Zum Inhalt der Seite

Der König von Kalaß

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein Botschafter in der Fremde II

Ein grünes Wachssiegel mit dem kalaßer Pfauenmotiv ziert einen handschriftlichen Brief Farsa Genas, der Nico beglaubigt im offiziellen Amt eines kalaßer Botschafters zu reisen. Zwar wurde das übliche Prozedere der schriftlichen Ankündigung eines Gesandten nicht eingehalten, doch der deskender Königshof ist nicht dafür bekannt besonders viel Wert auf unflexibler Vorgehensmodelle zu legen. Besonders jetzt, wo der Konflikt mit Roshea als beigelegt gilt, erwartet man am Hof sogar den ein oder anderen Besucher.

Völlig problemlos wird der junge Botschafter also in den weitläufigen Schlosspark und anschließend auch in das recht neu wirkende Schlossgebäude eingelassen. Er tritt in einen großen, überwiegend in Rot gehaltenen Empfangssaal, der völlig ohne Säulen auskommt, was Nico bei dieser Raumgröße noch nie gesehen hat. Riesige Fensterfronten spenden eine Menge natürlichen Lichts, was den eher dunkel ausgestalteten Saal nicht düster wirken lässt. Beeindruckt von der Architektur läuft Nico über einen roten Teppichboden auf das Königspaar am anderen Ende des Raumes zu. Sie sitzen nicht wie gewöhnlich auf einem Podest, sondern auf normaler Bodenhöhe auf gepolsterten, mit rotem Velours bespannten Stühlen, von denen ein Dritter frei steht. Der auf dem rechten Stuhl sitzende König erhebt sich von seinem Platz, als er den Botschafter empfängt. Er ist um die fünfzig und wie der Rest des Königshauses, überraschend schlicht gekleidet, was Nico äußert sympathisch findet. Unterstrichen wird sein Eindruck durch sein rundliches Gesicht, das gut zu seinem etwas kräftigerem Körper passt, welches ihn sehr freundlich aussehen lässt. Seine Frau wirkt jung, doch einige Faltenansätze verraten ihr wahres Alter, das Nico als etwa zehn Jahre jünger als ihren Gatten einschätzt, obwohl ihr Haar so hell ist, dass man es schon als Weiß bezeichnen könnte. Sie trägt es offen, fixiert ihre vorderen Haarsträhnen jedoch elegant am Hinterkopf. Hinter den beiden steht die Prinzessin, ein hübsches Mädchen, das Nico ehrlicherweise als erstes bemerkt, sich jedoch für eine nähere Betrachtung bis zum Ende aufgehoben hat, denn sie ist in vielerlei Hinsicht besonders. Ihm drängt sich der Eindruck auf, sie mache gerade eine rebellische Phase durch, denn sie trägt ihr welliges, erdbeerblondes Haar recht wild offen, das sogar eines ihrer funkelnden smaragdgrünen Augen verdeckt. Weitere Indizien sind ihr schwarzes, kurzes Kleid mit dem Nietengürtel und ihre in die Hüften gestemmten Arme. Mit einem äußerst interessierten Blick beäugt das Mädchen den fremden Neuankömmling von oben bis unten.

Nico bleibt auf gebührlichem Abstand stehen und wird von einem Hofdiener, der hinter ihm her lief und nun zu König eilt, als Gesandter von Kalaß vorgestellt, ohne dass sein Name dabei genannt wird. Diesen hat er nämlich bisher für sich behalten. Der noch immer aufrecht stehende König begrüßt ihn sehr freundlich mit den Worten:

„Seid mir gegrüßt, Botschafter von Kalaß. Welche Kunde bringen Sie uns?“

Wie Nico es vom Militär gewohnt ist, steht er sicher und aufrecht vor der Königsfamilie und beginnt seine Ansprache.

„Werte Majestäten, König Miikal und Königin Mariella, werte königliche Hoheit, Prinzessin Yasane.“

Nico schaut jeden einzelnen an, während er ihn oder sie anspricht, was die junge Prinzessin sichtlich überrascht. Normalerweise wird sie an dieser Stelle nämlich vergessen und nun ist sie ist Feuer und Flamme für den hübschen Fremden.

