Liebe führt, wie zu erwarten... nach Amerika? von Lyndis (Liebe führt Teil 3) ================================================================================ Experte ------- Brooklyn   Er musste etwas tun, nicht nur, weil er Rei helfen wollte, sondern weil er selbst halb wahnsinnig aufgrund der vorliegenden Situation wurde. Rei redete sich seit Tagen ein, dass es besser war Kai nicht mehr wieder zu sehen und er war sich sicher, dass Kai etwas ähnliches dachte. Wie die beiden es jemals überhaupt geschafft hatten zusammen zu kommen, war ihm ein absolutes Rätsel. Dass beide gerne wieder zusammen wären, stand für Brooklyn vollkommen außer Frage. Kai war nicht zufällig in dem Park gewesen und er war ganz sicher nicht auf dem Weg zu einem Meeting gewesen. Die Kleidung die er getragen hatte, war unpassend gewesen, um damit auf eine geschäftliche Besprechung zu gehen. Kai war gekommen um mit Rei zu sprechen und es war bedenklich, dass er ihn tatsächlich gefunden hatte, denn in einer so großen Stadt wie dieser, selbst wenn Kai durch Yuriy wusste, auf welche Universität Rei ging und deshalb in deren Umfeld gesucht hatte, war es ziemlich unmöglich ihn einfach so zu finden. Ob Kai schon mehrere Tage gesucht hatte? Er wagte es zu bezweifeln.   Die letzten Tage hatte er damit zugebracht, darüber nachzudenken, was er tun konnte. Die beiden Sturköpfe würden nicht miteinander reden, wenn sie gegenseitig vom anderen dachten, dass er schon in einer Beziehung war. Die Aktion von Rei war dahingehend selten dämlich gewesen, aber er verstand, dass man in Paniksituationen dumme Sachen machte und auch, dass man sich danach eher einigelte, statt die Sache ordentlich aufzuklären. Was konnte er also tun? Nun, nicht viel. Alleine konnte er gar nichts ausrichten, um genau zu sein. Er brauchte einen Komplizen und da kam wirklich nur einer in Frage: Yuriy. Eine kurze Recherche im Internet hatte ihm ein Bild von ihm ausgespuckt. Es war wirklich praktisch, wenn man es mit kleinen Berühmtheiten zu tun hatte. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er jeden Rothaarigen ansprechen müssen und er hielt diesen Kerl durchaus für den Typ Mensch, der dann einfach ‚Nein, kenne keinen Yuriy‘ gesagt hätte. Rei hatte ihm erzählt, dass er ihn im BWL-Flügel getroffen hatte, also suchte er jetzt dort zur Hauptbetriebszeit. Rote Haare waren glücklicherweise nicht schwer zu finden. „Hey, Yuriy!“ Keine Reaktion. Das fing ja schon gut an. Er musste ein wenig feinfühlig vorgehen. Zwar schätzte er den anderen nicht so dumm ein, auf dem belebten Flur eine Schlägerei anzufangen, aber sicher war sicher. Körperlich war er ihm vollkommen unterlegen. Also drängte sich Brooklyn durch die Menschenmasse vor und schloss letztendlich zu dem jungen Russen vor. „Yuriy, hi!“, versuchte er es erneut. Keine Reaktion. „Ich bin Brooklyn.“ Angesprochener blieb so abrupt stehen, dass Brooklyn erst einige Schritte später zum Halten kam und sich umdrehen musste. Oh ha. Schon auf dem Foto hatte Yuriy furchteinflößend, dominant und ein wenig irre gewirkt, aber was er jetzt sah, ließ seine Alarmglocken laut klingeln. Er musterte ihn kurz um ihn einzuschätzen, aber das war schwer. Glücklicherweise hatte er einige Hintergrundinformationen durch Reis Erzählungen. Vollkommen kaputte Kindheit mit gewalttätigem Hintergrund und zumindest seelischem Missbrauch. Da er nicht kaputt sondern eher selbstbewusst wirkte, tippte er auf eine psychopathische Störung. Wie weit die ausgeprägt war, konnte er nicht einschätzen, aber er stellte sich auf das schlimmste ein. Folgen davon waren unter anderem verringerte Emotionen, hohe Intelligenz und die Fähigkeit zur Manipulation seines