setzt sich auf sein Bett, schenkt sich Wein ein, den er recht schnell trinkt und wiederholt das Ganze, bis es ihn aus diesem Kreislauf herausreißt, da es, wenn auch leise, an seiner Tür klopft. Er stellt sein halb ausgetrunkenes Glas ab und geht auf die unabgeschlossene Tür zu, die sich langsam öffnet. Prinzesssin Yasane, welche seine halb erzählte Geschichte nicht loslässt, steht nur in einem rosafarbenen Spitzennachthemd vor seiner Tür. Es ist schon eine fortgeschrittene Stunde, zu der sie sich heimlich zu seinem Zimmer geschlichen hat. Sie schiebt ihn hastig in den Raum hinein, was ihn ziemlich überrascht. „Prinzessin Yasane?“ „Psst, es darf niemand mitbekommen, dass ich hier bin.“ flüstert sie und nach dem sie die Tür geschlossen hat fügt sie etwas lauter hinzu: „Ich möchte nicht förmlich sein. Nenn mich bitte nur noch Yasane und benutz bitte nicht den Plural für mich. Das passt einfach nicht zu mir. Ich nenne dich ab sofort auch Nico.“ Er nickt zögerlich. Bei einer anderen Kronprinzessin würde ihn das wundern, doch wie er dieses Mädchen bisher kennen gelernt hat, tut er das bei ihr nicht. Völlig unbedarft setzt sich Yasane mit Schwung auf sein großes Bett, das dabei etwas durcheinander gerät und macht neben sich eine Handbewegung, die andeutet, er solle sich zu ihr setzen. Etwas zögerlich geht er auf sie zu, ohne ihrer Geste zu gehorchen. Er ist sich noch nicht ganz sicher worauf das hier hinauslaufen soll, spielt aber erst einmal mit. Geradlinig sagt das Mädchen: „Ich komme mal gleich zum Punkt. Ich will mehr von dir, Nicolein.“ Das hört sich in seinen Ohren nicht gut an und er hält kurz die Luft an. Trotzdem bemüht er sich möglichst ausdruckslos zu schauen und erwidert zunächst nichts, woraufhin sie schelmisch präzisiert: „…wissen, meine ich. Ich will noch mehr von dir wissen. Deine Ausführungen heute Nachmittag waren doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, habe ich recht?“ Sie hatte es absichtlich so formuliert, um zu sehen wie er reagiert. Dass er so gefasst geblieben ist, sagt ihr mehr, als er damit ausdrücken wollte. Es macht ihr große Freude Dinge über fremde Charaktere auf diese Art zu erfahren und Reaktionen heraus zu kitzeln. Nico atmet hingegen durch und ist froh nichts zweideutiges, oder schlimmer, etwas eindeutiges zu ihr gesagt zu haben. In seinen Augen ist sie ein durchtriebenes Gör, das auch noch völlig offen damit umgeht, was er aber nicht schlimm findet. Immerhin glaubt er, mit seinem Schweigen nichts weiter über sich Preis gegeben zu haben, womit er Unrecht hat. Dass er nach ihrer zweideutigen Aufforderung die Fassung behielt, interpretiert sie als viel Erfahrung mit Frauen die ihm höhergestellt sind. Anscheinend ist sie nicht die erste, die sich vom hübschen Nico irgendwie magisch angezogen fühlt. Erfahrenheit in solchen Dingen ist jedoch eine Eigenschaft, die sie an Männern überhaupt nicht schätzt. Die wilden Gedanken, die sie ganz kurz hatte, schlägt sie sich aus dem Kopf. Sie fährt fort als sei nichts gewesen: „Hast du eigentlich überhaupt eine Ahnung wie langweilig das Leben am Hof ist? Alle Bücher in der Bibliothek habe ich schon mindestens zweimal durch und ich brauche einfach mehr gute Geschichten, um mich hier bei Laune zu halten und ich weiß du hast eine. Eine die du verschweigen willst. Das sehe ich dir an.“ Nico fühlt sich ein wenig bedrängt: „Ist das so?“ Jetzt wo er weiß, dass sie vorhin nur geflunkert hat, ist sein Vertrauen groß genug sich neben sie zu setzen. Davon sehr erfreut antwortet Yasane: „Oh ja, und wie das so ist. Dein trauriger Blick verrät dich und vor allem auch die halb ausgetrunkene Weinflasche neben mir. Du hast Sorgen und wie immer, wenn Männer sich den Kopf zerbrechen und nicht weiter wissen, ist es ein Problem mit einer Frau. Du warst ein Vertrauter der rosheanischen Königin, also könnte es mit ihr zusammen hängen, oder aber auch mit einer anderen. Das kann ich nicht sagen. Klar ist nur, dass es dich so sehr verletzt, dass du nicht daran denken willst. Vielleicht ist die Geschichte auch so prekär, dass du sie nicht in so einer Runde wie vorhin erzählen kannst? Auf jeden Fall ist es etwas, dass ich wissen will. Nico, ich finde keinen Schlaf, wenn mich solche Gedanken beschäftigen? Verstehst du jetzt, warum ich dich trotz der späten Stunde noch besuchen musste?“ Nico ist verblüfft, dass die Prinzessin ihm das alles an der Nasenspitze abliest. Sie kann nur geraten haben und trotzdem trifft sie voll ins Schwarze. Wie kann dieses kleine Schlitzohr so etwas bemerken? Für ihn ist es ein bisschen so, als löse sich ein Knoten in ihm, deshalb lobt er sie amüsiert, ohne etwas zu bestätigen oder zu dementieren: „Yasane, du bist erfrischend quirlig. Das ist sehr ungewöhnlich für ein Mädchen deines Standes. So ein Verhalten kenne ich nicht aus Königshäusern, ja nicht einmal aus Adelshäusern.“ Je länger er darüber nachdenkt, desto skurriler empfindet er die Situation und muss sogar ein wenig darüber lachen, was ihm wirklich gut tut. Neugierig erfragt sie den Grund seiner Äußerung, denn sie durfte andere Häuser noch nie besuchen: „Ist es am Hof von Roshea anders?“ „Ist es. Die Wahrung des Scheins nach Außen hat dort oberste Priorität für die edlen Herrschaften des rosheanischen Hochadels und es gehört zur Etikette immer schlecht über denjenigen zu reden, der gerade nicht da ist.“ Yasane lacht belustigt, doch sie ist auch bestürzt. „Das ist schrecklich und interessant zugleich. Ich las in vielen Büchern davon, doch ich gab nichts darauf. Es sind schließlich nur Geschichten. Aber Nicolein, mal ganz davon abgesehen versuchst du mir gerade auszuweichen, wenn auch recht geschickt. Gib es doch einfach zu, dass es um eine Frau geht.“ Nico übliche Tricks versagen bei diesem Mädchen. Sie wird nicht locker lassen, bis er es erzählt, deshalb versiegt sein lächeln. „Ja, es stimmt.“ gesteht er ernst, deshalb klatscht sie sich freudig in die Hände. „Ha! Hab ich es doch gewusst. Und sie hat dir das Herz gebrochen, richtig!?“ Nico atmet schwer aus und Yasane freut sich über ihre zuverlässige Beobachtungsgabe. „Und wieder habe ich recht gehabt. Haha, ich bin einfach die Beste!“ Sie sieht Nico an, der neben ihr plötzlich gar nicht mehr so aufrecht sitzt wie zuvor, sondern nach vorn in sich zusammen gesunken ist und seine Unterarme auf seine Beine stützt. Erst jetzt merkt sie wie herzlos sie sich verhalten hat und das trifft sie sehr, denn das wollte sie nicht und ärgert sie sogar. Sie sinkt ebenfalls in sich zusammen, berührt kurz darauf zögerlich sanft seinen Arm und flüstert bedrückt: „Oh, Nico, es tut mir leid. Das ist natürlich ein wunder Punkt für dich und ich mache mich darüber lustig. Ich bin so unsensibel. Manchmal merke ich das gar nicht. Ich… ich glaub ich gehe jetzt doch besser.“ Diese Einsicht zeigt ihm, dass sie einen wirklich guten Charakter hat. Sie hat analytische Fähigkeiten, die über die eines normalen Menschen hinaus gehen und sie muss noch lernen diese richtig einzusetzen. Nico sieht die Prinzessin ausdruckslos an, die gerade aufstehen will und sagt in einem gefassten Ton zu ihr: „Nein, es ist in Ordnung. Ich wusste nicht, dass man es mir so ansieht. In der Hoffnung, dass es mir vielleicht selbst hilft, erzähle ich es dir.“ „Wirklich?“ platzt es freudig aus Yasane heraus, weshalb sie die Hände über ihrem Mund zusammenschlägt. Etwas sensibler ergänzt sie: „Glaub mir, es wird dir helfen. Wenn ich eins gelernt habe, dann dass Reden immer hilft. Außerdem bin ich eine sehr erfolgreiche Hobbytherapeutin. Ich habe schon die Ehe des Gärtners gerettet und unseren Koch mit einem der Hausmädchen verkuppelt. Ich stelle meine Fähigkeiten einzig und allein in den Dienst des Guten.“ Yasanes Verrücktheit erheitert Nico direkt wieder ein wenig und er lächelt flüchtig. Melancholisch beginnt er von seiner Freundschaft zu Kara aus Kindertagen zu erzählen und seinen Wiedersehen mit ihr bei den Hauskontrollen, von seinen Wettbewerb mit der jungen Stadtwache Hendryk, ihrem langjährigen Freund, von dem sich Nico immer noch nicht sicher ist, ob er mal was mit Kara hatte oder nicht. Außerdem berichtet er nun auch davon, dass Kara von einem seiner eigenen Leute überfallen wurde, dass er dadurch in Kalaß in Gefangenschaft geriet, sie für seine Freiheit kämpfte und er endgültig ihr Herz gewann. Er erklärt Yasane, dass der Soldat der Kara überfallen hatte, nach wie vor hinter ihr her war und es nach einigen Versuchen schaffte sie zu entführen. Durch einen Gefangenenaustausch gelang es Nico Kara freizubekommen, er selbst befand sich aber wieder in den Fängen der Königin. „Mein neuerlicher Aufenthalt bei Königin Estell war eine Tortur für mich. Ich wusste nicht, ob ich ihn lebend überstehe, denn auch wenn die Königin eine Obsession für mich hat, war ich ihren Stimmungsschwankungen ausgeliefert. Wäre Kara nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich einfach Königinnenmord begangen und wäre mit ihr untergegangen, doch ich hatte meiner Liebsten versprochen zu ihr zurück zu kehren. Ich musste also mitspielen und als Estell mich im Bett zu sich rief, gab es keine Zuflucht mehr für mich.“ Yasane sitzt mittwerweile wenig mädchenhaft im Schneidersitz in der Mitte des Bettes und Nico ist ihr seitlich zugedreht. Sie hat sich von seiner Schilderung sehr stark mitreißen lassen und geschwiegen, doch an dieser Stelle pausiert ihr Erzähler und sie hat Gelegenheit etwas einzuwerfen. Sie ist etwas aufgelöst. „Was? Au weia! Sag nicht du hast was mit der Königin gehabt? Und das auch noch während du mit Kara zusammen warst? Das ist echt heftig! Du sitzt viel tiefer in der Klemme als ich dachte und deine Geschichte ist noch viel dramatischer und spannender, als ich erwartet habe. Den Rest kann ich mir denken. Danach hast du die Königin verraten, bist nach Kalaß zu deiner Liebsten zurückgekehrt, die dich nach deinem Geständnis in den Wind geschossen hat und mit dem jungen Burschen von der Stadtwache durchgebrannt ist und genau deshalb sitzt du jetzt hier.“ „So ähnlich.“ entgegnet er bedrückt und Yasane rutscht noch etwas an Nico heran und flüstert: „Wow, das tut mir total leid für dich. Ehrlich.“ Im gefällt ihr sonniges Gemüt und auch ihre Zusammenfassung über das Ende der Geschichte, deshalb lächelt er ihr sanft zu und gesteht: „Es hat mir wirklich geholfen es auszusprechen. Du weißt wie man jemanden aufmuntert. Vielen Dank, Hobbytherapeutin Yasane.“ Sie lacht verlegen und schüttelt den Kopf. „Nein, ich habe zu danken. Das war die beste Geschichte seit langem. Jetzt gehe ich aber ins Bett. Es ist nämlich schon nach Mitternacht. Sag, kann, ...kann ich dich jetzt so alleine lassen?“ Nico drückt mit einem Nicken seine Zustimmung aus, sie lächelt betroffen und versucht ein paar aufmunternde Worte zu finden, doch das gelingt ihr nicht ganz, denn sie sagt: „Ach Nico, ich möchte dich so gerne trösten, denn du gefällst mir echt gut, aber als Prinzessin steht mir das nicht zu.“ Sie glaubt, dass er das falsch verstehen könnte und fügt hektisch hinzu, wodurch sie es nur schlimmer macht: „Außerdem bist zu alt für mich. Wenn du vielleicht...“ Nico unterbricht sie skeptisch: „Das ist es was dich an mir stört? Mein Alter? Es gibt tausend Gründe gegen mich und dich stört mein Alter?“ Sie entgegnet spontan: „Ja klar, ich meine, du könntest mein Vater sein!“ Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Moment mal, für wie alt hältst du mich?“ Sie schaut ihn abwägend an. „So um die vierzig?“ Weshalb Nico entrüstetet auflacht. „Also ehrlich, das ist nicht dein Ernst, Yasane. Ich bin Ende zwanzig!“ Sie kichert peinlich berührt. „Ups.“ „Wie kommst du darauf?“ Fragt er immer noch schockiert darüber, denn er beginnt an seiner Erscheinung zu zweifeln. Hat ihn die Sache mit Kara um zehn Jahre altern lassen? Yasane versucht zu schlichten. „Ehrlich gesagt, habe ich eher von deiner Position beim Militär und deinem Einfluss auf die Königin darauf geschlossen, dass du schon etwas älter sein müsstest. Du siehst nicht aus wie vierzig. Ich dachte du hast dich einfach nur gut gehalten.“ Sie sieht ihn sich genauer an, um im schwachen Licht nach ein paar Falten zu suchen, doch plötzlich stockt Yasane der Atem. Sie schiebt ihren langen Pony bei Seite, um ihn mit beiden Augen mustern zu können und behält den überraschten Gesichtsausdruck bei. Dann beschreibt sie ihre Verwunderung: „Nico, deine Augen, sie...sie sind ungewöhnlich, hat dir das schon mal jemand gesagt?“ Nicos strahlend blaue Augen tragen ein seltsames weißes und manchmal auch violettes Schimmern oder Funkeln in sich, das einen Teil seiner Faszination ausmacht. Das ist ihm sehr wohl bewusst und er antwortet wieder selbstsicher: „Ja, ich weiß.“ Von ihnen gefesselt sagt sie leise: „Ich habe solche Augen schon einmal gesehen. Aber wo? Aus welcher Familie stammst du ab?“ Yasane kommt immer näher, doch ohne zurückzuweichen antwortet er ehrlich: „Das weiß ich nicht, Yasane. Großmutter hat nie von der Familie gesprochen und da in Kalaß Stand und Herkunft außer Kraft gesetzt wurden, kenne ich meinen Ursprung nicht. Ehrlich gesagt habe ich mich auch nicht dafür interessiert, bevor ich aus Kalaß fort ging.“ Sie rutsch wieder ein Stück von ihm weg. „Ja stimmt, die Tarbasser Verträge haben zum Verlust der Identifizierung über einen Stammbaum geführt. Schade.“ Sie setzt sich ganz gerade hin und schließt: „Na, trotzdem kein Problem. Ich habe solche Augen schon einmal gesehen, also finde ich sie auch wieder. Gut, ich gehe dann jetzt. Ich denke dir geht es ein wenig besser und ich habe ein neues Ziel, das mich einige Zeit beschäftigen wird.“ Sie stibitzt sich das halb ausgetrunkene Glas vom Nachttisch, trinkt es in einem Zug aus und kommentiert kichernd: „Den brauchst du ja jetzt nicht mehr.“ Dann wünscht sie eine gute Nacht und verlässt leise sein Zimmer. Lautlos huscht sie hinaus in den Gang und ist schnell in der Dunkelheit verschwunden. Nico legt sich nun auch hin. Es stimmt, den Wein benötigt er tatsächlich nicht mehr, denn er muss zugeben, dass er sich befreit fühlt, auch wenn er den Schmerz noch immer sehr real in seiner Brust fühlen kann. So schnell wird er den Verlust der Liebe seines Lebens nicht verarbeiten können. Kapitel 14: Wiedersehen und Abschied ------------------------------------ Ganz so wie besprochen ruft König Miikal seine Berater am nächsten Tag zusammen, um gemeinsam mit dem kalaßer Botschafter die weiteren Schritte zu planen. Da Nico am Hof bereits ein Sympathieträger ist, laufen die Gespräche gut. Zudem verträgt sich der junge Gast sehr gut mit Yasane, was der König gerne sieht. Da die Prinzessin ganz genau weiß, dass noch viele weitere gute Geschichten in Nico schlummern müssen, steht er bei ihr hoch im Kurs. Ihrer gegenseitiger Gesellschaft bildet dabei aber eher eine Symbiose, da er die Ablenkung durch ihre quirlige Art begrüßt. Alles in allem fühlt sich Nico wohler am königlichen Hof von Yoken, als er gedacht hätte, denn die Gesellschaft des Adels schätzt er im privaten Umfeld normalerweise nicht allzu sehr. Nico und Yasane treffen sich nachdem ihr Privatunterricht und seine Verhandlungen mit dem König für diesen Tag beendet sind im wunderschönen begrünten und weiträumigen Innenhof des Schlosses. Er würde auch gern mit ihr einen Spaziergang durch den Schlosspark machen, doch sie spricht nicht gern im Gegen, weil sie sich dann nicht richtig auf das Gespräch konzentrieren kann. Details und Reize aus der sich verändernden Umwelt lenken sie zu sehr ab. Kleine Schneeflocken fallen vom Himmel, die aber nicht liegen bleiben, da es noch zu warm ist. Für den im warmen Kalaß geborenen Mann, der dann auch noch viel Zeit in der Wüstenstadt Aranor verbracht hat, ist es etwas Besonderes die weißen Flöckchen zu beobachten. Hin und wieder fängt er eine auf seinen Ärmel und betrachtet sie interessiert näher, was Yasane ulkig findet, Die beiden sind an den Sockel einer Marmorstatue gelehnt und plaudern über ihren bisherigen Tag bis Yasane das Thema wechselt. „Ich habe nochmal über deine Geschichte nachgedacht. Ich finde es ungerecht, wie Kara dich behandelt hat. Sie hätte dich nicht abweisen dürfen. Im Grunde hast du das alles doch nur für sie getan.“ Freundlich zurechtweisend entgegnet Nico: „Nein Yasane, so einfach ist das nicht.“ Er wendet seinen Blick nach vorn ins Leere. „Wenn du das so siehst, dann erklär ihr doch mal, dass ich für sie mit einer anderen Frau zusammen war.“ Yasane macht ein nachdenkliches Gesicht. Ihr fällt darauf nichts ein und Nico erklärt zögerlich weiter: „Ich glaube direkter Körperkontakt ist für Kara eine ziemlich große Sache. Wenn es darum geht, ist sie sehr schüchtern.“ Er macht eine kurze Pause um zu überprüfen, ob das Thema für Yasane in Ordnung ist, doch sie scheint ziemlich aufgeschlossen zu sein. Tatsächlich sind es die pikanten Details auf die sie es besonders abgesehen hat. Als sie äußerst interessiert zu ihm schaut, fährt er fort: „Ich denke ihr gefällt der Gedanke nicht, dass ich damit viel sorgloser umgehe. Wir hatten kaum körperlichen Kontakt, seit ich bei ihr bin. Sie hat sich immer sehr schnell in sich zurückgezogen und mich zurückgewiesen.“ Yasane macht überrascht einen Schritt nach vorn und stellt sich vor den zurückgelehnten jungen Mann. „Waaas? Prüde ist sie auch noch? Ja, ok, wo die Liebe hinfällt und so, aber nach der besten Partie klingt sie für mich nicht. Wie lange wart ihr denn zusammen?“ Nico bleibt ganz entspannt, denn er glaubt sie würde seine Faszination sofort verstehen, würde sie ihr gegenüberstehen. Ohne die leichte Anfeindung gegen seine Liebste zu kommentieren, beantwortet er lieber ihre Frage: „Etwa einen Monat. Aber die Anbahnung hat schon fast ein Jahr gedauert.“ Yasane versteht echt nicht was ein Mann wie Nico mit so einer Frau überhaupt will. Angestrengt versucht die Prinzessin nach einem tieferen Sinn für das scheue Verhalten dieser Frau zu suchen, denn die Gründe dafür sind laut ihrem analytischen Denken begrenzt. Einen Gedanken hält sie für besonders wahrscheinlich und der ist es auch, den sie ihm vorstellt. „Nico, weißt du wie das für mich klingt? Kann es vielleicht sein, dass deine Kara vor dir noch gar keinen Kerl hatte?“ Nico legt sie Stirn in Falten, als er das hört. „Was für ein absurder Gedanke, Yasane. Du kennst sie nicht. Sie ist der Traum eines jeden Mannes, der bei Verstand ist. Sie ist wunderschön, selbstbewusst und anmutig. Ihr endlos langes, bordeaurotes Haar glänzt wie Seide in der Sonne, ihre azurblauen Augen funkeln herausfordernd wie die einer Katze. Außerdem hat sie aristokratisch anmutende, wunderschöne helle Haut.“ schwärm er, während Yasane an sich herab schaut und sich im Vergleich ein kleines Mädchen fühlt. Jetzt hat sie zwar eine Vorstellung davon was er an dieser Frau mag, aber in ihrem Ansehen ist er dadurch nicht gerade gestiegen. Etwas kleinlaut sagt sieverstimmt: „Okay Nico, das reicht jetzt.“ In Gedanken völlig weggetreten fügt er amüsiert hinzu: „Und zu guter Letzt ist sie bereits zwanzig Jahre alt. Sie ist doch keine alte Jungfer. Nein, ich denke irgendwas an mir hat sie gestört. Irgendwas hab ich verkehrt gemacht.“ „Na, wenn du meinst.“ Yasane gibt die Beratung die Augenbrauen hebend auf. Für sie fühlen sich Nicos Umschreibungen irgendwie oberflächlich an, denn er verlor nicht ein Wort über positive Charaktereigenschaften seiner Liebsten. Entweder hat sie keine und er steht nur auf das makellose Äußere dieser Frau, oder er ist nicht fähig sie ordentlich zu beschreiben. Andererseits hätte er sich für seine Liebe geopfert und das würde er wohl kaum tun, nur weil sie hübsch aussieht. Wirklich nachvollziehbar ist das alles für sie jedenfalls nicht. Sie fragt sich auch wie sich diese Kara den Werbungen eines Mannes wie Nico so lange erwehren konnte. Selbst wenn sie ihn nicht lieben sollte, so müssten zwei, drei Schäferstündchen für eine Bürgerliche doch drin sein. Yasane ist erst siebzehn, doch trotzdem verzehrt sich bereits nach körperlicher Zuneigung, die sie als Kronprinzessin aber nicht ausleben kann und will. Trotzdem hat sie immer häufiger unaussprechliche Gedanken, vor allem in letzter Zeit und Nico ist dem auch nicht gerade abträglich. Sie wird langsam ungeduldig, denn es könnte mal der Richtige um die Ecke kommen. Ihr schwebt ein netter junger Mann vor, in den sie sich am besten sofort auf den ersten Blick verliebt und mit dem sie gemeinsam die Liebe entdecken kann. Die beiden schweigen einen Moment und schauen einigen Vögeln dabei zu, wie sie sich um eine rote Beere streiten, die auf dem Boden liegt, dabei hängen noch mehr als genug Beeren an den Sträuchern. Yasane erkennt menschliche Verhaltensweisen darin wieder und bemerkt beiläufig: „Ich kann es nicht glauben, worüber wir uns hier unterhalten.“ Sie liebt es über solche Themen zu sprechen und das hat auch Nico schon bemerkt, deshalb grinst er schelmisch. „Du hast doch damit angefangen und löcherst mich die ganze Zeit, um auch die prekären Details zu erfahren. Wer bin ich, einer Prinzessin einen solchen Wunsch abzuschlagen?“ Sie schubst ihn etwas und ruft ertappt: „Sei nicht so unanständig.“ Weshalb die beiden beginnen ausgelassen zu lachen. Das Königspaar beobachten die Szene von ihrem Balkon aus. Besorgt sagt Königin Mariella zu ihrem Gatten: „Tja mein Schatz, es hat lange gedauert, aber jetzt wissen wir auf welche Art Mann sie steht. Außer mit ihrem Dienstmädchen Ida unterhält sie sich sonst mit niemandem so ausgelassen. Wir sollten uns nochmal auf die Suche nach einer guten Partie für sie machen. Es muss doch einen jungen Adligen geben, mit dem sie sich verträgt.“ Der König lächelt entspannt und ergänzt seine Frau: „Jetzt wo wieder Frieden herrscht, könnten wir das noch einmal in Angriff nehmen.“ Gleich am nächsten Tag treffen sich Nico und Yasane wieder zur selben Zeit am selben Ort. In entspannter Atmosphäre tauschen sie sich gerade wieder einmal über Hofgepflogenheiten aus. Da Nico früher einige Berührungspunkte mit dem Adel aus Aranor hatte, konnte er über diesen erfahren wie es bei Hof in Nalita zugeht. Die meisten Aristokraten, die im heißen Aranor leben, sind dahin geflüchtet, um nicht allzu häufig zu Feierlichkeiten nach Nalita eingeladen zu werden. Seine eigenen Erfahrungen, die er selbst vor kurzem gesammelt hat, bestätigen dass der königliche Hof mit Vorsicht zu genießen ist. Yasane ist froh, dass es hier in Deskend nicht so streng zugeht, obwohl auch sie mit vielen Einschränkungen leben muss und auch viele Ansprüche zu erfüllen hat. In Nalita wäre sie mit ihrer aufgeschlossenen Art wahrscheinlich eingegangen. Etwa zur selben Zeit wie dieses Gespräch erreichen Kara und Hendryk den deskender Königshof. Auch sie haben, wie Nico zuvor ein Schreiben vom Farsa Gena erhalten, das ihnen hierhin Zutritt verschafft. Die beiden müssen nicht einmal lügen, wenn sie behaupten sie hätten eine sehr wichtige Nachricht für den Botschafter von Kalaß Nico Dugar. Auch an der letzten Hürde, den Wachposten direkt am Schloss, erhalten sie ohne Umschweife Einlass, denn Freunde des heldenhaften Hauptmanns sind herzlich willkommen. Wie auch schon Nico zwei Tage zuvor, treten sie zunächst vor den König. Kara ergreift fast etwas hektisch das Wort und erklärt sie habe persönlich den Auftrag erhalten die wichtige Nachricht an ihn zu überbringen und die Stadtwache Hendryk sei ihr Leibwächter, was im Prinzip ebenfalls der Wahrheit entspricht. Der König lässt die neuen Gäste auf den Hof führen, wo sich Nico gerade ausgelassen mit der fröhlich lachenden Prinzessin unterhält. Als Kara die beiden sieht, bleibt sie wie angewurzelt stehen. Sie ballt ihre Hände zu Fäusten, will unvermittelt kehrt machen und kommentiert verärgert: „Na, er scheint mich ja nicht besonders zu vermissen. Hat er sich doch direkt die Königstochter angelacht. Dieser Weiberheld lässt nichts anbrennen...“ Zwar ist auch der heißspornige Hendryk geschockt, doch er bemüht sich ruhig zu bleiben. Er legt seinen Arm um ihren Rücken und verhindert damit, dass sie sich wegdreht, um zu gehen. Verstimmt schimpft er sie aus: „Kara, stopp. Ich bin nicht fünf Tage hierher geritten, um gleich wieder zu gehen, nur weil du glaubst irgendetwas zu sehen. Ehrlich, mir tut alles weh und dir garantiert auch. Was macht er denn schon? Er spricht mit jemandem, na und? Du gehst jetzt sofort zu ihm da rüber und entschuldigst dich, so wie wir das besprochen haben!“ Kara sieht ihn etwas eingeschüchtert an, denn sie Situation ist ihr mehr als unangenehm. Sie hatte sich die Situation, in der sie ihren Geliebten wiedersieht, anders vorgestellt, weniger öffentlich, deshalb stammelt sie: „Das ist wie auf dem Präsentierteller… Ist ja gut, ich tu‘s. Aber ich sag dir, wenn ich herausfinde, dass er was mit der Prinzessin am Laufen hat, dann knall ich ihm eine und hau wieder ab.“ „Dann knall ich ihm auch eine, Kara, aber du wirst schon sehen, dass da nichts ist.“ behauptet er einfach mal. Sie atmet tief ein, nimmt ihren Mut zusammen, schluckt ihren Ärger erst einmal herunter und geht dann schnurgerade auf Nico zu. Dabei fällt ihr das Armband an seinem Handgelenk auf und erkennt ihre Kette mit der Muschel wieder. Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass sie weg war, doch es fühlt sich wie ein Loyalitätsbeweis ihr gegenüber an. Als Nico im Augenwinkel jemanden auf sich zukommen sieht, blickt er auf. Er war gerade mitten in einem Satz, den er abbricht und sogar vollständig vergisst, was Yasane ebenfalls verwundert ausschauen lässt. Sie muss sich die Fremde nicht lange anschauen, um festzustellen, dass es sich bei ihr nur um Nicos verloren geglaubte Liebe handeln kann. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht entfernt sie sich von den beiden, um ihnen ihre Privatsphäre zu gewähren, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Etwas davon mitbekommen will sie ja schließlich auch noch. Sie will die Szene in Ruhe aus der Ferne betrachten und stellt sich neben den anderen Fremden, den Nicos Flamme mitgebracht zu haben scheint. Nico weiß nicht gleich wie er sich verhalten soll und steht einfach nur wie angewurzelt da. Seine Hände werden schweißnass, was für ihn ziemlich ungewöhnlich ist. So nervös ist er nicht einmal, wenn er eine Rede vor seinem gesamten Regiment halten muss, doch das hier überfordert ihn völlig. Sogar nur ihren Gesichtsausdruck zu interpretieren, stellt ihn vor eine unlösbare Aufgabe, so verwirrt ist er. Die junge Frau bleibt vor ihm stehen und stammelt mit zittriger Stimme: „Nico…ähm, naja... mir ist klar geworden...dass ich... vielleicht etwas überreagiert habe. Doch du warst schon weg...und ich wusste nicht was ich tun soll, also bin ich dir mit Hen hinterher gereist und...deshalb bin ich jetzt hier. Ich meine es...es tut…“ Bevor sie ihre holprigen Sätze überhaupt beenden kann, macht Nico einen Schritt auf sie zu und schließt sie fest in seine Arme. Glück, Wohlgefühl und tiefe Entspannung durchfließen seinen ganzen Körper und die Emotionen überwältigen ihn. Er ist tief bewegt davon sie wieder zu sehen und dann auch noch so etwas sagen zu hören. Damit hätte er niemals gerechnet und hätte sich das auch nie zu träumen gewagt. Am liebsten würde er sie nie wieder loslassen. Auch Kara legt ihre Arme um ihn, presst ihren Kopf an seine Brust und atmet tief, denn sie hat seinen Duft vermisst. Die beiden bleiben eine Weile so stehen, ohne sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Die Prinzessin ist hin und weg. Sie genießt das Spektakel, das sich ihr so nah und direkt bietet. So etwas interessantes ist hier schon lange nicht mehr passiert. Es ist wie in einem Theaterstück, dem sie ewig zusehen könnte. Erst nach einer Weile ist sie fähig ihre Aufmerksamkeit etwas anderem zuzuwenden, zum Beispiel ihren anderen Gast zu begrüßen. Sie wendet sich ihm zu und ist direkt positiv überrascht, denn sie findet ihn hübsch, er ist auffällig gut gebaut und nicht zu alt. Besonders seine eisblauen Augen haben es ihr angetan, die ihr kurz ein Kribbeln im Bauch beschert haben. Interessiert streicht sie sich lässig ihre sonst immer vor ihrem rechten Auge hängende Haarsträhne aus dem Gesicht und fragt offen und freundlich lächelnd: „Und du bist?“ Hendryk, der noch dabei war Kara und Nico mit gemischten Gefühlen zu beobachten, hat zwar gemerkt, dass noch jemand neben ihm stand, doch ganz genauso wie Yasane keine Notiz von dieser Person genommen. Etwas überrascht antwortet er: „Oh, entschuldigt bitte. Ihr seid die Prinzessin, wenn mich nicht alles täuscht. Mein Name ist Hendryk, aber nennt mich ruhig Hen, das ist in Ordnung. Ich bin eine kalaßer Stadtwache und habe Kara, das Mädel da drüben, auf ihrer Reise hierher begleitet.“ Er deutet mit einer Kopfbewegung in Richtung des wiedervereinten Liebespaares. Yasane kneift die Augen zusammen und auf ihren Lippen entwickelt sich ein breites Grinsen, als sie eins und ein zusammenzählt. „Ha, dich kenne ich doch auch! Du bist die Stadtwache mit der Nicos Flamme durchgebrannt ist.“ Hendryk stottert ein verwirrtes: „d-durchgebrannt...?“ Yasane nickt selbstsicher. „Ganz genau. Ich weiß alles, mein Lieber. Aber wie es aussieht, hat sie es sich wohl anders überlegt und jetzt steht sie da drüben und wird von ihm im Arm gehalten. Kein Wunder also, dass du so sehnsüchtig zu den beiden rüber schaust. Das tut mir zwar jetzt leid für dich, Hen, aber nimm es mir nicht übel, ich freue mich für Nico.“ Der junge Mann fragt sich was Nico diesem Mädchen bloß erzählt hat und schaut zu ihm rüber. Dabei bemerken er und Yasane wie er von Kara freudig heran gewunken wird. Auch wenn es ihr schwer fällt, weiß Yasane wann sie überflüssig ist und gibt etwas wehmütig zu: „Dann werde ich mich mal zurückziehen. Ihr habt bestimmt viel zu bereden, da würde ich nur stören. Schade eigentlich. Wir sehen uns, ja?“ Sie lächelt hoffnungsvoll und verabschiedet sich. „Bis bald, Hen.“ „Bis bald, Prinzessin.“ Etwas verwirrt von ihrer Erscheinung geht er zu seinen beiden Freunden begrüßt seinen ehemaligen Rivalen mit einer ehrlich gemeinten herzlichen Umarmung. Nico sieht Hendryk jedoch an, dass er etwas verwirrt ist. „Alles in Ordnung mit dir, Hen?“ „Ja, passt schon. Ich habe nur gerade die Prinzessin kennengelernt. Sie ist irgendwie… anders als erwartet.“ „Da hast du recht. Sie ist etwas Besonderes.“ kommentiert Nico lachend, was seine Liebste stutzig macht, doch Hendryk beruhigt sie: „Zwischen den beiden läuft nichts. Sie hätte anders reagiert, wenn doch.“ was Kara überzeugt. Ihre Gedanken beginnen sich langsam wieder zu ordnen und ihr fällt ein was sie Nico eigentlich ausrichten sollten. „Nico, es gibt Neuigkeiten. Farsa Gena sagt, dass du bestimmt zum Ratsvorstand gewählt wirst. Du sollst bald nach Kalaß zurückzukehren.“ Er schaut überrascht zur jungen Stadtwache, die keine Miene verzieht und zustimmend nickt. „Farsa Gena hatte diese verrückte Idee mich vorzuschlagen und ich hielt es für einen Witz, dem ich unbedacht zustimmte. ‚Für den Ratssitz kandidieren? Von mir aus.‘ sagte ich und ging hinaus. Ich hatte doch nichts mehr zu verlieren. Dass mich die Wähler in Betracht ziehen könnten…auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Ich bin ja während der Wahl nicht einmal in Kalaß anwesend.“ erklärt Nico, den so langsam nichts mehr verwundern sollte. Hendryk steigt darauf ein und äußert seine Vermutung zu dem Thema: „Weil du keine Ahnung von uns Kalaßern hast, Nico. Deine Nichtanwesenheit hat dich unter uns nur noch populärer werden lassen. Farsa Gena hat öffentlich bekannt gegeben, dass du nach Yoken gereist bist, um ein Bündnis zu schließen. Sowas beeindruckt uns, nachdem wir jahrelang einen narkotischen Seniorenclub als Führung hatten. Ganz nebenbei bemerkt, bist du unser strahlender Held, der uns befreit hat. Man denkt schon darüber nach Straßen nach dir zu benennen, ja echt.“ Die letzten Sätze hatte Hendryk ironisch betont, auch wenn sie der Wahrheit entsprechen. Nico nimmt das alles einfach mal so auf und richtet seinen Blick fragend an Kara. „Was sagst du dazu?“ „Ich verstehe zwar nicht wie du das machst, aber es ist doch toll. Wegen mir hast du so lange dein Potential verschenkt. Den Fehler mache ich nicht nochmal. Komm, lass und gemeinsam zurück nach Kalaß gehen und diese Chance nutzen.“ antwortet sie optimistisch, woraufhin Nico ernst nickt und nun Hendryk anspricht: „Und wie ist deine Meinung dazu, Hen?“ Doch dieser schüttelt den Kopf. „Ach komm schon Nico, du willst jetzt nicht ernsthaft, dass ich dir noch mehr Honig um den Bart schmiere?“ „Ganz im Gegenteil, mein Freund. Es ist mir wichtig zu wissen was du wirklich über mich denkst. Ich hätte gern deine persönliche und ehrliche Meinung.“ antwortet Nico offen und Hendryk verschränkt die Arme während er spricht. „Gut, die kannst du haben, aber heul dann nicht und pass genau auf, denn ich werde das nur ein einziges Mal in meinem Leben zu dir sagen, klar? Ich halte dich für einen überschätzten, arroganten und selbstgerechten Cassanova, aber jetzt kommt’s, wie gesagt, nicht heulen, ja? Ich würde dir bis in die Hölle folgen, wenn ich müsste, denn du bist der beste Anführer, mit den korrektesten Ansichten, dem ich je begegnet bin.“ „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen soll, oder nicht, aber ich schätze ich sollte mich bei euch beiden bedanken.“ reagiert Nico ergriffen auf die Plädoyers seiner beiden nahesten und besten Freunde. Bis vor einer halben Stunde noch, hatte er das Gefühl nirgends richtig dazu zu gehören, doch jetzt spürt er, dass es einen Platz für ihn gibt in dieser Welt, was ihm nach vielen Jahren des Suchens nach einem Sinn sehr unbekannt vorkommt. Es ist als würden sich viele Puzzleteile ineinander fügen, was zwar schön ist, ihm aber als zu schön um wahr zu sein vorkommt. Nico muss das Gespräch leider noch in eine ganz andere Richtung lenken, denn der Plan hat einen Haken. „Die Verhandlungen mit Yoken über den Grenzschutz sind noch nicht abgeschlossen. Ich kann noch nicht zurückkehren. Es gibt noch so viele Dinge mit dem König und seinen Beratern zu klären. Vor allem die Durchführbarkeit des Grenzschutzes ist ein brisantes Thema, in dem wir mittendrin stecken.“ Doch Kara hat direkt eine Lösung für dieses Problem parat: „Hen war doch zwei Jahre bei der Stadtwache. Wie wäre es, wenn er sich an den Beratungen beteiligt. Vielleicht können wir die Absprachen damit etwas beschleunigen.“ Hendryk wippt nervös hin und her und sagt mit siegessicherem Blick schließlich: „Beschleunigen? Für diese Verhandlungen brauche ich Nico nicht. Ich weiß deutlich mehr über die Stadt als er.“ Er funkelt Nico an, der ihm anerkennend zunickt. „Wenn du mir versprichst, dass du deine Aggressionen unter Kontrolle halten kannst, bin ich damit einverstanden.“ „Ha, die habe ich doch nur dir gegenüber. Sobald du weg bist, bin ich der ausgeglichenste Mensch der Welt.“ lacht Hendryk laut auf und Nico entgegnet entspannt: „Da ich das nicht überprüfen kann, muss ich dir das wohl glauben.“ „Vielleicht sollte ich ja noch mal alles rauslassen, solange du noch hier bist. Wegen dir bin ich fünf Tage lang acht Stunden am Tag geritten. Das war echt hässlich und da hat sich einiges angestaut.“ schimpft die Stadtwache inzwischen zynisch und Nico deutet mit dem Kopf auf Kara. „Dafür kannst du dich wohl eher bei ihr bedanken.“ Diese schaut überrascht zu den beiden Streithähnen und raunt: „Nico, wieso ziehst du mich da jetzt mit rein? Und überhaupt, hört auf zu streiten ihr beiden! Klärt jetzt lieber mit mir was wir machen wollen. Geht Nico mit mir zurück nach Kalaß und Hen bleibt als Botschafter hier in Deskend?“ Nico und Hendryk lassen voneinander ab und stimmen Kara zu. Ihr kleiner Ausbruch gerade zeigt Nico wie erschöpft sie wahrscheinlich von der Reise sein muss. Er erbittet eine Unterkunft im Schloss, welche er selbstverständlich erhält. Am nächsten Tag nimmt Hendryk mit an der Verhandlungen zum Grenzschutz teil. Er wird wohlwollend in der Runde aufgenommen, auch wenn dem König und dessen Beratern Hendryks Ausdrucksweise an manchen Stellen etwas ungeschliffen vorkam, haben sie bemerkt wie viel Wissen er besitzt und zugestimmt. Unter allen Anwesenden entstand ein Konsens Grenztruppen nach Kalaß zu entsenden und somit kann Nico guten Gewissens gemeinsam mit Kara die Heimreise antreten, während Hendryk in Yoken alle Einzelheiten bespricht. Am Folgetag reisen Nico und Kara ab und die junge Frau muss sich für unbestimmte Zeit von ihrem besten Freund Hendryk verabschieden, was ihr nicht leicht fällt. Die beiden waren in den letzten zehn Jahren nie länger als ein paar Tage voneinander getrennt und wenn doch, dann hätten sie sich einfach besuchen können. Sie gibt Hendryk zum Abschied einen Kuss auf die Wange und bittet ihn er solle auf sich aufpassen, worauf er entgegnet: „Sowas ähnliches wollte ich auch gerade sagen. Aber nicht zu dir.“ Er richtet seinen Blick an Nico und sagt streng: „Pass auf sie auf. Diesmal aber etwas besser, wenn‘s geht.“ „Pah, das musst du gerade sagen.“ Nico lächelt herausgefordert und ergänzt: „Ich werde die Streitereien mit dir vermissen, denn das geht mit niemandem so gut wie mit dir, neuer Botschafter von Kalaß.“ Hendryk grinst. „Wenn Sie das sagen, designierter Ratsvorsitzender.“ Die beiden lachen und dann verabschiedet sich auch Yasane schweren Herzens von Nico. Sie wollte eigentlich noch viel mehr Geschichten aus ihm herausquetschen, denn sie hatte in ihm einen ergiebigen Gesprächspartner gefunden. Zudem versucht sie weiterhin herauszufinden wo sie schon mal solche Augen wie seine gesehen hat. Da wartet also noch Arbeit auf sie, die sie von der Langeweile ablenken kann. Außerdem hegt sie die Hoffnung, dass sie den neuen Botschafter weich klopfen kann, damit er ihr auch aus seinem Leben erzählt. Kapitel 15: Ein furioses Come-back ---------------------------------- Nach der unfreiwilligen Auflösung Imperatorin Estells Besatzung von Kalaß durch die von Generalmajor Coral geführten Truppen, wurde sie unmittelbar von einigen Soldaten abgeführt und vom ihrem Gatten König Riecard in Nalita persönlich in Empfang genommen. Auch in einem Vieraugengespräch konnte er nichts von Belang von ihr erfahren. Zur Begründung gab sie an er wisse selbst wo das Problem liege. Sie fragte nur noch nach zwei ihrer Offiziere und schwieg danach. Verständnislos sperrte der König sie in einen seiner höchsten Türme und lässt ihn seither streng bewachen. Er wird nicht schlau aus seiner Frau. Über zwanzig Jahre war er mit ihr verheiratet und er hatte niemals das Gefühl sie irgendwie gegen sich aufgewiegelt zu haben. Als Königin genoss sie bei ihm sogar besonders große Rechte, indem sie sich um Wirtschaft und Finanzen des Königreichs kümmern durfte. Er glaubte, sie sei sehr zufrieden damit gewesen. Er hat Oberleutnant Marco Loran darauf angesetzt die Gründe für ihren Mordanschlag herauszufinden und zu beurteilen wie gefährlich sie immer noch ist. Loran spielte diese Anweisung mehr als nur an die Karten. Es ist fast so als hätte er sich den Auftrag selbst ausgesucht. Es ist ein leichter Job. Er besucht Estell regelmäßig, um mit ihr neue Pläne zu schmieden und erfindet irgendwelche Geschichten, die er dem König über ihren Zustand aufgetischt. Unter ihren Truppen geht mittlerweile das Gerücht es könne einen Verräter gegeben haben, der dem König Falschinformationen geliefert hat, um Imperatorin Estells Herrschaft über Kalaß zu beenden. Sie selbst sei völlig unschuldig in die Opferrolle hinein geraten. Ein weiteres Gerücht besagt, dass es einer ihrer eigenen Offiziere gewesen sei, der sie verraten hat. Welcher es gewesen sein könnte, wird heiß diskutiert, zumal vier von fünf vom Erdboden verschwunden sind. Vielleicht war es sogar ein Komplott gegen die Königin. An ihre Schuld glauben jedenfalls die wenigsten. Sie selbst ist davon überzeugt, dass der Verräter einer ihrer in ihren Plan eingeweihten ehemaligen geliebten Offiziere gewesen sein muss, Leutnant Haven, Leutnant Randall oder Oberleutnant Fermar, auf keinen Fall aber Oberleutnant Loran und völlig ausgeschlossen ist ihr über alles Geliebter Hauptmann Nico Dugar. Nie käme sie auf die Idee, dass er es gewesen sein könnte. Der Mann, der ihr kurz davor die, nach ihrer Einschätzung, schönste Nacht ihres Lebens beschert hatte. Sie ist fest davon überzeugt, dass ihr Imperator bereits eine Befreiungsaktion für sie planen würde. Deshalb wartet sie geduldig monatelang in ihrem Turmgefängnis auf ihre Rettung. Ihre eigene Armee ist ihr unterdessen im Geheimen treu geblieben und sie hat aufgrund der Gerüchte noch weitere Anhänger gefunden. Die Zahl ihrer Sympathisanten wächst täglich, woran ihr treuester Gefolgsmann Marco Loran nicht ganz unschuldig ist. Er hat eine Subeinheit im Militär von Roshea gegründet, die Clypeus Garde. Jeden Dienstagabend treffen sich die königinnentreuen Offiziere und sprechen über die politische Lage des Landes. Marco Loran stellt das Sprachrohr der Königin dar und überbringt ihre Anweisungen an die Garde. Nach und nach bauen die beiden ihre Macht auf diese Weise stetig aus. Die Wachdienste gehören teilweise zu ihren Anhängern und gewähren Loran große Freiheiten. Er ist oft stundenlang völlig ungestört mit ihr und wird wieder zu ihrem Geliebten. Bei Marco Lorans regelmäßigen Besuchen versucht er sie stets davon zu überzeugen, dass es nur Nico Dugar gewesen sein kann, der sie so eiskalt verraten hat. Dass Dugar die Armee direkt danach verlassen hat und ausgerechnet nach Kalaß zurückgekehrt ist, reicht für ihn als Beweis. Estell will seine Anschuldigungen jedoch nicht hören und rastet oft völlig aus, wenn er dieses Thema zur Sprache bringt. Da er weiß, dass sie sich nur schwer von Dugars Schuld überzeugen lässt, hat er so viele Informationen gesammelt, dass die Beweislast für ihn erdrückend ist. Heute will er die schlechten Nachrichten überbringen. Er schickt den Wachposten weg, tritt in ihr schickes in blau gehaltenes Turmzimmer ein und schließt die Tür hinter sich. „Seid gegrüßt, geliebte Königin. Ich habe Neuigkeiten. Setzt Euch besser, denn heute spreche ich das leidige Thema noch ein letztes Mal an.“ Sie erwidert: „Grüße, Marco. Du kannst es einfach nicht lassen, was? Ein letztes Mal sagst du? Dann fahre fort. Dieses eine Mal will ich dir noch gewähren.“ Dann beginnt er zu berichten: „Euer ach so geschätzter Nico Dugar hat in Kalaß eine steile Karriere hingelegt. Wie die Vögel zwitschern, feiert man dort nicht irgendwen für die Befreiung, sondern ausschließlich ihn. Sein Name ist in aller Munde.“ Estell steht auf und schimpft wütend: „Marco, hör doch endlich auf mich unentwegt anzulügen, nur um mich gegen ihn aufzuwiegen! Du bist nicht so gut wie er und du wirst es auch niemals sein, egal wie oft du noch versuchst ihn zu diskreditieren!“ Er geht zu ihr, stellt sich stolz aufgerichtet vor sie und blickt sie finster und entschlossen an. „Wieso wirst du nicht wütend auf mich, wenn ich so etwas zu dir sage?“ brüllt sie ihn nun an, doch er antwortet kühl: „Weil Ihr meine Königin seid. Außerdem weiß ich, dass ich besser bin als er, denn ich würde Euch niemals verraten.“ Innerlich brodelt ein Vulkan in ihm, doch er hat Hochachtung vor Estell, weshalb er sich von ihr alles gefallen lässt. Er spricht weiter: „Ich trage nur die Wahrheit vor und es geht noch weiter. Er ist außerdem zum Ratsvorstand des neuen Stadtrats von Kalaß gewählt worden.“ Das kann sich Estell erklären. Sie dreht sich von Loran weg. „Das kannst du Nico nicht vorwerfen. Er lässt sich als Held feiern und zum Obersten der Stadt ernennen. Das würde ich doch genauso machen. Als ich ihm die Führung der Stadt anbot, war er der Idee ebenfalls zugetan und hat zugesagt. Nun hat er sich die Macht auf andere Weise beschafft. Er nutzt die Gunst der Stunde, um den Stadtrat dazu bringen mich zu befreien, um mich als Herrscherin einzusetzen. Er setzt unseren gemeinsamen Plan weiterhin um.“ Loran schüttelt den Kopf und greift sich an selbigen, als er fortfährt: „Nun folgt etwas, das Ihr Euch nicht erklären können werdet. Dugar hat Beziehungen zu Yoken aufgebaut. König Miikal ist gewillt ihm Truppen zu schicken, um die Grenzen von Kalaß in Richtung Roshea abzusichern. In den nächsten Monaten wird der Schutz der Grenzlinien durch Yokens Truppen ausgebaut und verstärkt werden.“ Es fällt der Königin schwer das irgendwie positiv auf sich zu beziehen, nein es ist sogar ganz unmöglich. Geschockt wankt sie hin und her und sieht Loran erschüttert an: „Aber wenn das wahr ist..., dann macht er gemeinsame Sache mit diesem Bauernstaat?“ Loran nickt selbstsicher. „Meine Quellen sind verlässlich.“ „Aber das würde ja bedeuten er...er bemüht sich gar nicht um meine Befreiung?“ stammelt sie ungläubig und ihr Oberleutnant schüttelt den Kopf. Estell traut sich fast gar nicht die Frage zu stellen, die sich ihr jetzt aufdrängt. „Was...Was ist mit seiner Hure?