Der König von Kalaß von Elnaro ================================================================================ Kapitel 21: Es lebe der König I ------------------------------- Angeekelt und ohne Respekt durchsucht Kara Estells Leiche nach dem Schlüssel zu Nicos Handschellen. Sie wird zu ihrer Erleichterung schnell fündig und befreit ihn davon. Er weiß nicht genau was bei dem Gerangel passiert ist. Während sie ihn los macht und sich dabei versehentlich mit dem Blut an seinen Handgelenken besudelt fragt er seine fast nackte Verlobte leise: „Bist du in Ordnung?“ Kara wirkt kalt und gefasst. „Ich habe getan was getan werden musste.“ Nico nimmt sie in den Arm, doch von ihr kommt ab jetzt kaum noch eine Reaktion, denn sie hat einen Schock erlitten. Er macht sich ernsthafte Sorgen um ihre Psyche. Als Ärztin sie hat gegen ihre Überzeugung gehandelt und einen verletzten Menschen getötet, anstatt ihn zu heilen. Er muss den Gedanken beiseiteschieben, denn es gibt ein wichtigeres Problem zu lösen. Die beiden leben zwar, aber wie kommen sie jetzt wieder aus dem Schloss heraus? Nico zieht den Dolch aus Estells Körper und deckt sie ab. Die verstörte Kara holt ihre Kleidung, die direkt neben ihrem abgeschnittenen roten Haar liegt. Ungeschickt stolpert sie in ihr Kleid hinein und zieht es an sich hoch. Sie versucht die Träger zusammen zu knoten, doch sie schafft es nicht, denn sie zittert viel zu stark und kann sich nicht auf den Vorgang des Knotens konzentrieren. Ihr Verlobter ist ihr behilflich und führt sie danach an den Beratungstisch mit den sieben Stühlen am anderen Ende des Raumes, von wo aus sie die Leiche nicht sehen kann. Apathisch setzt sie sich hin. Er weiß, dass die beiden handeln müssen. Sie bräuchten dringend einen Fluchtplan, doch ihm wird klar, dass dieses Konjunktiv so lange bestehen bleiben wird, wie Kara weiter in diesem Zustand verharrt. Er muss sie schleunigst in die Realität zurück holen, aber wie? Auf zärtliche Berührungen reagiert sie nicht und auf Gesagtes geht sie kaum ein. Statt dessen sitzt sie nur zusammen gesunken auf dem Stuhl, auf den er sie gesetzt hat und starrt mit aufgerissenen Augen ins Leere. Der etwas ratlose Mann geht vor ihr in die Hocke und legt seine Hände auf ihre Knie. Er versucht möglichst ruhig und verständnisvoll zu klingen. „Du hast das Richtige getan und uns beide gerettet, Kara. Mach dir keine Vorwürfe.“ Sie reagiert darauf und sagt traurig und so leise, dass er sie kaum verstehen kann: „Ich habe es dir abgenommen, Nico. Du bist nicht verdammt. Ich bin es, denn ich habe sie getötet und es tut mir überhaupt nicht leid.“ Ein schauriges Lächeln erscheint auf ihren Lippen, dann verschwindet es wieder, als sie ebenso undeutlich weiterspricht: „...ich hasse sie so sehr..., immer noch. Wer bin ich, Nico? Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Wer bin ...ich...?“ Nico streichelt ihre Wange und fährt sanft eine der beiden noch langen Haarsträhnen ab, die ihr geblieben sind. „Beruhige dich. Du bist immer noch Kara, meine Verlobte. Es ist schon in Ordnung. Nimm die Schuld an, denn sie ist von nun an für immer ein Teil von dir sein.“ Sie sieht in Nicos blaue Augen. „Das klingt so als ob...du dieses Gefühl kennen würdest.“ sagt sie unsicher. Nico wollte vermeiden, dass sie es erfährt, doch jetzt muss er es zugeben. „Wenn du verdammt bist, dann bin ich es auch. Ich bin auch nicht frei von Schuld, Kara, denn ich musste ebenfalls schon töten. Einige Male schon. Nicht in Kalaß, in Aranor. Das letzte Mal liegt schon ein paar Jahre zurück.“ Er atmet betroffen aus. „Ich erinnere mich an die Gesichter jedes einzelnen von ihnen. Bei meinen verdeckten Ermittlungen bin ich oft in brenzlige Situationen geraten, aus denen ich mich nur mit Gewalt befreien konnte. Auch wenn ich mir einrede, dass sie alle Schurken und Halunken waren, denke ich doch, dass der Tod eine zu harte Strafe für sie war. Wäre ich damals im Umgang mit dem Schwert besser gewesen, dann hätte keiner von ihnen sterben müssen. Diese Gedanken verfolgen mich und sie werden es immer tun. Ich habe mich im nicht tödlichen Schwertkampf geübt. So etwas soll mir nie wieder passieren. Meine Kameraden haben mich dafür belächelt. Viele von ihnen wissen nicht wie es ist jemanden mit seinen eigenen Händen zu töten.“ Kara setzt sich etwas aufrechter. Sie weint nicht, denn es wollen einfach keine Tränen aus ihren Augen kommen, denn es tut ihr nicht leid. Nein, es tut ihr nicht leid. Es tut ihr einfach nicht leid. Seine Worte haben sie trotz ihres Zustandes erreicht und sehr berührt. „Ja, dann sind wir wohl beide verdammt.“ stammelt sie, ohne ihm dafür böse zu sein es verschwiegen zu haben oder ihn für diese Taten zu verabscheuen oder zu verurteilen. Für solche Emotionen hat sie gerade keinen Platz mehr. „Hört es jemals auf weh zu tun?“ fragt sie leise. Nico sieht, dass wieder etwas Leben in Karas Augen zurückgekehrt ist. Er antwortet ihr ehrlich: „Der Schmerz vergeht, aber die Schuld bleibt für immer bestehen.