Nico spricht in deutlichen Ton weiter:

„Ich gehe davon aus, dass dem Königreich Yoken die fröhliche Kunde vom Ende der Besatzung Kalaßes bereits zugetragen wurde.“

Da er eine Pause macht, antwortet König Miikal erfreut:

„Aber natürlich. Laut unseren Informationen geschah das auf Verdienst eines Einzelnen. Das ist doch richtig, oder? Wir wissen, dass die Besetzung in erster Linie dazu galt uns einzuschüchtern. Nicht nur Kalaß, sondern auch wir sind dieser einzelnen Person zu großem Dank verpflichtet, denn die braven Bürger das Königreichs Yoken litten sehr unter der ständigen Bedrohung direkt an unseren Grenzen.“

Die Sätze des Königs machen Nico etwas nervös, denn wenn herauskommt, dass dieser benannte Einzelne hier vor ihm steht, wird er auch hier stärker in den Mittelpunkt rücken, als es ihm in seinem momentanen Zustand lieb ist. Ohne weiter darauf einzugehen, erklärt er:

„Ich möchte Euch gern Einzelheiten zum Zustand von Kalaß überbringen und eventuell über eine gemeinsame Zukunft mit Yoken nachdenken.“

Freudig verkündet der König daraufhin:

„Sehr gern, Herr Botschafter. Ich brenne darauf zu erfahren was passiert ist, doch erholen Sie sich doch zunächst von der beschwerlichen Reise und kommen um fünf zu mir in meinen Beratungsraum. Meine Bediensteten werden Ihnen eine Mahlzeit servieren und ein Quartier zuweisen.“

Nico bedankt sich höflich. Er ist äußerst positiv überrascht vom Königshaus von Yoken, denn ganz im Gegensatz zum elitären Nalita, herrscht hier eine lockere und positive Atmosphäre.
 

Der kalaßer Botschafter erhält eine Mahlzeit und hat danach eine Stunde Ruhe für sich, was ihm überhaupt nicht gut tut. Er legt sich aufs Bett seines schicken in Rot gehaltenen Gästezimmers und starrt gedankenverloren die kirschbaumfarbene Kassettendecke an. Er kommt ins Grübeln was er hätte besser machen sollen...nein, besser machen müssen, um seine große Liebe Kara nicht zu verlieren und seine Stimmung verdunkelt sich. Pünktlich fünf vor fünf klopft es an seiner Tür und er wird von einem Bediensteten zu den Privatgemächern des Königs geführt.

Der Beratungsraum ist nicht besonders groß und wird, wie alles hier, von roten und braunen Tönen dominiert. Die großen Fenster haben aufgehört Licht zu spenden, denn es wird gerade dunkel, weshalb die roten schweren Vorhänge zugezogen werden. Wenn Nico ehrlich zu sich ist, fühlt er sich gerade gar nicht danach etwas über die Geschehnisse in Kalaß zu erzählen. Viel lieber würde er gleich wieder verschwinden, sich ein Pferd schnappen und davonreiten, doch das geht nicht. Er hat eine persönliche Audienz beim König von Yoken erhalten und die muss er nun auch nutzen. Leider kann er nicht aus sich heraus und seine schlechte Laune überspielen. Unglücklich mit der Situation fährt er sich durch das Haar, was König Miikal genau beobachtet. Er bittet darauf hin seinen Gast an einem kleinen Beratungstisch Platz zu nehmen und setzt sich selbst gegenüber. Mit besonders interessiertem Blick fragt er scharf:

„Herr Botschafter, es nützt nichts Ihnen etwas vor zu machen. Am meisten interessiert mich die Heldengeschichte, die hinter der Befreiung stecken muss. Sie kennen den Mann, nicht wahr? Mir wurde zugetragen er sei Hauptmann unter Königin Estell gewesen. Erzählen Sie mir von ihm!“

Nico schaut den König mit eingefrorener Miene an, ohne zu reagieren, weshalb sich der König nun taktlos vorkommt.

„Oh, entschuldigen Sie, dass ich so mit der Tür ins Haus falle. Ich habe Sie noch nicht nach Ihrem Namen gefragt. Bisher weiß ich nur, dass Sie der Gesandte von Kalaß sind. Das war sehr unhöflich.“

Nico hat noch kein Wort gesagt, seit er im Beratungsraum empfangen wurde, was viel unhöflicher war, als diese Frage, doch der König von Yoken entschuldigt sich bei ihm, nur wegen eines finsteren Blickes. Nicos Gedanken kreisen um seine eigene Erscheinung, denn er selbst ist nur irgend ein Botschafter, doch ein wahrer König ordnet sich seiner Laune unter. Estell, so widerwärtig sie auch sein mag, schien nicht mit allem falsch zu liegen was sie sagte. Erst sie, dann König Riecard und nun auch König Miikal scheinen sich seinem Willen zu unterwerfen, wenn er sich das wünscht. Er muss in Ruhe nochmal über diese Sache nachdenken, denn jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Seine Identität kann er jedenfalls nicht länger schützen und gibt zu:

„Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Eure Majestät. Mein Name ist Nico Dugar.“

Weshalb der König noch stutziger wird, als er es zuvor schon war. Er schaut in die Luft und überlegt.