“ Loran weiß, dass er Estell jetzt überzeugt hat. Er hebt lächelnd überheblich die Augenbrauen. „Mit der lebt er zusammen. Glücklich und zufrieden.“ Für Estell bricht eine Welt zusammen. Alle Männer, die sie jemals geliebt hat, haben sie betrogen und hintergangen. Erst wird ihr von ihrem König und geschätzten Gatten mit seinen zwölf Mätressen gezeigt wie unzulänglich sie ist. Der Hofstaat spottet es sei für jeden Monat eine. Trotzdem wird diese Praxis im allgemeinen akzeptiert. Und dann verrät sie der Mann, für den sie gekämpft hat, für den sie so viel getan hat, den sie über alles geliebt hat und ihn schlussendlich sogar für sich gewinnen konnte. Sie läuft in ihrem Zimmer auf und ab. Sie merkt, dass das von Nico Gesagte und Getane dann wohl alles eine Täuschung war, dabei war sie davon überzeugt, dass er ein Mann von Ehre sei, der niemals lügt. Soll auch ihre gemeinsame Nacht eine Lüge gewesen sein? Sie schreit und weint vor Wut und die Tränen verschmieren ihr dickes Make-up. Sie stolpert und fällt in Lorans Arme, den sie darauf hin schluchzt fragt: „Marco! Marco sagt mir, findest du mich abstoßend?“ Er antwortet etwas kühl, so wie es seine Art ist: „Nein, kein bisschen. Ihr seid meine verehrte Königin. Daran wird sich nie etwas ändern.“ Sie schluchzt noch ein paar Mal, dann fängt sie sich. Nach kurzer Stille sagt sie gefasster, unbeugsamer Stimme zu Loran, der sie immer noch fest in seinen Armen hält: „Lass uns zusammen Rache nehmen. Rache an Riecard, Rache an Nico und seinem Flittchen. Lass sie uns alle vernichten.“ Der Oberleutnant freut sich, dass er die Königin endlich aufwecken konnte. Mit Stolz sagt er: „Jawohl, meine Imperatorin.“ Sie richtet sich vor ihm auf. „Das liegt doch auch in deinem Interesse, nicht wahr, Marco?“ Er grinst erregt. „So ist es.“ Und wie es in seinem Interesse liegt Dugar zu schädigen. Zu all den Demütigungen, die er durch ihn schon erleiden musste, ist noch eine weitere gekommen. Seit Estell diese eine Nacht mit Dugar verbracht hat, ist Loran ihr nicht mehr zulänglich. Sie beschwert sich im Bett über ihn. Er ist ihr zu rücksichtsvoll und zuvorkommend. Doch selbst wenn er sich Mühe gibt ihren Befehlen nachzugehen, rauer und härter zu ihr zu sein, so kann er nicht ausblenden, dass sie seine ehrwürdige Königin ist, was ihn unwillkürlich dazu bewegt sich zu zügeln. Jede andere Frau wäre er in der Lage rücksichtslos zu behandeln, nur nicht sie. Die beiden schmieden einen Plan wie sie Roshea an sich reißen können, denn der Weg zur Macht führt jetzt unweigerlich über die Kontrolle des eigenen Landes. Marco Loran mobilisiert die Clypeus Garde und lässt sie für den Fall der Fälle bereitstehen. Zwei Wochen benötigen sie für die weiteren Vorbereitungen, bis die beiden ihren Plan angehen können. Der Oberleutnant hat seit langem gute Kontakte zum Untergrund von Roshea und organisiert erneut einen Attentäter, der König Riecard meucheln soll. Der Auftrag ist ziemlich teuer und es ist schwierig jemanden dafür zu finden, nachdem der letzte Assassine von den royalen Truppen aufgespürt und fast unbemerkt eliminiert wurde. Den zwölf Mätressen des Königs wird auf Estells Anweisung hin von Mitgliedern der Garde aufgelauert und sie werden aus dem Verkehr gezogen. Sie hat angeordnet dabei auch gern mit roher Gewalt vorzugehen, um Rache für ihre eigne Demütigung zu üben. Diese emotionale Härte kannte sie selbst vorher nicht von sich. Sie erschreckt sich jedoch nicht davor, sondern gibt nur dem Weg nach, auf den sie aus ihrer Sicht gezwungen wurde. Das Fehlen der zwölf Damen am Hof fällt schnell auf, doch ihre Leichen werden nicht mehr rechtzeitig gefunden, bevor der Attentäter, geschützt von der Clypeus Garde, in die Privatgemächer des Königs vordringen kann, um ihn zu vergiften. Er hinterlässt eine vergiftete Flasche Wein mit dem Siegel des Weinguts der Adelsfamilie Wendok. Das Gift darin stammt allerdings von einer konzentrierten Essenz einer hochgiftigen Pflanze, die auf Genehmigung des Königs nur die Adelsfamilie Seiget auf ausgewählten Landstücken zu medizinischen Zwecken anbauen lassen darf. Zu guter Letzt hinterlässt er noch einen Brief, den er so platziert, als sei er an der Flasche befestigt worden, mit einem Dankschreiben in der Handschrift des Herzogs Egat Laminger persönlich und mit dem Familiensiegel der Lamingers. Diese drei Familien gelten als die größten Zweifler des Königs. Gleichzeitig ist es vorstellbar, dass jede dieser drei Hochadelsfamilien Thronanwärter stellen können. Estell will damit eine Eliminierung aller Personen von Rang vorbereiten, die ihr gefährlich werden könnten. Die Ermordung des Königs gelingt und Estell übernimmt wie selbstverständlich als amtierende Königin die Führung des Landes. Sie erhält die volle Kontrolle über die vollständige Armee, die sie als Königin unterstützt. Fast ein Viertel der Offiziere, inklusive der Stabsoffiziere, hatte sie bereits im Vorfeld für die Garde gewonnenen. Das Land trauert um seinen König und sie heuchelt die tief erschütterte Ehefrau. Sie lässt ein pompöses Staatsbegräbnis für ihn ausrichten und ordnet eine einmonatige Staatstrauer an. In dieser Zeit ist es dem Adel nicht erlaubt das Wort gegen sie zu erheben. Estell zieht im Hintergrund schon einige Fäden. Nach dem gewonnenen Monat werden am Hof, ganz so wie erwartet, Stimmen laut über die weibliche Führung. Ihre Zweifler und Gegner behaupten eine Frau dürfe das Land nicht allein führen. Sie nutzt ihre selbst gestreuten Indizien, die bei der Leiche des Königs gefunden wurden, um mit Gewalt alle Gegenstimmen aus den Familien Wendok, Seiget und Laminger verstummen zu lassen und weitere Zweifler als Mittäter oder Mitwisser des Hochverrats zu beschuldigen und ebenso beseitigen zu lassen. Auf diese Weise dezimiert sie den Hochadel innerhalb weniger Monate so stark, dass ihr kaum noch jemand gefährlich werden könnte. Ihre Herrschaft hat sie sich unanfechtbar gesichert und durch ihre Härte konnte sie dafür sorgen, dass der Rest des dekadenten Hofstaat aus Nalita geflohen ist. Loran malt sich Hoffnungen aus von seiner Königin geehelicht zu werden, um den Thron zu besteigen, damit sie dem Land einen König geben kann, doch für Estell kam diese Option noch nie infrage und sie tut es auch weiterhin nicht, auch wenn er bis auf weiteres der Mann an ihrer Seite bleibt. Für sie ist er nichts weiter als ihr Handlanger und ihr Spielgefährte, ihr Untergebener also, der ihr mit seinem unterwürfigen Verhalten nicht ebenbürtig und somit auch nicht ansatzweise angemessen ist. Estell erhebt ihn immerhin zum Generalleutnant. Er treibt in den folgenden Monaten persönlich die Aufrüstung der Armee voran, denn er kann es gar nicht erwarten sich an Nico Dugar zu rächen, dem Mann, den Estell die Führung angeboten hat und ihm nicht. Dem Mann, den sie ihm immer bevorzugt hat. Bevor Königin Estell Yoken angreift, will sie das Land strukturell Schwächen. Sie ist keine Freundin von offenen Kriegen. Ihre Mittel sind hinterlistig und tückisch. Gemeinsam mit Loran schmiedet sie einen Plan Yoken von innen heraus so stark zu beschädigen, dass ihr Kalaß wie im Vorbeigehen in die Hände fällt. Da ihr aber eine Herrschaft über Yoken und Kalaß nicht genug ist, sondern sie sich persönlich an Nico rächen will, erstellt sie noch einen weiteren Plan. Sie ruft Loran zu sich in ihr Arbeitszimmer. „Marco, ich habe einen Spezialauftrag für dich. Da du jetzt Generalleutnant bist, kannst du selbst entscheiden, ob du den Plan persönlich umsetzen möchtest oder einen deiner Leute damit beauftragen. Der Auftrag lautet: Bring mir Nicos kleine Schlampe. Ich will nicht dass er die ganze Zeit mit ihr zusammen sein kann. Wenn du selbst gehst, kannst du mit ihr machen was du willst. Ich weiß doch, wie scharf du auf sie bist. Doch sobald sie hier im Schloss ist, gehört sie mir. Ich stelle keine weiteren Bedingungen, außer dass sie leben soll.“ Loran macht ein interessiertes Gesicht. „Das ist ein verlockendes Angebot, dass Ihr mir da macht. Diesen Auftrag würde ich selbstverständlich selbst ausführen. Aber es könnte sich schwierig gestalten sie auf dem Rückweg ungesehen über die Grenze zu bekommen, meine Königin. Die Grenzlinien werden gerade immer weiter verstärkt.“ Estell schlägt die Beine übereinander, während sie spricht. „Dann schlage ich vor, dass du dich beeilst. Noch sind die Grenzen schwach und es gibt eine Menge Schlupflöcher. Du wirst es schon schaffen, Marco. Dein persönlicher Groll gegen Nico und dein Verlangen nach Kara werden dich antreiben. Aber treib es nicht zu weit mit ihr. Es muss noch etwas von ihr übrig sein, wenn du hier ankommst. Vor allem von ihrer Psyche. Ich will sie zerstören, Marco. Ich will es tun, vergiss das nicht. Wenn ich mit ihr fertig bin und noch etwas von ihr übrig ist, kannst du sie haben. Und wenn Nico so dumm sein sollte, hierher zu kommen, um sie zu retten, dann ist er mein.“ Loran antwortet lüstern: „Ich mache mich gleich an die Vorbereitungen.“ Sie legt sanft ihre Hand auf ihren Unterbauch und schaut an sich herab. „Ich habe da noch so eine Idee...“ Kapitel 16: Hendryk und die Prinzessin -------------------------------------- Im Königreich Yoken haben sich unterdessen Yasane und Hendryk angefreundet. Wenn alle Pflichten des Tages erfüllt sind, trifft sie sich gern mit ihm am Nachmittag im großen Innenhof des Schlosses, so wie mit Nico zuvor. Es schneit in dicken Flocken und die beiden sitzen in warmen Mänteln eingehüllt gemeinsam im schneeweißen Schlossgarten auf einer Bank, wobei Yasane Hendryk stets zugewandt ist. Die beiden verstehen sich ziemlich gut, doch die meiste Zeit redet sie, was sie sich eigentlich anders vorgestellt hatte. Er ist ein guter und interessierter Zuhörer, der ihr intelligente Fragen stellt und Anmerkungen macht, des ist es für sie in Ordnung. Es ist schließlich besser als allein herumzusitzen. Manchmal erwischt sich die Prinzessin dabei, wie sie während ihrer Vorträge fast in seinen hellen, klaren Augen versinkt, was auch schon mal etwas peinlich wurde, weil die dadurch den roten Faden in ihrer Erzählung verlor. Gerade erklärt sie ihm, wie ihre Eltern seit einer Weile versuchen für sie einen würdigen Ehemann und Thronfolger zu finden. Dabei interessiert sich Yasane kein Stück für spießige Aristokraten, was ihren Eltern immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Mit Bürgerlichen kommt sie viel besser zurecht, was sie daran feststellt, dass sie mehr Freundschaften zu ihren Bediensteten pflegt, als zum Adel und Hen sei ein weiteres Beispiel dafür. In blumigen Worten erklärt sie ihm wer ihr schon alles als potentieller Ehemann untergejubelt werden sollte. Es ist eine ausgelassene Unterhaltung. „Der Adel ist üblicherweise schmächtig und langweilig. Alle jungen Aristokraten haben dieselben drögen Hobbys wie Lyrik, Kunst, Musik, wenn es gut kommt, dann einen ereignislosen Sport wie Krocket. Du weißt was Krocket ist? Man steht fast die ganze Zeit nur herum und versucht mit einem langen Schlegel und so wenig physischer Investition wie möglich, einen Ball durch kleine Tore zu stupsen. Wie kann ein junger Mensch nur freiwillig mit so etwas seine Zeit verschwenden? Aber ich erzähl dir mal was richtig verrücktes: Der dritte Prinz von Tanderan hat sich sogar seine Schuhe von seinen Bediensteten zubinden lassen. Ist das zu fassen? Und so was wird mir ernsthaft vorgeschlagen. Ich glaube es ging schon los als ich dreizehn war. Seit dem warte ich, dass mir mal einer begegnet, der interessant und gern auch aussehend ist, ...so einer wie du, Hen...“ Sie holt Luft und beobachtet dabei seine Reaktion. Sein Herz bleibt kurz stehen, denn Yasane ist plötzlich so unerwartet direkt und offensiv. Das hat Hendryk bei einer Frau noch nie erlebt. Er fühlt sich geschmeichelt, doch sie vervollständigt ihren Satz noch. „... nur muss er aus gutem Hause stammen, sonst darf ich ihn nicht heiraten.“ War das jetzt ein Kompliment oder nicht? Irgendwie fühlt es sich für ihn so an als habe sie gerade seine Eltern beleidigt. Verstimmt entgegnet er: „Yasane, ich glaube du solltest besser darüber nachdenken welche Gedanken du ausspricht und welche du besser für dich behalten hättest!“ Sie fühlt sich ertappt und lächelt unsicher. „Du bist einer der wenigen, der sich traut mir das zu sagen. Es stimmt, dass ich mit meinen Worten manchmal etwas zu voreilig bin, aber dass du das so offen heraus zu einer Prinzessin sagst, die du erst seit einer Woche kennst, zeigt mir dass du entweder keine Manieren hast oder du mich versuchst mit meinen eigenen Waffen zu schlagen, um mir auf diese Art beizubringen, wie sich das anfühlt. Hm, was wird es wohl sein? Du wirst es mir sowieso nicht sagen, also werde ich es versuchen selbst herauszufinden.“ Hendryk befürchtet, dass es wohl die mangelnden Manieren sind. Dabei hat sie doch selbst darauf bestanden von ihm Geduzt zu werden. Seit dem gibt er sich auch keine großartige Mühe mehr damit seine Worte auszuwählen, sondern er ist einfach er selbst und bisher schien sie das zu mögen. Yasane lehnt sich nach vorn, um Hendryk besser sehen zu können und streicht sich ihre Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hat jetzt genug vom Zuhören und würde den Ball gern abgeben, deshalb fordert sie ihn freundlich auf: „Jetzt habe ich dir schon so viel über mich erzählt. Ich möchte auch gern mehr von dir erfahren. Du könntest damit anfangen, dass du mir deine Version der Geschichte erzählst.“ Hendryk weiß genau worauf Yasane hinaus will, doch da er darüber nicht wirklich reden will, stellt er sich dumm. „Welcher Geschichte?“ Yasane weiß genau, dass das für Hendryk kein schönes Thema ist, deshalb grinst sie frech und präzisiert: „Na, die Dreiecksgeschichte zwischen dir, Kara und Nico.“ „Was soll es da zu erzählen geben? Kara ist seit vielen Jahren eine Freundin von mir. Als Nico auftauchte, verliebten sich die beiden. Ende.“ erläutert er. Das ist alles was er dazu zu sagen hat, doch damit will sich das Mädchen nicht zufrieden geben. Sie rutscht ein Stückchen an Hendryk heran und lächelt schelmisch. „Da hat mir Nico aber etwas ganz anderes erzählt.“ Sie schaut ihn herausfordernd an, doch er hat nach wie vor keine Lust darauf einzusteigen. „Was soll dir Nico schon erzählt haben? Ich glaub dir kein Wort. Du willst mich doch nur aus der Reserve locken.“ Yasane kichert: „Da kennst du Nico aber schlecht. Er hat mir einiges anvertraut. Als er hier ankam war er ja nicht mehr als ein Häufchen Elend, total am Boden zerstört. Erst mit meinen herausragenden therapeutischen Fähigkeiten habe ich ihn wieder kurieren können.“ Sie nickt selbstsicher und Hendryk denkt sogar ernsthaft über ihre Worte nach. Was sie sagt ergibt zumindest einen Sinn, doch er will es ihr trotzdem nicht glauben. Immer noch zweifelnd fordert er: „Gut, dann beweise es!“ Sie lacht und beginnt zu erzählen: „Haha, nichts leichter als das. Also, Nico hat es mir so erzählt. Er kehrte nach langer Zeit zurück nach Kalaß, wo seine Sandkastenliebe zu Kara entflammte. Du hast ihm dann den Vorrang gelassen, hast sie aber auch geliebt. Irgendwann wurde Kara gefangen genommen und Nico spielte den Helden, pennte dann aber dummerweise mit der Königin und kehrte reumütig zurück zu seiner Freundin. Sie war daraufhin total sauer auf ihn, weshalb er Kalaß verließ. Er war fertig mit den Nerven, weil er dachte sie hätte sich danach für dich entschieden. Es hat sich ja dann herausgestellt, dass es nicht so war. Hen, ich bin der Meinung das wäre deine Chance gewesen. Warum bist du nicht aktiv geworden?“ Hendryk stutzt und gibt keine Antwort auf ihre hoffentlich rhetorische Frage. Sie erklärt weiter: „Schlussendlich versöhnten sich die beiden wieder und du hast sogar dabei geholfen. Also Nicos Version zufolge hast du es ihm ganz schön leicht gemacht. Eine Konkurrenz warst du für ihn nie. Für eine Frau zu kämpfen sieht für mich aber auch wirklich anders aus. Jetzt erklär mir doch mal was ich davon halten soll?“ Yasane gibt Nicos wahre Schilderungen sehr großzügig interpretiert wieder und formuliert sie absichtlich überspitzt, um den verschlossenen, aber leicht reizbaren Hendryk dazu zu bewegen ein paar Informationen von sich aus preiszugeben. Ihn nett darum zu bitten wird bei ihm nämlich nichts nützen. Während Yasane erzählte, ist er tatsächlich fast von der Bank gekippt. Er kann nicht glauben, dass sie das alles weiß, vor allem das mit Königin Estell, doch sie hat es alle so falsch wiedergegeben. Hat Nico ihr erzählt er sei keine Konkurrenz gewesen? Der Kerl mag überheblich sein, aber so link hat er ihn nicht eingeschätzt. Ganz davon abgesehen, wie steht er denn jetzt vor Yasane da? Er kommt sich vor wie ein Versager und wie sollte es auch anders sein, macht ihn das sauer. Er steht von der Bank auf, vergreift sich etwas im Ton und raunt: „Wie bitte? Ich soll es ihm leicht gemacht haben? Wenn er das gesagt hat, dann hat Nico gelogen! Und außerdem Yasane, es so zusammen zufassen ist einfach nur taktlos von dir… Verdammt nochmal, woher weißt du das alles?“ Yasane lässt sich nicht einschüchtern. Hendryk ist so laut geworden, dass einige Bedienstete begonnen haben die Szene aufmerksam zu beobachten, um einschreiten zu können. Die Prinzessin macht eine beschwichtigende Handbewegung in Richtung Wachposten und kichert. „Das sagte ich doch bereits, von Nico.“ Der junge Botschafter bemerkt, dass er in seiner Umgebung starke Aufmerksamkeit erregt hat und kritisch beäugt wird. Er beruhigt sich ein wenig, ist aber trotzdem immer noch aufgebracht. „Aber, so war das nicht. Außerdem hatte Kara schließlich auch noch ein Wörtchen mitzureden, oder nicht?“ Yasane wird fordernd: „Dann erzähl mir doch wie es wirklich war.“ Er atmet schwer aus und setzt sich wieder auf die Bank neben sie. „Oh Mann, wenn du unbedingt etwas wissen willst dann frag präziser! Such dir eine Sache raus und gib dann Ruhe. Ich erzähl dir hier nicht meine Lebensgeschichte.“ Yasane freut sich. Sie denkt kurz nach und fragt dann: „Es gibt etwas, das mich besonders interessiert. Ich glaube nicht mal Nico weiß da so richtig Bescheid. Waren Kara und du nun ein Paar, oder nicht? Und wenn ja, wart ihr es auch noch, als Nico zurück in die Stadt kam?“ Hendryk wird wieder aufgekratzter. „Orrr, Yasane! Was ist das denn für eine Frage? Wieso sollte dich das was angehen?“ Sie schaukelt mit ihren Beinen, was eine Spur im Schnee hinterlässt. Sie sieht dabei in Richtung Himmel. Kleine Schneeflocken fallen ihr aufs Gesicht, die unmittelbar beginnen zu schmelzen und winzig kleine Tröpfchen bilden, was sie etwas kitzelt. Sie wischt sie weg und erklärt mit unerschütterlich guter Laune: „Ach komm schon. Das sind zwei ganz klare und präzise Fragen, die du nur mit ja oder nein beantworten kannst.“ Hendryk schaut von ihr weg. Sein Blick ist starr auf eine weiße leere Schneefläche gerichtet. Er atmet schwer aus und gibt zu: „Nein, wir waren nicht zusammen. Damit erübrigt sich die zweite Frage.“ Was die Prinzessin nicht überrascht. Sie hört auf mit den Beinen zu schaukeln und schaut sich ihren Gesprächspartner genau an, der ihren Blick meidet. „Ihr hattet gar keinen näheren Körperkontakt, oder? Und einen anderen Freund hatte Kara auch noch nicht.“ Er reagier nicht mehr, doch aus seinem Schweigen deutet sie was sie braucht. „Hab ich es doch gewusst!“ ruft das Mädchen plötzlich, worauf er noch etwas verärgert nachfragt: „Was hast du gewusst?“ „Sie ist prüde“ entgegnet sie keck. Überrascht zuckt er etwas zusammen. Er sieht sie im Augenwinkel an und nickt leicht anerkennend. „Naja, das ist keine schlechte Ferndiagnose.“ „Sag ich ja. Aber eins musst du mir noch erklären. Wieso hast du es ihr all die Jahre nicht gesagt?“ Er setzt sich aufrecht, schaut aber immer noch ins Leere. Er beginnt leise zu sprechen: „Ich hab es doch selbst nicht gemerkt. Erst als Nico dazwischen gefunkt hat…“ Warum er das jetzt zugegeben hat, kann er nicht erklären und er ringt sich dazu durch Yasane sogar noch mehr über sich zu offenbaren und das ist mehr als jedem anderen jemals zuvor. „Es gab da ein Schlüsselerlebnis. Kara, ich und eine andere Arzthelferin waren gerade auf einem Patientenbesuch. Da gerieten wir in eine Routinekontrolle, die Nico anführte. Er sah Kara dort das erste Mal wieder, nachdem er abgehauen war. Schon dafür wie er sie musterte, hätte ich ihm eine ballern können. Ich muss es so sagen, denn es war so. Er versuchte sich an sie ran zu machen und dann ging es mit mir durch. Ich schrie den Kerl an er solle seine dreckigen Finger von meinem Mädchen lassen und wollte ausholen, aber seine Handlanger fanden das nicht so lustig, hielten mich sofort fest und brüllten mich an, wie ich es wagen könnte, so mit ihrem Hauptmann zu sprechen. Erst da wurde mir bewusst, was er für ein hohes Tier war. Er pfiff seine Leute zurück und sagte überheblich zu Kara er freue sich für sie, dass es jemanden gäbe, der sie beschützt und sich um sie kümmert. Für diesen Satz könnte ich ihm heute noch eine rein hauen. Die Art wie er sie dabei angesehen hat, war unerträglich. Von diesem Tag an hasste ich ihn, doch bei Kara war es wohl umgekehrt. Hinterher, fragte ich sie ob sie den Typen gekannt hat und sie erklärte etwas, doch ich hab ihr gar nicht richtig zugehört. Ich wusste nur, es war derselbe, der sie als Kind zurückgelassen hatte. Oh Mann, Ich brannte vor Eifersucht. Ich hatte Nico angebrüllt, er solle mein Mädchen in Ruhe lassen, dabei war sie das nichtmal. Fast zehn Jahre lang war ich mit ihr enger befreundet als jeder andere. Wir gehörten einfach zusammen und basta und dann kommt da irgendein Geist aus ihrer Vergangenheit und nimmt sie mir einfach weg. Ich meine, klar, er ist schon auch ein cooler Typ, und so. Eigentlich ganz nett, aufopferungsvoll, erfolgreich, gutaussehend. Was soll ich da schon machen? Andererseits ist er aber auch unerträglich arrogant und selbstgerecht. Aber scheinbar stehen Frauen auf sowas. Keine Ahnung. Auf jeden Fall akzeptiere ich Karas Entscheidung. Ich will, dass sie glücklich ist, deshalb hab ich sie eine Entscheidung treffen lassen und ich habe sie akzeptiert. Die Sache ist für mich abgeschlossen… Ach verdammt, Yasane, warum erzähl ich dir das überhaupt?“ Yasane macht einen betroffenes Gesicht. Sie empfindet ehrliches Mitgefühl für ihn, denn sie fand seine Nacherzählung sehr gut nachvollziehbar und kann ihn jetzt auch viel besser verstehen. Am liebsten würde sie sich an ihn lehnen, vielleicht ihren Arm um ihn legen, doch zwischen den beiden herrscht eine, für ihren Stand angemessene körperliche Distanz. „Danke, dass du dich mir geöffnet hast... Ach Hen, lass mich dir helfen, wenn ich darf.“ Er ärgert sich jetzt schon ihr das alles erzählt zu haben, daher antwortet er nicht, doch sie fährt trotzdem fort. „Ich glaube nämlich, du siehst das alles zu verbissen. Ja, leicht gesagt, ich weiß. Du solltest versuchen die Geschichte aus einer anderen Perspektive zu sehen.“ Mit ruhiger, aber noch immer verstimmter Stimme fragt er sie: „Und wie soll das gehen?“ Sie versucht es ihm möglichst verständnisvoll beizubringen. „Also ich finde du bist auch nett, aufopferungsvoll und gut aussehend. Nur am Erfolg ließe sich noch arbeiten, aber du bist doch auch noch viel jünger als Nico. Dafür bist du zudem weder arrogant, noch selbstgerecht. So gesehen bist du ihm schon mal nicht unterlegen. Ganz im Gegenteil, denn ich finde du hast ein viel größeres Herz als er. Er hätte sich nie aus Rücksicht zurück gezogen, wenn noch Hoffnung besteht.“ Hendryk hat dazu nichts zu sagen. „Mach dich nicht klein neben ihm! Das hast du überhaupt nicht nötig.“ Empfiehlt Yasane, die sich dabei zu ihm vor beugt, um sein Gesicht zu sehen, das er konsequent von ihr weg dreht. Er flüstert kaum hörbar: „Findest du?“ Yasane lächelt zuversichtlich. Da ist er doch, der weiche Kern, den sie in seinem Inneren vermutet hat. Sie nickt freudestrahlend. „Na, auf jeden Fall und was Kara angeht denke ich, dass du einen total verklärten Blick hast. Versteh doch, hätte die Frau dich gewollt, dann hättest du das schon gemerkt. Ich glaube, du hattest nie eine echte Chance bei ihr. Selbst als sie wusste, dass du sie magst, hat sie sich trotzdem noch gegen dich entschieden, obwohl ihr euch so nahe standet. Nur angenommen, ihr währt ein Paar gewesen als Nico in die Stadt zurückkehrte, glaubst du wirklich du hättest sie halten können, so wie es zwischen den beiden gefunkt hat? Als Außenstehende sehe ich das wahrscheinlich klarer als du, aber die beiden gehören einfach zusammen.“ Hendryk schaut desillusioniert zu Boden. „Machst du es dir da nicht zu einfach?“ Wenn sie damit Recht hat, dann beantwortet das die Frage, die ihn in der letzten Zeit so gequält hat. Die ob es etwas geändert hätte es Kara früher zu sagen. Die freche Prinzessin grinst ihren Gast schelmisch an. „Nein, ist nicht zu einfach, sondern die Faktenlage. So lautet Doktor Yasanes Diagnose.“ Hendryk schüttelt den Kopf. Ihr dummer Spruch reißt ihn aus seinem melancholischen Zustand. „Du bist unmöglich.“ „Gar nicht. Dafür habe ich gerade einen neuen Grundsatz entdeckt, den ich mir aufschreiben solle. Liebe ist stärker als Gerechtigkeit.“ Yasane will Hendryk mit ihren Worten aufbauen und er lächelt sogar ein wenig. „Und, hat es dir nicht doch wenigstens ein kleines bisschen geholfen darüber zu sprechen?“ fragt sie anschließend überzeugt von ihrer Therapiemethode. Der junge Mann, der bis eben etwas geknickt war, richtet sich wieder auf und sieht sie direkt und sogar ein bisschen frech an, als er dementiert: „Oh nein Yasane, diese Genugtuung werde ich dir nicht verschaffen.“ Yasane macht ein eingeschnapptes Gesicht und ruft empört: „Wieso nicht?“ „Weil du ein hinterlistiges kleines Weib bist, deswegen.“ schimpft er gespielt. Er muss über sie lachen und sie stimmt mit ein. Sie weiß genau, dass sie ihm geholfen hat, auch wenn er es nicht zugeben will. Glücklich über ihre Leistung springt von der Bank auf und hüpft dann noch ein Stück von Hendryk weg, was etwas Schnee aufwirbelt. Sie muss noch etwas zugeben, bevor sie geht. „Ich muss das jetzt noch klar stellen. Ich will Nico nichts anhängen. Um ehrlich zu sein hat er gar nichts Schlechtes über dich gesagt. Ich habe mir einiges einfach so zusammengereimt, um dich zu provozieren es korrigieren. Sei bitte nicht böse auf mich, ja?“ „Waaas? Du kleines Biest! Ich war deshalb schon wieder sauer auf ihn. Pah, ich erzähl dir nochmal was?“ Brüllt er entsetzt, bevor er auch aufsteht und einen großen Schritt in ihre Richtung macht. Am liebsten würde er sie jetzt in den Schnell schupsen, doch Sie läuft schnell vor ihm weg ins Schloss und lacht dabei ausgelassen vor sich hin. Er sieht ihr mit einem fassungslosen leichten Lächeln auf dem Gesicht nach. Eigentlich sollte er böse auf die verzogene Prinzessin sein, doch er kann es einfach nicht. Sie ist gewitzt und hat ihm eine Falle gestellt, in die er unversehens getappt ist. Es stimmt ja auch. Aus ihm bekommt man nichts heraus, wenn man sich nicht geschickt anstellt. Mit Kara hat er eigentlich nie solche Gespräche geführt. Erst jetzt zum Schluss musste er sich ihr gezwungenermaßen einmal offenbaren. Hendryk ist davon überzeugt, dass die Prinzessin von Yoken nur zum Zeitvertreib mit ihm spielt. Er glaubt nicht, dass sie es mit ihm ernst meinen könnte, deshalb gibt er nicht viel auf ihre verbalen Annäherungsversuche und geht schon gar nicht darauf ein. Warum er ihr trotz dieser Gewissheit so viel von sich preisgibt, kann er sich nicht erklären, deshalb ärgert er sich sehr über seine Redseligkeit. Wie schon zuvor bei Nico, beobachten König Miikal und Königin Mariella manchmal von ihrem Kaminzimmer aus wie sich Yasane mit Hendryk im Innenhof des Schlosses trifft. So viel Interesse an den politischen Gästen des Königshauses hat die Prinzessin bisher noch nie gezeigt. Ihre Eltern sind deshalb einigermaßen verwundert. Die Königin steht am Fenster und schaut auf den Innenhof herab während der König gerade den Raum betritt. Mariella wendet sich zu ihm um: „Miikal, komm bitte ans Fenster! Hast du bemerkt, wie sie den neuen Botschafter ansieht? Manchmal fixiert sie ihn Minutenlang. Da ist doch was im Busch.“ Der König kommt der Bitte seiner Gemahlin nach und schreitet gelassen zu ihr. „Ach ja, unsere süße Yasane. Das ist mir durchaus aufgefallen.“ Mariella sagt besorgt: „Hast du diesen Blick schon jemals an ihr gesehen? Ich glaube sie meint es ernst. Was sollen wir nur tun? Wenn wir ihr alles verbieten, wird sie niemals glücklich werden.“ Der König stellt sich selbstbewusst und unerschütterlich neben sie. „Beruhige dich, Mariella. Wir werden sie schon nicht einsam sterben lassen. Wenn es notwendig sein sollte, dann müssen wir das undenkbare eben denkbar machen. Doch noch ist es nicht soweit. Ich erwarte in Kürze den Besuch eines jungen Aristokraten, der bisher noch nicht bei uns vorstellig geworden ist. Im Briefverkehr machte er einen guten Eindruck. Warten wir das Treffen erst einmal ab und sehen dann weiter.“ Die Königin nickt beschwichtigt und entgegnet: „Du bist einfach zu warmherzig, Miikal.“ Doch sie ist mit seiner Entscheidung absolut einverstanden. Als Yasane alleine im Schloss ankommt, denkt sie über die beiden Männer nach. Sie hat jetzt fast dasselbe Gespräch einmal mit Hendryk und einmal mit Nico geführt. Ihr ist aufgefallen wie unterschiedlich die beiden Charaktere sind. Hendryks Verschlossenheit spornt sie zu Höchstleistungen an. Er ist eine deutlich härtere Nuss als Nico und das fordert sie nur noch mehr heraus, was ihr gut gefällt. Hendryks Vertrauen zu ihr und keinem anderen sonst, macht sie zu etwas Besonderem. Sie hat das nicht erreicht, weil sie eine Prinzessin ist, sondern weil sie es sich selbst erarbeitet hat. Das macht sie richtig stolz. Immer noch total euphorisch macht sie sich auf den Weg in die Schlossbibliothek. Sie hatte heute ein Erfolgserlebnis und glaubt gleich noch ein weiteres hinzufügen zu können. Sie hatte Nico versprochen nach einem Bild zu recherchieren, auf dem ein Mann mit einem Schimmern in den Augen zu sehen ist, die Ähnlichkeit zu denen Nicos aufweisen. Die Bibliothek besteht aus einem einzigen, riesigen Saal, der an den Wänden mit mehrgeschossigen Bücherregalreihen versehen ist. Im Erdgeschoss stehen jedoch keine Bücher, sondern hier wurden Gemälde angebracht, welche die Geschichte des Königreichs Yoken illustrieren. In der Mitte des Saals steht ein einzelner Arbeitstisch, über dem, weit oben in der Decke, ein Buntglasfenster eingelassen ist, das als einzige Lichtquelle im Raum fungiert. In der Bibliothek ist es so kalt, dass Yasane ihren Mantel gar nicht erst ablegt. Sie überlegt wo sie so hochwertiges Bildmaterial finden kann, dass Feinheiten wie ein Schimmern in den Augen überhaupt erkennbar sind. In der zweiten Ebene stehen auf der rechten Seite Geschichtsbücher und auf der Linken Historienromane, die sie selbstverständlich alle bereits gelesen hat. Sie beschließt mit ihrer Suche hier zu beginnen, steigt eine Holztreppe mit sehr schmalen Stufen hinauf, was mit ihrem dicken Mantel eine Herausforderung darstellt und nimmt einige Bücher aus den Regalen, die sie flüchtig aufschlägt. Es nützt nichts. Hier kann sie das Bild nicht gesehen haben. Selbst die hochwertigsten Holzschnitte und Kupferstiche in den Büchern vermögen solche Details nicht abzubilden. Etwas desillusioniert steigt sie eine Etage weiter hinauf zu Büchern aus den Bereichen der Sagen, Mythen, Legenden und Göttergeschichten. Sie nimmt ihr Lieblingsbuch aus den Ragal, die „Antatia Mande“, Göttermythologie in unserer Sprache. Darin werden anekdotenartig Kurzgeschichten zu den vier Göttern erzählt: Fuathel, Ahanani, Phantakare und Kawanata. Sie nimmt es mit nach unten, setzt sich an den einsamen, großen Tisch und schmökert eine Weile. Yasane fand die vier Götter schon als Kind faszinierend. Kaum jemand hängt noch der Religion nach oder geht in eine Kathedrale, um den Göttern näher zu sein und trotzdem werden diese alten Gemäuer erhalten und gepflegt. Wahrscheinlich weil man Angst davor hat die Götter zu erzürnen, so viel Aberglaube muss sein. In Deskend steht die Kathedrale des Feuergottes Phantakare. Mehr Sympathien hegt Yasane jedoch für den Windgott Fuathel, der einige Zeit auf der Erde unter den Menschen gelebt haben soll. Die Geschichten zu seinem irdischen Aufenthalt findet sie in diesem Buch. Darin heißt es sogar er habe ein Kind mit einer sterblichen Frau gezeugt, einen Halbgott also. Was für eine verrückte Vorstellung. Yasane schmökert, in den Geschichten, als sie halb in ihnen versunken aufschaut und eines der Gemälde an den Wänden bemerkt, auf dem neben dem jungen König Nienna, dem Herrscher von Yoken zu Zeiten der letzten Kriege, auch ein violetthaariger Mann zu sehen ist, der sich widerwillig vor König Nienna verneigt. Sie schreckt auf. Natürlich! Hier hat sie den Mann mit den merkwürdigen Augen gesehen. Sie legt das Buch bei Seite und sieht sich das Bild genauer an. Der sich verneigende Mann ist niemand anderer als König Ramon, der Gefallene König von Kalaß kurz nach der Auflösung seines Königreiches. Sein Gesicht liegt nicht in Demut wie das eines besiegten Mannes. Er hat einen überheblichen Blick in seinen ungewöhnlich funkelnden Augen. Doch nicht nur seine unverwechselbaren blauen Augen, auch die violetten Haare und überhaupt alles an dem Mann auf dem Gemälde erinnert sie an Nico. Ob König Ramon ein Vorfahr von Nico sein kann? Es klingt unwahrscheinlich, doch nicht unmöglich. Die Kinder Ramons haben schließlich in Kalaß weiter gelebt. Doch, sollte Nico von so einer edlen Abstammung nicht eigentlich wissen? Yasane grübelt ein wenig. Sie nimmt sich vor mit niemandem über ihre Vermutung zu sprechen, bevor sie nicht mit Nico persönlich darüber gesprochen hat. Die „Antatia Mande“ stellt sie nicht wieder zurück und verlässt damit die Bibliothek. Kapitel 17: Ein neuer Anwärter ------------------------------ Mittlerweile ist Hendryk so schon seit zwei Wochen als Berater und Botschafter in Yoken tätig und die Absprachen gehen gut voran. Es sind sogar schon kleinere Spähtruppen und ein yokener Botschafter nach Kalaß entsandt worden. Wie fast jeden Tag, finden sich auch an dem heutigen eisigen Nachmittag König Miikal, Hendryk, drei Generäle und ein weiterer königlicher Berater in einem Kriegsrat zusammen, um klare Pläne für das Vorgehen bei der Absicherung des Stadtstaates Kalaß zur südwestlichen Grenze mit dem Königreich Roshea aufzustellen. Sie alle sitzen gemeinsam in einem mit Kamin beheizten und deshalb etwas kleineren Versammlungsraum zusammen. Die Besprechung begann bereits am frühen Morgen und ist schon recht fortgeschritten. Heute konnten sie sich schon über einige Eckpunkte einigen, doch noch immer ist die Frage der Unterbringung der Truppen ein strittiger Punkt. Der König spricht diesen Punkt in der Tagesordnung an, der bereits Tage davor kurz thematisiert wurde, aber keine Ergebnisse vorwies. „Gibt es inzwischen Vorschläge wo größere Truppenregimente unterkommen könnten?“ Natürlich haben dich die Beteiligten vorbereitet und General Tshuras verkündet die aus seiner Sicht einzig richtige Lösung: „Natürlich ziehen unsere Soldaten in die Tarbasser Festung ein. Dort ist die vollständige Infrastruktur für ein ganzes Regiment vorhanden.“ Einige Anwesende nicken zustimmend, doch der einzige Hendryk, der einzige kalaßer Bürger am Tisch, hat Einwände. Autoritätspersonen an den Kopf zu knallen was ihm nicht passt, konnte er schon immer gut und sein letztes Gespräch mit Yasane hat sein ohnehin schon gutes Selbstvertrauen noch einmal beträchtlich gestärkt. Er spricht mit harter Stimme und sicher vor der Führungselite Yokens: „Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, Herr General, aber ich glaube es ist eine total schlechte Idee die einen Soldaten in der Festung gegen andere Soldaten in der Festung auszutauschen. Wir Kalaßer wollen kein fremdes Heer in unserer Mitte haben und schon gar kein bewaffnetes. Das fühlt sich an als würden wir statt von Roshea einfach nun von Yoken besetzt werden und ich frag mich was daran besser sein soll. Das machen wir nicht nochmal mit, das kann ich Ihnen versprechen.“ Tshuras fixiert den jungen vorlauten Botschafter. Von diesem Jungspund muss er sich als gestandener General nicht vorführen lassen und schießt zurück: „Sie können nicht alles nur bemängeln und schlecht machen, Jungchen. Wir brauchen hier konstruktive Lösungen.“ Doch Hendryk bleibt unbeeindruckt, denn so eine Reaktion hatte er erwartet. „Das ist mir auch klar, Herr General. Deshalb hab ich mir darüber natürlich schon meine Gedanken gemacht. Passen Sie mal auf, alle denken immer der Stadtstaat würde erst an seinen Mauern beginnen, doch das ist totaler Quatsch. Was denken Sie wo unser Getreide herkommt und unsere Kühe grasen? Ein großer Streifen um die Mauer herum, gehört auch zu uns und das ist auch das Gebiet, das Sie beschützen sollen. Die Soldaten gehören an die Mauer und nicht in unsere Burg. Mann die sollen doch bei uns keinen Urlaub machen. Mein Vorschlag wäre es die Mauer von innen auszubauen, denn sie ist ja nicht massiv. Das ist übrigens auch ein verbreiteter Irrglauben, habe ich festgestellt. Das Innere der Mauer bietet mehr Raum und Fläche, als man zunächst denken könnte. Bisher haben wir sie als Lager benutzt, aber ursprünglich war sie mal als Kaserne gedacht gewesen. Wir räumen unsere Lager und bauen den Verteidigungswall wieder aus. Bis das geschafft ist, können wir vor den Mauern ein Feldlager als Übergangslösung errichten.“ General Tshuras fühlt sich massiv auf den Schlips getreten, denn dieser Junge versucht ihn anscheinend vorzuführen. Gerade als er aufsteht und sich vor Hendryk aufbauen will, erhebt der König das Wort: „Beruhigen Sie sich General! Was glauben Sie warum der junge Mann bei uns am Tisch sitzt? Genau das sind die Informationen, die wir von ihm benötigen. Wir kennen das kalaßer Volk nicht, er schon. Er kann uns sagen welche Ängste es hat und wie wir ihnen diese nehmen können, anstatt neue zu entfachen. Deshalb bin ich auch sehr dankbar für die offenen Worte und die sehr guten Vorschläge unseres unerschrockenen Botschafters Hendryk. Es ist mir vollkommen bewusst, dass der Einzug in die Festung die einfachste Lösung darstellt, doch wie Sie hören steht uns diese Option gar nicht zur Verfügung. Setzen Sie sich also bitte wieder hin.“ „Jawohl.“ ertönt es gespielt emotionslos von Tshuras. Wie befohlen setzt er sich wieder, doch er ist nicht glücklich damit, denn er ist nach wie vor anderer Meinung. Die Entscheidung seines Königs akzeptiert er jedoch. Die Beratung mündet in zähe koordinatorische Planungen, die der König erleichtert frühzeitig für diesen Tag beendet, als sich ein Gast ankündigt. Er selbst ist ziemlich erschöpft von den letzten Tagen und wenn er in die Gesichter der anderen Kriegsratsmitglieder schaut, wird ihm klar, dass sie ihm eine Verschiebung aller weiteren ungeklärten Punkte auf den Folgetag nicht übel nehmen werden. Hendryk hat den Nachmittag also frei und sich, mit Hilfe eines Boten, im verschneiten Innenhof des Schlosses mit Yasane verabredet. Als ihr die Nachricht überbracht wird, sitzt sie noch mitten im Kalligrafieunterricht. Damit ihr das wilde, lockige Haar nicht auf das Papier fällt, trägt sie es mit einer schwarzen Schleife nach hinten gebunden. Da sie ohnehin gerade mit dem in mittelguter Schönschrift geschrieben Einladungsschreiben fertig geworden ist, das sie zur Übung erstellen musste, bittet sie ihren zum Glück nicht allzu strengen Kalligrafielehrer etwas vor der Zeit gehen zu dürfen, der zustimmt. Sie reinigt gewissenhaft ihre Feder, springt dann aber so Schwungvoll von ihrem Platz auf, dass sie dabei an den Tisch stößt und das Tuschefass gefährlich zum Wippen bringt. Gerade noch so, bevor es ihr heutiges Tagwerk ruinieren kann, fängt sie das Fässchen im Fallen auf. Ihr schon etwas betagter Lehrer war ebenfalls schon zum drohenden Unglück gesprintet, hätte es aber nicht mehr verhindern können. Auch wenn nichts passiert ist, bekommt sie eine kleine Standpauke: „Meine Güte, Prinzessin. Ihr macht immer dieselben Fehler. Nehmt Euch Zeit, sage ich immer, doch Ihr wollt es nicht begreifen. Der junge Mann wird auch eine Minute länger auf Euch warten können.“ „Ich weiß, Herr Lehrer. Ist doch nichts passiert.“ antwortet sie freudestrahlend entkräftend, während sie sich die Schleife aus dem Haar entfernt und kurz darauf davonläuft. Sich sehr auf Hendryk freuend läuft sie eilig in ihr Zimmer, um sich einen warmen Mantel überzuwerfen. Ihr junges Dienstmädchen Ida ist gerade dabei den kleinen Kamin vorzuheizen, als Yasane eintritt. Die Prinzessin erschreckt sich etwas, weil sie nicht erwartet hätte jetzt jemanden in ihrem Zimmer anzutreffen. „Huch, Ida, ach du bist es nur. Ich dachte schon Hen würde in meinen Sachen herumwühlen.“ Die beiden lachen und das Dienstmädchen fragt ein wenig verwundert über so eine verrückte Idee: „Aber Yasane, glaubst du der Botschafter würde so etwas tun?“ Yasane antwortet immer noch kichernd: „Eigentlich nicht, aber dann wüsste ich wenigstens, dass er sich für mich interessiert. Die Sache ist nämlich, dass ich ihn in dieser Sache nicht so richtig einschätzen kann. Was denkst du? Könnte er Interesse an mir haben?“ Ida legt den Schürhaken beiseite und widmet sich ganz der Unterhaltung mit ihrer Prinzessin. „Oh, du bist doch die Analytikerin von uns beiden und weißt es nicht. Was soll ich dann sagen? Ich weiß ja nicht mal worüber ihr euch so unterhaltet. Ich hab nur letztens erst gedacht, dass er schon einen ganz schönen Abstand zu dir wahrt. Ich will da nicht zu viel hinein deuten. Vielleicht ist das nur gutes Benehmen gegenüber einer Prinzessin?“ „Nein glaub mir, Ida. Daran liegt es nicht.“ lacht Yasane ausgelassen, doch dann verschränkt sie die Arme und beginnt zu grübeln: „Du meinst er ist distanziert? Hmm...“ Das Dienstmädchen versucht sich an weitere Dinge zu erinnern, schaut dabei etwas gedankenverloren aus dem Fenster und nimmt dort Hendryk, der bereits allein im auf einer Bank im verschneiten Innenhof sitzt, mit einer kleinen Verzögerung wahr. „Oh, da ist er ja.“ stellt sie überrascht fest. Yasane läuft schnell zum Fenster, um ihn zu sehen. „Du hast recht. Ich muss mich beeilen.“ ruft sie und schnappt sich ihren warmen Mantel, der schon für sie bereit hängt, da sagt ihr Dienstmädchen aufgeregt: „Warte, Prinzessin. Ich habe eine Idee.“ „Oh, dann immer raus damit!“ entgegnet Yasane aufgeregt den Vorgang unterbrechend und Ida erläutert ihren Plan: „Was wäre, wenn du ihn heute versetzen würdest? Vielleicht können wir an seiner Reaktion etwas ablesen.“ „Bist du fies, Ida. Das wusste ich gar nicht. Ihn bei dieser Kälte sitzen zu lassen, wäre schon echt unfair.“ reagiert Yasane ebenso überrascht wie belustigt. Sie zieht ihren Mantel an und geht zur Tür. Bevor das Mädchen sie öffnet sagt sie langsam: „Aber es hat eine bestechende Logik.“ Sie geht wieder zum Fenster und schaut nach unten. Mit den Worten: „Na gut, ich tu‘s.“ zieht sie ihren Mantel wieder aus und die beiden jungen Frauen setzen sich abwartend vor das Fenster. Hendryk beginnt unterdessen langsam zu frieren. Er wundert sich über Yasanes Verspätung, was bisher noch nie vorgekommen ist. Sie war immer überpünktlich und hatte oft sogar auf ihn gewartet. Nach einer Viertelstunde steht er auf und geht ins Schloss hinein, was die am Fenster im Warmen sitzende Yasane enttäuscht. „Da hat er es aber nicht lange ausgehalten. Irgendwie deprimierend.“ Sie entfernt sich vom Fenster und setzt sich aufs Bett, doch Ida bleibt sitzen und das war auch gut so, denn kurze Zeit später ruft sie Yasane zurück. „Prinzessin, er kommt wieder, mit einer Decke und einem Buch in der Hand.“ Diese springt erfreut auf, um es mit eigenen Augen zu sehen. Sie beobachtet wie er sich in die Decke eingewickelt wieder hinsetzt und das Buch zu lesen beginnt. Ergriffen flüstert sie: „Das ist so niedlich. Ich halte das nicht länger aus. Ich gehe jetzt zu ihm runter und erlöse ihn.“ Doch Ida hält sie zurück. „Und was hat das dann gebracht, Yasane? Kannst du ihn jetzt besser einschätzen als zuvor? Du musst schon noch ein wenig länger warten.“ Yasane schmollt, weil ihre Freundin damit zwar recht hat, aber Gefallen tut ihr die ganze Sache nicht. Eine weitere halbe Stunde verstreicht, in der Yasanes Herz immer heftiger zu stechen begann. Sie beobachtet wie Hendryk das Buch zuklappt, aufsteht und dann, zu ihrem großen Schrecken, hinauf zu ihrem Zimmer blickt. So schnell sie können, verstecken sich die beiden Mädchen unter dem Fenster. „Das war knapp. Ich habe die dumpfe Vermutung, dass er jetzt hier hoch kommen wird.