Der König von Kalaß von Elnaro ================================================================================ Kapitel 18: Das Leben in Kalaß ------------------------------ Als Kara und Nico wieder in Kalaß ankommen, werden sie freudig begrüßt. Die freien Wahlen haben inzwischen stattgefunden. Nico ist tatsächlich zum Ratsvorsitzenden gewählt worden, so wie Farsa Gena es vorausgesagt hat. Er muss zugeben, dass er nach wie vor nicht ganz versteht wie er das in seiner Abwesenheit schaffen konnte. Farsa Gena meint es läge an seinen heldenhaften Taten in Kombination mit seinem außerordentlichen Charisma. Ebenso wie Hendryk vermutet sie, dass seine Abwesenheit nur seinem Tatendrang Ausdruck verliehen habe. Nico Dugar ist ein Mann, der Menschen das Gefühl von Zuversicht gibt, der mit Ruhe und Gelassenheit den Durchblick in einer schwierigen Lage behalten kann und entsprechend handlungsfähig bleibt. Er wirkt vertrauenswürdig und vereint das Volk von Kalaß damit hinter sich. Etwas überrumpelt nimmt er die Wahl an. Als Ratsvorsitzender wird ihm eine Villa zur Verfügung gestellt, die sich in der Nähe des Rathauses befindet. Das ist im völlig verbauten Kalaß ein absolutes Privileg, denn das Haus ist mehr als doppelt so groß wie die anderen. Auf Nachfrage wieso ein Haus wie dieses frei sei, antwortet Farsa Gena ausweichend. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass sie es vor kurzem erst geräumt hat, um ihm Platz zu machen. Das versucht sie jedoch vor dem jungen Paar zu verschweigen, aus Angst sie würden den Einzug daraufhin ablehnen. Zumindest was Kara angeht würde sie damit wahrscheinlich auch Recht behalten. Von außen ist die Villa reich mit Pfauenfelder-Ornamenten verziert. Im Inneren sind viele Räume holzvertäfelt und mit Stuck geschmückt. Die ungewöhnlich großen prunkvollen Räume lassen sich jeden Kalaßer in Demut üben. Nico zieht, als neues Stadtoberhaupt, bereits nach einer Woche gemeinsam mit Kara in die Villa ein. Für den Umzug erhalten sie jede Menge Hilfe. Eine wilde Ehe zu führen ist in Kalaß indes nichts ungewöhnliches oder verwerfliches und es stört sich niemand daran. Als frisch ernannter Ratsvorsitzender hat Nico sehr viel aufzuarbeiten und nur wenig Zeit für seine zurückgewonnene Liebe. Er muss alte Verträge sichten, die aktuelle Rechtsprechung, Gesetze und Wirtschaftsnormen verinnerlichen und die gesellschaftlichen Stände und deren Vertreter besser kennen lernen, die er nach und nach besucht. Kara unterstützt ihn so gut sie kann. Sie sortiert mit ihm gemeinsam Unterlagen, geht diese mit ihm durch oder arbeitet sie ihm zu. Im Prinzip fungiert sie als Sekretärin des Ratsvorsitzenden. Unterdessen hat sie aber trotzdem ihre Ausbildung zur Ärztin wieder aufgenommen, was sie alles in allem ziemlich auslastet. Sie arbeitet oft bis zur völligen Erschöpfung bis tief in die Nacht hinein, doch trotzdem ist niemals auch nur der Ansatz einer Beschwerde von der jungen Frau zu vernehmen. Das größte Problem an ihren neuen und auslastenden Verpflichtungen ist der Mangel an Zeit sich gegenseitig richtig kennen zu lernen. Wirklich näher sind sie sich nämlich noch nicht gekommen. Das ist auch der Grund warum Kara darauf besteht, in getrennten Zimmern zu schlafen. Es beruhigt sie zu wissen, dass sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren kann, ganz zum Leidwesen ihres Liebsten. Nico wartet vergebens auf ein Zeichen von Kara, dass sie bereit wäre sich ihm wieder zu öffnen. Bisher haben sie es noch nicht einmal geschafft die Vergangenheit aufzuarbeiten und über Nicos Gefangenschaft bei Königin Estell zu sprechen. Sie unterhalten sich allgemein so gut wie gar nicht über ihre Beziehung und leben einfach nebeneinander her. Sie sind jetzt seit drei Wochen zurück aus Yoken und so langsam beginnen sie sich in ihrem neuen Heim einzuleben. Nico hat als Ratsvorsitzender seine erste offizielle Sitzung des Stadtrates von Kalaß einberufen. Der Rat setzt sich nach wie vor aus den acht vorhandenen und in sich sehr gut strukturierten Ständen zusammen. Jeder Stand erhält, je nach Anzahl seiner Mitglieder, zwei bis drei Volksvertreter. Da das Handwerk bereits zu Zeiten des Ältestenrates aus zwei statt nur einem Vertreter bestand, erhält es auch dieses Mal mit fünf Vertretern die meisten Sitze. Das ist auch fair, denn in der Kalaßer Bevölkerung ist der Stand der Handwerker fast doppelt so stark vertreten wie die anderen. Die Mitglieder des Rates sind