„Dugar… Dugar… Den Namen hab ich doch schon mal gehört und zwar erst vor ein paar Tagen...

Jetzt weiß ich es. Das ist der Name, der geflüstert wird, der des Befreiers, Hauptmann Dugar. Sie sind es doch nicht etwa selbst? Sind Sie Hauptmann Dugar? Der Hauptmann Dugar?“

Nico antwortet angespannt:

„Kein Hauptmann mehr, aber...genau der bin ich.“

Freundlich, etwas hektisch und aufgelöst richtet der König ein „Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick“ an seinen Gast.

Danach steht er von seinem Stuhl auf und verlässt den Raum zügig und bester Stimmung. An der Tür stehend ruft er aufgeregt laut:

„Mariella! Yasane! Kommt bitte schnell her!“

Die beiden Damen eilen herbei, denn wenn der König ruft, dann muss es etwas wichtiges sein. Bestürzt fragt Mariella was denn los sei und der König flüstert zu ihr, so dass es auch seine Tochter hören kann:

„Sie haben uns aus Kalaß nicht irgendwen geschickt. Das ist nicht irgendeinen Gesandter, sondern der Held höchst persönlich der Kalaß befreit hat, der dessen Name überall geflüstert wird -Hauptmann Dugar, auch wenn er jetzt kein Hauptmann mehr ist, sagt er. Ha, verständlicherweise.“

Die beiden Frauen versuchen überrascht, aber auch möglichst unauffällig zu Nico zu schauen, der ihre Blicke bemerkt und aufrecht erwidert. Wäre er guter Stimmung, würde er den Damen zuzwinkern, doch das ist er nicht. Aus Yasane platzt es heraus, weshalb sie freudestrahlend verkündet:

„Ich wusste gleich, dass er etwas Besonderes ist.“

„Reiß dich bitte zusammen, Yasane.“

Maßregelt ihre Mutter das Mädchen und diese erwidert leicht genervt:

„Was denn? Endlich passiert hier mal was und ich darf mich nicht darüber freuen?“

Königin Mariella versucht sanfter und schlichtend zu erklären warum sie das von ihrer Tochter verlangt:

„Freu dich bitte so, wie es für eine Prinzessin angemessen ist, sonst finden wir nie ein Ehemann für dich, mein Liebling.“

Nach einer kurzen Pause des Schweigens antwortet Yasane kleinlaut:

„Ja, Mutter.“

Heimlich rollt die junge Thronfolgerin mit den Augen, denn sie wüsste nicht wieso sie unbedingt einen braucht. Dann betreten die drei den Beratungsraum und die Königin begrüßt Nico noch einmal besonders freundlich.

„Es ist mir wirklich eine Ehre Sie kennen zu lernen, Herr Dugar.“

„Ganz meinerseits, Majestät.“

entgegnet er etwas sanfter als zuvor. Prinzessin Yasane, die die Lektion von eben schon wieder vergessen zu haben scheint, begrüßt den Gast jedoch mit funkelnden Augen und den Worten:

„Hallo, ich hoffe dir gefällt es hier bei uns. Kannst nämlich gern noch eine Weile bleiben.“

weswegen die Königin ihre Tochter mit finsterem Blick leicht mit dem Ellenbogen anstößt, die leis „Jaja, ist ja schon gut“ murmelt. Etwas verdutzt, antwortet Nico noch etwas freundlicher als zuvor:

„Es ist schön hier. Danke für Euer großzügiges Angebot, Prinzessin.“

Sie kichert und wendet sich danach fordernd an ihren Vater:

„Ich will bei der Beratung dabei sein! Bitte Vater, darf ich?“

Königin Mariella atmet schwer aus und schüttelt dabei ihren Kopf, doch König Miikal reagiert verständnisvoll auf die Bitte seiner Tochter.