“ keucht Yasane, die glaubt noch rechtzeitig in Deckung gesprungen zu sein. Tatsächlich klopft es kurz darauf an der Tür, was die Prinzessin hektisch werden lässt. Es sieht bestimmt ziemlich blöd für ihn aus, wenn sie sich hier oben im Warmen mit dem Dienstmädchen unterhält, während er unten in der Kälte friert und auf sie wartet. Alles was ihr einfällt, ist zumindest so zu tun als sei sie allein, deshalb bittet sie Ida sich zu verstecken. Dann öffnet sie die Tür und lässt Hendryk in ihr Zimmer eintreten. Er reibt die Hände aneinander, als er die wohlige Wärme des Kamins spürt und sein Gesicht ist etwas von der Kälte gerötet. Nicht verärgert, sondern besorgt fragt er: „Ist alles in Ordnung, Yasane?“ Er hat ihr Zimmer bisher noch nie betreten und lässt seinen Blick ein wenig durch den Raum schweifen. Yasane, die sonst normalerweise nichts tut, das ihrem eigenen Gewissen widerstrebt, schämt sich nun vor ihm, denn sie ärger sich und stammelt reumütig: „Ja, alles in Ordnung .“ „Das ist gut. Aber, wenn du dich nicht mehr mit mir treffen möchtest, dann gib mir doch bitte beim nächsten Mal Bescheid, oder hat dich der Bote gar nicht erreicht?“ entgegnet er gefasst. Yasane ist nicht der Typ in so einem Fall eine Notlüge zu erfinden, deshalb bleibt sie bei der Wahrheit, als sie antwortet: „Doch, das hat er..., Hen, um ehrlich zu sein habe ich das absichtlich gemacht, um zu sehen wie lange du auf mich warten würdest.“ Sie duckt sich nach ihrem Geständnis etwas weg, denn sie erwartet, dass er sie für ihr unmögliches Verhalten ausschimpft wie beim letzten Mal, doch er bleibt gefasst: „Verstehe, dann nimm jetzt deinen Mantel und komm. Deinen kindischen Test habe ich ja wohl bestanden.“ Sie sieht ihn mit großen Augen an, weil sie es kaum glauben kann. Frech grinsend fügt er hinzu: „Sag dem Dienstmädchen es kann aus seinem Versteck kommen. Ich sehe ihre Füße unter dem Vorhang herauslugen.“ Dann lacht er und geht hinaus, um vor der Tür auf sie zu warten. Davon, dass Hendryk im Normalfall eher der fürsorgliche und verständnisvolle Typ ist, hatte Yasane bis eben noch keinen Schimmer und sie fügt es den Eigenschaften bei, die sie an ihm mag. In seinen Augen war das ein harmloser Streich, den er in die Typisch–Mädchen-Schublade steckt. Er weiß was echte Sorgen sind und sowas hier hebt ihn nicht an. Endlich gemeinsam im Hof berichtet er ihr von seinen Diskrepanzen mit General Tshuras, was die, sich immer noch Vorwürfe machende Yasane, wieder aufheitert. Sie kennt den General und bezeichnet ihn als Brummbär, der immer etwas zu meckern hat. „Ich mag ihn sehr. Er will immer nur das Beste für das Königreich, auch wenn er oft etwas grummelig ist. Er hat eine kleine Tochter, weißt du. Manchmal bringt er sie mit ins Schloss. Zu mir sagt sie immer sie wolle auch mal Prinzessin werden, wenn sie groß ist, hihi. Weißt du wie süß es aussieht, wenn sich dieser große Brummbär von General liebevoll um die Kleine kümmert? Wenn er versucht dich einzuschüchtern, dann stell dir einfach vor wie er mit seiner kleinen Tochter mit Puppen spielt, denn glaub mir, das tut er!“ „Stell ich mir witzig vor. Aber du hast mich falsch verstanden, Yasane. Er schüchtert mich nicht ein. Wenn ich im Recht bin, ist mir mein Gegner egal, auch wenn er Autorität ausstrahlt.“ stellt er selbstbewusst klar, was das Mädchen beeindruckt. Sie mag seine ungestüme Art und funkelt ihn an. „Das merkt man. Sag mal, mich siehst du nicht als autoritär an, oder? Ich glaube fast du siehst in mir gar keine Prinzessin, aber was bin ich dann für dich?“ erkundigt sie sich in der Hoffnung damit die ursächliche Frage beantwortet zu bekommen. „Dich beschäftigen merkwürdige Dinge, Yasane. Was sollst du schon sein? -Eine Freundin natürlich.“ Er wundert sich über die Frage. Das Mädchen scheint wirklich gern allem und jedem auf den Grund gehen zu wollen, was er nicht wirklich nachvollziehen kann, denn seine Antwort müsste doch auch für sie im Vorfeld absolut klar gewesen sein. So hatte sich das die Prinzessin auch nicht vorgestellt, denn ihre Frage sollte ihm eine Steilvorlage bieten, um etwas nettes über sie zu sagen. Sie spürt nun genau was Ida meinte, als sie von seinem Abstand zwischen den beiden sprach. Langsam glaubt die Prinzessin daran, dass von seiner Seite her wirklich nicht mehr als eine Freundschaft vorhanden ist und eigentlich ist das auch gut so, denn sie dürfte ohnehin nichts mit ihm anfangen. Auf ihr Schweigen hin, schwenkt Hendryk das Thema zurück zum Kriegsrat. „Kannst du mir noch etwas über die anderen beiden Generäle erzählen? Ich möchte gern genauer wissen mit wem ich es da zu tun habe.“ Gerade als Yasane anfangen will zu erzählen, werden die beiden unterbrochen, denn sie wird von ihrem Vater ins Schloss gerufen. Sie entschuldigt sich freundlich bei Hendryk und gehorcht. Sie wundert sich was er ihr gerade jetzt so wichtiges mitzuteilen hat, sodass er ihre gemeinsame Zeit mit Hendryk unterbrechen muss, wo er doch vielleicht gar nicht mehr so lange da ist. Der König stellt ihr im Schloss angekommen einen jungen Prinzen vor, den sie bisher noch nicht kennengelernt hat. Verstimmt wundert sie sich aus welcher Versenkung er jetzt bitte gekrochen kommt. Der unbekannte Prinz verbeugt sich höflich und gibt an aus den nördlichen Landen zu stammen. Er wollte schon lange vorstellig werden, doch die politische Lage wäre ihm zu unsicher gewesen, was Yasane gut nachfühlen kann. Eigentlich hat sie gerade gar keinen Nerv für einen neuen Bewerber, wie sie die Prinzen nennt, mit denen ihre Eltern sie verkuppeln wollen, doch da sie im Prinzip gerade abgeblitzt ist, kann sie sich den Neuen ja auch genauer ansehen. Zugegebenermaßen ist er in ihren Augen ein recht hübscher junger Mann. Er hat typisch nordisches platinblondes Haar, das ihm etwas ins Gesicht hängt, sein Blickfeld aber nicht beeinträchtigt und kalte graue Augen. Für einen Adligen, ist er überraschend gut gebaut, was ihr sofort ins Auge sticht. Yasane stellt sich selbst vor, denn sie will direkt von Anfang an klarstellen, dass es sich bei ihr nicht um eine normale Prinzessin handelt. „Sehr erfreut, ich bin Yasane, Hobbytherapeutin und verzogene sowie gelangweilte Kronprinzessin von Yoken.“ Der junge Mann lässt sich nicht abschrecken und antwortet kühl lächelnd: „Ebenso erfreut. Ich bin Aurel, jüngster Sohn des Grafen von Norderstedt. Meine Eltern haben mich hierher geschickt, dabei verstehe ich nicht so wirklich, was sie von mir erwarten.“ Yasane nickt und versteht genau was er mein, deshalb precht mit ihren Worten hervor wie es ihre Art ist: „Ha! Das kann ich dir sagen. Sie wollen uns verkuppeln. Als ob das so einfach wäre, aber egal. Jetzt bist du hier, also lass und das Beste draus machen! Was machst du denn gern, vielleicht könnten wir damit beginnen?“ Der König hatte sich zwar ein Stück vom Gespräch entfernt, ihm aber gelauscht. Lächelnd schüttelt er den Kopf über seine ungezogene Tochter und verlässt die beiden. Seine Aufgaben für heute sind erledigt und er muss sich dringend mal etwas ausruhen. Aurel denkt unterdessen kurz nach und beantwortet die Frage der Prinzessin: „Nun, ich liebe den Sport und auch den Wettkampf, zum Beispiel Bogenschießen. Könnt Ihr Bogenschießen, Frau Hobbytherapeutin?“ Was Yasane zum Lachen bring, denn das ist genau ihr Humor. „Endlich mal jemand, der mich versteht. Nein, kann ich nicht, aber das soll nichts heißen. Bring es mir doch einfach bei!“ Er verbeugt sich elegant und entgegnet nun doch förmlich: „Sehr gerne, Prinzessin.“ Sie runzelt die Stirn und denkt danach unmittelbar an Hendryk, dessen Gegenwart sie sich an Stelle des neuen jungen Mannes ersehnt. Aber wieso sollte er nicht einfach mitmachen? Sie fordert es einfach ein: „Wir haben noch einen anderen Gast bei Hof. Es wäre toll, wenn er auch mitmachen könnte.“ „Aber klar, gerne. Wieso auch nicht?“ antwortet Aurel freundlich. „Super!“ Yasane hüpft etwas vor Freude, denn das rettet ihr den Tag. Gemeinsam mit Aurel geht sie auf den verschneiten Hof und winkt Hendryk zu sich, den sie im Anschluss vorstellt: „Das ist Hendryk.“ Die beiden jungen Männer geben sich die Hand, als sie ergänzt: „Er ist Botschafter des Stadtstaats Kalaß.“ Als Aurel das hört intensiviert er seinen Händedruck für einen Augenblick, was Hendryk bemerkt und wundert, doch er ignoriert es erst einmal. Andersherum stellt sie nun auch Aurel vor und dem jungen Kalaßer dämmert warum der Prinz ins Schloss eingeladen wurde. Nach der Bekanntmachung lässt die Prinzessin drei Bögen holen und spannen und Zielscheiben auf einer großen Wiese aufstellen, die jetzt vom Schnee vollständig weiß bedeckt ist. Da Waffen in Kalaß verboten sind, hat Hendryk nicht die geringste Erfahrung mit dem Bogenschießen und hat, ebenso wie Yasane, gerade zum ersten Mal überhaupt einen Bogen in der Hand. Er lernt ausgesprochen schnell und trifft immer öfter die Zielscheibe, wenn auch noch nicht unbedingt dort, wo er hin gezielt hat. Ganz im Gegensatz zum geübten Bogenschützen Aurel, der mit einer perfekten Körperhaltung jeden Treffer mittig landet. Als blutiger Anfänger fällt Hendryk neben ihm merklich ab und bildet einen starken Kontrast zu ihm. Yasane bewundert die Ästhetik des neuen Gastes und lässt sich von ihm zeigen so viel sie kann. Dabei stellt er sich von hinten an sie heran und führt mit ihr gemeinsam den Bogen. In dieser Position entsteht ein direkter Körperkontakt zwischen der Prinzessin und dem Aurel, was die Augenbrauen anheben lässt. Er findet, dass dieser Kerl sich nicht so anbiedern sollte und das bereits schon vom ersten Tag an. Man kann auch zeigen wie man einen Bogen spannt, ohne auf Tuchfühlung zu gehen, doch Yasane scheint es nicht zu stören. Hen bemerkt, dass sie rot geworden ist und auch wenn das von den kalten Temperaturen stammen könnte, gibt ihm die Situation zu denken. Es ist als habe er ein Déjà-vu, dabei kann es ihm eigentlich ja auch egal sein was Yasane so treibt. Er macht hier schließlich nur seine Arbeit. An den folgenden Tagen gehen sie gemeinsam reiten und üben sich im Schwertkampf. Die Prinzessin hat unglaublichen Spaß an der Sache und findet alles spannend, was ihr Aurel erzählt und beibringt. Reiten ist auch nicht gerade Hendryks Lieblingsbeschäftigung, der er nur so zum Spaß nachkommen würde und da ist es auch kein Wunder, dass der pferdeliebende Aurel auch hier besser abschneidet. Des Prinzen Anmut auf dem Pferd ist sogar so dominant, dass der kalaßer Botschafter daneben aussieht wie ein blutiger Anfänger. Naturgemäß verläuft die Schwertkampfübung nach einem ähnlichen Muster. Hendryk hat den Kampf mit einem Schwert bei der Stadtwache nur hin und wieder mit Holzstangen geübt. Meist ging es dabei um die Entwaffnung des Gegners, um den Nachteil auszugleichen. Seine Basisdisziplin ist der unbewaffnete Kampf, was ihm hier überhaupt nichts nützt. Aurel ist hingegen, wie erwartet, sehr elegant im Umgang mit dem Schwert. Yasane ist hin und weg, von ihrem kriegerischen Prinzen, was Hendryk langsam wütend macht. Im Duell ignoriert er die Regeln, wirft sein Schwert bei Seite und entwaffnet den Angeber gleich dreimal in Folge, was dieser gar nicht so lustig findet, Hendryk aber schon. Er hat einfach keine Lust mehr in Aurels Lieblingsdisziplinen gegen ihn anzutreten. Zu allem Überfluss versteht sich dieser neue Kerl sehr gut darin mit dem Humor der Prinzessin umzugehen. Er erzählt ihr Geschichten und Anekdoten, die sie zum Lachen bringen und sticht Hendryk damit auf ganzer Linie aus, was ihn langsam stutzig werden lässt. Wieso sollte ausgerechnet jetzt ein perfekter Heiratskandidat für die Prinzessin aus dem Nichts auftauchen? Er hat schon versucht Aurel nach seinem Hintergrund zu befragen, doch der junge Adlige ist glitschig wie ein Aal. Nach vier Tagen Aufenthalt fängt Hendryk Aurel nach dem Abendbrot auf dem Rückweg zu seinem Quartier ab. Er wartet vor der Tür zu Aurels Zimmer, das in einem anderen Korridor liegt als seines. Der junge Adlige kommt vom Abendbrot mit der Prinzessin zurück, an dem Hendryk nicht teilnimmt, denn er isst nicht gemeinsam mit der Königsfamilie. Aurel erkennt Hendryk schon von Weitem im Schein der Öllampe an dessen unverwechselbaren blauen Haaren. „Guten Abend Hendryk. So spät noch im Schloss unterwegs?“ grüßt er gespielt freundlich, was den junge Kalaßer bereits nervt, denn er gibt nichts auf die ihm entgegengebrachte, offensichtlich aufgesetzte Freundlichkeit. Er geht überhaupt nicht auf die rhetorische Frage ein und will unverblümt wissen: „Was willst du von Yasane?“ Aurel tut überrascht und antwortet leicht gereizt: „Ich weiß nicht was du meinst. Meine Eltern haben mich hergeschickt und ich mache das Beste daraus. Das ist alles.“ Eine schlechte Ausrede, findet Hendryk, der es weiter versucht. „Und wieso schicken sie dich erst jetzt und nicht einige Jahre zuvor? Wieso kennt dich im Schloss sonst niemand? Ist deine Familie so unbekannt?“ Aurel geht an seinem penetranten Überwacher vorbei zur Tür seines Zimmers, dabei entgegnet er arrogant: „Oh, du hast dich über mich informiert? Ich fühle mich geehrt. Aber du hast recht, meine Familie hat keinen besonders großen Einfluss, sodass wir kaum von uns reden machen und ich bin auch nur der zweite Sohn des Grafen von Norderstedt. Ich bin nicht so hochwohlgeboren wie du vielleicht denkst, aber zumindest bin ich der Oberklasse zugehörig.“ Den Hinweis auf den Klassenunterschied hätte sich Aurel auch sparen können, findet Hendryk, denn er tut rein gar nichts zur Sache. Er entgegnet frei heraus: „Ich glaube, dass du dich verstellst, um der Prinzessin zu gefallen und das wird sie früher oder später auch bemerken.“ Aurel lächelt kühl. „Ich mag sie und sie mag mich. Ich verstehe nicht, wo dein Problem liegt und ich sehe diesbezüglich auch keinerlei Handlungsspielraum für dich. Du hast mit dieser Angelegenheit rein gar nichts zu tun, Botschafter von Kalaß.“ Hendryk geht einen Schritt weiter an den etwas kleineren Aristokraten heran, baut sich vor ihm auf und droht ihm: „Ich weiß selbst, dass es mich eigentlich nichts angeht, das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich bin jedoch sehr gut darin solche Rollenbilder auszublenden, wenn ich so eine verlogene Pfeife wie dich sehe. Und Außerdem, mein liebes Kind der Oberklasse, habe ich eine sehr gute Menschenkenntnis, die dir zum Verhängnis wird. Mit dir stimmt etwas nicht, das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Mit mir machst du dir den falschen zum Feind, das kannst du mir glauben.“ Das kühle Lächeln bleibt beständig auf Aurels Lippen. „Es ist offensichtlich, dass wir wohl keine Freunde mehr werden können- wäre auch schwierig geworden, so eine Freundschaft zu einem Bürgerlichen...für mich jedenfalls. Du hast jetzt hoffentlich alles gesagt. Die Intension dieses Gesprächs erschließt sich mir nämlich nicht und deshalb würde ich mich gern zurückziehen. Ich bin doch recht müde.“ Er deutet ein Gähnen an. Aurel hat auf alles eine passende Antwort, die ihn selbst in bestes Licht rückt, auch wenn er sich herablassend verhält. Hendryk hat nichts gegen ihn in der Hand und muss das wohl so hinnehmen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinen Frust herunter zu schlucken. Am nächsten Tag treffen sich Aurel und Yasane zum gemeinsamen Mittagessen. Oft hat die Prinzessin in der Vergangenheit allein essen müssen, weil ihre Eltern anderweitig eingebunden waren und sie freut sich sehr über Gesellschaft. Sie versucht ihren Bewerber ein wenig auszuquetschen. Aurel kommt damit vom Regen in die Traufe, was er allerdings für sich auszunutzen weiß. „Hattest du schon einmal eine Freundin, Aurel?“ fragt sie ganz offen, weshalb er überrascht schaut, sein für ihn typisches Lächeln jedoch auf den Lippen behält. „Eine Freundin? Ich stamme aus einem sehr strengen Elternhaus. Selbstverständlich hatte ich noch keine. Wenn doch, dann wäre sie nicht meine Freundin, sondern meine Verlobte. Aber warum willst du das wissen?“ Yasane freut sich darüber irgendwie. Unschuld im Zusammenspiel mit Sportlichkeit fand sie schon immer sehr anziehend. „Ach, nur so. Und wie ist es bei deinen älteren Geschwistern?“ antwortet sie ausweichend. „Mein älterer Bruder Sandor und meine ältere Schwester Rendina sind beide bereits verheiratet. Ich bin der Nachzügler in der Familie. Zu meiner Schwester habe ich acht Jahre unterschied. Nun, ich glaube man erwartet von mir langsam, dass ich mich auch verlobe, deshalb bin ich wohl auch hier. Oh, es tut mir leid das so vor dir gesagt zu haben.“ erklärt er, was Yasane zum Kichern bringt. „Ich sagte dir schon am ersten Tag, dass es deinen Eltern bei deinem Besuch wohl darum ging.“ „Das ist mir ziemlich unangenehm.“ entgegnet Aurel verlegen. „Das muss es nicht. Ich bin das schon gewohnt.“ Yasane legt ihr Besteck weg. „Offen gestanden ist es das erste Mal, dass ich einen Bewerber in Betracht ziehe. Überrumple ich dich damit?“ Der junge Aristokrat hört ebenfalls auf zu Essen, legt sein Besteck an und rutscht ein Stück nach hinten, um sich Yasane zuwenden zu können. „Ich- ich bin überrascht und auch ein wenig beschämt. Es muss auf dich doch so wirken, als ob ich das so geplant hätte. Des Weiteren hätte ich nie erwartet, dass eine solch schöne und kluge Frau wie du es bist, Interesse an mir zeigen könnte.“ Yasane fühlt sich geschmeichelt. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Aurel! Es hat sich eben so ergeben. Das muss dich nicht beschämen. Ich würde sagen wir schauen einfach wie sich die Sache entwickelt, in Ordnung?“ Aurel nickt lächelnd. Yasane nimmt ihr Besteck wieder in die Hände und die beiden führen ihr gemeinsames Mittagessen wie gehabt mit weniger schwerwiegenden Gesprächsthemen fort. Nach weiteren zwei Tagen klopft Yasane abends aufgeregt an Hendryks Zimmertür. Draußen ist es schon dunkel und der kalte Winter hat das Schloss ziemlich ausgekühlt, weshalb es in den unbeheizten Räumen recht kalt geworden ist. Er bittet sie herein und sie stürmt frierend eilig in den beheizten Raum. Dann beginnt sie aufgeregt los zu plappern: „Hen, stell dir vor was Aurel getan hat. Er hat bei meinen Eltern um meine Hand angehalten und sie haben nichts dagegen, jetzt muss nur noch ich zustimmen. Ist das nicht toll?“ Er setzt sich auf einen der rotgepolsterten Stühle, die er an einem Kirschbaumtisch stehen hat und sieht sie entgeistert an. „Yasane, mal ganz ehrlich. Geht dir das nicht ein bisschen zu schnell? Also mir kommt dieser angebliche Prinz ziemlich merkwürdig vor.“ Yasane geht hockt sich direkt vor ihn, um ihn besser ansehen zu können. „Ach Hen, jetzt bist du ja doch auf ihn eifersüchtig. Ich fühle mich geschmeichelt und es macht mich ehrlich gesagt auch ein wenig glücklich, denn… du musst doch schon gemerkt haben, dass ich eine Schwäche für dich habe.“ Sie hebt ihre Hand und berührt ihn mit ihren Fingern sanft an der Wange. Das ist die erste intime Berührung der beiden überhaupt und sie wundert sich jetzt darüber, dass es so einfach war und er sich kein bisschen dagegen gewehrt hat. Mit sanfter Stimme fügt sie hinzu: „Aber für eine Prinzessin reicht das nun mal nicht. Ich kann keinen Bürgerlichen heiraten, sonst verliere ich das Anrecht auf den Thron und ich bin doch ein Einzelkind. Das kann ich meinen Eltern nicht antun.“ Hendryks Blick ist ausdruckslos. Er schüttelt leicht den Kopf, deshalb nimmt sie ihre Hand wieder von ihm weg. „Nein Yasane, darum geht es nicht... Mir ist es schon vom ersten Tag an aufgefallen. Er verhält sich verdächtig, er schaut sich häufig um, er schleicht nachts durchs Schloss, er ist in so vielen kämpferischen Disziplinen gut, eigentlich zu gut. Macht dir das keine Sorgen? Immer wieder höre ich du seist die große Analytikerin. Na dann analysiere ihn doch mal!“ Das Mädchen wird dadurch schon etwas nachdenklich und Hendryk versucht weiter sie zu überzeugen. „Ich würde vorschlagen, du reist erstmal zu seinen Eltern und schaust dir sein Leben an, befragst seine Freunde und seine Familie. Was macht es schon, wenn er noch ein paar Monate wartet. Ich bitte dich, Yasane, überstürze nichts.“ Erst jetzt reißt Yasane die Augen auf und ruft aufgeregt: „Oje, du hast recht. Wenn er wirklich der Richtige ist, dann wird ihm das gar nichts ausmachen. Ich therapiere andere und bei mir selbst versage ich. Ich danke dir, lieber Hen.“ Sie gibt ihm als Abschied ihren ersten und, wie sie glaubt, zugleich letzten Kuss auf die Wange und flüstert danach: „Ich wünschte wirklich, du hättest einen Adelsstand und sei er noch so niedrig. Dann könnte ich mir das alles sparen.“ und macht sich daraufhin auf den Weg zu Aurel, um ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Hendryk ist froh, dass er endlich bis zu ihr vordringen und Schlimmeres wohl gerade noch verhindern konnte. Er atmet erleichtert durch. Aufgewühlt von all diesen Neuigkeiten läuft Yasane durch das Schloss auf der Suche nach Aurel, doch er ist nicht in seinem Zimmer. Auf der Suche nach ihm, geht sie zum Aufenthaltsraum ihrer Eltern, wo sie schon von ihm empfangen wird, aber nicht so wie sie es erwarten würde. Er hat einen traurigen Blick, den sie vorher noch nie bei ihm gesehen hat. Als sie näher tritt, erkennt sie Tränen in seinen Augen und er sagt mit zittriger Stimmt: „Yasane? Yasane, es ist schrecklich.“ Sie ist geschockt von seinem unerwarteten Erscheinungsbild. „W-Was ist denn los, Aurel? Du bist ja ganz aufgelöst.“ „Deine, deine Eltern, ich habe nach ihnen gesucht und dann habe ich sie gefunden...s...sie liegen da und reagieren überhaupt nicht. Sie bewegen sich nicht mehr. Ich weiß nicht was mit ihnen los ist. Sie liegen auf dem Boden vor ihren Sesseln. Irgendetwas stimmt nicht.“ stottert er. Yasane will sofort los laufen und zu ihnen zu gehen, denn wie von Aurel beschrieben, liegen die beiden vor ihren Sesseln, die vor einem lodernden Kamin stehen. Der Prinz versucht sie davon abzuhalten, doch sie kann sich losreißen. Sie läuft zu den beiden, die in einer unnatürlich verkrümmten Haltung auf dem Boden liegen. Geschockt beginnt die Prinzessin ihren Vater zu schütteln, der ihr ein schauriges Bild liefert. Wie in Trance ruft sie um Hilfe, doch niemand erscheint und auch sonst ist das Schloss verdächtig leer. Das ist ihr vorher gar nicht aufgefallen. Mit aufgerissenen Augen, aus denen Tränen laufen, hockt sie vor den Körpern ihrer Eltern. Sie weiß überhaupt nicht was hier los ist, denn das kann nur ein schlechter Traum sein. Aurel geht zu ihr, hilft ihr hoch und holt sie wieder ein Stück weg von dem schlimmen Anblick. Hendryk hat als einziger ihren Hilferuf vernommen und ist sofort losgestürmt. Er findet eine völlig in Tränen aufgelöste Yasane vor, die von Aurel von hinten an den Schultern festgehalten und zurückgetrieben wird. „Was ist los, Yasane?“ ruft der Kalaßer und sie deutet mit der Hand auf ihre Eltern, weshalb Hendryk geschockt in sich zusammenfährt. Auch er geht direkt zu ihnen, kann aber auch nur noch ihren Tod feststellen. Das verzweifelte Mädchen will sich aus Aurels Griff befreien, doch sie schafft es nicht und ruft verbittert: „Aurel, du tust mir weh!“ Hendryk erhebt sich von den Leichen, schaut düster zu Aurel und geht langsam auf ihn zu. „Was für ein Zufall, dass ausgerechnet du sie zuerst gefunden hast, was Aurel, wenn das überhaupt dein Name ist?“ Dieser antwortet gefasst, ganz so, als ob er sich die Antwort vorher schon zurechtgelegt hätte. „Eigentlich wollte ich ihre Eltern fragen, ob sie schon wissen was Yasane über meinen Antrag denkt. Da lagen sie schon so da.“ Hendryk wird wütend, denn diese Ausrede ist mehr als dürftig. „Und wieso bist du dann nicht direkt zu Yasane gegangen? Und wo sind überhaupt die Wachen und Bediensteten?“ Jetzt wirkt auch Aurel nicht mehr ganz so gefasst. „Das weiß ich ni-“ Hendryk unterbricht ihn. „Hör endlich auf mit der ständigen Lügerei!“ Yasane, die noch immer von hinten von Aurel festgehalten wird, ist geschockt, denn sie versteht es jetzt erst. „Oh mein Gott, du warst es? Du hast sie umgebracht? Aber was bringt dir das? Ich habe der Vermählung doch noch gar nicht zugestimmt.“ Sie versucht sich erneut erfolglos loszureißen und Aurels Gesichtsausdruck verändert sich drastisch. Er setzt ein düsteres und belustigtes Lächeln auf, dann fängt er lauthals an zu lachen, das überhaupt nicht zu seiner Persönlichkeit zu passen scheint. „Hahaha, du dummes Ding! In welcher Welt braucht man denn die Zustimmung der Prinzessin? Ich habe eine von König und Königin ratifizierte Heiratsurkunde und jetzt sind sie tot. Das macht wohl mich zum rechtmäßigen Thronerben und damit auch König von Yoken.“ Yasane gibt sich nach wie vor alle Mühe sich aus Aurels als Griff zu befreien, doch er krallt sich so aggressiv an ihr fest, dass sie Hämatome bekommt. „Ich werde dich niemals heiraten!“ brüllt sie. Aurel lehnt sich über ihre Schulter zu ihr. Er hat nach wie vor ein belustigtes Lächeln aufgesetzt. „Keine Sorge, meine Süße, du wirst mit mir nicht vor den Altar treten müssen. Ich brauche diese Urkunde nur noch von einem Priester beglaubigen zu lassen und schon sind wir verheiratet. So einfach geht das heutzutage. Du kannst dich glücklich schätzen, denn ein gackerndes Huhn wie du würde sowieso niemals einen anderen Ehemann finden.“ Hendryk reicht es jetzt. Er hat genug gehört und geht auf Aurel los. Dieser stößt Yasane nun endlich von sich weg, weicht zurück und zückt einen Dolch. „Wieso hast ausgerechnet du das Wasser nicht getrunken, verdammt? Dich auf diese Art zu töten macht mir so viel Mühe.“ brüllt er und beginnt ihn zu attackieren. Hendryk hat Schwierigkeiten im Kampf gegen den geschickten Aurel, der bei den Trainingsschwertkämpfen offensichtlich nicht alles gezeigt hat, was er wirklich drauf hat. Seine Dolchhiebe sind unglaublich präzise und das macht sie so gefährlich. Er erwischt Hendryk am Arm, dann im Gesicht, dabei hatte der kalaßer Botschafter noch Glück und konnte gerade so ausweichen. Der Dolch erwischte ihn zwar eher unbedenklich an Augenbraue und Stirn, doch das warme sickernde Blut beeinträchtigt Hendryks Sicht. Er gerät immer stärker in Bedrängnis und taumelt zurück. Die Prinzessin merkt, dass sie eingreifen muss, sonst wird auch Hendryk von ihrem machthungrigen Verlobten getötet. Sie nimmt sich einen Schürhaken neben dem Kamin weg und schlägt damit so sehr auf Aurel ein wie sie kann. Um sich gegen sie zu wehren, lässt er seine Deckung fallen, was Hendryk sofort auszunutzen weiß, um ihn zu entwaffnen. Er nimmt den Dolch an sich, dreht ihn um und stößt ihn mit aller Kraft in Aurels Brustkorb. Ohne jede Chance auf ein letztes Wort, sackt der Königsmörder in sich zusammen. Ohne Yasanes Hilfe hätte Hendryk diesen Kampf verloren, soviel ist sicher. Er taumelt und Yasane stützt ihn geistesgegenwärtig ab. Sie reißt sich ein Stück von ihrem Kleid ab, um seine Wunde am Auge etwas zu säubern. Noch immer völlig voller Adrenalin und außer Atem sagt er zu ihr: „Wir haben jetzt keine Zeit uns um zu meine Verletzungen zu kümmern. Aurel sagte er habe das Wasser vergiftet. Wir müssen alle warnen. Niemand darf mehr das Wasser trinken!“ Hendryk nimmt rasch die Urkunde, die auf dem Tisch liegt und wirft sie in den glimmenden Kamin. Danach laufen die beiden getrennt herum, um möglichst viele vor dem Wasser zu warnen. Die Prinzessin findet einige Leichen in der Küche, aber zum Glück auch einige Überlebende. Hendryk sucht nach Soldaten, aber er stellt fest, dass das Schloss an diesem Tag unterbesetzt war. Aurel musste sogar die Dienstpläne manipuliert haben. Etwa zwei Drittel des Hofstaats hat bereits von dem Wasser getrunken und ist nicht mehr zu retten. Zum Glück war kaum jemand anwesend. Alle restlichen Überlebenden finden sich zu einer Krisensitzung im Versammlungssaal ein. Es ist mittlerweile schon mitten in der Nacht, doch niemand denkt an Schlaf. Yasane erklärt, dass sie bereit ist das Land mithilfe ihrer überlebenden Berater zu führen. Sie erhofft sich die Unterstützung jedes einzelnen Überlebenden und der Hofstaat steht tatsächlich hinter ihr. Die Tragödie lässt alle weiter zusammenrutschen. Unklar bleibt weiterhin, woher Aurel eigentlich stammte und wer ihn beauftragt hat. Hendryk ärgert sich deshalb, dass er ihm einen tödlichen Stoß versetzt hat. Er hätte gern noch ein paar Informationen von ihm bezogen. Andererseits war die Situation wahrscheinlich nur auf diese Art unter Kontrolle zu bringen. In Yoken herrscht nun Ausnahmezustand. Yasane hat nicht viel Zeit um zu trauern und verdrängt den Schmerz so gut sie kann. Sie muss schließlich mit dem Rest ihrer Berater ein Land regieren. Dabei hat sie ihr Vater bisher in die Regierungsgeschäfte noch gar nicht eingebunden, was ihr den Einstieg deutlich erschwert. Hendryk unterstützt sie wo er nur kann. Sie bezieht ihn in alles mit ein und erhebt ihn ebenfalls zu einen ihrer persönlichen Berater. Yoken darf jetzt nicht an Macht verlieren. Das wissen alle Beteiligten. Kapitel 18: Das Leben in Kalaß ------------------------------ Als Kara und Nico wieder in Kalaß ankommen, werden sie freudig begrüßt. Die freien Wahlen haben inzwischen stattgefunden. Nico ist tatsächlich zum Ratsvorsitzenden gewählt worden, so wie Farsa Gena es vorausgesagt hat. Er muss zugeben, dass er nach wie vor nicht ganz versteht wie er das in seiner Abwesenheit schaffen konnte. Farsa Gena meint es läge an seinen heldenhaften Taten in Kombination mit seinem außerordentlichen Charisma. Ebenso wie Hendryk vermutet sie, dass seine Abwesenheit nur seinem Tatendrang Ausdruck verliehen habe. Nico Dugar ist ein Mann, der Menschen das Gefühl von Zuversicht gibt, der mit Ruhe und Gelassenheit den Durchblick in einer schwierigen Lage behalten kann und entsprechend handlungsfähig bleibt. Er wirkt vertrauenswürdig und vereint das Volk von Kalaß damit hinter sich. Etwas überrumpelt nimmt er die Wahl an. Als Ratsvorsitzender wird ihm eine Villa zur Verfügung gestellt, die sich in der Nähe des Rathauses befindet. Das ist im völlig verbauten Kalaß ein absolutes Privileg, denn das Haus ist mehr als doppelt so groß wie die anderen. Auf Nachfrage wieso ein Haus wie dieses frei sei, antwortet Farsa Gena ausweichend. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass sie es vor kurzem erst geräumt hat, um ihm Platz zu machen. Das versucht sie jedoch vor dem jungen Paar zu verschweigen, aus Angst sie würden den Einzug daraufhin ablehnen. Zumindest was Kara angeht würde sie damit wahrscheinlich auch Recht behalten. Von außen ist die Villa reich mit Pfauenfelder-Ornamenten verziert. Im Inneren sind viele Räume holzvertäfelt und mit Stuck geschmückt. Die ungewöhnlich großen prunkvollen Räume lassen sich jeden Kalaßer in Demut üben. Nico zieht, als neues Stadtoberhaupt, bereits nach einer Woche gemeinsam mit Kara in die Villa ein. Für den Umzug erhalten sie jede Menge Hilfe. Eine wilde Ehe zu führen ist in Kalaß indes nichts ungewöhnliches oder verwerfliches und es stört sich niemand daran. Als frisch ernannter Ratsvorsitzender hat Nico sehr viel aufzuarbeiten und nur wenig Zeit für seine zurückgewonnene Liebe. Er muss alte Verträge sichten, die aktuelle Rechtsprechung, Gesetze und Wirtschaftsnormen verinnerlichen und die gesellschaftlichen Stände und deren Vertreter besser kennen lernen, die er nach und nach besucht. Kara unterstützt ihn so gut sie kann. Sie sortiert mit ihm gemeinsam Unterlagen, geht diese mit ihm durch oder arbeitet sie ihm zu. Im Prinzip fungiert sie als Sekretärin des Ratsvorsitzenden. Unterdessen hat sie aber trotzdem ihre Ausbildung zur Ärztin wieder aufgenommen, was sie alles in allem ziemlich auslastet. Sie arbeitet oft bis zur völligen Erschöpfung bis tief in die Nacht hinein, doch trotzdem ist niemals auch nur der Ansatz einer Beschwerde von der jungen Frau zu vernehmen. Das größte Problem an ihren neuen und auslastenden Verpflichtungen ist der Mangel an Zeit sich gegenseitig richtig kennen zu lernen. Wirklich näher sind sie sich nämlich noch nicht gekommen. Das ist auch der Grund warum Kara darauf besteht, in getrennten Zimmern zu schlafen. Es beruhigt sie zu wissen, dass sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren kann, ganz zum Leidwesen ihres Liebsten. Nico wartet vergebens auf ein Zeichen von Kara, dass sie bereit wäre sich ihm wieder zu öffnen. Bisher haben sie es noch nicht einmal geschafft die Vergangenheit aufzuarbeiten und über Nicos Gefangenschaft bei Königin Estell zu sprechen. Sie unterhalten sich allgemein so gut wie gar nicht über ihre Beziehung und leben einfach nebeneinander her. Sie sind jetzt seit drei Wochen zurück aus Yoken und so langsam beginnen sie sich in ihrem neuen Heim einzuleben. Nico hat als Ratsvorsitzender seine erste offizielle Sitzung des Stadtrates von Kalaß einberufen. Der Rat setzt sich nach wie vor aus den acht vorhandenen und in sich sehr gut strukturierten Ständen zusammen. Jeder Stand erhält, je nach Anzahl seiner Mitglieder, zwei bis drei Volksvertreter. Da das Handwerk bereits zu Zeiten des Ältestenrates aus zwei statt nur einem Vertreter bestand, erhält es auch dieses Mal mit fünf Vertretern die meisten Sitze. Das ist auch fair, denn in der Kalaßer Bevölkerung ist der Stand der Handwerker fast doppelt so stark vertreten wie die anderen. Die Mitglieder des Rates sind altersspezifisch gestaffelt. Zwei bis drei Vertreter werden für jeden Stand einberufen. Wird der Stand von zwei Leuten vertreten, so wird einer davon von den 16 bis 35-jährigen und einer von den Standesangehörigen über fünfundreißig gewählt. Gibt es drei Mitglieder, so wird eines gewählt von den 16-25-jährigen, eines von den 26-45-jährigen und eines von den älteren Bürgern dieses Standes. Somit entsteht ein Stadtrat mit dreiundzwanzig ständigen Mitgliedern plus einem unparteiischen Ratsvorsitzenden. Der neue Rat ist damit deutlich größer als der Ältestenrat, der mit nur neun Vertretern geführt wurde. Alle vierundzwanzig geladenen Stadtvertreter versammeln sich im großen Ratssaal des Kalaßer Rathauses. In seiner Funktion als Vorstand begrüßt Nico den neuen Rat, gibt jedem die Gelegenheit sich vorzustellen und bittet alle darum bis zur nächsten großen Versammlung Listen mit Verbesserungsvorschlägen und Hinweisen vorzubereiten. Heute möchte er bereits ein heikles politisches Thema ansprechen, das aus seiner Sicht grundlegend für alle folgenden Entscheidungen sein wird. Es geht um die alten Verträge, an welche sich Kalaß bisher nach wie vor gebunden gefühlt hat. „Ich bitte um Ihre Gedanken zum Thema Tarbasser Verträge. Wie stehen Sie zur Fortführung des Pazifismus? Wie zum Verbot des Adels und der Monarchie? Die Verträge wurden gebrochen. Wollen wir uns dennoch weiter daran orientieren?“ Der Ratssaal wird unruhig und die erste Wortmeldung kommt von Julius, einem jungen Kunsthandwerker. Er steht auf um zu sprechen. „So wie ich das sehe, haben das Verbot von Waffen und die Abschaffung der Klassengesellschaft dazu geführt, dass es nahezu keine Kriminalität mehr in Kalaß gibt. Deshalb halte ich es für eine gute Sache diese Punkte beizubehalten.“ Nico nickt zustimmend. „Sieht der Rest des Rates das ähnlich?“ Er bekommt im allgemeinen positive Rückmeldungen auf seine Frage. „Wie steht es um die Monarchie? Gefällt Ihnen die vertragskonforme Regierungsform, die wir aktuell einsetzen, oder wünschen Sie sich einen eigenen König zurück?“ Wieder wird es unruhig, doch diesmal mehr als zuvor, bis Zondora, älteste und wieder gewählte Vertreterinnen des Bauernstandes das Wort erhebt. „Ich für meinen Teil bin mir darüber selbst nicht ganz im Klaren. Mir gefällt dieser neue Rat, doch ich habe außenpolitische Bedenken. Ein König würde nach außen sicherlich viel mehr Gehör finden, als ein Ratsvorsitzender. Unser Stadtstaat wird im Ausland einfach nicht ernst genug genommen.“ Der Ratsvorsitzende fragt weiter: „Was sagen die anderen dazu?“ Erneut bricht Unruhe aus. Nico hat nicht vor diese zu unterbrechen, er hält die regen Diskussionen seiner Ratsmitglieder für hoch produktiv. Ein junger Händler ruft dazwischen: „Wenn wir schon einen König haben sollen, dann kommt nur unser Ratsvorsitzender in Frage.“ Aus der Masse antwortet es laut: „Willst du unsere neugewonnene Demokratie wegwerfen?“ Nico schaut sich die Diskussion eine ganze Weile an, doch nach zwanzig Minuten unterbricht er. „Ich schlage vor wir hören uns ab morgen die Meinung jedes Einzelnen an und machen danach eine offene Abstimmung. Wir müssen zunächst diese Grundlagen klären, bevor wir in die Detailabsprachen übergehen.“ Es wird still. Erneut gibt es allgemeine Zustimmung, die fließend in rege Diskussionen übergeht. Nico schließt die Sitzung wieder, denn ihm bleibt gerade auch nichts anderes übrig. Die Debatten reißen nicht ab, bis es dunkel wird und er seine Ratsmitglieder nach Hause schickt. Ziemlich geschafft geht auch er nach Hause. Diese erste Ratsversammlung war sehr anstrengend und völlig chaotisch. Er wird nach und nach ein wenig mehr Disziplin in seine neue Stadtführung bringen müssen. Zuhause angekommen sucht er nach Kara und findet sie allein in ihrem Arbeitszimmer an ihrem Schreibtisch sitzend Literatur über die menschliche Psychologie durchgehen. Als Lichtquelle nutzt sie nur eine einfache Kerze. So wie er, sieht sie ziemlich erschöpft aus. Der junge Mann stellt sich hinter ihren Stuhl. Er bittet sie es für heute gut sein zu lassen. „Es reicht, Kara. Geh ins Bett!“ Sie senkt ihren Kopf. Er nimmt eine ihrer Haarsträhnen in die Hand und lässt die zwischen seinen Fingern hin und her gleiten. Erst nach einer Weile fragt sie interessiert: „Wie war deine erste Sitzung?“ Er lächelt, denn er möchte sie nicht zu sehr beunruhigen und untertreibt: „Etwas chaotisch, aber das bekomme ich schon noch in den Griff. Alle sind ziemlich motiviert bei der Sache.“ Nach einer kurzen Pause haucht sie flüsternd: „Nico..., es gibt da etwas, das ich dich fragen möchte.“ Ihre Stimme klingt bedrückt. Er geht um ihren Stuhl herum und lehnt sich an den Schreibtisch. Er sieht sie auffordernd an. Sie hingegen meidet seinen Blick und spielt nervös mit einigen Buchseiten. „Es fällt mir wirklich schwer dich das zu fragen...also...das zwischen Estell und dir,... war das einvernehmlich, oder hat sie dich vielleicht... gezwungen?“ Er setzt seine Hand an ihren Haaransatz, nimmt sanft eine ihrer roten Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger und gleitet daran über die komplette Länge ihres Haares hinab. Sein Blick ist sanft und nimmt etwas melancholisches an. „Weißt du das denn nicht selbst?“ Sie lässt ihren Kopf noch etwas sinken. Mit trauriger Stimme fügt er hinzu: „Wenn ich sie gewollt hätte, dann hätte ich doch bereits davor unzählige Möglichkeiten dazu gehabt.“ Karas Blick verschwimmt, denn es beginnen sich Tränen in ihren müden Augen zu sammeln. Sie holt Luft, um etwas zu sagen, bemerkt jedoch, dass es sich eher wie ein Schluchzen anhört, was ihr sehr unangenehm ist, weil sie damit spätestens jetzt verrät, dass sie begonnen hat zu weinen. Trotzdem strengt sie sich an zu sagen was sie wollte. „Was ich getan habe, ist unverzeihlich. In diesen Büchern steht es Schwarz auf Weiß! Das Schlimmste, das ich dir in deiner Situation antun konnte, war mich von dir abzuwenden. Ich als Ärztin muss das doch eigentlich wissen. Sogar besser als jeder andere!“ Sie holt tief Luft, dieses Mal sogar ohne dabei zu Schluchzen. „Es tut mir so leid, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu begreifen.“ Sie erhebt sich von ihrem Stuhl und umarmt ihn. Die Anspannung weicht aus seinem Körper, denn endlich hat sie ihm verziehen und zwar diesmal wirklich. Die beiden umarmen sich noch eine Weile, dann bittet Nico seine Liebste erneut: „Jetzt geh ins Bett, Kara! Morgen ist auch wieder ein anstrengender Tag.“ Sie wischt sich die Tränen aus ihrem leicht gerötetem Gesicht, dann deutet sie ein Nicken an und die beiden gehen getrennt schlafen. Am nächsten Tag klopft es im Rathaus von Kalaß an Nicos großer breiter Flügeltür, die zu seinem geräumigen Büro führt. Er arbeitet gerade an einer, wie er findet, grandiosen Idee, die Bevölkerung über die Geschehnisse im Stadtrat zu informieren. Er möchte eine gut verständliche Mitschrift der Sitzungen in Form einer Kurzzusammenfassung kostenlos an alle Bürger der Stadt verteilen. Er erhofft sich dadurch wachsendes Interesse für die Politik und mehr Nähe zueinander. Dabei soll sich das Blatt aber grundlegend von den Propagandaschriften der Besatzung abheben und keine wertende Meinung verbreiten, sondern nur Fakten enthalten. Den Vorschlag will er beim nächsten oder übernächsten Rat verkünden und in die Obhut der Gilde der Gelehrten übergeben. Die Grundidee davon stammte von Kara, die sich beklagte anders über die Geschehnisse im Rat informiert werden zu wollen, als immer persönlich anwesend sein zu müssen. Nico ist aufgrund seiner Idee in Hochstimmung. Als er das Klopfen hört ruft er ein freundliches, fast schön fröhliches: „Immer herein!“ Er staunt nicht schlecht, als er die junge Frau erkennt, die gerade sein Büro betritt. Es ist Ikky, die junge Arzthelferin und ehemalige Freundin von Kara. Sie ist schlicht und funktional gekleidet und trägt ihre weißen langen Haare zu einem Zopf gebunden. Er vermutet, dass sie gerade auf dem Weg von oder zu ihrer Arbeit ist. Er steht auf, um sie zu begrüßen. Etwas schüchtern kommt sie in kleinen Schritten auf ihn zu. Er hat gerade zu gute Laune, um sie sich von dieser jungen Frau verhageln zu lassen. Besonders erfreut sie zu sehen, ist er aber trotzdem nicht. Mit offenen Worten empfängt er sie: „Willkommen. Du bist Ikky, nicht wahr? Ich muss zugeben, dass ich von deinem Besuch ein wenig überrascht bin, aber setz dich erst mal und sag mir welches Anliegen dich zu mir führt!“ Sie setzt sich ihm gegenüber und er nimmt ebenfalls wieder Platz. Sie mustert ihn und erkennt an seinem Handgelenk ein Lederriemchen mit einem Muschelanhänger wieder, den Kara früher manchmal als Kette getragen hat. Das stimmt sie zuversichtlich hier gerade das Richtige zu tun. Zum ersten Mal schaut sie ihm direkt in die Augen. „Herr Ratsvorsitzender, ich bin hier um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Ich habe Ihnen Unrecht getan.“ Nico lächelt befriedet. Einer seiner Widersacher entschuldigt sich und das gefällt ihm. „Bitte nenn mich einfach Nico.“ Ikky schüttelt den Kopf. „Nein, das wäre nicht richtig, wirklich nicht. Wissen Sie, ich war eine Ihrer größten Gegner. Ich habe mit allen Mitteln dafür gekämpft, dass Sie nie wieder aus dem Kerker herauskommen. Ich habe zum Beispiel rumerzählt ich hätte Soldaten dabei belauscht wie sie sich darüber unterhalten hätten ihren Hauptmann erfolgreich in den Untergrund geschmuggelt zu haben. Meine Lügen haben nicht genug Gehör gefunden und das ist auch gut so. Ehrlich gesagt erwarte ich nicht, dass Sie meine Entschuldigung annehmen. Ich glaube ich bin einfach nur hier, um, naja so etwas wie zu Beichten und mein eigenes Gewissen zu beruhigen.“ Nicos Gesichtsausdruck hat sich nun doch in einen ernsten verwandelt. Ein solches Geständnis hätte er nicht erwartet und gewusst hat er vom Ausmaß ihrer destruktiven Arbeit schon gar nichts. Wie Hendryk es ihm schon einmal erklärte, war ihm Ikky wahrlich nicht wohlgesonnen gewesen. Nichtsdestotrotz will er sich davon nicht herunterziehen lassen und entgegnet: „Natürlich erschüttert es mich, das zu hören. Es ist sehr mutig von dir hierher zu kommen und mir das zu sagen. Ich hoffe die Wahrheit hat dich befreit und du kannst mit offenen Herzen in deine Zukunft blicken.“ Ikky schaut ein wenig ungläubig. Um ehrlich zu sein ist Nico über seine Großzügigkeit selbst ein bisschen erstaunt. „Wollen Sie keine Anklage erheben?“ fragt sie ungläubig. Nico lächelt wohlwollend. „Dazu sehe ich keinen Grund, nein. Zu lügen mag falsch sein, aber ein Grund für eine Anklage ist das nicht.“ Sie reagiert vorlaut: „Doch ist es, ich habe es nachgeschlagen. Die Mitglieder des Ältestenrats vorsätzlich anzulügen, ist laut Paragraf einhundertvierunddreißig des Sanktionsreglements unter Strafe gestellt.“ Nico lächelt entschlossen. „Dann weißt du mehr als ich. Diese ganzen alten Regeln und Gesetze werde ich gemeinsam mit dem Stadtrat überarbeiten müssen. Im Moment gibt es jedoch wichtigeres zu tun. Geh nach Hause, Ikky und lebe mit deiner Schuld! Ich werde dich jedenfalls nicht belangen.“ Verdutzt entgegnet sie: „Wie Sie meinen, Herr Ratsvorsitzender.