Umfeldes. Strebte er nach einem Ziel, tat er alles, was ihm verhältnismäßig erschien. Potentielle Folgen wurden mit dem potentiellen Nutzen abgeglichen und rein rational ausgewählt, ob es ihm wert war. Wäre er überzeugt davon mit einem Mord davon zu kommen, würde er ihn begehen, wenn er ihm nutzte, da war er sich sicher. Dieser Mensch war hochgradig gefährlich und der Blick, den er ihm zuwarf, verriet ihm, dass er bei ihm bereits in Ungnade gefallen war. Kai hatte ihm wohl erzählt, dass er mit Rei zusammen wäre, hervorragend. Und zu einem Teil dachte er dieses Wort nicht einmal sarkastisch. Es war wirklich ein gutes Zeichen, das deutlich zeigte, dass Kai noch immer an Rei hing und er eifersüchtig war. Um das ausnutzen zu können, musste er diese Konversation also erst einmal überleben. Gut, das war jetzt natürlich übertrieben. „Ja, genau darüber wollte ich mit dir reden“, sagte er und lächelte. Sich nicht einschüchtern zu lassen, war immer eine gute Taktik. Kurz huschte so etwas wie Irritation über das Gesicht des anderen, ehe es wieder versteinerte: „Kein Interesse.“ Bevor Yuriy sich auch nur in Bewegung setzen konnte, hob Brooklyn die Hand und stoppte ihn so. „Weiß ich. Und ich weiß auch, dass du mit Kai befreundet bist und dir die Situation zwischen ihm und Rei genauso auf die Nerven geht wie mir.“ „Wie ich schon sagt...“ Doch Brooklyn ließ ihn gar nicht erst ausreden: „Ich bin nicht mit Rei zusammen.“ Das reichte zumindest, um den Russen zum innehalten zu bringen. „Und du nicht mit Kai, nicht wahr?“ Irritation schwappte ihm entgegen. „Hervorragend!“, antwortete Brooklyn ohne eine Aussage bekommen zu haben und grinste fröhlich. „Dann schlage ich vor, übernehmen wir beide das, was die beiden nicht auf die Reihe bekommen und ersparen uns damit einen Haufen Arbeit.“ Und so hatte er Yuriy rum bekommen, ohne dass der ihm auch nur die Chance dazu gegeben hatte. Er war eben einfach gut!   Yuriy   Vollkommen irritiert betrat er die Wohnung, die er sich mit Kai teilte. War das ein merkwürdiger Tag gewesen. Nein, eigentlich war es nur eine merkwürdige Person gewesen. Brooklyn hieß er. Ihn hatte in seinem Leben noch nie jemand so irritiert wie er. Der Kerl war eine ganz neue Art von Irre. Und er hatte so unglaublich viel geredet. „Wo hast du denn deinen Kopf?“, fragte Kai skeptisch, als er die Küche betrat. Yuriy hatte gar nicht mitbekommen, dass er schon aus dem Flur raus war. Als er nach unten blickte, sah er auf seine Hand, die eine leere Kaffeekanne umfasste und versuchte, den nicht vorhandenen Inhalt in ein Glas zu kippen. Er trank Kaffee nie aus einem Glas…. Aber das war nur das weniger offensichtlich Falsche an dieser Situation. Er war so in Gedanken, dass er wohl einfach automatisch nach der Kanne gegriffen hatte. „Nirgendwo...“, antwortete er eher skeptisch. Der Kerl hatte definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Ich denke ich hab mich heute mit jemandem angefreundet. Ich bin mir nicht sicher.“ Er sah Kais interessierten Blick. Natürlich ließ der sich nicht herab zu fragen, aber so ließ er sich auch Zeit zum Antworten und setzte erst einmal in Ruhe Kaffee auf. „Er hat mich auf dem Flur angesprochen. Dann sind wir in die Mensa einen Kaffee trinken gegangen und haben ziemlich lange geredet. Ich hab sogar eine Vorlesung verpasst deshalb...“ Die Augenbraue die jetzt Kais Stirn hoch wanderte, ließ ihn die Augen verdrehen. „Nicht, was du schon wieder denkst!“ „Das hört sich aber sehr wohl danach an.“ Yuriy lehnte sich gegen die Küchenplatte, sah Kai an und lauschte nebenher der Kaffeemaschine. „Ich denke nicht, dass er schwul ist.“ „Also hast du schon darüber nachgedacht.“ Kai machte sich nicht einmal die Mühe, das als Frage zu formulieren. „Natürlich nicht!“ Er hatte immer noch große - sehr große - Probleme damit, zu zugeben, dass er auf das gleiche Geschlecht stand. „Natürlich doch. Du hast ihn abgecheckt. Ist er heiß?“ „Was? Nein! Also…. Ich weiß nicht…. Nein!“ Kai grinste nur verschmitzt und gleichzeitig wissend, was Yuriy gleich auf hundertachtzig brachte: „Dein dummes Grinsen kannst du dir sparen! Außerdem geht es doch gar nicht darum!“ Kai wurde wieder ernst und zuckte die Schultern: „Du hattest sozialen Kontakt, herzlichen Glückwunsch.“ Er sprach das aus, als sei es nichts besonderes, wodurch Yuriy ihm am liebsten den heißen Kaffee direkt ins Gesicht geschüttet hätte. Von wegen nichts besonderes! „Ich denke, er ist in Ordnung.“ Das verstand jetzt sogar Kai, der ein stolzes Lächeln aufsetzte, zu ihm kam und ihm leicht auf die Schulter klopfte. „Ich wusste doch, du schaffst das. Wenn du erst einmal siehst, dass es noch andere Menschen da draußen gibt, die deine Aufmerksamkeit wert sind, weißt du irgendwann, wonach du suchen musst.“ Der Kaffee war durch, weshalb sich beide erst einmal eine Tasse nahmen und einen Schluck tranken. „Wie kaputt ist er denn?“ Yuriy verstand, worauf Kai abzielte. Er hatte die Angewohnheit nur solche Menschen zu respektieren, die mindestens so viel durchgemacht hatten wie er, weil er alle anderen als oberflächlich und gutgläubig empfand. Und als verweichlicht und weinerlich und… nun ja, das Bild war wohl klar. „Das ist es ja…. Ich glaube er ist ganz normal. Also… nicht ganz normal, aber ich denke nicht, dass er in seinem Leben schon Mal groß was schlechtes erlebt hat.“ Dennoch beschäftigte ihn der andere ziemlich. Er war merkwürdig und echt ekelhaft positiv, aber es war nicht unangenehm. Dadurch dass er so viel redete und Yuriys Gesichtsausdrücke hervorragend lesen konnte, brauchte er gar nicht viel sagen und das war angenehm. Außerdem ließ er sich nicht einschüchtern, egal was er tat, Brooklyn hatte die richtige Antwort. So hatten sie beiden in der Mensa gesessen und der Brite hatte ihn mit dem Aktuellen Stand zwischen Rei und Kai zu getextet. Er war jetzt wirklich vollkommen im Bilde, aber das würde er seinem Mitbewohner sicherlich nicht unter die Nase reiben. Sie würden sich die nächsten Tage öfter treffen um zu besprechen, wie es weiter ging. Denn das es so nicht bleiben, das wussten sie beide. Also würde Yuriy etwas tun, was er noch nie in seinem Leben getan hatte, aber ausnahmsweise für notwendig hielt: Er würde sich in die Angelegenheiten anderer Leute einmischen. Und dann auch noch Beziehungskram. Urgh. Aber das war in Ordnung. Er stimmte Brooklyn da voll zu, wenn er ehrlich war: Die beiden bekamen es nicht selbst auf die Reihe, weil beide zu viel Angst hatten wieder verletzt zu werden. Dass Rei sich mal zu so einem Weichei entwickeln würde, hätte er auch nicht gedacht. Das Internat hatte ihn nicht klein bekommen, aber das erste mal einen echten, festen Wohnsitz haben schon? Menschliche Psyche war wirklich mehr als seltsam… und irgendwie interessant. Vielleicht sollte er das wirklich nebenbei noch studieren. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell jemanden mit gesunder Psyche findest, den du respektierst.“ Ein wenig Stolz kribbelte durch Yuriys Brust, als er das hörte, auch wenn er sich selbst dafür hasste. Aber er konnte nicht verhindern, dass er auf Kais Lob so reagierte. Er war jetzt sein Vorgesetzter und sein altes Training hatte ihm eingeimpft, dass Lob von jemanden, der über einem Stand, ein unbezahlbares Gut war. Er musste sich das noch abgewöhnen, aber für den Moment genoss er das Gefühl.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)