„Wenn Herr Dugar nichts dagegen hat, dann dürft ihr beide bleiben.“

schlägt er vor und Yasane, aber auch Mariella richten einen erwartungsvollen Blick an Nico der, nun endlich lächelnd, erwidert:

„Wieso sollte ich etwas dagegen haben?“

Die beiden Frauen freuen sich und setzen sich mit an den Tisch. Die drei fixieren ihren Gast gespannt und der König richtet das Wort wieder an ihn.

„Wie Sie merken, Herr Dugar, sind wir besonders daran interessiert zu erfahren, wie Sie die Besatzungsmacht vertrieben haben. Danach können wir gern über den politischen und wirtschaftlichen Zustand sowie Standpunkt von Kalaß und eine mögliche Zusammenarbeit sprechen.“

Nico hat nach wie vor keine Lust über diese Geschichte zu sprechen, denn sie belastet ihn viel zu sehr, doch ihm bleibt keine Wahl. Etwas resigniert antwortet er schließlich:

„Dann muss die Politik wohl noch etwas warten... Nungut, ich beginne mit der Vorgeschichte, damit es ein wenig verständlicher wird.“

Die Königsfamilie hängt ihm gespannt an den Lippen.

„Ich wuchs in Kalaß auf, verließ die Stadt aber als meine letzte lebende Verwandte starb. Beim Königlich Rosheanischen Militär fühlte ich mich gut aufgehoben und stieg schnell zum Offizier auf, war auch viele Jahre in Aranor stationiert. Nach sechs Jahren Offiziersdienst in Aranor zog mich Königin Estell ein, beförderte mich zum Hauptmann und machte mich zum Kommandanten der Mission meine Heimatstadt Kalaß zu besetzten. In meiner Position habe ich versucht die Bürger vor willkürlicher Gewalt zu schützen, was mir nicht immer gelang. Als Königin Estell mich in ihren Plan einweihte, König Riecard zu stürzen und Kalaß dauerhaft zu besetzten, handelte ich, denn das konnte das nicht zulassen. Deshalb verriet ich sie an den König, der sie mit einem größeren Regiment zur Aufgabe zwang.

Das ist eigentlich schon alles was es darüber zu sagen gibt und das leitet mich über zum eigentlichen Anliegen meines Besuches, denn Kalaß ist aufgrund dieser Ereignisse destabilisiert. Während der Besetzung hat der Ältestenrat viele Fehlentscheidungen getroffen und sich deshalb aufgelöst. Da Kalaß immer noch derselben Gefahr ausgesetzt ist wie zuvor, möchte ich Euch um eine Zusammenarbeit bitten. Wie Ihr wisst, darf Kalaß selbst keine eigene Grenzarmee beschäftigen, aber wenn eine andere Armee den Stadtstaat verteidigt, verstößt das nicht gegen die alten Tarbasser Verträge. Es mag aktuell friedlich aussehen, doch ich glaubte, dass uns noch ein Krieg bevorsteht.“

Die drei haben Nico gebannt gelauscht, sind mit seiner trockenen, unaufgeregten und verkürzten Erzählweise äußerst unzufrieden. Normalerweise sieht es ihm nicht ähnlich Geschichten langweilig zu erzählen, was die drei aber natürlich nicht wissen können. Das war sein Kompromiss, um die Geschehnisse nicht erneut durchleben zu müssen. Der König erhebt das Wort:

„Herr Dugar, über eine Grenzarmee können wir uns doch auch später noch unterhalten, wenn die Frauen weg sind. Sie haben in der Geschichte doch einiges weggelassen, wenn ich mich nicht tausche. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass Sie zwischenzeitlich in Kalaß in Gefangenschaft geraten seien und dazu haben Sie kein Wort gesagt. Entspricht das etwa nicht der Wahrheit?“

„Doch, das ist korrekt, aber mit Verlaub, es verändert rein gar nichts an der Faktenlage, Majestät. Es verlängert nur die Geschichte...und ich möchte nicht näher darauf eingehen.“

Etwas enttäuscht entgegnet der König:

„Das istwirklich schade, doch Sie sind hier zu Gast. Es steht Ihnen natürlich frei zu erzählen was Ihnen beliebt. Mit dem Grenzschutz haben Sie freilich recht. Gern würde ich mich morgen in einer anderen Besetzung näher mit Ihnen dazu beraten um eventuelle Möglichkeiten durchzusprechen.“

Nico bedankt sich herzlich. Der neugierigen Prinzessin ist die Enttäuschung anzusehen, doch auch wenn sie sich dagegen sträubt, löst sich die Runde auf.
 