“ Tatsächlich ist ihr Sinn für die Realität zurückgekehrt. Ihr wird so langsam klar, dass sie keine Zeit haben wird den Schmerz irgendwann zu verarbeiten, wenn sie jetzt und hier keinen Ausweg finden. „Nico, wir beide, wir haben es nicht verdient, doch ich will leben. Wir müssen einen Weg finden von hier zu fliehen.“ Er ist erleichtert, dass die junge Frau wieder halbwegs bei Sinnen ist. Er fasst die Situation für seine verstörte Verlobte zusammen: „Vor der Tür stehen mindestens vier Wachen, von denen wir nicht wissen auf wessen Seite sie stehen. Ich kenne sie jedenfalls nicht. Sie alle gleichzeitig auszuschalten, damit sie keinen Alarm schlagen können, ist unmöglich. Besser wäre es hier ungesehen herauszukommen und dann einen meiner ehemaligen Leute zu suchen, der uns bei der Flucht helfen kann. In Kalaß hatte Estell einen Geheimgang zu ihren Privatgemächern. Vielleicht gibt es hier ja auch einen?“ Karas analytisches Denken kehrt langsam zurück. Mit aller Kraft verdrängt sie ihre Verzweiflung. Sie weiß ein bisschen was über die Historie von Kalaß und gibt zu bedenken: „Die Geheimgänge in der Tarbasser Festung stammen alle noch aus den Zeiten der Belagerung vor über zweihundert Jahren. Es kann schon sein, dass es hier auch welche gibt. Immerhin wurde dieses Schloss vom selben König erbaut. Das hier ist allerdings ein Prunkbau, der einem anderen Zweck dient als die Festung. Estell könnte natürlich aber auch nachträglich noch welche gebaut haben, wenn sie durch Kalaß auf den Geschmack gekommen ist.“ Es ist besser darauf zu hoffen, dass es einen gibt, als auf den Henker zu warten, deshalb beginnen die beiden den Raum abzusuchen. Kara hält Abstand zum abgedeckten toten Körper Estells. Sie findet auf dem Schreibtisch einige Unterlagen, von denen sie sich von ihrer Suche ablenken lässt. Auf einem Dokument steht in einer Schnörkelschrift, die zur Königin passen würde: „Voraussichtlicher Geburtstermin“. Darunter sind die Namen von Ehepaaren und dahinter jeweils eine Zeitspanne von etwa einer Woche zu lesen. Alle diese Geburten passen in den Zeitraum, zu dem Estell behauptet hat, ihr Kind auf die Welt zu bringen. Kara ruft fassungslos Nico herbei und erklärt: „Nico sieh mal was dieses Scheusal vorgehabt hat. Sie wollte einem Paar das Kind stehlen, um es als eures auszugeben. Es ist eindeutig. Sie hätte alles getan, um dich an sich zu binden. Sie war absolut verrückt.“ Nico stellt sich neben Kara an den Schreibtisch und überfliegt die Dokumente. Dann sieht er zu Estells Leiche hinüber und entgegnet schwermütig: „Das war sie zwar, aber es zeigt auch, wie verzweifelt sie gewesen ist.“ Kara ist entsetzt. „Nach all dem nimmst du sie noch in Schutz?“ Er schnaubt verächtlich. „Was? Nein, das bestimmt nicht. Ich habe sie gehasst. Aber der Auslöser für all das was sie getan hat, war ich. Vielleicht war ich es nicht ausschließlich, aber erst durch mich griff sie zu so drastischen Mitteln. Ich habe diese Bestie erschaffen.“ Was er nicht sagen kann ist, dass Estell recht hatte mit ihrer Unterstellung er würde Menschen manipulieren, um sich selbst an sie Spitze zu bringen. Er weiß genau um sein Charisma und nutzt es schamlos aus, wenn es ihn voranbringt. Das würde er jedoch niemals zugeben, ganz besonders nicht vor Kara, vor der er gern den Schein des Gutmenschen wahren würde, wird sie doch von ihm ebenso beeinflusst wie andere Menschen, auch wenn es bei ihr oft erst mit Verzögerung funktioniert. Die junge Frau betrachtet seinen Gesichtsausdruck, den sie als Trauer deutet. „Du fühlst dich auch Schuldig?“ deutet sie, seinen Arm berührend und er antwortet nun wieder offen: „Nicht für ihren Tod, eher für ihre Taten, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. Lass uns weiter suchen, wir...“ Nico kann seinen Satz nicht beenden, denn er hört wie draußen laut gesprochen wird. Kara bildet sich ein das Wort „Ablösung“ verstanden zu haben. Sie bemerken, dass sich eine oder mehrere Personen der Tür nähern. Schützend stellt Nico sich vor seine Verlobte und hält den Dolch zur Verteidigung vor sich. Dann öffnet sich die Tür. Ein Mann tritt ein, den der zur Not zum Kampf vorbereitete Nico schon einmal gesehen hat. Es ist der Stabsoffizier höchst persönlich, der das Kommando über die Auflösung der Besetzung von Kalaß geführt hat, Generalmajor Coral. Nico beschleicht deshalb die Hoffnung, dass Coral auf seiner Seite stehen könnte, doch er bleibt vorsichtig. So genau kennt er ihn nicht. Der Generalmajor sieht sich im Raum um. Er erblickt Nico Dugar, der drohend mit einem Dolch in der Hand vor einer jungen Frau steht und bemerkt danach den abgedeckten Körper, der vermutlich zur Königin gehören wird, die er eigentlich hier antreffen müsste. Sich umdrehend sagt Coral etwas zu einer Person hinter sich: „Sie hatten recht, Feldwebel Tomsen.“ Dieser geht an Coral vorbei, geradewegs auf Nico zu, der den Dolch sinken lässt. Tom umarmt seinen Freund und ehemaligen Hauptmann. „Ich wusste, auf euch ist Verlass!