Der König von Kalaß von Elnaro ================================================================================ Kapitel 16: Hendryk und die Prinzessin -------------------------------------- Im Königreich Yoken haben sich unterdessen Yasane und Hendryk angefreundet. Wenn alle Pflichten des Tages erfüllt sind, trifft sie sich gern mit ihm am Nachmittag im großen Innenhof des Schlosses, so wie mit Nico zuvor. Es schneit in dicken Flocken und die beiden sitzen in warmen Mänteln eingehüllt gemeinsam im schneeweißen Schlossgarten auf einer Bank, wobei Yasane Hendryk stets zugewandt ist. Die beiden verstehen sich ziemlich gut, doch die meiste Zeit redet sie, was sie sich eigentlich anders vorgestellt hatte. Er ist ein guter und interessierter Zuhörer, der ihr intelligente Fragen stellt und Anmerkungen macht, des ist es für sie in Ordnung. Es ist schließlich besser als allein herumzusitzen. Manchmal erwischt sich die Prinzessin dabei, wie sie während ihrer Vorträge fast in seinen hellen, klaren Augen versinkt, was auch schon mal etwas peinlich wurde, weil die dadurch den roten Faden in ihrer Erzählung verlor. Gerade erklärt sie ihm, wie ihre Eltern seit einer Weile versuchen für sie einen würdigen Ehemann und Thronfolger zu finden. Dabei interessiert sich Yasane kein Stück für spießige Aristokraten, was ihren Eltern immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Mit Bürgerlichen kommt sie viel besser zurecht, was sie daran feststellt, dass sie mehr Freundschaften zu ihren Bediensteten pflegt, als zum Adel und Hen sei ein weiteres Beispiel dafür. In blumigen Worten erklärt sie ihm wer ihr schon alles als potentieller Ehemann untergejubelt werden sollte. Es ist eine ausgelassene Unterhaltung. „Der Adel ist üblicherweise schmächtig und langweilig. Alle jungen Aristokraten haben dieselben drögen Hobbys wie Lyrik, Kunst, Musik, wenn es gut kommt, dann einen ereignislosen Sport wie Krocket. Du weißt was Krocket ist? Man steht fast die ganze Zeit nur herum und versucht mit einem langen Schlegel und so wenig physischer Investition wie möglich, einen Ball durch kleine Tore zu stupsen. Wie kann ein junger Mensch nur freiwillig mit so etwas seine Zeit verschwenden? Aber ich erzähl dir mal was richtig verrücktes: Der dritte Prinz von Tanderan hat sich sogar seine Schuhe von seinen Bediensteten zubinden lassen. Ist das zu fassen? Und so was wird mir ernsthaft vorgeschlagen. Ich glaube es ging schon los als ich dreizehn war. Seit dem warte ich, dass mir mal einer begegnet, der interessant und gern auch aussehend ist, ...so einer wie du, Hen...“ Sie holt Luft und beobachtet dabei seine Reaktion. Sein Herz bleibt kurz stehen, denn Yasane ist plötzlich so unerwartet direkt und offensiv. Das hat Hendryk bei einer Frau noch nie erlebt. Er fühlt sich geschmeichelt, doch sie vervollständigt ihren Satz noch. „... nur muss er aus gutem Hause stammen, sonst darf ich ihn nicht heiraten.“ War das jetzt ein Kompliment oder nicht? Irgendwie fühlt es sich für ihn so an als habe sie gerade seine Eltern beleidigt. Verstimmt entgegnet er: „Yasane, ich glaube du solltest besser darüber nachdenken welche Gedanken du ausspricht und welche du besser für dich behalten hättest!“ Sie fühlt sich ertappt und lächelt unsicher. „Du bist einer der wenigen, der sich traut mir das zu sagen. Es stimmt, dass ich mit meinen Worten manchmal etwas zu voreilig bin, aber dass du das so offen heraus zu einer Prinzessin sagst, die du erst seit einer Woche kennst, zeigt mir dass du entweder keine Manieren hast oder du mich versuchst mit meinen eigenen Waffen zu schlagen, um mir auf diese Art beizubringen, wie sich das anfühlt. Hm, was wird es wohl sein? Du wirst es mir sowieso nicht sagen, also werde ich es versuchen selbst herauszufinden.