altersspezifisch gestaffelt. Zwei bis drei Vertreter werden für jeden Stand einberufen. Wird der Stand von zwei Leuten vertreten, so wird einer davon von den 16 bis 35-jährigen und einer von den Standesangehörigen über fünfundreißig gewählt. Gibt es drei Mitglieder, so wird eines gewählt von den 16-25-jährigen, eines von den 26-45-jährigen und eines von den älteren Bürgern dieses Standes. Somit entsteht ein Stadtrat mit dreiundzwanzig ständigen Mitgliedern plus einem unparteiischen Ratsvorsitzenden. Der neue Rat ist damit deutlich größer als der Ältestenrat, der mit nur neun Vertretern geführt wurde. Alle vierundzwanzig geladenen Stadtvertreter versammeln sich im großen Ratssaal des Kalaßer Rathauses. In seiner Funktion als Vorstand begrüßt Nico den neuen Rat, gibt jedem die Gelegenheit sich vorzustellen und bittet alle darum bis zur nächsten großen Versammlung Listen mit Verbesserungsvorschlägen und Hinweisen vorzubereiten. Heute möchte er bereits ein heikles politisches Thema ansprechen, das aus seiner Sicht grundlegend für alle folgenden Entscheidungen sein wird. Es geht um die alten Verträge, an welche sich Kalaß bisher nach wie vor gebunden gefühlt hat. „Ich bitte um Ihre Gedanken zum Thema Tarbasser Verträge. Wie stehen Sie zur Fortführung des Pazifismus? Wie zum Verbot des Adels und der Monarchie? Die Verträge wurden gebrochen. Wollen wir uns dennoch weiter daran orientieren?“ Der Ratssaal wird unruhig und die erste Wortmeldung kommt von Julius, einem jungen Kunsthandwerker. Er steht auf um zu sprechen. „So wie ich das sehe, haben das Verbot von Waffen und die Abschaffung der Klassengesellschaft dazu geführt, dass es nahezu keine Kriminalität mehr in Kalaß gibt. Deshalb halte ich es für eine gute Sache diese Punkte beizubehalten.“ Nico nickt zustimmend. „Sieht der Rest des Rates das ähnlich?“ Er bekommt im allgemeinen positive Rückmeldungen auf seine Frage. „Wie steht es um die Monarchie? Gefällt Ihnen die vertragskonforme Regierungsform, die wir aktuell einsetzen, oder wünschen Sie sich einen eigenen König zurück?“ Wieder wird es unruhig, doch diesmal mehr als zuvor, bis Zondora, älteste und wieder gewählte Vertreterinnen des Bauernstandes das Wort erhebt. „Ich für meinen Teil bin mir darüber selbst nicht ganz im Klaren. Mir gefällt dieser neue Rat, doch ich habe außenpolitische Bedenken. Ein König würde nach außen sicherlich viel mehr Gehör finden, als ein Ratsvorsitzender. Unser Stadtstaat wird im Ausland einfach nicht ernst genug genommen.“ Der Ratsvorsitzende fragt weiter: „Was sagen die anderen dazu?“ Erneut bricht Unruhe aus. Nico hat nicht vor diese zu unterbrechen, er hält die regen Diskussionen seiner Ratsmitglieder für hoch produktiv. Ein junger Händler ruft dazwischen: „Wenn wir schon einen König haben sollen, dann kommt nur unser Ratsvorsitzender in Frage.“ Aus der Masse antwortet es laut: „Willst du unsere neugewonnene Demokratie wegwerfen?“ Nico schaut sich die Diskussion eine ganze Weile an, doch nach zwanzig Minuten unterbricht er. „Ich schlage vor wir hören uns ab morgen die Meinung jedes Einzelnen an und machen danach eine offene Abstimmung. Wir müssen zunächst diese Grundlagen klären, bevor wir in die Detailabsprachen übergehen.“ Es wird still. Erneut gibt es allgemeine Zustimmung, die fließend in rege Diskussionen übergeht. Nico schließt die Sitzung wieder, denn ihm bleibt gerade auch nichts anderes übrig. Die Debatten reißen nicht ab, bis es dunkel wird und er seine Ratsmitglieder nach Hause schickt. Ziemlich geschafft geht auch er nach Hause. Diese erste Ratsversammlung war sehr anstrengend und völlig chaotisch. Er wird nach und nach ein wenig mehr Disziplin in seine neue Stadtführung bringen müssen. Zuhause angekommen sucht er nach Kara und findet sie allein in ihrem Arbeitszimmer an ihrem Schreibtisch sitzend Literatur über die menschliche Psychologie durchgehen. Als Lichtquelle nutzt sie nur eine einfache Kerze. So wie er, sieht sie ziemlich erschöpft aus. Der junge Mann stellt sich hinter ihren Stuhl. Er bittet sie es für heute gut sein zu lassen. „Es reicht, Kara. Geh ins Bett!“ Sie senkt ihren Kopf. Er nimmt eine ihrer Haarsträhnen in die Hand und lässt die zwischen seinen Fingern hin und her gleiten. Erst nach einer Weile fragt sie interessiert: „Wie war deine erste Sitzung?“ Er lächelt, denn er möchte sie nicht zu sehr beunruhigen und untertreibt: „Etwas chaotisch, aber das bekomme ich schon noch in den Griff. Alle sind ziemlich motiviert bei der Sache.