“ steht auf und verlässt den Raum nach einer kurzen Verabschiedung. Damit, dass ihre Schuld ungesühnt bleibt, muss sie erst einmal umgehen lernen. Sie ist der Überzeugung, dass einer Aktion eine angemessene Reaktion zu folgen hat. Das ist ja auch der Grund warum sie den Ratsvorsitzenden heute aufsuchen musste. Es entspricht einfach ihren Prinzipien. Da sie seine Reaktion für nicht angemessen hält, muss sie ihr eigenes Weltbild überdenken. Bisher hat ihr noch niemals jemand einen Fehler verziehen. Auch von Kara erfuhr sie keine Nachsicht, wenn sie als Helferin vergessen hatte ein Medikament vorzubereiten. Kara war immer nur auf das Wohl der Patienten fixiert, nicht aber auf das ihrer Assistenten. Damit kam Ikky jedoch besser zurecht, als mit der unangemessenen Großzügigkeit von Nico Dugar. Zwei Wochen vergehen, bis die Gespräche im Stadtrat zu den Grundlagen endlich beendet sind. Im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass die aktuelle Regierung in Form eines Stadtrates beibehalten wird. Der unterschwellige Wunsch der Ratsmitglieder nach einem eigenen König bleibt in deren Köpfen jedoch erhalten. Nico empfindet diese zwei Wochen nicht als verschwendet. Es ist ihm wichtig, dass alle eine gemeinsame Basis bilden und sich über diese absolut einig sind. Er konnte außerdem seine Idee zur Verteilung eines Informationsblatts an die Bürger von Kalaß durchsetzen. Er hat ein paar Zweifler im Rat, die seine ruhige Herangehensweise als zu wenig zielführend und zeitverschwenderisch einstufen, das hat jedoch bisher nicht zu Problem geführt, da auch diesen Bedenken genügend Gehör verschafft wird. Nico führt Einzelgespräche mit all jenen, die besonders große Zweifel hegen, um von ihnen zu lernen und sie zu Beruhigen. Er versucht all das umzusetzen, was er sich selbst von einem guten Ratsvorsitzenden wünschen würde. Sein Anspruch an sich selbst ist ziemlich hoch. Inzwischen sind die ersten Truppen yokenischer Soldaten in Kalaß eingetroffen, die ein Lager vor der Stadt errichtet haben. Der Stadtrat begrüßt die Unterstützung Yokens sehr und die Ratsmitglieder wissen, dass sie diese nur Nico Dugar und seiner Reise nach Deskend zu verdanken haben, denn davor gab es, außerhalb von Handelsbeziehungen, keinen Kontakt zu diesem Königreich. Wie Nico es sich vorgenommen hat, bekommt er langsam eine Ordnung in die zur Zeit noch täglichen Ratssitzungen, die dadurch auch nicht mehr ganz so zermürbend sind. Er ist mit sich zufrieden. Nun muss er nur noch das angespannte Verhältnis zu Roshea glätten. Wie er das anstellen soll, weiß er allerdings noch nicht. Sein Verhältnis zu König Riecard ist nicht das schlechteste. Vielleicht, so hofft er, kann er an diesem Punkt anknüpfen. In einer anderen Sache ist er hingegen überhaupt nicht vorangekommen. Er hat es immer noch nicht geschafft sich Kara etwas stärker anzunähern. Wie kann er im Beruflichen so viel Erfolg haben und gleichzeitig privat so versagen? Nico weiß mittlerweile auch nicht mehr woran es noch liegen könnte. In der wenigen Zeit, die er mit Kara hat, zeigt er ihr durch zärtliche Gesten seine Zuneigung. Wenn er beginnt, steigt sie oft darauf ein, doch sie hat noch niemals die Initiative ergriffen. Er glaubt, dass Kara eine Frau ist, die erobert werden möchte. Das hat schon mehrmals zu kleineren Fortschritten geführt. Intensivere Annäherungsversuche weist sie jedoch scheu zurück. Er findet Kara überaus sinnlich und hat sie nicht ohne Grund als seine Partnerin erwählt. Es ist ja nicht gerade so, als hätte er keine anderen Möglichkeiten, ganz im Gegenteil, deshalb hat er nun von diesem Katz-und-Maus-Spiel genug. Seine Geduld neigt sich so langsam dem Ende, weshalb er beschließt einfach noch etwas offensiver vorzugehen. Er ist selbstbewusst genug, um ihre Zurückweisungen nicht persönlich zu nehmen. Er nimmt sich vor, sie konkret darauf anzusprechen und sie noch etwas stärker zu bedrängen als sonst, wenn das nichts nützt, um endlich eine Reaktion bei ihr zu provozieren. Sie sortiert gerade Unterlagen, als er ihr auflauert. Fest entschlossen seinen Plan umzusetzen, fragt er liebevoll: „Kara, hast du mal einen Moment für mich? Ich muss etwas mit dir besprechen.“ Sie dreht sich ein Stück zu ihm um und antwortet nebenher: „Können wir das auch später machen? Ich bin gerade ziemlich in Gedanken.“ Er spottet: „Später suchst du dir eine neue Aufgabe und dann bist du zu müde um zu reden.“ Zielgerichtet hält er auf sie zu. Er tritt so nah an sie heran, dass sie so weit nach hinten ausweicht, bis sie mit ihrem Körper an die Wand anstößt. Da sie nun nicht mehr weiter zurückweichen kann, lehnt er sich über sie. Sanft und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wispert er: „Wir reden jetzt. Diesmal kannst du mir nicht ausweichen.“ Kara fühlt sich bedrängt, denn ihr Geliebter macht ihr überdeutlich klar, dass er stärker ist als sie. Das macht ihr nichts aus, denn er wird sie schon zurückweichen, wenn sie es verlangt. „Also gut Nico, was ist denn los?“ Er legt seinen Unterarm neben sie an die Wand und schaut, mit einer lockeren Körperhaltung, sanft auf sie herab um sie noch ein wenig mehr einzuschüchtern und er dann beginnt er zu reden: „Ich habe viel Geduld mit dir bewiesen, Kara, habe mich dir nur langsam genährt, doch seit einiger Zeit geht es zwischen uns überhaupt nicht mehr voran. Du stürzt dich in deine Arbeit und nimmst mich kaum noch war. Mir reicht es langsam, verstehst du? Du erklärst mir jetzt was mit dir los ist!“ Kara wendet ihren Blick von ihrem Mann ab und stottert: „E-es ist nichts.“ Ihr schießen alle möglichen Gedanken durch den Kopf, aber eine bessere Antwort ist ihr nicht eingefallen. Nico wird langsam ernsthaft verstimmt. „Ich habe gesagt es reicht, Kara. Willst du die Frau an meiner Seite sein, oder willst du es nicht? Sag es lieber gleich!“ Kara versteht jetzt erst so richtig den Ernst des Gesprächs und hebt hektisch ihren Blick. „Ja, das will ich! Mehr als alles andere.“ „Dann sei auch meine Frau!“ schimpft er, was bei ihr Wirkung zeigt, denn sie streckt sich nach oben, um ihm zu küssen. Auch wenn das eine unerwartete Reaktion war, lässt er sich gern darauf ein und streichelt ihr zärtlich durchs Haar. Anschließend lässt er seine Hände sanft über ihren Körper gleiten. Früher hatte sie an dieser Stelle schon einmal abgebrochen. Sie wird zwar auch diesmal etwas unruhiger, doch sie lässt es zu. Interessiert wie weit er bei ihr diesmal kommt, öffnet die Schleife am Nacken ihres Oberteils und küsst dabei ihren schmalen Hals. Da sie nichts drunter trägt, bietet sich ihm ein besonders schöner Anblick, der ihn mehr erregt, als er gedacht hätte. Er versucht sich zurück zu halten, langsam zu machen, um sie nicht zu verschrecken, doch schon nach kurzer Zeit versucht sie ihn zart wegzudrücken und stöhnt: „Nico, nein. Das reicht!“ Das war eine klare Ansage. Er lässt von ihr ab und lockert den Griff um ihre Taille. Er bemerkt Karas hochrotes Gesicht. Sie sieht zwar erregt aus, aber auch etwas verärgert. Nico lässt sie ganz los und richtet sich vor ihr auf. Wenn sie verärgert ist, was soll er dann sein? Er atmet schwer aus und sagt leise und schwer verstimmt: „Was soll das? Warum lehnst du mich schon wieder ab? Nenn mir doch wenigstens mal einen Grund.“ Sie nimmt die Träger ihres Oberteils und bindet sie wieder hinter ihrem Kopf zusammen. Da Kara nur verschämt zu Seite schaut, fängt er an zu raten. „Hat es etwas mit Estell zu tun?“ Kara reagiert diesmal und zwar direkt ungehalten: „NEIN! Nein, es hat nichts mit dieser... dieser Frau zu tun.“ „Aber was ist es dann? Sagt es mir doch bitte!“ Fragt er völlig ratlos. Ihm in dieser Situation Rede und Antwort stehen zu müssen ist sehr unangenehm für die junge Frau, doch sie antwortet schüchtern: „Wie soll ich das sagen? Es ist einfach zu intensiv. Schon deine Küsse reißen mir fast den Boden unter den Füßen weg und…naja es ist noch was. Ich... ich hab irgendwie Angst davor.“ „Angst vor was? Ich tu dir schon nicht weh.“ fragt er interessiert nach, jetzt wo sie endlich begonnen hat mal ein bisschen darüber zu sprechen. Kara macht eine kurze Pause und sagt dann leise: „Nicht vor Schmerzen. Vor vielen anderen Dingen.“ Nico schaut überrascht fragend, aber nicht mehr vorwurfsvoll, weshalb sie weitererzählt: „Es ist komisch. Mir wird es immer schwindelig in deinen Armen und… du bist auch so erfahren... was ist, wenn ich nicht gut genug für dich bin? Verlässt du mich dann wieder? Ich meine ich habe überhaupt keine Ahnung. Das enttäuscht dich bestimmt. Ich... es ist so …“ Sie schämt sich so sehr, dass sie kurz abbricht, weshalb er sie in den Arm nimmt, was ihr den Mut gibt weiter zu sprechen. „… ich habe mich sozusagen aufgehoben. Ich wollte auf den Richtigen warten.“ Nico ist perplex. Da hat Yasane mit ihrer Vermutung Kara habe noch nie einen Mann gehabt tatsächlich recht behalten. Es fällt ihm schwer Karas Gedanken nachzuvollziehen, doch eine Frage drängt sich ihm besonders auf. „Bin ich denn nicht der Richtige, Kara? Du hättest mir vielleicht schon eher sagen sollen, dass du unerfahren bist. Es ist mir klar, dass du beim ersten Mal verunsichert bist.“ „Doch, du bist schon der Richtige, aber ich meinte ich wollte auf die Ehe warten.“ erklärt sie sich wieder etwas von ihm lösend und nun schüttelt er verzweifelt lächelnd den Kopf. „Auf die Ehe?...das hättest du mir auf jeden Fall sagen müssen, Kara. Ich meine, wenn jemand so etwas wissen sollte, dann ja wohl ich, oder?“ „Wie spricht man denn sowas an? Ich habe gedacht du würdest es schon merken, wenn ich dich zurückweise.“ druckst Kara herum. Auch wenn er es merkwürdig findet, versteht er es jetzt so langsam. Ihr kindischer Wunsch sich aufzusparen und ihr Mangel an Erfahrung haben bei ihr offenbar zu veralteten Moralvorstellungen geführt. Verärgert, aber auch erleichtert sagt er: „Ach Kara, an der Kommunikation müssen wir noch arbeiten. Du musst dir selbst darüber klar werden was du willst. Ich respektiere deine Wünsche, aber das kann ich nur, wenn du sie mir auch mitteilst.“ Endlich ist es raus, was die junge Frau sehr erleichtert. Wenn sie ehrlich ist gibt sie zu, dass sie nicht den leisteten Schimmer davon hat wie eine Beziehung eigentlich funktioniert, denn sie hatte noch niemals eine. Alle Fehler, die ein Neuling in einer Beziehung macht, wird sie mit ihm machen. Damit wird ihr gerade schmerzlich klar, dass es doch große Nachteile mit sich bringen kann auf den Richtigen zu warten. Sie muss sich erst einmal daran gewöhnen, dass es jetzt jemanden gibt, mit dem sie auch ihre intimsten Gedanken teilen sollte. Das hat sie schließlich noch nie getan. Nico umarmt seine Liebste ein weiteres Mal und flüstert ihr dabei lüstern ins Ohr: „Da haben wir ja noch eine Menge nachzuholen.“ In Karas Kopf entstehen Bilder, die sie erröten lassen. Nico bemerkt ihre Erregung und muss aufpassen sich zurück zu halten. Er wird sich zügeln müssen, bis sie sich darüber im Klaren ist, was sie will. Nico ist zwar froh nun zu wissen wo das Problem gelegen hat, doch er findet es auch irgendwie schade eine unerfahrene Frau zu haben, eine Frau, der er selbst noch alles beibringen muss und nun soll er vielleicht auch noch bis zu einer Hochzeit warten. Als Ratsvorsitzender wird er eine ziemlich große Hochzeit ausrichten müssen, die einiger Vorbereitung bedarf und das heißt es kann noch Monate dauern, bis er sich seiner Geliebten richtig nähern darf. Er ist trotzdem der Meinung, dass sie das Warten wert ist, denn ihm würde keine Frau der Welt einfallen, die sie ersetzten könnte. Das erste was er am nächsten Morgen macht, ist zum Juwelier zu gehen, um für Kara einen Verlobungsring anfertigen zu lassen. Sie schien sich selbst noch unsicher zu sein, ob sie wirklich noch länger warten möchte und mit einer Verlobung will er sie von seiner Treue überzeugen. Wenn man die Beziehungspause abzieht, dann sind sie noch nicht einmal drei Monate zusammen. Der Heiratsantrag käme dann zwar also eigentlich recht früh, aber da er sich mit ihr absolut sicher ist, macht das nichts. Er denkt darüber nach wie er alternativ bis zur Hochzeit über die Runden kommen soll, was ihn frustriert, denn das hält er kaum für möglich. Durch seinen Posten als Ratsvorsitzender von Kalaß, ist Nicos Gesicht überall im Stadtstaat bekannt. Als er den Ring beim Juwelier Janeck in Auftrag gibt, weiß dieser sofort, dass er seiner Freundin Kara, der Ärztin, einen Heiratsantrag machen möchte. Janeck schwadroniert von wilder Ehe und das ein guter Vorsitzender sie vorbildlich besiegeln sollte. Nico muss ihn mit mehr als nur netten Worten davon überzeugen es für sich zu behalten und es nicht unbedarft seiner klatschfreudigen Frau weiterzuerzählen, denn sonst weiß es Kara wahrscheinlich schon, bevor er sie überhaupt gefragt hat. Nico droht ihn wegen Hochverrats des Landes zu verweisen, wenn etwas durchsickern sollte. Zur beidseitigen Erleichterung ist der Ring nach einer Woche fertig, ohne dass jemand etwas davon erfahren hat. Janeck hatte zwischenzeitlich eine familiäre Feierlichkeit, in der er, für ihn untypisch, keinen Schluck Alkohol angerührt hat, aus Angst er könnte sich im angeheiterten Zustand verplappern. Er überreicht stolz den Ring und versichert extra für seinen Ratsvorsitzenden nur die besten und edelsten Materialien verwendet zu haben. Nico sagt freundlich und bestimmt zu Janeck: „Das hoffe ich doch. Der Ring kostet schließlich ein Vermögen. Ganz davon abgesehen, machen Sie das sonst nicht?“ Der Juwelier lacht nur verlegen und fühlt sich ertappt. Kalaß ist bekannt für sein herausragendes Schmiede und Kunsthandwerk, doch dieser Ring ist eine besonders hochwertige Arbeit. Er ist so schön, dass er einer Königin würdig wäre, in Nicos Augen also gerade gut genug für seine Liebste. Am Abend sitzt das Pärchen am Küchentisch. Die beiden haben gerade gegessen und gemeinsam den Tisch abgeräumt. Sie hatten extra pünktlich aufgehört zu arbeiten, um einen Abend für sich zu haben und Nico hatte sogar für Kara rosheanisch gekocht. Er ist sehr überzeugt von sich und glaubt er würde auch einen guten Hausmann abgeben. Das hat er schließlich auch schon bewiesen, als er nach seiner Gefangennahme quasi Hausarrest hatte. Kara betrachtet das eher mit gemischten Gefühlen, denn er kann zwar ohne Zweifel kochen und essbar sind seine Gerichte auch,... aber wirklich ein Genuss sind sie nicht. Er kocht fast ohne der Verwendung von Gewürzen was dem Geschmack oftmals eher abträglich ist. Wenn er nicht hinschaut, würzt sie heimlich etwas nach. Sie hat sich noch nicht getraut es ihm zu sagen, weil die befürchtet, dass er das Kochen dann aufgibt. Wenn er erfährt, dass jemand etwas besser kann als er, delegiert er die Arbeit nämlich üblicherweise nur noch. Bei einem Terminplan seines Ausmaßes ist das ein legitimes Vorgehen bei der Arbeit. Im Privatleben kann es jedoch ganz schön störend sein, denn er würde ihr diese Arbeit übertragen und deshalb hält sie auch lieber einfach den Mund. Nach dem Essen steht sie auf, um den Abwasch zu machen, doch Nico bittet sie, sich noch einmal zu setzen. Sie kommt dem nach und setzt sich ihm gegenüber. Er macht ein ernstes Gesicht und fragt sie ganz frei heraus: „Kara, was magst du eigentlich an mir?“ Er fragt das, weil er es wirklich nicht so genau weiß. Selbst für ihn ist Kara ziemlich undurchsichtig. Was ist wenn sie nur seinen gesellschaftlichen Stand, seine Macht an ihn liebt? Er vergisst den Gedanken gleich wieder, da sie ihm auch zur Seite stand, als er in Kalaß in Gefangenschaft geraten war. Sie lächelt sanft und schaut Nico aufrichtig und anmutig an. „Aber Nico, das weißt du doch. Wir sind zusammen aufgewachsen und ich liebe dich schon so lange ich denken kann. Weißt du nicht mehr, dass ich mit dir immer Hochzeit spielen wollte? Was glaubst du wohl wieso, hm? Das hörte nicht auf als du fort gingst. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als jemand zu sein der dir nützlich sein kann, um dir nachzureisen. Das Militär nimmt keine Frauen und ich gab den Wunsch auf wie meine Eltern Lehrerin zu werden, denn was soll eine Kalaßer Lehrerin in Roshea? Ich bin nur deinetwegen Ärztin geworden, denn Heiler werden überall gebraucht. Ich stellte mir vor du würdest in Kriegen kämpfen und verletzt werden und ich dich dann gesund Pflegen. Bescheuert, oder?“ Das wusste er nicht. Er macht einen verblüfften Gesichtsausdruck, schüttelt aber zu ihrer letzten Frage den Kopf und sie erzählt lächelnd weiter, während sie seine auf dem Tisch liegende Hand streichelt: „Ich bin mir sicher, dass du der Mann bist, für den ich geboren wurde.“ So etwas ähnliches sagte Nicos Großmutter immer zu ihm. Die beiden seien für einander bestimmt, meinte sie. Er ist sehr zufrieden mit der ausführlichen Antwort seiner Liebsten, auch wenn sie die Frage danach, was sie an ihm mag, eigentlich nicht richtig beantwortet hat. Darüber sieht er hinweg, denn ihre Erzählung war viel schöner und aufschlussreicher. Das bestärkt ihn in seinem Vorhaben ihr heute noch einen Antrag zu machen. Unter der Hand, die er auf dem Tisch liegen hat, befand sich das ganze Gespräch über schon der hochwertige Verlobungsring und nun schiebt er sie, weiterhin das Schmuckstück verdeckend, zu ihr hin. „Ich habe etwas für dich.“ sagt er, was sie überrascht. Geschenke bekommt sie selten, deshalb freut sie sich wie ein Kind. „Wo denn? Unter deiner Hand? Was soll denn da drunter passen?“ Sie denkt sich nichts weiter dabei, ist aber trotzdem aufgeregt. Diese süße Seite von Kara hat Nico bisher noch gar nicht an ihr kennen gelernt, denn meist tut sie so unnahbar. Er muss sich bemühen nichts durch seinen Gesichtsausdruck zu verraten. Neugierig hebt sie seine Hand langsam an und erkennt einen wunderschön gearbeiteten filigranen Ring, besetzt mit einem schimmernden Rubin, welcher der Farbe ihres bordeauxroten Haares ähnelt. Ihr Gesichtsausdruck wird ernst. „Nico, das ist doch nicht etwa ein…?“ Sie hat mit allem gerechnet, aber nicht damit. Nicht nach der kurzen Zeit, die sie jetzt erst ein Paar sind. Er streicht sich durchs Haar, nimmt dann den Ring und ergreift ihre Hand. Ernst und doch gleichzeitig weich erklärt er: „Kara, ich trage den tiefen egoistischen Wunsch in mir, für immer bei dir zu bleiben und dich zu beschützen und ich bin gewillt ihn in die Tat umzusetzen, wenn du es auch wünschst.“ Er ist ein Mann großer Worte und ganz genau deshalb sieht er davon ab jetzt eine romantische Rede für sie zu halten, um sie zu gewinnen, was er mit Leichtigkeit könnte. Er hat keinen Zweifel daran, dass sie zustimmen wird und spart sich den langen Monolog und auch den Kniefall, der in den letzten Jahren so populär geworden ist. Sie legt tatsächlich gar keinen Wert auf so etwas und ist auch von seiner knappen Umschreibung schon tief bewegt. „Das... das ist in Ordnung, also... das will ich auch...“ stammelt sie und verstummt, als er ihr den Ring an den linken Ringfinger steckt. Selten hat Kara sich so gut gefühlt wie sie es jetzt tut. Hat sie sich jemals schon so wohl gefühlt in ihrer Haut? Sie glaubt nicht. Jedenfalls erinnert sie sich nicht daran. Ihre unerfüllbare Sehnsucht nach einem unerreichbaren Mann hat sich in reale Liebe verwandelt und sie beginnt ganz neue Seiten an sich selbst zu entdecken, einfach nur so in den Tag hinein zu leben und ihre Gedanken schweifen zu lassen. Erstmalig denkt sie nicht nur an ihre Arbeit, sondern auch an ihr Zuhause, ihren Verlobten. Sie muss sich erst noch an die neue Situation gewöhnen. Nico hat ihr gesamtes Leben umgekrempelt. Die junge Frau nimmt sich seit dem etwas mehr Zeit für ihn und arbeitet nicht mehr bis tief in die Nacht. Jede Nacht nähern sich die beiden stärker an, ohne dass Kara immer wieder in ihren alten zurückhaltenden Zustand zurück verfällt. Nico weiß, dass er das richtige getan hat, denn Karas letzte Zweifel, sie könne nur eine Episode in seinem Leben sein, verschwinden vollständig. Somit sieht sie keinen Grund mehr auf die Eheschließung zu warten, denn dafür ist ihr Verlangen nach ihm jetzt viel zu groß geworden… Kapitel 19: Der König und der Störenfried ----------------------------------------- Fast ein halbes Jahr vergeht im dem Nico und Kara nach wie vor stark in ihre Aufgaben eingebunden sind. Trotzdem haben die zwei mittlerweile zueinander finden können und führen eine liebevolle und endlich auch lustvolle Beziehung. Die junge Frau hatte anfänglich große Schwierigkeit sich ihm vollkommen zu öffnen, obwohl ihre Zweifel ausgeräumt sind. Immer wenn sich die beiden etwas intensiver miteinander befassten, geriet sie in einen fast schon rauschähnlichen Zustand, was sie ausbremste. Sie hat kein Interesse daran bereits nach einem etwas intimeren Kuss die Kontrolle über sich zu verlieren. Die junge Ärztin hat auch mit ihrer Fachliteratur nicht heraus finden können, ob sich das in normalen Pegeln bewegt, doch sie glaubt es sei ausgesprochen ungewöhnlich. Immerhin scheint sich ihr Körper nach und nach daran zu gewöhnen und sie muss zugeben, dass sie sich besser und gesünder fühlt als je zuvor in ihrem Leben, ganz besonders wenn sie kurz zuvor mit ihrem Verlobten zusammen war. Leider arbeitet Nico oft tief bis in die Nacht hinein im Rathaus, um langsam aber sicher Herr der Lage zu werden, während Kara nach wie vor täglich ihre Patienten besucht und dann abends zu Hause lernt. Daher haben sie gar nicht so viele Gelegenheiten sich ihrer Liebe hinzugeben. Manchmal geht Kara nachts ins Rathaus, um ihrem Liebsten zu helfen oder auch eigenen Interessen nachzugehen. Ohne ihn schläft sie nämlich sehr schlecht, weshalb sie sich entweder entscheidet zu ihm zu gehen oder zu Hause zu lernen, doch hinlegen tut sie sich nicht mehr ohne ihn. Heute sind die beiden allein im Archiv und gehen alte Akten durch. Kara hilft Nico ausnahmsweise nicht, denn sie hat sich ein eigenes Ziel gesetzt. Die junge Frau betreibt Stammbaumforschung, um herauszufinden ob Nico vielleicht doch noch lebende Verwandte in Kalaß haben könnte. Sie kann und will nicht glauben, dass es da niemanden mehr geben soll. Für die Recherche muss sie in die geheimen Archive von Kalaß, zu denen nur der Ratsvorsitzende und von ihm autorisierte Personen Zutritt haben. Früher hätte das ein riesiges Problem dargestellt, doch heute... Kara kann es noch immer nicht fassen wie schnell ihr Nico es bis an die Spitze der Stadt schaffen konnte. Sie kann das alles sowieso noch nicht richtig realisieren und stürzt sich schon deshalb in die Arbeit. Sie setzt sich ein Ziel nach dem anderen und konzentriert sich dann voll darauf. Nico kommt hingegen gut mit seiner Position zurecht. Als Offizier wurde ihm schon oft viel Verantwortung übertragen, in der es nicht selten um Leben und Tod ging. Verglichen damit empfindet er die Politik als weniger nervenaufreibend, wenngleich seine Entscheidungen ebenfalls sehr große Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben. Die Geheimarchive enthalten Dokumente, die sich auf das Ende des Krieges und die Zeit davor beziehen. Neben vielem anderen behandeln sie Kriegsabsprachen, den Verbleib aller Waffen nach der Direktive, die Herkunft des Königshauses von Kalaß sowie den Grund für Karas Interesse, die Stammbäume aller Familien adliger Herkunft. Nicos Stammbaum lässt sich nur schwer zurückverfolgen. Kara findet in den offiziellen Dokumenten fünf Generationen, in denen merkwürdigerweise aber seine Großmutter nicht auftaucht. Fehlende Aufzeichnungen über seine Ahnen lassen darauf schließen, dass Nico adliger Abstammung sein könnte. Da ist aber noch nicht alles über das sie sich wundert. Sie hat Nicos Geburtsurkunde gefunden, in der er logischerweise seinen Nachnamen Dugar noch nicht trägt. Den hat er sich schließlich selbst gegeben. Etwas anderes gibt ihr zu denken. Sein Vorname wurde noch im Babyalter, laut den Akten also kurz nach dem Tod seiner Eltern, von seiner Großmutter nachträglich geändert und zwar von Theron auf Nico. Diese Unregelmäßigkeit müssen die beiden zunächst einfach so hinnehmen. Sie hoffen vielleicht auch darüber etwas in den geheimen Archiven zu finden. Da es eine sehr düstere Nacht ist, möchte Nico seine Verlobte nicht allein in das Geheimarchiv gehen lassen und beschließt sie zu begleiten. Es befindet sich in einem Seitenturm des Rathauses. Das einzige Licht ist eine flackernde Öllampe, welche die beiden mitgenommen haben. Dieser Teil des Rathauses ist, ganz im Kontrast zum edlen Rest, schmutzig und verwahrlost. Dass sie dort ausgerechnet nachts hingehen mussten, verbessert die Atmosphäre nicht unbedingt. Kara läuft ein kalter Schauer über den Rücken und Nico wahrscheinlich ebenfalls, doch das würde er nie zugeben. Manchmal ist er eben doch ein Chauvinist. Im Archiv angekommen sagt die junge Frau mit gespieltem Selbstbewusstsein zu ihrem Begleiter: „Ich suche nach den Eltern von Prias Manaj, das ist der letzte männliche bekannte Vorfahr aus deiner Blutlinie. Außerdem halte ich auch gleich Ausschau nach Amrea, deiner Großmutter, die ich vorhin nicht finden konnte.“ Nico sieht seiner Liebsten die leichte Verunsicherung an, ignoriert sie jedoch aus Rücksicht. „Alles klar. Ich schaue mir die Aufzeichnungen zum Ende des Krieges an, um zu verstehen wie die Klassengesellschaft damals aufgelöst wurde. Ich frage mich wie sich der Adel einfach so mit dem Bürgertum vermischen konnte.“ Die Akten mögen verstaubt sein, doch sie sind besser sortiert, als sie aussehen. Als Kara bereits nach kurzer Zeit fündig wird, ruft aufgeregt: „Nico, ich habe Prias und Amrea auf ein und demselben Dokument gefunden! Du wirst es nicht glauben, aber Prias Manaj war der Thronerbe, ältester Sohn des Königs Ramon von Kalaß und Amrea Manaj war Prias‘ Ehefrau, die ihrerseits ebenfalls königliches Blut zu haben scheint. Das erkennt man an diesen Symbolen hier neben den Namen und dem zusätzlichen Wort Mana-i.“ Nico legt die Akten über die Auflösung des Königreiches beiseite und geht zu der etwas aufgeregten jungen Frau, die sich an das alte Aktenregal anlehnen muss. Sie deutet auf die königlichen Symbole neben den Namen. Im schwachen Licht der Öllampe erkennt er das Siegel des Königshauses. Es weiß, es ist identisch mit dem Artefakt des Windgottes Fuathel, dem Siegel, das in der Kathedrale von Kalaß eingelassen wurde. Sie erläutert ihre Vermutung: „Den Namen Manaj hatten sie sich vielleicht gegeben, um während der Umbruchphase ihre königliche Herkunft zu verschleiern. Nach dem Ende des Krieges wurde Ramon in Yoken exekutiert, aber seine Frau und seine Kinder, durften in der Festungsstadt Tarbas bleiben. Wer weiß schon genau was mit dem Königsadel nach dem Fall des Königreiches angestellt wurde? Schau mal, Nico. Das Wort ‚Mana-i‘ taucht in diesem Stammbaum neben jedem Mitglied der Königsfamilie auf. Ich denke es heißt übersetzt so viel wie ‚von königlichem Blute‘, oder so etwas. Bestimmt wollten sie nicht als Hochadel identifiziert werden, als offiziell alle Dokumente angepasst und die Nachnamen entfernt wurden und haben deshalb diesen anderen Nachnamen erfunden, so wie du deinen. Das muss nicht stimmen, ist nur meine Vermutung.“ Nico weiß, dass das Wort „Mana-i“ nicht für königliche, sondern göttliche Herkunft steht und übersetzt „Ewiges Blut“ bedeutet, was hier aber nichts zur Sache tut und im Endeffekt dasselbe aussagt. Er selbst war, ganz unabhängig von dieser Sache, dem mysteriösen Tod den Gefallenen Königs Ramon vor ein paar Jahren schon einmal auf der Spur und fand ein bisschen was über ihn heraus. Nach dessen Nachkommen forschte er damals nicht. Karas Erklärungen entbehren nicht einer gewissen Logik, ist es doch eine ihrer Stärken anhand von faktischen Beobachtungen zu einer Diagnose zu gelangen, doch ihm gefällt nicht was er da hört. „Wie kommst du darauf, dass diese Amrea Manaj meine Großmutter Amrea sei? Diese Erklärung bist du mir schuldig geblieben. Sie mag vielleicht alt gewesen sein, aber sieh nur aus welcher Zeit deine Dokumente stammen. Die Frau hätte viele hundert Jahre alt gewesen sein müssen.“ Kara nickt energisch, lässt sich aber nicht verunsichern. „Es ist als wären die Menschen damals viel älter geworden und klingt unlogisch, aber es gibt in ganz Kalaß keine einzige weitere Person mit diesem Namen und die Verbindung zu dir lässt sich nicht von der Hand weisen. Zudem hat sie kein vermerktes Sterbedatum, denn wenn ich recht habe, ist sie erst vor elf Jahren gestorben und war somit … mehr als fünfhundert Jahre alt?“ „Ergibt das für dich denn irgend einen Sinn?“ fragt Nico bohrend. „Ich kann dir nur sagen was ich gefunden habe. Die Fakten sprechen dafür, dass sie ein und dieselbe Person waren. Amrea Mana-i ist die einzige Kalaßerin, die namentlich zu deiner Großmutter passen würde. Entweder wurde sie tatsächlich hunderte von Jahren alt, was ich ehrlich gesagt für unmöglich halte, oder sie war eine illegal eingereiste, unregistrierte Person, die diesen Namen annahm und alle Übereinstimmungen sind nur ein großer Zufall?“ Nico runzelt die Stirn. „Beide Versionen klingen höchst unwahrscheinlich...aber da fällt mir etwas ein, das zum übernatürlichen Alter der Königsfamilie passt. War der Beiname Ramons nicht ‚der Ewige König‘ und soll er nicht viele hundert Jahre das Amt des Königs begleitet haben?“ Kara zweifelt inzwischen an ihrem Verstand. Wenn das wirklich stimmt, dann ist das alles nach dem Krieg vertuscht worden. Die Fakten sprechen dafür, dass Nicos Großmutter uralt war, aber Karas Wissen über den menschlichen Körper versichert ihr, dass dies absolut unmöglich und damit völlig ausgeschlossen ist. Kopf schüttelnd stammelt sie: „Ja, du hast Recht. Was für ein Unsinn.“ Den jungen Ratsvorsitzenden scheint das allerdings stärker zu verwirren als gedacht. Nachdenklich steht er da und starrt an seiner Liebsten vorbei, hinein in die Dunkelheit der nächtlichen Bibliothek. Sie besinnt sich etwas und schaut sanft zum sichtlich verwirrten Nico. „Der Grund unserer Nachforschungen war es lebende Verwandte deiner Blutlinie zu finden. Nur einer von Ramons Nachkommen hatte Kinder: sein Sohn Prias mit Amrea Manaj. Diese Kinder blieben, bis auf eine Ausnahme, merkwürdigerweise selbst kinderlos. Das Blut der Königsfamilie vermischte sich anscheinend im Laufe der Zeit mit dem normaler Bürger von Kalaß. Es gibt eine Abfolge von weiteren Verbindungen der Kinder und Kindeskinder, die mich bis zu deiner Geburt führen, ohne dass auch nur ein einziger Abzweig entstand. Da ist wirklich niemand mehr, nur du bist noch übrig.“ Der sonst so gefasste Nico macht einen Schritt nach hinten und sag ungläubig: „Ist dir klar was du da sagst? Ich wäre ein direkter Nachkomme des Letzen Königs und wenn ich die Monarchie von Kalaß wieder ausgerufen würde, dann wäre ich rein rechtlich sein König?“ Kara nickt ohne die Tragweite dieser Aussage in Gänze zu begreifen. „Ja, du bist wahrscheinlich ein Nachfahre Ramons und wärst rechtmäßiger König von Kalaß.“ Der junge Mann schnaubt verächtlich. „Dann würde sich doch rein gar nichts ändern. Auch ohne Geburtsrecht habe ich die Spitze des Stadtstaates erreicht und was würde es ändern, wenn ich ein König anstatt des Ratsvorsitzenden wäre? Es ist als würden mir meine Leistungen abgesprochen, da mir diese Position ohne Tarbasser Verträge ohnehin zustehen würde. Ich will, dass du keinem was davon erzählst, Kara!“ Kara nickt, ohne es vollständig zu verstehen, da sie darin nur noch eine weitere Legitimation für ihn sieht, was doch eigentlich gut ist. Dann kichert sie, was Nico sehr überrascht. Sie murmelt amüsiert: „Dein laszives Wesen hast du bestimmt vererbt bekommen. Du hast doch bestimmt auch schon mal davon gehört, dass der Kalaßer Königsadel manchmal ziemlich über die Stränge geschlagen haben soll, daher auch das Sprichwort ‚Es gibt keine Jungfrau’n in Nalita.‘, was man sagt, wenn man etwas trotzdem macht, obwohl es offensichtlich dumm ist. Wir beide wissen aber woher das Sprichwort ursprünglich kommt. Der jetzige Hof hat jedenfalls nichts damit zu tun.“ Kommentarlos wendet sich Nico ab. Er legt alle Aufzeichnungen zurück und Kara tut es ihm gleich. Zunächst schweigend treten die beiden den Rückweg an. Dass Nico so lange am Stück schweigt, sieht ihm nicht ähnlich und Kara will ihn in Ruhe nachdenken lassen. Er glaubt nicht an das Schicksal und ist davon überzeugt sich alles in seinem Leben selbst erarbeitet zu haben. Nichts hat ihm zu dieser Position verholfen, außer seinem eigenen Eifer. Oder etwa doch? Hat er nicht immer ungewöhnlich viel Erfolg im Leben gehabt? Er war Quereinsteiger im Militär und auch in der Politik und doch erreicht er mühelos Führungspositionen, spricht mit Königen wie mit ebenbürtigen Verhandlungspartnern. Warum fällt ihm das erst in der Retrospektive auf? An dem Gedanken etwas zu tun, weil es ihm vorbestimmt sei, findet er keinen Gefallen. Er ist mehr als die Summe seiner Gene, oder nicht? Nico ist vollkommen Gedankenversunken und macht seiner Liebsten erst nach einer kleinen Pause den Vorwurf: „Willst du damit sagen, dass ich verdorben bin, weil der Adel es vor ein paar hundert Jahren mal war?“ Kara bemerkt die Verärgerung in seiner Stimme. Sie versucht seinen Gedankengang zu ergründen, doch versteht ihn nicht schnell genug. Ihre Antwort: „Ja, vielleicht“ verstimmt ihn so sehr, dass er ohne Kara anzusehen nun schweigend seine Schrittgeschwindigkeit erhöht. Sie muss fast ein bisschen Rennen, um mit ihm Schritt halten zu können. Sonst ist er doch auch nicht so sensibel, deshalb versteht sie es nicht ganz. „Nico, was ist los? Was habe ich falsches getan?“ Als er einfach weiterläuft, hängt sie sich mit aller Kraft an seinen Arm, um ihn zu stoppen. Sie presst ein „Jetzt warte doch mal“ aus ihren Lungen und endlich bleibt er stehen. Der Gang in dem sie sich befinden ist sehr schwach beleuchtet, doch Kara glaubt einen wütenden Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen. „Bitte Nico, mir was los ist!“ Als er sie dasselbe gebeten hat, wäre er froh gewesen sie hätte ihm direkt geantwortet und er will ihr das ersparen. Er starrt nach oben an die mit Spinnenweben verhangene Decke des Gangs und gibt nach: „Das alles zu hören ist nicht so einfach für mich. Mein ganzes Leben ist auf einer Lüge meiner Großmutter aufgebaut und wenn das alles stimmt, dann war Amrea nicht einmal das, sondern wohl eher eine Ahnin. Sie hat mich mein Leben lang belogen und das Wissen über ihre und meine wahren Herkunft mit ins Grab genommen. Statt dessen wurde sie nicht müde mir irgendwelche Geschichten über die Götter zu erzählen. Vom Windgott Fuathel, seinen Erlebnissen auf der Erde und seinem Sohn, dem Begründer und Ersten König von Kalaß, war sie wie besessen. Oft nahm sie mich deshalb mit in die Kathedrale, um mir sein Siegel und seine Wunder zu zeigen. Sie sagte immer ich sei etwas ganz besonderes und wäre anders als alle anderen Menschen. Nein, sie sagte sogar ich sei etwas Besseres als alle anderen. Das sollte wohl ein Hinweis auf das sein was ich in Wahrheit bin. Ich habe sie damals nicht sehr ernst genommen was das betraf. Natürlich war sie mit ihrer überheblichen Einstellung nicht sehr beliebt bei den Leuten, ich hingegen schon und das trotz meiner wunderlichen Großmutter. Es verletzt mich zu hören, dass sie mir bis zum Schluss nichts von der Wahrheit anvertraute, denn sie war die einzige mit der ich je so tief verbunden war, wie mit dir jetzt.“ Schroff sieht Nico sie an, denn er ist noch nicht fertig. Seine Wut liegt in der Luft was Kara ein wenig einschüchtert, als er sie zurecht weist und ihr erneut einen Befehl gibt: „Trotzdem, Kara. Sag nie wieder ich sei was ich bin, weil mich meine Ahnen dazu machen! Ich bin das was ich selbst sein will.“ Sie glaubt kurz gesehen zu haben, wie sich seine Augenfarbe änderte, doch das muss am Flackern der Lampe gelegen haben. Noch immer seinen Arm fest haltend, aber zu Boden schauend, flüstert sie: „So war das gar nicht gemeint… aber ja in Ordnung.“ Sie weiß, dass sie verantwortlich ist für seinen schlechten Seelenzustand und stammelt: „Es ist meine Schuld, dass du jetzt leiden musst. Hätte ich es doch einfach auf sich beruhen lassen.“ Als er ihr verschrecktes Gesicht wahrnimmt, erkennt er, dass er gerade seinen Ärger an der falschen Person entlädt. Kara kann schließlich nichts für seine zerrüttete Vergangenheit. Er beruhigt sich langsam und fragt nach einer Weile: „Siehst du mich jetzt mit anderen Augen?“ Kara schüttelt unvermittelt ihren Kopf, wobei ihrem angeschlagenen Verlobten wieder einmal ihre langen, roten Haare auffallen, die er direkt berühren muss. Sie sieht langsam zu ihm auf und sagt dann leise ein wenig unsicher: „Aber nein, du bist noch genau der ungestüme Lüstling, den ich kennen gelernt habe… und den ich liebe.“ Nico lächelt zärtlich besänftigt, was auch ein bisschen daran liegt mit ihrer Haarsträhne spielen zu dürfen. „Du bist doch inzwischen selbst ein kleines Raubkätzchen. Letzte Nacht hast du mich schon wieder gekratzt.“ „Hab ich gar nicht!“ dementiert sie, doch er knöpft sein Hemd zwei Knöpfe auf, zieht sich seinen nun sehr weiten Kragen über das Schulterblatt und beweist schelmisch grinsend: „Und was ist dann das hier?“ Sie wirft ihren Blick darauf und erkennt vier leicht verschorfte, aber zum Glück nicht allzu tiefe, nebeneinanderliegende Kratzspuren auf seinen Rücken, die wohl eindeutig von ihr stammen müssen. „Oh, ähm…Verzeihung?“ Nico nimmt seine Liebste glücklich in die Arme, denn sie hat ihn schon wieder aufgemuntert. Sie gibt ihm das Gefühl nicht mehr allein auf der Welt zu sein, denn sie ist jetzt seine Familie. Er hat bemerkt, dass sie sich durch ihre Beziehung zu ihm schon sehr positiv entwickelt hat. Sie ist viel offener geworden und kann ihre Gefühle jetzt auch besser ausdrücken als früher. Je länger Nico mit ihr zusammen ist, desto öfter scheint er einfach zu wissen was in ihr vorgeht. Das versucht sie sich von ihm abzuschauen und hat damit auch langsam Erfolg. Ihre Patienten sagen sie sei endlich aufgeblüht. Allen voran Margret sagt das, die sich gern von Karas Beziehungsleben berichten lässt. Doch das friedliche Leben währt nicht lange. Wie ein schöner Traum einmal enden muss, so holt Nico und Kara ein großes Problem wieder ein. Während die beiden versuchen mit aller Kraft eine funktionierende Regierung zu errichten, stürzt Estell den rosheanischen König und besteigt selbst den Thron. Das hebt die Bedrohung, die von dem südlichen Königreich ausgeht, auf eine neue Stufe. Nico bereitet das nach und nach zunehmend Kopfzerbrechen. Hinter verschlossenen Türen sucht er schon seit einer ganzen Weile nach einer Lösung, kann aber einfach keine finden. Wenn Roshea mit aller zur Verfügung stehenden militärischen Macht angreift, wird ihm auch der Pakt mit Yoken nicht helfen und Kalaß wird ein für alle Mal fallen. Ein Krieg zwischen den Mächten des Kontinents Altera scheint unausweichlich und es dauert nicht lang bis an der yokenisch-rosheanischen Grenze zu ersten Gefechten kommt, aus denen sich Nico heraushalten muss, weil er ohne eigener Armee rein gar nichts ausrichten kann. Marco Loran, der nun den Rang des Generalleutnant begleitet, hatte von seiner Königin die Order erhalten nach Kalaß einzudringen, um Nico Dugars Flamme Kara zu entführen. Die Zeit ist reif den Auftrag zu erfüllen und er schleicht sich, durch die immer noch viel zu schlecht gesicherte Stadtmauer von Kalaß, in den Stadtstaat ein. Die Mauer wird zwar von innen ausgebaut, aber nicht lückenlos bewacht. Gegen eine Belagerung mag sie besser ausgestattet sein als zuvor, doch Einzelpersonen können nach wie vor ungesehen in die Stadt eindringen. Unbemerkt schleicht er mitten am Tag durch den Wall und die Gassen der Stadt. Da sein Gesicht bekannt ist, trägt er ein Tuch um Kopf und Hals, doch in den heißen Monaten ist dies hier keine Seltenheit. Einige Bürger schützen sich auf diese Art vor der starken Sonneneinstrahlung, deshalb fällt er damit nicht auf. Er braucht nicht lange um herauszufinden, wo sich Kara und Nico gemeinsam niedergelassen haben, denn das Haus des Ratsvorsitzenden zu finden ist ein Kinderspiel. Wie es seine Art ist, beobachtet er sorgfältig ein paar Tage lang die Lage. Er beschattet die beiden und entscheidet erst dann wann und wo er am besten zuschlagen sollte. Die Herausforderung an der Sache ist für ihn aber nicht die Informationsbeschaffung, sondern der Anblick des ach so glücklichen Paares. Ihm wird übel, wenn er die beiden miteinander sieht. Besonders Nicos zufriedenes Gesicht fühlt sich für ihn wie ein Schlag in die Magengrube an. Was ist das für eine Welt, in der ein Mann, der Hochverrat begangen hat, mit seiner Gespielin heile Familie und Staatsoberhaupt spielen darf? Er gehört hinter Gitter, wenn nicht gar an den Galgen. Das ist jedenfalls seine Überzeugung. Loran wird sich jetzt ein für alle Mal an seinem Erzfeind Nico Dugar rächen. Er genießt den Gedanken Macht über ihn ausüben zu können. Nicht mehr lange, dann wird er den Spieß umdrehen, so denkt er. Lange kann es auch nicht mehr dauern bis Königin Estell einsieht, dass nur er, Marco Loran, sich als Gatte für sie eignet. Schon jetzt ist er ihr alleiniger Liebhaber und er wird sie schon noch von seiner Würdigkeit für den Thron überzeugen können. Aber dazu muss zunächst dieser Störenfried Nico Dugar aus dem Weg geräumt werden. Zu seiner großen Freude beobachtet er ein typisches wiederkehrendes Verhalten von Nico, das ihm in die Hände spielt. Des nachts arbeitet der Ratsvorsitzende oft im nahe gelegenen Rathaus, während Kara zu Hause zurückbleibt, um in Büchern zu schwelgen. Das kommt Loran natürlich mehr als gelegen und seinen Plänen scheint nichts im Wege zu stehen. Als Nico in einer besonders dunklen Nacht lange nicht Hause kommt, sieht Loran seine Zeit als gekommen. Eigentlich wollte er noch ein paar Tage warten, aber vor ein paar Minuten hat Kara das Fenster, das sich hinter ihrem Rücken befindet, geöffnet und offen stehen lassen. Er hat beobachtet wie sie sich in ihrem Arbeitszimmer in der ersten Etage danach wieder konzentriert an ihren Schreibtisch gesetzt hat, um weiter zu arbeiten. Die Götter sind ihm offensichtlich und eindeutig wohlgesonnen, denn das sind perfekte Voraussetzungen für ihn. Er findet es fast schon fahrlässig von Dugar seine Angebetete in so eine angreifbare Situation zu bringen. Loran lacht freudig in sich hinein. Er lehnt eine Leiter, die er sich schon vorsorglich besorgt hat, an das Haus, klettert leise hinauf und steigt lautlos durch das Fenster ein. Grinsend geht Loran einen Schutt auf die junge Frau am Schreibtisch zu. Als er vergnügt zu sprechen beginnt, zuckt Kara geschockt zusammen: „Hallo schönes Kind, lange nicht gesehen.“ Es gibt nur einen Mann auf dieser Welt, der Kara „Schönes Kind“ nennt, deshalb springt sie aufgeregt von ihrem Stuhl auf. „LORAN!?! Was willst du noch von mir?“ schreit sie angewidert. Der Eindringling lacht freudig auf. „Eine ganze Menge, meine Schöne! An dir gibt es auch wahrlich viel, das ein Mann wollen könnte. Ich würde sagen, wir haben noch ein wenig Zeit. Wie wär‘s wenn ich es dir direkt zeige?“ Er nähert sich ihr langsam, während sie versucht weiter zurück zu weichen, was ihr nicht gelingt. Er fügt hinzu: „Ich bin besser als Dugar. Das wirst du schnell einsehen.“ Die verängstigte junge Frau sieht Loran angeekelt an, was er genießt. Dann schweift ihr Blick für einen kurzen Augenblick Links an ihm vorbei, was dem Eindringling bereits verdächtig vorkommt. Er bleibt stehen und richtet sich vollständig auf, denn er kann sich schon denken wo sie hinsieht. Er hat in seiner Erregung, sie so greifbar und wehrlos vor sich zu sehen, den Raum nicht gesichert. Aber auch wenn Dugar, wie er vermutet, wirklich hinter ihm steht, dann hätte es ihm ohnehin nichts mehr geholfen, da er genau weiß, dass er seinem ehemaligen Vorgesetzten im Nahkampf massiv unterlegen ist. Er versteht nur nicht, wie er getäuscht werden konnte. Er ist sich zu einhundert Prozent sicher gewesen, dass Nico Dugar im Rathaus sein muss. Er senkt den Kopf, schließt die Augen und setzt ein Grinsen auf. Das offene Fenster war eine Falle... eigentlich sogar eine offensichtliche, doch er ist genau hinein getappt. Wie es sich Loran schon gedacht hat, tritt Nico hinter dem Vorhang auf der linken Seite des Fensters hervor und stellt in einem unterkühlten Ton fest: „Ich hätte dich für klüger gehalten, Loran. Du hättest in Roshea bleiben sollen, bei deiner Hure von Königin.“ Loran dreht sich nicht zu ihm um, sondern schreit von ihm abgewandt ungehalten: „Halt‘s Maul, Dugar! Verdammt, wie ich dich hasse! Machst hier einen auf dicke Hose, dabei bist du der Quell allen Übels.“ Loran zieht sein Schwert und macht einen Satz auf Kara zu. Sie weicht gerade noch zu Seite aus. Er wollte sie allerdings auch gar nicht treffen, sondern sie nur hervorlocken, um sie packen zu können. Nico reagiert umgehend. Noch bevor Loran richtig bei ihr angekommen ist, hat er ihn schon entwaffnet. Die Bewegungen des Ratsvorsitzenden sind so schnell, dass sein ehemaliger Gefolgsmann Loran ihnen kaum folgen kann, deshalb hebt er mit einem Grinsen auf den Lippen besiegt die Hände. Der Offizier versucht den ihm überlegenen Mann zu beschwichtigen: „Ok, alles gut. Ich soll keine Hand an deine kleine Braut legen. Hab es verstanden. Lass uns doch einfach wie zwei vernünftige Männer miteinander - .