“ Hendryk befürchtet, dass es wohl die mangelnden Manieren sind. Dabei hat sie doch selbst darauf bestanden von ihm Geduzt zu werden. Seit dem gibt er sich auch keine großartige Mühe mehr damit seine Worte auszuwählen, sondern er ist einfach er selbst und bisher schien sie das zu mögen. Yasane lehnt sich nach vorn, um Hendryk besser sehen zu können und streicht sich ihre Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hat jetzt genug vom Zuhören und würde den Ball gern abgeben, deshalb fordert sie ihn freundlich auf: „Jetzt habe ich dir schon so viel über mich erzählt. Ich möchte auch gern mehr von dir erfahren. Du könntest damit anfangen, dass du mir deine Version der Geschichte erzählst.“ Hendryk weiß genau worauf Yasane hinaus will, doch da er darüber nicht wirklich reden will, stellt er sich dumm. „Welcher Geschichte?“ Yasane weiß genau, dass das für Hendryk kein schönes Thema ist, deshalb grinst sie frech und präzisiert: „Na, die Dreiecksgeschichte zwischen dir, Kara und Nico.“ „Was soll es da zu erzählen geben? Kara ist seit vielen Jahren eine Freundin von mir. Als Nico auftauchte, verliebten sich die beiden. Ende.“ erläutert er. Das ist alles was er dazu zu sagen hat, doch damit will sich das Mädchen nicht zufrieden geben. Sie rutscht ein Stückchen an Hendryk heran und lächelt schelmisch. „Da hat mir Nico aber etwas ganz anderes erzählt.“ Sie schaut ihn herausfordernd an, doch er hat nach wie vor keine Lust darauf einzusteigen. „Was soll dir Nico schon erzählt haben? Ich glaub dir kein Wort. Du willst mich doch nur aus der Reserve locken.“ Yasane kichert: „Da kennst du Nico aber schlecht. Er hat mir einiges anvertraut. Als er hier ankam war er ja nicht mehr als ein Häufchen Elend, total am Boden zerstört. Erst mit meinen herausragenden therapeutischen Fähigkeiten habe ich ihn wieder kurieren können.“ Sie nickt selbstsicher und Hendryk denkt sogar ernsthaft über ihre Worte nach. Was sie sagt ergibt zumindest einen Sinn, doch er will es ihr trotzdem nicht glauben. Immer noch zweifelnd fordert er: „Gut, dann beweise es!“ Sie lacht und beginnt zu erzählen: „Haha, nichts leichter als das. Also, Nico hat es mir so erzählt. Er kehrte nach langer Zeit zurück nach Kalaß, wo seine Sandkastenliebe zu Kara entflammte. Du hast ihm dann den Vorrang gelassen, hast sie aber auch geliebt. Irgendwann wurde Kara gefangen genommen und Nico spielte den Helden, pennte dann aber dummerweise mit der Königin und kehrte reumütig zurück zu seiner Freundin. Sie war daraufhin total sauer auf ihn, weshalb er Kalaß verließ. Er war fertig mit den Nerven, weil er dachte sie hätte sich danach für dich entschieden. Es hat sich ja dann herausgestellt, dass es nicht so war. Hen, ich bin der Meinung das wäre deine Chance gewesen. Warum bist du nicht aktiv geworden?“ Hendryk stutzt und gibt keine Antwort auf ihre hoffentlich rhetorische Frage. Sie erklärt weiter: „Schlussendlich versöhnten sich die beiden wieder und du hast sogar dabei geholfen. Also Nicos Version zufolge hast du es ihm ganz schön leicht gemacht. Eine Konkurrenz warst du für ihn nie. Für eine Frau zu kämpfen sieht für mich aber auch wirklich anders aus. Jetzt erklär mir doch mal was ich davon halten soll?