“ Nach einer kurzen Pause haucht sie flüsternd: „Nico..., es gibt da etwas, das ich dich fragen möchte.“ Ihre Stimme klingt bedrückt. Er geht um ihren Stuhl herum und lehnt sich an den Schreibtisch. Er sieht sie auffordernd an. Sie hingegen meidet seinen Blick und spielt nervös mit einigen Buchseiten. „Es fällt mir wirklich schwer dich das zu fragen...also...das zwischen Estell und dir,... war das einvernehmlich, oder hat sie dich vielleicht... gezwungen?“ Er setzt seine Hand an ihren Haaransatz, nimmt sanft eine ihrer roten Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger und gleitet daran über die komplette Länge ihres Haares hinab. Sein Blick ist sanft und nimmt etwas melancholisches an. „Weißt du das denn nicht selbst?“ Sie lässt ihren Kopf noch etwas sinken. Mit trauriger Stimme fügt er hinzu: „Wenn ich sie gewollt hätte, dann hätte ich doch bereits davor unzählige Möglichkeiten dazu gehabt.“ Karas Blick verschwimmt, denn es beginnen sich Tränen in ihren müden Augen zu sammeln. Sie holt Luft, um etwas zu sagen, bemerkt jedoch, dass es sich eher wie ein Schluchzen anhört, was ihr sehr unangenehm ist, weil sie damit spätestens jetzt verrät, dass sie begonnen hat zu weinen. Trotzdem strengt sie sich an zu sagen was sie wollte. „Was ich getan habe, ist unverzeihlich. In diesen Büchern steht es Schwarz auf Weiß! Das Schlimmste, das ich dir in deiner Situation antun konnte, war mich von dir abzuwenden. Ich als Ärztin muss das doch eigentlich wissen. Sogar besser als jeder andere!“ Sie holt tief Luft, dieses Mal sogar ohne dabei zu Schluchzen. „Es tut mir so leid, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu begreifen.“ Sie erhebt sich von ihrem Stuhl und umarmt ihn. Die Anspannung weicht aus seinem Körper, denn endlich hat sie ihm verziehen und zwar diesmal wirklich. Die beiden umarmen sich noch eine Weile, dann bittet Nico seine Liebste erneut: „Jetzt geh ins Bett, Kara! Morgen ist auch wieder ein anstrengender Tag.“ Sie wischt sich die Tränen aus ihrem leicht gerötetem Gesicht, dann deutet sie ein Nicken an und die beiden gehen getrennt schlafen. Am nächsten Tag klopft es im Rathaus von Kalaß an Nicos großer breiter Flügeltür, die zu seinem geräumigen Büro führt. Er arbeitet gerade an einer, wie er findet, grandiosen Idee, die Bevölkerung über die Geschehnisse im Stadtrat zu informieren. Er möchte eine gut verständliche Mitschrift der Sitzungen in Form einer Kurzzusammenfassung kostenlos an alle Bürger der Stadt verteilen. Er erhofft sich dadurch wachsendes Interesse für die Politik und mehr Nähe zueinander. Dabei soll sich das Blatt aber grundlegend von den Propagandaschriften der Besatzung abheben und keine wertende Meinung verbreiten, sondern nur Fakten enthalten. Den Vorschlag will er beim nächsten oder übernächsten Rat verkünden und in die Obhut der Gilde der Gelehrten übergeben. Die Grundidee davon stammte von Kara, die sich beklagte anders über die Geschehnisse im Rat informiert werden zu wollen, als immer persönlich anwesend sein zu müssen. Nico ist aufgrund seiner Idee in Hochstimmung. Als er das Klopfen hört ruft er ein freundliches, fast schön fröhliches: „Immer herein!“ Er staunt nicht schlecht, als er die junge Frau erkennt, die gerade sein Büro betritt. Es ist Ikky, die junge Arzthelferin und ehemalige Freundin von Kara. Sie ist schlicht und funktional gekleidet und trägt ihre weißen langen Haare zu einem Zopf gebunden. Er vermutet, dass sie gerade auf dem Weg von oder zu ihrer Arbeit ist. Er steht auf, um sie zu begrüßen. Etwas schüchtern kommt sie in kleinen Schritten auf ihn zu. Er hat gerade zu gute Laune, um sie sich von dieser jungen Frau verhageln zu lassen. Besonders erfreut sie zu sehen, ist er aber trotzdem nicht. Mit offenen Worten empfängt er sie: „Willkommen. Du bist Ikky, nicht wahr? Ich muss zugeben, dass ich von deinem Besuch ein wenig überrascht bin, aber setz dich erst mal und sag mir welches Anliegen dich zu mir führt!“ Sie setzt sich ihm gegenüber und er nimmt ebenfalls wieder Platz. Sie mustert ihn und erkennt an seinem Handgelenk ein Lederriemchen mit einem Muschelanhänger wieder, den Kara früher manchmal als Kette getragen hat. Das stimmt sie zuversichtlich hier gerade das Richtige zu tun. Zum ersten Mal schaut sie ihm direkt in die Augen. „Herr Ratsvorsitzender, ich bin hier um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Ich habe Ihnen Unrecht getan.