Nico wird ein neues, luxuriöses Gästezimmer unweit der königlichen Privatgemächer zugewiesen, wohin er sich zurück zieht. Seine Stimmung hatte sich zwar ein klein wenig gebessert, doch jetzt wo er wieder allein ist, sinkt sie erneut ab. Als er jünger war, hat er schmerzliche Gefühle einfach mit Alkohol abgetötet und diese Lösung wird ihm auch für sein jetziges Problem immer sympathischer. Er schaut in den Schränken nach und wird tatsächlich fündig. Zwei Flaschen Rotwein und zwei Gläser stehen in einer Kommode, von denen er je eines nimmt. Er setzt sich auf sein Bett, schenkt sich Wein ein, den er recht schnell trinkt und wiederholt das Ganze, bis es ihn aus diesem Kreislauf herausreißt, da es, wenn auch leise, an seiner Tür klopft.

Er stellt sein halb ausgetrunkenes Glas ab und geht auf die unabgeschlossene Tür zu, die sich langsam öffnet. Prinzesssin Yasane, welche seine halb erzählte Geschichte nicht loslässt, steht nur in einem rosafarbenen Spitzennachthemd vor seiner Tür. Es ist schon eine fortgeschrittene Stunde, zu der sie sich heimlich zu seinem Zimmer geschlichen hat. Sie schiebt ihn hastig in den Raum hinein, was ihn ziemlich überrascht.

„Prinzessin Yasane?“

„Psst, es darf niemand mitbekommen, dass ich hier bin.“ flüstert sie und nach dem sie die Tür geschlossen hat fügt sie etwas lauter hinzu:

„Ich möchte nicht förmlich sein. Nenn mich bitte nur noch Yasane und benutz bitte nicht den Plural für mich. Das passt einfach nicht zu mir. Ich nenne dich ab sofort auch Nico.“

Er nickt zögerlich. Bei einer anderen Kronprinzessin würde ihn das wundern, doch wie er dieses Mädchen bisher kennen gelernt hat, tut er das bei ihr nicht. Völlig unbedarft setzt sich Yasane mit Schwung auf sein großes Bett, das dabei etwas durcheinander gerät und macht neben sich eine Handbewegung, die andeutet, er solle sich zu ihr setzen. Etwas zögerlich geht er auf sie zu, ohne ihrer Geste zu gehorchen. Er ist sich noch nicht ganz sicher worauf das hier hinauslaufen soll, spielt aber erst einmal mit.

Geradlinig sagt das Mädchen:

„Ich komme mal gleich zum Punkt. Ich will mehr von dir, Nicolein.“

Das hört sich in seinen Ohren nicht gut an und er hält kurz die Luft an. Trotzdem bemüht er sich möglichst ausdruckslos zu schauen und erwidert zunächst nichts, woraufhin sie schelmisch präzisiert:

„…wissen, meine ich. Ich will noch mehr von dir wissen. Deine Ausführungen heute Nachmittag waren doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, habe ich recht?“

Sie hatte es absichtlich so formuliert, um zu sehen wie er reagiert. Dass er so gefasst geblieben ist, sagt ihr mehr, als er damit ausdrücken wollte. Es macht ihr große Freude Dinge über fremde Charaktere auf diese Art zu erfahren und Reaktionen heraus zu kitzeln.

Nico atmet hingegen durch und ist froh nichts zweideutiges, oder schlimmer, etwas eindeutiges zu ihr gesagt zu haben. In seinen Augen ist sie ein durchtriebenes Gör, das auch noch völlig offen damit umgeht, was er aber nicht schlimm findet. Immerhin glaubt er, mit seinem Schweigen nichts weiter über sich Preis gegeben zu haben, womit er Unrecht hat. Dass er nach ihrer zweideutigen Aufforderung die Fassung behielt, interpretiert sie als viel Erfahrung mit Frauen die ihm höhergestellt sind. Anscheinend ist sie nicht die erste, die sich vom hübschen Nico irgendwie magisch angezogen fühlt. Erfahrenheit in solchen Dingen ist jedoch eine Eigenschaft, die sie an Männern überhaupt nicht schätzt. Die wilden Gedanken, die sie ganz kurz hatte, schlägt sie sich aus dem Kopf. Sie fährt fort als sei nichts gewesen:

„Hast du eigentlich überhaupt eine Ahnung wie langweilig das Leben am Hof ist? Alle Bücher in der Bibliothek habe ich schon mindestens zweimal durch und ich brauche einfach mehr gute Geschichten, um mich hier bei Laune zu halten und ich weiß du hast eine. Eine die du verschweigen willst. Das sehe ich dir an.“

Nico fühlt sich ein wenig bedrängt:

„Ist das so?“

Jetzt wo er weiß, dass sie vorhin nur geflunkert hat, ist sein Vertrauen groß genug sich neben sie zu setzen. Davon sehr erfreut antwortet Yasane:

„Oh ja, und wie das so ist. Dein trauriger Blick verrät dich und vor allem auch die halb ausgetrunkene Weinflasche neben mir. Du hast Sorgen und wie immer, wenn Männer sich den Kopf zerbrechen und nicht weiter wissen, ist es ein Problem mit einer Frau. Du warst ein Vertrauter der rosheanischen Königin, also könnte es mit ihr zusammen hängen, oder aber auch mit einer anderen. Das kann ich nicht sagen. Klar ist nur, dass es dich so sehr verletzt, dass du nicht daran denken willst. Vielleicht ist die Geschichte auch so prekär, dass du sie nicht in so einer Runde wie vorhin erzählen kannst? Auf jeden Fall ist es etwas, dass ich wissen will. Nico, ich finde keinen Schlaf, wenn mich solche Gedanken beschäftigen? Verstehst du jetzt, warum ich dich trotz der späten Stunde noch besuchen musste?“

Nico ist verblüfft, dass die Prinzessin ihm das alles an der Nasenspitze abliest. Sie kann nur geraten haben und trotzdem trifft sie voll ins Schwarze. Wie kann dieses kleine Schlitzohr so etwas bemerken? Für ihn ist es ein bisschen so, als löse sich ein Knoten in ihm, deshalb lobt er sie amüsiert, ohne etwas zu bestätigen oder zu dementieren:

„Yasane, du bist erfrischend quirlig. Das ist sehr ungewöhnlich für ein Mädchen deines Standes. So ein Verhalten kenne ich nicht aus Königshäusern, ja nicht einmal aus Adelshäusern.“

Je länger er darüber nachdenkt, desto skurriler empfindet er die Situation und muss sogar ein wenig darüber lachen, was ihm wirklich gut tut. Neugierig erfragt sie den Grund seiner Äußerung, denn sie durfte andere Häuser noch nie besuchen: „Ist es am Hof von Roshea anders?“

„Ist es. Die Wahrung des Scheins nach Außen hat dort oberste Priorität für die edlen Herrschaften des rosheanischen Hochadels und es gehört zur Etikette immer schlecht über denjenigen zu reden, der gerade nicht da ist.“

Yasane lacht belustigt, doch sie ist auch bestürzt.

„Das ist schrecklich und interessant zugleich. Ich las in vielen Büchern davon, doch ich gab nichts darauf. Es sind schließlich nur Geschichten. Aber Nicolein, mal ganz davon abgesehen versuchst du mir gerade auszuweichen, wenn auch recht geschickt. Gib es doch einfach zu, dass es um eine Frau geht.“

Nico übliche Tricks versagen bei diesem Mädchen. Sie wird nicht locker lassen, bis er es erzählt, deshalb versiegt sein lächeln.

„Ja, es stimmt.“

gesteht er ernst, deshalb klatscht sie sich freudig in die Hände.

„Ha! Hab ich es doch gewusst. Und sie hat dir das Herz gebrochen, richtig!?“

Nico atmet schwer aus und Yasane freut sich über ihre zuverlässige Beobachtungsgabe.

„Und wieder habe ich recht gehabt. Haha, ich bin einfach die Beste!“

Sie sieht Nico an, der neben ihr plötzlich gar nicht mehr so aufrecht sitzt wie zuvor, sondern nach vorn in sich zusammen gesunken ist und seine Unterarme auf seine Beine stützt. Erst jetzt merkt sie wie herzlos sie sich verhalten hat und das trifft sie sehr, denn das wollte sie nicht und ärgert sie sogar. Sie sinkt ebenfalls in sich zusammen, berührt kurz darauf zögerlich sanft seinen Arm und flüstert bedrückt:

„Oh, Nico, es tut mir leid. Das ist natürlich ein wunder Punkt für dich und ich mache mich darüber lustig. Ich bin so unsensibel. Manchmal merke ich das gar nicht. Ich… ich glaub ich gehe jetzt doch besser.“