“ jubelt der junge Soldat. Er beendet die Umarmung und salutiert im Anschluss vor Nico. Die beiden Kalaßer sind gleichermaßen perplex, aber auch heilfroh darüber Tom hier anzutreffen, denn ihm kann er bedenkenlos vertrauen. Ihm fällt auf, dass er mit einem neuen Rang angesprochen wurde und beglückwünscht seinen ehemaligen Schützling zur Beförderung: „Feldwebel? Das wurde aber auch Zeit.“ Tom ist erst seit eineinhalb Jahren beim Militär, aber trotzdem Nicos zuverlässigster Kamerad und Freund. Er begrüßt jetzt auch Kara und bemerkt ihr verändertes Aussehen. Ihr Haar ist etwa auf Schulterhöhe schräg und unsauber abgeschnitten worden. Nur zwei lange Strähnen, des vorher etwa einem Meter langen Haares sind erhalten geblieben. „Kara, was ist mit deinen Haaren passiert?“ Nico schreitet bestimmt und freundlich ein: „Das ist jetzt unwichtig, Tom.“ Er macht kurz eine Augenbewegung in Richtung der auf dem Boden liegenden, abgeschnittenen dunkelroten Haare neben der Tür. Tom dreht sich um, bemerkt sie und zuckt etwas zusammen. Dann murmelt er in sich hinein: „Oh, tut ...tut mit Leid.“ Nico wendet sich an Coral. „Herr Generalmajor, würden Sie sich uns bitte vorstellen und uns erklären was das hier zu bedeuten hat?“ Dieser antwortet freundlich: „Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Dugar. Feldwebel Tomsen hat sich mir anvertraut. Er hat gesehen wie Sie vor etwa zwei Stunden im Schloss ankamen. Er wusste genau wozu Sie hier sind und hat uns Bescheid gegeben. Sie müssen wissen, es gibt große Unruhen innerhalb des Militärs, seit Estell an der Macht ist. Viele sind-“ er wirft einen Blick auf Estells Leichnam. „oder waren mit ihrer Politik nicht einverstanden, deshalb planten wir einen Militärputsch unter meiner Führung. Aber zunächst zu meiner Person. Mein Name ist Shaan Coral. Ich war ein enger Vertrauter und treuer Gefolgsmann von König Riecard, bis Estell ihn ermorden ließ. Wie Sie nun sicher schon ahnen, hegte ich einen persönlichen Groll gegen die inzwischen offenbar verstorbene Königin Estell. Euer beider Einsatz kommt unserem Putsch sehr gelegen, denn Sie, Herr Dugar, lösen wahrscheinlich eines unserer Hauptprobleme. Nach allem was ich von Ihnen gehört habe, halte ich sehr große Stücke auf Sie. Ich komme am besten gleich zum Punkt. Ich glaube Sie haben das Zeug dazu das Königreich zu übernehmen, weil Sie wohl der einzige sind, der alle unter sich vereinen kann. Wir sind das zigmal durchgegangen. Sie sind die beste Wahl.“ Nico runzelt die Stirn, denn er ist gelinde gesagt überrascht. Die dringlichste Frage stellt er zuerst. „Ich soll das das Königreich übernehmen? Nach unserem Mord an der Königin wollten Kara und ich das Land eigentlich nur noch lebend verlassen. Wie kommen Sie nur auf die Idee ich könnte so etwas bewerkstelligen?“ Coral nickt verständnisvoll. „Ich verstehe Ihre Bedenken, doch Sie sollten mehr Selbstvertrauen haben, Herr Dugar. Wie ich höre sind Sie jetzt doch so etwas wie der König von Kalaß.“ Wenn Nico etwas nicht braucht, dann noch mehr Selbstvertrauen. Er kann einfach nicht folgen worauf der Generalmajor hinaus will. Kara sieht ihren Verlobten verunsichert an, weil der fremde General doch nichts über Nicos Stammbaum wissen kann. Er sieht sie ebenfalls an und schüttelt den Kopf ganz zart, wüsste er was ihr durch den Kopf geht, deshalb wendet sie sich nun an den General und verbessert: „Das ist nicht ganz richtig, Herr Generalmajor. Er ist nicht der König, sondern lediglich der Ratsvorsitzende des Stadtrats von Kalaß.“ Coral richtet seinen Blick flüchtig Kara zu, die er nicht richtig ernst zu nehmen scheint. Unbeeindruckt führt er weiter aus: „Was die höchste Position eures Staates ist, oder nicht?“ Nico nickt etwas zögerlich und beachtet Karas leichte Verärgerung über Corals Gegenfrage nicht. Der Generalmajor fragt weiter: „Meine Größten Bedenken über Ihren Rechtsanspruch sind anderer Natur. Herr Dugar, könnten Sie womöglich einen Adelsstand ausweisen? Das wäre von großem Vorteil. Ich bin mir dessen bewusst, dass so etwas wie Adel in Kalaß abgeschafft wurde, doch ich spreche auch gar nicht unbedingt von Dokumenten, die aktuell schon existieren, wenn Sie verstehen worauf ich hinaus will. Sie als Ratsvorsitzender können da doch sicher etwas machen.“ Kara will sich bei dem Gespräch nicht weiter einmischen. Sie weiß nicht welche Strategie Nico verfolgt und will nichts Falsches sagen. Sie fühlt sich zudem nicht ganz ernst genommen. Nico geht wieder etwas zögerlich, aber selbstbewusst auf diese Aufforderung ein: „Ich verstehe Sie schon, Herr Generalmajor. Wenn ich keinen Adelsstand vorweisen kann, soll ich dafür sorgen, dass ich es kann.