“ Nico lächelt befriedet. Einer seiner Widersacher entschuldigt sich und das gefällt ihm. „Bitte nenn mich einfach Nico.“ Ikky schüttelt den Kopf. „Nein, das wäre nicht richtig, wirklich nicht. Wissen Sie, ich war eine Ihrer größten Gegner. Ich habe mit allen Mitteln dafür gekämpft, dass Sie nie wieder aus dem Kerker herauskommen. Ich habe zum Beispiel rumerzählt ich hätte Soldaten dabei belauscht wie sie sich darüber unterhalten hätten ihren Hauptmann erfolgreich in den Untergrund geschmuggelt zu haben. Meine Lügen haben nicht genug Gehör gefunden und das ist auch gut so. Ehrlich gesagt erwarte ich nicht, dass Sie meine Entschuldigung annehmen. Ich glaube ich bin einfach nur hier, um, naja so etwas wie zu Beichten und mein eigenes Gewissen zu beruhigen.“ Nicos Gesichtsausdruck hat sich nun doch in einen ernsten verwandelt. Ein solches Geständnis hätte er nicht erwartet und gewusst hat er vom Ausmaß ihrer destruktiven Arbeit schon gar nichts. Wie Hendryk es ihm schon einmal erklärte, war ihm Ikky wahrlich nicht wohlgesonnen gewesen. Nichtsdestotrotz will er sich davon nicht herunterziehen lassen und entgegnet: „Natürlich erschüttert es mich, das zu hören. Es ist sehr mutig von dir hierher zu kommen und mir das zu sagen. Ich hoffe die Wahrheit hat dich befreit und du kannst mit offenen Herzen in deine Zukunft blicken.“ Ikky schaut ein wenig ungläubig. Um ehrlich zu sein ist Nico über seine Großzügigkeit selbst ein bisschen erstaunt. „Wollen Sie keine Anklage erheben?“ fragt sie ungläubig. Nico lächelt wohlwollend. „Dazu sehe ich keinen Grund, nein. Zu lügen mag falsch sein, aber ein Grund für eine Anklage ist das nicht.“ Sie reagiert vorlaut: „Doch ist es, ich habe es nachgeschlagen. Die Mitglieder des Ältestenrats vorsätzlich anzulügen, ist laut Paragraf einhundertvierunddreißig des Sanktionsreglements unter Strafe gestellt.“ Nico lächelt entschlossen. „Dann weißt du mehr als ich. Diese ganzen alten Regeln und Gesetze werde ich gemeinsam mit dem Stadtrat überarbeiten müssen. Im Moment gibt es jedoch wichtigeres zu tun. Geh nach Hause, Ikky und lebe mit deiner Schuld! Ich werde dich jedenfalls nicht belangen.“ Verdutzt entgegnet sie: „Wie Sie meinen, Herr Ratsvorsitzender.“ steht auf und verlässt den Raum nach einer kurzen Verabschiedung. Damit, dass ihre Schuld ungesühnt bleibt, muss sie erst einmal umgehen lernen. Sie ist der Überzeugung, dass einer Aktion eine angemessene Reaktion zu folgen hat. Das ist ja auch der Grund warum sie den Ratsvorsitzenden heute aufsuchen musste. Es entspricht einfach ihren Prinzipien. Da sie seine Reaktion für nicht angemessen hält, muss sie ihr eigenes Weltbild überdenken. Bisher hat ihr noch niemals jemand einen Fehler verziehen. Auch von Kara erfuhr sie keine Nachsicht, wenn sie als Helferin vergessen hatte ein Medikament vorzubereiten. Kara war immer nur auf das Wohl der Patienten fixiert, nicht aber auf das ihrer Assistenten. Damit kam Ikky jedoch besser zurecht, als mit der unangemessenen Großzügigkeit von Nico Dugar. Zwei Wochen vergehen, bis die Gespräche im Stadtrat zu den Grundlagen endlich beendet sind. Im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass die aktuelle Regierung in Form eines Stadtrates beibehalten wird. Der unterschwellige Wunsch der Ratsmitglieder nach einem eigenen König bleibt in deren Köpfen jedoch erhalten. Nico empfindet diese zwei Wochen nicht als verschwendet. Es ist ihm wichtig, dass alle eine gemeinsame Basis bilden und sich über diese absolut einig sind. Er konnte außerdem seine Idee zur Verteilung eines Informationsblatts an die Bürger von Kalaß durchsetzen. Er hat ein paar Zweifler im Rat, die seine ruhige Herangehensweise als zu wenig zielführend und zeitverschwenderisch einstufen, das hat jedoch bisher nicht zu Problem geführt, da auch diesen Bedenken genügend Gehör verschafft wird. Nico führt Einzelgespräche mit all jenen, die besonders große Zweifel hegen, um von ihnen zu lernen und sie zu Beruhigen. Er versucht all das umzusetzen, was er sich selbst von einem guten Ratsvorsitzenden wünschen würde. Sein Anspruch an sich selbst ist ziemlich hoch. Inzwischen sind die ersten Truppen yokenischer Soldaten in Kalaß eingetroffen, die ein Lager vor der Stadt errichtet haben. Der Stadtrat begrüßt die Unterstützung Yokens sehr und die Ratsmitglieder wissen, dass sie diese nur Nico Dugar und seiner Reise nach Deskend zu verdanken haben, denn davor gab es, außerhalb von Handelsbeziehungen, keinen Kontakt