“ Yasane gibt Nicos wahre Schilderungen sehr großzügig interpretiert wieder und formuliert sie absichtlich überspitzt, um den verschlossenen, aber leicht reizbaren Hendryk dazu zu bewegen ein paar Informationen von sich aus preiszugeben. Ihn nett darum zu bitten wird bei ihm nämlich nichts nützen. Während Yasane erzählte, ist er tatsächlich fast von der Bank gekippt. Er kann nicht glauben, dass sie das alles weiß, vor allem das mit Königin Estell, doch sie hat es alle so falsch wiedergegeben. Hat Nico ihr erzählt er sei keine Konkurrenz gewesen? Der Kerl mag überheblich sein, aber so link hat er ihn nicht eingeschätzt. Ganz davon abgesehen, wie steht er denn jetzt vor Yasane da? Er kommt sich vor wie ein Versager und wie sollte es auch anders sein, macht ihn das sauer. Er steht von der Bank auf, vergreift sich etwas im Ton und raunt: „Wie bitte? Ich soll es ihm leicht gemacht haben? Wenn er das gesagt hat, dann hat Nico gelogen! Und außerdem Yasane, es so zusammen zufassen ist einfach nur taktlos von dir… Verdammt nochmal, woher weißt du das alles?“ Yasane lässt sich nicht einschüchtern. Hendryk ist so laut geworden, dass einige Bedienstete begonnen haben die Szene aufmerksam zu beobachten, um einschreiten zu können. Die Prinzessin macht eine beschwichtigende Handbewegung in Richtung Wachposten und kichert. „Das sagte ich doch bereits, von Nico.“ Der junge Botschafter bemerkt, dass er in seiner Umgebung starke Aufmerksamkeit erregt hat und kritisch beäugt wird. Er beruhigt sich ein wenig, ist aber trotzdem immer noch aufgebracht. „Aber, so war das nicht. Außerdem hatte Kara schließlich auch noch ein Wörtchen mitzureden, oder nicht?“ Yasane wird fordernd: „Dann erzähl mir doch wie es wirklich war.“ Er atmet schwer aus und setzt sich wieder auf die Bank neben sie. „Oh Mann, wenn du unbedingt etwas wissen willst dann frag präziser! Such dir eine Sache raus und gib dann Ruhe. Ich erzähl dir hier nicht meine Lebensgeschichte.“ Yasane freut sich. Sie denkt kurz nach und fragt dann: „Es gibt etwas, das mich besonders interessiert. Ich glaube nicht mal Nico weiß da so richtig Bescheid. Waren Kara und du nun ein Paar, oder nicht? Und wenn ja, wart ihr es auch noch, als Nico zurück in die Stadt kam?“ Hendryk wird wieder aufgekratzter. „Orrr, Yasane! Was ist das denn für eine Frage? Wieso sollte dich das was angehen?“ Sie schaukelt mit ihren Beinen, was eine Spur im Schnee hinterlässt. Sie sieht dabei in Richtung Himmel. Kleine Schneeflocken fallen ihr aufs Gesicht, die unmittelbar beginnen zu schmelzen und winzig kleine Tröpfchen bilden, was sie etwas kitzelt. Sie wischt sie weg und erklärt mit unerschütterlich guter Laune: „Ach komm schon. Das sind zwei ganz klare und präzise Fragen, die du nur mit ja oder nein beantworten kannst.“ Hendryk schaut von ihr weg. Sein Blick ist starr auf eine weiße leere Schneefläche gerichtet. Er atmet schwer aus und gibt zu: „Nein, wir waren nicht zusammen. Damit erübrigt sich die zweite Frage.“ Was die Prinzessin nicht überrascht. Sie hört auf mit den Beinen zu schaukeln und schaut sich ihren Gesprächspartner genau an, der ihren Blick meidet. „Ihr hattet gar keinen näheren Körperkontakt, oder? Und einen anderen Freund hatte Kara auch noch nicht.“ Er reagier nicht mehr, doch aus seinem Schweigen deutet sie was sie braucht. „Hab ich es doch gewusst!“ ruft das Mädchen plötzlich, worauf er noch etwas verärgert nachfragt: „Was hast du gewusst?“ „Sie ist prüde“ entgegnet sie keck. Überrascht zuckt er etwas zusammen. Er sieht sie im Augenwinkel an und nickt leicht anerkennend. „Naja, das ist keine schlechte Ferndiagnose.“ „Sag ich ja. Aber eins musst du mir noch erklären. Wieso hast du es ihr all die Jahre nicht gesagt?