“ „Richtig“ entgegnet Coral, der diese Aussage als Zustimmung auffasst und in die detaillierte Erklärung einsteigt: „Die königliche Blutlinie von Roshea wurde unterbrochen und somit ist das Land führerlos. Uns stehen nun drei Optionen offen. Erstens: Eine andere Adelsfamilie erhebt Anspruch auf den Thron. Da Estell während ihrer destruktiven Herrschaft gezielt nahezu den gesamten in Frage kommenden Hochadel, wie die Familien Wendock, Seiget und Laminger, ausgelöscht hat, entfällt diese Option, es sei denn sie hat jemanden übersehen. Zweitens: Es gibt einen Militärputsch und wir übernehmen die Führung des Landes, was ich zugegebenermaßen nicht allzu sehr begrüße, aber für durchführbar halte. Und zu guter Letzt die dritte Option: Ein anderer König beansprucht das Land und nimmt es ein. Das wäre vergleichbar mit einer Eroberung. Nach meiner Meinung braucht das Land wieder einen König und dafür sind nur Sie geeignet. Was denken Sie, Herr Dugar?“ Nico muss diese ganzen Informationen erst einmal verarbeiten. Corals Argumentation klangen durchdacht und schlüssig, doch ihm kommen eine Menge neuer Fragen in den Sinn. „Wenn Kalaß das Land erobert, wie Sie es vorschlagen, gibt es dann nicht einen Bürgerkrieg in Roshea?“ Coral schüttelt den Kopf. „Das glaube ich kaum. Estell war eine furchtbare Königin und das hat vor allem das Volk zu spüren bekommen. Sie zog alle Truppen und finanziellen Mittel aus Hilfsprojekten für die Bevölkerung ab, die von Riecard initiiert wurden. Gerade Sie sollten wissen was das für eine Stadt wie Aranor bedeuten kann. Zudem hat sie im allgemeinen aufgehört die Wüstenstädte zu unterstützen, was in den äußeren Landesteilen für Wasserknappheit und in dessen Folge zu großen Unruhen geführt hat, von der Wassersteuer brauche ich gar nicht erst zu sprechen. Einzig beim Militär wird es wohl einige Streitigkeiten geben, aber das können Sie getrost meine Sorge sein lassen. Ich habe die Mitglieder ihrer sogenannten Clypeus Garde schon identifiziert.“ Kara und Nico schauen sich verunsichert an. „Die Clypeus Garde?“ fragt sie zuerst und Coral erklärt geduldig: „Ganz Recht. Jetzt wo der Unruhestifter und Anführer der Garde, Generalleutnant Loran, spurlos verschwunden ist, verhalten sich seine Mitglieder unkoordiniert und auffällig. Das werde ich ausnutzen, um sie unschädlich zu machen.“ Nico hält Generalmajor Coral für einen sehr fähigen Mann. Der königstreue Stabsgeneral scheint alles bereits durchdacht zu haben, da er ebenfalls eine Ermordung der Königin in Planung hatte. Nico fragt sich, ob es für ihn und Kara überhaupt notwendig war die Sache unter Lebensgefahr auf sich zu nehmen. Wie es aussieht hätte sich das Problem auch ohne ihr Zutun ganz wie von selbst gelöst. Er hätte Kontakt zu Tom aufnehmen sollen, dann hätte er davon erfahren. Zumindest hat ihn seine Initiative jetzt in eine unerwartete Lage versetzt, die ihm sonst nicht zuteil geworden wäre. Er hat nun die Wahl die Macht über das Land Roshea selbst übernehmen oder es dem Militär überlassen. Er hadert nicht lang, denn das ist eine leichte Entscheidung für Nico, der sich eigentlich alle zutraut. Er ist mit Coral einer Meinung und fragt entschlossen: „Was soll ich tun?“ Kara packt Nicos Arm und schüttelt ihn ein wenig, denn sie glaubt sie müsse ihn aufwecken. „Sag mal, bist du verrückt? Damit machst du dich doch zur Zielscheibe für alle möglichen Leute.“ Er blickt sie sanft lächelnd an. „Nicht mehr als jetzt schon. Es ist schon gut. Große Dinge bedürfen großem Mut, Kara. Ich wünsche mir keine militärische Führung für Roshea. Lieber versuche ich mein Glück.“ Sie merkt, dass es keinen Sinn hat auf Nico einzureden, denn hat seine Entscheidung bereits getroffen. Auch wenn er aus ihrer Sicht recht hätte, wäre es ihr lieber gewesen, sie hätten den Entschluss gemeinsam gefällt. Dieser starrköpfige Mann macht es ihr schwer sich nicht vollkommen überflüssig vorzukommen. Nico sieht Coral entschlossen an. „Fahren Sie bitte fort, Generalmajor.“ Coral wusste, dass er auf Nico Dugar zählen kann, denn dieser junge Mann hat etwas an sich, das ihn schwer beeindruckt. Seine Souveränität in einer solchen Situation findet er ebenfalls bemerkenswert. Er fühlt sich bestärkt und würde ihn jederzeit zu seinem Anführer wählen. „Für heute Nachmittag hatte Königin Estell eine Ansprache angesetzt. Sie wollte ihr weiteres Vorgehen vor allen in Roshea stationierten Truppen verkünden. Wir sollten diesen Termin aufrecht erhalten, um dort die neue Führung des Königreichs Roshea zu verkünden. Das Schicksal ist uns wohlgesonnen.“ erklärt er, worauf Nico siegessicher nickt. „Sehr gut. Dann lasst uns die Rede vorbereiten. Sie muss verdammt gut werden, wenn wir das Militär auf unsere Seite ziehen wollen.“ Generalmajor Coral entgegnet zuversichtlich lächelnd: „Hervorragend. Das sehe ich genauso.“ Reden sind Nicos Spezialität und ihm noch nie schwer gefallen. Er hat schon viele in seinen Führungspositionen halten dürfen und wurde auch von ranghöheren Offizieren immer gern vorgeschickt, wenn es darum ging, etwas zu verkünden. Er weiß die Massen zu begeistern und sein angeborenes Charisma spielt ihm dabei in die Hände. Kara ist mit dem Plan ganz und gar nicht einverstanden. Es klingt ihr alles viel zu gewagt, zu überstürzt. Ein Ratsvorsitzender kann sich doch nicht in einem anderen Land selbst zum König ausrufen. Sie findet das klingt absurd und versteht nicht wieso die Leute so etwas akzeptieren sollten. Da sie nur von Tom nicht ignoriert wird, fragt sie ihn danach. Er meint, dass das alles schon so passen würde und sie vertrauen haben soll, doch das gefällt ihr nicht. Sie grübelt über Alternativen nach. Nico Dugar, Shaan Coral und Tom Tomsen gehen gemeinsam an den Beratungstisch und setzen sich, während Kara stehen bleibt. Nico ruft ihr zu: „Kara, wo bleibst du denn? Setz dich bitte auch zu uns. Du bist schließlich Teil der Rede und deshalb will ich, dass du sie mitentwickelst. Vergiss nicht, wenn ich wirklich König werde, dann wirst du Königin. Du musst mit mir auf den Balkon hinaus treten.“ Als der jungen Frau bewusst wird, dass er recht hat, trifft sie der Schlag. Sie hatte nur über sein Schicksal nachgedacht und nicht über ihres. Sie wird etwas rot und schämt sich, dass ihr das nicht gleich aufgefallen ist. Nico hat die Sache mit dem Thron von Roshea einfach über ihren Kopf hinweg entschieden, obwohl es sie genauso betrifft. Sie ist verstimmt und überfordert mit der Situation, was Nico ganz genau weiß. In Wahrheit ist sie jedoch sogar froh, dass er einen kühlen Kopf bewahrt und ihr diese unendlich schwere Wahl abgenommen hat, denn sie hätte womöglich Monate über verschiedenen Szenarien gegrübelt, bevor sie sich entschieden hätte. Zudem fühlt sie sich nach den heutigen Erlebnissen überhaupt nicht mehr entscheidungsfähig und kann kaum einen klaren Gedanken fassen, während er bereits hochkonzentriert schon das nächste Problem zu lösen beginnt. Sie bewundert ihn dafür. Heute hätte sie wahrscheinlich alles abgelehnt und es vielleicht ihr ganzes Leben lang bereut. Sie trottet geschlagen langsam auf die drei Männer zu und setzt sich anschließend zu ihnen. Die drei schauen sie erwartungsvoll an, bis sie verunsichert fragt: „Was tut man denn als Königin für gewöhnlich? Ich habe überhaupt keine Vorstellung davon.“ Nico antwortet ihr verständnisvoll: „Es ist so ähnlich wie die Frau des Ratsvorsitzenden zu sein. Mach dir keine Sorgen. Du bekommst das hin, mein Engel.“ Kara bemerkt Nicos zärtliche Blicke. Sie ist erleichtert, dass sie diese, nach allem was sie heute getan hat, noch erhalten darf, fragt sich aber auch gleichzeitig, ob sie das auch immer noch sollte. Ein paar sehr anstrengende Stunden reger Diskussionen später ist es schon so weit. Kara, Nico und Generalmajor Shaan Coral treten wie geplant auf den Balkon am Vorplatz des Schlosses, auf dem sich hunderte von Soldaten, schön geordnet in Reih und Glied, aufgestellt haben. Der mit Reden dieser Größe vertraute Generalmajor Coral geht entschlossen voran, die anderen beiden folgen ihm. Sie haben sich nicht umgezogen und tragen nach wie vor ihre Reisebekleidung. Dass Karas Kleid dürftig geflickt ist, sieht man unter ihrer Jacke nicht. Seine Handgelenke bandagierte sie mit etwas Gardinenstoff. Es war Nicos Idee die Kleidung nicht zu wechseln, denn möchte möglichst natürlich wirken und keinen überheblichen oder dekadenten ersten Eindruck bei den Soldaten hinterlassen. Kara ist das ganz Recht, denn sie kann sich nicht vorstellen eines von Estells widerwärtigen Kleidern zu tragen. Coral protestierte etwas, denn er wollte statt dessen, dass sie sich etwas angemessenes anziehen. Tom hat sich wieder einmal enthalten, denn er weiß, dass er von solchen Dingen keine Ahnung hat. Statt dessen hat er Karas Haare zu einer ordentlichen Frisur geschnitten und dabei großes Talent bewiesen. Das hätte Nico niemals hinbekommen. Die neue Frisur tut ihrer Schönheit keinen Abbruch und ihr Verlobter ist erleichtert, dass ihr Haar immer noch wenigstens schulterlang ist und ihr ihre zwei vorderen Haarsträhnen in voller Länge erhalten geblieben sind. Tom hätte sie beim Haareschneiden fast angeglichen, weshalb Nico einen halben Herzinfarkt erlitt. Er vergöttert ihre langen Haarsträhnen und auch wenn er nicht so oberflächlich Kara nur wegen ihrer wunderschön langen Haare zu lieben, so spielten sie trotzdem eine beträchtliche Rolle dabei, als er sich auf den ersten Blick in die schöne Ärztin verliebte. Generalmajor Coral tritt vor die Menge, die zunächst kollektiv salutiert und danach in gerührter Position erwartungsvoll zu ihm aufschaut. Es ist ein beeindruckender Anblick so viele Soldaten in völliger Synchronität agieren zu sehen. Die meisten der Männer haben bereits gemerkt, dass sich diese Versammlung von allen anderen zuvor unterscheidet, denn Königin Estell schickte niemals jemand anderen nach vorn, denn sie liebte es sich zu inszenieren. Coral verkündet dem besonders aufmerksamen Regiment: „Königin Estell wird heute nicht wie geplant zur Ansprache erscheinen.“ Eine leichte Unruhe bricht unter den Soldaten aus, die vor allem von den Soldaten der Clypeus Garde ausgeht, die davon eigentlich wissen sollten. „Ruhe!- Der Grund für ihr Nichterscheinen ist...“ Aufgrund großen Interesses senkt sich der Lärmpegel. „...ihr Ableben.“ Nach einer Schocksekunde entsteht große Unruhe in den Reihen. Einige Soldaten lösen sogar ihre Formation und gehen aufeinander los. Um die Tumulte zu unterbrechen, spricht Coral hart und selbstsicher weiter: „Zum königlichen Militär von Roshea spricht nun euer neuer Anführer, der König von Kalaß, Nico Dugar.“ Kara ist etwas sauer auf Coral, weil er nicht Nicos korrekten Titel verwendet hat, obwohl sie ihn in der Beratung mehrfach darauf hingewiesen hatte. Sie kann ihn für seine Überheblichkeit ihr gegenüber nicht ausstehen. Nico tritt vor die Masse. Die meisten Soldaten lassen wieder voneinander ab und sehen gebannt auf den Balkon. Die Formation hat sich zu großen Teilen aufgelöst und ist nur noch zu erahnen. Höchstens zwanzig Prozent von ihnen können ihn sofort zuordnen und sie flüstern zu den Männern, die neben ihnen stehen Dinge wie: „Ist das nicht Oberleutnant Dugar aus Aranor?“ und „Das ist der Hauptmann aus Kalaß“. Recht viele haben von seinen Abenteuergeschichten aus Aranor gehört, doch kaum einer weiß wie er tatsächlich aussieht, da er von Aranor direkt nach Kalaß abgezogen wurde und danach nur ganz kurz und ohne Kommando in Nalita war. Dass er einer der fünf Offiziere ist, welche die Königin verraten haben könnten, wissen hier nur eine Hand voll Männer. Generell ist über die Vorfälle in Kalaß fast nichts bekannt. Seine Anhängerschaft, die sich auf etwa ein Zehntel des Militärs beläuft, salutiert ohne Umschweife und etwa noch einmal so viele gehören dem Widerstand an, die es ihnen sofort gleich tun. Dies verursacht eine Welle der Nachahmung, sodass etwa die Hälfte der Männer bereits salutiert, bevor er auch nur ein Wort gesprochen hat und manche von ihnen werden dafür angegriffen. Nico ist positiv überrascht. Selbstsicher beginnt er mit klarer Stimme zu den Soldaten zu sprechen: „Rührt euch bitte, Kameraden und lasst voneinander. Ich beginne ohne Umschweife mit der wichtigsten Information. Ich bin Nico Dugar, amtierender Ratsvorsitzender von Kalaß und ich beanspruche den Thron von Roshea.“ Erneut bricht Unruhe aus, von der sich Nico nicht verunsichern lässt. Er macht einfach weiter. „Lasst es mich erklären. Einige von euch kennen mich, denn bis vor nicht allzu langer Zeit, hätte ich mit euch da unten gestanden und nach hier oben auf diesen Balkon gestarrt. Ich hätte erwartungsvoll gehofft, dass derjenige der jetzt Vortritt kein völliger Idiot sein wird, denn er will ja immerhin mein neuer König werden, dem ich folgen soll, für den ich bluten soll.“ Manche Soldaten lachen, vor allem diejenigen, die Nicos trockenen Humor kennen. Die meisten sind jedoch eher verunsichert. Mit dieser Art von Ansprache haben sie nicht gerechnet, was sie eigenartigerweise beruhigt. Nico fühlt sich bestärkt und fährt fort: „Wie viele von euch schon wissen werden, hätte ich deshalb hier hoch auf diesen Balkon gestarrt, weil ich bis vor kurzem noch Offizier beim Königlich Rosheanischen Militär war. Nach meiner Stationierung in Aranor, ich glaube einige von euch sollten davon schon gehört haben, wurde ich nach Kalaß versetzt. Ich legte meine Tätigkeit als Offizier nur deshalb nieder, weil ich von Kalaß das Angebot bekam Ratsvorsitzender ihres Stadtrats zu werden. Das ist das höchste Amt im Stadtstaat Kalaß. Könnt ihr das glauben? So war es wirklich. Ich habe mich nicht darum gerissen, doch wie ihr vielleicht verstehen könnt, war das ein Angebot, das ich nicht ausschlagen wollte. Zumal eine eigene Villa etwas schöner ist als ein Zimmer in einer Kaserne und ich verdiene auch besser.“ Immer mehr Soldaten lassen sich auf Nicos Rede ein und gehen emotional mit. Alles was er sagt stimmt. Die Kasernen sind karg eingerichtet und der Sold ist spärlich, weshalb das große Themen für sie sind. Um die Staatskasse von Roshea ist es nicht so gut bestellt und Nico weiß das. Selbst Führungsoffiziere haben kein allzu üppiges Einkommen. Das Soldatendasein lohnt sich nur deshalb, weil die Lebenshaltungskosten entfallen und der gesamte Verdienst nach Hause zur eigenen Familie geschickt werden kann. „Zugegeben gab es auch noch einen anderen Grund für mich in Kalaß zu verweilen. Ich wette ihr wisst nicht wie die schönste Frau der Festungsstadt aussieht.“ Nico lässt eine kleine Pause. „Das war mir klar.“ Er winkt Kara zu sich. „...Sie steht vor euch. Ich muss es wissen, denn ich habe als Hauptmann bei den Stadtkontrollen in Kalaß im letzten Jahr jeden einzelnen Kalaßer und, was viel interessanter ist, jede einzelne Kalaßerin zu Gesicht bekommen.“ Er hat schon viele Männer auf seine Seite gezogen. Auch wenn viele seine Rede nicht ganz verstehen, weil sie finden, dass er zu weit von seinem Thema der Machtübernahme abschweift, fühlen sie sich gut unterhalten und lachen. „Doch sie ist nicht nur wunderschön, sie ist auch klug. Sie ist eine talentierte junge Ärztin, die ich in den nächsten Wochen heiraten und somit zu einer Königin machen will- eurer Königin, meine Kameraden. Dann hat sie all dieses medizinische Zeug, von dem ich nichts verstehe, völlig umsonst gelernt.“ Die Menge ist belustigt. Nico lächelt verschmitzt in Richtung Kara. Ihr gefällt diese Stelle in der Rede nicht, weil sie sich tatsächlich darüber ärgert dann nicht mehr praktizieren zu können. Als sie die Rede geschrieben haben, wurde sie mit dem Wunsch diesen Teil zu streichen, überstimmt, deshalb schmollt sie etwas, was gut zu seiner Rede passt und ihre Echtheit unterstreicht. Nico spricht mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen weiter: „Was denkt ihr? Soll ich sie trotzdem heiraten? Soll ich die schönste Frau von ganz Kalaß zu eurer Königin machen?“ Die Menge feiert, denn schöne junge Frauen kommen bei Männern einfach immer gut an. Nico feiert und lacht mit ihnen und ruft: Haha, danke Kameraden.“ Er wartet kurz ab und senkt dann seine Stimmlage wieder. „Eigentlich kam ich zusammen mit meiner wunderschönen Verlobten Kara, so ist ihr Name, hierher um mit Königin Estell zu verhandeln. Schon viel zu lange belagerte sie den Stadtstaat Kalaß, der unter meinem Schutz steht, seit ich Ratsvorsitzender bin. Doch statt zu verhandeln, trachtete sie uns beiden nach dem Leben. Ihr wollt bestimmt wissen wieso. Estell wollte der Führung von Kalaß den Kopf abschlagen, um die Stadt noch weiter zu schwächen. Sie unterschätzte uns und fiel durch unsere Hand. Da ich dadurch unabsichtlich die rosheanische königliche Blutlinie beendet habe und es auch sonst keine Anwärter mehr auf diesen Thron gibt, beanspruchen ich und auch meine Verlobte Kara, als Führer des Staates Kalaß, den Thron des Königreiches Roshea rechtmäßig.“ Die Hälfte, die Nico vor der Rede schon für sich gewonnen hatte, bleibt auf seiner Seite. So erheitert die anderen Soldaten jedoch gerade noch waren, werden sie jetzt wieder unruhig. Ohne Zweifel haben sie sich gut unterhalten gefühlt, doch ob das alles korrekt ist, können die meisten von ihnen nicht beurteilen. Viele zweifeln nach wie vor, aber die Rede ist ja auch noch nicht beendet. „Meine geschätzten Kameraden, ich habe kein Interesse an einer Expansionspolitik, so wie Estell sie geführt hat. Ich wünsche mir Frieden zwischen unseren Völkern. Ich bringe eine Freundschaft zu Yoken mit, die den sinnlosen Krieg zwischen Roshea und Yoken ein für alle Mal beendet. Alle Soldaten, die eigens für diesen Krieg eingezogen wurden, dürfen zu ihren Familien und eigentlichen Berufen zurückkehren, wenn sie möchten.“ Einige Reservisten, die gerade noch skeptisch waren, beginnen zu jubeln. „Die dadurch freiwerden Mittel lasse ich zurückfließen und setze sie ein, um den viel zu niedrigen Sold unserer Berufssoldaten anzuheben.“ Das findet die große Menge sehr gut. Nico weiß, er muss den Verdienst der Soldaten erhöhen, sonst werden sie ihm abspenstig, aber eine Verschiebung der Prioritäten mache das möglich, meinte Generalmajor Coral, was Nico ihm zunächst so abkaufen musste. Coral hat auch berichtet, dass starke Kürzungen in der letzten Zeit zu Plünderungen geführt hätten und dieser Zustand unhaltbar sei. Nico Spricht laut weiter: „Deren zukünftige Aufgabe wird es sein das Land strukturell wieder aufzubauen. Ich möchte Roshea im Sinne König Riecards weiterführen und neu erblühen lassen.“ Damit hat er einen Nerv getroffen und großer Jubel bricht aus, als er diesen Namen nennt. König Riecard galt als sehr guter und fähiger König und war deshalb sehr beliebt. Dass sein eigener Hofstaat immense Steuergelder verschlang, ist unter den Bürgern und Soldaten von Roshea nicht bekannt. Kara tritt nun vor. Sie hat ihren Teil wieder und wieder geübt und ist ihn in ihren Gedanken durchgegangen, um nichts zu vergessen. Sie ist aufgeregt, denn Nico hat es bisher so gut gemacht, dass sie jetzt nicht versagen darf. Sie holt tief Luft und spricht ebenfalls mit lauter und klarer Stimme. „Wir beginnen nicht von vorn. Roshea ist das stärkste Königreich auf dem Kontinent. Wir wollen nicht nur verändern, sondern auch bewahren. Wir um eure Mithilfe Gutes von Schlechtem zu trennen. Ihr alle seid eingeladen Verbesserungsvorschläge an uns zu richten, damit wir für euch ein Königreich errichten können, in dem jeder einzelne von euch sein Glück finden kann. Lasst uns das gemeinsam schaffen und an einem Strang ziehen! Vergesst die Wassersteuer und lasst uns unsere Kräfte nach innen richten, anstatt nach außen. Wir wünschen uns ein starkes und stabiles Roshea, das nicht nur aus seiner wunderschönen Hauptstadt Nalita besteht, sondern auch aus vielen weiteren Gebieten wie Aranor, der Wüste Salaji und seiner Hafenstadt Salaij Hanar, den Bergstädten Brag Bugat und Bugat Hanar und der Nosrama Ebene, die es ebenso Wert sind gefördert zu werden.“ Nacheinander jubeln die Soldaten, die aus den genannten Gegenden stammen. Estell hatte begonnen ein zentralistisches Roshea aufzubauen, was auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, deshalb ist es so wichtig die anderen Landesteile zu betonen. Kara spricht weiter. Den schwierigsten Teil hat sie jetzt hinter sich. „Nico und ich können den Thron nur mit eurer Unterstützung besteigen, denn nur mit euch gemeinsam, können wir eure und unsere Ideen in die Tat umsetzen.“ Nico stellt sich neben sie und nimmt ihre Hand. Er ruft laut und selbstbewusst in Menge hinein: „Kann ich mit eurer Unterstützung rechnen?“ Unerwartet geht ein riesiger Jubel durch die Menge. Der Lärm ist fast ohrenbetäubend. Damit hatte wohl niemand gerechnet. Es dauert eine ganze Weile, bis es sich wieder etwas beruhigt hat. Die Soldaten scheinen alle sehr erleichtert zu sein, dass Estell weg ist, und es trotzdem eine Lösung für das dadurch entstehende Führungsproblem zu geben scheint. Nico richtet sein Wort wieder an die Soldaten: „Ich danke euch, meine Kameraden. Ich verspreche euch, ihr werdet es nicht bereuen. Wir geben alles, für euch und für Roshea.“ Um dem neuen zukünftigen Königspaar die Ehre zu erweisen, richten sich die Soldaten wieder in ihrer ursprünglichen Formation aus und salutieren alle gemeinsam. Kara und Nico winken und verabschieden sich von der Menge, die sie mit einem großen Jubel verabschiedet. Trotz der überwiegenden Zustimmung brechen neuerlich ein paar Tumulte aus. Generalmajor Coral tritt nach vorn und stellt klar: „Alle Männer, die zur Clypeus Garde gehören, sind mit sofortiger Wirkung ihres Postens enthoben. Wir wissen wer dazu gehört, also packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie so schnell Sie können! Außerdem wird jeder Soldat, der sich jetzt gegen das neue Königspaar erhoben hat und zukünftig erheben wird, ebenfalls seines Postens enthoben. Wehrt er sich dagegen, wird er des Landes verwiesen oder inhaftiert.“ Allein seine Anwesenheit hat allen Putschisten das Zeichen gegeben, dass sie diese Führung unterstützen sollen. Das Militär war in vier Lager gespalten. Die Clypeus Garde der Königin, die fast ein Viertel der Offiziere ausmachte, die Putschisten, die zahlenmäßig noch ein paar mehr waren und die unzufriedenen sowie die zufriedenen landestreuen Soldaten und Offiziere. Die Freistellung der Garde dürfte etwas Ruhe in die Reihen des in sich zerrissenen Militärs bringen. Die drei haben es geschafft. Nicos lockere Rede war offenbar genau das Richtige. Selbstbewusst gibt er zum Besten: „Soldaten spricht man eben nicht mit trockenem politischen Blabla an. Sie wollen etwas hören, das sie auch wirklich selbst tangiert und das sie verstehen.“ Die Rede auf diese Art zu formulieren war selbstverständlich Nicos Idee, die er gegen die anderen durchsetzte. Er ist überzeugt zu wissen wie seine Männer ticken, denn er hat viel Zeit in ihrer Mitte verbracht. Coral konnte nur mit den Fakten helfen. Eine lockere Erzählweise liegt dem kontrolliert selbstbeherrschten Mann einfach nicht. Da Kara von Reden leider überhaupt keine Ahnung hat, konnte sie immer nur ein paar Ideen und Hinweise einflechten, die Nico aber dankbar angenommen und in seiner Rede verwendet hat. Mit dem Militär im Rücken dürfte die Beanspruchung des Throns ohne Probleme vonstattengehen. Natürlich müssen sie den Führungswechsel aber noch dem Adel und den Bürgern von Roshea verkaufen, doch der Grundstein ist gelegt. Nico ist sich sicher, dass diese beiden Parteien keine Schwierigkeiten machen werden. Gerade sie waren ja besonders unzufrieden mit Estells Führungsstil. Die beiden müssen trotzdem erstmal begreifen, dass gerade ihr ganzes Leben umgekrempelt wurde...schon wieder. Vor allem in Karas Kopf herrscht Chaos. „Wie soll es jetzt weitergehen? Und was wird der Stadtrat dazu sagen?“ fragt sie und Nico antwortet ihr gelassen: „Auch wenn ich König von Roshea werde, bleibe ich immer noch Ratsvorsitzender von Kalaß, solange bis ich zurück trete. Diese beiden Aufgaben übersteigen allerdings mein Leistungsvermögen. Ich werde es nicht schaffen beides mit vollster Zufriedenheit auszufüllen, das gebe ich zu. Der Rat sollte am besten abstimmen, ob Kalaß autonom bleiben möchte, oder Roshea beitreten. So oder so werden sie wohl einen neuen Ratsvorsitzenden wählen müssen.“ Kara fügt hinzu: „Hier in Roshea müssen wir aber auch erst einmal herausfinden wem wir trauen können und wem nicht. Außerdem müssen wir Botschafter in die umliegenden Länder entsenden.“ Der Staatshaushalt muss ebenfalls aufgeräumt werden. Es gibt zwar gute Steuereinnahmen, die aber völlig neu umverteilt werden müssen. Allein das zu prüfen wird ewig dauern. So viel Arbeit liegt noch vor den beiden. Nico seufzt und nimmt Kara erschöpft in die Arme. Er sieht den Verlobungsring an ihrer Hand funkeln und stellt fest, dass er die Hochzeitsfeier jetzt auch wieder umplanen muss. Für ein Königspaar muss sie noch deutlich größer und pompöser ausfallen, als „nur“ für einen Ratsvorsitzenden und seine Braut. Er hat es auch nicht leicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)