zu diesem Königreich. Wie Nico es sich vorgenommen hat, bekommt er langsam eine Ordnung in die zur Zeit noch täglichen Ratssitzungen, die dadurch auch nicht mehr ganz so zermürbend sind. Er ist mit sich zufrieden. Nun muss er nur noch das angespannte Verhältnis zu Roshea glätten. Wie er das anstellen soll, weiß er allerdings noch nicht. Sein Verhältnis zu König Riecard ist nicht das schlechteste. Vielleicht, so hofft er, kann er an diesem Punkt anknüpfen. In einer anderen Sache ist er hingegen überhaupt nicht vorangekommen. Er hat es immer noch nicht geschafft sich Kara etwas stärker anzunähern. Wie kann er im Beruflichen so viel Erfolg haben und gleichzeitig privat so versagen? Nico weiß mittlerweile auch nicht mehr woran es noch liegen könnte. In der wenigen Zeit, die er mit Kara hat, zeigt er ihr durch zärtliche Gesten seine Zuneigung. Wenn er beginnt, steigt sie oft darauf ein, doch sie hat noch niemals die Initiative ergriffen. Er glaubt, dass Kara eine Frau ist, die erobert werden möchte. Das hat schon mehrmals zu kleineren Fortschritten geführt. Intensivere Annäherungsversuche weist sie jedoch scheu zurück. Er findet Kara überaus sinnlich und hat sie nicht ohne Grund als seine Partnerin erwählt. Es ist ja nicht gerade so, als hätte er keine anderen Möglichkeiten, ganz im Gegenteil, deshalb hat er nun von diesem Katz-und-Maus-Spiel genug. Seine Geduld neigt sich so langsam dem Ende, weshalb er beschließt einfach noch etwas offensiver vorzugehen. Er ist selbstbewusst genug, um ihre Zurückweisungen nicht persönlich zu nehmen. Er nimmt sich vor, sie konkret darauf anzusprechen und sie noch etwas stärker zu bedrängen als sonst, wenn das nichts nützt, um endlich eine Reaktion bei ihr zu provozieren. Sie sortiert gerade Unterlagen, als er ihr auflauert. Fest entschlossen seinen Plan umzusetzen, fragt er liebevoll: „Kara, hast du mal einen Moment für mich? Ich muss etwas mit dir besprechen.“ Sie dreht sich ein Stück zu ihm um und antwortet nebenher: „Können wir das auch später machen? Ich bin gerade ziemlich in Gedanken.“ Er spottet: „Später suchst du dir eine neue Aufgabe und dann bist du zu müde um zu reden.“ Zielgerichtet hält er auf sie zu. Er tritt so nah an sie heran, dass sie so weit nach hinten ausweicht, bis sie mit ihrem Körper an die Wand anstößt. Da sie nun nicht mehr weiter zurückweichen kann, lehnt er sich über sie. Sanft und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wispert er: „Wir reden jetzt. Diesmal kannst du mir nicht ausweichen.“ Kara fühlt sich bedrängt, denn ihr Geliebter macht ihr überdeutlich klar, dass er stärker ist als sie. Das macht ihr nichts aus, denn er wird sie schon zurückweichen, wenn sie es verlangt. „Also gut Nico, was ist denn los?“ Er legt seinen Unterarm neben sie an die Wand und schaut, mit einer lockeren Körperhaltung, sanft auf sie herab um sie noch ein wenig mehr einzuschüchtern und er dann beginnt er zu reden: „Ich habe viel Geduld mit dir bewiesen, Kara, habe mich dir nur langsam genährt, doch seit einiger Zeit geht es zwischen uns überhaupt nicht mehr voran. Du stürzt dich in deine Arbeit und nimmst mich kaum noch war. Mir reicht es langsam, verstehst du? Du erklärst mir jetzt was mit dir los ist!“ Kara wendet ihren Blick von ihrem Mann ab und stottert: „E-es ist nichts.“ Ihr schießen alle möglichen Gedanken durch den Kopf, aber eine bessere Antwort ist ihr nicht eingefallen. Nico wird langsam ernsthaft verstimmt. „Ich habe gesagt es reicht, Kara. Willst du die Frau an meiner Seite sein, oder willst du es nicht? Sag es lieber gleich!“ Kara versteht jetzt erst so richtig den Ernst des Gesprächs und hebt hektisch ihren Blick. „Ja, das will ich! Mehr als alles andere.“ „Dann sei auch meine Frau!“ schimpft er, was bei ihr Wirkung zeigt, denn sie streckt sich nach oben, um ihm zu küssen. Auch wenn das eine unerwartete Reaktion war, lässt er sich gern darauf ein und streichelt ihr zärtlich durchs Haar. Anschließend lässt er seine Hände sanft über ihren Körper gleiten. Früher hatte sie an dieser Stelle schon einmal abgebrochen. Sie wird zwar auch diesmal etwas unruhiger, doch sie lässt es zu. Interessiert wie weit er bei ihr diesmal kommt, öffnet die Schleife am Nacken ihres Oberteils und küsst dabei ihren schmalen Hals. Da sie nichts drunter trägt, bietet sich ihm ein besonders schöner Anblick, der ihn mehr erregt, als er gedacht hätte. Er versucht sich zurück zu halten, langsam zu machen, um sie nicht zu verschrecken, doch schon nach kurzer Zeit versucht sie ihn zart wegzudrücken und stöhnt: „Nico, nein. Das reicht!