“ Er setzt sich aufrecht, schaut aber immer noch ins Leere. Er beginnt leise zu sprechen: „Ich hab es doch selbst nicht gemerkt. Erst als Nico dazwischen gefunkt hat…“ Warum er das jetzt zugegeben hat, kann er nicht erklären und er ringt sich dazu durch Yasane sogar noch mehr über sich zu offenbaren und das ist mehr als jedem anderen jemals zuvor. „Es gab da ein Schlüsselerlebnis. Kara, ich und eine andere Arzthelferin waren gerade auf einem Patientenbesuch. Da gerieten wir in eine Routinekontrolle, die Nico anführte. Er sah Kara dort das erste Mal wieder, nachdem er abgehauen war. Schon dafür wie er sie musterte, hätte ich ihm eine ballern können. Ich muss es so sagen, denn es war so. Er versuchte sich an sie ran zu machen und dann ging es mit mir durch. Ich schrie den Kerl an er solle seine dreckigen Finger von meinem Mädchen lassen und wollte ausholen, aber seine Handlanger fanden das nicht so lustig, hielten mich sofort fest und brüllten mich an, wie ich es wagen könnte, so mit ihrem Hauptmann zu sprechen. Erst da wurde mir bewusst, was er für ein hohes Tier war. Er pfiff seine Leute zurück und sagte überheblich zu Kara er freue sich für sie, dass es jemanden gäbe, der sie beschützt und sich um sie kümmert. Für diesen Satz könnte ich ihm heute noch eine rein hauen. Die Art wie er sie dabei angesehen hat, war unerträglich. Von diesem Tag an hasste ich ihn, doch bei Kara war es wohl umgekehrt. Hinterher, fragte ich sie ob sie den Typen gekannt hat und sie erklärte etwas, doch ich hab ihr gar nicht richtig zugehört. Ich wusste nur, es war derselbe, der sie als Kind zurückgelassen hatte. Oh Mann, Ich brannte vor Eifersucht. Ich hatte Nico angebrüllt, er solle mein Mädchen in Ruhe lassen, dabei war sie das nichtmal. Fast zehn Jahre lang war ich mit ihr enger befreundet als jeder andere. Wir gehörten einfach zusammen und basta und dann kommt da irgendein Geist aus ihrer Vergangenheit und nimmt sie mir einfach weg. Ich meine, klar, er ist schon auch ein cooler Typ, und so. Eigentlich ganz nett, aufopferungsvoll, erfolgreich, gutaussehend. Was soll ich da schon machen? Andererseits ist er aber auch unerträglich arrogant und selbstgerecht. Aber scheinbar stehen Frauen auf sowas. Keine Ahnung. Auf jeden Fall akzeptiere ich Karas Entscheidung. Ich will, dass sie glücklich ist, deshalb hab ich sie eine Entscheidung treffen lassen und ich habe sie akzeptiert. Die Sache ist für mich abgeschlossen… Ach verdammt, Yasane, warum erzähl ich dir das überhaupt?“ Yasane macht einen betroffenes Gesicht. Sie empfindet ehrliches Mitgefühl für ihn, denn sie fand seine Nacherzählung sehr gut nachvollziehbar und kann ihn jetzt auch viel besser verstehen. Am liebsten würde sie sich an ihn lehnen, vielleicht ihren Arm um ihn legen, doch zwischen den beiden herrscht eine, für ihren Stand angemessene körperliche Distanz. „Danke, dass du dich mir geöffnet hast... Ach Hen, lass mich dir helfen, wenn ich darf.“ Er ärgert sich jetzt schon ihr das alles erzählt zu haben, daher antwortet er nicht, doch sie fährt trotzdem fort. „Ich glaube nämlich, du siehst das alles zu verbissen. Ja, leicht gesagt, ich weiß. Du solltest versuchen die Geschichte aus einer anderen Perspektive zu sehen.“ Mit ruhiger, aber noch immer verstimmter Stimme fragt er sie: „Und wie soll das gehen?“ Sie versucht es ihm möglichst verständnisvoll beizubringen. „Also ich finde du bist auch nett, aufopferungsvoll und gut aussehend. Nur am Erfolg ließe sich noch arbeiten, aber du bist doch auch noch viel jünger als Nico. Dafür bist du zudem weder arrogant, noch selbstgerecht. So gesehen bist du ihm schon mal nicht unterlegen. Ganz im Gegenteil, denn ich finde du hast ein viel größeres Herz als er. Er hätte sich nie aus Rücksicht zurück gezogen, wenn noch Hoffnung besteht.“ Hendryk hat dazu nichts zu sagen. „Mach dich nicht klein neben ihm! Das hast du überhaupt nicht nötig.“ Empfiehlt Yasane, die sich dabei zu ihm vor beugt, um sein Gesicht zu sehen, das er konsequent von ihr weg dreht. Er flüstert kaum hörbar: „Findest du?“ Yasane lächelt zuversichtlich. Da ist er doch, der weiche Kern, den sie in seinem Inneren vermutet hat. Sie nickt freudestrahlend. „Na, auf jeden Fall und was Kara angeht denke ich, dass du einen total verklärten Blick hast. Versteh doch, hätte die Frau dich gewollt, dann hättest du das schon gemerkt. Ich glaube, du hattest nie eine echte Chance bei ihr. Selbst als sie wusste, dass du sie magst, hat sie sich trotzdem noch gegen dich entschieden, obwohl ihr euch so nahe standet. Nur angenommen, ihr währt ein Paar gewesen als Nico in die Stadt zurückkehrte, glaubst du wirklich du hättest sie halten können, so wie es zwischen den beiden gefunkt hat? Als Außenstehende sehe ich das wahrscheinlich klarer als du, aber die beiden gehören einfach zusammen.“ Hendryk schaut desillusioniert zu Boden. „Machst du es dir da nicht zu einfach?“ Wenn sie damit Recht hat, dann beantwortet das die Frage, die ihn in der letzten Zeit so gequält hat. Die ob es etwas geändert hätte es Kara früher zu sagen. Die freche Prinzessin grinst ihren Gast schelmisch an. „Nein, ist nicht zu einfach, sondern die Faktenlage. So lautet Doktor Yasanes Diagnose.“ Hendryk schüttelt den Kopf. Ihr dummer Spruch reißt ihn aus seinem melancholischen Zustand. „Du bist unmöglich.“ „Gar nicht. Dafür habe ich gerade einen neuen Grundsatz entdeckt, den ich mir aufschreiben solle. Liebe ist stärker als Gerechtigkeit.“ Yasane will Hendryk mit ihren Worten aufbauen und er lächelt sogar ein wenig. „Und, hat es dir nicht doch wenigstens ein kleines bisschen geholfen darüber zu sprechen?“ fragt sie anschließend überzeugt von ihrer Therapiemethode. Der junge Mann, der bis eben etwas geknickt war, richtet sich wieder auf und sieht sie direkt und sogar ein bisschen frech an, als er dementiert: „Oh nein Yasane, diese Genugtuung werde ich dir nicht verschaffen.“ Yasane macht ein eingeschnapptes Gesicht und ruft empört: „Wieso nicht?“ „Weil du ein hinterlistiges kleines Weib bist, deswegen.“ schimpft er gespielt. Er muss über sie lachen und sie stimmt mit ein. Sie weiß genau, dass sie ihm geholfen hat, auch wenn er es nicht zugeben will. Glücklich über ihre Leistung springt von der Bank auf und hüpft dann noch ein Stück von Hendryk weg, was etwas Schnee aufwirbelt. Sie muss noch etwas zugeben, bevor sie geht. „Ich muss das jetzt noch klar stellen. Ich will Nico nichts anhängen. Um ehrlich zu sein hat er gar nichts Schlechtes über dich gesagt. Ich habe mir einiges einfach so zusammengereimt, um dich zu provozieren es korrigieren. Sei bitte nicht böse auf mich, ja?“ „Waaas? Du kleines Biest! Ich war deshalb schon wieder sauer auf ihn. Pah, ich erzähl dir nochmal was?“ Brüllt er entsetzt, bevor er auch aufsteht und einen großen Schritt in ihre Richtung macht. Am liebsten würde er sie jetzt in den Schnell schupsen, doch Sie läuft schnell vor ihm weg ins Schloss und lacht dabei ausgelassen vor sich hin. Er sieht ihr mit einem fassungslosen leichten Lächeln auf dem Gesicht nach. Eigentlich sollte er böse auf die verzogene Prinzessin sein, doch er kann es einfach nicht. Sie ist gewitzt und hat ihm eine Falle gestellt, in die er unversehens getappt ist. Es stimmt ja auch. Aus ihm bekommt man nichts heraus, wenn man sich nicht geschickt anstellt. Mit Kara hat er eigentlich nie solche Gespräche geführt. Erst jetzt zum Schluss musste er sich ihr gezwungenermaßen einmal offenbaren. Hendryk ist davon überzeugt, dass die Prinzessin von Yoken nur zum Zeitvertreib mit ihm spielt. Er glaubt nicht, dass sie es mit ihm ernst meinen könnte, deshalb gibt er nicht viel auf ihre verbalen Annäherungsversuche und geht schon gar nicht darauf ein. Warum er ihr trotz dieser Gewissheit so viel von sich preisgibt, kann er sich nicht erklären, deshalb ärgert er sich sehr über seine Redseligkeit. Wie schon zuvor bei Nico, beobachten König Miikal und Königin Mariella manchmal von ihrem Kaminzimmer aus wie sich Yasane mit Hendryk im Innenhof des Schlosses trifft. So viel Interesse an den politischen Gästen des Königshauses hat die Prinzessin bisher noch nie gezeigt. Ihre Eltern sind deshalb einigermaßen verwundert. Die Königin steht am Fenster und schaut auf den Innenhof herab während der König gerade den Raum betritt. Mariella wendet sich zu ihm um: „Miikal, komm bitte ans Fenster! Hast du bemerkt, wie sie den neuen Botschafter ansieht? Manchmal fixiert sie ihn Minutenlang. Da ist doch was im Busch.“ Der König kommt der Bitte seiner Gemahlin nach und schreitet gelassen zu ihr. „Ach ja, unsere süße Yasane. Das ist mir durchaus aufgefallen.“ Mariella sagt besorgt: „Hast du diesen Blick schon jemals an ihr gesehen? Ich glaube sie meint es ernst. Was sollen wir nur tun? Wenn wir ihr alles verbieten, wird sie niemals glücklich werden.“ Der König stellt sich selbstbewusst und unerschütterlich neben sie. „Beruhige dich, Mariella. Wir werden sie schon nicht einsam sterben lassen. Wenn es notwendig sein sollte, dann müssen wir das undenkbare eben denkbar machen. Doch noch ist es nicht soweit. Ich erwarte in Kürze den Besuch eines jungen Aristokraten, der bisher noch nicht bei uns vorstellig geworden ist. Im Briefverkehr machte er einen guten Eindruck. Warten wir das Treffen erst einmal ab und sehen dann weiter.“ Die Königin nickt beschwichtigt und entgegnet: „Du bist einfach zu warmherzig, Miikal.“ Doch sie ist mit seiner Entscheidung absolut einverstanden. Als Yasane alleine im Schloss ankommt, denkt sie über die beiden Männer nach. Sie hat jetzt fast dasselbe Gespräch einmal mit Hendryk und einmal mit Nico geführt. Ihr ist aufgefallen wie unterschiedlich die beiden Charaktere sind. Hendryks Verschlossenheit spornt sie zu Höchstleistungen an. Er ist eine deutlich härtere Nuss als Nico und das fordert sie nur noch mehr heraus, was ihr gut gefällt. Hendryks Vertrauen zu ihr und keinem anderen sonst, macht sie zu etwas Besonderem. Sie hat das nicht erreicht, weil sie eine Prinzessin ist, sondern weil sie es sich selbst erarbeitet hat. Das macht sie richtig stolz. Immer noch total euphorisch macht sie sich auf den Weg in die Schlossbibliothek. Sie hatte heute ein Erfolgserlebnis und glaubt gleich noch ein weiteres hinzufügen zu können. Sie hatte Nico versprochen nach einem Bild zu recherchieren, auf dem ein Mann mit einem Schimmern in den Augen zu sehen ist, die Ähnlichkeit zu denen Nicos aufweisen. Die Bibliothek besteht aus einem einzigen, riesigen Saal, der an den Wänden mit mehrgeschossigen Bücherregalreihen versehen ist. Im Erdgeschoss stehen jedoch keine Bücher, sondern hier wurden Gemälde angebracht, welche die Geschichte des Königreichs