“ Doch Nico hat genug gehört. Mit einem gezielten Hieb schlägt er Loran mitten im Satz bewusstlos. Kara zeigt keinerlei Mitleid und ist erleichtert, dass es ihr Verlobter erst einmal beendet hat. Er streichelt ihr sanft über den Rücken. „Das hast du sehr gut gemacht, Kara.“ Sie atmet tief durch und entgegnet in einem leicht erzürntem Ton. „Wieso hast du erst so lange gewartet, bis du eingegriffen hast?“ Als er nichts entgegnet, außer einem nichts sagendem Blick spricht sie weiter: „Aber du hattest recht. Dieses Ekel hat uns wirklich beschattet.“ Sie fesseln Loran gemeinsam an einen Stuhl. Seine Beine haben sie an die des Stuhle gebunden und seine Arme sind fest hinter seinem Rücken verschnürt. Als er nach einer kurzen Weile langsam wieder zu sich kommt, brummt ihm der Schädel. Er befindet sich noch im selben Raum. Sein Erzfeind und seine Gespielin sind in ein Gespräch vertieft, das mit Krieg zu tun hat. Seinen ersten Gedanken, der verbalisiert in etwa: „Scheiße“ lauten würde, spricht er nicht aus. Statt dessen entscheidet er sich hämisch zu grinsen und die Augen wieder zu schließen. Als Nico das bemerkt, geht er zu ihm und fragt ihn ungeduldig: „Wie lautete dein Auftrag, Loran?“ Dieser spuckt als Antwort vor ihm auf den Boden. „Verrätern wie dir erzähle ich gar nichts.“ Nico zeigt keinerlei Geduld mit ihm und droht unmittelbar erneute Prügel an, als sich Kara einmischt. Sie tut dies jedoch nicht aus Mitgefühl, sondern weil sie wirklich denkt, dass sie mehr Erfolg haben könnte. „Warte Nico! Wenn er mit dir nicht sprechen will, dann redet er vielleicht mit mir. Verprügeln kannst du ihn auch später noch.“ Loran lacht laut auf als er das hört. Er hat Schmerzen im Genick von Nicos hartem Schlag und die Knebel sind unangenehm eng um seine Gelenke geschnürt, doch er hat immer noch das Gefühl Herr der Lage zu sein. Kara stellt sich vor ihn. Der Geknebelte Mann sieht zu ihr auf und sagt lüstern: „Mit dir rede ich gern, meine Hübsche.“ was sich Nico erneut verkrampfen lässt. Unwillkürlich ballt er seine Hände zu Fäusten. Er findet es einfach nur ekelhaft, wie dieser abstoßende Loran mit seinem geliebten Engel spricht. In seinen Augen besudelt er sie mit seinen unreinen Worten. Kara zu Liebe gibt er sich alle Mühe sich noch etwas zu beherrschen. Dass er jemanden so hassen könnte wie diesen Mann, hätte er sich niemals vorstellen können. Kara wiederholt Nicos Worte etwas ungeduldig: „Wie lautete dein Auftrag?“ Loran setzt sich aufrecht und hebt seinen Kopf so weit, dass man meinen könnte er schaue auf die vor ihm stehende Kara herab. Mit diesem überheblichen Blick sagt er: „Sprich mich mit meinem Vornamen an und bitte mich lieb um eine Antwort, Hübsche, dann überlege ich es mir.“ Kara sucht Nicos Blick, der Bände spricht. Er würde Loran lieber umbringen, als sie intime Worte mit ihm wechseln zu lassen. Ihr Verlobter, der inzwischen die Hand am Schwertgriff hat, ist ihr damit keine echte Hilfe, denn sie benötigen dringend Antworten. Sie macht eine beschwichtigende Handbewegung in Nicos Richtung und holt tief Luft. Dann sieht sie wieder zu Loran herab, der das alles zu genießen scheint. Sie gibt sich alle Mühe ein halbwegs entspanntes Gesicht zu machen und beugt sich etwas zu Loran vor mit den Worten: „Würdest du uns bitte etwas über deinen Auftrag erzählen, Marco?“ Nico hat das Gefühl gleich an die Decke zu gehen, denn dieser Halunke Loran spielt mit den beiden und sie machen auch noch mit. Befriedigt antwortet der Gefesselte: „Aber gern, mein hübsches Kind. Ich soll dich auf Befehl meiner verehrten Königin einfangen und zu ihr bringen. Diesmal hatte ich allerdings zu meinem Glück keine Auflagen über deine Unversehrtheit. Auf dem Rückweg hätte ich mir schön viel Zeit gelassen, um dich besser kennen zu lernen. Wir hätten eine tolle gemeinsame Reise haben können, die mir und vor allem auch dir viel Freude bereitet hätte.“ Nico macht einen Schritt auf Loran zu, der noch einen drauf setzt: „Wir hätten uns ausgiebig miteinander vergnügen können.“ Er macht eine anstößige Bewegung mit seiner Zunge, weshalb sich Kara angewidert abwendet. Das gibt Nico den Rest. Mit den Worten: „Reiß dich zusammen!“ schlägt er Loran mit geballter Faust ins Gesicht. Nico wünscht sich gerade so stark zu sein wie Hendryk, dessen Schlag noch mehr Durchschlagskraft gehabt hätte als sein eigener. Lorans Zopf lockert sich durch die Wucht des Schlages und seine langen Haare fallen ihm ins Gesicht. Sogar etwas Blut läuft ihm aus dem Mund, doch trotzdem grinst er zynisch. Ungeduldig brüllt Nico Loran an: „Welche Botschaft hat sie für mich?“ Kara schaut überrascht zu ihrem ungehaltenen Liebsten. Sie begreift erst jetzt, dass es gar nicht um sie geht sondern um ihn. Diese Frage beantwortet Loran gern, auch wenn sie von Nico gestellt wurde. Er spuckt ein wenig Blut aus und antwortet belustigt: „Das ist die einzige Frage, die ich dir Verräter beantworte. Meine Königin ruft dich zu sich, um die Geburt deines Erstgeborenen nicht zu verpassen.“ Für Nico kommt diese skurrile Information völlig unerwartet und auch unglaubwürdig und es verschlägt ihm kurz den Atem. Nach kurzem Zögern stammelt er: „Meines...Erstgeborenen...?“ Er wendet sich ab. „Das kann nicht... Das ist nicht möglich. Ich bin nicht...“ Ganz sicher ist er sich nicht, ob es möglich ist, aber eigentlich hat er aufgepasst. Er glaubt sie blufft. Ganz sicher blufft sie, nur um ihm zu sich zu locken. Ob es möglich ist oder nicht...davon hängt alles ab. Was ist, wenn sie doch schwanger geworden sein kann. Er ahnt, dass er mit Kara darüber sprechen muss und das jetzt wo es mit ihr doch so gut lief. Das sind Details, über die er mit ihr eigentlich nicht reden will und wirft ihn völlig aus der Bahn. Kara schaut geschockt zu ihrem Verlobten und flüstert verunsichert seinen Namen. Loran genießt Dugars verwirrten und immer verzweifelter werdenden Gesichtsausdruck und erklärt: „Sie trägt ihren Babybauch wie eine Trophäe vor sich her. Sie muss im siebenten oder achten Monat sein. Sogar ein Vollidiot wie du würde erkennen, dass sie schwanger ist.“ Bisher wollte Kara nicht daran glauben, doch seine Ausführungen lassen sie zweifeln. Sie taumelt rückwärts und stottert leise, während sie nach etwas sucht worauf sie sich abstützen kann: „Nico, der Monat...würde schon stimmen und es war in letzter Zeit so verdächtig ruhig in Roshea.“ Loran kann sich kaum halten vor Lachen. Er sieht wie die beiden vor ihm zerbrechen und amüsiert sich köstlich darüber. Zu gern würde er sich den Bauch halten, wenn seine Hände nicht hinter seinem Rücken verschnürt wären. „Hahahaha, ihr solltet eure Gesichter sehen. So herrlich! Genau diesen Blick wollte Estell an dir sehen, meine Hübsche. Jetzt genieße ich ihn an ihrer Stelle.“ Für ihn völlig unvorhergesehen hat er wieder Nicos Faust in seinem Gesicht. Nicos Schläge mögen Schmerzen, doch ihn in diesem Zustand zu sehen ist Kompensation genug für den Generalleutnant. „Benimmst du dich jetzt, oder legst du es darauf an von mir getötet zu werden?“ schreit Nico ungehalten, woraufhin Kara aufblickt und wieder seinen Namen ruft, doch dieses Mal sehr streng. Wieder glaubt sie ein Funkeln in seinen Augen zu sehen, das jedoch schnell wieder verschwunden ist. Lorans Schmerzen mindern in keiner Weise seine gute Laune. Er lacht auf. „Danke, dass du dich für mich einsetzt, mein hübsches Kind.“ Dann wendet er seinen Blick an Nico. „Ich erinnere mich an einen Dugar, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lassen konnte und jetzt machst du es mir so einfach. Der Liebling der Königin, der unantastbare Offizier Dugar hat mir freiwillig seine Schwächen offenbart. Das war dein Fehler, denn ich bin ohne größere Anstrengungen in der Lage deine Schwachpunkte auszunutzen. Nur ein paar richtige Worte und du tickst sofort aus. “ Ohne auf das Gesagte zu reagieren, geht Nico zu seiner Liebsten. Er streichelt ihr betroffen über ihren Arm, während sie ihn halblaut fragt: „Was glaubst du sollen wir jetzt mit ihm machen?“ Nico legt seinen Arm jetzt ganz um sie und die beiden drehen sich von Loran weg, der trotzdem weiter spricht: „Ich meine, wie dumm bist du eigentlich? Du hättest die heißeste Frau der Welt haben und auch noch König von Roshea werden können...“ Ungeachtet dessen flüstert Nico: „Du weiß was ich mit ihm machen will, deshalb solltest du es besser entscheiden. Dir hat er weit mehr Leid zugefügt als mir und vergiss nicht: Niemand weiß, dass er hier ist. Es würde nicht auffallen, wenn er einfach verschwinden würde.“ Kara schaut vorwurfsvoll, denn sie hat seinen Hinweis verstanden. „Dass du das überhaupt in Betracht ziehst... Ich werde dich nicht zum Mörder machen, Nico. Nicht einmal für ihn. Auch nicht die aller mieseste Kreatur auf diesem Planeten ist das wert. Melde ihn bei der Stadtwache und lass ihn abführen! Das ist wahrscheinlich das Beste.“ Nico denkt über ihre Aussage nach. Sie will ihn nicht zum Mörder machen...? Was glaubt sie wohl hat er all die Jahre beim Militär in Aranor getrieben? Er hätte keine Skrupel gehabt, Loran auf der Stelle zu töten, jetzt wo er seine Einladung überbracht hat. Sein Hass auf ihn ist groß, allerdings nicht zu vergleichen mit dem Hass auf das Miststück Estell. Nichtsdestotrotz weiß er, dass Kara recht hat, wenn auch aus den falschen Gründen. Willkürliche Gewalt und Selbstjustiz sind die Dinge, gegen die er all die Jahre gekämpft hat. Die beiden benachrichtigen die Stadtwache und Loran wird noch in derselben Nacht abgeführt und inhaftiert. Nach den von Nico wieder eingeführten Regeln, soll Loran einen ordentliche Strafprozess vor dem Stadtrat erhalten. Die ganze Nacht, bis in die Morgenstunden hinein beraten sich Kara und Nico über ihr weiteres Vorgehen. Die beiden sitzen sich an ihrem Küchentisch gegenüber. Nach einem langen Gespräch über Lorans Prozess, die Richtigkeit ihrer Entscheidung und die Lage in Kalaß schüttelt Nico den Kopf. Er sieht Kara sehr besorgt an und beginnt fast zu flüstern: „Ich verstehe das nicht. Wie kann sie schwanger sein?“ Endlich getraut er sich das Kernproblemthema anzusprechen, das ihm fast den Verstand raubt. Kara hatte es ebenfalls nicht gewagt es zu erwähnen. Sie hat einen traurigen, aber auch fragenden Blick. „Ich dachte ihr habt...“ Er ist in sich zusammen gesunken und schüttelt nachdenklich den Kopf. Er ist um die Worte verlegen, was ihm sonst nie passiert. „Ja und Nein. Ich...ich bin nicht in... ihr...“ Er spricht sehr leise. Kara ist etwas gefasster als er, versteht was er sagen will und erlöst ihn. „Und vorher? Bist du vorher gekommen?“ Er senkt den Kopf, legt das Gesicht in Falten, hebt seinen Kopf wieder, schaut Kara gequält an und nickt. Sie sieht ihm ernst in seine glasig gewordenen blauen Augen, doch sie bleibt gefasst. „Dann kann es schon sein, wenn es auch deutlich unwahrscheinlicher ist.“ Nico sinkt noch weiter in sich zusammen. Er ist nach vorn über den Tisch gelehnt und fährt sich mit seiner Hand über sein Gesicht in seine Haare, um seine tiefen Sorgenfalten vor Kara zu verbergen. Die beiden sprechen zum ersten Mal über Details aus dieser Nacht. Kara sieht Nico an, wie sehr ihn seine Erinnerungen daran quälen. Bisher hat er seinen Schmerz darüber vor ihr verborgen und ihn nur mit sich selbst ausgemacht. Diese Verdrängungstaktik hat auch bisher ganz gut funktioniert. Doch jetzt wo er hört, dass daraus eine Frucht entsprungen sein soll, wächst sein Schmerz ins Unermessliche. Estell drängt sich wieder zwischen ihn und seine große Liebe. Er will kein Kind mit dieser Frau. Er wünscht sich Kinder mit Kara und auch nur mit ihr. Kara kann nur erahnen wie groß der Schmerz in ihm sein muss, deshalb steht sie auf, geht zu ihm und umarmt ihn zärtlich. Ihr Blick ist traurig, doch sie bleibt gefasst und legt ihren Kopf auf seinen. Er weint... Einige Zeit vergeht, bis er sich etwas beruhigt hat. Mit neu erstarkter Stimme sagt er schließlich: „Ich muss gehen. Ich muss dieser Frau das Handwerk legen, ihr endgültig ein Ende setzen. Ich hätte sie töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte.“ Kara umarmt ihn noch fester und fleht ihn an: „Nein, Nico! Lass sie! Ignorier sie! Du verlierst den Verstand vor Hass. Dieses Mal würdest du bestimmt nicht zurückkehren. “ Er sieht Kara mit sanften Blick an: „Vielleicht würde ich das nicht. Ich weiß es nicht. Aber ich kann es nicht ignorieren. Was ich gelernt habe ist, dass mein Wort bei den Soldaten und Offizieren des Rosheanischen Militärs mehr zählt, als du dir vorstellen kannst. Wenn die Königin fällt, kann ich vielleicht dafür sorgen, dass das Militär mir folgt. Das ist unglaublich gewagt, vielleicht sogar unwahrscheinlich, das ist mir bewusst, aber wenn ich es nicht tue, wird sie so lange Krieg führen, bis Kalaß kapituliert und mich dann ohnehin als Tribut fordern. Ich bin auf verlorenem Posten.“ Kara lässt ihren Griff nicht locker und entgegnet entschlossen: „Wenn ich dich nicht davon abbringen kann, dann werde ich mit dir gehen.“ Er reißt geschockt die Augen auf und drückt sie ein Stück von sich weg. „Nein Kara, damit spielst du ihr nur in die Karten!“ Sie streicht ihrem Geliebten durchs Haar. Ihre Stimme ist gelöst. „Allein werde ich dich nicht gehen lassen. Lieber sterbe ich mit dir, als hier allein zurückgelassen zu werden. Das würde ich dir niemals verzeihen.“ Er fasst Kara an den Schultern. Sein Blick ist ernst und aufgewühlt. „Ich kann dich nicht mitnehmen. Versteht doch, diesmal werde ich sie töten müssen.“ Kara nickt. „Ich weiß, die Königin schon, aber das Kind nicht. Es ist ein unschuldiges Leben und es stammt von dir. Wie grausam wäre es, das auch zu töten, dein eigenes Fleisch und Blut? Sie müsste im achten Monat sein und das Kind könnte es vielleicht überleben. Was wenn ich es retten könnte? Nico, denk nicht wieder darüber nach einfach abzuhauen, wie du es sonst immer machst, denn das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Ich folge dir überall hin, ist das klar? Du müsstet mich schon einsperren lassen, um mich aufzuhalten.“ Nico bleibt kurz stumm und nickt dann. „Ich verstehe. Auch wenn du es mir dadurch wohl nur noch schwerer machst, muss ich das akzeptieren. Damit ist es beschlossen. Wir beide brechen nach Nalita auf um die Königin von Roshea zu töten.“ Kapitel 20: Das Ende einer Ära ------------------------------ Mit einem guten Pferd wäre Nalita nicht mehr als dreizehn Wegstunden von Kalaß entfernt, doch solange kann ein Tier nicht am Stück laufen, deshalb müsste man es mehrmals wechseln, was einen großen Aufwand bedeutet und viele körperliche Reserven verbrauchen würde. Da Nico davon ausgeht, dass ihn Rosheas Soldaten ohnehin passieren lassen werden, macht er sich jetzt aber gar keine größeren Gedanken über die Reise. Seiner Analyse zufolge hat er in Roshea nichts zu befürchten, deshalb schlägt er vor die Reise auf zwei Tage zu verteilen und ein paar Wegstunden vor Nalita zu übernachten, um nicht erschöpft zu sein, wenn er auf die Königin trifft. Kara ist damit einverstanden. Sie treten die Reise an, ohne den Stadtrat zu informieren. Nico möchte nicht zu großes Aufsehen erregen und hat nur Farsa Gena seinen Plan eingeweiht. Dass sie absolut dagegen ist, kümmert die beiden nicht. Niemand kann sie von ihrem Ziel noch abbringen. Ganz so wie geplant übernachten sie nach einem siebenstündigen Ritt unweit von Nalita in einem einfachen, aber gemütlichen Gasthof. Bis vor kurzem hatte Kara noch nie Kalaß verlassen und nun hat sie in weniger als einem Jahr erst Yoken und nun auch Roshea kennen gelernt. Alles sollte fremd für sie sein, doch dieser Teil Rosheas ist Kalaß sehr ähnlich. Trotzdem hat sie, ohne es sich bewusst zu sein, Vorurteile gegenüber Rosheanern, so wie sie fast alle Kalaßer haben. Betroffen, fast erschrocken über sich selbst, stellt sie fest, dass sie unbegründet negative Denkmuster aufbaut, wenn sie Leute sieht, die nicht aus Kalaß stammen. Es fällt ihr schwer dieses starre Gedankensystem zu überwinden. Sie beschließen im Gasthof zu Abend zu essen. Draußen ist es noch hell, doch durch die kleinen Fenster des urigen Gasthofes dringt nur wenig Licht ein. Sie sind mit dicken dunklen Vorhängen bestückt, die jetzt zwar zur Seite geschoben wurden, aber trotzdem das halbe Fenster verdunkeln. Jemand sollte daran mal eine Kordel anbringen, denkt sich Kara. Vermutlich dienen sie dazu bei großer Hitze die Wärme draußen zu halten. Kara und Nico nehmen an einem kleinen Tisch vor einem der Fenster platz. Das überaus hübsche Paar fällt auf und zieht im gut besetzten Gästehaus viele bewundernde Blicke auf sich. Ein kleiner Junge direkt am Nachbartisch, vielleicht drei oder vier Jahre alt, starrt die beiden ganz offen an. Nico ist erheitert über das offensichtliche Interesse des Kleinen und lässt sich spielerisch zu einem Anstarrduell herausfordern. Wettkämpfe scheut er niemals, egal welcher Natur. Kara stupst ihn an, um ihm zu vermitteln er solle es lassen, doch er ignoriert sie. Sie ist froh, dass er so ausgelassen mit dem Jungen spielen kann, doch es ist ihr unangenehm den Eltern des Jungen gegenüber und das hat sie mit ihnen gemeinsam, denn diese versuchen ihren Sohn ebenfalls davon abzuhalten. „Miki, hör auf fremde Leute zu belästigen!“ schimpft die Mutter besorgt. Sie schaut zu Kara: „Entschuldigen Sie bitte, junge Frau.“ Kara lächelt verlegen und stupst Nico ein weiteres Mal an. Dieser zwinkert dem kleinen Miki zu und flüstert halblaut, sodass ihn trotzdem jeder von ihnen hören kann: „Von unseren Frauen lassen wir uns nichts verbieten, oder Miki?“ Der Kleine lacht laut und dreht überlegen den Kopf zu seiner Mutter. Nun hat Nico Grund zu lachen, denn er hat das Anstarrduell gewonnen, was er auch lautstark Kund gibt: „Hah, ich habe gewonnen!“ „Waaaas? Gar nicht! Unfair!“ brüllt Miki empört und springt von seinem Platz auf, um zu seinem Gegner zu laufen. Sein Vater erhebst sich sofort, um ihn wieder einzufangen, was ihm nicht schnell genug gelingt. Bei Nico angekommen zerrt er etwas an dessen Kleidung herum, bis ihn sein Vater hoch nimmt, um ihn zurück zu seinem Platz zu tragen. Miki will gerade anfangen zu brüllen, als die Bedienung das Essen bringt und das lenkt ihn ab. Ohne einen weiteren Mucks von sich zu geben ist Klein-Miki besänftigt. Kara ist erleichtert und beginnt ein Gespräch über die Landschaft Rosheas, doch Nico ist nicht bei der Sache und gibt nur geistesabwesende Antworten. Er hört ihr kaum zu und beobachtet die Familie am Nachbartisch. Sein Lächeln ist versiegt. Nach der zweiten beiläufigen Antwort seinerseits, bemerkt sie den Schmerz in seinen Augen und legt ihre Hand auf seine. Die beiden schweigen. Er braucht nichts zu sagen, denn Kara versteht was in ihm vorgeht. Kurz nach dem Essen springt Miki von seinem Platz auf, um zu Nico zu laufen. Der junge Mann gibt dem Vater des Kindes zu verstehen, dass es in Ordnung für ihn ist. Ganz so als hätte er den Zank von vorhin vergessen, kommt der Kleine auf Nicos Schoß gekrabbelt und die beiden Eltern entschuldigen sich erneut, worauf Nico entgegnet: „Ist schon gut. Wie wäre es, wenn ihr euch zu uns setzt?“ Die beiden stimmen zu und kommen mit dem Kalaßer Pärchen ins Gespräch. Sie erzählen, dass sie ihre Verwandten besucht haben, die im nördlichen Teil der Stadt Nalita, an der Bucht von Tasann, leben. Da gerade Sommer ist, waren sie mit ihrem Sohn oft schwimmen. Miki hat es sich inzwischen auf Nicos Schoß gemütlich gemacht und beginnt während des langweiligen Gesprächs vor sich hin zu dösen. Auch Kara unterhält sich sehr gut mit der jungen Familie. Die eitle Kalaßerin wird in diesem Gespräch ein weiteres Mal eines Besseren belehrt und auf den Boden der Tatsachen geholt. Rosheaner sind nicht nur ganz normale, sondern sogar überaus freundliche Leute. Selbst nachdem sie sich und Nico als Kalaßler zu erkennen gegeben haben, reagiert niemand mit Ablehnung oder betrachtet sie gar als Feind. Einige Tische um ihren herum haben mitbekommen, dass sie ungewöhnliche Gäste im Land haben. Seit der Besatzung haben sie keinen Kalaßer mehr zu Gesicht bekommen und es bildet sich eine kleine Menschentraube. Die Leute sind aufgeschlossen und erfragen neugierig ein paar Neuigkeiten aus der Festungsstadt. Mikis Mutter weiß von dem kürzlichen Führungswechsel und fragt wie sich der neue Stadtrat macht. Nico schweigt und überlässt Kara die Antwort. Mit erst kürzlich erworbener Eloquenz antwortet sie: „Natürlich befindet sich der neue Stadtrat noch in der Findungsphase, doch er ist bereits jetzt transparenter, gerechter und entscheidungsfähiger als es der Ältestenrat je war.“ Mikis Mutter bringt zum Ausdruck, dass sie mit der neuen Führung von Roshea nicht besonders zufrieden ist, was Kara ganz unverhohlen gehässig fragen lässt was denn an der Königin verkehrt sei. Die junge Mutter erzählt, dass vor zwei Wochen eine neue Wassersteuer erhoben wurde, die besonders arme Menschen schwer treffen würde. Außerdem wurden viele Hilfstruppen aus den Wüstengebieten abgezogen. Die Familie stammt aus einer solchen Region und ist davon stark betroffen, denn es macht ihnen das Leben sehr viel beschwerlicher. Angriffe von Räubern und wilden Tieren sei in einigen Teilen der Wüstenrandgebiete keine Seltenheit. Für Nico ist das nichts neues, doch Kara hört interessiert zu. Sie weiß nur sehr wenig über alles was außerhalb der Mauern ihrer Heimatstadt passiert ist. Der Abend wird länger als geplant. Nico muss die Frage-Antwort Runde unterbrechen, zu der sich etwa zehn weitere Gäste der Herberge gesellt hatten. Das Kalaßer Pärchen verabschiedet sich und geht zu Bett. Etwa zur Mittagszeit des nächsten Tages erreichen sie die Hauptstadt Nalita. Sie passieren die Kaserne vor der Stadt in der Nico ein paar Tage stationiert war, bevor er den Dienst quittierte. Seit er vor etwa einem halben Jahr hier war, hat sich die Stadt etwas verändert. Die Straßen sind weniger belebt und es sind weit weniger Händler auf dem Markt anzutreffen als früher, dafür sind auffällig viele Soldaten unterwegs, die von Nico jedoch keine Notiz nehmen. Er fällt in der Stadt nicht weiter auf, denn so bekannt ist er nicht. Obwohl Kara die Stadt noch nie gesehen hat, erfüllt sie das Gefühl in ihrer Heimat zu sein. Sie erkennt eine große Ähnlichkeit in Architektur und Stadtaufbau zu Kalaß. Anders ist nur, dass die Häuser hier nicht ganz so gedrängt aneinander stehen und die Straßen deshalb um einiges breiter sind. Nico kennt sich einigermaßen aus. Es ist schon Nachmittag geworden und die beiden beschließen noch einmal zu rasten, bevor sie in das Schloss eindringen wollen, das sie nun bereits sehen können. Nico will bei vollen Kräften sein, wenn er Estell gegenübertritt. Das Schloss ist riesig und prunkvoll wie ein Märchenschloss, was Kara zwar beeindruckt, doch trotzdem jagt ihr der Anblick Angst ein. Je näher sie ihm kommen, desto bedrohlicher baut es sich vor ihnen auf und scheint nach und nach die Sonne und damit jedes Licht und jedes Glück zu verschlingen. Das Wetter hat umgeschlagen und dunkle Gewitterwolken schieben sich immer näher, als wollten sie den drohenden Untergang ankündigen. Kara bekommt ein flaues Gefühl im Magen. Trotzdem ist sie davon überzeugt das einzig richtige zu tun. An diesem Abend scheuen sie größere Menschenmengen und nehmen ihr Abendessen auf ihrem Zimmer zu sich. Die Stimmung ist düster wie das Wetter und die dunklen Wolken ziehen in einem regenlosen Gewitter über sie hinweg. Die beiden schlafen in dieser Nacht nur sehr wenig. Am Vormittag des nächsten Tages leitet Nico Kara geradewegs direkt zum Schloss. Ein, zwei Soldaten kennen und grüßen ihn ehrerbietend, auch wenn ihnen bewusst ist, dass es keinen formalen Grund dafür gibt. Der überwiegende Teil der Männer ist Nico jedoch völlig unbekannt. In Kalaß mag er bei allen bekannt gewesen sein, aber in Nalita ist er nur ein ehemaliger Offizier mittleren Ranges. Die Schlosswache, die Nico ebenfalls nicht kennt, erwartet ihn schon. Er wird ohne größere Umschweife mitsamt seiner Begleiterin zum Tor des Thronsaals durchgelassen. Die beiden gehen selbstsicher nebeneinander her, denn sie geben sich gegenseitig Kraft, auch wenn in ihnen innerlich eine große Unruhe herrscht. Auf ihrem Weg sehen sie kaum Bedienstete oder überhaupt Personen in zivil, seit sie das Gelände des Schlosses betreten haben. Dafür wimmelt es überall nur so von Militärangehörigen und vom Adel fehlt jede Spur. Vor dem Thronsaal werden die beiden vorsichtshalber nach Waffen durchsucht. Sie sind selbstverständlich unbewaffnet, auch wenn für ihr Vorhaben ein Dolch oder ein einfaches Messer von Vorteil gewesen wären. Sie wussten sie hätten solche Gegenstände jedoch niemals hier hinein schmuggeln können. Außerdem gibt es im Schloss genügend Waffen. Jeder Soldat trägt ein Schwert und ein Messer bei sich und für Nico ist das fast wie in einem Selbstbedienungsladen. Sie werden in den Thronsaal gebeten, den sie nun betreten. Der Raum ist gewaltig. Groß genug um hier einen Ball zu veranstalten, bei dem der komplette Adel des Königreichs eingeladen werden kann. Er ist säulenlos und hohe Fenster sorgen dafür, dass er im Licht des Tages erstrahlt. Ein Glanzstück der Architektur, findet Kara. Weißer Marmor und weißer Stein heben die im Raum verteilten royalblauen Flaggen mit dem silbernen Hirsch von Roshea hervor. Auch Nico hat diesen Saal noch nie gesehen. Als er von König Riecard ins Schloss eingeladen worden war, ist er bereits einen Gang zuvor in die Privatgemächer des Königs abgebogen. An der Stirnseite des Saals sitzt Königin Estell, so elegant sie es mit ihrem Babybauch kann, in ein knappes nachtblaues Samtkleid gehüllt, auf ihrem Thron und lächelt selbstsicher in Richtung Nico. In ihrem schwarzen Haar trägt sie ein silbernes mit Diamanten besetztes Diadem. Wenn sie nicht so ein böser Mensch wäre, dann würde Kara zugeben, dass diese schöne Frau den Raum erst perfektioniert. Als die junge Frau jedoch den Bauch bemerkt, stockt ihr unmittelbar der Atem. Sie fasst nach dem Arm ihres Verlobten und auch er ist geschockt. Insgeheim hatte Nico die ganze Zeit gehofft, alles sei nur ein Bluff gewesen, um ihn herzulocken. Vor Estell versucht er sich nicht anmerken zu lassen wie geschockt er ist, weil er ihr diese Genugtuung nicht verschaffen will und versteckt sie unter einer emotionslosen Mine. Kara bemerkt Nicos aufrechte Haltung und seinen zielgerichteten Blick. So kennt sie ihn gar nicht, was sie verunsichert und sie noch unruhiger macht als sie schon ist. Estell steht anmutig von ihrem Thron auf und kommt auf die beiden zu geschritten. Kara läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ihr Griff um Nicos Arm wird fester, worauf er gar nicht reagiert. Er streicht sich mit der freien Hand durchs Haar, was Estell gefällt. Sie macht ein vergnügliches Gesicht und begrüßt ihn freundlich: „Oh Nico, es freut mich außerordentlich, dass du dich entschlossen hast zur Geburt seines Sohnes dabei zu sein. Und wie ich sehe hast du mir auch noch ein Geschenk mitgebracht.“ Sie lächelt kurz abschätzig in Richtung Kara, doch sein Blick bleibt ungerührt auf Estell fixiert. Die innere Unruhe in der jungen Kalaßerin wird immer stärker und ein innerer Instinkt rät ihr wegzulaufen, doch sie kann jetzt nicht mehr zurück. Wenn sie diese Frau sieht, dann muss sie unweigerlich daran denken was sie Nico angetan hat und das macht sie so wütend, dass ihr Frust plötzlich aus ihr herausbricht. „Woher wollt Ihr bitte wissen, dass es ein Junge wird?“ schreit sie. Estell wendet ihren vergnügten Blick von Nico ab und fixiert ihre schärfste Konkurrentin. Ihr Ausdruck ändert sich abrupt, denn der Angriff Nicos kleines Betthäschens verärgert sie. Die Königin hat den Impuls das Mädchen zu Ohrfeigen, doch sie beschließt sich noch ein wenig zu beherrschen. Stattdessen sagt sie in lautem herablassenden Ton: „Na na, wenn sich die Obrigkeit unterhält, hat der Pöbel still zu sein! Weiß man das nicht als Offiziershure?“ Nico senkt seinen Blick. Er wird ebenfalls sauer und sagt hart: „Rede nicht so mit ihr!“ Dann wendet er seinen Blick jedoch nicht an die Königin, sondern seine Verlobte, die davon geschockt ist. Sie erkennt diesen Mann nicht wieder. Wieso sagt er das zu ihr und nicht zu der Geisteskranken vor ihm? Die Königin amüsiert sich über Karas Reaktion und lacht laut, was im großen Thronsaal widerhallt. Sie geht ein Stück und fordert Nico auf ihr zu folgen: „Komm Nico, wir gehen in einen gemütlicheren Raum. Wir haben viel zu bereden und bring dein Geschenk ruhig mit.“ Königin Estell geht ein paar Schritte voraus. Sie dreht sich zu ihm um und macht mit den Fingern eine lockende Geste. Sie läuft weiter und beginnt gedämpft mit ihren Wachen zu sprechen. Nico nutzt die Gelegenheit, um sich an Kara zu wenden, die völlig perplex neben ihm steht. Er flüstert ihr zu: „Kara, bist du verrückt? Hör auf Estell zu reizen! Sie ist unberechenbar. Diese Frau bringt dich um, wenn du ihr lästig wirst. Hast du nicht gehört was sie mit dem Rest des Adels gemacht hat?“ Kara schluckt und glaubt es jetzt zu verstehen. Egal wie sehr Estell sie provoziert, muss sie es herunterschlucken. Die Königin betritt durch einen große Flügeltür einen Raum, der an der rechten Seite des Saals anschließt. Vier Wachen gehen ihr nach. Nico kennt keinen einzigen davon, was ungünstig ist. Er macht sich ebenfalls auf den Weg und Kara folgt ihm. Es handelt sich um ein Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch liegen einige unsortiert wirkende Unterlagen. Auch hier gibt es eine Couchgarnitur, die der in Kalaß gar nicht so unähnlich ist, doch diese hier ist blau, so wie alle Farbtupfer im Raum. Bis auf alles was aus Holz gefertigt wurde, ist alles in Weiß oder Blau gestaltet. Es ist geschmackvoll, aber auch kalt eingerichtet. Im hinteren Teil des Raumes befindet sich ein Besprechungstisch mit sieben Stühlen. Als Nico und Kara im Zimmer ankommen, empfängt die Königin ihren Gast freundlich: „Mein liebster Nico, möchtest du etwas trinken? Erhol dich doch erst einmal von deiner Reise und mach es dir auf der Couch bequem, ganz so wie früher.“ Sie deutet elegant mit einer ausladenden Armbewegung auf die Sitzgarnitur, auf die er sich setzt. Dann dreht sie ihm den Rücken zu, holt zwei verzierte Kristallgläser und eine Flasche Cognac aus einer Vitrine und stellt die Gläser auf den Tisch vor ihm, um sie im Anschluss zu füllen. Als Kara sich einen Schritt weiter in den Raum bewegt, wird sie von einer der Wachen zurückgehalten. Estell setzt sich neben Nico, der sie nicht einmal ansieht. Sie streichelt ihm über seine braungebrannten Arme und kommentiert sehnsüchtig: „Ohne Uniform, fehlt einfach etwas an dir...das ist nicht richtig.“ An der Couch sind Handschellen angebracht, er jetzt erst bemerkt, wo sie danach greift und ihm danach an beide Handgelenke anlegt. Dabei streichelt sie zärtlich über seinen Körper. Stillschweigend lässt er die Prozedur über sich ergehen, denn sie beiden Soldaten an der Tür haben Kara in ihrer Gewalt. Nun hat er nur noch wenig Bewegungsspielraum. Er streicht sich durch das Haar, was gerade noch so geht. Aufstehen kann er nicht mehr, aber er verzagt nicht, denn er muss mit dem arbeiten was er hat. Diese Frau muss ihm nur nah genug kommen. Sie kommentiert zärtlich: „Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, denn jetzt wo ich weiß, dass du der Verräter warst, bin ich vorsichtiger geworden. Aber keine Sorge, wenn du mir deine Loyalität beweisen kannst, nehme ich sie dir wieder ab.“ Estell geht zur Tür und stellt sich neben Kara. Dabei fällt ihr der meisterlich gearbeitete Rubinring an Karas linkem Ringfinger auf, den die junge Frau noch nicht hatte, als sie vor acht Monaten schon einmal von ihr gemustert wurde. Nico bleibt fast das Herz stehen. Ihm gehen unschöne Gedanken durch den Kopf wie er seine Loyalität der Königin gegenüber beweisen könnte. Zu seiner Erleichterung macht Estell nichts weiter, als gedämpft mit den vier Wachen zu sprechen und sie aus dem Raum zu schicken. Die vier gehen an Kara vorbei zur Tür hinaus und ignorieren die junge Frau genauso wie die Königin, die sich wieder zu Nico setzt. In einem etwas lauteren Ton als normal, sodass auch Kara sie gut hören kann, sagt sie: „Ach liebster Nico, du kannst jetzt aufhören der dummen Göre vorzuspielen du würdest sie lieben und uns dein wahres Gesicht zeigen. Ich weiß welche Düsternis und welcher Machthunger in dir schlummern. Du manipulierst Menschen für deine Zwecke, um an die Spitze zu gelangen, genauso wie ich. Wir beide wissen, dass du mit einem Kind wie der da nicht glücklich werden kannst. Zu mir kannst du offen und ehrlich sein.“ Da er nicht reagiert, spricht sie weiter: „Ist schon gut, lass es raus, so wie in unserer gemeinsamen Nacht.“ Sie wirft einen Blick Richtung Kara. Nochmal will die junge Frau jedoch nicht entgleisen und verzieht keine Miene, was der Königin missfällt. Sie muss stärkere Geschütze auffahren, um aus Kara Ärger und Verzweiflung herauszukitzeln. Sie streichelt sanft über Nicos Oberkörper und spricht weiter: „Noch heute träume ich davon wie du mich dir wie ein wildes Tier zu eigen gemacht hast. Als könntest du es kaum noch aushalten bist du über mich hergefallen und das nicht gerade zimperlich. Kein anderer Mann kann es mir so besorgen wie du es getan hast. Ich bekomme direkt Lust auf dich, wenn ich daran denke, aber heute kannst du mich leider nicht so hart nehmen, mein Liebster. Ich bin schließlich in anderen Umständen.“ Nico lässt sich von diesen Worten nicht beeindrucken, ganz im Gegenteil zu Kara, die damit überhaupt nicht zurechtkommt. Sie kann nicht anders als sich die beiden miteinander vorzustellen und geht einen Schritt auf die beiden zu, weshalb Estell unvermittelt laut wird. „Na na, sei ein braves Geschenk und bleib schön da stehen!“ Kara sieht Hilfe suchend zu Nico, der ihr einen strengen Blick zuwirft. Sie versteht zwar, dass sie nicht eingreifen soll, sieht aber auch kaum Handlungsspielraum für ihn. Estell wendet sich wieder Nico zu. Ihre Hand wandert seinen Oberkörper hinab, bis zum Bund seiner Hose. „Zeigen wir deinem kleinen Flittchen doch einfach was wir gemacht haben.“ Sie öffnet seine Hose und ist sichtlich enttäuscht. „Oh Nico, was ist denn los? War die Anreise zu anstrengend oder nimmt es dir die Lust mich nicht so hart nehmen zu können, weil ich schwanger bin? Na, ist auch nicht so wichtig. Dafür haben wir auch später noch Zeit. Viel wichtiger ist, dass unsere Vereinigung Früchte getragen hat. Findest du nicht auch? Sag mir, wie soll unser gemeinsamer Sohn heißen?“ Unbeeindruckt antwortet Nico knapp: „Sucht Ihr einen Namen aus!“ „Du setzt viel Vertrauen in mich. Ich fühle mich geschmeichelt. Vielleicht fällt dir bis zur Geburt auch selbst noch etwas ein. Du wirst schließlich viel Zeit haben über einen angemessenen Namen nachzudenken. Wie du weißt, mein Liebster, wollte ich dich zu meinem Gatten und Imperator machen, aber du hast dich ja lieber dafür entschieden, mich zu verraten und dich mit diesem Flittchen zu verloben.“ Estells bisher eher freundlicher Gesichtsausdruck verwandelt sich in einen verbitterten. Nico bleibt gefasst, wohingegen Kara immer unruhiger wird. Er wartet immer noch geduldig ab, bis die Königin einen Fehler macht, doch sie ist hochkonzentriert. Er müsste sie schnell und lautlos ausschalten, um zu verhindern, dass sie die Wachen alarmiert. Das würde aller Wahrscheinlichkeit nach Karas und seinen Tod bedeuten. Er sieht nur die Möglichkeit ihr schnell das Genick zu brechen oder ihren Mund zuzuhalten und sie mit der Kette an seinen Handschellen zu erdrosseln. Beides sind schreckliche Vorstellungen für ihn, aber wohl seine einzigen Möglichkeiten. Er hofft, dass sie mit ihrem Kopf näher kommt, doch sie hält immer noch einen gebührlichen Abstand zu ihm. Er konnte bisher überhaupt nichts tun. Er will das Risiko nicht eingehen sie an sich heran zu ziehen. Zum einen könnte sie laut um Hilfe schreien und zum anderen könnte sie sich losreißen, um dann als Gegenreaktion Kara zu töten, ohne dass er etwas dagegen tun kann. Zugegeben, Kara und er hatten keinen echten Plan wie sie Estell überwältigen könnten, ohne selbst am Ende gerichtet zu werden. Aber wieso eigentlich nicht? Dazu hätten sie Verbündete im Schloss gebraucht, die es vielleicht sogar gegeben hätte. Nico wird bewusst, dass die beiden völlig überstürzt gehandelt haben. Sie haben sich eine Falle stellen lassen und sind sehenden Auges hinein gelaufen. Er will aber noch nicht aufgeben und hofft weiter auf eine Gelegenheit. In einer Tonlage, die zwischen Verzweiflung und Erheiterung schwankt, trällert Estell: „Nun bin ich gezwungen, dich hier einzusperren, während ich mich allein um mein Königreich kümmern muss. Sehr schade, aber zum Liebessklaven und sorgenden Vater taugst du noch. Das ist eigentlich mehr, als sich ein Verräter wie du erhoffen kann. Damit bist du doch sicher einverstanden, oder mein liebster Nico?“ Ohne ein Wort wendet er seinen Blick von ihr ab. Gelangweilt sagt die Königin: „Du willst nicht mit mir schlafen, du willst nicht mit mir reden. Dann werde ich mich eben deinem Geschenk zu.“ Sie steht auf und Nico wird klar, dass er seine Chance verpasst hat. Er hätte gleich zu Beginn auf das Gespräch eingehen müssen, als sie von seiner Machtgier sprach, doch nun ist es zu später und er macht sich Vorwürfe. Sein Herz beginnt vor Angst zu rasen. „Wartet, ich rede mit euch, wenn Ihr es wünscht.“ ruft er Estell panisch nach, die fast schon gelangweilt von diesem kläglichen Versuch sie von Kara fern zu halten ihren Kopf zu ihm dreht und entgegnet: „Du hattest deine Chance mich zu unterhalten. Nun schwebt mir etwas anderes vor.“ Er wünschte, er hätte seine Verlobte doch nicht mitgenommen, selbst wenn sie ihn dafür ein Leben lang verachtet hätte. Was hat er sich nur dabei gedacht ihrem Wunsch nachzugeben? Estell sollte längst vernichtet sein, bevor sie sich ihr hätte zuwenden können. Kara weiß, dass Nico nichts dafür konnte und ist ihm nicht böse deshalb. Er hat nichts getan, weil er wollte, dass sie beide das trotz allem heute überleben. Ihr wird klar, dass sie selbst viel größeres Potential hat die Aufgabe zu beenden, denn sie ist hat vollständige Bewegungsfreiheit und wird von ihrer Gegnerin unterschätzt. Nico versucht aufzustehen und zieht an seinen Fesseln, die ziemlich fest verankert zu sein scheinen. Er versucht sich immer stärker loszureißen, bis er bemerkt, dass die Ketten an seinen Handschellen gar nicht an der Couch befestigt sind, sondern direkt am Boden. Die Eisenketten sind nur durch das Polster der Couch gefädelt wurden. Durch seine Versuche sich loszureißen schiebt es zwar die Couch hin und her, aber sonst tut sich nichts. Wenn nichts passiert, wird er seinen Engel verlieren und das vor seinen eigenen Augen. Diese nehmen ab diesem Zeitpunkt plötzlich einen violetten Farbton an, den sie nicht wieder verlieren, was er aber überhaupt nicht mitbekommt. Die Königin schreitet zu ihrer verängstigt wirkenden, jedoch auch unsäglich wütenden Konkurrentin. Sie macht eine sanfte Handbewegung in Richtung Karas Gesicht, welche die junge Frau unvermittelt mit ihrem Arm abwehrt. „Wie armselig du doch bist. Du bist ein Nichts, das wie durch ein Wunder den einzigen Mann abbekommen hat, den ich begehre. Es ist nur natürlich für dich mich zu hassen, aber ich versichere dir, ich hasse dich ebenso. Wir haben vieles gemeinsam, findest du nicht? Wir lieben beide denselben Mann und verabscheuen uns gegenseitig. Nur mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass ich die Königin von Roshea bin und du nur irgendein Mädchen von der Straße und als solches ungeeignet für den Mann, der eines Königs würdig ist.“ flüstert Estell leise, fast zärtlich. Kara hört sich den Monolog geduldig an, ohne etwas zu entgegnen. Sie versucht es so gut es geht zu verbergen, dass sie am ganzen Körper zittert. Wie sie es schon einmal getan hat, als Kara gefangen und in die Festung von Kalaß verschleppt wurde, läuft Königin Estell um die junge Ärztin herum. Hinter ihr bleibt sie stehen und schaut über ihre Schulter zu Nico, der nach vorn gelehnt an seinen Fesseln zerrt. In einem Ruck reißt sie Karas Kleid herunter, das an den Ärmeln reißt und herunterfällt. Kara gibt unter dem Duck ein wenig nach und sinkt ein Stück in die Knie. Auch wenn sie nun nur noch mit einem dünnen kurzen Jäckchen und einem Höschen bekleidet ist, versucht sie Ruhe zu bewahren, denn ein Schrei oder Quieken ist es was die Königin von ihr will. Sie versucht stark zu bleiben und abzuwarten, um eine eventuelle Gelegenheit nicht zu verpassen, wie diese auch immer aussehen möge. Estell verhöhnt die junge Frau. „Nico, du kannst mir doch nicht erzählen, dass du dieses dürre Weib attraktiv findest. Sie hat keine Hüfte, keinen Busen, ja nicht einmal ordentliche Schenkel. Sie ist gebaut wie ein Kind und sie verhält sich auch wie eines. Es ist doch lächerlich sie mir vorzuziehen.“ Kara erhebt den Kopf. Egal was Estell sagen wird, Nico wird hinter seiner Verlobten stehen. Das versetzt die Königin in Unruhe. Die geht um Kara herum, holt mit ihrem rechten Arm aus und gibt ihrer selbstsicheren Konkurrentin eine schallende Ohrfeige. Nico ruft wieder nach seiner Liebsten, die ohne ein Wort zu sagen schon wieder vollkommen aufrecht steht. Ihre Wange wird sofort rot und schmerzt, aber Kara will nicht nachgeben und diese Anmut lässt die Königin in rasende Wut verfallen. „Was fällt dir ein so respektlos mit mir umzugehen? Krieche vor mir, du Miststück. ICH bin die Königin von Roshea und du bist ein Nichts. Du bist meine Gefangene, meine Sklavin. Wenn will, dass du leidest, dann leidest du!“ Wem diese Situation am meisten zu schaffen macht ist Nico, der angekettet nichts tun kann und zum Zusehen verdammt ist. Das ist es aber gar nicht, was Estell im Sinn hatte. Sie wollte seine Verlobte leiden sehen und zerstören, sodass Nico eingestehen muss, dass es keine andere Wahl mehr gibt, als zu seiner Königin zurück zu kehren. Da Kara die Anweisung geflissentlich ignoriert und immer noch Stolz ihren Kopf hebt, gerät Estell nur noch mehr in Rage. Sie entfernt sich von ihr und geht zu ihrem Arbeitstisch, aus dessen Schublade sie einen recht kurzen Dolch holt, der wohl eigentlich zum Öffnen von Briefen und deren Siegeln gedacht ist. Karas innere Angst nimmt weiter zu, doch sie bleibt kontrolliert und konzentriert. Nico schreit nach ihr, deshalb klopft es nun an der Tür. Die Königin beantwortet das Klopfen mit einem hassverzerrten Ruf. „Ich- habe- alles- unter- Kontrolle!“ und flüstert noch einmal leise, fast hysterisch vor sich hin: „Alles unter Kontrolle...“ Mit aller Kraft reißt der unfreiwillige Zuschauer nun an den Ketten und seine Handgelenke haben schon lange angefangen zu bluten. Estell dreht sich lächelnd zu ihm um, denn die scharfe Klinge in ihrer Hand gibt ihr das Gefühl wieder Herrin der Lage zu werden. „Ach Nico, ich hatte mir das hier alles etwas anders vorgestellt, weißt du? Bis jetzt ist es weniger befriedigend als ich es mir erhofft hatte. Aber ich sehe jetzt, dass du weit emotionaler bist, als ich immer dachte. Du bist sehr hübsch, wenn du wütend bist, weißt du das? Aber mal unter uns. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht hierher zu kommen? Wolltest du mich stürzen, oder sogar töten? Das war töricht von dir. Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dich in mein Königreich, in mein Schloss, ja, in meine Privaträume lasse, ohne entsprechende Vorkehrungen zu treffen? Dass du dieses Weib mitgebracht hast, war jedenfalls ein Fehler, den du noch bitterlich bereuen wirst und ich muss sagen, dass ich es auch nicht so richtig verstehe. Sie sah im ersten Moment für mich wie ein Friedensangebot aus, aber deine Reaktion zeigt, dass ich das wohl falsch verstanden habe. Etwas anderes habe ich aber nun verstanden: Sie steht zwischen uns. So lange sie lebt, wirst du niemals mein sein. Weißt du, früher da hat es mich wirklich interessiert was du über mich denkst, aber heute ist das anders. Es ist mir egal, was du von mir hältst, solange du nur mir allein gehörst. Da Loran nicht zurückgekehrt ist, vermute ich dass er tot ist oder gefangen genommen wurde. Hast du etwas damit zu tun? Na, ist auch egal. Vielleicht muss ich mich sogar dafür bei dir bedanken, denn es gibt nun wirklich überhaupt keinen Grund mehr, mich bei dieser Frau in irgend einer Weise zu mäßigen.“ Nico schwitzt und das Bluten an seinen Handgelenken beginnt schon herunter zu tropfen, doch schmerzen verspürt er nicht, nur unendliche Verzweiflung. „Lasst Kara gehen! Ihr wollt sie doch gar nicht, sondern nur mich. Ich werde mein Leben lang Euch gehören, Euch jeden Wunsch von den Lippen ablesen, wenn Ihr sie gehen lasst. Doch wenn Ihr Kara etwas antut, dann werde ich Euch hassen und mich rächen. Das verspreche ich.