“ Das war eine klare Ansage. Er lässt von ihr ab und lockert den Griff um ihre Taille. Er bemerkt Karas hochrotes Gesicht. Sie sieht zwar erregt aus, aber auch etwas verärgert. Nico lässt sie ganz los und richtet sich vor ihr auf. Wenn sie verärgert ist, was soll er dann sein? Er atmet schwer aus und sagt leise und schwer verstimmt: „Was soll das? Warum lehnst du mich schon wieder ab? Nenn mir doch wenigstens mal einen Grund.“ Sie nimmt die Träger ihres Oberteils und bindet sie wieder hinter ihrem Kopf zusammen. Da Kara nur verschämt zu Seite schaut, fängt er an zu raten. „Hat es etwas mit Estell zu tun?“ Kara reagiert diesmal und zwar direkt ungehalten: „NEIN! Nein, es hat nichts mit dieser... dieser Frau zu tun.“ „Aber was ist es dann? Sagt es mir doch bitte!“ Fragt er völlig ratlos. Ihm in dieser Situation Rede und Antwort stehen zu müssen ist sehr unangenehm für die junge Frau, doch sie antwortet schüchtern: „Wie soll ich das sagen? Es ist einfach zu intensiv. Schon deine Küsse reißen mir fast den Boden unter den Füßen weg und…naja es ist noch was. Ich... ich hab irgendwie Angst davor.“ „Angst vor was? Ich tu dir schon nicht weh.“ fragt er interessiert nach, jetzt wo sie endlich begonnen hat mal ein bisschen darüber zu sprechen. Kara macht eine kurze Pause und sagt dann leise: „Nicht vor Schmerzen. Vor vielen anderen Dingen.“ Nico schaut überrascht fragend, aber nicht mehr vorwurfsvoll, weshalb sie weitererzählt: „Es ist komisch. Mir wird es immer schwindelig in deinen Armen und… du bist auch so erfahren... was ist, wenn ich nicht gut genug für dich bin? Verlässt du mich dann wieder? Ich meine ich habe überhaupt keine Ahnung. Das enttäuscht dich bestimmt. Ich... es ist so …“ Sie schämt sich so sehr, dass sie kurz abbricht, weshalb er sie in den Arm nimmt, was ihr den Mut gibt weiter zu sprechen. „… ich habe mich sozusagen aufgehoben. Ich wollte auf den Richtigen warten.“ Nico ist perplex. Da hat Yasane mit ihrer Vermutung Kara habe noch nie einen Mann gehabt tatsächlich recht behalten. Es fällt ihm schwer Karas Gedanken nachzuvollziehen, doch eine Frage drängt sich ihm besonders auf. „Bin ich denn nicht der Richtige, Kara? Du hättest mir vielleicht schon eher sagen sollen, dass du unerfahren bist. Es ist mir klar, dass du beim ersten Mal verunsichert bist.“ „Doch, du bist schon der Richtige, aber ich meinte ich wollte auf die Ehe warten.“ erklärt sie sich wieder etwas von ihm lösend und nun schüttelt er verzweifelt lächelnd den Kopf. „Auf die Ehe?...das hättest du mir auf jeden Fall sagen müssen, Kara. Ich meine, wenn jemand so etwas wissen sollte, dann ja wohl ich, oder?“ „Wie spricht man denn sowas an? Ich habe gedacht du würdest es schon merken, wenn ich dich zurückweise.“ druckst Kara herum. Auch wenn er es merkwürdig findet, versteht er es jetzt so langsam. Ihr kindischer Wunsch sich aufzusparen und ihr Mangel an Erfahrung haben bei ihr offenbar zu veralteten Moralvorstellungen geführt. Verärgert, aber auch erleichtert sagt er: „Ach Kara, an der Kommunikation müssen wir noch arbeiten. Du musst dir selbst darüber klar werden was du willst. Ich respektiere deine Wünsche, aber das kann ich nur, wenn du sie mir auch mitteilst.“ Endlich ist es raus, was die junge Frau sehr erleichtert. Wenn sie ehrlich ist gibt sie zu, dass sie nicht den leisteten Schimmer davon hat wie eine Beziehung eigentlich funktioniert, denn sie hatte noch niemals eine. Alle Fehler, die ein Neuling in einer Beziehung macht, wird sie mit ihm machen. Damit wird ihr gerade schmerzlich klar, dass es doch große Nachteile mit sich bringen kann auf den Richtigen zu warten. Sie muss sich erst einmal daran gewöhnen, dass es jetzt jemanden gibt, mit dem sie auch ihre intimsten Gedanken teilen sollte. Das hat sie schließlich noch nie getan. Nico umarmt seine Liebste ein weiteres Mal und flüstert ihr dabei lüstern ins Ohr: „Da haben wir ja noch eine Menge nachzuholen.“ In Karas Kopf entstehen Bilder, die sie erröten lassen. Nico bemerkt ihre Erregung und muss aufpassen sich zurück zu halten. Er wird sich zügeln müssen, bis sie sich darüber im Klaren ist, was sie will. Nico ist zwar froh nun zu wissen wo das Problem gelegen hat, doch er findet es auch irgendwie schade eine unerfahrene Frau zu haben, eine Frau, der er selbst noch alles beibringen muss und nun soll er vielleicht auch noch bis zu einer Hochzeit warten. Als Ratsvorsitzender wird er eine ziemlich große Hochzeit ausrichten müssen, die einiger Vorbereitung bedarf und das heißt es kann noch Monate dauern, bis er sich seiner Geliebten richtig nähern darf. Er ist trotzdem der Meinung, dass sie das Warten wert ist, denn ihm würde keine Frau der Welt einfallen, die sie ersetzten könnte. Das erste was er am nächsten Morgen macht, ist zum Juwelier zu gehen, um für Kara einen Verlobungsring anfertigen zu lassen. Sie schien sich selbst noch unsicher zu sein, ob sie wirklich noch länger warten möchte und mit einer Verlobung will er sie von seiner Treue überzeugen. Wenn man die Beziehungspause abzieht, dann sind sie noch nicht einmal drei Monate zusammen. Der Heiratsantrag käme dann zwar also eigentlich recht früh, aber da er sich mit ihr absolut sicher ist, macht das nichts. Er denkt darüber nach wie er alternativ bis zur Hochzeit über die Runden kommen soll, was ihn frustriert, denn das hält er kaum für möglich. Durch seinen Posten als Ratsvorsitzender von Kalaß, ist Nicos Gesicht überall im Stadtstaat bekannt. Als er den Ring beim Juwelier Janeck in Auftrag gibt, weiß dieser sofort, dass er seiner Freundin Kara, der Ärztin, einen Heiratsantrag machen möchte. Janeck schwadroniert von wilder Ehe und das ein guter Vorsitzender sie vorbildlich besiegeln sollte. Nico muss ihn mit mehr als nur netten Worten davon überzeugen es für sich zu behalten und es nicht unbedarft seiner klatschfreudigen Frau weiterzuerzählen, denn sonst weiß es Kara wahrscheinlich schon, bevor er sie überhaupt gefragt hat. Nico droht ihn wegen Hochverrats des Landes zu verweisen, wenn etwas durchsickern sollte. Zur beidseitigen Erleichterung ist der Ring nach einer Woche fertig, ohne dass jemand etwas davon erfahren hat. Janeck hatte zwischenzeitlich eine familiäre Feierlichkeit, in der er, für ihn untypisch, keinen Schluck Alkohol angerührt hat, aus Angst er könnte sich im angeheiterten Zustand verplappern. Er überreicht stolz den Ring und versichert extra für seinen Ratsvorsitzenden nur die besten und edelsten Materialien verwendet zu haben. Nico sagt freundlich und bestimmt zu Janeck: „Das hoffe ich doch. Der Ring kostet schließlich ein Vermögen. Ganz davon abgesehen, machen Sie das sonst nicht?“ Der Juwelier lacht nur verlegen und fühlt sich ertappt. Kalaß ist bekannt für sein herausragendes Schmiede und Kunsthandwerk, doch dieser Ring ist eine besonders hochwertige Arbeit. Er ist so schön, dass er einer Königin würdig wäre, in Nicos Augen also gerade gut genug für seine Liebste. Am Abend sitzt das Pärchen am Küchentisch. Die beiden haben gerade gegessen und gemeinsam den Tisch abgeräumt. Sie hatten extra pünktlich aufgehört zu arbeiten, um einen Abend für sich zu haben und Nico hatte sogar für Kara rosheanisch gekocht. Er ist sehr überzeugt von sich und glaubt er würde auch einen guten Hausmann abgeben. Das hat er schließlich auch schon bewiesen, als er nach seiner Gefangennahme quasi Hausarrest hatte. Kara betrachtet das eher mit gemischten Gefühlen, denn er kann zwar ohne Zweifel kochen und essbar sind seine Gerichte auch,... aber wirklich ein Genuss sind sie nicht. Er kocht fast ohne der Verwendung von Gewürzen was dem Geschmack oftmals eher abträglich ist. Wenn er nicht hinschaut, würzt sie heimlich etwas nach. Sie hat sich noch nicht getraut es ihm zu sagen, weil die befürchtet, dass er das Kochen dann aufgibt. Wenn er erfährt, dass jemand etwas besser kann als er, delegiert er die Arbeit nämlich üblicherweise nur noch. Bei einem Terminplan seines Ausmaßes ist das ein legitimes Vorgehen bei der Arbeit. Im Privatleben kann es jedoch ganz schön störend sein, denn er würde ihr diese Arbeit übertragen und deshalb hält sie auch lieber einfach den Mund. Nach dem Essen steht sie auf, um den Abwasch zu machen, doch Nico bittet sie, sich noch einmal zu setzen. Sie kommt dem nach und setzt sich ihm gegenüber. Er macht ein ernstes Gesicht und fragt sie ganz frei heraus: „Kara, was magst du eigentlich an mir?“ Er fragt das, weil er es wirklich nicht so genau weiß. Selbst für ihn ist Kara ziemlich undurchsichtig. Was ist wenn sie nur seinen gesellschaftlichen Stand, seine Macht an ihn liebt? Er vergisst den Gedanken gleich wieder, da sie ihm auch zur Seite stand, als er in Kalaß in Gefangenschaft geraten war. Sie lächelt sanft und schaut Nico aufrichtig und anmutig an. „Aber Nico, das weißt du doch. Wir sind zusammen aufgewachsen und ich liebe dich schon so lange ich denken kann. Weißt du nicht mehr, dass ich mit dir immer Hochzeit spielen wollte? Was glaubst du wohl wieso, hm? Das hörte nicht auf als du fort gingst. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als jemand zu sein der dir nützlich sein kann, um dir nachzureisen. Das Militär nimmt keine Frauen und ich gab den Wunsch auf wie meine Eltern Lehrerin zu werden, denn was soll eine Kalaßer Lehrerin in Roshea? Ich bin nur deinetwegen Ärztin geworden, denn Heiler werden überall gebraucht. Ich stellte mir vor du würdest in Kriegen kämpfen und verletzt werden und ich dich dann gesund Pflegen. Bescheuert, oder?“ Das wusste er nicht. Er macht einen verblüfften Gesichtsausdruck, schüttelt aber zu ihrer letzten Frage den Kopf und sie erzählt lächelnd weiter, während sie seine auf dem Tisch liegende Hand streichelt: „Ich bin mir sicher, dass du der Mann bist, für den ich geboren wurde.“ So etwas ähnliches sagte Nicos Großmutter immer zu ihm. Die beiden seien für einander bestimmt, meinte sie. Er ist sehr zufrieden mit der ausführlichen Antwort seiner Liebsten, auch wenn sie die Frage danach, was sie an ihm mag, eigentlich nicht richtig beantwortet hat. Darüber sieht er hinweg, denn ihre Erzählung war viel schöner und aufschlussreicher. Das bestärkt ihn in seinem Vorhaben ihr heute noch einen Antrag zu machen. Unter der Hand, die er auf dem Tisch liegen hat, befand sich das ganze Gespräch über schon der hochwertige Verlobungsring und nun schiebt er sie, weiterhin das Schmuckstück verdeckend, zu ihr hin. „Ich habe etwas für dich.“ sagt er, was sie überrascht. Geschenke bekommt sie selten, deshalb freut sie sich wie ein Kind. „Wo denn? Unter deiner Hand? Was soll denn da drunter passen?“ Sie denkt sich nichts weiter dabei, ist aber trotzdem aufgeregt. Diese süße Seite von Kara hat Nico bisher noch gar nicht an ihr kennen gelernt, denn meist tut sie so unnahbar. Er muss sich bemühen nichts durch seinen Gesichtsausdruck zu verraten. Neugierig hebt sie seine Hand langsam an und erkennt einen wunderschön gearbeiteten filigranen Ring, besetzt mit einem schimmernden Rubin, welcher der Farbe ihres bordeauxroten Haares ähnelt. Ihr Gesichtsausdruck wird ernst. „Nico, das ist doch nicht etwa ein…?“ Sie hat mit allem gerechnet, aber nicht damit. Nicht nach der kurzen Zeit, die sie jetzt erst ein Paar sind. Er streicht sich durchs Haar, nimmt dann den Ring und ergreift ihre Hand. Ernst und doch gleichzeitig weich erklärt er: „Kara, ich trage den tiefen egoistischen Wunsch in mir, für immer bei dir zu bleiben und dich zu beschützen und ich bin gewillt ihn in die Tat umzusetzen, wenn du es auch wünschst.“ Er ist ein Mann großer Worte und ganz genau deshalb sieht er davon ab jetzt eine romantische Rede für sie zu halten, um sie zu gewinnen, was er mit Leichtigkeit könnte. Er hat keinen Zweifel daran, dass sie zustimmen wird und spart sich den langen Monolog und auch den Kniefall, der in den letzten Jahren so populär geworden ist. Sie legt tatsächlich gar keinen Wert auf so etwas und ist auch von seiner knappen Umschreibung schon tief bewegt. „Das... das ist in Ordnung, also... das will ich auch...“ stammelt sie und verstummt, als er ihr den Ring an den linken Ringfinger steckt. Selten hat Kara sich so gut gefühlt wie sie es jetzt tut. Hat sie sich jemals schon so wohl gefühlt in ihrer Haut? Sie glaubt nicht. Jedenfalls erinnert sie sich nicht daran. Ihre unerfüllbare Sehnsucht nach einem unerreichbaren Mann hat sich in reale Liebe verwandelt und sie beginnt ganz neue Seiten an sich selbst zu entdecken, einfach nur so in den Tag hinein zu leben und ihre Gedanken schweifen zu lassen. Erstmalig denkt sie nicht nur an ihre Arbeit, sondern auch an ihr Zuhause, ihren Verlobten. Sie muss sich erst noch an die neue Situation gewöhnen. Nico hat ihr gesamtes Leben umgekrempelt. Die junge Frau nimmt sich seit dem etwas mehr Zeit für ihn und arbeitet nicht mehr bis tief in die Nacht. Jede Nacht nähern sich die beiden stärker an, ohne dass Kara immer wieder in ihren alten zurückhaltenden Zustand zurück verfällt. Nico weiß, dass er das richtige getan hat, denn Karas letzte Zweifel, sie könne nur eine Episode in seinem Leben sein, verschwinden vollständig. Somit sieht sie keinen Grund mehr auf die Eheschließung zu warten, denn dafür ist ihr Verlangen nach ihm jetzt viel zu groß geworden… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)