Yoken illustrieren. In der Mitte des Saals steht ein einzelner Arbeitstisch, über dem, weit oben in der Decke, ein Buntglasfenster eingelassen ist, das als einzige Lichtquelle im Raum fungiert. In der Bibliothek ist es so kalt, dass Yasane ihren Mantel gar nicht erst ablegt. Sie überlegt wo sie so hochwertiges Bildmaterial finden kann, dass Feinheiten wie ein Schimmern in den Augen überhaupt erkennbar sind. In der zweiten Ebene stehen auf der rechten Seite Geschichtsbücher und auf der Linken Historienromane, die sie selbstverständlich alle bereits gelesen hat. Sie beschließt mit ihrer Suche hier zu beginnen, steigt eine Holztreppe mit sehr schmalen Stufen hinauf, was mit ihrem dicken Mantel eine Herausforderung darstellt und nimmt einige Bücher aus den Regalen, die sie flüchtig aufschlägt. Es nützt nichts. Hier kann sie das Bild nicht gesehen haben. Selbst die hochwertigsten Holzschnitte und Kupferstiche in den Büchern vermögen solche Details nicht abzubilden. Etwas desillusioniert steigt sie eine Etage weiter hinauf zu Büchern aus den Bereichen der Sagen, Mythen, Legenden und Göttergeschichten. Sie nimmt ihr Lieblingsbuch aus den Ragal, die „Antatia Mande“, Göttermythologie in unserer Sprache. Darin werden anekdotenartig Kurzgeschichten zu den vier Göttern erzählt: Fuathel, Ahanani, Phantakare und Kawanata. Sie nimmt es mit nach unten, setzt sich an den einsamen, großen Tisch und schmökert eine Weile. Yasane fand die vier Götter schon als Kind faszinierend. Kaum jemand hängt noch der Religion nach oder geht in eine Kathedrale, um den Göttern näher zu sein und trotzdem werden diese alten Gemäuer erhalten und gepflegt. Wahrscheinlich weil man Angst davor hat die Götter zu erzürnen, so viel Aberglaube muss sein. In Deskend steht die Kathedrale des Feuergottes Phantakare. Mehr Sympathien hegt Yasane jedoch für den Windgott Fuathel, der einige Zeit auf der Erde unter den Menschen gelebt haben soll. Die Geschichten zu seinem irdischen Aufenthalt findet sie in diesem Buch. Darin heißt es sogar er habe ein Kind mit einer sterblichen Frau gezeugt, einen Halbgott also. Was für eine verrückte Vorstellung. Yasane schmökert, in den Geschichten, als sie halb in ihnen versunken aufschaut und eines der Gemälde an den Wänden bemerkt, auf dem neben dem jungen König Nienna, dem Herrscher von Yoken zu Zeiten der letzten Kriege, auch ein violetthaariger Mann zu sehen ist, der sich widerwillig vor König Nienna verneigt. Sie schreckt auf. Natürlich! Hier hat sie den Mann mit den merkwürdigen Augen gesehen. Sie legt das Buch bei Seite und sieht sich das Bild genauer an. Der sich verneigende Mann ist niemand anderer als König Ramon, der Gefallene König von Kalaß kurz nach der Auflösung seines Königreiches. Sein Gesicht liegt nicht in Demut wie das eines besiegten Mannes. Er hat einen überheblichen Blick in seinen ungewöhnlich funkelnden Augen. Doch nicht nur seine unverwechselbaren blauen Augen, auch die violetten Haare und überhaupt alles an dem Mann auf dem Gemälde erinnert sie an Nico. Ob König Ramon ein Vorfahr von Nico sein kann? Es klingt unwahrscheinlich, doch nicht unmöglich. Die Kinder Ramons haben schließlich in Kalaß weiter gelebt. Doch, sollte Nico von so einer edlen Abstammung nicht eigentlich wissen? Yasane grübelt ein wenig. Sie nimmt sich vor mit niemandem über ihre Vermutung zu sprechen, bevor sie nicht mit Nico persönlich darüber gesprochen hat. Die „Antatia Mande“ stellt sie nicht wieder zurück und verlässt damit die Bibliothek. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)