Diese Einsicht zeigt ihm, dass sie einen wirklich guten Charakter hat. Sie hat analytische Fähigkeiten, die über die eines normalen Menschen hinaus gehen und sie muss noch lernen diese richtig einzusetzen. Nico sieht die Prinzessin ausdruckslos an, die gerade aufstehen will und sagt in einem gefassten Ton zu ihr:

„Nein, es ist in Ordnung. Ich wusste nicht, dass man es mir so ansieht. In der Hoffnung, dass es mir vielleicht selbst hilft, erzähle ich es dir.“

„Wirklich?“

platzt es freudig aus Yasane heraus, weshalb sie die Hände über ihrem Mund zusammenschlägt. Etwas sensibler ergänzt sie:

„Glaub mir, es wird dir helfen. Wenn ich eins gelernt habe, dann dass Reden immer hilft. Außerdem bin ich eine sehr erfolgreiche Hobbytherapeutin. Ich habe schon die Ehe des Gärtners gerettet und unseren Koch mit einem der Hausmädchen verkuppelt. Ich stelle meine Fähigkeiten einzig und allein in den Dienst des Guten.“

Yasanes Verrücktheit erheitert Nico direkt wieder ein wenig und er lächelt flüchtig. Melancholisch beginnt er von seiner Freundschaft zu Kara aus Kindertagen zu erzählen und seinen Wiedersehen mit ihr bei den Hauskontrollen, von seinen Wettbewerb mit der jungen Stadtwache Hendryk, ihrem langjährigen Freund, von dem sich Nico immer noch nicht sicher ist, ob er mal was mit Kara hatte oder nicht. Außerdem berichtet er nun auch davon, dass Kara von einem seiner eigenen Leute überfallen wurde, dass er dadurch in Kalaß in Gefangenschaft geriet, sie für seine Freiheit kämpfte und er endgültig ihr Herz gewann. Er erklärt Yasane, dass der Soldat der Kara überfallen hatte, nach wie vor hinter ihr her war und es nach einigen Versuchen schaffte sie zu entführen. Durch einen Gefangenenaustausch gelang es Nico Kara freizubekommen, er selbst befand sich aber wieder in den Fängen der Königin.

„Mein neuerlicher Aufenthalt bei Königin Estell war eine Tortur für mich. Ich wusste nicht, ob ich ihn lebend überstehe, denn auch wenn die Königin eine Obsession für mich hat, war ich ihren Stimmungsschwankungen ausgeliefert. Wäre Kara nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich einfach Königinnenmord begangen und wäre mit ihr untergegangen, doch ich hatte meiner Liebsten versprochen zu ihr zurück zu kehren. Ich musste also mitspielen und als Estell mich im Bett zu sich rief, gab es keine Zuflucht mehr für mich.“

Yasane sitzt mittwerweile wenig mädchenhaft im Schneidersitz in der Mitte des Bettes und Nico ist ihr seitlich zugedreht. Sie hat sich von seiner Schilderung sehr stark mitreißen lassen und geschwiegen, doch an dieser Stelle pausiert ihr Erzähler und sie hat Gelegenheit etwas einzuwerfen. Sie ist etwas aufgelöst.

„Was? Au weia! Sag nicht du hast was mit der Königin gehabt? Und das auch noch während du mit Kara zusammen warst? Das ist echt heftig! Du sitzt viel tiefer in der Klemme als ich dachte und deine Geschichte ist noch viel dramatischer und spannender, als ich erwartet habe. Den Rest kann ich mir denken. Danach hast du die Königin verraten, bist nach Kalaß zu deiner Liebsten zurückgekehrt, die dich nach deinem Geständnis in den Wind geschossen hat und mit dem jungen Burschen von der Stadtwache durchgebrannt ist und genau deshalb sitzt du jetzt hier.“

„So ähnlich.“

entgegnet er bedrückt und Yasane rutscht noch etwas an Nico heran und flüstert:

„Wow, das tut mir total leid für dich. Ehrlich.“

Im gefällt ihr sonniges Gemüt und auch ihre Zusammenfassung über das Ende der Geschichte, deshalb lächelt er ihr sanft zu und gesteht:

„Es hat mir wirklich geholfen es auszusprechen. Du weißt wie man jemanden aufmuntert. Vielen Dank, Hobbytherapeutin Yasane.“

Sie lacht verlegen und schüttelt den Kopf.