“ Mit einem fast wehleidigen Ausdruck im Gesicht, antwortet Estell: „Dafür ist es jetzt leider zu spät, mein liebster Nico, ganze acht Monate. Um den Schmerz in meiner Brust zu lindern, den du verursacht hast, werde ich sie leiden lassen müssen. Sie so verletzen, wie du mich verletzt hat. Ich werde sie zerstören und du kannst überhaupt nichts dagegen tun und am Ende wirst du trotzdem mir gehören.“ Nico zerrt weiter an seinen Ketten und schreit nach Kara, sie wie eingefroren dasteht. Sie hat sich kein Stück bewegt, seit ihr Estell das Kleid herunter gerissen hat. Es liegt ihr auf den Füßen und sie steigt langsam aus ihm heraus, um später nicht zu stolpern. Nico kann ihr nicht helfen, das ist ihr klar und fliehen kann sie auch nicht, denn wenn sie die Tür aufmacht und flieht, wird sie von Soldaten aufgehalten. Sie muss selbst kämpfen. Estell kommt auf sie zu und sagt fast freundlich: „Du kannst Schreien, Betteln und Flehen. Ich bitte sogar darum. Es wird mich in helle Freude versetzen. Die Wachen werden dir nicht helfen, dummes Gör, denn sie betreten den Raum erst dann, wenn ich es ihnen befehle. Zuerst sind deine scheußlichen roten Haare dran. Der Wunsch sie abzuschneiden, brennt mir schon lange auf der Seele. Wenn Marco da wäre, dann hätte ich ihm noch ein wenig Zeit mit dir eingeräumt, bevor ich dir die Schönheit nehme. Er hätte jetzt seine Freude mit dir haben können, aber es macht nichts. Dafür kann ich dir nachher noch zeigen wie viel Freude ich mit meinem liebsten Nico haben kann, wenn du dann noch lebst.“ Dann lacht sie schrill, greift nach den seidigen, bordeauxroten Haaren am Rücken ihrer erklärten Feindin und setzt den Dolch auf Schulterhöhe an. Kara versucht sich aus ihren Griff zu befreien. Es entsteht eine Rangelei, bei der Kara auffällt, wie behände sich die angeblich hochschwangere Königin bewegen kann. Die junge Ärztin hat schon viele schwangere Frauen gesehen und das hält sie schlicht für unmöglich. Sie ist fest entschlossen sich dieses Wissen zu Nutze zu machen und stellt ihre Gegenwehr ein, denn ihr kommt eine Idee. Die junge Frau weiß, dass sie nicht scheitern darf, denn dann sind Nico und sie verloren. Estell setzt den Dolch an und Karas Haar fällt schimmernd zu Boden, doch noch während sie schneidet, dreht sich die junge Frau blitzschnell um die eigene Achse, entwendet der überraschten Königin den Dolch und drückt ihn gezielt in deren Oberbauch. Dabei nutzt Kara den Schwung ihrer Drehung aus und stemmt sich mit aller Kraft gegen die nach hinten zurückweichende Königin. Die scharfe Klinge versinkt nach und nach immer tiefer. Kara hat es geschafft. Sie hat den Dolch so geschickt zwischen Brustbein und Rippenbogen platziert, dass sie Estells Lunge verletzen konnte. Nico ist sich nicht ganz sicher was da passiert. Er ist zu weit entfernt und die Position des Dolches wird von Estell verdeckt. Diese Unfähigkeit zu helfen macht ihn verrückt. Er befürchtet, dass Kara den Hieb abbekommen haben könnte und schreit nach ihr. Estell taumelt weiter nach hinten, sieht an sich herab und erkennt, dass der Dolch steckt noch in ihr steckt, allerdings nicht komplett in ihr versunken ist. Sie fasst sich an die Wunde, stolpert, fällt und landet unsanft auf ihrem Steiß. Ihre Versuche zu schreien bleiben erfolglos, denn sie kann nicht richtig Luft holen und verflucht ihre Erzfeindin Kara für diesen Glückstreffer. Zu gern würde sie das ach so glückliche Paar jetzt mit in den Abgrund reißen, doch sie bekommt nur ein leises Japsen heraus. Erleichtert erkennt Nico die Situation. Aufgeregt ruft er: „Gott sein Dank, Kara! Aber was...was ist mit dem Kind?“ Völlig neben sich sagt Kara vor sich hin: „Es gibt keins.“ Nico schaut zu Estell und sieht, dass Blut unter ihrem runden Bauch hervorquillt. „Es gibt kein Kind“...diesen Satz hatte er sich vergebens herbeigesehnt. Er empfindet einen kurzen Moment tiefer Erleichterung, wobei seine Augen wieder das gewohnte Blau annehmen. Als er wieder zu sich findet, erkennt er wie sich die schwer verletzte Estell zu ihm schleppt. Mit leise winselnder Stimme wimmert sie: „Hilf mir,... ...Lieb...ster.“ Kara fasst sich wieder etwas, denn es ist noch nicht vorbei. Sie geht neben die am Boden auf dem Rücken liegende Estell und stellt, frei von Mitgefühl, ihren Fuß auf das Ende des Dolchschafts. Nico fragt die sterbende Königin, so sanft er es unter diesen Umständen kann: „Gibt es noch etwas, das Ihr sagen möchtet, bevor Ihr sterbt?“ Kara verharrt in ihrer Position und ist gewillt die Antwort der Königin abzuwarten. Mit letzter Kraft flüstert die Königin: „Ein Jammer, … dass ich... nicht... schreien...ka-“ Kara lehnt sich mit kaltem herablassendem Blick mit ihrem ganzen Gewicht auf den Fuß, unter dem sich der Dolch befindet. Er sinkt tief in Estells Körper ein und lässt sie verstummen, denn die Königin ist tot. Kapitel 21: Es lebe der König I ------------------------------- Angeekelt und ohne Respekt durchsucht Kara Estells Leiche nach dem Schlüssel zu Nicos Handschellen. Sie wird zu ihrer Erleichterung schnell fündig und befreit ihn davon. Er weiß nicht genau was bei dem Gerangel passiert ist. Während sie ihn los macht und sich dabei versehentlich mit dem Blut an seinen Handgelenken besudelt fragt er seine fast nackte Verlobte leise: „Bist du in Ordnung?“ Kara wirkt kalt und gefasst. „Ich habe getan was getan werden musste.“ Nico nimmt sie in den Arm, doch von ihr kommt ab jetzt kaum noch eine Reaktion, denn sie hat einen Schock erlitten. Er macht sich ernsthafte Sorgen um ihre Psyche. Als Ärztin sie hat gegen ihre Überzeugung gehandelt und einen verletzten Menschen getötet, anstatt ihn zu heilen. Er muss den Gedanken beiseiteschieben, denn es gibt ein wichtigeres Problem zu lösen. Die beiden leben zwar, aber wie kommen sie jetzt wieder aus dem Schloss heraus? Nico zieht den Dolch aus Estells Körper und deckt sie ab. Die verstörte Kara holt ihre Kleidung, die direkt neben ihrem abgeschnittenen roten Haar liegt. Ungeschickt stolpert sie in ihr Kleid hinein und zieht es an sich hoch. Sie versucht die Träger zusammen zu knoten, doch sie schafft es nicht, denn sie zittert viel zu stark und kann sich nicht auf den Vorgang des Knotens konzentrieren. Ihr Verlobter ist ihr behilflich und führt sie danach an den Beratungstisch mit den sieben Stühlen am anderen Ende des Raumes, von wo aus sie die Leiche nicht sehen kann. Apathisch setzt sie sich hin. Er weiß, dass die beiden handeln müssen. Sie bräuchten dringend einen Fluchtplan, doch ihm wird klar, dass dieses Konjunktiv so lange bestehen bleiben wird, wie Kara weiter in diesem Zustand verharrt. Er muss sie schleunigst in die Realität zurück holen, aber wie? Auf zärtliche Berührungen reagiert sie nicht und auf Gesagtes geht sie kaum ein. Statt dessen sitzt sie nur zusammen gesunken auf dem Stuhl, auf den er sie gesetzt hat und starrt mit aufgerissenen Augen ins Leere. Der etwas ratlose Mann geht vor ihr in die Hocke und legt seine Hände auf ihre Knie. Er versucht möglichst ruhig und verständnisvoll zu klingen. „Du hast das Richtige getan und uns beide gerettet, Kara. Mach dir keine Vorwürfe.“ Sie reagiert darauf und sagt traurig und so leise, dass er sie kaum verstehen kann: „Ich habe es dir abgenommen, Nico. Du bist nicht verdammt. Ich bin es, denn ich habe sie getötet und es tut mir überhaupt nicht leid.“ Ein schauriges Lächeln erscheint auf ihren Lippen, dann verschwindet es wieder, als sie ebenso undeutlich weiterspricht: „...ich hasse sie so sehr..., immer noch. Wer bin ich, Nico? Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Wer bin ...ich...?“ Nico streichelt ihre Wange und fährt sanft eine der beiden noch langen Haarsträhnen ab, die ihr geblieben sind. „Beruhige dich. Du bist immer noch Kara, meine Verlobte. Es ist schon in Ordnung. Nimm die Schuld an, denn sie ist von nun an für immer ein Teil von dir sein.“ Sie sieht in Nicos blaue Augen. „Das klingt so als ob...du dieses Gefühl kennen würdest.“ sagt sie unsicher. Nico wollte vermeiden, dass sie es erfährt, doch jetzt muss er es zugeben. „Wenn du verdammt bist, dann bin ich es auch. Ich bin auch nicht frei von Schuld, Kara, denn ich musste ebenfalls schon töten. Einige Male schon. Nicht in Kalaß, in Aranor. Das letzte Mal liegt schon ein paar Jahre zurück.“ Er atmet betroffen aus. „Ich erinnere mich an die Gesichter jedes einzelnen von ihnen. Bei meinen verdeckten Ermittlungen bin ich oft in brenzlige Situationen geraten, aus denen ich mich nur mit Gewalt befreien konnte. Auch wenn ich mir einrede, dass sie alle Schurken und Halunken waren, denke ich doch, dass der Tod eine zu harte Strafe für sie war. Wäre ich damals im Umgang mit dem Schwert besser gewesen, dann hätte keiner von ihnen sterben müssen. Diese Gedanken verfolgen mich und sie werden es immer tun. Ich habe mich im nicht tödlichen Schwertkampf geübt. So etwas soll mir nie wieder passieren. Meine Kameraden haben mich dafür belächelt. Viele von ihnen wissen nicht wie es ist jemanden mit seinen eigenen Händen zu töten.“ Kara setzt sich etwas aufrechter. Sie weint nicht, denn es wollen einfach keine Tränen aus ihren Augen kommen, denn es tut ihr nicht leid. Nein, es tut ihr nicht leid. Es tut ihr einfach nicht leid. Seine Worte haben sie trotz ihres Zustandes erreicht und sehr berührt. „Ja, dann sind wir wohl beide verdammt.“ stammelt sie, ohne ihm dafür böse zu sein es verschwiegen zu haben oder ihn für diese Taten zu verabscheuen oder zu verurteilen. Für solche Emotionen hat sie gerade keinen Platz mehr. „Hört es jemals auf weh zu tun?“ fragt sie leise. Nico sieht, dass wieder etwas Leben in Karas Augen zurückgekehrt ist. Er antwortet ihr ehrlich: „Der Schmerz vergeht, aber die Schuld bleibt für immer bestehen.“ Tatsächlich ist ihr Sinn für die Realität zurückgekehrt. Ihr wird so langsam klar, dass sie keine Zeit haben wird den Schmerz irgendwann zu verarbeiten, wenn sie jetzt und hier keinen Ausweg finden. „Nico, wir beide, wir haben es nicht verdient, doch ich will leben. Wir müssen einen Weg finden von hier zu fliehen.“ Er ist erleichtert, dass die junge Frau wieder halbwegs bei Sinnen ist. Er fasst die Situation für seine verstörte Verlobte zusammen: „Vor der Tür stehen mindestens vier Wachen, von denen wir nicht wissen auf wessen Seite sie stehen. Ich kenne sie jedenfalls nicht. Sie alle gleichzeitig auszuschalten, damit sie keinen Alarm schlagen können, ist unmöglich. Besser wäre es hier ungesehen herauszukommen und dann einen meiner ehemaligen Leute zu suchen, der uns bei der Flucht helfen kann. In Kalaß hatte Estell einen Geheimgang zu ihren Privatgemächern. Vielleicht gibt es hier ja auch einen?“ Karas analytisches Denken kehrt langsam zurück. Mit aller Kraft verdrängt sie ihre Verzweiflung. Sie weiß ein bisschen was über die Historie von Kalaß und gibt zu bedenken: „Die Geheimgänge in der Tarbasser Festung stammen alle noch aus den Zeiten der Belagerung vor über zweihundert Jahren. Es kann schon sein, dass es hier auch welche gibt. Immerhin wurde dieses Schloss vom selben König erbaut. Das hier ist allerdings ein Prunkbau, der einem anderen Zweck dient als die Festung. Estell könnte natürlich aber auch nachträglich noch welche gebaut haben, wenn sie durch Kalaß auf den Geschmack gekommen ist.“ Es ist besser darauf zu hoffen, dass es einen gibt, als auf den Henker zu warten, deshalb beginnen die beiden den Raum abzusuchen. Kara hält Abstand zum abgedeckten toten Körper Estells. Sie findet auf dem Schreibtisch einige Unterlagen, von denen sie sich von ihrer Suche ablenken lässt. Auf einem Dokument steht in einer Schnörkelschrift, die zur Königin passen würde: „Voraussichtlicher Geburtstermin“. Darunter sind die Namen von Ehepaaren und dahinter jeweils eine Zeitspanne von etwa einer Woche zu lesen. Alle diese Geburten passen in den Zeitraum, zu dem Estell behauptet hat, ihr Kind auf die Welt zu bringen. Kara ruft fassungslos Nico herbei und erklärt: „Nico sieh mal was dieses Scheusal vorgehabt hat. Sie wollte einem Paar das Kind stehlen, um es als eures auszugeben. Es ist eindeutig. Sie hätte alles getan, um dich an sich zu binden. Sie war absolut verrückt.“ Nico stellt sich neben Kara an den Schreibtisch und überfliegt die Dokumente. Dann sieht er zu Estells Leiche hinüber und entgegnet schwermütig: „Das war sie zwar, aber es zeigt auch, wie verzweifelt sie gewesen ist.“ Kara ist entsetzt. „Nach all dem nimmst du sie noch in Schutz?“ Er schnaubt verächtlich. „Was? Nein, das bestimmt nicht. Ich habe sie gehasst. Aber der Auslöser für all das was sie getan hat, war ich. Vielleicht war ich es nicht ausschließlich, aber erst durch mich griff sie zu so drastischen Mitteln. Ich habe diese Bestie erschaffen.“ Was er nicht sagen kann ist, dass Estell recht hatte mit ihrer Unterstellung er würde Menschen manipulieren, um sich selbst an sie Spitze zu bringen. Er weiß genau um sein Charisma und nutzt es schamlos aus, wenn es ihn voranbringt. Das würde er jedoch niemals zugeben, ganz besonders nicht vor Kara, vor der er gern den Schein des Gutmenschen wahren würde, wird sie doch von ihm ebenso beeinflusst wie andere Menschen, auch wenn es bei ihr oft erst mit Verzögerung funktioniert. Die junge Frau betrachtet seinen Gesichtsausdruck, den sie als Trauer deutet. „Du fühlst dich auch Schuldig?“ deutet sie, seinen Arm berührend und er antwortet nun wieder offen: „Nicht für ihren Tod, eher für ihre Taten, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. Lass uns weiter suchen, wir...“ Nico kann seinen Satz nicht beenden, denn er hört wie draußen laut gesprochen wird. Kara bildet sich ein das Wort „Ablösung“ verstanden zu haben. Sie bemerken, dass sich eine oder mehrere Personen der Tür nähern. Schützend stellt Nico sich vor seine Verlobte und hält den Dolch zur Verteidigung vor sich. Dann öffnet sich die Tür. Ein Mann tritt ein, den der zur Not zum Kampf vorbereitete Nico schon einmal gesehen hat. Es ist der Stabsoffizier höchst persönlich, der das Kommando über die Auflösung der Besetzung von Kalaß geführt hat, Generalmajor Coral. Nico beschleicht deshalb die Hoffnung, dass Coral auf seiner Seite stehen könnte, doch er bleibt vorsichtig. So genau kennt er ihn nicht. Der Generalmajor sieht sich im Raum um. Er erblickt Nico Dugar, der drohend mit einem Dolch in der Hand vor einer jungen Frau steht und bemerkt danach den abgedeckten Körper, der vermutlich zur Königin gehören wird, die er eigentlich hier antreffen müsste. Sich umdrehend sagt Coral etwas zu einer Person hinter sich: „Sie hatten recht, Feldwebel Tomsen.“ Dieser geht an Coral vorbei, geradewegs auf Nico zu, der den Dolch sinken lässt. Tom umarmt seinen Freund und ehemaligen Hauptmann. „Ich wusste, auf euch ist Verlass!“ jubelt der junge Soldat. Er beendet die Umarmung und salutiert im Anschluss vor Nico. Die beiden Kalaßer sind gleichermaßen perplex, aber auch heilfroh darüber Tom hier anzutreffen, denn ihm kann er bedenkenlos vertrauen. Ihm fällt auf, dass er mit einem neuen Rang angesprochen wurde und beglückwünscht seinen ehemaligen Schützling zur Beförderung: „Feldwebel? Das wurde aber auch Zeit.“ Tom ist erst seit eineinhalb Jahren beim Militär, aber trotzdem Nicos zuverlässigster Kamerad und Freund. Er begrüßt jetzt auch Kara und bemerkt ihr verändertes Aussehen. Ihr Haar ist etwa auf Schulterhöhe schräg und unsauber abgeschnitten worden. Nur zwei lange Strähnen, des vorher etwa einem Meter langen Haares sind erhalten geblieben. „Kara, was ist mit deinen Haaren passiert?“ Nico schreitet bestimmt und freundlich ein: „Das ist jetzt unwichtig, Tom.“ Er macht kurz eine Augenbewegung in Richtung der auf dem Boden liegenden, abgeschnittenen dunkelroten Haare neben der Tür. Tom dreht sich um, bemerkt sie und zuckt etwas zusammen. Dann murmelt er in sich hinein: „Oh, tut ...tut mit Leid.“ Nico wendet sich an Coral. „Herr Generalmajor, würden Sie sich uns bitte vorstellen und uns erklären was das hier zu bedeuten hat?“ Dieser antwortet freundlich: „Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Dugar. Feldwebel Tomsen hat sich mir anvertraut. Er hat gesehen wie Sie vor etwa zwei Stunden im Schloss ankamen. Er wusste genau wozu Sie hier sind und hat uns Bescheid gegeben. Sie müssen wissen, es gibt große Unruhen innerhalb des Militärs, seit Estell an der Macht ist. Viele sind-“ er wirft einen Blick auf Estells Leichnam. „oder waren mit ihrer Politik nicht einverstanden, deshalb planten wir einen Militärputsch unter meiner Führung. Aber zunächst zu meiner Person. Mein Name ist Shaan Coral. Ich war ein enger Vertrauter und treuer Gefolgsmann von König Riecard, bis Estell ihn ermorden ließ. Wie Sie nun sicher schon ahnen, hegte ich einen persönlichen Groll gegen die inzwischen offenbar verstorbene Königin Estell. Euer beider Einsatz kommt unserem Putsch sehr gelegen, denn Sie, Herr Dugar, lösen wahrscheinlich eines unserer Hauptprobleme. Nach allem was ich von Ihnen gehört habe, halte ich sehr große Stücke auf Sie. Ich komme am besten gleich zum Punkt. Ich glaube Sie haben das Zeug dazu das Königreich zu übernehmen, weil Sie wohl der einzige sind, der alle unter sich vereinen kann. Wir sind das zigmal durchgegangen. Sie sind die beste Wahl.“ Nico runzelt die Stirn, denn er ist gelinde gesagt überrascht. Die dringlichste Frage stellt er zuerst. „Ich soll das das Königreich übernehmen? Nach unserem Mord an der Königin wollten Kara und ich das Land eigentlich nur noch lebend verlassen. Wie kommen Sie nur auf die Idee ich könnte so etwas bewerkstelligen?“ Coral nickt verständnisvoll. „Ich verstehe Ihre Bedenken, doch Sie sollten mehr Selbstvertrauen haben, Herr Dugar. Wie ich höre sind Sie jetzt doch so etwas wie der König von Kalaß.“ Wenn Nico etwas nicht braucht, dann noch mehr Selbstvertrauen. Er kann einfach nicht folgen worauf der Generalmajor hinaus will. Kara sieht ihren Verlobten verunsichert an, weil der fremde General doch nichts über Nicos Stammbaum wissen kann. Er sieht sie ebenfalls an und schüttelt den Kopf ganz zart, wüsste er was ihr durch den Kopf geht, deshalb wendet sie sich nun an den General und verbessert: „Das ist nicht ganz richtig, Herr Generalmajor. Er ist nicht der König, sondern lediglich der Ratsvorsitzende des Stadtrats von Kalaß.“ Coral richtet seinen Blick flüchtig Kara zu, die er nicht richtig ernst zu nehmen scheint. Unbeeindruckt führt er weiter aus: „Was die höchste Position eures Staates ist, oder nicht?“ Nico nickt etwas zögerlich und beachtet Karas leichte Verärgerung über Corals Gegenfrage nicht. Der Generalmajor fragt weiter: „Meine Größten Bedenken über Ihren Rechtsanspruch sind anderer Natur. Herr Dugar, könnten Sie womöglich einen Adelsstand ausweisen? Das wäre von großem Vorteil. Ich bin mir dessen bewusst, dass so etwas wie Adel in Kalaß abgeschafft wurde, doch ich spreche auch gar nicht unbedingt von Dokumenten, die aktuell schon existieren, wenn Sie verstehen worauf ich hinaus will. Sie als Ratsvorsitzender können da doch sicher etwas machen.“ Kara will sich bei dem Gespräch nicht weiter einmischen. Sie weiß nicht welche Strategie Nico verfolgt und will nichts Falsches sagen. Sie fühlt sich zudem nicht ganz ernst genommen. Nico geht wieder etwas zögerlich, aber selbstbewusst auf diese Aufforderung ein: „Ich verstehe Sie schon, Herr Generalmajor. Wenn ich keinen Adelsstand vorweisen kann, soll ich dafür sorgen, dass ich es kann.“ „Richtig“ entgegnet Coral, der diese Aussage als Zustimmung auffasst und in die detaillierte Erklärung einsteigt: „Die königliche Blutlinie von Roshea wurde unterbrochen und somit ist das Land führerlos. Uns stehen nun drei Optionen offen. Erstens: Eine andere Adelsfamilie erhebt Anspruch auf den Thron. Da Estell während ihrer destruktiven Herrschaft gezielt nahezu den gesamten in Frage kommenden Hochadel, wie die Familien Wendock, Seiget und Laminger, ausgelöscht hat, entfällt diese Option, es sei denn sie hat jemanden übersehen. Zweitens: Es gibt einen Militärputsch und wir übernehmen die Führung des Landes, was ich zugegebenermaßen nicht allzu sehr begrüße, aber für durchführbar halte. Und zu guter Letzt die dritte Option: Ein anderer König beansprucht das Land und nimmt es ein. Das wäre vergleichbar mit einer Eroberung. Nach meiner Meinung braucht das Land wieder einen König und dafür sind nur Sie geeignet. Was denken Sie, Herr Dugar?“ Nico muss diese ganzen Informationen erst einmal verarbeiten. Corals Argumentation klangen durchdacht und schlüssig, doch ihm kommen eine Menge neuer Fragen in den Sinn. „Wenn Kalaß das Land erobert, wie Sie es vorschlagen, gibt es dann nicht einen Bürgerkrieg in Roshea?“ Coral schüttelt den Kopf. „Das glaube ich kaum. Estell war eine furchtbare Königin und das hat vor allem das Volk zu spüren bekommen. Sie zog alle Truppen und finanziellen Mittel aus Hilfsprojekten für die Bevölkerung ab, die von Riecard initiiert wurden. Gerade Sie sollten wissen was das für eine Stadt wie Aranor bedeuten kann. Zudem hat sie im allgemeinen aufgehört die Wüstenstädte zu unterstützen, was in den äußeren Landesteilen für Wasserknappheit und in dessen Folge zu großen Unruhen geführt hat, von der Wassersteuer brauche ich gar nicht erst zu sprechen. Einzig beim Militär wird es wohl einige Streitigkeiten geben, aber das können Sie getrost meine Sorge sein lassen. Ich habe die Mitglieder ihrer sogenannten Clypeus Garde schon identifiziert.“ Kara und Nico schauen sich verunsichert an. „Die Clypeus Garde?“ fragt sie zuerst und Coral erklärt geduldig: „Ganz Recht. Jetzt wo der Unruhestifter und Anführer der Garde, Generalleutnant Loran, spurlos verschwunden ist, verhalten sich seine Mitglieder unkoordiniert und auffällig. Das werde ich ausnutzen, um sie unschädlich zu machen.“ Nico hält Generalmajor Coral für einen sehr fähigen Mann. Der königstreue Stabsgeneral scheint alles bereits durchdacht zu haben, da er ebenfalls eine Ermordung der Königin in Planung hatte. Nico fragt sich, ob es für ihn und Kara überhaupt notwendig war die Sache unter Lebensgefahr auf sich zu nehmen. Wie es aussieht hätte sich das Problem auch ohne ihr Zutun ganz wie von selbst gelöst. Er hätte Kontakt zu Tom aufnehmen sollen, dann hätte er davon erfahren. Zumindest hat ihn seine Initiative jetzt in eine unerwartete Lage versetzt, die ihm sonst nicht zuteil geworden wäre. Er hat nun die Wahl die Macht über das Land Roshea selbst übernehmen oder es dem Militär überlassen. Er hadert nicht lang, denn das ist eine leichte Entscheidung für Nico, der sich eigentlich alle zutraut. Er ist mit Coral einer Meinung und fragt entschlossen: „Was soll ich tun?“ Kara packt Nicos Arm und schüttelt ihn ein wenig, denn sie glaubt sie müsse ihn aufwecken. „Sag mal, bist du verrückt? Damit machst du dich doch zur Zielscheibe für alle möglichen Leute.“ Er blickt sie sanft lächelnd an. „Nicht mehr als jetzt schon. Es ist schon gut. Große Dinge bedürfen großem Mut, Kara. Ich wünsche mir keine militärische Führung für Roshea. Lieber versuche ich mein Glück.“ Sie merkt, dass es keinen Sinn hat auf Nico einzureden, denn hat seine Entscheidung bereits getroffen. Auch wenn er aus ihrer Sicht recht hätte, wäre es ihr lieber gewesen, sie hätten den Entschluss gemeinsam gefällt. Dieser starrköpfige Mann macht es ihr schwer sich nicht vollkommen überflüssig vorzukommen. Nico sieht Coral entschlossen an. „Fahren Sie bitte fort, Generalmajor.“ Coral wusste, dass er auf Nico Dugar zählen kann, denn dieser junge Mann hat etwas an sich, das ihn schwer beeindruckt. Seine Souveränität in einer solchen Situation findet er ebenfalls bemerkenswert. Er fühlt sich bestärkt und würde ihn jederzeit zu seinem Anführer wählen. „Für heute Nachmittag hatte Königin Estell eine Ansprache angesetzt. Sie wollte ihr weiteres Vorgehen vor allen in Roshea stationierten Truppen verkünden. Wir sollten diesen Termin aufrecht erhalten, um dort die neue Führung des Königreichs Roshea zu verkünden. Das Schicksal ist uns wohlgesonnen.“ erklärt er, worauf Nico siegessicher nickt. „Sehr gut. Dann lasst uns die Rede vorbereiten. Sie muss verdammt gut werden, wenn wir das Militär auf unsere Seite ziehen wollen.“ Generalmajor Coral entgegnet zuversichtlich lächelnd: „Hervorragend. Das sehe ich genauso.“ Reden sind Nicos Spezialität und ihm noch nie schwer gefallen. Er hat schon viele in seinen Führungspositionen halten dürfen und wurde auch von ranghöheren Offizieren immer gern vorgeschickt, wenn es darum ging, etwas zu verkünden. Er weiß die Massen zu begeistern und sein angeborenes Charisma spielt ihm dabei in die Hände. Kara ist mit dem Plan ganz und gar nicht einverstanden. Es klingt ihr alles viel zu gewagt, zu überstürzt. Ein Ratsvorsitzender kann sich doch nicht in einem anderen Land selbst zum König ausrufen. Sie findet das klingt absurd und versteht nicht wieso die Leute so etwas akzeptieren sollten. Da sie nur von Tom nicht ignoriert wird, fragt sie ihn danach. Er meint, dass das alles schon so passen würde und sie vertrauen haben soll, doch das gefällt ihr nicht. Sie grübelt über Alternativen nach. Nico Dugar, Shaan Coral und Tom Tomsen gehen gemeinsam an den Beratungstisch und setzen sich, während Kara stehen bleibt. Nico ruft ihr zu: „Kara, wo bleibst du denn? Setz dich bitte auch zu uns. Du bist schließlich Teil der Rede und deshalb will ich, dass du sie mitentwickelst. Vergiss nicht, wenn ich wirklich König werde, dann wirst du Königin. Du musst mit mir auf den Balkon hinaus treten.“ Als der jungen Frau bewusst wird, dass er recht hat, trifft sie der Schlag. Sie hatte nur über sein Schicksal nachgedacht und nicht über ihres. Sie wird etwas rot und schämt sich, dass ihr das nicht gleich aufgefallen ist. Nico hat die Sache mit dem Thron von Roshea einfach über ihren Kopf hinweg entschieden, obwohl es sie genauso betrifft. Sie ist verstimmt und überfordert mit der Situation, was Nico ganz genau weiß. In Wahrheit ist sie jedoch sogar froh, dass er einen kühlen Kopf bewahrt und ihr diese unendlich schwere Wahl abgenommen hat, denn sie hätte womöglich Monate über verschiedenen Szenarien gegrübelt, bevor sie sich entschieden hätte. Zudem fühlt sie sich nach den heutigen Erlebnissen überhaupt nicht mehr entscheidungsfähig und kann kaum einen klaren Gedanken fassen, während er bereits hochkonzentriert schon das nächste Problem zu lösen beginnt. Sie bewundert ihn dafür. Heute hätte sie wahrscheinlich alles abgelehnt und es vielleicht ihr ganzes Leben lang bereut. Sie trottet geschlagen langsam auf die drei Männer zu und setzt sich anschließend zu ihnen. Die drei schauen sie erwartungsvoll an, bis sie verunsichert fragt: „Was tut man denn als Königin für gewöhnlich? Ich habe überhaupt keine Vorstellung davon.“ Nico antwortet ihr verständnisvoll: „Es ist so ähnlich wie die Frau des Ratsvorsitzenden zu sein. Mach dir keine Sorgen. Du bekommst das hin, mein Engel.“ Kara bemerkt Nicos zärtliche Blicke. Sie ist erleichtert, dass sie diese, nach allem was sie heute getan hat, noch erhalten darf, fragt sich aber auch gleichzeitig, ob sie das auch immer noch sollte. Ein paar sehr anstrengende Stunden reger Diskussionen später ist es schon so weit. Kara, Nico und Generalmajor Shaan Coral treten wie geplant auf den Balkon am Vorplatz des Schlosses, auf dem sich hunderte von Soldaten, schön geordnet in Reih und Glied, aufgestellt haben. Der mit Reden dieser Größe vertraute Generalmajor Coral geht entschlossen voran, die anderen beiden folgen ihm. Sie haben sich nicht umgezogen und tragen nach wie vor ihre Reisebekleidung. Dass Karas Kleid dürftig geflickt ist, sieht man unter ihrer Jacke nicht. Seine Handgelenke bandagierte sie mit etwas Gardinenstoff. Es war Nicos Idee die Kleidung nicht zu wechseln, denn möchte möglichst natürlich wirken und keinen überheblichen oder dekadenten ersten Eindruck bei den Soldaten hinterlassen. Kara ist das ganz Recht, denn sie kann sich nicht vorstellen eines von Estells widerwärtigen Kleidern zu tragen. Coral protestierte etwas, denn er wollte statt dessen, dass sie sich etwas angemessenes anziehen. Tom hat sich wieder einmal enthalten, denn er weiß, dass er von solchen Dingen keine Ahnung hat. Statt dessen hat er Karas Haare zu einer ordentlichen Frisur geschnitten und dabei großes Talent bewiesen. Das hätte Nico niemals hinbekommen. Die neue Frisur tut ihrer Schönheit keinen Abbruch und ihr Verlobter ist erleichtert, dass ihr Haar immer noch wenigstens schulterlang ist und ihr ihre zwei vorderen Haarsträhnen in voller Länge erhalten geblieben sind. Tom hätte sie beim Haareschneiden fast angeglichen, weshalb Nico einen halben Herzinfarkt erlitt. Er vergöttert ihre langen Haarsträhnen und auch wenn er nicht so oberflächlich Kara nur wegen ihrer wunderschön langen Haare zu lieben, so spielten sie trotzdem eine beträchtliche Rolle dabei, als er sich auf den ersten Blick in die schöne Ärztin verliebte. Generalmajor Coral tritt vor die Menge, die zunächst kollektiv salutiert und danach in gerührter Position erwartungsvoll zu ihm aufschaut. Es ist ein beeindruckender Anblick so viele Soldaten in völliger Synchronität agieren zu sehen. Die meisten der Männer haben bereits gemerkt, dass sich diese Versammlung von allen anderen zuvor unterscheidet, denn Königin Estell schickte niemals jemand anderen nach vorn, denn sie liebte es sich zu inszenieren. Coral verkündet dem besonders aufmerksamen Regiment: „Königin Estell wird heute nicht wie geplant zur Ansprache erscheinen.“ Eine leichte Unruhe bricht unter den Soldaten aus, die vor allem von den Soldaten der Clypeus Garde ausgeht, die davon eigentlich wissen sollten. „Ruhe!- Der Grund für ihr Nichterscheinen ist...“ Aufgrund großen Interesses senkt sich der Lärmpegel. „...ihr Ableben.“ Nach einer Schocksekunde entsteht große Unruhe in den Reihen. Einige Soldaten lösen sogar ihre Formation und gehen aufeinander los. Um die Tumulte zu unterbrechen, spricht Coral hart und selbstsicher weiter: „Zum königlichen Militär von Roshea spricht nun euer neuer Anführer, der König von Kalaß, Nico Dugar.“ Kara ist etwas sauer auf Coral, weil er nicht Nicos korrekten Titel verwendet hat, obwohl sie ihn in der Beratung mehrfach darauf hingewiesen hatte. Sie kann ihn für seine Überheblichkeit ihr gegenüber nicht ausstehen. Nico tritt vor die Masse. Die meisten Soldaten lassen wieder voneinander ab und sehen gebannt auf den Balkon. Die Formation hat sich zu großen Teilen aufgelöst und ist nur noch zu erahnen. Höchstens zwanzig Prozent von ihnen können ihn sofort zuordnen und sie flüstern zu den Männern, die neben ihnen stehen Dinge wie: „Ist das nicht Oberleutnant Dugar aus Aranor?“ und „Das ist der Hauptmann aus Kalaß“. Recht viele haben von seinen Abenteuergeschichten aus Aranor gehört, doch kaum einer weiß wie er tatsächlich aussieht, da er von Aranor direkt nach Kalaß abgezogen wurde und danach nur ganz kurz und ohne Kommando in Nalita war. Dass er einer der fünf Offiziere ist, welche die Königin verraten haben könnten, wissen hier nur eine Hand voll Männer. Generell ist über die Vorfälle in Kalaß fast nichts bekannt. Seine Anhängerschaft, die sich auf etwa ein Zehntel des Militärs beläuft, salutiert ohne Umschweife und etwa noch einmal so viele gehören dem Widerstand an, die es ihnen sofort gleich tun. Dies verursacht eine Welle der Nachahmung, sodass etwa die Hälfte der Männer bereits salutiert, bevor er auch nur ein Wort gesprochen hat und manche von ihnen werden dafür angegriffen. Nico ist positiv überrascht. Selbstsicher beginnt er mit klarer Stimme zu den Soldaten zu sprechen: „Rührt euch bitte, Kameraden und lasst voneinander. Ich beginne ohne Umschweife mit der wichtigsten Information. Ich bin Nico Dugar, amtierender Ratsvorsitzender von Kalaß und ich beanspruche den Thron von Roshea.“ Erneut bricht Unruhe aus, von der sich Nico nicht verunsichern lässt. Er macht einfach weiter. „Lasst es mich erklären. Einige von euch kennen mich, denn bis vor nicht allzu langer Zeit, hätte ich mit euch da unten gestanden und nach hier oben auf diesen Balkon gestarrt. Ich hätte erwartungsvoll gehofft, dass derjenige der jetzt Vortritt kein völliger Idiot sein wird, denn er will ja immerhin mein neuer König werden, dem ich folgen soll, für den ich bluten soll.“ Manche Soldaten lachen, vor allem diejenigen, die Nicos trockenen Humor kennen. Die meisten sind jedoch eher verunsichert. Mit dieser Art von Ansprache haben sie nicht gerechnet, was sie eigenartigerweise beruhigt. Nico fühlt sich bestärkt und fährt fort: „Wie viele von euch schon wissen werden, hätte ich deshalb hier hoch auf diesen Balkon gestarrt, weil ich bis vor kurzem noch Offizier beim Königlich Rosheanischen Militär war. Nach meiner Stationierung in Aranor, ich glaube einige von euch sollten davon schon gehört haben, wurde ich nach Kalaß versetzt. Ich legte meine Tätigkeit als Offizier nur deshalb nieder, weil ich von Kalaß das Angebot bekam Ratsvorsitzender ihres Stadtrats zu werden. Das ist das höchste Amt im Stadtstaat Kalaß. Könnt ihr das glauben? So war es wirklich. Ich habe mich nicht darum gerissen, doch wie ihr vielleicht verstehen könnt, war das ein Angebot, das ich nicht ausschlagen wollte. Zumal eine eigene Villa etwas schöner ist als ein Zimmer in einer Kaserne und ich verdiene auch besser.“ Immer mehr Soldaten lassen sich auf Nicos Rede ein und gehen emotional mit. Alles was er sagt stimmt. Die Kasernen sind karg eingerichtet und der Sold ist spärlich, weshalb das große Themen für sie sind. Um die Staatskasse von Roshea ist es nicht so gut bestellt und Nico weiß das. Selbst Führungsoffiziere haben kein allzu üppiges Einkommen. Das Soldatendasein lohnt sich nur deshalb, weil die Lebenshaltungskosten entfallen und der gesamte Verdienst nach Hause zur eigenen Familie geschickt werden kann. „Zugegeben gab es auch noch einen anderen Grund für mich in Kalaß zu verweilen. Ich wette ihr wisst nicht wie die schönste Frau der Festungsstadt aussieht.“ Nico lässt eine kleine Pause. „Das war mir klar.“ Er winkt Kara zu sich. „...Sie steht vor euch. Ich muss es wissen, denn ich habe als Hauptmann bei den Stadtkontrollen in Kalaß im letzten Jahr jeden einzelnen Kalaßer und, was viel interessanter ist, jede einzelne Kalaßerin zu Gesicht bekommen.“ Er hat schon viele Männer auf seine Seite gezogen. Auch wenn viele seine Rede nicht ganz verstehen, weil sie finden, dass er zu weit von seinem Thema der Machtübernahme abschweift, fühlen sie sich gut unterhalten und lachen. „Doch sie ist nicht nur wunderschön, sie ist auch klug. Sie ist eine talentierte junge Ärztin, die ich in den nächsten Wochen heiraten und somit zu einer Königin machen will- eurer Königin, meine Kameraden. Dann hat sie all dieses medizinische Zeug, von dem ich nichts verstehe, völlig umsonst gelernt.“ Die Menge ist belustigt. Nico lächelt verschmitzt in Richtung Kara. Ihr gefällt diese Stelle in der Rede nicht, weil sie sich tatsächlich darüber ärgert dann nicht mehr praktizieren zu können. Als sie die Rede geschrieben haben, wurde sie mit dem Wunsch diesen Teil zu streichen, überstimmt, deshalb schmollt sie etwas, was gut zu seiner Rede passt und ihre Echtheit unterstreicht. Nico spricht mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen weiter: „Was denkt ihr? Soll ich sie trotzdem heiraten? Soll ich die schönste Frau von ganz Kalaß zu eurer Königin machen?“ Die Menge feiert, denn schöne junge Frauen kommen bei Männern einfach immer gut an. Nico feiert und lacht mit ihnen und ruft: Haha, danke Kameraden.“ Er wartet kurz ab und senkt dann seine Stimmlage wieder. „Eigentlich kam ich zusammen mit meiner wunderschönen Verlobten Kara, so ist ihr Name, hierher um mit Königin Estell zu verhandeln. Schon viel zu lange belagerte sie den Stadtstaat Kalaß, der unter meinem Schutz steht, seit ich Ratsvorsitzender bin. Doch statt zu verhandeln, trachtete sie uns beiden nach dem Leben. Ihr wollt bestimmt wissen wieso. Estell wollte der Führung von Kalaß den Kopf abschlagen, um die Stadt noch weiter zu schwächen. Sie unterschätzte uns und fiel durch unsere Hand. Da ich dadurch unabsichtlich die rosheanische königliche Blutlinie beendet habe und es auch sonst keine Anwärter mehr auf diesen Thron gibt, beanspruchen ich und auch meine Verlobte Kara, als Führer des Staates Kalaß, den Thron des Königreiches Roshea rechtmäßig.“ Die Hälfte, die Nico vor der Rede schon für sich gewonnen hatte, bleibt auf seiner Seite. So erheitert die anderen Soldaten jedoch gerade noch waren, werden sie jetzt wieder unruhig. Ohne Zweifel haben sie sich gut unterhalten gefühlt, doch ob das alles korrekt ist, können die meisten von ihnen nicht beurteilen. Viele zweifeln nach wie vor, aber die Rede ist ja auch noch nicht beendet. „Meine geschätzten Kameraden, ich habe kein Interesse an einer Expansionspolitik, so wie Estell sie geführt hat. Ich wünsche mir Frieden zwischen unseren Völkern. Ich bringe eine Freundschaft zu Yoken mit, die den sinnlosen Krieg zwischen Roshea und Yoken ein für alle Mal beendet. Alle Soldaten, die eigens für diesen Krieg eingezogen wurden, dürfen zu ihren Familien und eigentlichen Berufen zurückkehren, wenn sie möchten.“ Einige Reservisten, die gerade noch skeptisch waren, beginnen zu jubeln. „Die dadurch freiwerden Mittel lasse ich zurückfließen und setze sie ein, um den viel zu niedrigen Sold unserer Berufssoldaten anzuheben.“ Das findet die große Menge sehr gut. Nico weiß, er muss den Verdienst der Soldaten erhöhen, sonst werden sie ihm abspenstig, aber eine Verschiebung der Prioritäten mache das möglich, meinte Generalmajor Coral, was Nico ihm zunächst so abkaufen musste. Coral hat auch berichtet, dass starke Kürzungen in der letzten Zeit zu Plünderungen geführt hätten und dieser Zustand unhaltbar sei. Nico Spricht laut weiter: „Deren zukünftige Aufgabe wird es sein das Land strukturell wieder aufzubauen. Ich möchte Roshea im Sinne König Riecards weiterführen und neu erblühen lassen.“ Damit hat er einen Nerv getroffen und großer Jubel bricht aus, als er diesen Namen nennt. König Riecard galt als sehr guter und fähiger König und war deshalb sehr beliebt. Dass sein eigener Hofstaat immense Steuergelder verschlang, ist unter den Bürgern und Soldaten von Roshea nicht bekannt. Kara tritt nun vor. Sie hat ihren Teil wieder und wieder geübt und ist ihn in ihren Gedanken durchgegangen, um nichts zu vergessen. Sie ist aufgeregt, denn Nico hat es bisher so gut gemacht, dass sie jetzt nicht versagen darf. Sie holt tief Luft und spricht ebenfalls mit lauter und klarer Stimme. „Wir beginnen nicht von vorn. Roshea ist das stärkste Königreich auf dem Kontinent. Wir wollen nicht nur verändern, sondern auch bewahren. Wir um eure Mithilfe Gutes von Schlechtem zu trennen. Ihr alle seid eingeladen Verbesserungsvorschläge an uns zu richten, damit wir für euch ein Königreich errichten können, in dem jeder einzelne von euch sein Glück finden kann. Lasst uns das gemeinsam schaffen und an einem Strang ziehen! Vergesst die Wassersteuer und lasst uns unsere Kräfte nach innen richten, anstatt nach außen. Wir wünschen uns ein starkes und stabiles Roshea, das nicht nur aus seiner wunderschönen Hauptstadt Nalita besteht, sondern auch aus vielen weiteren Gebieten wie Aranor, der Wüste Salaji und seiner Hafenstadt Salaij Hanar, den Bergstädten Brag Bugat und Bugat Hanar und der Nosrama Ebene, die es ebenso Wert sind gefördert zu werden.“ Nacheinander jubeln die Soldaten, die aus den genannten Gegenden stammen. Estell hatte begonnen ein zentralistisches Roshea aufzubauen, was auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, deshalb ist es so wichtig die anderen Landesteile zu betonen. Kara spricht weiter. Den schwierigsten Teil hat sie jetzt hinter sich. „Nico und ich können den Thron nur mit eurer Unterstützung besteigen, denn nur mit euch gemeinsam, können wir eure und unsere Ideen in die Tat umsetzen.“ Nico stellt sich neben sie und nimmt ihre Hand. Er ruft laut und selbstbewusst in Menge hinein: „Kann ich mit eurer Unterstützung rechnen?“ Unerwartet geht ein riesiger Jubel durch die Menge. Der Lärm ist fast ohrenbetäubend. Damit hatte wohl niemand gerechnet. Es dauert eine ganze Weile, bis es sich wieder etwas beruhigt hat. Die Soldaten scheinen alle sehr erleichtert zu sein, dass Estell weg ist, und es trotzdem eine Lösung für das dadurch entstehende Führungsproblem zu geben scheint. Nico richtet sein Wort wieder an die Soldaten: „Ich danke euch, meine Kameraden. Ich verspreche euch, ihr werdet es nicht bereuen. Wir geben alles, für euch und für Roshea.“ Um dem neuen zukünftigen Königspaar die Ehre zu erweisen, richten sich die Soldaten wieder in ihrer ursprünglichen Formation aus und salutieren alle gemeinsam. Kara und Nico winken und verabschieden sich von der Menge, die sie mit einem großen Jubel verabschiedet. Trotz der überwiegenden Zustimmung brechen neuerlich ein paar Tumulte aus. Generalmajor Coral tritt nach vorn und stellt klar: „Alle Männer, die zur Clypeus Garde gehören, sind mit sofortiger Wirkung ihres Postens enthoben. Wir wissen wer dazu gehört, also packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie so schnell Sie können! Außerdem wird jeder Soldat, der sich jetzt gegen das neue Königspaar erhoben hat und zukünftig erheben wird, ebenfalls seines Postens enthoben. Wehrt er sich dagegen, wird er des Landes verwiesen oder inhaftiert.“ Allein seine Anwesenheit hat allen Putschisten das Zeichen gegeben, dass sie diese Führung unterstützen sollen. Das Militär war in vier Lager gespalten. Die Clypeus Garde der Königin, die fast ein Viertel der Offiziere ausmachte, die Putschisten, die zahlenmäßig noch ein paar mehr waren und die unzufriedenen sowie die zufriedenen landestreuen Soldaten und Offiziere. Die Freistellung der Garde dürfte etwas Ruhe in die Reihen des in sich zerrissenen Militärs bringen. Die drei haben es geschafft. Nicos lockere Rede war offenbar genau das Richtige. Selbstbewusst gibt er zum Besten: „Soldaten spricht man eben nicht mit trockenem politischen Blabla an. Sie wollen etwas hören, das sie auch wirklich selbst tangiert und das sie verstehen.“ Die Rede auf diese Art zu formulieren war selbstverständlich Nicos Idee, die er gegen die anderen durchsetzte. Er ist überzeugt zu wissen wie seine Männer ticken, denn er hat viel Zeit in ihrer Mitte verbracht. Coral konnte nur mit den Fakten helfen. Eine lockere Erzählweise liegt dem kontrolliert selbstbeherrschten Mann einfach nicht. Da Kara von Reden leider überhaupt keine Ahnung hat, konnte sie immer nur ein paar Ideen und Hinweise einflechten, die Nico aber dankbar angenommen und in seiner Rede verwendet hat. Mit dem Militär im Rücken dürfte die Beanspruchung des Throns ohne Probleme vonstattengehen. Natürlich müssen sie den Führungswechsel aber noch dem Adel und den Bürgern von Roshea verkaufen, doch der Grundstein ist gelegt. Nico ist sich sicher, dass diese beiden Parteien keine Schwierigkeiten machen werden. Gerade sie waren ja besonders unzufrieden mit Estells Führungsstil. Die beiden müssen trotzdem erstmal begreifen, dass gerade ihr ganzes Leben umgekrempelt wurde...schon wieder. Vor allem in Karas Kopf herrscht Chaos. „Wie soll es jetzt weitergehen? Und was wird der Stadtrat dazu sagen?“ fragt sie und Nico antwortet ihr gelassen: „Auch wenn ich König von Roshea werde, bleibe ich immer noch Ratsvorsitzender von Kalaß, solange bis ich zurück trete. Diese beiden Aufgaben übersteigen allerdings mein Leistungsvermögen. Ich werde es nicht schaffen beides mit vollster Zufriedenheit auszufüllen, das gebe ich zu. Der Rat sollte am besten abstimmen, ob Kalaß autonom bleiben möchte, oder Roshea beitreten. So oder so werden sie wohl einen neuen Ratsvorsitzenden wählen müssen.“ Kara fügt hinzu: „Hier in Roshea müssen wir aber auch erst einmal herausfinden wem wir trauen können und wem nicht. Außerdem müssen wir Botschafter in die umliegenden Länder entsenden.“ Der Staatshaushalt muss ebenfalls aufgeräumt werden. Es gibt zwar gute Steuereinnahmen, die aber völlig neu umverteilt werden müssen. Allein das zu prüfen wird ewig dauern. So viel Arbeit liegt noch vor den beiden. Nico seufzt und nimmt Kara erschöpft in die Arme. Er sieht den Verlobungsring an ihrer Hand funkeln und stellt fest, dass er die Hochzeitsfeier jetzt auch wieder umplanen muss. Für ein Königspaar muss sie noch deutlich größer und pompöser ausfallen, als „nur“ für einen Ratsvorsitzenden und seine Braut. Er hat es auch nicht leicht. Kapitel 22: Es lebe der König II -------------------------------- Das Königreich Yoken ist indes ebenfalls in einer Umbruchphase. Kronprinzessin Yasane hat ziemliche Schwierigkeiten mit dem Tod ihrer Eltern umzugehen und soll in diesem Zustand die Regierung über das Land übernehmen. All ihre direkten Vertrauens- und Bezugspersonen sind bei dem Terroranschlag ums Leben gekommen, so wie auch ihre Freundin, das Dienstmädchen Ida. Yasane erleidet einen extremen Verlust und muss sich gleichzeitig innerhalb kürzester Zeit vom Mädchen zur Frau und von einem völlig verwöhnten Prinzesschen zu einer weitsichtigen Herrscherin entwickeln. Einige Regierungsgeschäfte sind wochenlang lahm gelegt, da es an kompetenten Führungskräften mangelt. Viele am Hof verspüren eine Unfähigkeit zu trauern, Yasane selbst jedoch nicht. Oft sitzt sie abends allein in ihrem Zimmer und weint. Der einzige, den sie emotional an sich heran lässt und der ihr noch Trost spenden kann, ist Hendryk, der als ihr Berater fungiert. Er steht ihr näher als alle anderen im Schloss und ist immer da, wenn sie mit jemanden reden möchte. Ihm erzählt sie einen Teil ihrer Sorgen, von dem Druck, den sie auf sich spürt und ihren Ängsten die Erwartungen des Hofstaates und des ganzen Landes nicht erfüllen zu können. Er selbst hat zwar noch nie jemanden verloren, der ihm nahe stand, doch versteht er sich, durch seine Kindheitserfahrung mit Kara, hervorragend aufs Trösten. Manche Dinge kann Yasane aber auch Hendryk nicht erzählen. Sie schämt sich sehr auf den undurchsichtigen Unbekannten Aurel herein gefallen zu sein und gibt sich deshalb die Schuld am Tod ihrer Eltern. Aus Verzweiflung Hendryk nicht haben zu können, hat sie sich dem erst Besten an den Hals geworfen. Sie hat ihre Gefühle für ihn auf einen Fremden projiziert. Das glaubt sie jedenfalls über sich. Etwa einen Monat nach dem schrecklichen Vorfall sitzen alle Berater in einer Versammlung im großen Saal zusammen. Roshea wird zu diesem Zeitpunkt immer noch von Königin Estell regiert. Yasane hat heute einen ganz besonders schlechten Tag, an dem sie alles anzweifelt und sich am liebsten verkriechen und einfach alles hinschmeißen will. In dunklen Gedanken versunken, kann sie sich nicht auf die Konferenz konzentrieren und hört so gut wie gar nicht zu. General Tshuras, der alles glücklicherweise überlebt hat, leitet die Beratung. Er ist schon beim dritten Tagesordnungspunkt und benötigt jetzt eine Entscheidung von ihr. „Königliche Hoheit, was sagt Ihr dazu? Hoheit?“ Sie reagiert überhaupt nicht. Dumpf erklingt der neuerliche Aufruf wie ein Donnern im Kronleuchter über ihr wider: „Yasane!“ Endlich schreckt sie hoch. „Was? Ja, nein. Machen Sie es so, wie Sie gesagt haben, General.“ Tshuras mag streng sein, aber seinen Schützling vorführen will er nicht, deshalb wiederholt er seine Frage geduldig: „Ihr möchtet also, dass wir Kalaß mit Lebensmitteln unterstützen sollten, obwohl unsere eigenen Vorratskammern nicht gerade üppig gefüllt sind?“ Yasane antwortet überfordert: „Ach so, ja na klar werden sie unterstützt. Für so eine Entscheidung brauchen Sie mich doch nicht.“ General Tshuras macht den Beschluss fest und beendet die Beratung an diesem Punkt. Es hat mit Yasane heute einfach keinen Sinn. Er nimmt sie sich im Nebenraum zur Seite. „Yasane, das geht so nicht. Ich verstehe ja, dass es dir nicht gut geht, aber du musst in den Beratungen bei der Sache sein.“ Sie stammelt nur: „Lass mich in Ruhe, Tshuras!“ Unbeeindruckt spricht er weiter: „Außerdem brauchen wir wieder eine Königin. Schieb die Krönung nicht zu weit hinaus. Das macht die Menschen unruhig.“ Yasane bald die Hände zu Fäusten und schreit ungehalten: „Du bist so ein gefühlskalter Grobian! Yoken hat nur eine Königin und die heißt Mariella!“ Sie dreht sich weg. Anschreien wollte sie ihn nicht und beleidigen auch nicht. Es tut ihr jetzt schon leid. Leise fügt sie hinzu: „Vielleicht ist es das Beste, wenn ich die Königswürde abtrete. Sicher gibt es noch hundert Kandidaten, die es besser machen würden als ich.“ Sie stürzt los, hinaus aus dem Raum und quer durch den großen Saal, in dem auch Hendryk sitzt, der in seiner neuen Position als Kanzler, Yasanes erstem persönlichen Berater, an der Konferenz teilgenommen hat. Tshuras läuft ihr ein kleines Stück nach. Hendryk nimmt Augenkontakt mit ihm auf und deutet dezent mit seinem Kopf in die Richtung, in die Yasane gerade getürmt ist. Tshuras gibt ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er ihr folgen darf. Der junge und unerfahrene Kanzler hat den Respekt des Generals verdient, auch wenn die beiden nach wie vor nicht die besten Freunde sind. General Tshuras weiß, dass nur dieser junge Mann noch Zugang zur Prinzessin hat, wenn es ihr so schlecht geht wie heute. Hendryk läuft ihr nach und klopft an ihrer Zimmertür. Obwohl sie nicht antwortet, tritt er trotzdem ein. Eigentlich respektiert er ihren Wunsch nach Einsamkeit und Privatsphäre, doch diesmal hat sie es etwas zu weit getrieben, als sie die Konferenz so einfach platzen ließ. Sie sitzt mit dem Rücken zu ihm gewandt auf ihrem Bett und schaut zum Fenster hinaus. Es ist ein trost- und schneeloser Februartag. Ihr Zimmer ist ein wenig unaufgeräumt und schmuddelig, denn seit Ida weg ist, lässt sie keine Bediensteten mehr hinein. Ohne ein Wort schließt er die Tür und stellt sich neben sie. Er sagt nichts und wartet, bis sie von sich aus das Wort an ihn richtet. Es dauert einige Zeit bis sie das Schweigen bricht. „Ich hasse den Winter, wenn kein Schnee fällt. Er ist kalt und alles sieht so grau und lebensfeindlich aus. Ich frage mich...ob wohl auf diesen Winter überhaupt noch ein Frühling folgen wird? ...Ich zweifle daran, so wie ich alles anzweifle, was einst selbstverständlich war. Wer soll die Blumen zum Erblühen bringen? Wer soll die Bäume zum Austreiben bewegen? Wer die Vögel zum Singen animieren? Das ist doch alles viel zu anstrengend. Wäre es nicht einfacher, wenn alles so bleiben würde wie es ist? Wenn alles für immer im tristen Grau versinken würde?“ Hendryk geht einen Schritt näher an sie heran und steht nun vor der sitzenden Prinzessin. Sie sieht traurig zu ihm hoch und er erwidert ihren Blick. Er legt seine Hand auf ihre Schulter und sie lehnt darauf ihren Kopf sanft an seinen Arm heran. Wieder einmal fängt sie an zu weinen und schluchzt: „Es ist alles meine Schuld, Hen, alles nur meine Schuld. Du hattest mich vor ihm gewarnt und ich habe dir nicht zugehört.“ Er schüttelt den Kopf. „Es ist nicht deine Schuld. Niemand hat das kommen sehen, die Wachen nicht, deine Eltern nicht und auch ich nicht. Die Schuld liegt einzig und allein bei Aurel, wenn das überhaupt sein Name war.“ „Dann glaubst DU es vielleicht nicht, aber alle anderen tun es. Ich merke doch wie sie mich ansehen, wie sie mich verurteilen.“ schließt sie, doch Hendryk blickt sie sanft an und erläutert verständnisvoll: „Das stimmt nicht, Yasane. Sie sehen zu dir, weil sie deine Führung brauchen. Du hältst das Königreich zusammen. Niemand erwartet, dass du dich schon krönen lässt, doch Yoken braucht eine Anführerin, Yoken braucht dich.“ Yasane berührt sanft Hendryks Bein mit ihrem schlaff auf dem Bett liegenden Arm und widerspricht leise: „Doch, Tshuras verlangt, dass ich mich umgehend krönen lasse, aber ich bin noch nicht so weit. Ich weiß nicht, ob ich es jemals bin.“ „Dann werde ich mit ihm reden.“ entgegnet Hendryk sanft. Sie flüstert leise: „Danke.“ Er bleibt noch einen Moment so stehen, dann lässt er Yasane wieder allein. Sie hat sich für Hendryk schon vor dem Verlust ihrer Eltern interessiert, ihn schweren Herzens jedoch aufgrund seiner bescheidenen Herkunft aufgegeben. Durch seine Unterstützung bei der Führung des Landes und seinen seelischen Beistand, hat sie sich jetzt jedoch Hals über Kopf in ihn verliebt. Sie kann sich ihren Gefühlen nicht mehr erwehren. Dafür hat sie neben all dem anderen Stress einfach keine Kraft mehr. Es wird Frühling in Altera und die Tage werden wieder länger und heller. Yasane erholt sich ganz langsam. Hendryk geht inzwischen oft im Hof trainieren, damit er nicht aus der Übung kommt, wobei Yasane ihn beobachtet, was seinen scharfen Sinnen nicht entgeht, ihn aber auch nicht weiter stört. Er tut so, als würde er es nicht bemerken. Er hat kein Interesse daran es anzusprechen und ein peinliches Gespräch damit heraufzubeschwören. Ein weiteres viertel Jahr später hat sie den größten Teil ihrer Trauer überwunden. Dank Hendryk gibt sie sich nicht mehr die Schuld am Tod ihrer Eltern. Er selbst und sein Verhalten am Hof haben sich ebenfalls deutlich gebessert. Er weiß jetzt wie er mit allen zu sprechen hat, auch wenn er es nicht immer umsetzt. Innerhalb kürzester Zeit hat er sich in diverse Regierungsaufgaben eingearbeitet, um Yasane bestmöglich beistehen zu können. Sie will ihren Kanzler Hendryk bei jeder Beratung dabei haben, egal ob er mit dem Ressort vertraut ist, oder nicht. Bereits beim zweiten Treffen, die zu Themen stattfinden, die ihm vorher unbekannt waren, bereitet er sich so gut vor, dass er die überforderte Yasane zumindest beratend unterstützen kann. Damit hat er sich Respekt am Hof verdient, denn seine Auffassungsgabe ist überdurchschnittlich, ob wohl er früher nur ein sehr mittelmäßiger Schüler war. Sein etwas schroffer Umgangston wird ihm daher auch nachgesehen. Yasane musste ihr Verhalten ebenfalls anpassen. Sie ist mittlerweile in der Lage komplexe Entscheidungen zu fällen, die sie früher nicht einmal verstanden hätte. Sehr viel stärker als zuvor nimmt sie sich jetzt ein Beispiel an ihrer immer schönen, anmutigen und klugen Mutter. Der Versuch sich wie sie in Zurückhaltung zu üben, ist allerdings kläglich gescheitert, weshalb Yasane es aufgegeben hat ihrem Vorbild wahrhaftig vollständig nachzueifern. Das entspricht auch einfach nicht ihrem Gemüt und sie verbiegt sich so schon genug, um den Ansprüchen wenigstens einigermaßen gerecht zu werden. Auf ihren eigenen Wunsch hin hat sie sich immer noch nicht zur Königin krönen lassen. Sie fühlt sich einfach noch nicht bereit für diesen Schritt, wenngleich sie die Regierungsgeschäfte, selbstverständlich mithilfe ihrer Berater, bereits vollständig leitet. Die Sommer in Yoken sind nicht so heiß wie jene in Kalaß, sondern zumeist sehr angenehm, allerdings regnet es in der Hauptstadt Deskend häufig, da das südlich und westlich angrenzende Hagralgebirge die Wolken anstaut, die aus dem Norden heranziehen. Der positive Effekt ist, dass die Vegetation mit reichlich Wasser beliefert wird und die ganze Gegend in ein reizvolles Grün taucht. Hendryk ist ab und zu schon in der Gegend wandern gewesen und genießt die frische Bergluft sehr. Er fühlt sich wohl in Deskend, wenn er seine beste Freundin Kara und seinen Freund Nico auch manchmal sehr vermisst. In Briefen tauschen sie sich über den politischen Stand aus. Für private Post ist meist jedoch nur wenig Platz. Wie fast jeden Tag erholen sich Prinzessin Yasane und ihr Kanzler Hendryk nach einem harten Tag abends im Innenhof des Schlosses. Das ist für sie einfach zur Gewohnheit geworden. Es ist schon recht spät und die Dämmerung hat bereits eingesetzt. Da es eine der ersten richtig lauen Nächte des Jahres zu werden scheint, hat Hendryk sich ein luftiges, weit ausgeschnittenes Shirts angezogen und Yasane trägt ein schulterfreies, kurzes Kleid. Er ist schon vorgegangen und setzt sich gerade auf eine der Bänke. Er beobachtet die sich verändernde Färbung des Gartens im Licht der untergehenden Sonne, die nach einem harten Tag seine Sinne entspannt. Yasane hat allerdings nicht vor sich zu entspannen. Vielmehr hat sie sich an diesem Abend vorgenommen endlich reinen Tisch mit ihm zu machen. Auch wenn sie sich ihrer Gefühle schon seit Monaten voll bewusst ist, so ist sie sich immer noch nicht sicher wie Hendryk zu ihr steht. Er hat bisher nicht den geringsten Annäherungsversuch bei ihr unternommen, der über bloße Trauerbewältigung hinaus ging. Sie beobachtet ihn schon aus der Ferne. Sie findet, dass er im Laufe des reichlichen letzten halben Jahres noch sehr viel hübscher und männlicher geworden ist. Sie bemerkt das neue Shirt, das sie aufgrund seiner Offenheit kribbelig macht. Es ist ihr etwas peinlich, aber sie steht total auf Hendryks muskulösen Körper. Schon lange stellt sie sich vor wie es sich wohl anfühlen würde seine Arm-, Brust- oder wahlweise auch Bauchmuskeln anzufassen, doch sie hat immer den Abstand gehalten, der sich für eine Frau ihres Ranges geziemt. Sie schaut an sich herab und findet sich selbst in ihrem neuen Kleid durchaus reizvoll. Das ist bei ihrem großen Ausschnitt aber eigentlich auch kein Wunder. Sie glaubt es sei offensichtlich, was sie vor hat und das ist auch gut so. Mit dem Gedanken „Jetzt oder nie“ ringt sich endlich durch zu ihrem Schwarm zu gehen und sich neben ihn zu setzen, was heute viel aufregender ist als sonst. Er empfängt sie mit einem gewohnt freundlichen Lächeln. Das aufreizende Kleid scheint ihn nicht zu beeindrucken, denn er hat ihr nur in ihr Gesicht geschaut. Sie hat das Gefühl, dass er mit seinen bohrenden eisblauen Augen direkt in ihre Seele sehen kann, doch wenn er es wirklich könnte, müsste sie sich heute nicht erklären. Nach der Begrüßung stellt sie ohne große Umschweife eine Frage, die sie schon lange beschäftigt, sich aber noch niemals getraut hat zu stellen. Sie beginnt den Satz im Singsang, spricht aber dann normal und interessiert weiter: „Hen~, sag mal.~ Was ich dich schon immer fragen wollte. Wieso hast du eigentlich lange Haare, wenn du sie sowieso immer nur am Hinterkopf zum Dutt bindest?“ Sie sieht sehnsüchtig zu Hendryks Zopf, der im roten Licht der untergehenden Sonne violett schimmert. Für sie unerwartet reagiert er etwas verunsichert. „Wieso? Gefallen sie dir nicht? Soll ...soll ich sie abschneiden?“ Yasane lacht laut auf. Mit dieser Antwort hat sie beim besten Willen nicht gerechnet, sondern eher mit einer mehr oder weniger tiefsinnigen Begründung, vielleicht aber auch mit Verärgerung. „NEIN! Du sollst sie doch nicht abschneiden. Du denkst viel zu pragmatisch. Im Gegenteil, du sollst sie offen tragen, wenigstens einmal für mich.“ Hendryk verschränkt die Arme und lehnt sich nach hinten. „Vergiss es, da Schneid ich sie mir doch lieber ab.“ Yasane hüpft im Sitzen ungeduldig auf der Stelle herum. „Ach komm schon, bitte. Ich weiß ja nicht mal genau wie lang sie überhaupt sind.“ Hendryk löst die Verschränkung seiner Arme, zeigt mit seinen beiden Händen einen Abstand von etwa dreißig Zentimetern und fügt hinzu: „Etwa so.“ Sie schubst ihn an seiner Schulter, während sie versucht mit der anderen an seinen Zopf zu gelangen, um ihn wenigstens zu lockern. Gegen den kampferprobten Hendryk hat sie damit aber wenig Aussicht auf Erfolg. Noch bevor sie überhaupt in die Nähe seines Kopfes gekommen ist, hat er ihre Hand schon am Handgelenk gepackt. Er grinst sie an: „Netter Versuch Kleines, aber keine Chance. Du bist zu langsam für mich.“ Die Beiden sind sich dabei ziemlich nah gekommen, näher als jemals zuvor und Yasane schießt das Blut in den Kopf. Etwas verlegen und schmollend fragt sie: „Und wenn ich es dir Befehle?“ Er lässt ihr Handgelenk wieder los. „Dann muss ich wohl wegen Befehlsverweigerung ins Gefängnis.“ So ein Sturkopf. Sie schmollt wieder, denkt eine Weile nach und dann lacht sie ins Leere, weil sie auf eine Idee gekommen ist. Schnell fasst sie sich wieder. Hendryk hat unterdessen belustigt zu ihr geschaut und sie beobachtet. Manchmal, da kann er sie lesen wie ein offenes Buch, jetzt gerade zum Beispiel und es ist urkomisch. Er muss in sich hinein lachen, weil er schon weiß, dass sie sich etwas ausgeheckt hat, deshalb stellt er sich bereits auf einen weiteren, wahrscheinlich gefährlicheren und kreativeren Angriff auf seinen Zopf ein. Für ihn jetzt unerwartet, wird ihr Gesichtsausdruck jedoch völlig ernst. Sie atmet schwer aus und nimmt eine angespannte Sitzposition ein. Er hat so etwas schon erlebt in den letzten Wochen. Manchmal, wenn sie gerade anfing ins Leben zurück zu finden und wieder Spaß zu haben, im Grunde also sie selbst zu werden, dann holte sie die harte Realität wieder ein, ganz so als würde sie es sich selbst nicht erlauben, glücklich zu sein. Heute ist das jedoch nicht der Grund, denn sie sammelt sich für ihr Vorhaben sein Herz zu gewinnen. Sie dreht sich zu ihm und beginnt mit dem schwierigen Thema: „Es gibt noch etwas, das ich dich fragen möchte. Um ehrlich zu sein ist es ein ganzer Berg an Fragen, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen.“ Hendryk ist sich jetzt ziemlich sicher, dass es nun um ihre Trauer oder ihre Rolle im Spiel des Lebens gehen wird. „Worum geht es denn?“ Die Frage zu stellen fällt ihr überaus schwer. Es ist ihr peinlich weiter zu sprechen, doch sie hat es sich vorgenommen und wird es jetzt auch durchziehen. „Ah, wo soll ich nur anfangen? Naja, kannst du dir vorstellen..., ich meine, würdest du..., nein... was hältst du davon wenn...“ Yasane wippt auf der Stelle hin und her und wird erneut knallrot. Sonst ist sie um keine Frage verlegen und ihm wird klar, dass ihr die Frage peinlich sein muss, weshalb er seine Hand auf ihre legt und diese Geste mit den Worten unterstreicht: „Ist schon gut. Ordne dich erstmal.“ Das findet sie gerade gar nicht so hilfreich...oder doch? Sie weiß es selbst nicht und versucht es weiter. „Sagen wir mal so, ich bin jetzt fast Königin und habe so einige Befugnisse erhalten. Naja, ... deshalb habe ich mir gedacht, ich könnte dich doch ... einfach in den Adelsstand erheben. Sowas darf ich nämlich.“ „In den Adelsstand? Mich? Wa- Wozu? Als Kanzler brauche ich sowas doch nicht. Meinst du das jetzt ernst?“ Das klingt so verrückt für ihn, dass er es für einen Scherz hält. Er nimmt seine Hand wieder von der Ihren. Die Sonne ist mittlerweile vollständig untergegangen und ein wunderschöner runder Vollmond lässt den Garten in silbrigem Licht glänzen. Es ist eine helle Nacht. Hendryk sieht, wie Yasanes ergriffene grüne Augen wie Edelsteine funkeln, als sie weiter stammelt: „Damit komme ich zum schwierigen Teil. Wie fragt man denn sowas?“ Sie schaut ihm direkt in seine eisblauen Augen und fragt dann frei heraus: „Möchtest du König werden?“ Hendryk ist wie gelähmt. Diese Frage beinhaltet so viel. Es geht nicht nur um seinen Stand und seine Verantwortung, sondern auch um ihre Gefühle. Seine Gedanken überschlagen sich und Yasane nutzt diesen kurzen Moment des Schocks aus, um ihm an den Hinterkopf zu fassen und seinen Zopf zu öffnen. Seine glatten mittelblauen Haare fallen ihm, im Mondschein glänzend, auf seine breiten Schultern. Yasane ist völlig überwältigt von diesem Anblick, weshalb ihr ein: „Wunderschön...“ herausrutscht. Die beiden sehen sich einen Moment lang in die Augen, bis Hendryk den Kopf senkt. Einige Haarsträhnen rutschen ihm dadurch von der Schulter und fallen nach vorn. Er hat den Eindruck sie spielt mit seinen Gefühlen und das macht ihn wütend. Er versteht nicht wie sie so grausam zu ihm sein kann. „Du hast das doch jetzt nicht alles nur gesagt, um...“ Yasane zuckt zusammen als sie seinen Gedankengang versteht. „Nein! Nein, das war mein voller Ernst.“ Sie streckt ihre Hand aus um ihn zu berühren, traut sich aber nicht. „Hen, ich habe mich in dich verliebt.“ Er schaut zu ihr auf, während er tief Luft holt . Ein milder Sommerwind streicht ihm durchs offene Haar, was er gar nicht leiden kann und er sieht sie traurig und auch ungläubig an, als er darauf entgegnet: „Bin ich nicht nur eine Schwärmerei für dich?“ Selten sieht Yasane so viele Emotionen in ihm. So stark er auch sonst immer tut, jetzt ist er zerbrechlich wie dünnes Eis. Sie begegnet seiner Vermutung mit Ehrlichkeit: „Darüber habe ich zugegebenermaßen auch schon nachgedacht. Gerade nach dem Erlebnis mit...“ Ihre Augen werden glasig. Sie versucht die Erinnerung abzuschütteln, um weiter sprechen zu können. „Auf jeden Fall bin ich mir ganz sicher. Bei dir war alles anders. Vom ersten Moment an fand ich dich toll und das hat sich immer weiter intensiviert. Ich habe dir das doch schon so oft gesagt, dass nur deine Herkunft nicht...ich sag mal adäquat war. Doch Hen, das ist jetzt völlig egal. Ich habe keine Kraft mehr mich dagegen zu wehren.“ Hendryk legt seine Stirn in Falten. Er sieht gequält aus. „Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. I-ich fühle mich geehrt. Yasane, versteh mich jetzt bitte nicht falsch, ich mag dich auch sehr, aber...“ Yasane bleibt das Herz stehen, denn sie merkt, dass er im Begriff ist sie zurück zu weisen. Sie atmet einige Male tief ein und wieder aus, damit sie nicht anfangen muss zu heulen. Ein trotziger Gedanke schiebt sich vor ihren Verstand, der die Tränen zurückhalt. „Es ist wegen Kara, nicht wahr? Du liebst sie noch.“ Hendryk schüttelt den Kopf, den er immer noch gesenkt hält. Sein langes Haar fliegt durch die Bewegung hin und her, was ihn sehr stört, deshalb streicht er es sich jetzt auf der einen Seite hinters Ohr. „Ach, so ein Quatsch. Sie ist glücklich mit Nico und das ist alles was ich mir für sie wünschen kann. Es ist-… Ich will jetzt nicht darüber reden.“ Hendryk verkrampft sich noch mehr, als er spricht. Die Prinzessin glaubt nicht, dass er sie bei sowas anlügen würde und das erleichtert sie ungemein und lässt den Trotz in ihr verschwinden, aber sie will jetzt nicht locker lassen. Wenn sie ihn jetzt gehen lässt, wird sie womöglich niemals erfahren wo sein Problem liegt, weil er sonst auch nicht über seine Gefühle spricht. Jetzt hat sie seinen weichen Kern erreicht, was so unglaublich selten ist, dass sie diese einmalige Gelegenheit für sich nutzen muss. Sie hat noch eine andere Idee woran es liegen könnte und bohrt recht unsensibel nach. „Hast du vielleicht Angst ich könnte dich auch für einen anderen verlassen, so wie Kara es getan hat?“ Hendryk antwortet diesmal nicht und das deutet sie als Zustimmung. „Das werde ich als Grund nicht akzeptieren, hörst du Hen. Ich verstehe es, wenn du dich noch verwundbar fühlst und auch wenn du noch Zeit brauchst, aber ich werde dich nicht aufgeben. Selbst wenn es Jahre dauert und ich das Königreich so lange allein regieren muss. Bis du mir einen ordentlichen Grund nennst, werde ich es weiter versuchen.“ Hendryk spürt wie unwillkürlich Wärme in ihm aufsteigt. Sein finsterer Blick löst sich auf und verwandelt sich in ein weiches Lächeln. Für ihn klingt es schon so, als ob sie es ehrlich mit ihm meint. Er sah zu viele Parallelen zu seiner Freundschaft zu Kara, dabei hatte er total ausgeblendet, dass ihm seine Freundin seit Kindertagen niemals auch nur das kleinste Anzeichen für Interesse an ihm gezeigt hätte, das über eine normale, sehr gute Freundschaft hinausging. Ganz im Gegensatz zu Yasane, die ihm schon oft viele schöne Dinge gesagt hat...schon immer. Sie sagte über seine Haare sie seien „wunderschön“ und spricht von Liebe. So etwas hat er noch nie erlebt. Er überlegt was passieren soll, wenn er zur Abwechslung mal einen Schritt auf sie zu macht und sieht keine negativen Folgen für sich. Er schaut die Prinzessin jetzt wieder an. Noch immer trägt er das Lächeln im Gesicht: „Yasane, weißt du, dass du süß bist, wenn du dich aufregst?“ Sie hat jetzt wahrscheinlich mit allem gerechnet, aber nicht damit. Sie flüstert unsicher: „Was?“ Jetzt wird sie schon wieder rot, aber das ist schon in Ordnung. Sie freut sich innerlich wie verrückt über sein Kompliment, das erste, das er ihr je gemacht hat. Hendryk macht wieder ein ernstes Gesicht und sagt: „Ich brauche ein wenig Zeit, um über diese schwerwiegende Entscheidung nachzudenken. Es verändert alles für mich.“ Yasane lächelt sanft und entgegnet: „Das ist in Ordnung.“ Mit immer noch genauso ernstem Gesicht fährt Hendryk fort: „Und lass in Zukunft meine Haare in Ruhe. Ich mag es nicht, wenn sie offen sind.“ Da Yasane ihm sein Haarband abgenommen hat, konnte er sie immer noch nicht wieder zusammenbinden. Er streicht sich alle Haare aus seinem Nacken, wirft sie sich auf den Rücken und macht dabei ein unzufriedenes Gesicht. Yasane beobachtet ihn dabei und findet es ulkig, weshalb sie leise in sich hinein kichert. Er scheint sich wirklich nicht wohl zu fühlen. In diesem Zustand möchte Hendryk nicht länger draußen sitzen bleiben. Er verabschiedet sich von der Prinzessin, wünscht ihr eine gute Nacht und geht in sein Zimmer. Sie bleibt noch ein wenig sitzen. Die junge Frau ärgert sich über ein paar Dinge, die sie gesagt und getan hat. Die Sache mit dem Haarband tut ihr im Nachhinein besonders leid, denn das hätte sie nicht tun sollen. Andererseits hat diese Verunsicherung bei ihm vielleicht erst dazu geführt, dass er ihr seine weiche Seite gezeigt hat. Sie hat Angst, dass er jetzt vielleicht schlecht über sie denken wird, aber es nützt nichts, jetzt kann sie nichts mehr daran ändern. Keiner von beiden findet in dieser Nacht Schlaf. Während Yasane überlegt was sie tun kann, um ihren Schwarm von ihrer Aufrichtigkeit zu überzeugen, ist dieser ist so aufgewühlt, dass er sich nicht mal ins Bett legen kann. Er weiß einfach nicht was er tun soll. Er mag unkomplizierte Mädchen wie sie. Ja okay, er gesteht es sich ein, er hat Yasane ins Herz geschlossen und auch nicht vor sie da wieder raus zu lassen, aber ihre Position schreckt ihn unglaublich ab. Sie wird demnächst zur Königin gekrönt und genau deshalb hat der bisher noch nicht mal ansatzweise mit dem Gedanken gespielt, mit ihr etwas anzufangen. Warum kann sie kein normales Mädchen sein, dann wäre es nicht so schwer für ihn? Er möchte mit seinen zwanzig Jahren kein König werden. Er ist ja noch nicht einmal ein Prinz. Andererseits ist er seit kurzem Kanzler und damit kommt er recht gut zurecht. Er berät Prinzessin Yasane, muss aber selbst keine Entscheidung verantworten. Warum kann es nicht erst einmal so bleiben? Das bedeutet aber auch diese ganzen Entscheidungen weiterhin auf Yasane abzuwälzen, jetzt wo sie so weit gegangen ist, ihn zu bitten, gemeinsam die Verantwortung zu teilen. Es ist so, als würde er sie im Stich lassen. Aber wie soll das yokenische Volk auf ihn reagieren? Einen Fremden aus dem Süden...Er ist und bleibt ratlos. Am nächsten Morgen müssen die Prinzessin und ihr Kanzler wieder sehr früh raus und sind ziemlich müde. Sie begegnen sich nicht vor der ersten Besprechung, da Yasane im Bett frühstückt. Sie ist einfach zu müde, um ins Speisezimmer zu gehen. Das sagt sie jedenfalls offiziell. In Wahrheit ängstigt sie sich vor einer Begegnung mit Hen, denn sie weiß nicht was sie tun soll, wenn er sie erneut ablehnt. Die beiden sehen sich erst zur taktischen Beratung, die sieben Uhr beginnt. Alle Generäle des Königreichs Yoken und Yasanes Berater, darunter natürlich auch Hendryk, sitzen bereits am Beratungstisch. Yasane betritt viertel nach sieben gähnend den Saal. Da sie zu spät ist, entschuldigt sie sich knapp. Hendryk, der schon seit einer halben Stunde am Platz ist, kann sich denken, dass die wohl ebenso schlecht geschlafen haben muss wie er, was ihm schmeichelt. Dieser Gedanke stachelt ihn auf und verursacht den starken Impuls einfach aufzustehen und zu ihr zu gehen. Typisch für ihn verselbstständigt sich sein Körper unbedacht in Extremsituationen, was diese hier für ihn darstellt. Er springt impulsiv von seinem Stuhl auf und läuft schnurgerade auf die müde junge Frau zu, die ihn jetzt überrascht anblickt. Die Damen und Herren in der Versammlung glauben der Kanzler hole die Prinzessin aus Höflichkeit ab, was ihnen zunächst nicht allzu ungewöhnlich erscheint. Allerdings hat er noch etwas ganz anderes vor. Schräg vor ihr bleibt er stehen, legt ihr seinen rechten Arm um ihren Rücken, sodass er ihren Hinterkopf mit seiner Hand berühren kann und zieht die Prinzessin leidenschaftlich wie ein Tänzer an sich heran. Sie hat gar keine Gelegenheit groß darauf zu reagieren, als er bereits seine Lippen auf ihre zu pressen beginnt. Zunächst noch überrascht die Augen aufreißend, lässt sie sich langsam auf die Situation ein und legt ihre Hand auf seiner harten Brust ab. Das wollte sie schon so lange tun und sie findet es noch viel prickelnder als sie es sich vorgestellt hat. Das ist ihr erster Kuss und dann hat Hendryk ihn vor so vielen Zuschauern auch noch effektvoll inszeniert. Das ist ganz nach Yasanes Geschmack, die eine Schwäche für große Auftritte hat. Sie könnte platzen vor Glück und Erregung. Alle im Raum starren die beiden ganz unverhohlen an, obwohl sie eine solchen Szene normalerweise aus Rücksicht vor der Privatsphäre des Königshauses ignorieren sollten. Es ist einige Sekunden lang mucksmäuschenstill, bis ein leises Getuschel beginnt, das ihnen normalerweise auch nicht zustehen würde. Einer der Generäle flüstert zu einem der königlichen Berater: „Haben Sie davon gewusst?“, der als Antwort die Schultern hebt und den Kopf schüttelt. Ein anderer fragt entzückt rhetorisch: „Was macht der Kanzler da mit unserer königlichen Hoheit?“ Der Kuss dauert eine ganze Zeit, da Yasane zunächst nicht bereit ist sich wieder von Hendryk zu lösen und ihn an seinem Shirt wieder an sich heranzieht, gerade als er seine Lippen von den ihren nehmen will. Es ist ihr völlig egal, ob ihr Beraterstab auf sie warten muss, denn dieser Moment der Erfüllung bedeutet ihr alles. Auch als sie bereit ist ihn frei zu geben, bleiben die beiden frisch verliebten noch eng umschlungen an der Tür stehen. Mit weichen Knien und wie in Trance fragt sie ihn flüsternd: „Das deute ich jetzt mal als Zustimmung.“ Er lächelt sie glücklich an und entgegnet ebenfalls leise: „Sieht ganz so aus.“ „Darf … ich es auch schon verkünden?“ versicherst sie sich bei ihm, wobei er zustimmt: „Wann, wenn nicht jetzt, oder?“ Yasane nickt entschlossen und löst sich nun doch von Hendryks festem Griff, der nun aber immer noch seinen Arm um ihre Hüfte gelegt hält. Sie kann sich nicht überwinden ihre Hand von seiner Brust zu nehmen und glaubt es sei ohnehin unnötig zu versuchen jetzt noch auf eigentlich angemessenen Abstand zu gehen. Dann verkündet sie mit einem breiten Lachen: „Meine Damen, meine Herren, verehrte Generäle, ich möchte zunächst eine informelle Ankündigung machen, bevor wir heute beginnen können. Ich habe den Entschluss gefasst meinen Kanzler demnächst offiziell courfähig zu machen. Ich möchte die alte Tradition aufleben lassen nur Personen eines Adelsgeschlechts zu engsten Beratern der Königsfamilie zu berufen. Rein zufällig entspricht der Kanzler dann den Mindestanforderungen für eine Vermählung mit den Angehörigen des herrschenden Hochadels. Wenn Sie mir alle folgen konnten, dann wissen Sie jetzt schon, dass ich hiermit meine Verlobung mit Hendryk bekannt geben möchte. Ich bin für Glückwünsche offen, Zweifel oder Kritik behalten Sie bitte für sich, denn ich werde sie geflissentlich ignorieren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und möchte Sie nun auffordern mit der Besprechung zu beginnen.“ Die Verwunderung und Verwirrung der Anwesenden sorgt diesmal für lautes Getuschel, denn damit war nicht zu rechnen. Yasane und Hendryk haben ein gleichermaßen belustigtes Lächeln auf den Lippen, denn sie finden es witzig das Establishment aus dem Konzept zu bringen. Sie küssen sich gleich noch mal und setzen sich dann nebeneinander auf ihre Plätze. Die meisten sind so perplex, dass sie sich nicht mehr auf Kriegstaktik konzentrieren können, sondern nur noch auf die Beziehung der beiden, die Verleihung einer Adelswürde und ob das denn auch alles so funktioniere. Für Außenstehende gäbe es vielleicht ein anderes Bild, aber am yokener Hof zweifelt keiner an der Rechtschaffenheit Hendryks. Niemals hat er den Anschein erweckt er würde versuchen sich in das höchste Amt des Königreichs einschleichen. Bereits etwa eine Woche später verleiht ihre königliche Hoheit Prinzessin Yasane ihrem Kanzler Hendryk den Fürstentitel der Lethorius, eines Adelsgeschlechts, das als ausgestorben gilt, für die Anerkennung eines verschollenen Ahnen. Sein vollständiger Name lautet nun Fürst Hendryk Lethorius. Es war nicht ausreichend, einfach irgendeinen Fürstentitel zu erfinden, da ihm laut Gesetz ohne Stammbaum keine Herrscherrechte zugesprochen werden können und ohne einer vorherigen Krönung der Majestät ist auch eine Änderung dieses Gesetztes nicht rechtskräftig. Die Verleihung einer Adelswürde bedarf zum Glück keiner vorausgehenden Krönung, wie der Hofjustizmeister in Erfahrung gebracht hat. Der komplette Hofstaat hat dabei geholfen diese Amtshandlung so wasserdicht wie möglich zu gestalten, denn sonst besteht die Gefahr einer Anfechtung. Obwohl Hendryk sich gewünscht hätte, dass Nico und Kara dabei sein können, sollte diese Zeremonie so schnell wie möglich erledigt werden. Die beiden Kalaßer sind nun mal seine besten Freunde, auch wenn er das im Fall von Nico, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht offen zugeben würde. Hendryk schickt einen Brief an die zwei, der aber unglücklicherweise erst ankommt, nachdem sie schon nach Roshea aufgebrochen sind, weshalb sie ihn erst viele Wochen später lesen werden. Zwei weitere Wochen später erreicht Deskend ein gemeinsamer Botschafter aus Kalaß und Roshea, denn sein Beglaubigungsschreiben trägt beide Wachssiegel, das Grüne des Stadtstaates Kalaß als auch das Blaue des Rosheanischen Königreiches. Prinzessin Yasane und ihr Verlobter Hendryk empfangen ihn hoffnungsvoll, die gemeinsam mit ein paar Mitgliedern des Hofstaats und einem der Generäle im Beratungsraum an einer langen Tafel sitzen. Da zwischen Yoken und Roshea an dessen Grenze bereits vor ein paar Wochen offene Gefechte ausgebrochen sind, hoffen sie auf ein, wie auch immer geartetes, Friedensangebot von Roshea oder anderen guten Nachrichten aus Kalaß. Der Botschafter steht vor der Tafel und beginnt zu erklären, dass er von Nico Dugar geschickt wurde. Ihm ist aufgetragen worden Nico ohne seiner Königswürde anzumelden und diese Information erst in das Gespräch zu verflechten, deshalb hält er sie zurück. Hens Gedanken schweifen ab, während der Gesandte beginnt sich vorzustellen, denn er fragt sich, ob das Entsenden eines Botschafters eine Reaktion auf den Brief war, den er neulich nach Kalaß geschickt hat. Er hätte zu gern Nicos Gesicht gesehen, als dieser erfuhr, dass er Hendryk bald als Seine Majestät ansprechen muss. Ein zufriedenes Grinsen huscht ihm über das Gesicht, doch dem jungen Kanzler geht keinesfalls um irgendeinen Titel oder Namen, beides wollte er gar nicht, sondern vielmehr darum dem ach so erhabenen Nico endlich mal etwas voraus zu haben. Nach der Selbstvorstellung, die Hendryk verpasst hat, zeigt der Botschafter den doppelt versiegelten Brief vor, der ihm den Zutritt zum deskender Hof verschafft hat und bricht vor aller Augen sorgfältig dessen Siegel. Mit einem knisternden Geräusch, entfaltet er das Papier und beginnt daraus vorzulesen: „Ich verlese hiermit die Nachricht an die königliche Hoheit und designierte Königin Kronprinzessin Yasane von Yoken und ihren Beraterstab: ‚Roshea meldet seine bedingungslose Kapitulation an. Damit gilt der Konflikt als beigelegt und der Krieg als beendet. All unsere Tru-‘“ Hendryk unterbricht ihn. „Moooment! Halt! Warten Sie bitte, Herr Botschafter! Habe ich das jetzt richtig verstanden? Sie sind der offizielle Botschafter von wo nochmal? Wenn sie vom Ratsvorsitzenden von Kalaß geschickt worden sind, warum erzählen sie uns dann etwas über die Kapitulation von Roshea?“ Yasane nickt energisch. Der Botschafter wusste genau, dass diese Frage kommen wird und ärgert sich über die Anweisung seines Königs Nico, die Lösung des Führungsproblems in Roshea erst zum Schluss vortragen zu dürfen. Er lächelt etwas verkrampft freundlich und erklärt: „Oh nein, mich schickt nicht der Ratsvorsitzende von Kalaß, sondern vielmehr der neue König von Roshea. Dazu komme ich auch gleich noch genauer, mein Herr. Aber nun möchte ich gern fortfahren, wenn es erlaubt ist. ‚All unsere Truppen wurden aus der umkämpften Region zurückgezogen.‘“ Hendryk wird unruhig. In ihm bahnt sich eine Vermutung an, die er entschieden zurück weist, wenn die Lösung seiner Frage, die ihm sein Verstand vorschlägt, wäre einfach zu unglaublich. Der Botschafter verliest weiter: „,Sollte Ihre königliche Hoheit Auflagen und Forderungen an Roshea stellen wollen, so sind diese an den entsendeten Botschafter zu entrichten, welcher diese an mich überstellt.‘ Neuer Absatz ‚Die Strategieänderung ist weniger auf einen Sinneswandel, als vielmehr einen Führungswechsel im Rosheanischen Königshaus zurückzuführen. Ich möchte hiermit offiziell bekannt geben, dass Estell, Herzogin von Ravell und Königin von Roshea, gestürzt und ein neuer König von Roshea eingesetzt wurde.‘“ Yasane schreit vergnügt auf: „Jetzt hab ich‘s. Nico IST der neue König von Roshea, stimmt‘s?“ Weil er es nicht wahr haben kann, lacht Hendryk gereizt. „Nie im Leben.“ Der Botschafter antwortet höflich: „Ihre königliche Hoheit haben recht. Es ist mein verehrter König Nico, der mich entsandte. Er dürfte während meiner Reise hierher bereits gekrönt worden sein.“ Hendryk schläft das Gesicht ein. „Das darf doch nicht wahr sein.“ Yasane hingegen freut sich und strahlt ihren Verlobten an. „Haha, ist das nicht toll, Hen? Hen?“ Doch er ist gerade nicht mehr ansprechbar. Er hatte sich so gefreut Nico ausnahmsweise mal etwas voraus zu haben und nun ist er ihm wieder nur ebenbürtig. Der Botschafter wird langsam ungeduldig und nimmt sich etwas heraus für das er am Nalitischen Hof abgeführt worden wäre: „Verehrte königliche Hoheit, dürfte ich jetzt bitte den Rest des Briefes verlesen?“ Yasane antwortet verständnislos: „Ja, natürlich. Das dürfen Sie doch die ganze Zeit über.“ Er ist sehr stolz nicht einen Kopf kürzer gemacht worden zu sein und fährt fort: „‚Der neue König hat es geschafft das Militär und die Bevölkerung...‘“ Während der Botschafter spricht tuscheln Yasane und Hendryk über Nicos Aufstieg. Sie flüstert mit vorgehaltener Hand: „Ob er die Königin, das alte Flittchen, umgebracht hat?“ Hendryk flüstert zurück: „Keine Ahnung, aber selbst wenn, wie hat der Teufelskerl es auf den Thron geschafft?“ Der Botschafter spricht währenddessen die ganze Zeit weiter. „‚...unter sich zu vereinen und...‘ Entschuldigt bitte königliche Hoheit, aber, hört Ihr mir überhaupt zu?“ Diesmal hat es Yasane auch gemerkt. „Ach, Herr Botschafter, ich glaube es gibt jetzt zu viel Redebedarf. Kommen Sie zu uns an den Tisch und erzählen Sie uns einfach in Ihren Worten was vorgefallen ist. Es wird einige Zeit dauern das alles aufzuarbeiten. Seien Sie doch bitte in den nächsten Tage unser Gast. Zur Feier des Friedens werden wir am Hof ein Fest ausrichten. Bleiben Sie doch so lange!“ Das stimmt den Botschafter milde, der die ganze Zeit auch ein wenig Angst um seinen Hals hatte. Er kennt nur den elitär in der Etikette verharrende Nalitischen Königshof und wusste nicht, dass es auch so entspannt bei Hof zugehen kann. Erfreut antwortet er: „Sehr gern, königliche Hoheit. Es gibt jedoch etwas, das noch direkt gesagt werden muss. König Nico wird in fünf Wochen seine schöne Verlobte Kara heiraten. Wenn Ihr daran teilnehmen möchtet, dann schickt doch bitte einen Eurer Botschafter mit einer Teilnahmebestätigung los.“ Yasane freut sich nun noch mehr zu hören, dass es auch Kara gut zu gehen scheint und sich die beiden zusammenraufen konnten: „Das ist ja toll! Natürlich nehmen wir Teil.“ Hendryk freut sich ebenfalls für die beiden und richtet direkt eine Frage an den Botschafter, der ihm jetzt am Tisch gegenüber sitzt: „Sagen Sie, findet die Feier zufällig in der Kathedrale von Kalaß statt?“ Dieser nickt verblüfft: „Ja, das ist richtig, mein Herr. Sie scheinen den König wirklich zu kennen.“ Hendryk greift nach Yasanes Händen, weshalb die junge Frau überrascht zusammenzuckt, weil sie nicht versteht was das zu bedeuten hat. Er sieht sie völlig ernst an, denn ein Gedanke schießt ihm durch den Kopf, den er sofort kundtut: „Yasane, mir kommt da eine Idee, aber dazu fehlt mir noch ein Zwischenschritt. Ich wollte dich schon letzte Woche fragen, aber...du weiß ja wie das ist. Da hat man das und dann hat man wieder was anderes und so weiter... Wie auch immer. Du tust immer so, als ob du nicht auf Romantik und Prinzen auf weißen Pferden stehst, aber ich weiß es inzwischen besser. Wir haben über eine Heirat gesprochen, aber wir sind in meinen Augen nur inoffiziell verlobt, wenn ich das hier nicht mache.“ Hendryk steht auf, greift in seine Hosentasche und nimmt etwas heraus, das Yasane nicht sehen kann, dann geht er vor ihr auf die Knie. Ein breites Lächeln breitet sich auf Yasanes Gesicht aus. Hoffnungsvoll streicht sie sich die erdbeerblonden, lockigen Haare aus dem Gesicht. Er öffnet seine Hand und hält ihr seine Handfläche entgegen, auf der ein edler, zarter Ring liegt, der mit einem glänzenden Smaragd besetzt ist. Yasane ist außer sich vor Freude und will ihm schon eine „Ja“ zurufen, doch sie versucht es zu unterdrücken und ihre Lippen auseinanderzupressen. Unruhig rutscht sie hin und her. Hendryk weiß genau, dass diese Form des Antrags absolut Yasanes Geschmack entspricht und grinst in sich hinein. Er spricht mit sanfter Stimme weiter: „Meine liebste Königin Yasane, willst du meine Frau werden und mich zu deinem König machen?“ Aus Yasane platzt es schrill heraus: „Ja, Hen! Ja, ja, ja mehr als alles andere und das weißt du ganz genau.“ Er nimmt ihre linke Hand und steckt ihr den Ring an den Ringfinger, dessen Edelstein der Farbe ihrer Augen entspricht. So unruhig wie sie auf dem Stuhl herum hüpft, gestaltet sich das gar nicht so leicht. Er steht auf und zieht sie an ihrer Hand zu sich hoch. Kaum sind sie aufgerichtet wirft Yasane ihre Arme um Hendryks Hals und küsst ihn. Freudentränen laufen ihr übers Gesicht. Wieder hat er die beiden so öffentlichkeitswirksam inszeniert, dass sie platzen könnte vor Stolz. Das findet sie einfach nur wunderbar, doch das ist es nicht was sie sagt, sondern: „Jetzt heule ich wegen dir vor aller Augen, du Schuft!“ Hen lacht glücklich, denn er hat sein Mädchen schon lange durchschaut. Die anwesenden Berater und den General können seit dem Kuss vor aller Augen nichts mehr überraschen. Sie applaudieren ihrem Königspaar. Der Botschafter, kommt sich irgendwie überflüssig vor, weiß aber nicht, ob er sich entfernen darf oder nicht, deshalb bleibt er lieber sitzen und das ist auch richtig so, denn Hendryk ist noch nicht fertig. Er flüstert seiner Verlobten in seinen Armen zu: „Yasane, es geht mir auch um Ort und Zeit der Hochzeit. Ich weiß nicht was du darüber denkst, aber könntest du dir vorstellen auch in der Kathedrale von Kalaß...“ Yasanes Augen werden groß und sie setzt wieder ein breites Lächeln auf. „Du meinst gemeinsam mit Nico und Kara?“ Und Hendryk nickt ihr zu. Absolut glücklich sagt sie ziemlich laut: „Das ist ja eine wunderbare Idee, Hen. Du wirst einen so tollen König abgeben. Ein besseres Zeichen für Frieden können wir Altera gar nicht senden. Lass uns gemeinsam mit Kara und Nico auf neutralem Boden eine Doppelhochzeit feiern und die Botschaft der neuen Freundschaft zwischen Roshea und Yoken überall verbreiten!“ Kapitel 23: Bonus ----------------- Die frohe Kunde, dass die Hochzeit der beiden Königspaare von Yoken und Roshea gleichzeitig im neutralen Stadtstaat Kalaß stattfinden soll, verbreitet sich wie ein Lauffeuer auf dem ganzen Kontinent Altera, denn die Friedensmeldung wird ausnahmslos positiv aufgenommen. Als das rosheanische Königspaar die Nachricht von der Verlobung des yokenischen Königspaars erreicht, staunen die beiden nicht schlecht. Hendryk und Yasane...ja, warum sollten sie nicht zusammenpassen? Da sie die künftige Königin des Königreichs Yoken ist, macht ihn das zwangsläufig unweigerlich zum zukünftigen König. Nico ist überzeugt davon, dass Hendryk in diese Aufgabe hineinwachsen kann, denn er weiß wie viel Potenzial in ihm steckt. Es freut ihn einen so guten Freund als Verhandlungspartner zu haben, denn das verbrüdert die beiden Königreiche. Kara hält große Stücke auf ihren besten Freund. Sie weiß schon, dass ihm diese Rolle gefallen wird, denn dann wird er endlich keine Anweisungen mehr befolgen müssen, was immer schon seine größte Schwäche darstellte. Leider kennt sie Yasane kaum und kann nicht einschätzen, ob sie die Richtige für Hendryk ist. Kara wünscht sich sehnlich, dass er auch glücklich wird, denn sie schlug sich wegen ihm mit einem schlechten Gewissen herum. Den Vorschlag einer Doppelhochzeit finden die beiden nicht schlecht, wenn auch absolut unerwartet. Die politische Aussage ist ohne Zweifel so ziemlich die beste, die diese beiden Länder jetzt machen können. Andererseits schlägt Nico die Hände über dem Kopf zusammen, denn er hat jetzt nur noch vier Wochen Zeit um seine Hochzeitsplanung erneut komplett über den Haufen zu werfen und neu zu gestalten. Wenn er der Meinung war, die Leitung der Stadt Kalaß wäre schon eine Mammutaufgabe gewesen, dann weiß er nicht wie er das hier nennen soll. Er kann alles nur Schritt für Schritt angehen. Er hebt erst einmal die Exile der drei ehemaligen Offiziere Jorik Fermer, Celestro Haven und Rick Randall wieder auf, in der Hoffnung, dass sie zu ihm finden mögen. Vor allem über die Rückkehr des zuverlässigen Randall würde er sich freuen. Er ist händeringend auf der Suche nach vertrauensvollen Ministern, die ihn bei der Regierungsarbeit unterstützen sollen. Gute Minister zu finden gestaltet sich gar nicht so einfach nachdem Estell den Hof bereinigt hat. Nico hat auch ein wenig Bauchschmerzen damit Kalaß als neutralen Boden zu verkaufen. Das war ursprünglich nicht sein Ansinnen. Kalaß ist nämlich gar nicht so neutral, jedenfalls nicht mehr. Er hat sich wie geplant als Ratsvorsitzender zurückgezogen und es wurde ein neuer Vorsitzender bestimmt. Die erste offizielle Amtshandlung des neuen Ratsvorsitzenden war die Abstimmung darüber sich zukünftig an Roshea anzukoppeln, die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Nun wartet Nico noch mit der offiziellen Eingliederung von Kalaß bis die Hochzeit vorbei ist, damit die Botschaft des neutralen Bodens erhalten bleibt. Irgendwie schafft es Nico letztendlich die Hochzeit zum dritten Mal neu zu planen. Die Kommunikation mit Kalaß funktioniert ziemlich gut, da es nicht allzu weit entfernt ist. Mit Deskend ist das schon deutlich schwieriger. Die Gästelisten haben ihn erst eine Woche vor der Hochzeit erreicht, aber er hat es mit Karas Hilfe noch geschafft sie einzuarbeiten. Selbstverständlich ist das Königspaar in das Märchenschloss im Herzen der rosheanischen Hauptstadt Nalita umgezogen. Nico hat einen ehemaligen Bediensteten König Riecards, den jungen Quenn Beltrus, wieder ins Schloss geholt. Estell hatte ihn entlassen, da sie nur Militärs um sich haben wollte. Wie der neue König erwartet hatte, versteht er sich mit dem humorvollen Quenn sehr gut, den er gleich zu seinem persönlichen Berater erhebt. Zu Nicos Glück hat der junge Mann umfassendes Wissen über das Schloss, das er gern mitteilt. Quenn kann es nicht fassen, dass der nette Major, den er gefühlt gestern noch durch das Schloss geführt hat, heute König sein soll. Er lässt sich von Nico erklären wie er das angestellt hat, um vielleicht ebenfalls vom Tellerwäscher zum König zu avancieren. Nico rät ihm mit einem Augenzwinkern bitte keinen Königsmord zu begehen, denn das führt normalerweise zur Hinrichtung des Mörders und nicht zu seiner Krönung. Die beiden jungen Männer werden schnell gute Freunde. Aktuell ist Kara ziemlich damit ausgelastet das Schloss in Nalita zu etwas Wohnlichem umzugestalten. Die Einrichtung ist zwar schön, aber zu kalt und unpersönlich, um sich wirklich zu Hause fühlen zu können. Sie lässt Möbel aus Kalaß bringen und den Westflügel damit einrichten, in dem sich das hauptsächliche Privatleben der beiden abspielt. In den von ihr eingerichteten Räumen kann sich das junge Paar endlich wirklich entspannen. Während sich Kara oder Nico darin aufhalten, haben Bedienstete Zutrittsverbot zu diesem Bereich. Kara ist es auf diese Art möglich ungestört ihre wenig royalen, aber von Nico geliebten, luftigen Sommerkleider zu tragen. Nach einem langen Tag, geht er in ihr gemeinsames Schlafzimmer, wo sich Kara gerade von ihrem komplizierten Tageskleid befreit, um sich ein leichtes überzuwerfen. Am Türrahmen stehend beobachtet er eine Weile, wie sie sich entkleidet. Trotz den schönen Anblicks kann er es nicht unterdrücken sie zu belehren: „Du solltest dir nicht die nalitische Mode aufzwingen lassen, sondern sie selbst bestimmen. Alle Frauen im ganzen Land werden ihrer wunderschönen Königin nacheifern.“ Sie dreht sich etwas zu ihm um und antwortet halb beschäftigt: „Als Frau des Königs kann ich wohl kaum in Minikleidern über den Hof spazieren.“ Sie vermeidet das Wort Königin zum einen, weil sie noch keine ist und zum anderen, weil es ihr wirklich schwer über die Lippen kommt. Von den schlimmen Erlebnissen mit Estell hat sich Kara noch nicht wieder erholt und sich in sich zurückgezogen. Es mag egoistisch klingen, aber für sie ist es schwierig ein traumatisches Erlebnis ohne Hendryk zu verarbeiten, der einfach immer ganz genau wusste, ob sie gerade reden oder doch lieber allein sein möchte. Nico hat dieses sensible Gespür nicht, aber es ist ihm klar, aus welchem Grund seine Geliebte sich von ihm abschottet. Was ihn wirklich dabei wurmt ist, dass es schon wieder keinen körperlichen Kontakt mehr zwischen den beiden gibt. Er möchte heute wieder damit beginnen ihre Leidenschaft zu wecken. Was Kara vor dem Umziehen nicht gemerkt hat war, dass Nico ihr Kleid vorher entwendet hat. „Nico, hast du mein Kleid gesehen? Es ist rosa.“ Er sagt nichts. Nur noch mit einem Höschen bekleidet sucht sie danach und sieht wie Nico an der Tür steht und das leichte rosa Sommerkleid an seinen Finger baumeln lässt. Ungeduldig sagt sie: „Du hast es mit Absicht geklaut, nicht wahr? Gib es einfach her!“ Er lächelt frech. „Hol es dir doch!“ Leicht genervt geht sie zu ihm, um es zu holen, doch er hält es so hinter sich, dass sie sich an ihn heran drücken muss, um an es zu kommen, was er sehr genießt. Er legt einen Arm um ihre Taille, lässt ihr Kleid mit der anderen Hand fallen und packt Kara danach am Handgelenk. Sie will etwas sagen, deshalb küsst er sie unvermittelt, doch dabei macht seine Liebste ein leidendes Gesicht. Als ihr sogar eine einzelnen Träne über die Wange läuft, unterbricht Nico den Kuss und flüstert: „Es reicht, Kara. Hör auf dich zu quälen.“ Diese Worte haben die verzweifelte junge Frau berührt, sodass noch weitere Tränen folgen. Er lässt ihr Handgelenk los und streicht ihr sanft durchs Haar. „Für mich bist du immer noch dieselbe Frau wie vorher.“ Sie bleiben eine Weile so stehen, bis sie sich beruhig. Dann wischt sie sich die Tränen aus den Augen und sieht hoch zu Nico, der sie sanft anlächelt, doch sie fragt traurig: „Was ist Glück, Nico?“ Er denkt kurz nach. Wenig literarisch antwortet er: „Glück war es das alles zu überleben und jetzt ein gemeinsames, friedliches Leben führen zu dürfen.“ „Und verdienen wir Glück, wenn andere es nicht haben?“ Nico lächelt immer noch. Er spielt mit einer ihrer beiden langen Haarsträhnen. „Ja, das tun wir, Kara.“ Ungläubig entgegnet sie: „Und wenn wir uns das Glück erst dadurch verschaffen, andere ins Unglück zu stürzen, verdienen wir es dann immer noch?“ „Was redest du denn da? So etwas tun wir doch gar nicht und das weißt du. Du warst jahrelang Ärztin, hast dich um Kranke und Verletzte gekümmert. Ich war beim Militär und habe Menschen befreit und beschützt und nun sorgen wir beide dafür, dass im Land Roshea möglichst vielen Menschen Gerechtigkeit widerfährt. Mehr können wir zwei nicht ausrichten.“ Immer noch zweifelnd flüstert sie: „Und wie viele Menschen muss man glücklich machen, um das Unglück eines einzelnen aufzuwiegen?“ Nico hat aufgehört an Karas Haarsträhne herum zu spielen. Er ruft sich Gedanken und Gefühle seiner Zeit in Aranor in Erinnerung: „Das habe ich mich vor vielen Jahren auch schon gefragt und ich bin zu der Einsicht gelangt, dass es ausreicht aufzuhören Menschen absichtlich unglücklich zu machen.“ Sie schüttelt den Kopf: „Ist das nicht zu einfach?“ „Nein, Kara. Das ist überhaupt nicht einfach. Bevor ich zu dieser Erkenntnis gelangt bin, habe ich mein schlechtes Gewissen mit Wein betäubt. Es gab Zeiten, da habe ich fast nur noch… nein, ist jetzt unwichtig. Kara, du musst du dich entschieden wem du das Glück schenken möchtest, denn der Unbeschenkte erfährt nicht automatisch das Unglück. Dein Ziel ist es doch auch nicht den Unbeschenkten unglücklich zu machen, sondern den Beschenkten glücklich. Darin unterscheiden sich Gute von schlechten Menschen. Kannst du mir noch folgen?“ Kara legt ihren Kopf auf seine Brust und flüstert: „Natürlich kann ich dir folgen. Danke, Nico.“ Sie bleibt eine Weile so stehen, dann sieht sie nach oben, stellt sich leicht auf ihre Zehenspitzen und küsst ihren altklugen Verlobten. Die beiden kommen sich endlich wieder näher und landen, nach langer Zeit der Abstinenz endlich wieder gemeinsam im Bett. In ihrer Erregung kratzt Kara ihrem Geliebten beim Liebesspiel über den Rücken, doch auch wenn es schmerzt, ist er glücklich darüber die Frau zurück zu haben, die ihm Estell genommen hatte. Das wieder wie frisch verliebte Paar reist zwei Wochen später nach Kalaß, um die letzten Vorkehrungen für die Hochzeit zu treffen. Bereits seit einer Woche ist die Stadt völlig überfüllt von Gästen und Besuchern aus den umliegenden Königreichen, die an dem historisch denkwürdigsten Ereignis, seit dem Fall des Königreiches Kalaß vor zweihundert Jahren, teilnehmen möchten. Die Stadt platzt aus allen Nähten und die meisten Bewohner nehmen in ihren ohnehin schon kleinen Häusern auch noch Gäste auf. Das künftige Königspaar kann kaum eine Schritt machen, ohne auf der Straße erkannt und anschließend von Menschen umringt zu werden. Schnell bilden sich ganze Menschentrauben um sie. Kara trifft viele Bekannte, mit denen sie sich in aller Kürze nett unterhält. Nico spricht meist etwas mit den Leuten, bittet sie dann aber höflich seinen Aufgaben nachgehen zu dürfen. Die Menschen haben Respekt vor seinem sympathischen, aber auch resoluten Auftreten und hören auf ihn, was ihn jedoch nicht davor bewahrt kurze Zeit später von einer neuen Menschentraube umringt zu werden. Er wünscht sich irgendwo in der Masse unterzugehen, doch er oder Kara werden immer wieder sehr schnell erkannt. Eigentlich wollen die beiden zur Kathedrale, um letzte Details zu besprechen und sich das Artefakt am Altar genauer anzuschauen, von dem er Kara vor einiger Zeit erzählt hatte. Die beiden hatten es während des halben Jahres, in dem sie in der Stadt gemeinsam gelebt haben, nicht geschafft sich Zeit dafür zu nehmen, doch diesmal haben sie es sich gezielt auf die Agenda geschrieben. Kara hat großes Interesse für das große türkisfarbene Juwel gezeigt und mittlerweile, ohne auf die Schnelle etwas Gehaltvolles erfahren zu haben, in der kalaßer und auch der nalitischen Bibliothek nach Informationen dazu gesucht. Nico begrüßt es, wenn sie sich nicht zu intensiv damit auseinander setzt, denn alles was damit im Zusammenhang steht, findet er merkwürdig. Nach zwei Stunden des ständigen Aufgehaltenwerdens haben sie es schließlich geschafft bis in die riesige Kathedrale am kalaßer Marktplatz vorzudringen. Sie haben sich angemeldet und das Gotteshaus vorsichtshalber für Besucher sperren lassen. Donnt, ehemaliges Mitglied des Ältestenrats und mittlerweile Hohepriester, öffnet dem jungen Königspaar, wie zuvor schriftlich abgesprochen, eine kleine Seitentür. Er begrüßt sie freundlich, führt die beiden zur beeindruckend hohen Haupthalle und zieht sich dann zunächst zurück. Kara kann heute kein Interesse für den imposanten Sakralbau aubringen, sondern fasst sofort das türkise Artefakt am Altar ins Auge. Es wird in der Wand gehalten von einer eigens für es gefertigten Vertiefung. Sie stellt sich davor und bewundert die feine Arbeit. Die aus Stein gehauenen Schwingen breiten sich über ihr aus. So nahe ist sie dem tropfenförmigen Juwel noch nie gekommen. Es ist etwas weniger als handtellergroß und scheint tatsächlich vollständig aus einer Art Kristall zu bestehen. Sie erwartet nicht, dass etwas passiert, wenn sie es berührt und trotzdem ist sie etwas aufgeregt. Nico fordert sie auf ihre Hand auf das Juwel zu legen und wundert sich über ihr Zögern, deshalb kommentiert er lächelnd: „Du erwartest doch, dass sowieso nichts passiert, also tu es einfach!“ Sie hebt ihren Arm und bereits als sie das glatte, glänzende Artefakt mit ihren Fingerspitzen berührt, spürt sie etwas intensives in ihrem Herzen. Sie zuckt zusammen und zieht instinktiv ihre Hand zurück. Nico geht zu ihr und stellt sich hinter sie. Nun davon überzeugt, dass das Windjuwel auch auf sie eine Wirkung ausübt fragt er: „Hast du etwas gespürt?“ „N-Nico, was war das?“ fragt sie zögerlich zurück und beantwortet damit seine Frage. Er nimmt ihre Hand, führt sie bis kurz vor das türkisblau leuchtende Siegel und sagt: „Nicht jeder kann es spüren. Dass du es kannst, ist etwas Besonderes. Schließ deine Augen! Wenn es dir schwindelig wird, halte ich dich.“ Nico legt ihre und seine Hand auf den Kristall. Sie beide werden durchströmt von einem intensiven warmen Wohlgefühl. Karas Knie werden weich und er muss sie tatsächlich abstützen. Sie spürt, dass dieses intensive Gefühl fast so ist wie ein... sie will den Gedanken nicht zu Ende denken. Nach einer Weile lassen sie los. Da Kara etwas außer Atem ist, setzen sich die beiden in die erste Kirchengestühlreihe. Sie versteht es nicht, denn so etwas dürfte es nicht geben. Dieser Kristall verursacht einen rauschähnlichen Zustand, der ihr vertraut ist, denn sie spürt ihn auch, wenn sie mit intim Nico wird. Sie fragt noch einmal, nur mit etwas mehr Nachdruck: „Was war das?“ Er beginnt mit ihren beiden Haarsträhnen zu spielen. „Ich weiß es nicht. Sag du es mir, du bist die Wissenschaftlerin.“ Kara schmollt etwas. „Hey, nimm mich ernst!“ Er lacht und antwortet anschließend: „Du hast doch die Bibliotheken danach durchforstet. Ich denke mal ich weiß auch nicht viel mehr als du. Diese Kristallartefakte werden auch Siegel genannt. Es gibt noch drei weitere davon, nämlich das gelbe Siegel der Erdgöttin Ahanani, das rote Siegel des Feuergottes Phanatakare und das schwarze der Wassergöttin Kawanata. Sie alle gelten als eine Art Essenz ihrer jeweiligen Götter und sind einzigartig. In meiner Jugend, während meiner Stationierung in Aranor, erforschte ich die Siegel, so wie du jetzt.“ „Ja, das war mir tatsächlich bekannt. Du hast sie auch erforscht? Was hast du noch herausgefunden?“ fragt sie interessiert und er steigt darauf ein und erklärt: „Ich wollte das alles niemandem erzählen, aber bei dir mache ich eine Ausnahme. Ich stieß auf eine Legende, die mit den Siegeln in Zusammenhang zu stehen schien. An der Quelle des Flusses Lanim, also am Berg Bugat in Roshea, gibt es in einer Höhle eine Wand mit vier Vertiefungen, in welche, wie ich vermute, diese vier Siegel eingelassen werden können. Da die Inschrift darauf hindeutet, dass darin so etwas wie eine unendliche Macht schlafen würde, habe ich mich dazu entschlossen alle Aufzeichnungen zu verstecken. Ich möchte vermeiden, dass jemand auf die Idee kommt ein Unheil herauf zu beschwören.“ Das weckt erstrecht Karas Forscherinstinkt. „Interessiert es dich nicht, was dahinter ist?“ Nico schüttelt lächelnd den Kopf. „Komm mir bloß nicht auf die Idee, die vier Siegel zu stehlen, um das Tor zu öffnen, nur um deine Neugier zu befriedigen.“ Sie flunkert. „Vielleicht denke ich darüber nach.“ „Wage es nicht!“ Nico legt seine Arme um sie und hält sie fest. Sie lacht herzlich, was in der Kathedrale widerhallt und fragt dann: „Wäre es dann nicht besser das Original des Artefakts gegen eine Replik auszutauschen und es im Schloss in Nalita zu verstecken?“ Donnt betritt gerade leise das große Hauptschiff, als Nico freudestrahlend zu Kara sagt: „Kara, du bist ein Genie.“ Er dreht sich zu Donnt um, den er schon längst bemerkt hat. „Hohepriester, auf ein Wort, bitte.“ Nico erzählt dem Hohepriester Donnt von seinen Kindheitserinnerungen an seine Großmutter und dass er das Siegel als Relikt in eine Kapelle des Schlosses in Nalita verbringen möchte. Da dieser verständlicherweise nicht begeistert von dieser Idee ist, muss ihn Nico an etwas erinnern. Und zwar daran, dass Donnt sich damals im Ältestenrat nicht für ihn, den zukünftigen König von Kalaß, eingesetzt hatte, als er im unterirdischen Kerker der Stadt vor sich hinsiechte. Wenn sich der Tatbestand herumspricht, dass er den späteren König nicht verteidigt hat, wird er wieder an Vertrauen und somit ein für alle Mal sein Amt verlieren. Dieses zu gewinnen war als ehemaliges Mitglied des Ältestenrats gar nicht so einfach für Donnt. Er musste glaubhaft versichern immer einer der wenigen gewesen zu sein, die versuchten für die Stadt zu kämpfen. Wenn der amtierende König gegen ihn aussagt, wird er seinen Posten verlieren. Er stimmt etwas widerwillig zu das Siegel des Windes im Geheimen gegen eine hochwertige Replik austauschen zu lassen. Nico weiß, dass Männer wie Donnt leicht zu manipulieren sind. Er ist froh an das Siegel gelangt zu sein und trotzdem ist er enttäuscht vom Hohepriester der Hauptkirche des Windgottes, der seine Ehre über die heilige Aufgabe seines Amtes stellt. Er wird sich kurzfristig jemand anderen suchen müssen, der seine Trauung mit Kara vornehmen kann. Seine Wahl fällt auf Farsa Gena, welche die beiden im Anschluss besuchen wollen. Als Gläubige mit einer Tracht verkleidet, schleicht sich das Königspaar aus der Kathedrale und läuft schnellen Schrittes zum Rathaus, in dem Farsa Gena immer noch unterstützend arbeitet. Kara übernimmt die Aufgabe sie darum zu bitten die Trauung vorzunehmen. Zwar ist die ältere Dame überrascht, aber nicht überrumpelt. Der jahrelange Ratsvorsitz hat sie ihre Scheu wichtige Ansprachen zu halten, überwinden lassen. Sie fühlt sich geehrt und nimmt das Angebot dankend an. Sie bringt das Königspaar gleich noch auf den neuesten Stand. „Ich muss euch beiden etwas unangenehmes mitteilen. Marco Loran ist gestern geflohen und in der Masse untergetaucht. Die Stadtwache weiß wie er aussieht und durchsucht die Stadt nach ihm.“ Kara schlägt die Hände vor dem Mund zusammen und hält die Luft an und Nico beginn direkt verärgert los zu schimpfen: „Verdammt. Bei diesem Chaos auf den Straßen wird er ungesehen aus der Stadt fliehen können, egal wie viele nach ihm suchen.“ „Was machen wir denn jetzt?“ Fragt Kara entsetzt, doch ihr Verlobter beruhigt sie: „Wir können gar nichts tun, aber mach dich nicht verrückt. Er stellt keine Bedrohung mehr für uns dar.“ Er nimmt Kara in den Arm und sie braucht einen Moment es zu verarbeiten. Sie richtet sich langsam wieder auf, weil sie noch ein anderes Anliegen an Farsa Gena hat. Sie will die Gelegenheit nutzen sie zu fragen, ob sie etwas über die Namensänderung von Nico weiß, die sie bei ihren Recherchen aufgedeckt hat. „Sicherlich ist Ihnen Nicos Geburtsurkunde zur Identitätskontrolle vor seiner Anhörung unter die Augen gekommen.“ vermutet Kara und Farsa Gena erinnert sich tatsächlich: „Ja, das ist der übliche Ablauf. Sie war etwas auffällig, denn auf der Urkunde war ein Name durchgestrichen und Nico daneben geschrieben. Wie war er doch gleich?“ „Theron.“ Ergänzt die junge Frau und Farsa Gena erklärt weiter was sie darüber weiß: „Ja, richtig, Theron. Alles war amtlich beglaubigt und damit formal in Ordnung. Wie es der Zufall will, habt ihr mit mir genau die Richtige gefragt. Ich habe damals nämlich trotzdem Nachforschungen angestellt und den Beamten aufgesucht, der die Namensänderung entgegengenommen hat.“ Karas Augen werden groß. „Und was sagte er?“ „Er hatte keine Schwierigkeiten sich zu erinnern, da ihm so etwas in den ganzen Jahren seiner Amtszeit nur dieses eine Mal passiert ist. Eine alte Dame mit einem Baby im Arm kam damals zu ihm und bat um eine Namensänderung. Sie konnte ein Sorgerecht für das Kind nachweisen. Als Begründung gab sie an zu sehr an seine Eltern denken zu müssen, was sie zu traurig machte, um ihn bei diesem Namen zu rufen.“ „Das ist alles?“ Als Farsa Gena nickt, schaut Kara prüfend und enttäuscht zu Nico, der die ganze Zeit noch nichts dazu gesagt hat und auch jetzt völlig unbeeindruckt schaut. Er wendet sich an Farsa Gena. „Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft so kurzfristig noch unsere Trauung vorzunehmen. Wir möchten Sie jetzt nicht weiter behelligen.“ Die beiden ziehen die Kutten wieder über verlassen das Rathaus. Die Stimmung ist gedrückt. Die Flucht Lorans lastet auf den beiden und Nico hat es schon immer belastet über seine Großmutter zu sprechen. Deprimiert machen sie sich auf den Weg. Die beiden wohnen während ihres aktuellen Aufenthalts in Kalaß wieder in derselben Villa, in der sie gelebt haben, als Nico Ratsvorsitzender war. Sie machen sich jetzt auf den Weg dort hin. Kurz vorher legen sie die Kutten ab, da es ohnehin bekannt ist, dass sie wieder dort residieren werden. Zwei Tage vor der Trauung kommen auch Yasane und Hendryk in die Stadt. Die Prinzessin kennt den Stadtstaat nur vom Hörensagen und lässt sich von Hendryk alles genau zeigen. Sie hat sehr großes Interesse an seiner Heimatstadt und will am liebsten all seine ehemaligen Kameraden bei der Stadtwache nach ihm ausfragen. Er hofft inständig, dass sie niemanden in seiner Abwesenheit findet und ihn dann mit ihrer Psycho-Redetechnik ausquetscht. Er hat Angst, dass sie alte Geschichten über verflossene Liebschaften zutage fördern könnte. Sie weiß schon genug über ihn und Kara, was ihm nicht gefällt. Für ihn zählt jetzt nur noch seine Beziehung zu Yasane. Die beiden sind mit Nico und Kara an deren Villa verabredet, zu der Hendryk sie nun führt. Da sich das rosheanische Königspaar Kara und Nico in ihrem alten zu Hause so unglaublich wohl fühlt, tröstet sie das über die schlechten Nachrichten hinweg. Sie haben wieder begonnen sich auf die Trauung zu freuen und das auch körperlich. Sie sind gerade miteinander auf dem Küchentisch beschäftigt, als es an der Tür klopft. Nico würde es gern ignorieren und den Besuch noch kurz warten lassen, doch Kara wird etwas unruhig. Er will sich gerade wieder von ihr lösen, da ruft sie laut: „Momeeent, wir kommen gleich!“ Nico lacht erregt über die Doppeldeutigkeit der Worte seiner Braut. Das yokenische Königspaar muss also noch etwas vor der Tür stehen bleiben, was vor allem Hendryk verstimmt. „Was fällt den beiden ein uns hier einfach stehen zu lassen? Was machen sie überhaupt so lange?“ Yasane antwortet ganz trocken: „Ich nehme an sie haben Sex.“ Hendryk zuckt geschockt zusammen. „Du kommst auf Ideen. Sowas will ich mir gar nicht vorstellen.“ „Ich finde es schön, wenn zwei Liebende sich vereinen.“ schwärmt sie, ohne dass ihr Hinweis auf ihre eigene Vorfreude auf ihre Hochzeitsnacht bei ihm unbemerkt bleiben würde, deshalb flüstert Hendryk, weil er befürchtet, dass ihn jemand hören könnte: „Yasane, sprich bitte nicht auf offener Straße über solche Themen!“ „Ach, jetzt tu doch nicht so verklemmt! Du hast mich doch vor dem versammeltem Kriegsrat abgeknutscht und befummelt. Als wüsste nicht jeder, dass wir scharf aufeinander sind.“ „Das reicht jetzt, okay?“ Er versucht die Unterhaltung zu unterbinden, doch sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange und flüstert: „Ich freue mich jedenfalls schon auf unsere Hochzeitsnacht.“ Sie streichelt ihm flüchtig über seine Brust. Ihr Begehren ist ihm keinesfalls unangenehm, doch manchmal geht sie ihm etwas zu offen damit um, zumal ihm die Überleitung zu dem Thema nicht gefallen hat. Kara mit Nico sexuell aktiv...das will er sich nicht vorstellen. Endlich, nach etwa fünf Minuten öffnet Kara den beiden die Tür. Sie hat sich wieder ordentlich angezogen, aber gegen ihr errötetes Gesicht konnte sie auf die Schnelle nichts machen. Yasane stupst Hendryk mit den Ellenbogen an. „Na, was habe ich dir gesagt?“ Und Hendryk ist geschockt, aber aus einem ganz anderen Grund. „Kara? Was ist mit deinen Haaren passiert?“ Sie fasst sich unwillkürlich an den Hinterkopf, dann versucht sie sich ein Lächeln abzuringen. „Das ist eine lange und wirklich unschöne Geschichte, aber kommt doch erstmal rein. Ich freue mich so sehr euch zu sehen.“ Die Drei fallen sich gegenseitig in die Arme. Vor allem Kara und Hendryk umarmen sich lange. Die Trennung voneinander ist für beide sehr ungewohnt und auch schmerzhaft. Nico kommt aus dem Badezimmer und gesellt sich zu den beiden. Außer dem Hinweis, dass er bis eben im Bad war, kann Hendryk keine Auffälligkeiten an ihm entdecken, doch für einen Gigolo wie ihn, hält er das für normal. Irgendwie fühlt er sich schon durch die seine pure Anwesenheit etwas gereizter als zuvor. Nico verbeugt sich ein Stück und grüßt, ganz ohne spöttischem Unterton: „Seid gegrüßt Fürst Hendryk Lethorius, baldiger König von Yoken und hallo Yasane, schön dich zu sehen.“ Darauf steigt Hendryk ein. „Seid gegrüßt, Eure Majestät König Nico von Roshea.“ Er verbeugt sich ebenfalls ein Stück. Kara und Yasane kennen dieses komische Ritual schon von den beiden und sehen sich etwas peinlich berührt an. Danach schließt Nico seine beiden Freunde ebenfalls in die Arme. Das yokenische Königspaar schlägt vor sich alle an den Küchentisch zu setzen, den sie vom Flur aus schon sehen können, doch Kara leitet sie davon weg ins Wohnzimmer. Sie kann sich nicht mit ihren Freunden an den Tisch setzen, auf dem sie mit ihrem Geliebten gerade noch zugange war... Nico grinst, denn ihn hätte das kein bisschen gestört. Die vier reden ein wenig über verschiedene Dinge, die in der Zwischenzeit so passiert sind. Yasane erzählt vom Verlust ihrer Eltern und den Wiederaufbau des deskender Hofes, Nico berichtet flüchtig von Estells Sturz und seinem Aufstieg zum König. Das ist alles schwere Kost, die aufs Gemüt schlägt, deshalb beendet Yasane diese Themen und fragt nach dem geplanten Ablauf bei der Hochzeit. Mit ihrer quirligen Art schafft sie es die Stimmung wieder zu heben. Als das Thema Hochzeitskleid fällt, springt sie auf und ruft: „Kara! Ich will es sehen! Bitteeee!“ Kara gibt nach und die beiden gehen ins Obergeschoss, wo sie das Kleid aufbewahrt. Hendryk und Nico sitzen nun also ganz allein im Wohnzimmer und kaum sind die beiden Frauen weg, faucht Hendryk seinen Freund direkt an: „Was hast du schon wieder mit Kara gemacht?“ Nico stutzt, denn er fragt sich, ob Hendryk gemerkt hat, warum er und Yasane noch etwas vor der Tür warten mussten? Wahrscheinlich schon, denn er ist ein kluger Mann, der eins und eins zusammen zählen kann. Nico legt sich schon eine gewohnt herausfordernde Antwort zurecht, als Hendryk beginnt zu fluchen: „Verdammt, ich meine ihre wundervollen langen Haare. Du Idiot hast wieder nicht richtig auf sie aufgepasst!“ Ach, darauf spielt er an. Nico macht ein verständnisvolles Gesicht: „Du hast recht. Das habe ich nicht.“ Er erklärt, dass Estell ihr die Haare abgeschnitten hat, kurz bevor die beiden sie erledigen konnten. Er verschweigt, dass es Kara war, die ihr den Todesstoß versetzt hat. Jetzt ärgert sich Hendryk gewaltig darüber die kurzen Haare direkt als erstes vor Kara angesprochen zu haben. Mit diesem Hintergrund versteht er ihre sensible Reaktion. Er weiß jetzt, dass Kara womöglich dabei gewesen sein muss, als Estell ermordet wurde. Das hat ihr sicherlich schwer zugesetzt und er war nicht da um ihr beizustehen. Das wurmt ihn, und er sucht die Schuld bei sich selbst. Nico gegenüber ist er deshalb etwas milder gestimmt und bohrt nicht weiter nach, deshalb ändert er das Thema. „Und? Wie ist es so im Schloss von Nalita? Ich war da noch nie.“ „Viel zu groß und überhaupt nicht wohnlich eingerichtet. Hier fühlen wir uns viel wohler.“ Hendryk schlägt ganz pragmatisch vor: „Dann verlegt den Regierungssitz von Roshea doch nach Kalaß. Ich habe schon von der Eingliederung gehört. Das sollte doch möglich sein.“ Daran hat Nico überhaupt noch nicht gedacht. In Kalaß fühlt er sich zu Hause. Es ist eine schöne Idee, oder besser gesagt ein schöner Traum, denn er hält es politisch leider nicht für umsetzbar. Trotzdem will er das Haus als Sommerresidenz behalten. Die beiden Frauen sind oben in Karas altem Arbeitszimmer, wo sie ihr Hochzeitskleid aufbewahrt. Nico darf diesen Raum zur Zeit nicht betreten, weil er das Kleid nicht vor der Hochzeit sehen soll, was er lächerlich findet, so wie viele dieser neuen merkwürdigen Hochzeitsvorschriften. Yasane sieht es sich am Bügel an und wird sofort euphorisch: „Das ist ja wunderschön! Kannst du es bitte für mich anprobieren?“ Als Kara nicht sofort reagiert beginnt Yasane aufgeregt auf der Stelle herum zu hüpfen: „Bitte, bitte, bitte, Karalein.“ Sie hat nichts dagegen, dreht ihren Rücken zu Yasane und zieht ihr Kleid aus. Yasane beobachtet sie dabei und bewundert Karas atemberaubenden Körper. Sie muss nach Luft schnappen, als sie bemerkt, dass die junge Kalaßerin nichts unter ihrem Kleid trägt. Yasane versteht jetzt auch warum Nico so verbittert darüber war, dass seine Liebste ihn nicht an sich heran gelassen hat, denn sie hat noch nie so eine schöne Frau wie Kara gesehen. Noch immer hält Yasane Nico für ein wenig oberflächlich deswegen. Sie würde gern herausfinden, ob Kara nur toll aussieht, oder ob sie auch einen Charakter hat, der liebenswürdig ist. Die rothaarige Schönheit steigt anmutig in ihr elfenbeinfarbenes, schlichtes, fließendes Kleid im Meerungfrauen-Stil, das ihren tollen Körper betont. Yasane denkt an ihr eigenes Kleid, das ganz anders ist. Sie hat ein schneeweißes Tüllkleid wie eine Märchenprinzessin. Ihr wird klar, dass sie wohl romantischer veranlagt ist als Kara. Die kleine Psycho-Prinzessin lehnt sich lässig an den Schreibtisch und fragt verschmitzt, aber auch interessiert: „Kein rein weißes Kleid, Kara? Hat Nico es also doch geschafft dir die Unschuld zu rauben?“ Kara zieht sich gerade wieder um und ist fast nackt in diesen Moment. Sie wüsste nicht was die Farbe des Kleides darüber aussagen soll, aber ganz abgesehen davon: Woher sollte die Prinzessin das wissen? Wenn Kara alle Fakten zusammennimmt und beachtet, dass Nico noch nichts von ihrer Jungfräulichkeit wusste, als er in Yoken war, müsste Hendryk darüber geplaudert haben. Sie zieht sich ihr Sommerkleid wieder an und beschließt, wenn auch etwas widerwillig, nachzufragen: „Okay Yasane, woher weißt du das?“ Diese zuckt mit den Schultern und sagt ganz beiläufig: „Das hab ich aus dem Kontext geschlossen.“ Kara hat keinen Schimmer aus welchem Kontext man so etwas schließen könnte. Sie kennt Hen, der hat bestimmt nichts gesagt und Nico konnte nichts darüber wissen. Die junge Frau kann dem Ursprung dieser Aussage nicht auf den Grund gehen, da setzt Yasane noch einen drauf: „Vorhin hattet ihr doch auch euren Spaß miteinander, stimmt’s? Es war nicht zu übersehen.“ Es macht Kara keine Freude so von der Prinzessin gelesen zu werden und die wird etwas rot. „Warum ist das für dich so wichtig?“ Yasane lächelt verschmitzt, aber offen freundlich: „Liebe Kara, was denkst du wohl? Hendryk ist ein anständiger Mann. Ob ich es so wollte oder nicht, er hat mich nicht angerührt und in zwei Tagen ist meine Hochzeit, mit darauf folgender Hochzeitsnacht. Ich setze alle Karten darauf, dass es dann passiert. Ist es da nicht ganz natürlich, dass ich mich dafür besonders interessiere?“ Das kann Kara tatsächlich gut nachfühlen, denn sie erinnert sich an die Panik, die sie hatte. Sie lächelt und antwortet beschwichtigt: „Ja, da hast du wohl recht.“ Yasane freut sich über diese Antwort. Mit wem soll sie denn sonst darüber reden? Kühn bohrt sie nach: „Und wie ist es so?“ Schon wieder so eine indiskrete Frage, mit der Kara nicht umzugehen weiß. „Ich möchte dir keine intimen Details über mich und Nico erzählen.“ sagt sie etwas strenger als sie es wollte, doch Yasane lässt sich nicht abschrecken. „Ach, das musst du auch gar nicht. Es reicht mir, wenn du mir sagst, wie es allgemein so ist. Du musst mir nichts über Nico erzählen.“ Die Prinzessin weiß genau, dass es gar nicht möglich ist etwas zu berichten, ohne persönliche Dinge der beiden anzusprechen und reibt sich innerlich die Hände, als Kara darauf eingeht. Die Kalaßerin versteht die Prinzessin gut, denn sie selbst hatte selbst auch keine Ansprechpartnerin für dieses Thema und war deshalb sehr unsicher. „Ein paar allgemeine Tipps kann ich dir schon geben.“ Yasane hüpft vor Freude und ruft fröhlich: „Juhu!“ Somit beginnt die Einäugige unter den Blinden zu erzählen was sie weiß: „Du brauchst schon mal überhaupt keine Angst zu haben, denn ich kenne Hen schon so lange... Auch wenn er viel stärker ist als du, würde er dir nie wehtun, oder etwas machen, das du nicht magst. Du kannst ihm vertrauen.“ Das ist schön zu hören, denkt Yasane. Sie ist wirklich sehr aufgeregt über dieses Thema sprechen zu dürfen und es macht ihr große Freude, was sich in ihrer Antwort äußert. „Oh, das tue ich. Ich freue mich schon total.“ Was Kara kurz irritiert, denn die Prinzessin scheint völlig anders damit umzugehen als sie selbst. „Gut, dass wir das geklärt haben. Dann spreche ich über den Akt an sich. Es ist wichtig, dass du dich nicht verkrampfst.“ „Alles klar. Und was ist das so für ein Gefühl?“ Kara führt eine Art Patientengespräch. Den Menschen Angst und Bedenken zu nehmen ist eine ihrer Aufgaben als Ärztin gewesen. Das fehlt ihr sehr und sie geht in dem Beratungsgespräch auf. „Naja, am besten wehrst du dich nicht gegen das Gefühl, das in dir aufsteigt und schäme dich nicht dafür. Mich hat das etwas nervös gemacht.“ Die beiden Frauen reden noch eine Weile so weiter. Die beiden Männer sitzen unterdessen immer noch gemeinsam unten. Die Stimmung ist leicht gereizt, weil Hen die Sache mit den Haaren nicht aus dem Kopf geht. Für Nico ist diese Situation, in der ihm unablässig Vorwürfe gemacht werden, keinesfalls fremd und es stört ihn auch nicht. Unsensibel fragt er: „Wie hast du Yasane so weit gebracht dich zu adeln?“ Hendryk empfindet diese Frage als Provokation, lächelt aber gelassen. „Auf solche Fragen antworte ich prinzipiell nicht. Das weißt du genau.“ „Das kann ja nur bedeuten, dass sie der treibende Keil war?“ Hendryk atmet gereizt schwer durch die Nase ein. Nico lächelt spitz, weil er nun weiß, dass er recht hat und dafür könnte Hendryk ihn erschlagen. Er müsste wahrscheinlich warten, bis Nico schläft, aber er könnte...wenn er wollte. Diese Gedanken trösten ihn, aber er verteidigt sich trotzdem: „Ich habe sie vor dem versammelten Kriegsrat geküsst. Seither sind alle Fronten geklärt.“ Nico schaut überrascht. So etwas forsches hätte Hen doch nie gemacht, wenn es keine Vorgeschichte dazu gäbe. Er bohrt nach. „Da wäre ich gern dabei gewesen. Ich nehme an du wusstest schon, dass sie dich mag. Ich meine, das hätte ja auch ziemlich nach hinten los gehen können.“ Hendryk atmet wieder schwer ein. Dass Nico immer noch lächelt, ist fast unerträglich für ihn. “Nagut, ich gebe es zu. Sie hat es mir zuerst gestanden. Bist du jetzt glücklich?“ Nico wollte ihn eigentlich nicht ärgern, aber da Hendryk so ungern über solche Dinge spricht, passiert das wohl automatisch. „Du braucht nicht gereizt zu reagieren. Es macht mich nicht mehr oder weniger glücklich. Ich habe einfach Interesse daran, weil du mein Freund bist und es eine ungewöhnliche Konstellation ist.“ Hendryk grinst provoziert. „Meinst du die Kronprinzessin und eine niedere Stadtwache?“ „Wenn du es so ausdrücken willst, dann ja. Denk doch mal nach: Wie sehr muss sie dich lieben, um so einen mutigen Schritt zu gehen? Du musst einen großen Eindruck auf sie gemacht haben. Das ist bemerkenswert.“ Ausnahmsweise kann Hen hier zustimmen und er ist ein wenig besänftigt. Was Nico hier in einem sehr schwierigen Gespräch über Hendryk herausfinden konnte, sind Infos, die er von Yasane in zwei Halbsätzen erhalten hätte. Er zweifelt nicht an Hendryks Aufrichtigkeit, aber es wäre schön gewesen er hätte etwas positives über Yasane gesagt, anstatt sich nur zu verteidigen. Nach ein paar Minuten Stille fragt Hen ungeduldig: „Was machen unsere Frauen da oben denn so lange? Das ist ja fast wie damals, als du in der Zelle saßt und ich dich den ganzen Tag am Hals hatte.“ Nico nimmt die Herausforderung an. „Am Hals? Ich würde sagen ich war der beste Gesprächspartner den du je hattest.“ „Pah, da unterhalte ich mich lieber mit dem alten Morwin im ‚Fröhlichen Handwerker‘.“ Tiefgründig antwortet der frühere Offizier, der mehr Zeit in Kneipen verbracht hat, als er zugeben würde und Morwin auch kennt: „Du hältst ihn vielleicht für debil, aber der alte Mann hat eine bewegende Geschichte zu erzählen. Du solltest die Leute vielleicht nicht so voreilig beurteilen! Das hast du ja bei mir auch schon gemacht. Das ist die erste Lektion von König zu König in Spee.“ Hendryk lacht: „Ha! Von wegen voreilig. Ich fand am Anfang, dass du ein selbstgerechter, arroganter und machtgeiler Gigolo bist, doch heute weiß ich du bist ein selbstgerechter, arroganter, machthungriger und überheblicher, eitler, anmaßender, aufgeblasener, nimmersatter, -!“ Nico baut sich vor seinem zehn Jahre jüngeren Freund auf und schimpft: „Das meiste davon waren Synonyme, mein Lieber.“ Dieser weicht kein bisschen zurück. Der Streit wird mittlerweile ziemlich laut und Hendryk schreit schon fast: „Na und? Vielleicht hilft die Redundanz um Euch vor Augen zu führen wie altklug Ihr seid, Eure Majestät. “ „Bist du sicher dass du den Begriff Redundanz überhaupt richtig verwendet hast?“ Hendryk stockt kurz und sagt dann: „Ziemlich, ja.“ Nach einer kurzen Pause atmet Nico tief durch und sagt mit entspannter Stimme: „Okay, das hat gut getan. Ich brauche wirklich wieder jemanden mit dem ich mich ordentlich streiten kann. Mit Kara streite ich mich kaum noch, weil…egal, mit ihr streite ich kaum noch. Kaum einer wagt es mir die Stirn zu bieten.“ Hendryk entgegnet mit abschätzigen Unterton: „Dann müssen wir uns eben Briefe schreiben.“ Die beiden Lachen ausgelassen. Endlich ist der Knoten geplatzt und die beiden können normal miteinander reden. Etwa zu dieser Zeit kommen Kara und Yasane zurück. Sie sind in ein Gespräch vertieft, bei dem ein jeder rote Ohren bekommen würde, wenn man Nico mal außen vor lässt, der offener Natur ist. Wenn Hendryk da so zuhört, hat er das Gefühl Yasanes Ansprüche an ihn seien gerade ums hundertfache angewachsen. Vorwurfsvoll sagt er zu Nico: „Na toll, schönen Dank, Nico.“ Doch der lächelt schelmisch. „Was bedankst du dich bei mir? Bedank dich bei Kara. Sie plappert gerade alles über uns aus, nicht ich.“ Endlich ist der Tag der Trauung gekommen, an dem die beiden Königspaare miteinander vermählt werden. Die Kathedrale von Kalaß, in der die Hochzeit stattfindet, ist zwar bereits mehr als Dreihundert Jahre alt, doch sie hat nichts von ihrem Glanz verloren. Sie ist ein Meisterwerk der Architektur, an der sich wunderschön geschwungene Spitzbögen aneinander reihen. Sie passt perfekt zur Festlichkeit einer Hochzeit. Die beiden Paare werden gleichzeitig getraut und nicht nacheinander. Das war Nicos ausdrücklicher Wunsch, denn er wollte ausschließen, dass eines der beiden Königspaare benachteiligt werden, oder einer den anderen überflügeln könnte. Die beiden Männer warten, in den traditionellen Uniformen der Königshäuser gekleidet, in der Kathedrale, während die beiden Frauen gemeinsam in einer Kutsche gebracht werden. Das gibt für manche Gäste ein merkwürdiges Bild ab, weil es auf sie so wirkt, als würden sich die beiden Frauen gegenseitig heiraten. Die Sitzreihen in der Kathedrale wurden von zwei auf drei Reihen abgeändert, wobei Links die Gäste aus Yoken, in der Mitte die Gastgeber aus Kalaß und rechts die Gäste aus Roshea sitzen. Die Reihen sind mit farbigen Bannern der jeweiligen Landesfarben markiert. Yasane beschreitet also den linken, roten Gang und Kara den rechten blauen. Die mittlere Sitzreihe ist grün verziert. Unter den Gästen von Kalaß befinden sich sämtliche amtierende Ratsmitglieder und auch ein paar des ehemaligen Ältestenrats, Karas und Hendryks Eltern, Ikky und Natja sowie einige von Karas Patienten. Auf der rechten Seite sitzen Generalmajor Shaan Coral, Tom Tomsen, Quenn Beltrus und eine ganze Reihe von Freunden aus Nicos Militärzeit in Aranor. Auf der linken Seite sind einige Generäle und Berater von Yoken, einige Verwandte von Yasane und ein paar wichtige Adelsfamilien zu finden. Als die beiden Bräute die Kathedrale betreten, herrscht absolute Stille. Hendryk ist total überrascht über die Eleganz und Grazie, die die sonst eher süße Yasane ausstrahlt. Sie hat zum ersten Mal ihr erdbeerblondes Haar nicht halb vor den Augen, was sie erwachsener aussehen lässt. Es zeigt ihm, dass sie nicht nur süß, sondern auch schön sein kann, wenn sie will, was er dann doch wieder süß findet. Als Nico seine Braut sieht, ist er überwältigt von ihrer Eleganz. Er hätte nicht gedacht, dass sie ein so figurbetontes Kleid trägt und es macht ihn Stolz dieses wunderschöne Wesen als seine Frau präsentieren zu können. Er freut sich schon jetzt darauf herauszufinden was sie darunter trägt. Nach der Zeremonie erhalten die beiden Königspaare so viele Glückwünsche, dass sie kaum Zeit füreinander finden. Das ist bei einer Hochzeit zu Repräsentationszwecken aber nicht unüblich. Am Abend wird Yasane langsam nervös. Um zehn Uhr ziehen sich die frisch Vermählten zurück. Für Yasane und Hendryk ist ein Luxusapartment ganz in der Nähe der Kathedrale gemietet, Kara und Nico werden mit der Kutsche zu ihrem eigenen Haus gefahren, das von jemandem heimlich geschmückt wurde. Wie erwartet, beginnt Nico seine Braut Kara schon auszupacken, kaum dass die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen ist. Sie trägt nicht wie von ihm erwartet weiße Reizwäsche unter ihrem weißen Kleid, sondern schwarze. Nico ist mehr als ein wenig überrascht, als er es sieht. Er flüstert lüstern in ihr Ohr: „Das passt sehr gut zu dir. Viel besser als Weiß, denn du bist alles andere als unschuldig, mein Raubkätzchen.“ Sie lächelt herausgefordert: „Heute übernehme ich die Führung.“ Worauf er freudig erregt antwortet: „Das werden wir ja sehen.“ Hendryk kann sich schon denken, dass seine Braut Yasane große Hoffnungen in diese Nacht legt. Das hat sie bei mehr als einer Gelegenheit deutlich gemacht. Er hat aber überhaupt keine Lust den Verführer zu spielen. Er sieht gar nicht ein sich künstlichen Druck aufzubauen, denn entweder es passt oder es passt nicht. Das ist seine Einstellung dazu. Er legt seine Schuhe und seine Jacke ab und setzt sich erschöpft auf das Bett. Er beobachtet Yasane dabei wie sie ihren Schmuck und ihre Handschuhe ablegt. Er weiß nicht, ob sie es absichtlich macht, aber sie tut es langsam, fast schon erotisch. Sie sagt dabei mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht: „Da sitzt du schon genau richtig.“ Mit einem Satz kommt sie auf ihn zu und springt ihm in die Arme. Er stoppt ihren Flug gekonnt ab und ihre Lippen berühren sich sanft. Nun doch etwas schüchtern fragt sie: „Würdest du deine Haare für mich öffnen?“ Sie legt ihre Hand an seinen Zopf und will ihn lösen, doch er berührt ihr Handgelenk und nimmt ihren Arm wieder herunter. „Bedräng mich nicht so, ungeduldiges Weib.“ Sagt er lächelnd. Ihre positive Art hat einfach eine sehr intensive Wirkung auf ihn, die ihm seine Sorgen nehmen. Sie will etwas freches kontern, doch er küsst sie ungestüm und beginnt sie sehr sanft am Körper zu berühren. Nach einer kurzen Weile beendet sie den Kuss und flüstert ihm ins Ohr: „Nimm nicht so viel Rücksicht. Du weißt, dass ich dich will.“ Das lässt Hendryk sich kein zweites Mal sagen. Am nächsten Tag treffen sich die frisch Vermählten und Kara wirft Yasane einen fragenden Blick zu, die als Antwort herumtänzelt und dann einen Daumen nach oben zeigt. Nachdem sie am Vortag ein wenig neben der Spur war, so ist sie heute wieder ganz die Alte. Kara und Nico müssen darüber lachen, denn sie verstehen schon was los war. Hendryk ist ziemlich verlegen und drückt Yasanes Hand mit dem Daumen hoch Zeichen herunter, dreht seine Frau ein Stück zu ihm hin und flüstert ihr zu: „Yasane, bitte nicht so offensichtlich. Was in unserem Schlafzimmer passiert, bleibt auch da, in Ordnung?“ Sie nickt energisch. „Damit kann ich leben. Aber nur solange ich mit dir auch zufrieden bin.“ Hendryk sieht das als Ansporn. „Kein Problem.“ Die beiden Königspaare trennen sich ein paar Tage später wieder schweren Herzens und kehren nach Roshea und Yoken zurück, doch bereits ein viertel Jahr später sehen sie sich zur Krönungszeremonie von Yasane und Hendryk in Deskend wieder. Kalaß wird wie geplant ins Königreich Roshea eingegliedert, behält aber einen Sonderstatus als Stadtstaat. Bereits ein Jahr später wird Königin Yasane schwanger und bekommt einen Sohn namens Aiven und zwei weitere Jahre später eine Tochter namens Nomi. Hendryk könnte kaum stolzer auf seine beiden Kinder, vor allem aber seinen prächtigen kleinen Thronerben sein. Auch Kara lässt nicht lange auf Nachwuchs warten und bekommt nach zwei Jahren Ehe ein Mädchen namens Siva. Sie bleibt ein Einzelkind, das von ihrem Vater Nico vergöttert wird. Ein sich ständig vergleichender, freundschaftlicher Wettkampf der beiden Könige bleibt über all die Jahre hinweg nicht aus, was den Königreichen aber in keiner Weise schadet, ganz im Gegenteil. Die innige Freundschaft der beiden mächtigsten Reiche auf dem Kontinent Altera lassen ihn erblühen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)