„Nein, ich habe zu danken. Das war die beste Geschichte seit langem. Jetzt gehe ich aber ins Bett. Es ist nämlich schon nach Mitternacht. Sag, kann, ...kann ich dich jetzt so alleine lassen?“

Nico drückt mit einem Nicken seine Zustimmung aus, sie lächelt betroffen und versucht ein paar aufmunternde Worte zu finden, doch das gelingt ihr nicht ganz, denn sie sagt:

„Ach Nico, ich möchte dich so gerne trösten, denn du gefällst mir echt gut, aber als Prinzessin steht mir das nicht zu.“

Sie glaubt, dass er das falsch verstehen könnte und fügt hektisch hinzu, wodurch sie es nur schlimmer macht:

„Außerdem bist zu alt für mich. Wenn du vielleicht...“

Nico unterbricht sie skeptisch:

„Das ist es was dich an mir stört? Mein Alter? Es gibt tausend Gründe gegen mich und dich stört mein Alter?“

Sie entgegnet spontan:

„Ja klar, ich meine, du könntest mein Vater sein!“

Er schüttelt ungläubig den Kopf.

„Moment mal, für wie alt hältst du mich?“

Sie schaut ihn abwägend an.

„So um die vierzig?“

Weshalb Nico entrüstetet auflacht.

„Also ehrlich, das ist nicht dein Ernst, Yasane. Ich bin Ende zwanzig!“

Sie kichert peinlich berührt.

„Ups.“

„Wie kommst du darauf?“

Fragt er immer noch schockiert darüber, denn er beginnt an seiner Erscheinung zu zweifeln. Hat ihn die Sache mit Kara um zehn Jahre altern lassen?

Yasane versucht zu schlichten.

„Ehrlich gesagt, habe ich eher von deiner Position beim Militär und deinem Einfluss auf die Königin darauf geschlossen, dass du schon etwas älter sein müsstest. Du siehst nicht aus wie vierzig. Ich dachte du hast dich einfach nur gut gehalten.“

Sie sieht ihn sich genauer an, um im schwachen Licht nach ein paar Falten zu suchen, doch plötzlich stockt

Yasane der Atem. Sie schiebt ihren langen Pony bei Seite, um ihn mit beiden Augen mustern zu können und behält den überraschten Gesichtsausdruck bei. Dann beschreibt sie ihre Verwunderung:

„Nico, deine Augen, sie...sie sind ungewöhnlich, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

Nicos strahlend blaue Augen tragen ein seltsames weißes und manchmal auch violettes Schimmern oder Funkeln in sich, das einen Teil seiner Faszination ausmacht. Das ist ihm sehr wohl bewusst und er antwortet wieder selbstsicher:

„Ja, ich weiß.“

Von ihnen gefesselt sagt sie leise:

„Ich habe solche Augen schon einmal gesehen. Aber wo? Aus welcher Familie stammst du ab?“

Yasane kommt immer näher, doch ohne zurückzuweichen antwortet er ehrlich:

„Das weiß ich nicht, Yasane. Großmutter hat nie von der Familie gesprochen und da in Kalaß Stand und Herkunft außer Kraft gesetzt wurden, kenne ich meinen Ursprung nicht. Ehrlich gesagt habe ich mich auch nicht dafür interessiert, bevor ich aus Kalaß fort ging.“

Sie rutsch wieder ein Stück von ihm weg.

„Ja stimmt, die Tarbasser Verträge haben zum Verlust der Identifizierung über einen Stammbaum geführt. Schade.“

Sie setzt sich ganz gerade hin und schließt:

„Na, trotzdem kein Problem. Ich habe solche Augen schon einmal gesehen, also finde ich sie auch wieder. Gut, ich gehe dann jetzt. Ich denke dir geht es ein wenig besser und ich habe ein neues Ziel, das mich einige Zeit beschäftigen wird.“

Sie stibitzt sich das halb ausgetrunkene Glas vom Nachttisch, trinkt es in einem Zug aus und kommentiert kichernd:

„Den brauchst du ja jetzt nicht mehr.“

Dann wünscht sie eine gute Nacht und verlässt leise sein Zimmer. Lautlos huscht sie hinaus in den Gang und ist schnell in der Dunkelheit verschwunden. Nico legt sich nun auch hin. Es stimmt, den Wein benötigt er tatsächlich nicht mehr, denn er muss zugeben, dass er sich befreit fühlt, auch wenn er den Schmerz noch immer sehr real in seiner Brust fühlen kann. So schnell wird er den Verlust der Liebe seines Lebens nicht verarbeiten können.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück