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Luciana Bradley und die Sammlungen der Väter

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Der Zauberlehrling

GEBRAUCHSANWEISUNG DIE ZWEITE

 

Wie ihr es schon von mir gewohnt seid, gibt es wieder ein ‚kleines‘ Vorwort zum besseren Verständnis des folgenden Werkes, zur Vorbeugung von aufkommenden Fragen und Verständnisproblemen, die ohne dieses sicherlich früher oder später aufkommen mögen.

 

‚Luciana Bradley und die Sammlungen der Väter‘ ist eine Fortsetzung!

 

Punkt Eins und wohl auch der Wichtigste, wenn ihr Neueinsteiger seid. Der vorherige Teil heißt ‚Luciana Bradley und der Orden des Phönix‘ und ist für den Storyverlauf unerlässlich. Damit verhält es sich ähnlich wie bei den originalen Harry Potter Büchern – kennt man die ersten drei nicht, sollte man erst gar nicht bei dem vierten anfangen usw. usw. … Hier der Link zum ersten Teil:

 

http://www.fanfiktion.de/s/42a8b08f00001911067007d0/1/Luciana-Bradley-und-der-Orden-des-Phoenix

 

Besondere Eigenschaften der ‚Luciana Bradley‘ FF’s:

 

Diese FF habe ich mir ausgedacht, als der fünfte Band auf dem Markt war. Der erste Teil hat sich dementsprechend an ‚Harry Potter und der Orden des Phönix‘ orientiert, die Geschehnisse sind (bis auf einige Abänderungen) eins zu eins übernommen worden. Das heißt im Klartext: Der 6. und 7. Harry Potter Band sind vollkommen außen vor – ich habe lediglich ein zwei Plotrelevante Dinge aufgegriffen und sie miteingebracht, der Rest geht in die Richtung, wie ich sie mir auf dem Stand des 5. Bandes zurechtklambüstert habe, das ist vor allem bei Severus Snape der Fall. Seine Hintergrundgeschichte weicht vollkommen von der originalen ab und Ergebnis der Hints und seiner Darstellung aus den ersten fünf Bänden, so wie ich mir seine Motivation und Vergangenheit immer vorgestellt habe. Ich lege euch nahe die Geschehnisse der letzten beiden Potter-Bände zu streichen und so unvoreingenommen ein ‚alternatives Ende‘ der Reihe über euch ergehen zu lassen.

 

Aufbau der Geschichte, wie viele Teile kommen noch und Updates:

 

Dieser Teil ist, wie oben schon angemerkt, Teil zwei – danach kommt ein Dritter und da dieser das 7. Schuljahr beschreibt, ist dann auch Sense.

     Derzeit (stand Dezember 2016, lol) habe ich zwanzig Kapitel des zweiten Teils fertig geschrieben, alle so in der Größenordnung, die man auch von dem ersten Teil gewohnt ist (durchschnittlich 4000-5000 Worte, bis zu 7000, wenn die Pferde mal wieder mit mir durchgegangen sind). Dieses Mal brauche ich wohl etwas mehr als 30 Kapitel, ich schätze mal es werden um die 40 werden. Und dann noch ein nächster Teil. Ihr merkt, Mammut-Projekt ist eine passende Beschreibung, zumindest für eine FF.

     Updates gibt es jeden Freitag, was ich hier mal ohne Gewähr angebe – wenn das RL dazwischen funkt, versuche ich einen Tag vorher oder nachher online zu gehen!

 

Eigencharaktere und Abweichungen der Rollenbesetzung der Filme:

 

Wie schon in der Gebrauchsanweisung vom ersten Teil eine kurze Erklärung – ich halte es nicht für unerheblich, dass ich bei den ein oder anderen Charakteren andere Schauspieler im Kopf habe, als es in der HP-Filmreihe der Fall ist, da ich die Mimik und Ausdrücke teilweise an diese angepasst habe. Dazu habe ich für so ziemlich jeden Eigenchara immer einen bestimmten Schauspieler im Kopf, daher steht euch hier frei euch diese anzusehen … ist aber kein Muss, jedem sein eigenes Headcanon ;P

 

(Copyright: nicht meins und das meiste Google – wenn jemand die Quellen kennt, bitte PN, dann füge ich diese hinzu)

 

Severus Snape (Anm.: Versteht mich nicht falsch, ich liebe Alan Rickman und seine Performance und bleibe auch bei dieser Besetzung, vor allem bei DER Stimme, aber ich stelle ihn mir immer etwas glatt gebügelter und schlanker vor, immerhin ist Snape 1995 gerade mal 35 Jahre alt):

http://i.imgur.com/26VTkFb.jpg

 

Sirius Black: http://i.imgur.com/6fad3r4.jpg

 

Remus Lupin: http://i.imgur.com/m9cdLJX.jpg

 

Gabriel Steinhardt (Eigenchara): http://i.imgur.com/qfy9d6z.jpg

 

Johnny D. Jonathan (Eigenchara): http://i.imgur.com/p08MGtI.jpg

 

Sir Rennoc (Eigenchara): http://i.imgur.com/Tr2MOnH.jpg

 

Feedback:

 

Na ja, legen wir mal die Karten auf den Tisch … ich gehöre selbst zu den fiesen Schwarzlesern, die oft FFs lesen, diese meist auch verschlingen und echt begeistert sind und dann kein Pieps von sich geben. Sind wir mal ehrlich, das ist schon irgendwie fies. Seit ich selber schreibe, versuche ich zumindest ein paar Zeilen zu hinterlassen, da ich weiß, dass diese oft schon reichen, um ein wenig Motivation in dem Autoren aufkeimen zu lassen, am Ball zu bleiben.

     FF-Schreiber bekommen kein Feedback von professionellen Kritikern, Herausgebern und Lesern, meist wissen wir nicht einmal, wie häufig die Story überhaupt gelesen wird, oder ob generell Interesse an einer Fortsetzung besteht …

     Zwar gehöre ich zu den Autoren, die vorrangig schreiben, um all die Ideen aus dem Kopf zu bekommen, weil es sonst ein wenig überfüllt im Oberstübchen zugeht, aber trotzdem bin ich, wie jeder andere, sehr erfreut über jede Art von Feedback. Und damit meine ich wirklich JEDE Art, solang es nicht beleidigend wird, versteht sich.

     Ich weiß, dass FFs mit Eigencharas nicht gerade hoch im Kurs der Leserschaft steht, vor allem, wenn es der Hauptcharakter ist und ich daher so oder so weniger Leser und dementsprechend eine kleinere Anzahl von Reviews bekomme, aber bitte, bitte macht euch die Mühe, immerhin ist es der einzige Lohn für eine Menge, Menge Arbeit.  

 

Copyright:

 

Ja, da komme ich dieses Mal auch nicht drum herum … So, nix gehört mir, ich habe nicht die Absicht einzelne Markenprodukte, Filme oder Firmen zu bewerben oder sie schlecht zu reden.

     Die Personen, die aufgeführt werden und nicht meiner Eigenkreation zuzuordnen sind, gehören JK Rowling, ein Teil davon irgendwie Warner Brothers und ein Häppchen Bloomsbury (keine Ahnung wie das einzeln verteilt ist) und dann scheinen noch ein paar andere Unternehmen die Hände aufzuhalten, aber da blicke ich schon lange nicht mehr durch – ich leihe sie mir lediglich aus, habe davon keinerlei finanziellen Profit und missbrauche sie nur ein wenig für meine geistigen Ergüsse. Reale Orte und Personen … joa, Parallelen können sicherlich gezogen werden und sind teilweise nicht mal unabsichtlich gemacht, aber auch hier gedenke ich nicht irgendjemanden oder irgendwas positiv wie negativ darzustellen.

 

Eine Danksagung am Ende:

 

Meine Beta-Leserin Vanni, oder Corona, wie sie bei fanfiktion.de heißt (nicht ganz so geschlichene Werbung an dieser Stelle: Schaut euch ihre Stories an, die Dame hat mich zum Dramione shlasher mutieren lassen, ihre Stories sind der Hammer!!). Dazu muss ich ein klein wenig ausschweifen (ihr merkt, da neige ich so oder so zu … chrm chrm) – ich habe sie bei fanfiktion.de spontan als Beta-Leserin vor ein paar Jahren (ich glaube, es war 2011) kennengelernt und sie hat sich sofort dazu bereit erklärt, meine nicht gerade unter Shortstories zu verbuchende Geschichte Korrektur zu lesen (und ich mache ziemlich viele Fehler, stehe auf Kriegsfuß mit Kommata-Regelungen und bin auch grammatikalisch nicht gerade ein super-Ass).

     Als ich dieses Jahr, also fünf (!!) Jahre später beschlossen habe weiter zu machen, musste ich mir erstmal ein halbes Bein ausreißen (eher ein paar Stunden suchen), bis ich ihr Profil wieder gefunden habe … ehrlich gesagt hatte ich wenig Hoffnung, dass sie noch im Fandom aktiv ist und wenn, sich überhaupt dazu bereit erklärt, dieses Mammut-Projekt mit mir weiter zu machen. Am Ende habe ich nicht einmal vierundzwanzig Stunden auf eine Antwort warten müssen und sie war direkt wieder mit im Boot, schafft es irgendwie, trotz vollem RL und neben dem Job meine Rechtschreibung auszubügeln und nebenbei selbst Logikfehler aufzuspüren und mir immer wieder ein Review über die Kapitel da zu lassen. Das ist nicht selbstverständlich und ich weiß wirklich nicht, womit ich das nach so vielen Jahren Funkstille und ohne Bezahlung etc. verdient habe. Oben auf steht sie mir immer mit Rat und Tat zur Seite, wenn ich mal nicht weiß, wie es an der einen oder anderen Stelle weitergehen soll oder ich etwas aus den Büchern nicht mehr im Kopf habe – von daher, vielen vielen vielen Dank, Vanni, ich hoffe du bleibst bis zum Ende dabei und vielleicht kann ich mich eines Tages irgendwie revanchieren!  

 

 

UND LOS GEHT'S!

 

Der Zauberlehrling

 

Die Wellen rollten dem steinernen Ufer entgegen und preschten mit einer Wucht gegen die felsenfeste Brandung, wie es nur eines der Urelemente zu vollbringen vermochte. Die Feuchtigkeit der emporspritzenden Gischt gelangte bis hin zur Oberkante der gigantischen Klippe und trieb einer bewegungslosen Gestalt salziges Meerwasser auf das sonnengegerbte, mit tiefen Falten durchfurchte Gesicht.

     Das rückenlange, schlohweiße Haar peitschte dem hochgewachsenen Mann in sein Blickfeld und rankte sich in einen immer wiederholenden Fluss um seine knochige Erscheinung. Weder die klirrende Kälte des am heutigen Tage wehenden Junisturmes, noch die bedrohlich hohen Wellen vermochten ihm eine Reaktion abzuringen. Lediglich seine Augen, die mit ihrem stechenden, klaren Marineblau seinem sonst so altersgebrechlichem Erscheinungsbild Lügen strafen wollten, fixierten unaufhörlich einen Punkt in den vorbeiziehenden, dunkelgrauen Wolken.

     Es vergingen Sekunden, Minuten, selbst die Stunden zogen dahin, in der sich der hunderttausende von Kilometern entfernte Feuerball seinen Weg durch jede noch so kleinste Öffnung der geballten Sturmfront bahnte, bis dieser mit einem blutrotem Flimmern am Rande des Horizontes verschwand.

     Das dunkle Grau verzog sich stetig und gemach und gab den Blick frei auf einen tiefschwarzen Teppich, welcher in ungleichen Abständen von funkelnden und strahlenden Punkten unterbrochen wurde – die Nacht war hereingebrochen, die Wellen hatten den heutigen Höhepunkt ihrer beeindruckenden Vorstellung hinter sich gebracht und plätscherten, kaum wahrnehmbar, hunderte Meter unter den nackten Füßen des Mannes, der seinen Beobachtungsposten noch immer nicht aufgegeben hatte. Das Vogelzwitschern war dem Zirpen der Grillen gewichen, Scharen von Fledermäusen verließen ihr Tagquartier. Auf ihrer nächtlichen Suche nach Essbaren flogen sie haarscharf um das ungewohnte Hindernis und streiften hie und da die Spitze seines umherwehenden Haars oder den dünnen Leinenstoff seines abgetragenen, zerschlissenen Umhangs.

     Erst als das gigantischste der Nachtgestirne am höchsten Punkt seiner periodischen Rundreise angelangt war, erschien eine kaum sichtbare Silhouette, die in eilender Geschwindigkeit immer näher auf die größte Klippe der kleinen Insel zusteuerte. Die erste Regung, nach einer schieren Ewigkeit, trat in das Gesicht des Mannes, nachdem die Konturen des heranrasenden Objektes erkennbare Formen annahmen.

     Deutlich traten seine Kiefernmuskeln hervor – nicht die kleinste Bewegung entging seinen Augen, als die zwei riesenhaften, ledernen Schwingen eines drachenähnlichen Pferdes mit seinem Reiter in der Luft verharrten und zu einer seichten Landung anschlugen. Mit einem dumpfen Geräusch prallten die vorderen Hufe des anmutigen Tieres auf dem, von der Hitze der letzten Wochen verbrannten Grases auf, die Hinterläufe folgten prompt. Vollkommen unbeeindruckt wich der Mann nicht einen Müh von der Stelle, ganz, als ob er es hatte kommen sehen, dass das Flugtier um Haaresbreite vor ihm zum Stillstand kommen würde.

     In seliger Ruhe hob er seine Hand und strich sanft über die dampfenden Nüstern des Tieres, während der Reiter mit fließender Bewegung auf den gräsernen Untergrund herabglitt. Der Neuankömmling ließ seinen Blick in die Richtung seines Gegenübers streifen, richtete währenddessen seinen bernsteinfarbenen Umhang, dessen Sitz während der Reise in Mitleidenschaft gezogen worden war und trat ein paar weitere Schritte vor.

     „Ein außergewöhnlicher Ort, ausgesprochen außergewöhnlich“, sagte der Reiter und stellte sich neben den Mann, dessen Aufmerksamkeit noch immer dem schwarzen, skelettartigen Pferd galt. „Jedoch sollte mich dein Aufenthalt im Nachhinein nicht verwundern, Gellert.“

     Ein Moment der Stille folgte, bis der Angesprochene den Blick von dem Tier nahm.

     „Du bist spät dran, Albus.“

     Es verstrich einige Zeit, in der die beiden Männer schweigend auf der Klippe standen und sich stumm anstarrten, ganz, als ob sie von dem jeweils anderen eine bestimmte Reaktion erwarten würden. Doch diese blieb aus. Das Flugtier war währenddessen dazu übergegangen, die Gegend zu erkundschaften, sich hie und da eine umherschwirrende Fledermaus aus der Luft zu schnappen und sie mit knackenden Geräuschen im Ganzen zu verschlingen.

     Dann, plötzlich, setzte sich der Mann namens Gellert Grindelwald in Bewegung, kehrte dem anderen den Rücken zu und lief in einer strammen Geschwindigkeit den Hügel hinab. Er musste sich nicht umdrehen, um die Klarheit zu bekommen, dass Albus Dumbledore ihm folgen würde. Nein, selbst wenn mehr als ein halbes Jahrhundert zwischen ihrer letzten Begegnung lag, manche Gewissheiten würden niemals als Opfer der Zeit zugrunde gehen.

     Der Weg führte die beiden alten Männer eine weite Strecke landeinwärts über hochgewachsene Wiesen und Felder, die sie wortlos und mit einigem Abstand zueinander hinter sich legten. Kein einziges Mal wandte sich Gellert dem Marschierenden in seinem Rücken zu. Nicht ein verunsicherter Schritt war von Nöten, obwohl die nächtliche Dunkelheit beinahe jedes Hindernis, jede Erhöhung oder Senkung in der Umgebung verschlang. Sie bewegten sich auf den Rand eines dicht bewachsenen Waldes zu und verschwanden kurz darauf in seiner totalen Schwärze. Mit dem Eintreten zwischen die Bäume erlosch nicht nur das spärliche Restlicht der Sterne und des Mondes, auch die Geräusche hörten sich hier dumpf und fremd an.

     Ihr Weg führte sie weiter zwischen den Bäumen auf einen schmalen Trampelpfad, vorbei an Baumstümpfen, umherliegenden Ästen, über Moos und vermodertes Blattwerk, dann und wann schreckten sie ein paar große und kleine Waldbewohner auf, vorbei an Lichtungen, bis das Plätschern eines Baches zwischen den Rufen einer Eule zu vernehmen war. Es dauerte nicht lange, da folgten sie einem kaum sichtbaren Rinnsal, der in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeilief. Die Wassermengen nahmen mit jedem weiteren Schritt zu, aus einem Rinnsal wurde ein kleiner Flusslauf, den Gellert an gewohnter Stelle mit zwei gekonnten, weiten Schritten auf zwei aus dem Flussbett ragenden Steinen überquerte.

     Die hölzerne Front der winzigen, morschen Blockhütte erschien ein paar Meter weiter so jäh und wie aus dem Nichts, dass jeder normale Mensch in dieser alles verschlingenden Finsternis mit ihr zusammengestoßen wäre. Sie lag gleich neben dem schmalen Bachlauf zwischen zwei dicht benadelten Tannen und war über und über mit rankendem Efeu und sprießenden Pilzen bewachsen, sodass man sie im Vorbeilaufen mit einer besonders exotischen und großen Pflanze hätte verwechseln können. Lediglich die stetige Rauchwolke, die von einem schmalen Rohr auf dem verwitterten Dach aufstieg, passte nicht ins Bild.

     Mit einer seichten Handbewegung von Gellert öffnete sich knarrend und ächzend eine niedrige Tür, die ein warmes Licht in den Wald herausstrahlte. Albus trat mit einem kaum zu sehenden Kopfnicken in den dahinterliegenden Raum hinein, wartete bis sich die Tür hinter ihm mit einem lauten Knarzen schloss und schenkte seine Aufmerksamkeit zunächst dem Innenraum der beschaulichen Behausung.

     Die Blockhütte bestand aus einem winzigen, quadratischen Raum, der nur spärlich mit einem geflickten, braunem Sofa, einem kleinen Tischchen und einem Schemel ausgestattet war. Er war zudem vollkommen fensterlos und vermittelte damit nur noch mehr den Eindruck einen rein pragmatischen Nutzen zu haben. Inmitten der Hütte prasselte ein Feuer, über dem ein metallener Dreibahn platziert war, in dem eine mittelgroße Pfanne eingelassen hing.

     „Ich würde dir einen Tee anbieten, Albus, aber du siehst selbst …“ Gellert umrundete seinen Gast, ohne dabei einen gebürtigen Abstand von ihm zu halten und nahm dann in der Mitte des Sofas Platz, sodass es unmöglich schien eine weitere Person darauf unterzubringen. Das Ende des begonnen Satzes blieb er ihm ebenfalls schuldig.

     Für einen Moment blitzte es bedrohlich aus Albus Augen, bevor er einen Zauberstab aus seinem langen, weißen Bart hervorholte und mit ein paar lässigen Schlenkern das Inventar um einen Sessel und einen Tisch daneben erweiterte. Gellert kommentierte dieses Treiben nicht. Um genau zu sein, schien er nichts anderes erwartet zu haben. Albus ließ sich mit einem zufrieden klingenden Seufzen auf dem Sessel nieder, schwang seinen Zauberstab abermals in die Lüfte und ließ damit eine Kanne sowie zwei Tassen auf dem Tisch erscheinen. Die Kanne schüttete von selbst den dampfend heißen Tee ein – eine der beiden Tassen schwebte daraufhin auf den argwöhnisch dreinblickenden Gellert zu, der diese nach einem Moment des Zögerns entgegennahm.

     „Immer noch schwarz und ohne Zucker, nehme ich an?“, fragte Albus und fixierte Gellert über seine Halbmondbrille mit aufmerksamem Blick.

     „Dein Gedächtnis scheint brillant, als sei keine Zeit vergangen“, erwiderte Gellert darauf mit spöttischem Unterton. „Und bei dir? Ist es bei zwei fingerbreit Tee und fünf Milch geblieben? Nein, ich vergaß, fünfzehn Gran Zucker waren mit dabei!“

     „Und“, Albus erhob seinen rechten Zeigefinger, „zwei Scheiben Zitrone.“

     „Gewiss, wie konnte mir das entfallen … wo Zitrusfrüchte doch ohne weiteres auf der Spitze des Himalajas aufzutreiben waren.“

     Und wieder entstand eine Stille zwischen Gellert und Albus, in der sie sich gegenseitig betrachteten.

     „Das ist sehr lange her“, sprach Albus dann mit leiser Stimme und senkte seinen Blick.

     „Da sind wir zur Ausnahme einer Meinung, mein Guter.“ Gellert nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse, ganz, als sei deren Inhalt nicht brühend heiß. „Dann lass uns das Schwelgen in längst vergangene Tage schenken. Du wirst die Strapazen und Mühen, die deine Suche nach meinem Aufenthalt ohne jeden Zweifel mit sich gebracht haben, sicher nicht auf dich genommen haben, um ein Pläuschchen mit einem … alten Freund zu halten.“

     Albus setzte zum Sprechen an, doch Gellert unterbrach seinen Versuch mit ausgestreckter Hand.

     „Nein, nein, verrate es nicht, lass mir einen Versuch. Meine grauen Zellen sind in den letzten Jahrzehnten überaus zu kurz gekommen, da wirst du sicherlich Verständnis für aufbringen können.“ Er rieb sich mit den Fingern nachdenklich das Kinn, nahm einen weiteren Schluck Tee und stellte diesen darauf geräuschvoll auf dem kleinen Tischchen neben dem Sofa ab. „HA!“, rief er plötzlich und klatschte dabei laut in seine Hände. „Der Salazar-Knabe ist wiederholt auf der Bildfläche erschienen, grausamer, durchsetzender und skrupelloser als jemals zuvor. Begeistert er die Reinblütigen und jene, die es doch so furchtbar gerne wären, schmiert er den Unterdrückten … Honig ums Maul, liege ich richtig? Uuund“, noch einmal rieb er sich das Kinn, ganz in seiner enthusiastischen Darbietung versunken, „gibt es Schwierigkeiten dabei, den Knaben mit deinen üblichen Methoden in seine Schranken zu weisen?“

     Albus saß ruhig auf seinen Platz, rührte mit einem hergezauberten Löffel in seiner Tasse und wartete geduldig auf die nächsten Worte, die wohl kommen mochten.

     „Albus, Albus“, Gellert griff wiederholt zu seiner Tasse und kippte einen Großteil des Inhalts mit einem Male seine Kehle hinunter, bevor er sie mit einem lauten Scheppern zurück auf den Tisch knallte, „du wirst dich wohl niemals ändern, niemals lernen. Immer noch der überhebliche – hast du wirklich angenommen, ich würde das Veritaserum in deinem Gesöff nicht bemerken, glaubst du das wirklich? Wohl die Hoffnung gehabt, ich wäre darüber hinaus wunderlich geworden, nicht mehr … ganz richtig, ja? Da muss ich dich enttäuschen, alles noch in Reih und Glied im Oberstübchen, die Tassen sind blitz und blank … jaaa, ich weiß doch wie sehr du diese Aussprüche dieser Kreaturen verehrt hast, habe ich dir nicht eine Freude gemacht?“

     Auch diesen Ausbruch nahm Albus schweigend hin, machte nach außen hin einen ruhigen und gefassten Eindruck. Jedoch hatte er seinen Zauberstab nicht aus der Hand gelegt. Scheinbar zufällig wies die Spitze des dunklen Stabs auf den aufgebrachten Gellert, der nunmehr aus weit aufgerissenen Augen genau diesem ‚wunderlich‘ gewordenen Mann glich und während des Sprechens seinen Speichel im Raum verteilte.

     „Was meinst du, sollte das Wahrheitsserum bereits seine volle Wirkung entfaltet haben? Sollen wir einen Versuch starten?“

     „Das wäre in meinem Sinne“, antwortete Albus und richtete sich dabei in seinem Sessel auf. „Gellert“, begann er dann zögerlich. „Ich habe in den letzten Jahren viel Zeit darauf verwendet, die Antwort auf eine wichtige Frage zu lüften. Auf dem Weg dorthin habe ich viele Orte aufgesucht, mit bekannten und unbekannten Menschen das Gespräch gesucht und doch haben alle Weiser in eine Richtung gezeigt: in deine. Du weißt, was ich von dir wissen möchte … wissen muss.“

      Ein breites Grinsen zeichnete sich auf dem Gesicht von Gellert ab.

     „Willst du das wirklich hören, Albus? Wo du doch sonst so wenig für diese … ganz besondere Art der Zauberkunst zu begeistern bist.“

     Ein tiefer Seufzer war von Albus zu vernehmen, seine Schultern wirkten nicht mehr straff und gespannt, wie vor einigen Augenblicken.

     „Erzähle mir was geschehen ist, Gellert. Berichte mir alles.“

     Gellert gab einen glucksenden, amüsierten Laut von sich, bevor seine Miene ernste, beinahe bedrohliche Züge annahm, er sich langsam nach vorne zum prasselnden Feuer beugte und mit hell erleuchteten Augen zu Reden begann.

     „Es war einmal, vor langer Zeit, in einem nicht allzu entfernten Land…

 

… als ein reinblütiger Zauberer ein Geschwisterpaar hatte, davon war das Brüderchen wie der Vater zornig und schwarz von Herzen, das Schwesterchen aber scheu und gar betrübt ob des plagvollen Alltags, welchen die Welt ihr bereitgestellt hatte. Es musste von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen und der Vater wie das Brüderchen befahlen dem Mädchen die Stube sauber zu halten. Doch ganz gleich wie sehr sich das Mädchen bemühte, den Kessel am Brodeln hielt, der Familie warme und dampfende Mahlzeiten auftischte und spülte und wusch bis das Blut aus ihren Fingern sprang, nichts vermochte den miesepetrigen Vater zufriedenzustellen.

     Die einzige Freud am Tage war ein junger Muggelprinz, der mit seinem prächtigen Schimmel zu jeder Mittagsstund den Pfad an ihrer klapprigen Hütte vorbeinahm, um hoch oben auf dem Hügel zum prunkvollem Schloss der Frau Königin Mutter und dem Herrn König Vater zu gelangen.

     Ach, was sehnte sich das arme Mädchen danach, den Muggelprinz zu ihrem Gemahl zu nehmen. Aber wie unendlich schön sein Antlitz auch sein mochte, so groß und unübertroffen war sein Hochmut. Nichts weiter als Hohn und Spott hatte er für das Mädchen über, welchem er nur Beachtung schenkte, wenn dieses ihm an einem besonders Hitze umflimmerten Sommertage einen Krug Wasser durch den alten, modrigen Zaun reichte. Nicht ein Wort des Dankes verließ darauf seine Lippen und wenn der Muggelprinz mit hocherhobenem Haupt von Dannen zog, weinte das Mädchen bitterlich. Dieses Spiel blieb nicht unentdeckt, denn das Brüderchen hielt sein Schwesterlein gleich dem Argus im Auge. ‚Oh weh, hat er dich gar nicht angeschaut‘, spottete das Brüderchen. ‚Wenn das der Vater wüsst, wie du dich über den Zaun hängst, um diesen Muggel anzustieren.‘ Das Mädchen schluchzte vor Angst und Bangnis auf und flehte ihr Brüderchen auf Knien an, dem Vater nichts davon zu berichten. Doch das Brüderlein war unbarmherzig und erzählte dem Vater von seines Tochters Begehren. Dieser geriet darüber heftig in Zorn, da es sich für ihre Familie reinen Blutes nicht schickte, um die Gunst eines einfachen Muggels zu buhlen. Und wäre nicht aus Zufall ein Zauberer des Kaisers auf dem Pfad an der Hütte vorbeigelaufen, so hätten Vater und Brüderchen das Mädchen womöglich totgeschlagen.

     Der Zauberer brachte den prügelnden Vater und das Brüderlein von dem armen Mädchen ab und nahm sie beide mit in die Festung seines Herrn, wo sie in die finsteren Kerker verbannt wurden.

     Voller Glückseligkeit blieb das Mädchen ohne Furcht vor dem bösen Vater und dem Brüderchen in der Hütte zurück und ab diesem Tage war es ihm endlich möglich, seine volle Zauberkraft zu entfalten. Eines weiteren sonnenreichen Tages stand das Mädchen wieder am Zaun und wartete auf die Ankunft des Muggelprinzen. Es hielt in ihren Händen den Krug, jedoch sollte der Trunk ihn dieses Mal nicht alleine erfrischen, denn das Mädchen hatte sich an die weisen Worte ihrer längst verstorbenen Mutter erinnern können ‚Liebes Kind, dieses Gebräu wird die Erkenntnis in dem hervorrufen, der es trinkt‘. Und so hatte das Mädchen das Zaubergebräu so zubereitet, wie sie es einst bei ihrer Mutter gesehen hatte. Als der Muggelprinz einen Schluck davon nahm, sah er das Mädchen an und erkannte, wie hochmütig und tollkühn er gewesen war, das liebreizende Wesen des armen Mädchens nicht früher erkannt zu haben.

     So nahm er das arme Zaubermädchen zu seiner Gemahlin und …

 

… so lebten sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.“

      Die Brust von Albus hob sich deutlich sichtbar in einer nicht enden wollenden Einatmungsphase. Er schaute Gellert über das prasselnde Feuer hinweg an und schien seine nächsten Worte genauestens abzuwägen.

     „Eine wirklich hübsche Geschichte, Gellert, wirklich hübsch“, begann Albus zögerlich. „Allerdings sind mir einige Details und vor allen Dingen das Ende … ein wenig anders zu Ohren gekommen.“

     „Ist das so?“, fragte Gellert und schaute dabei äußerst zufrieden drein.

     „Eine – interessante Idee von dir, aus einem enorm starken Liebestrank ein ‚Erkenntnisgebräu‘ zu machen“, sagte Albus und warf Gellert einen scharfen Blick über seine Brille zu.  „Obwohl diese Kleinigkeit nicht unwichtig erscheint, wenn man bedenkt, dass die gute Merope von ihrem – Prinzen hochschwanger verlassen wurde, gleich nachdem sie so töricht war anzunehmen, den Trank nicht mehr benötigen zu müssen, um von ihm geliebt zu werden. Und ist sie nicht eine Stunde nach der Geburt ihres Sohnes gestorben, an einem gebrochenen Herzen, wenn man es so ausdrücken möchte?“

     „Albus!“, rief Gellert, griff sich dabei an die Brust.  „Albus, das ist ein Märchen und wer möchte seinen geliebten Bälgern schon solch ein grausames Ende erzählen?“ Die Frage blieb unbeantwortet in der stickigen Hütte hängen. „Aber du scheinst deine Hausarbeit gemacht zu haben, alter Freund, wie sollte es auch anders sein … Mit dem alten Gaunt wirst du kaum ein Wort gewechselt haben, wer war es, sag schon!“

     „Des ‚Kaisers Zauberer‘. Und ein paar weitere Leute, hier und da musste ich mir die Dinge selbst zusammenreimen.“ Gellert nickte daraufhin eifrig. „Du weißt, dass ich mich nicht wegen dieser Geschichte auf die Suche nach dir gemacht habe.“

     „Gestehe dem kauzigen Emeriten seine Schwächen zu, ein kleiner Vorwand, um dich ein zwei Momente länger in meinem bescheidenen Heim zu halten“, sagte Gellert in fröhlichem Tonfall. „Du weißt, wie gerne ich Geschichten erzähle und sicherlich wäre es eine Möglichkeit den Kindern unten im Dorf ein paar Stunden meiner verbliebenen Lebenszeit zu opfern, ja, wäre da nicht dieses unstillbare Bedürfnis diesen Schädlingswelpen die winzigen Rückräder entzwei zu knacksen.“

     „Erzähle“, knurrte Albus und das Feuer schien daraufhin ein klein wenig höher und voller zu brennen, „mir die Geschichte. Sag mir, was Tom Riddle damals von dir wissen wollte!“

     Der zufriedene Ausdruck in Gellerts Gesicht verschwand urplötzlich, er starrte Albus mit einer Mischung aus Wut und Empörung an, bis er wieder vollkommen ausgeglichen wirkte.

     „In einer Stadt, in der es an mehr Tagen im Jahr regnete, als dass die Sonne schien –„

     „Gellert, sparen wir uns die vielen Worte des Überflusses und –„

     Gellert unterbrach Albus mit hochschnellender Hand.

     „Die Antworten auf deine Fragen bieten sich nur in der Gesamtheit der Geschichte, denn die schlichte Wiedergabe eines einzelnen Geschehnisses, abgerissen und entzogen … das zerstört das Werk, weißt du … also, noch einmal von vorn:“ Albus ließ sich nach diesen Worten etwas weiter in seinen Sessel sinken, hielt jedoch seinen Zauberstab weiterhin unscheinbar auf Gellert gerichtet. „In einer Stadt, in der die Sonne ihre Strahlen nur selten über die Dächer der Häuser gleiten ließ …

 

… lebte ein kleiner Junge in einem finsteren Waisenhaus. Er war von einem gescheiten Wesen und beendete seine täglichen Aufgaben mit Fleiß und Verstand, doch die anderen Kinder wollten nicht recht mit ihm zu tun haben. Eines grauen Frühlingstages kam ein braunbärtiger Mann in sein Kämmerlein.

     ‚Was möchten Sie, mein Herr?‘, fragte der Junge und wunderte sich nicht schlecht, weil in seinem ganzen Leben noch kein Besucher für ihn in das alte Haus eingekehrt war.

     ‚Auf mein Schloss will ich dich mitnehmen und dich das Zaubern lehren‘ sprach der braunbärtige Mann und so geschah es auch.

     Einige Sommer und Winter zogen ins Land, in denen der Junge in dem Schloss des Mannes, hoch im wilden Norden, alle erdenklichen Zauberformeln und Zaubergebräue lernte und er war so fix und gescheit darin, dass ihn bald die Langeweile plagte. Er konnte nun allerhand mit Zauberei bewerkstelligen, Licht aus vollkommener Dunkelheit erscheinen lassen, die Spindel eines Spinnrades antreiben, ohne sie mit bloßer Hand berühren zu müssen, selbst an einen noch so entfernten Ort ließ sich reisen, wenn er nur fest genug daran zu denken vermochte. Nach den Lehrstunden verbrachte der junge Zauberlehrling seine Zeit in Räumen voller Zauberbücher, die sich bis hoch oben an die Decke stapelten und hielt Ausschau nach Zauberei, die ihm der braunbärtige Mann verwehrte.

     Eine Frage brannte sich von Tag zu Tag mehr in sein Mark und Bein ‚Abertausende von Büchern und keines vermag mir sagen zu können, wie ich den grausamen Gevatter Tod zu überlisten vermag‘.

     ‚Keines?‘, sprach eine Stimme, ganz wie aus dem Nichts und da trat eine Katze vor den jungen Zauberlehrling, deren Fell in dem herrlichsten Goldton schimmerte, den er jemals erblickt hatte. Die Güldene Katze legte ihre Samtpfote auf das Tischlein vor dem Jungen und dort erschien ein Buch, so alt und verblichen, dass es sich kaum darin lesen ließ. Und dort in diesem Buch verbarg sich in winziger, verschlungener Schrift ein Zauber, der die lang ersehnte List gegen den Gevatter Tod beschrieb. Doch der junge Zauberlehrling wurde zornig, als er keine Formel dafür auffinden konnte.

     ‚Sag, Katze, wie kann ich diesen Zauber wirken?‘ Die Güldene Katze schüttelte ihren Kopf. ‚Das vermag ich Euch nicht sagen zu können, doch ich habe von einem mächtigen Zauberer gehört, der den Gevatter Tod schon einmal überlistet hat. Aber Ihr werdet ihn nicht finden können. Der Zauberer musste sich fortan verbergen, um dem Gevatter Tod auch weiterhin entrinnen zu können‘

     Der junge Zauberlehrling ließ sich von den Worten der Güldenen Katze nicht verschrecken und noch in derselben Nacht verließ er das Schloss des braunbärtigen Mannes, um sich auf die Suche nach dem mächtigen Zauberer zu machen. In jedes noch so kleine Zauberdorf kehrte er ein, um dem Gerede der Leute Gehör zu schenken um zu erfahren, wo man den Zauberer zuletzt gesehen haben mochte. Doch die Spur schien ganz und gar verworren. Der Zauberer hatte gut daran getan, dem Gevatter Tod eine List aus Gerüchten und Unwahrheiten über seinen Verbleib zu stellen. Als der junge Zauberlehrling soweit war, seine Suche aufzugeben und zum Schloss des braunbärtigen Mannes zurückzukehren, tauchte die Güldene Katze abermals auf und sprach:

 

‚Reise in das Land, wo die Kanonen blühn,

Dort wirst du den mächtgen Zaubrer kennenlernen!

Dort steht er hinter Mauern stolz und kühn

Musst folgen nur den schwärzlichen Laternen.

 

Reise in das Land, welches könnte glücklich sein.

Es könnte glücklich sein und glücklich machen.

Dort gibt es Äcker, Kohle Stahl und Stein

Und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.
 

Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.

Was man auch baut - es werden stets Kasernen.

Reise in das Land, wo die Kanonen blühn,

Musst folgen nur den schwärzlichen Laternen!‘

 

Und der junge Zauberlehrling tat wie ihm geheißen und reiste in das Land, von dem die Güldene Katze gesprochen hatte. Nach einigen Tagesmärschen, durch einen ganz und gar schwarzen Wald, kam er zu einer Lichtung, in dessen Mitte er eine kleine Laterne erblickte, die von einem magischen schwarzen Licht umflutet lag. Auf diese folgten weitere Lichter, bis sie von der Lichtung wieder zwischen die dichten Bäume führten und in einen Pfad mündeten. Der Zauberlehrling schritt auch diesen Weg entlang, bis er vor einer hohen, düsteren Mauer stand. In dieser war ein Tor eingelassen, über dem, in riesenhaften Lettern, geschrieben stand: ‚Für das Größere Wohl‘. Es öffnete sich wie von Geisterhand, als der junge Zauberlehrling davor trat. Dahinter lag eine gemauerte Festung und genau davor stand eine hochgewachsene Gestalt mit so hellgelbem Haar, dass es selbst in der Dunkelheit strahlte, wie die Sonne.

     ‚Herr‘, rief der junge Zauberlehrling aus und lief dem Mann entgegen. ‚Seid Ihr der mächtige Zauberer, der den Gevatter Tod überlistet hat?‘

     ‚Wer will das wissen?‘, fragte der Mann und betrachtete den Jungen mit prüfendem Blick.

     ‚Ein Zauberlehrling aus dem Nordwesten. Ich habe viele Tage und weite Reisen auf mich genommen, um den mächtigen Zauberer zu finden, der die Zauberformel kennt.‘

     ‚Nun denn, Zauberlehrling, damit bist du an deinem Ziel angelangt. Aber sag, was willst du mir im Gegenzug dafür bieten?‘

     Das brachte den jungen Zauberlehrling in große Not, wo er doch kein Gold oder sonstige Reichtümer besaß.

     ‚Mein Herr, ich habe weder Gold noch Dinge von großem Wert. Aber wenn Ihr beschließt mein Meister zu werden und mir die Zauberformel verratet, dann will ich in Eurer Schuld stehen.‘

     Der mächtige Zauberer erkannte das große Talent, welches der junge Zauberlehrling besaß und mit dem Gevatter Tod zum Feind würde ein gescheiter Zauberer, so jung er auch sein mochte, ihm eines Tages von großem Nutze sein.

     ‚Dann will ich die Formel dir verraten‘, sprach der mächtige Zauberer zu dem Jungen. ‚Aber sei gewarnt, sie ist trickreich und voller Tücken. Sie vermag den Gevatter Tod in die Irre leiten, jedoch hat jedes Medaillon eine Kehrseite, Zauberlehrling. Die Formel wird einen Teil deiner selbst aufbrauchen und du wirst nicht mehr der sein, der du einmal gewesen bist.‘

     Doch der Zauberlehrling schenkte den Warnungen des mächtigen Zauberers kein Gehör. Der Zauberer hielt sein Wort und offenbarte ihm die Formel. Nach einem Tag beherrschte der junge Zauberlehrling die List den Gevatter Tod zu täuschen und stellte dem mächtigen Zauberer vor seine Rückkehr in das Schloss eine letzte Frage.

     ‚Meister, verratet mir, wie viele Male ist es mir möglich die Zauberformel auszusprechen?‘

     Der mächtge Zauberer schien belustigt über diese Auskunft und antwortete, lauthals lachend ‚So oft es dir beliebt und dein Herz es auszuhalten zu vermag, junger Zauberlehrling.‘

     Und so kehrte der junge Zauberlehrling in das Schloss des braunbärtigen Mannes zurück und sprach dort, mit Hilfe eines kleinen Büchleins, die Formel laut heraus.

     Die nächsten Sommer und Winter kamen, in denen der Lehrling selbst zum Zaubermeister heranwuchs. Als er das Schloss verließ, gab es kaum einen Zauberspruch, den er nicht zu beherrschen wusste und selbst der braunbärtige Zauberer betrachtete mit Argwohn, wie mächtig der einst so junge Zauberlehrling geworden war und ließ ihn nicht mehr außer Augen.

      Eine lange Zeit hatte der junge Zaubermeister nicht mehr an das Versprechen gedacht, welches er dem mächtigen Zauberer aus dem schwarzen Wald gegeben hatte, bis die Güldene Katze eines Tages sein Gemach aufsuchte.

     ‚Die Feinde des mächtigen Zauberers haben sich mit dem Gevatter Tod verbündet und halten ihn hinter den schwarzen Mauern seiner eignen Festung gefangen‘, erzählte sie dem jungen Zaubermeister. Dieser hatte nicht im Sinn sein Wort zu brechen und machte sich sogleich auf den Weg, um den Zauberer zu befreien.

     Es war ihm ein Leichtes, die Mauern der Festung zu überwinden und die Wachen vor dem Kerker, indem der mächtige Zauberer gefangen gehalten wurde, zu überwältigen. Der junge Zaubermeister brachte den mächtigen Zauberer an einen weit entfernten Ort, der so verborgen lag, dass seine Feinde ihn nicht aufspüren konnten und somit beglich er seine Schuld. Da der Gevatter Tod nun die Spur des mächtigen Zauberers verloren hatte, wütete er im ganzen Land und suchte dabei Leute Heim, deren Stund noch gar nicht abgelaufen war.

     Alsbald kam der Gevatter Tod auch zum braunbärtigen Zauberer und wollte diesen mitnehmen. Doch der braunbärtige Zauberer war nicht dumm und sah sein Glück in großer Not. Er verriet dem Gevatter Tod, dass auch der junge Zaubermeister ihn überlistet hatte und somit dieser und nicht er selbst dafür mit ihm gehen müsse. Und so verbündeten beide sich, um den jungen Zaubermeister zu jagen.

     Der braunbärtige Zauberer und der Gevatter Tod waren mit Eifer und Geschick dabei, die Verstecke des jungen Zaubermeisters ausfindig zu machen und so war diesem alsbald Angst und bang. Doch mit der Zeit erfasste ihn der Mut die Zauberformel des mächtigen Zauberers ein weiteres Mal auszusprechen. Sein Herz vermochte dem Stand zu halten und so wagte er den Zauber noch einmal und noch einmal. Jeder weitere Ausspruch der Zauberformel umhüllte sein Verbleiben mehr mit Unscheinbarkeit …

 

… und da der einst junge Zauberlehrling nicht gestorben ist, so jagt Gevatter Tod ihn noch heute.“

     Außer dem Knistern der Feuerscheite war in dem stickigen Raum der Hütte wieder Stille eingekehrt. Gellert lehnte sich auf dem Sofa in zufriedener Haltung zurück, griff nach seinem bereits erkalteten Tee und nahm einen kräftigen Schluck daraus.

     „Aah, nach einer so umfangreichen Geschichte bleibt eine trockene Kehle wohl nicht aus“, sagte Gellert im Plauderton. „Aber wie ich dich kenne, war sie dir wohl nicht umfangreich genug?“

     „Du hast dich schon immer sehr gut darin verstanden, die Dinge zu drehen und zu wenden, wie dir der Sinn steht“, antworte Albus mit einem Seufzen und ließ die Teekanne ein weiteres Mal auf Gellert zu schweben, die ihm sogleich die Tasse wieder auffüllte.

    „Wohl wahr, wohl wahr …“, gluckste Gellert und roch abermals lange und ausgiebig an seinem Getränk. „Ich verstehe bis heute nicht, wieso diese Topfgucker mich nicht auf die Akademie ‚Tinte und Feder‘ zugelassen haben.“

     „Was wäre uns nicht alles erspart geblieben“, sagte Albus. Gellerts Blick verfinsterte sich augenblicklich. „Tom hat das Ritual, mit dem ein Horkrux erschaffen wird, demnach von dir erlernt?“

     „Ist es nicht das, was du hören wolltest?“

     „Ich hatte eine Vermutung und benötigte die Bestätigung, um voranzukommen.“ Mit diesen Worten lehnte sich Albus ein Stück nach vorne und fasste mit seinem Blick den von Gellert. „Wie viele sind es, Gellert, wie oft hat Tom seine Seele gespalten?“

     „Das“, antwortete Gellert nach einer langen Pause, „kann ich dir nicht mit Bestimmtheit sagen, mein alter Freund. Ich selbst habe ihn lediglich zweimal an der Zahl gesehen und das liegt beinahe ein halbes Jahrhundert zurück.“

     „Das letzte Mal in Nurmengard?“

     „In Nurmengard, ja.“ Und wieder trat ein Hauch von Amüsement in Gellerts Gesicht. „Und dabei hast du höchst persönlich die Schutzzauber und Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Der Junge war äußerst talentiert und von einem Ehrgeiz, den ich bis dahin nur von mir selber kannte. Aber ich gebe mich geschlagen“, seufzte er, „denn ich wäre niemals auf die Idee gekommen, den Libera temet gleich sieben Mal anzuwenden, jeder normale Geist wäre daran zerbrochen – oder auch nicht, wie es ja scheint.“

     „Bei Merlin“, rief Albus und wäre dabei beinahe von seinem Platz aufgesprungen. „Sieben Mal?“

     „Wie bereits gesagt, das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Zahl Sieben ist nur gefallen, als er mich fragte, wie viele Horkruxe herzustellen möglich sei.“

     Albus blickte auf seine rechte Hand, bewegte hier und da ein paar Finger und murmelte dazwischen ein paar unverständliche Worte.

     „Ein Mensch für jeden Horkrux, Albus. Es gilt die Geschichte wieder aufzurollen und überall ein wenig … herumzuschnüffeln, auf diesem Gebiet bist du doch geradezu – meisterhaft. Aber um dir ein paar Appariersprünge und sehr unangenehme Gespräche ersparen zu können, der Junge kam zu mir, da klebte noch das Blut seines frisch hingerichteten Muggelvaters an seinen Händen.“

     „Dem Gaunt Jungen habe ich bereits einen Besuch abgestattet“, sagte Albus und holte dabei einen goldenen Ring aus einer Tasche seines Umhangs. Auf dem Ring war ein klobiger, schwarzer Stein eingelassen, durch den ein tiefer Riss ging. Das eingeprägte Wappen auf dem Stein war kaum noch erkennbar, so alt schien er zu sein.

     „Nein Albus, da hat dich dein vorzüglicher Verstand wohl einmal mehr im Stich gelassen.“ Gellert deutete auf den Ring in Albus Hand. „Der Junge hat sehr wohl mit dem Gedanken gespielt, den ‚Peverell‘ Ring für einen Horkrux zu nutzen, dies aber wieder verworfen. Oder hast du etwa immer noch nicht herausfinden können, wie man die Gegenstände zerstört? Schließlich sitze ich nach wie vor hier und soweit ich weiß können die Londoner weiterhin die Uhrzeit lesen.“

     „Hat er dir erzählt welchen Gegenstand er statt des Rings genutzt hat?“

     „Nein“, antwortete Gellert. Es schien ihm nichts auszumachen, dass Albus in keiner Weise auf seine Frage eingegangen war. „Ich denke so vertrauenswürdig war der Gute nicht. Aber er war stolz, sehr stolz sogar, dass er etwas aus den Besitztümern seines Muggelvaters verwendet hat.“

     „Stolz, sagst du?“, fragte Albus verwundert.

     „Sehr wohl. Wahrscheinlich, weil er damit etwas entartet hat, was niemand bei ihm vermutet hätte. Aber das ist nur eines meiner Gedankenspiele.“

     Albus nickte, weiterhin in höchst nachdenklicher Haltung.

     „Es ist Zeit“, sagte Albus dann plötzlich und erhob sich aus seinem Sessel. Mit ein paar Schlenkern seines Zauberstabs ließ er die Dinge so schnell wieder verschwinden, wie er sie zu Anfang seines Eintreffens hervorgezaubert hatte.

     „Aber sicher, vielbeschäftigt wie wir es von ihm kennen, heute noch mehr denn je.“ Ob dies spöttisch war oder nur eine Feststellung sein sollte, konnte man weder Gellerts Tonlage noch seinem Gesichtsausdruck entnehmen. Auch er erhob sich von dem abgenutzten Sofa und geleitete seinen Besucher mit langsamen Schritten bis zur Haustür.

     „Ach, eins noch, Gellert“, sagte Albus, bevor er hinaus, zurück in die Dunkelheit des Waldes trat. „Was hat es mit der ‚Güldenen Katze‘ auf sich?“

     Dies entlockte Gellert ein schelmisches Grinsen, welches ihn beinahe bubenhaft aussehen ließ.

     „Ich habe dir ein Märchen erzählt, Albus, und was wäre ein Märchen ohne ein sprechendes Tier?“

     Ohne ein Wort des Abschieds überquerte Albus die Schwelle der Tür, kehrte Gellert den Rücken und stieß einen lauten Pfiff mit Hilfe zweier Finger in den Nachthimmel hinauf. Es vergingen bloß ein paar Sekunden, da ertönte das peitschende Geräusch zweier großer Flügel und kurz darauf donnerten die Hufe des drachenähnlichen Pferdes auf den Waldboden auf. Gemach schritt das Tier dann auf Albus zu, mit dampfenden Nüstern und die Augen wachsam auf Gellert gerichtet. Mit einer einzigen, gleitenden Bewegung schwang Albus sich auf den Rücken des Flugtiers, doch bevor er es zum Start antrieb, wandte er sich das letzte Mal Gellert Grindelwald zu.

     „Es wäre erfreulich, auch weiterhin nichts von dir zu hören“, sagte Albus mit einem Hauch Wehmut in seiner Stimme. „Und wir wissen beide, dass kein Veritaserum in dem Tee war.“

     Damit verschwand er in dem sternenklaren Nachthimmel und wieder folgten Gellerts Augen jeder noch so kleinsten Bewegung, bis sein lang ersehnter Besucher zur Gänze verschwunden war.

     „Ja Albus, alter Freund“, flüsterte er, kaum wahrnehmbar, „das wissen wir.“

    

Die Blaue Mauritius

Die Blaue Mauritius

 

‚Den gestrigen Augenberichten Zufolge, wurde der flüchtige, mutmaßliche Todesser Lucius Malfoy am Randgebiet von Calais gesichtet. Die Hausfrau Madame Louise B. informierte die Muggelpolizei, nachdem sie den Verdächtigen durch ein Fahndungsbild in den Muggelnachrichten (übertragen in Echtzeit von einem sogenannten Fernsehapparat, mehr dazu auf S. 7; Rubrik ‚Muggel und ihre Kuriositäten‘) wiedererkannt hatte. Diese Aussage fügt sich mit denen der letzten Augenzeugen zusammen, die L. Malfoy in den letzten Wochen zwischen der Küste von Dover und Calais gesichtet haben wollen. Ein Sprecher des Ministeriums gab hierzu einem Reporter des Tagespropheten bekannt, dass es nun einige Unstimmigkeiten bezüglich des Zuständigkeitsbereiches mit dem französischen Zaubereiministeriums gäbe, es aber nur eine Frage der Zeit sei, bis L. Malfoy gestellt sei.

     Derweil behauptet die Ehegattin, Narzissa Malfoy (41), weiterhin, der Aufenthaltsort ihres Mannes sei ihr unbekannt und sie habe ihn seit dem Vorfall in der Mysteriumsabteilung am 4. Juni weder gesehen noch gesprochen. Nachdem die Durchsuchung von Malfoy Manor (siehe letzte Ausgabe ‚Razzia in Malfoy Manor‘) ebenfalls ergebnislos geblieben war, bleibt abzuwarten, ob das Ministerium sein Versprechen halten kann, das einst ehrenhafte Mitglied der Zauberergesellschaft zu stellen und dem Zaubergamot vorzuführen.‘

 

Ein lautes Klirren und Scheppern durchdrangen die Stille der Wohnung, kurz darauf ein markerschütternder Schrei. Luciana riss sich von dem Anblick des Zeitungsartikels los, drehte mit Hilfe ihrer Zehenspitzen den Schreibtischstuhl um neunzig Grad Richtung der Ausgangstür ihres Zimmers, erhob sich widerwillig und schlurfte demotiviert dem tosenden Gedonner entgegen. In der Küche angelangt offenbarte sich ihr ein wohlbekanntes Bild: Der neurotische Sauberkeitsfanatiker war in das Bombardement aus dreckigem Geschirr, Essenresten und den mit Krümeln und Schnittüberbleibseln bedeckten Boden eingedrungen und sah mit seinen weit aufgerissen, vor Schock hervorquellenden Augäpfeln, mehr denn je aus wie ein wahnsinniger Massenmörder.

     „ZWEI erwachsene Menschen im Haushalt und wie JEDES Mal ein Mykotoxin-verseuchter Brutkasten aus Bakterien und Schimmelkulturen – meinst du unsere Kontaminierungseinheit hat nichts Besseres zu tun, als deinen UNRAT zu beseitigen?“

     „Hallo Gabriel, ja, ich freue mich auch unheimlich dich zu sehen, ja klar, mir geht’s gut und ich hatte meinen Spaß die letzten Wochen, danke der Nachfrage“, ratterte Luciana darauf monoton herunter und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Küchentisch.

     „In drei Jahren fünfzehn neue Küchen, FÜNFZEHN!“, wetterte ihr Pate weiter – dabei war er nicht einmal dazu gekommen seinen Mantel abzulegen, geschweige denn seine Aktentasche, mit der er sein Gezeter noch wild gestikulierend unterstützte.

     „Pff, ist ja auch völlig normal die komplette Küche rauszureißen, sobald eine Packung Salami im Kühlschrank das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat.“

     „JETZT auch noch frech werden, das hättest du wohl gern, junge Dame, DA“, mit diesen Worten griff Gabriel nach einem Gulasch-Topf, in dem halbhoch das Spülwasser zum Einweichen stand. Ein paar Reste des ehemaligen Inhalts des Topfes waren angetrocknet auf dem Herd verteilt, plus Fliesenspiegel und Arbeitsplatte (selbstverständlich hatte es sich Lucianas Falke Azrael nicht nehmen lassen die Gulaschreste als Planschbecken zu missbrauchen). „Du glaubst doch nicht ERNSTHAFT, das würde mit PUTZMITTEL“ (Gabriel hasste Putzmittel, allesamt ‚ineffektiv‘ und ‚Augenwischerei‘) „beseitigt werden können?!“

     „Du musst lernen etwas mehr wie ein Zauberer zu denken, Gabriel.“ Dieses, von ihrem Paten an sie selbst gerichtete Zitat, welches sie zu allem Übel mit einem ganz speziellen, süffisanten Grinsen ausgesprochen hatte (kopiert von einem gewissen Tränkemeister), brachte die Angelegenheit zu einer waschechten Eskalation. Luciana war drauf und dran, sich aus Küchenrolle geformte Kügelchen in die Ohrmuscheln zu stopfen, als die Schimpftirade ihres Paten durch das Aufklingen des Imperial March durchbrochen wurde (der übrigens, seit Johnny unbeobachtet an dem kleinen, weißen Kasten über dem Wohnungseingang herumgebastelt hatte, die Türklingel war).

     Vor der Tür stand kein geringerer als Albus Dumbledore, der vergnügt mit den Klängen von John Williams hin und her wippte, wobei sein hüftlanger, silberner Bart durch die Luft schwang. „Welch eine überschwängliche Willkommenshymne“, gluckste er zufrieden und betrat den Flur ihres Heims mit zwei langen Schritten, nachdem Luciana aus der Schockstarre erwacht war und ihm Platz gemacht hatte.  

     „Sind die ZAG-Ergebnisse so schlecht ausgefallen, dass Sie sie persönlich überbringen müssen?“, erkundigte sie sich im Flüsterton bei ihrem Schulleiter und ihr Herz schien bei diesem Gedanken gleich ganz aussetzen zu wollen.

     Dumbledore schien diese Idee höchst amüsant zu finden – was Luciana übrigens ganz und gar nicht nachvollziehen konnte, immerhin war es ihr Hintern der nach Askaban, dem Zauberergefängnis, Mitten im Nirgendwo der schottischen See, verfrachtet werden würde, wenn sie ihren allgemeinen Zauberergrad nicht bestehen würde.

     „Nein, nein, mein Kind“, antworte Dumbledore, ebenfalls im Flüsterton und beugte sich ein Stück zu ihr herunter. „Und unter uns – ich glaube nicht, dass du dir wegen deiner Ergebnisse den Kopf zerbrechen musst.“ Diese Anmerkung schloss er mit einem Augenzwinkern ab und griff dann an ihr vorbei die ausgestreckte Hand ihres Paten, der plötzlich mit ihnen im Flur stand – dabei konnte man bei diesem nicht einmal mehr erahnen, dass er sich die letzten zwanzig Minuten in Rage getobt hatte.

     „Doktor Steinhardt, sehr freundlich, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten“, sagte Dumbledore und schüttelte Gabriel die Hand. Mit geschäftigem Blick erwiderte ihr Pate die Begrüßung und geleitete den Professor den Flur entlang in sein Arbeitszimmer, dessen Tür sich schloss, sobald die beiden es betreten hatten.

     Verdammt

     Lucianas Neugier war in voller Fahrt, immerhin kam es nicht häufig (bisher gar nicht) vor, dass der Kopf des Orden des Phönix bei ihnen Hausbesuche machte.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

    

     Der letzte Monat war die reinste Qual für sie gewesen. Nach der letzten Ordenssitzung, kurz nach dem Eintreffen des Hogwarts-Express in London (zu der Gabriel sie begleitet hatte), waren ihre Informationsquellen um die Geschehnisse in der Zaubererwelt auf den Tagespropheten, den Klitterer und Zeitungen aus der nicht-magischen-Welt beschränkt worden.

     Rennoc, der ihren Posten im Auftrag von Gabriel für die Ferien übernommen hatte, war die letzten Wochen meist so mit Arbeit überhäuft, dass er kaum Zeit hatte Luciana Auskünfte zu geben, egal wie häufig sie ‚zufällig‘ das ein oder andere Buch in seiner Bibliothek ausborgte und wieder zurückbrachte. Seine Sitzungsprotokolle waren für sie zudem noch vollkommen unbrauchbar, da er jedes Blatt Papier davon mit schnörkeliger Schrift in Latein vollgekritzelt hatte und noch nicht dazu gekommen war, diese zu übersetzen. 

     Ja, und die genannten Zeitungsartikel gab es zwar zu Hauf, waren aber für ihre Zwecke total unbrauchbar. Das Zaubereiministerium hatte vielleicht keine Informationssperre verhängt, hielt sich dafür allerdings mit den Aussagen über einen gewissen, schwarzmagischen Oberguru und seine Anhänger sehr zurück. Wahrscheinlich wollte man eine Massenpanik verhindern, die Situation herunterspielen, oder vielleicht (Luciana wagte es zu bezweifeln) war es wirklich ruhig um Voldemort geworden; sie jedoch direkt nach dem Schuljahr, kurz nach dem Showdown im Ministerium, in den Zwangsurlaub zu schicken, war unmenschlicher als jeder Cliffhanger eines Staffelfinales ihrer Lieblingsserien.

 

     Und da kam ihr ein genialer Gedanke in den Sinn. Mit einem kurzen Sprint rannte Luciana zurück in ihr Zimmer, zog den riesenhaften, dunkelbraunen Lederkoffer (der seit ihrer Rückkehr nach Deutschland noch immer halb gefüllt war) unter ihrem Bett hervor und drehte diesen mit einem kräftigen Ruck in die Schräglage, sodass sich der gesamte Inhalt in einem chaotischen Haufen auf dem Fußboden verteilte. Kurz darauf flogen die Kleidungsstücke und Bücher kreuz und quer im Raum herum (ein dumpfes Kreischen kam aus der Richtung der Couch, auf der gerade noch Azrael seinen Mittagsschlaf gehalten hatte und nun unter einem Umhang begraben lag), doch es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis Luciana, auf allen Vieren auf dem Boden suchend, triumphierend eine fleischfarbene Schnur in den Händen hielt, an dessen beiden Enden Ohren baumelten.

     Schnell rappelte sie sich auf, lief wieder zur Tür hinaus den Flur hinunter und positionierte sich mit einer scharfen Vollbremsung direkt vor dem verschlossenen Arbeitszimmer, aus dem unverständliches Gemurmel drang. Das Gemurmel wich klar verständlichen Worten, kaum dass sie den Geniestreich von einer bombastischen Erfindung ihrer Lieblingszwillinge in Stellung gebracht hatte (das eine Ohr heftete sie mit der Selbstklebefunktion an die Tür, das andere hielt sie nah an ihr eigenes).

     „… Riddle Anwesen gesprochen“, anscheinend war sie mitten in eine von Dumbledores Ausführungen geraten, zumindest laut seinem aufgelegten Erklärtonfall. „Ihr guter Riecher scheint sich wieder einmal bewahrheitet zu haben, Doktor Steinhardt.“ Eigentlich hätte Gabriel an dieser Stelle etwas erwidern können, doch es war nichts weiter als Stille zu hören, bis Dumbledore wieder das Wort übernahm. „Sie wollen mir noch immer nicht verraten, woher Sie Ihre Quellen beziehen?“

     „Es zählen doch letztendlich die Ergebnisse, Professor. Meine Diskretion ist ein ausschlaggebender Grund, wieso ich diverse Informationen überhaupt bekomme.“ Ach was hätte Luciana darum gegeben, nicht nur Zeuge des Gesprächs, sondern auch der Mimik der beiden zu sein – Gabriel und Dumbledore schienen ein sehr angespanntes Verhältnis zu pflegen, das hatte sich schon bei der ersten Sitzung im Grimmauldplatz deutlich bemerkbar gemacht. Nachdem der Schulleiter dann noch die ‚Dreistigkeit‘ besessen hatte, ein ganzes Jahr für die Bewachung einer Prophezeiung zu ‚verschwenden‘, war dieser im Ansehen ihres Paten wohl noch mehrere Stockwerke tief gesunken; trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, gingen die beiden äußerst höflich miteinander um. Oder wie man den Rohen-Eiertanz auch immer nennen wollte.

     Die Antwort von Dumbledore bestand lediglich aus einem hörbaren Seufzen, dann waren Schritte zu vernehmen. Luciana war schon drauf und dran ihren Posten im nächsten Sprintansatz zu verlassen, als ihr in den Sinn kam, dass Professor Dumbledore anscheinend nur wieder dazu übergangen war, im Raum auf und ab zu laufen, was er offenbar häufig tat, wenn er seine grauen Zellen ganz besonders auf Touren bringen wollte.

     „Wir haben einen Horkrux“, (einen WAS?) fuhr Dumbledore nach einiger Zeit fort, „ausfindig machen können. Es ist vermutlich der Zweite, den er, kurz nach seinem Abschluss in Hogwarts, hergestellt haben muss. Dabei handelt es sich um einen Gegenstand aus dem persönlichen Besitz seines Vaters.“

     „Ja, so etwas hatte Rennoc in seinem letzten Sitzungsprotokoll erwähnt.“ Verdammte Latein-Nerds.

     „Wir haben die letzten Wochen gründliche Beinarbeit geleistet und sind uns nun sicher, dass es sich um eine Briefmarke aus einer Sammlung handeln muss, wenn man den Auskünften einiger Dorfbewohner in Little Hangleton Glauben schenken mag.“ Okay … es mochte vielleicht ein Monat vergangen sein, aber wie zur Hölle kam man von ‚Wir sind kurz vor einem Krieg‘ und ‚Maßnahmen um Anschläge von Todessern zu verhindern‘ auf so etwas Triviales wie eine Briefmarkensammlung? Vielleicht hatten die beiden da im Arbeitszimmer herausgefunden, dass sie belauscht wurden und machten sich jetzt einen Spaß daraus, sie mit schwachsinnigen Informationen in die Irre zu führen? Doch es ging noch weiter, dieses Mal war es an Gabriel nachzuhaken:

    „Wenn es sich hierbei um eine ganze Briefmarkensammlung handelt, wird sie doch sicher mittlerweile auf dem ganzen Globus zerstreut sein?“

     „Ich denke an diesem Punkt hat uns das Glück noch nicht ganz verlassen“, sagte Dumbledore, jetzt wieder mit einer etwas heiteren Stimmlage. „Es geht nämlich nur um ein ganz besonderes Stück in der Sammlung, wie man mir versicherte.“

     „Etwas genauer, Professor. Ich kenne mich ein wenig mit der Thematik aus; ich hatte selbst einen … Liebhaber dieses, höchst unproduktiven und kostspieligen Hobbies in meiner Blutlaufbahn.“ Und auch diese Information war Luciana neu. Nicht, dass es zu Gabriels Lieblingsbeschäftigungen zählte von seiner Verwandtschaft zu plaudern.

     „Man sagte mir, es handle sich um ein ganz besonders ausgefallenes Exemplar.“ Oh, Luciana konnte den genervten Ausdruck auf dem Gesicht ihres Paten beinahe durch die geschlossene Tür sehen, den er immer aufzusetzen pflegte, wenn sein unfassbar unstrapazierbarer Geduldsfaden zum Zerreißen gespannt war. „Die Blaue Mauritius“, warf Dumbledore dann in den Raum und eine Sekunde später erlitt Luciana fast einen Hörsturz. Gabriel hatte so laut und schallend angefangen zu Lachen, dass es wahrscheinlich noch unten in der Magieforschungsabteilung zu hören sein musste. Das Lachen endete so abrupt wie es gekommen war.

     „Das ist nicht Ihr Ernst“, bemerkte Gabriel trocken. „Es sei denn, Sie reden von einem gestempelten Exemplar.“

     „Nein, Doktor Steinhardt, wir reden tatsächlich von einem Ungestempelten. Was die Suche doch erheblich eingrenzt, möchte ich meinen.“  

     „Die sogenannte Blaue Mauritius“, begann Gabriel, wie er es sonst bei ‚Lektionen fürs Leben‘ bei ihr zu tun pflegte, „aus der Septemberausgabe des Jahres 1847 mit dem Motiv der Königin Victoria, erschienen in den Farben Rot und Blau. Stichtiefdruck und geschnitten, wenn ich mich richtig entsinne, mit dem Postwert von einem Penny und zwei Pence. Sicher gehört sie nicht zu der Top Drei der wertvollsten Briefmarken der Welt, aber sie ist die wohl Berühmteste. Es gibt fünf, nein vier Ungestempelte, davon befindet sich eine im Postmuseum in London. Die weiteren Aufenthaltsorte sind mir nicht bekannt.“

     „Port Louis, Mauritius“, sagte Dumbledore, „eine befindet sich in unbekanntem Privatbesitz und die Vierte – ja die Vierte gehört dem Königshaus.“

     „Sie scheinen sich ausführlich über das Thema informiert zu haben. Daher kann ich nicht ganz verstehen, wieso Sie um eine private Unterredung mit mir gebeten haben.“

     „Sir Rennoc hat nach der letzten Ordenssitzung angemerkt, Ihre Organisation habe vorzügliche Methoden in gesicherte Muggelgebäude zu gelangen“, bemerkte Dumbledore.

     „Ehm, ja“, sagte Gabriel und hörte sich dabei verwirrt an. „Für Leute, die nicht apparieren können. Oder sich einen Zugang über ein Flohnetzwerk verschaffen. Oder noch etwas deutlicher: Für nicht magisch begabte Menschen.“

     „Und sehen Sie hier, Doktor Steinhardt, brauchen wir genau das. Keine Magie, nicht einen Funken.“ Wahrscheinlich machte Gabriel genauso ein verwirrtes Gesicht wie Luciana. „Sind Sie mit der Geschichte der Zaubererfamilie Baskerville vertraut?“ Eh, nein?

     „Ja“, knurrte ihr Pate und am liebsten hätte sie laut aufgeflucht.

     „Seit heute sind wir endlich soweit, dass wir die vier Exemplare auf zwei eingrenzen konnten. Die Briefmarke in Port Louis hat nie ihren Platz verlassen und auch das Postmuseum hat ein lückenloses Protokoll, seitdem sie im Besitz dieses prachtvollen Stückes sind. Nun würde man sicher davon ausgehen, bei unserem Horkrux müsse es sich um die Briefmarke mit unbekanntem Besitzer handeln, allerdings“, und damit lief Dumbledore wieder auf und ab, „gab es ein paar Unstimmigkeiten, als die Marke der Königsfamilie, anlässlich einer öffentlichen Ausstellung, von ihrem gewohnten Aufenthaltsort zeitweise entfernt wurde und genau in diesem Zeitraum muss der Horkrux entstanden und in Sicherheit gebracht worden sein. Und welch passenderen Ort könnte man sich zur sicheren Verwahrung vorstellen, als ein weltbekannter Palast, der nicht nur Rund um den Zeiger von Muggeln, sondern auch seit Erbauung durch die beste Zaubererfamilie in Punkto Zauberkunst der Bannsiegel und Schutzzauber geschützt wird?“ Der Buckingham Palace wurde von Zauberern geschützt? Wahrscheinlich wieder eines dieser vielen, kleinen Details, die Luciana nicht über die Zaubererwelt wusste und dort wiederum als Allgemeinwissen angesehen wurde.

     „Ach, der Alte Baskerville hat das Familiengeschäft also doch nicht an den Nagel gehängt“, bemerkte Gabriel mit gehässigem Unterton. „Aber Ihre Überlegungen klingen logisch. Und gar nicht mal so dumm von Riddle.“

     „Der Orden würde einen Experten auf dem Gebiet der Baskervilles bereitstellen“, sagte Dumbledore dann, „um möglichen, unliebsamen Überraschungen entgegen zu wirken.“

     „Das hört sich vernünftig an“, räumte Gabriel ein. „Und ich werde in den nächsten Tagen in Erfahrung bringen lassen, wo genau sich die Privatsammlung der Königin im Palast aufhält. Ich kann Ihnen allerdings jetzt schon sagen, dass wir ganz sicher im Vorfeld einen Ausspähungstrupp in das Gebäude schicken. In diesem Fall würde ich vorschlagen die naheliegende Option zu wählen und diesen mit einer gewöhnlichen Touristengruppe einzuschleusen. Dabei wäre es sicher von Vorteil, Ihren Experten mitzunehmen.“

     „Ein vorzüglicher Plan, Doktor Steinhardt, lassen Sie uns morgen über einen Patronus miteinander sprechen.“ Der Rhythmus der Schritte veränderte sich plötzlich und das Rollen eines Bürostuhls über Parkett war deutlich zu vernehmen. „Und nun zeigen Sie mir bitte, wo genau in diesem Gebäude die Trainingshalle liegt. Mr Jonathan versicherte mir, ich könne ihn dort finden.“ Höchste Zeit für Luciana das Weite zu suchen. Die Langziehohren stopfte sie sich noch auf dem Weg in ihr Zimmer in die Hosentasche und begab sich dann, so scheinheilig wie möglich, wieder an ihren Platz am Schreibtisch, um Seite zwei des heutigen Tagespropheten in Augenschein zu nehmen. 

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

In der Nacht fand Luciana kaum zwei Stunden Schlaf. Das Gespräch zwischen dem Schulleiter und ihrem Paten wollte einfach keinen Sinn ergeben und egal wie sehr sie ihre Schulbücher gewälzt und das Internet durchforstet hatte, nirgends auch nur ein Sterbenswörtchen über einen sogenannten Horkrux, geschweige denn, was dieser mit einer Briefmarke zu tun haben sollte. Trotz der beinahe ruhelosen Nacht hatte Luciana am nächsten Morgen mehr Energie im Leib, als die sämtlichen letzten Wochen. Am Küchentisch (in dem Raum hatte sich seit gestern einiges getan; dieses Mal schien sich Gabriel für eine beige Küchenfront im Hochglanzstil entschieden zu haben) schlürfte sie nun schon ihre dritte Tasse Kaffee, während sie sich Plan A bis D für den heutigen Tag zurechtlegte. Johnny saß, mit seinen Füßen auf dem Tisch, ihr gegenüber und war fast am Ende seines Ritual-Schund-Blatt-Guckens angelangt – wenigstens hatte er nicht einen Versuch unternommen sie in ein Gespräch zu verwickeln. Währenddessen pickte Azrael unter dem Fenster lustlos in einem Haufen Frischfleisch herum, den er, fein säuberlich, aus seinem Futternapf (welchen er schon immer zutiefst zu verachten schien) auf den Fliesen aufgestapelt hatte.

     Mit einem Klaps gegen Johnnys Schulter und einem „Ich bin dann mal weg, sehen uns heut Abend“ verabschiedete sich Luciana und kippte die letzten Schlucke Kaffee hinunter. Nachdem sie sich mit ein paar Alibi-Büchern aus der Bibliothek bewaffnet hatte, machte sie sich auf den Weg zum Fahrstuhl des Sangues, welcher am Ende des ewig langen Ganges vor ihrer Wohnungstür lag (der kleine Fahrstuhl in ihrer Wohnung stand unter ‚Wartungsarbeiten‘; wenigstens würde sie sich so ein wenig die Beine vertreten können).

     In dem Fahrstuhl angekommen (eigentlich war es ein Lastenaufzug, in dem problemlos gleich mehrere Fahrzeuge Platz finden könnten) stellte sich ihr die nächste Zeitverzögerung in den Weg. Die Mitarbeiter und Besucher des Sangues machten sich nämlich einen riesen Spaß daraus, das in der Mitte diesen Monat herausgegebene Schutzmaßnahmenprotokoll des britischen Zaubereiministeriums durch den Kakao zu ziehen. Seit dem Ereignis in der Mysteriumsabteilung, war nicht nur der Zaubereiminister Cornelius Fudge durch den ehemaligen Chef des Aurorenbüros (Jobbeschreibung eines Aurors: Schwarzmagier jagen), Rufus Scrimgeour ersetzt worden, sondern die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums hatte eine hundertachtzig Grad Drehung hingelegt. Während die bisherige Leitung alles daran gesetzt hatte, jegliche Gerüchte und Meldungen von der Wiederkehr des Schwarzen Führers im Keim zu ersticken, versuchte die Neue das angeschlagene Image des Ministeriums mit Aufstockung der Sicherheitskräfte und Schutzmaßnahmen der Zivilbevölkerung aufzupolieren. Mit gleich drei aufeinanderfolgenden Tagesprophetausgaben hatte das Ministerium ein ‚Merkblatt‘ mit vierzehn Maßnahmen herausgegeben – die einen mehr, die anderen weniger sinnvoll. Und mit diesen, oder optisch ähnlichen, Merkblättern war der Fahrstuhl von der Decke bis zum Boden tapeziert worden und an den Wänden hingen an Schnüren baumelnde Eddings in allen erdenklichen Farben (alles hatte mit einem Zettel an dem großen Spiegel in der Kabine angefangen, von da aus war die Sache explosionsartig eskaliert). Mit anderen Worten, Luciana stand in einem violetten Riesenschuhkarton und kratzte an der Stelle der Wand herum, an der die Schalttafel des Aufzugs hängen müsste.

     An dem Platz, an dem Sicherheitsmaßnahme Vier – ‚Stimmen Sie sich in Sicherheitsfragen mit engen Freunden und Verwandten ab, damit Sie Todesser, die sich mit Hilfe des Vielsaft-Tranks (siehe Seite 2) als andere ausgeben, erkennen können‘ – diskutiert worden war (man hatte sich mithilfe einer Abstimmung auf das Safeword ‚Bananahammock‘ geeinigt), wurde sie nicht fündig, aber sie hatte im Gefühl, am richtigen Ort zu Graben. Und endlich, unter Maßnahme Nummer eins – Wir raten Ihnen, das Haus nicht allein zu verlassen – und der darauffolgenden, meterlangen darauf geklebten Instruktion (in mehreren Handschriften, offenbar war sie immer und immer wieder erweitert worden, unter anderem: ‚Die Vampire verlassen AUSSCHLIESSLICH Paarweise das Gebäude‘ und weiter ‚Möglichst in gruppierten Zweierreihen‘ noch weiter ‚Es darf auf KEINEN FALL versäumt werden, sich dabei an den Händen zu halten‘ und dann ‚Bei Sichtung eines oder mehreren Todessern verständigen Sie einen kompetenten Werwolf in Ihrer Nähe‘ daneben ‚Fi** dich doch selbst‘, weiter unten ‚Bitten Sie den oder die Todesser um eine Armlänge Abstand‘) kam das Tastenfeld zum Vorschein. Luciana drückte den Knopf für die minus Zwei Ebene und yap – als sich die Schiebetüren schlossen, glichen selbst diese einer Litfaßsäule.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Die Bibliothek des Bunkers zu betreten, war jedes Mal aufs Neue wie durch ein magisches Tor in eine andere Dimension zu gelangen. Zwar unterschieden sich die einzelnen Etagen der gigantischen Bunkeranlage in ihrer Funktion, aber das Interieur verfolgte dabei eine gewisse, funktionale Linie, die die meisten Räume (für ihren Geschmack) zu steril und wenig einladend wirken ließen (obwohl das zumindest im Verließ gewollt zu sein schien). Diese Etage bildete die einzige Ausnahme, denn es war das Reich von S. Y. Rennoc. Dieser saß an seinem gewohnten Platz, am Kopfe der Bibliothek, in einem dunklen Holzstuhl mit roter Lederpolsterung und hoher Rückenlehne, an einem dazu passenden Schreibtisch. Wie üblich hielt er sich dabei über einen Stapel antik aussehender Pergamente gebeugt, mit Feder in der linken Hand, während die Rechte eine Stelle an einem der Dokumente markiert hielt. Sein Platz, sowie die gesamte Halle, waren von deckenhohen Fenstern flankiert, hinter denen sich meist eine, von Menschen unberührte, Hügellandschaft auftat. Natürlich handelte es sich hierbei um verzauberte Fenster, die die Strahlen der Sonne lediglich vortäuschten. Zum einen war es nicht ratsam zum Teil Jahrhunderte (wenige sogar Jahrtausend) alte Bücher direktem Sonnenlicht auszusetzen und noch weniger hätte dies der Meister dieser Hallen vertragen.

     Wie jedes Mitglied der UOWV (Gabriel und sie bildeten die einzigen Ausnahmen), war auch Sir Rennoc ein sogenannter Halbmensch oder auch Halbblüter. In seinem Fall ein Vampir.

      Luciana kannte ihr Zuhause nicht ohne den alten Mann, doch Johnny hatte ihr einmal verraten, dass Gabriel große Schwierigkeiten gehabt hatte, Rennoc für seine Untergrundorganisation zu gewinnen. Eine Bibliothek in diesem Ausmaß war dementsprechend niemals in Planung gewesen, sondern ein Anreiz (für sie hörte es sich nach Bestechung an) ein begehrtes Mitglied für die eigene Sache zu verpflichten. Dabei hätte Rennoc wirklich einen schlechteren Deal abschließen können. Das gesamte Design der Halle war nach seinen Vorstellungen erstellt worden und neben den Massen an Glasfenstern hatte er auf handgefertigte Kirschbaumholzregale mit eingeschnitzten Ornamenten (thematisch der jeweiligen Abteilung angepasst) bestanden, die mit sicher einem Dutzend Metern Höhe fast die Decke berührten. Durch den gesamten Mittelgang zog sich hierzu noch ein Meisterstück an Schreinerarbeit in Form eines Tisches, ebenfalls Kirschbaumholz (irgendwo auf der Welt gab es nach der Einrichtung dieses Ortes ein Wäldchen weniger), der sicher an die siebzig Meter lang sein musste, dafür normal breit war. Auf ihm waren, in regelmäßigen Abständen, hunderte von Bibliothekar Lampen mit grünen Schirmen aufgestellt worden. Zu seinen Seiten standen passende Bänke, auf denen, zu Lucianas Erleichterung, gerade keine Besucher saßen und Bücher wälzten.

     Sir Rennoc bemerkte sie scheinbar erst, als sie unmittelbar vor seinem Schreibtisch stand und mit den Büchern in ihren Armen etwas nervös von einen auf den anderen Fuß trat.

     „Fräulein Bradley“, begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln und reichte ihr die Hand, während er mit der anderen seinen Zwicker von der Nase nahm und ihn auf eins der Pergamente ablegte. Sir Rennoc hatte ein blasses Gesicht (okay, dieser Umstand entsprach wirklich dem Klischee des Vampirs und Luciana war noch keiner untergekommen, der nicht entweder kalkweiß war oder aber mit künstlicher Bräune jeglicher Art nachgeholfen hatte), das von Falten durchzogen war und einen weißen Bart, der nur von seinem dunkleren Schnäuzer und seinen dunklen Brauen eine farbliche Abwechslung boten. Beides pflegte er schon immer äußerst gründlich, so hatte sie seine Gesichtsbehaarung nie länger als ein paar Zentimeter gesehen. So viel Haare er auch im Gesicht hatte, so wenig wurden es auf seinem Kopf. Zwar konnte man bei ihm noch nicht von einer Vollglatze sprechen, aber sein Haupt war vollkommen kahl. Nur ein Kranz aus schlohweißem Haar zog sich um seinen Hinterkopf. Wie üblich trug er eine seiner braunen Kutten (ob aus modischer Vorliebe oder übrig gebliebener Nostalgie aus einem früheren Leben, war schwer zu sagen; niemand wusste so recht, wie alt Rennoc sein mochte), die seine ebenfalls braunen Augen hervorhoben. Es war ein Paar ganz besonders aufmerksamer Augen, die meist sehr warm und freundlich wirkten.

     „Was kann ich am heutigen Tag für Sie tun, und dazu zu solch einer frühen Stunde?“, fragte Rennoc und nahm mit einem Schmunzeln die Bücher auf ihrem Arm in Augenschein. Luciana beeilte sich, diese auf einer freien Stelle auf der Tischplatte (die gar nicht so einfach zu finden war) abzustellen.     

     „Ehm, die hatten Sie mir nach Hogwarts geschickt.“ Ihr Gegenüber hob die Brauen und wie so oft katapultierte sie dieser Blick in die Rolle des Grundschulmädchens, welches gerade beim Flunkern erwischt worden war (nicht sehr abwegig, wenn man bedachte, dass Sir Rennoc in den Jahren als Lucianas Privatlehrer eingesetzt worden war, bevor sie eine weiterführende Schule besuchen konnte). „Tut mir wirklich leid, dass ich vergessen habe, sie vorher zurück zu schicken.“

     „Sie wurden in der kurzen Zeit nicht benötigt“, bemerkte Rennoc und legte den Stapel Jahrgangsabschlussbücher auf einen anderen, wohl, um sie später wieder in das richtige Regal zu verstauen.

     „Okay, dann bin ich ja beruhigt.“ Stille legte sich über die Bibliothek, man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

     „Aber deswegen sind Sie nicht gekommen, habe ich Recht?“ Erwischt. So viel zu dem Plan, den alten Herrn in ein Gespräch zu verwickeln, um dann zufällig auf das ein oder andere Thema zu kommen. Eigentlich hätte sie es besser wissen müssen; seit wann hatte sie auch nur einmal Smalltalk mit ihm geführt?

     „Professor Dumbledore war gestern zu Besuch“, sagte Luciana und knabberte sich dabei auf der Unterlippe herum.

     „Ah, ich sehe“, bemerkte Sir Rennoc und erhob sich von seinem Stuhl. „Begleiten Sie mich doch ein Stückchen die Regale hinunter, so kann ich Ihnen vom Orden erzählen und zur selben Zeit ein wenig Arbeit verrichten.“

     Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Unaufgefordert schnappte sie sich einen der Bücherstapel vom Schreibtisch, von dem sie wusste, dass er auf jeden Fall wieder einsortiert gehörte und heftete sich dann an Rennocs gemächliches Schritttempo.

     „Also bevor wir mit dem Orden anfangen … “, sprudelte sie dann los, „mir war da, als hätte Dumbledore irgendwas von einem Horkrux gesagt.“

     Glücklicherweise verzichtete Rennoc darauf nachzuhaken, wann und wie genau dieses Wort gefallen war. Wenn Gabriel Wind davon bekommen würde, dass sie ihn während eines ‚Geschäftsgespräches‘ belauscht hatte, war das Donnerwetter vom Vortag eine halbe Stunde Wellness im Gegensatz zu dem, was darauf folgen würde.

     „Und dieser Terminus sagt Ihnen nichts“, schloss er darauf, woraufhin Luciana nur nickte. „Der Horkrux beschreibt in facto den Ertrag eines schwarzmagischen Rituals, das Libera temet, mit dem man in der Lage ist, seine Seele zu spalten.“

     Wieso sollte man seine Seele spalten? Und wieso kam ihr das so furchtbar bekannt vor?

     „Ihrem verwirrten Ausdruck im Gesicht entnehme ich, dass es Ihnen nicht aufgeht, wieso man so etwas tun sollte?“

     Wieder nickte Luciana und reichte Rennoc das Buch, auf welches er in ihrem Arm deutete. Er sprach weiter, während er, mit dem Buch bewaffnet eine Leiter betrat, die hier überall an den Regalen fest installiert waren und die man beliebig verschieben konnte. „Indem man seine Seele spaltet, was übrigens nur mit Hilfe eines Mordes gelingen kann, entgeht man dem Tod. In gewisser Weise.“ Damit kam er wieder die Stufen herunter und setzte seinen Gang fort, Luciana auf den Fersen. „Den Teil der Seele, den man abgetrennt hat, verschließt man in einen Gegenstand, der damit zu einem Horkrux wird und fortan unzerstörbar ist, ganz gleich um was es sich handelt. Will meinen, beinahe unzerstörbar“, schloss Rennoc und bog in den nächsten Gang ein.

     „Das heißt der Schwarze Führer“, der Bibliothekar schmunzelte bei dieser Bezeichnung, unterbrach sie aber nicht, „hat seine Seele gespalten und wenn man ihn tötet, erwacht er in Form einer Briefmarke zum Leben?!“ Natürlich war das eine lächerliche Annahme, aber Luciana verstand noch immer nur Bahnhof und benötigte Fakten, anstatt halbgare Aussagen.

     „Über die Mauritius wissen Sie demnach auch schon Bescheid?“, stellte Rennoc fest. „Und nein. Derjenige, der einen Horkrux besitzt und getötet wird, stirbt genau wie Sie und ich. Der Unterschied besteht in dem Danach.“ Hier legte Rennoc eine bedeutungsschwere Kunstpause ein und sortierte konzentriert und mit äußerster Sorgfalt die nächsten beiden, in Leder eingebundenen Bücher in ein Regal. „Der Horkrux lässt den eingeschlossenen Teil der Seele jener Person frei, die ihn hergestellt hat und nun gestorben ist. Dieses Seelenstück ist in der Lage von anderen Lebewesen Besitz zu ergreifen, bis es stark genug ist sich auf magischem Wege einen neuen Körper herzustellen.“

     „Sprich, das ist der Grund, warum man lange angenommen hatte der Schwarze Führer sei seit einundachtzig tot?“

     „Gewiss, Fräulein Bradley. Einige Wenige hatten dies zwar immer bezweifelt, jedoch war die Aussicht auf ein paar Jahre scheinbaren Friedens wohl schmackhafter, als diesen Zweiflern Glauben zu schenken.“ Mittlerweile hatten sie das mittlere Arial der Bibliothek erreicht, rechts von Ihnen der Abschnitt über magische Politik und Wirtschaft, zu ihrer Linken die Botanikabteilung.

     „Aber wenn der Schwarze Führer vor fünfzehn Jahren gestorben ist und der Seelenteil in seinem Horkrux freigegeben wurde, wieso sucht der Orden dann nach einem weiteren Horkrux? Gibt es mehr als einen? Oder sind die Dinger recyclebar?“

     „Da haben Sie gut aufgepasst“, bemerkte Rennoc, was ihr mehr denn je den Eindruck vermittelte, hier eine Schulstunde abzusitzen. „Und nein, jeder Horkrux besteht nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem sein Erzeuger entweder stirbt, oder aber der Horkrux zerstört wird.“

     „Mh“, machte Luciana nachdenklich, „aber wenn man einen Horkrux zerstört, sucht sich der Seelenteil, der darin liegt, dann nicht einen neuen Wirt? Heißt das, es laufen bald mehrere von Voldemorts Sorte herum?“

     „Das kann ich, zum Glück, wieder nur verneinen“, antwortete der alte Mann und schien von dem Gedanken der multiplen Schwarzen Führer gar nicht angetan. „Wenn es gelingen sollte die Horkruxe zu zerstören, kehrt der Teil Seele zurück in den Körper des Magiers, der ihn hergestellt hat. Dieser Umstand birgt gleich zwei äußerst unangenehme Konsequenzen für ihn: Erstens bringt ihn das, selbstredend, wieder einen Schritt an die endgültige Sterblichkeit heran und für den zweiten Punkt bedarf es einer ausführlicheren Erklärung … Das magische Ritual einen Horkrux herzustellen verlangt einen Preis, wie es so oft bei den Dunklen Künsten der Fall ist. Seine Seele zu spalten bedeutet gleichermaßen ein Bruchstück seiner Selbst wegzusperren, was den Magier ohne jeden Zweifel in seinen Grundfesten verändert. Da jeder Mensch verschieden ist, wird sich die Seelenspaltung immer ein wenig anders auswirken, doch um es Ihnen eine Spur deutlicher zu machen …“ Auch hier legte Rennoc eine Kunstpause ein und drehte sich dann zu ihr, um seine volle Aufmerksamkeit auf sie zu richten. „Wir alle sind, von all unseren gottgegeben Erbmaterialien ausgenommen, eine Summe unserer Erfahrungen und dem Gelernten, was uns tagtäglich umgibt. So formen sich unsere Ansichten, die Art und Weise wie wir leben und die Dinge betrachten und vor allem, welche Entscheidungen wir für uns treffen und wir die Lebewesen um uns zu behandeln pflegen. Entscheidet man sich dazu, mit einem Horkrux ein Teil von sich zu trennen, so geht auch ein Stück all dieser individuellen Eigenschaften mit ihm. Man verändert sich, ohne sich dessen bewusst zu sein, da nun wichtige Bausteine der Persönlichkeit fehlen um dies reflektieren zu können. Was mich nun zu dem zweiten Teil der unangenehmen Konsequenzen bringt: Kehrt der Seelenteil wieder, setzen sich die fehlenden Bausteine erneut zusammen. Und da es sich bei der Seele um ein im höchsten Maße fragiles Erzeugnis handelt, führt dieser Prozess über kurz oder lang in den Wahnsinn.“

     „Soweit ich das mitbekommen habe, scheint die Sache mit dem Wahnsinn beim Schwarzen Führer schon im vollen Gang zu sein“, kommentierte Luciana.

     „Schenken Sie mir Glauben, wenn ich Ihnen versichere, dass dieser Zustand noch äußerst ausbaufähig ist.“ Luciana schluckte.

     „Und nun ein Themenwechsel, da ich gleich wieder in der Magieforschung benötigt werde“, sagte Rennoc (die Bücher waren mittlerweile wieder alle an ihrem Platz) und setzte sich in Bewegung Richtung seines Schreibtisches. So viel zu dem Plan, etwas über die Arbeit des Ordens herauszubekommen. „Ich wurde gebeten morgen früh einer Exkursion in den Buckingham Palace beizuwohnen.“ Oh, und wieder beim Thema. „Sie haben nicht zufällig Interesse, mich dorthin zu begleiten?“

     Am liebsten hätte sie dem alten Bibliothekar die Halbglatze geknutscht, doch stattdessen bejahte sie die Frage, ein wenig zu überschwänglich. Kurz nachdem Sie Treffpunkt und Uhrzeit ausgemacht und sich verabschiedet hatten, rief Rennoc Luciana, die schon wieder im Aufzug stand zu: „Oh Fräulein Bradley!“ Mit einer Hand an der Schiebetür hinderte sie diese am Schließen und schaute Rennoc fragend an. „Professor Snape hat sich nach Ihrem Befinden erkundigt, ich hoffe, es war in Ihrem Sinn ihm Auskunft zu erteilen.“

     Als die violett behangenen Türen eingerastet waren, stahl sich ein äußerst breites Lächeln in ihr Gesicht.

    

 

Verdeckte Ermittlung

Verdeckte Ermittlung

 

„Bitte beachten Sie den Abstand zwischen dem Zug und dem Bahnsteig“, tönte es nun schon zum fünften Mal durch den blechern klingenden Lautsprecher der U-Bahn. Mit einem Touristenprospekt, welches sie sich beim Umsteigen in der letzten Station an einem Infostand geschnappt hatte, fächerte sich Luciana etwas Luft zu, die in dem überfüllten Abteil stand, als seien sie in einem übergroßen Backofen gefangen. Der Einzige, dem die Schweißperlen nicht auf der Stirn standen, war Rennoc, der sich in einem hellbraunen Tweed-Dreiteiler zwar in das Gesamtbild der Londoner U-Bahn einfügte, aber durch Abwesenheit von geröteter Hautfarbe und besagtem Schweißfilm auf der makellos polierten Halbglatze, mehr einer Wachsfigur glich (dank des GFYS Tranks konnten Vampire, zumindest für ein paar Stunden, den Tag genießen, allerdings befand sich das Mittel noch in der Testphase Zwei). Zum Glück waren die Touristen, Pendler und Arbeiter in dieser Stadt derart beschäftigt mit ihren eigenen Angelegenheiten, dass es bisher nicht einen fragenden Seitenblick an diesem affig heißen Augusttag gegeben hatte.

     An der Green Park Station angelangt, folgten die beiden dem Strom der Menschen, der sie durch einen Unterführungstunnel mitten auf den Weg eines kleinen Parks führte.

     „Das Appariersperrgebiet erstreckt sich noch mehrere hundert Fuß weiter hinter die Grünanlage“, sagte Rennoc und deutete über seine Schulter hinweg an dem Tunnelausgang vorbei. Luciana musste sich erst an den grellen Sonnenschein im Freien gewöhnen und wurde prompt von einer Gruppe Halbwüchsiger in Schuluniformen angerempelt. Wie sehr sie doch Touristenmagnete verabscheute. Der alte Bibliothekar führte sie schmunzelnd ein paar Meter abseits des Weges und reihte sich in eine Schlange ein, die sich vor einer kleinen Imbissbude formiert hatte.

     „Ich denke ein Becher Kaffee wäre Ihnen Recht, Fräulein Bradley?“

     „Heute Mary“, sagte Luciana leise, wobei sie sich noch ein Stückchen zu Rennoc vorbeugte. „Das Teil hier trage ich bestimmt nicht ohne falschen Namen“, damit deutete sie an sich herunter und beäugte, nicht ohne eine gewisse Abscheu im Blick, das beige Ungetüm von einem A-Linien Kleid mit geblümtem Muster. Zugegeben, bei den Temperaturen konnte sie sich nicht über den leichten Stoff und die freien Arme wie Beine beschweren, allerdings sah sie darin aus, wie ein zwölfjähriges Lockmittel für pädophile Triebtäter. Gabriel hatte darauf bestanden, dass sie sich so ‚untypisch‘ wie nur irgend möglich kleidete, aber es war keine Rede davon gewesen, Johnny den Part des Stylisten überlassen zu müssen. Zumindest hatte sie sich die beiden geflochtenen Zöpfe heraus zubbeln können, noch bevor sie und Rennoc über einen Kamin in den Tropfenden Kessel gereist waren. Nun trug sie ihr Haar in einem, etwas wüst aussehenden Dutt. Alles besser als der Gretel-Verschnitt.

     „Ich vergaß“, antwortete Rennoc und wieder trat ein Schmunzeln in sein Gesicht. „Ihr Pate ist in Punkto Inkognito schon immer besonders gründlich gewesen.“ Ja, so konnte man die gefälschten Pässe plus Alibi-Identitäten auch bezeichnen (Luciana wagte stark zu bezweifeln, dass man sie im Falle des Falles nach ihrer Lieblingsfarbe und den Namen ihrer sechs Geschwister befragen würde; diese Informationen hatte sie dennoch von ihrem Paten bekommen).

     Als sie an der Reihe war, bestellte Luciana einen schwarzen Kaffee zum Mitnehmen (Rennoc verzichtete - das portable Winzkaffee schien ohnehin keine Blutgruppen A bis B zu führen) und schlenderte dann mit ihrem ehemaligen Lehrer den Park entlang. Alle paar Meter kommentierte Rennoc die Gegend (was sie wirklich beeindruckte, immerhin bestand dieser Ort aus nichts weiter als Rasenfläche, Bäumen und ein paar Parkbänken – auf die Information, dass sie eben in diesem Moment auf Jahrhunderte alter Lepra-Gebeinen herum latschten, hätte sie allerdings gerne verzichtet) und an der Stelle, an der man schon die ersten Tore des Buckingham Palace erkennen konnte, begann er mit dem etwas heikleren Thema.

     „Die private Führung beginnt um Punkt dreizehn Uhr. Wir treffen uns mit der Reisegruppe“, Gabriel hatte zu den beiden UOWV-Mitgliedern, die schon vor Ort waren, noch zehn ‚diskrete‘ Alibi-Touristen zusammen getrommelt, die nebenbei noch den Auftrag hatten, den Touristenführer mit allen erdenklichen Fragen auf Trab zu halten, „und dem Fremdenführer an der Nordseite des Victoria Denkmals und gehen dann gemeinsam in den Palast. Die Taschen werden gleich am Eingang des Tors in Augenschein genommen, ich hoffe Sie haben alle Gegenstände daheim gelassen, die man als Bedrohung ansehen könnte?“ Luciana nickte darauf. „Exzellent. Mr Wire“, das genervte Aufstöhnen konnte sie sich nicht verkneifen – Thomas Wire war als Mitarbeiter in gleich zwei Abteilungen der UOWV tätig (IT und Sicherheitsmanagement) und das größte, von sich selbst eingenommene Arschloch, das sie kannte und dem seine ‚Unsterblichkeit‘ wohl ein wenig sehr zu Kopf gestiegen war. Oh, hatte sie den Adrenalinjunkie-Part erwähnt? Hervorragende Wahl, dachte sie zähneknirschend und bedankte sich im Geiste beim Tränkelabor für das vermaledeite ‚GFYS‘-Serum, „und Miss Xaong“ (Werwolf Dame, IT-Nerd mit der Kombinationsgabe eines Supercomputers, klein, unscheinbar, niedlich - und das exakte Gegenteil zur Vollmondnacht) „werden nach den Sicherheitsvorkehrungen vor Ort Ausschau halten. Ich werde in Erfahrung bringen, ob die uns vorliegenden Grundrisse und räumlichen Eigenschaften noch den heutigen Gegebenheiten entsprechen und Sie“, Luciana hatte sich gerade eine nervliche Beruhigungszigarette angezündet, „halten im Blick, ob wir auch keinem der Mitarbeiter und Personen im Palast mit unserem Tun auffallen.“ Na wenn’s sonst nichts war …

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Der halbrunde Platz vor dem Buckingham Palast war überfüllt von Touristen, so, wie Luciana ihn noch von dem Kurztrip vor drei Jahren im Gedächtnis hatte. Zu dieser Jahreszeit schien es allerdings noch ein wenig mehr Menschenmasse zu sein, als im Frühling. Kaum, dass sie die Straße mit einem Schwung Passanten überquert hatten, konnte sie schon Wire erspähen, wie er gerade ein Gruppenfoto, vor der riesenhaften Statue, für ein halbes Dutzend junger Frauen aufnahm, die anscheinend einen Jungesellinnenabschied mit einer Sightseeing-Tour einläuteten (wenn die drei Flaschen Wodka und das Pinke Top einer der Damen, mit der Aufschrift ‚BRIDE‘, als Indizien zählen konnten).

     Natürlich ließ sich der selbsternannte Weiberheld nicht nehmen, den Alkohol selbst zu probieren und sich von gleich drei Mädels die Wangen mit Lippenstiftkussmündern versehen zu lassen. Selbst Rennoc schien bei diesem Anblick kurz um Fassung zu ringen, bekam sich aber schnell wieder ein und schüttelte Wires Hand. Wem auch immer sei Dank, handelte es sich bei dem Jungesellinnnenabschied nicht um ihre Alibi-Touristen-Gruppe, also hielt Luciana, auf den Zehenspitzen stehend, nach ihr Ausschau.

     „Ich nehme an, jegliche Hoffnung ist vergebens, dass dieser Herr bei Sir Rennoc nicht einem der Geniestreiche Ihres Paten entspringt?“

     Sie konnte nur hoffen, dass sich ein Notarztwagen schnell genug durch die Massen der Menschen hier hindurchschieben könnte, denn ihr Herz hatte von einer Millisekunde auf die Nächste seine Hauptfunktion eingebüßt. Ihr Kopf drehte sich langsam, mit leicht geöffnetem Mund und eingefrorenem, geschocktem Ausdruck im Gesicht, doch diese Stimme hätte sie unter Millionen wieder erkannt. Noch dazu der unverkennbare Tonfall, der, wie so oft, vor Sarkasmus triefte. Als ihr Blick auf den Mann neben ihr traf, war Luciana sehr froh darüber, dass sie nur ein Organ besaß, was hin und wieder in seiner Gegenwart das Schlagen einstellte, denn bei dem Bild, was sich ihr bot, wäre Nummer zwei auch gleich zu Schaden gekommen.

     Severus Snape, Professor für Zaubertränke in Hogwarts, Doppelspion für den Orden des Phönix, dessen Kleiderschrank ungefähr so viel Auswahlvielfalt wie der eines Homer Simpsons aufwies (mit dem kleinen Unterschied, dass bei Snapes Vokabular an der Stelle, wo das Wörtchen ‚legere‘ hätte stehen müssen, ein großes ‚ERROR‘ prangte und er demnach jeden Zentimeter Haut mit, vorzugsweise schwarzen, Stoff zubetonierte und wäre das nicht genügend Prüderie, jede erkennbare Silhouette seiner Rückseite mit meterlangen Bahnen von einem Umhangzelt zu verhüllen pflegte), stand in körper(hintern)betonten, anthrazitfarbenen Chino-Hosen und einem dunkelgrünen Leinenhemd vor ihr (dessen Ärmel bis zu den Ellen hoch gekrempelt waren – sein Schlangen-erbrechendes Totenschädeltatoo auf seinem linken Unterarm war nicht zu sehen – Makeup? Zauber? Oder hatte er es doch endlich weg Lasern lassen?). Die eine Braue, welche er nun bei dem Anblick einer starrenden Luciana hoch gezogen hatte, blitzte über den Rand seiner tiefbraunen Sonnenbrille. Hatte sie erwähnt, dass sein Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden war? Und ihm dabei die vordersten Strähnen, die offensichtlich zu kurz waren, ins Gesicht fielen? Oder, dass einer seiner Hände lasziv in eine seiner Hosentaschen verschwunden war?

     Das mit dem Krankenwagen hatte sich übrigens wieder erledigt, denn ihr Herz hatte den Streik beendet und anscheinend beschlossen, als Ausgleich für die Pause, einfach eine Doppelschicht zu schieben. Was ihr Blut endlich wieder in Hirnregionen transportierte und sie schnell aus der Schockstarre katapultierte.

     „Sie sind der Baskerville-Experte?“, fragte Luciana perplex, wobei ihr gerade eigens der Gedanke kam, dass sie es besser hätte wissen müssen. Nicht, weil sie besonders ausführlich über das Repertoire seiner Themengebiete informiert war, sondern weil das Schicksal sie seit ziemlich genau einem Jahr bei den unmöglichsten Gelegenheiten mit genau diesem Kerl zusammen würfelte.

     „Wenn Sie es noch ein wenig lauter herumposaunen, haben Sie auch sichergestellt, selbst die Wachen von dieser Tatsache zu informieren“, kommentierte Snape mit scharfem Unterton. Dabei hatte er, mal wieder, maßlos übertrieben – als ob irgendein gesprochenes Wort in dieser lärmenden Menge herausgefiltert werden könnte.

     „Zu Ihrer Frage, Professor“, sagte Luciana mit kühlem Tonfall. „Ja, Mr Wire gehört zu den Mitarbeitern meines Paten, aber glauben Sie mir, das missfällt mir garantiert mehr als Ihnen.“

     Damit wendete sie sich wieder von ihm ab und stiefelte an die Seite von Rennoc (der Abgang wäre sicherlich beeindruckender gewesen, hätte sie diesen nicht in einem, mit Blümchen bedruckten, Sommerkleidchen hinlegen müssen).

     In den nächsten paar Minuten fand sich auch die Touristengruppe bei ihnen ein, die unscheinbarer nicht hätte ausfallen können. Von einem zehnjährigen Kind bis hin zu dem Sandalen tragenden Rentner mit Kamera vor der Brust war alles dabei; die fünf Eingeweihten nickten sich zur Begrüßung zu, wobei Rennoc der Einzige war, der von Snape die Hand geschüttelt bekam; dann geleitete sie der Fremdenführer (ein durchschnittlich aussehender, dunkelblonder Mann in den Vierzigern) zu dem großen, schwarzen Tor auf der linken Seite des Palastvorhofes.

     Die Taschendurchsuchung ging ohne weitere Zwischenfälle über die Bühne (von der, sicher einen Meter langen, Kondomkette abgesehen, die der Sicherheitsmann an zwei Fingern aus Wires Tasche gezogen hatte). Einmal durch das schwere Eisentor hindurch gelangt, begann sich dann doch etwas Nervosität in Lucianas Magengrube auszubreiten. Der gesamte Vorhof des Palasts war mit Wachen und vor allem Überwachungskameras ausgestattet. Zwar erschienen die Grenadier Guards der Königin mit ihren turmhaften Bärenfellmützen und mehr traditionsreicher, als funktioneller Uniform am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts etwas deplatziert, nichtsdestotrotz handelte es sich bei ihnen um effektiv ausgebildete Männer, die allesamt mit einem höchst funktionstüchtigem Gewehr und aufgesetztem Bajonette ausgestattet waren.

     Snape und Rennoc waren in ein, wie es schien, angeregtes Gespräch vertieft (offenbar hatten die beiden, in den letzten Wochen ihrer Abwesenheit beim Orden, eine ganz besonders innige Beziehung zueinander aufgebaut - zumindest machte es den Eindruck, wie Luciana zähneknirschend bemerkte), während Wire und Xaong mit ihren beiden Spiegelreflexkameras scheinbar dreihundertsechzig Grad Aufnahmen von ihrer Umgebung knipsten. Die Alibi-Touristengruppe hatte, seit Eintreffen am Denkmal, nicht das Schnattern eingestellt und die meisten von ihnen kommentierten alle paar Meter jede noch so unspektakuläre Kleinigkeit mit einem ‚Oh‘ oder ‚Aaah‘. Soweit so gut, bisher schien alles glatt zu laufen.

     „Protego Totalum, keine zwei Tage alt“, hörte sie Snape an Rennoc gewandt murmeln, der beim Umsehen unscheinbar nickte.

     „Ja, so etwas hatte ich mir gedacht“, sagte der alte Mann und Luciana schloss ein paar Schritte zu ihnen auf, bis sie zwischen ihnen ging. Sie hatten sich ein paar Meter von der Gruppe zurückfallen lassen, was zum einen den Geräuschpegel um einiges minderte (der Fremdenführer hatte alle Hände voll damit zu tun, die ‚Touristen‘ immer und immer wieder um ‚Contenance‘ zu bitten) und zum anderen ihrem Tränkelehrer anscheinend ermöglichte, seinen sechsten Sinn besser zum Einsatz zu bringen. Obwohl … bei genauerer Betrachtung sah sie, dass sich beim Laufen an Snapes Hosen etwas Längliches abbildete (nicht das Längliche, dazu war die Form viel, viel zu dünn und falsch platziert), genau an der Stelle, in der seine Hand noch immer in der Tasche verschwunden war.

     „Ich dachte, die Schutzmaßnahmen hier schlagen Alarm bei jedem Zauber, den man ausspricht …“ Das hatte ihr zumindest Gabriel eingetrichtert, weswegen sie ihren Zauberstab erst gar nicht mitgenommen hatte.

     „Korrekt“, antwortete Snape, in der leisen Tonlage, die sie sonst nur zu hören bekam, wenn er ihr Gemeinheiten an den Kopf warf und es anwesende Personen nicht mitbekommen sollten. „Ein Zauberstab dient nicht nur der Kanalisierung eines Zauberspruches, sondern erweist sich auch als sehr nützlich, um diese aufzuspüren.“

     „So etwas wie eine magische Wünschelrute?“

     Snape schürzte die Lippen, ganz als sei dieser Vergleich eine persönliche Beleidigung gewesen. Dementsprechend froh war sie darüber, dass Rennoc ihm die Antwort abnahm.

     „Gewiss, Fräulein Bradley“, „Mary“, „das ist ein sehr guter Vergleich. Diese Art der Ortung verlangt allerdings sehr viel Konzentration und Feingefühl, sowie eine Menge Erfahrung – nur wenige Zauberer sind dazu in der Lage.“ Und das beantwortete ihr auch die Frage, wieso Snape Rennoc anscheinend gleich nach der ersten, gemeinsamen Ordenssitzung sein Freundschaftsbuch in die Hand gedrückt haben musste. Mr Feingefühl streckte bei dieser Lobesrede, wie zur endgültigen Bestätigung dieser Theorie, seine Brust ein Stück weiter raus und seinen übergroßen Zinken ein wenig höher in die Luft. Snape liebte Speichellecker, wahrscheinlich weil er selbst zu dieser Spezies gehörte, solang er nur einen Nutzen daraus ziehen konnte.

     Und just in diesem Moment meldete sich Miss Vernünftig in ihrem Kopf zu Wort (von der sie eine ganze Weile nichts gehört hatte) und stellte ihr eine äußerst unbequeme Frage: Kann es sein, dass du ein bisschen sauer auf Snape bist? Wie aufs Stichwort blieb ihre Gruppe vor einem der vielen Eingänge in dem Vorhof stehen und ihr Fremdenführer begann mit einer Erläuterung über die Erbauung des Palastes, die anscheinend auch nicht so schnell beendet sein würde. Was ihr absolut gar nichts zu tun gab, um sich von dieser Frage abzulenken – so, wie sie es die ganzen letzten Wochen getan hatte.

      Die Misere mit ihrem Tränkelehrer hatte ihren Höhepunkt (in zweierlei Hinsicht) in einem, äußerst kurzen, Schäferstündchen im Grimmauldplatz erreicht und als wäre ihr zwischenmenschliches Verhältnis mit diesem Mann nicht schon vor diesem Ereignis äußerst kompliziert gewesen, war es nun vollkommen undefinierbar. Zumindest für Luciana, denn was Snape selbst darüber dachte, war für sie nicht im Geringsten zu erahnen. Sie hatten weder während des Aktes, noch danach auch nur ein Wort darüber gesprochen, was sie da eigentlich getrieben hatten (soll heißen, die praktische Ausführung stellte kein großes Rätsel da, mehr alles drum herum) und vor allem, wie es hatte dazu kommen können. Schlimmer noch: Snape war keine fünf Minuten, nachdem sie sich wieder angekleidet hatten, dazu übergegangen sie zu behandeln, als sei nichts geschehen (nicht nur vor anderen Personen, denn das war nur allzu verständlich). Manchmal war Luciana der Meinung, es habe sich alles nur in einem äußerst wirren Traum abgespielt, wenn sie denn träumen würde.

     Und noch während all diese Gedanken in ihrem Kopf herumschwirrten, gab sie sich eine mentale Ohrfeige für diese derart kindische Überinterpretation. Wenn man die Fakten auf den Tisch warf und sie rein objektiv betrachtete, konnte man die ganze Sache sehr simpel auf eine Tatsache herunterbrechen: Luciana hatte es mit ihrem ständigen Triezen und sexuellen Anspielungen übertrieben, Snape war zu einem Zeitpunkt mit äußerst chaotischen Randbedingungen schwach geworden, hatte sie gevögelt und damit hatte sich die Sache. Klassischer One-Night-Stand, der sich einzig und allein von einem ‚gewöhnlichen‘ darin unterschied, dass ihm, mit Aussicht seinen Posten als Lehrer einbüßen zu müssen und vielleicht noch schlimmeren Konsequenzen, sehr viel daran gelegen war kein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren. Mysterium gelöst.

     Aber diese Erkenntnis half ihr nicht bei der Frage, warum sie es ihm nicht gleich tat und es ebenso einfach abtun konnte. Luciana hatte seit Jahren hin und wieder One Night Stands, im Grunde bestand ihr gesamtes Sexualleben nur aus flüchtigen Bekanntschaften oder Männern, die man nur aus ein und demselben Zweck immer und immer wieder traf. Das war unkompliziert, frei von jeglichem Drama und vor allem, keine Gefühlsduseleien. Warum also störte es sie so sehr, dass sie ihn seit Wochen nicht gesehen hatte und seine Begrüßung aus scharfen Bemerkungen bestand? Wieso versetzte es ihr immer wieder einen Stich, wenn er sie denunzierte, sie unterschwellig als ungebildet und dumm dastehen ließ, wo sie doch immer herzlich wenig auf die Meinung ihrer Mitmenschen gegeben hatte? Und wieso zur Hölle suchte sie immer wieder seine Nähe, wenn er es ihr schlecht noch deutlicher machen konnte, dass er diese nicht wünschte.

     Was Luciana übrigens ihre eigene Frage beantworte: Du bist nicht sauer auf Snape, sondern auf dich selbst. Weil du Vollhorst dich in ihn verl-

 

      „Sind Sie in Ordnung, Miss Bradley?“ Die Person, um die sich die letzten Minuten ihrer Gedankenolympiade gedreht hatte, war näher an sie herangetreten und beäugte sie nun mit prüfendem Blick, in dem auch etwas Besorgnis- (NEIN, p-r-ü-f-e-n-d, Überinterpretation wird ab SOFORT eingestellt!). Und kein Wunder, denn die Gruppe vor ihr hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und war auf dem Weg in den Palast, während sie hier dumm Löcher in die Luft starrte.

     „Ja, entschuldigen Sie bitte, es war eine kurze Nacht“, antwortete Luciana und hätte sich auch gut ohne Snapes Hand am Rücken in Richtung der anderen bewegt. Und da, DA, lag das verfluchte Problem – jedes Mal, wenn sie sich damit abgefunden hatte, dass sie die absolute Pest für ihn darstellen musste, stellte er irgendwas Snape-untypisches, ja zu ganz besonderen Gelegenheiten sogar nettes an und katapultierte sie in ihrer Was-zur-Hölle-war-zwischen-ihnen-Überlegung zurück auf Startposition. Seine Hand führte sie, mit leichtem Druck, die drei Stufen zum Eingang des Westflügels und verschwand erst, nachdem sich Rennoc in der Eingangshalle zu ihnen drehte – und hinterließ noch eine ganze Zeit danach ein Prickeln auf ihrer Haut.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

     Der Palast war von innen so protzig, wie es die mit Gold verzierten Tore und Zäune des Außengeländes schon vermuten ließen. Unter ihren Füßen war der gesamte Boden mit einem rot gemusterten Teppich ausgelegt worden, zu allen Seiten waren sie von Marmorsäulen umzingelt und hätte der Touristenführer sie nicht schon zu diesem Zeitpunkt die Treppe mit dem goldverschnörkelten Geländer hinaufgeleitet, wäre Luciana schon jetzt in die falsche Richtung marschiert (die rechte Seite wirkte, mit seinem gigantischen Vorraum, ihrer Auffassung nach wesentlich vielversprechender).

     „Horribilis Ergänzung“, murmelte Snape an Rennoc gewandt, während er mit seinen Fingerspitzen das tiefbraune Holz der Geländerführung entlangstrich und seine Sonnenbrille in einer Brusttasche verschwinden ließ. Die Gruppe hatte sich wieder ein paar Meter von ihnen entfernt, vorne weg Wire und Xaong, die eine Diskussion mit dem Fremdenführer über das ‚ungerechtfertigte‘ Fotografierverbot führten. Jedoch bekam Luciana dies nur am Rande mit, da das Hinterteil ihres Professors mit unwiderstehlichem Ablenkungsmanöver, keine zwei Handbreit von ihrem Gesicht entfernt, die Stufen hin und her schwang und dabei jede noch so kleinste Bewegung die Vorzüge seiner Gesäßmuskeln zum Vorschein brachte. Dass dieses Prachtexemplar zu beinahe hundert Prozent des öffentlichen Spazierenführens von dieser grässlichen Umhang-Plane verdeckt wurde, glich einem waschechten Skandal … auf der anderen Seite war es vielleicht von Vorteil, dass nicht jedes dahergelaufene Weibsbild (und wohl auch einige männliche Zeitgenossen) freie Sicht auf sein Luxusheck hatte; der Gedanke von Mitschülern umringt zu sein, die sich bei jeder Gelegenheit sabbernd über ihre Arbeitsbänke hingen, sobald Snape auch nur Anstalten machte ihnen seine Kehrseite zu präsentieren, war nicht nur höchst verstörend, sondern ließ in Luciana das Bedürfnis aufkommen, ein paar Kopfnüsse zu verteilen. Und WOHOW, das war knapp gewesen – fast wäre sie frontal in eben jenes Objekt der Begierde gelaufen, da der Professor es sich über die letzten Wochen wohl noch immer nicht abgewöhnt hatte, unangekündigt Vollbremsungen einzulegen. Was sie gleich auf den Boden der Realität zurückbrachte; trotz wochenlanger Abstinenz und einem Hormonhaushalt, welcher in letzter Zeit die Wände hoch und runter zu laufen schien (minutenlanges Philosophieren über den Hintern ihres Tränkelehrers konnte sicherlich hinzugezählt werden, der Sexentzug tat sein Übriges), hatte sie hier und jetzt eine Aufgabe zu erfüllen, die etwas mehr Konzentration erforderte, als hin und wieder einen kurzen Seitenblick auf das Geschehen um sich zu werfen.

     Mit einem geistigen Arschtritt (mmmhhmm, Arsch), einer Ohrfeige, schob sie sich links an Snape vorbei und nahm die letzte Stufe, bis sie am Anfang eines langen Korridors stand. Die Reisegruppe hatte in einem Halbkreis den Reisführer umzingelt, der sich gerade alle Mühe zu geben schien, den Ursprung der Gemälde an den Wänden zu vermitteln. Wire knipste dabei, mehr oder weniger unauffällig, Fotos (hinter der Gruppe, in der Hocke). Xaong hatte derweil ihren Notizblock herausgeholt und schien, zumindest was Luciana aus ihrem Winkel heraus erkennen konnte, Skizzen mit einer Menge Beschriftungen anzufertigen.

     Der Touristenführer hatte es anscheinend aufgegeben, sein Kunstgeschichtewissen an die Banausen von einer Reisegruppe weiterzugeben und führte sie in den nächsten Raum, welchen er als ‚Green Drawing Room‘ bezeichnete. Ein sehr unkreativer Name, wenn man bedachte, dass die Tapeten an der Wand grün gestreift waren und man anscheinend alle grün gepolsterten Möbel des Empires in diese Räumlichkeit gestopft hatte. Snape und Rennoc hatten sich derweil um einen Flügel, welcher am Fenster des Zimmers stand, positioniert und zeigten sich wenig begeistert von diesem Musikinstrument. Luciana bezweifelte, dass es dabei um irgendwelche innenarchitektonischen Patzer gehen konnte, und nahm das, für den Palast eher unscheinbare Stück, näher in Augenschein. Doch bevor sie sich auch nur auf ein paar Schritte nähern konnte, ging es auch schon weiter in den Thronsaal. Oder besser gesagt: Thronsälchen. Selbst wenn diese Besichtigung alles andere als dem eigentlichen Zweck diente, kam Luciana nicht umhin, diese Ortschaft als äußerst unspektakulär zu verbuchen. Im Grunde standen sie in einem von oben bis unten in Rot eingehüllten Raum (durch Teppich oder ellenlange Vorhänge – selbst die Tapeten waren rot), an dessen Ende drei unscheinbare Stufen auf ein Podest führten, auf dem zwei Stühle, mit nicht einmal besonders hoher Rückenlehne, standen.

     „Das sind keine Throne, das sind Klappstühle“, entfuhr es ihr und in diesem Moment war sie ganz besonders froh über die Wahl ihres Paten, eine äußerst geräuschvolle Reisegruppe ausgewählt zu haben. Doch anstatt von Snape, der neben ihr zum Stand gekommen war, wieder wegen unqualifizierten Kommentierens einen über den Deckel zu bekommen, zeichnete sich ein kleines Schmunzeln auf seinem Gesicht ab.

     „Zugegeben, ich hatte mir diesen Raum ebenfalls etwas … prunkvoller vorgestellt“, sagte er und rümpfte dabei ein klein wenig die Nase. „Wenn Sie allerdings einmal Ihren Blick nach oben richten“, Luciana tat es ihm gleich und folgte seinem Blick an die Decke, von der riesenhafte Kronleuchter hingen, „und ein wenig Fachwissen für magische Mineralkunde mitbringen“, was sie nicht tat und er sich dies denken konnte, „werden Sie schnell feststellen, dass dieser Thronsaal mehr die Funktion eines Geschützturms inne hat.“

     Darauf konnte sie nur fragend die Stirn runzeln. Selbstverständlich würde derjenige, dem so ein Kronleuchter auf den Schädel plumpsen würde, ziemlich platt sein, aber im Moment sahen die glitzernden Megaleuchten doch sehr harmlos und vor allem stabil aus.

     „Vitrin telum. Diese Art von Schutzmaßnahme ist vom Ministerium schon seit mindestens einem Jahrhundert unter Strafe gestellt worden.“

     „Ich fürchte mein Latein ist etwas eingerostet, Sir.“ Und vielleicht sollte sie daran wirklich etwas ändern, zumindest, wenn sie nicht dauerhaft Opfer seines ‚Was-muss-ich-mich-immer-mit-diesen-Latein-Noobs-abgeben‘-Blick werden wollte.

     „Wenn ein Magier mit einem Zauber eine der vielen magischen Schranken an diesem Ort auslösen sollte“, begann er mit der Erklärung und setzte sich mit ihr zusammen langsam in Bewegung, da der Fremdenführer offenbar beschlossen hatte, diese Tour in Rekordzeit zu beenden (Luciana konnte es ihm nicht verübeln), „wird sich augenblicklich jeder einzelne Kristall an diesen Kronleuchtern lösen und, mit Hilfe eines Markierungszaubers, welcher ebenfalls von den Schranken freigegeben wird, den oder die Magier als Ziel beschießen.“

     Luciana schluckte und warf gleich nochmal einen Blick über die Schulter zu den abertausenden kleinen Glitzerteilchen, die plötzlich gar nicht mehr so harmlos erschienen.

     „Autsch“, kommentierte sie und riss sich dann von dem Anblick der Guerilla-Leuchter los.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

    

     Im nächsten Gang waren sie umringt von Gemälden, die meist irgendwelche längst verstorbenen, blaublütigen Personen abbildeten und an dem sich der Touristenführer kaum satt reden konnte. Selbst die gesprächigsten aus der Alibi-Gruppe waren nach fünf Minuten Dauer-Dozierens in eine Art Wachkoma übergegangen und auch aus der sicherheitstechnischen Perspektive (ob magisch oder nicht) schien diese Galerie wenig Abwechslung zu bieten. Rennoc hatte die Zwangspause dafür genutzt, ein kleines Portrait an der rechten Wand zu inspizieren (mit einem äußerst uncharakteristischen, wehleidigen Blick, ganz, als würde er die Person kennen, die sicherlich schon seit Jahrhunderten ins Gras gebissen hatte – obwohl, wundern würde sie dies bei ihm weniger), Snape stand, mit verschränkten Armen hinter dem Rücken neben ihr, wobei er, unglaublich aber wahr, nicht wirklich den Eindruck machte, auch mit dem Geiste an Ort und Stelle zu sein und Luciana griff sich vor lauter Langweile die Flasche Wasser aus ihrer Handtasche.

     „SIR!“, donnerte es plötzlich von dem Fremdenführer mit aufgebrachten Geschrei, der mit hocherhobenem Finger auf Snape deutete. „Richten Sie Ihrer Tochter aus, dass es in diesem Palast Touristen strengstens verboten ist, Getränke oder Lebensmittel zu verzehren!“ Luciana verteilte den übriggebliebenen Schluck Wasser in ihrem Mund mit einem Prusten auf dem beige-royalen Teppich zu ihren Füßen und Snape war derart schnell jegliche, mühsam angesammelte Farbe aus dem Gesicht gewichen, dass sie sich Sorgen um einen bevorstehenden, spontanen Kreislaufkollaps machte. Da hatte es doch tatsächlich jemand geschafft, dazu noch nicht magisch begabt und offenbar ohne Doktor oder Professorentitel, Snape mit nur einem Satz Mundtot zu machen. Die Annahme, Luciana könnte seine Tochter sein, setzte ihm offenbar derart zu, dass er aus der Schockstarre gar nicht mehr alleine herauszufinden schien.

     „S-sie … sie ist nicht meine“, begann er leise zu stottern (stottern, wo war die Kamera, wenn man sie brauchte) - ein Glück, dass sie mit einem Katastrophenmanager unterwegs waren.

     „Oh, die junge Dame ist meine Enkelin und der Herr ihr Onkel“, rief Rennoc mit einem Lächeln, wobei dem Touristenführer ihre Verwandtschaftsverhältnisse anscheinend am Allerwertesten vorbeigingen. „Und es tut uns sehr Leid, das wird nicht wieder vorkommen.“ Nachdem sie einen scharfen Blick von Rennoc kassiert hatte, beeilte sich Luciana die Flasche wieder in ihrer Tasche verschwinden zu lassen, danach wandte er sich zu Snape (bei dem langsam wieder etwas Bewegung in die Glieder gekommen war, auch wenn diese nur aus ein bisschen Herumzupfen an den eigenen Fingern bestand), legte diesem die Hand auf die Schulter und deutete auf eines der großen Gemälde zu ihrer linken Seite. Was genau er dem Tränkelehrer darüber zu sagen hatte, erfuhr sie nicht. Luciana zog es vor, sich aus der explosiven Zone zu entfernen, denn mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht wollte sie schon gar nicht von dem Professor erwischt werden.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Die restliche Tour verlief ohne weitere Zwischenfälle. Der ‚White Drawing‘ Room schien für alle Beteiligten des ‚Aufklärungstrupps‘ eine unheimlich interessante Angelegenheit gewesen zu sein, wobei Luciana nicht den Funken einer Ahnung hatte, was an einem ultra kitschigen Kamin mit aufgesetztem Spiegel so besonders sein sollte – allerdings besaß sie weder einen sechsten Sinn für das Wünschelruten von Magie, noch das Fachauge eines IT- oder Sicherheitsspezialisten oder war in den letzten Jahrhunderten in jedem einzelnen Königshaus ein und aus spaziert.

     Nach dem Rundgang im Garten (wo sich Wire und Xaong wieder ganz offiziell mit ihren Kameras austoben durften und sie sich dies nicht zweimal hatten sagen lassen) war die Privatführung am selben Toreingang beendet worden, den sie hineingenommen hatten. Snape verabschiedete sich ebenso unspektakulär wie ihr Touristenführer. Korrektur, Snape war einfach von einem Augenblick auf den nächsten in der Menge verschwunden, wo hingegen der dunkelblonde Herr mit angestrengt freundlichem Blick noch weitere Angebote seines Arbeitgebers anpries und darauf die direkte Fliege machte. Auch Wire und Xaong trennten sich, nach einer kurzen Unterredung mit Rennoc, von der Gruppe und liefen Richtung St. James Park, während Luciana die Gelegenheit nutzte, nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die erste Zigarette zu rauchen.

     Auf dem Weg zurück durch den Green Park hatte sich in den Nachmittagsstunden eine noch größere Menge Touristen auf den Wegen eingefunden, als es auf ihrem Hinweg der Fall gewesen war.

     „Oh, Sir Rennoc“, sprach Luciana, kurz vor dem Eingang des U-Bahntunnels, den alten Bibliothekar an. Dieser war auf dem Rückweg auffallend still geworden und zeigte sich erleichtert, nun eine kleine Pause einlegen zu können.

     „Ja, Fräulein Bradley?“

     „Was hat es mit dem Kamin auf sich? Den im White Drawing Raum.“

     „Ich hoffe unsere Aufmerksamkeit auf den Kamin war nicht allzu auffällig?“, erkundigte er sich.

     „Nein, nein, es war ja meine Aufgabe, Sie im Auge zu behalten.“

     Rennoc nickte und wirkte dann etwas nachdenklich.

     „Nun, den Kamin gibt es schon seit sehr, sehr langer Zeit. Aber ich wage es zu bezweifeln, dass jemals ein Feuer darin entfacht worden ist. Sehen Sie, die königliche Familie hat allerlei Gäste in Empfang zu nehmen. Dabei nutzen die meisten davon den Weg, den auch wir heute zu Gesicht bekommen haben. Das gilt jedoch nicht für die Königsfamilie, für die es doch ausgesprochen umständlich wäre, mit dem gemeinen Volk einzutreten. Eigens zu diesem Zweck hat man den Palast so entworfen, dass es viele verborgene Plätze und Zugänge gibt. Und in genau jenem White Drawing Raum befindet sich, hinter dem Kamin, ein abgelegener Gang, der auf direktem Wege in die Privatgemächer der Königin führt.“

     „Und zu ihrer Briefmarkensammlung.“

     „Gewiss. Und zu ihrer Briefmarkensammlung.“

 

 

 

EMP

EMP

 

     „Luciana“, Gabriel steckte seinen Kopf durch die offene Tür der Küche und fixierte sie mit einem ernsten Blick, „kommst du bitte in mein Arbeitszimmer?“

     Luciana schluckte und schaute sich hilfesuchend nach Johnny um, der nur unproduktiv mit den Achseln zuckte und schnell wieder hinter seiner Zeitung verschwand. Ihr Pate war nie zum Frühstück in der Küche. Er gehörte zu der Sorte Frühaufsteher, die mit ein paar Tassen Kaffee um sechs Uhr dreißig in ihrem Bürostuhl den Tag begannen, vor zehn Uhr keinen Bissen aßen und die höchstens am Mittag ihren Arbeitsplatz verließen, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Wenn er denn nicht irgendwelche ‚Hausbesuche‘ machte.

     Mit ihrem Star Trek Kaffeebecher bewaffnet, machte sie sich auf den kurzen Weg den Flur hinunter, wo am Ende auch schon die Flügeltür zum Reich von Gabriel einen Spalt offen stand. Mit großen Augen und den Becher mit beiden Händen umklammert, betrat sie den Raum und lief an der Minibar vorbei, direkt zu dem riesenhaften, schlichten Schreibtisch, hinter dem ihr Pate schon ungeduldig auf sie wartete. Mit einer Handbewegung deutete er ihr sich auf einen der zwei Stühle vor dem Tisch zu setzen, was sie mit einem kurzen, prüfenden Blick nach rechts und links auch tat.

     Sie hatte wirklich nicht den blassesten Schimmer was sie angestellt haben sollte, denn das war der einzige Grund, wieso sie Gabriel in den letzten Jahren in sein Arbeitszimmer einberufen hatte. Ansonsten war der Raum Sperrgebiet – und selbst diese Ereignisse konnte sie an einer Hand abzählen. Wegen Kleinigkeiten, wie Steuern eines Fahrzeugs ohne gültige Fahrerlaubnis, brauchte sie erst gar nicht den Zeh über seine Türschwelle setzen.

     „Hast du gut geschlafen?“, fragte er, nach einem Moment der absoluten Stille.

     Lucianas Augen verengten sich zu Schlitzen, ihre Hand fasste, so unauffällig wie möglich, an ihre Jeanstasche – in die sie vergessen hatte ihren Zauberstab zu stecken.

     „Sicherheitswort?“, sagte sie dann mit fester Stimme. Gabriel warf nur stöhnend die Arme in die Luft und verdrehte theatralisch seine Augen.

     „Darf ich mich nicht mal nach deinem Befinden erkundigen?“ Darauf zog Luciana nur ihre rechte Augenbraue in die Höhe.

     „Bananahammock“, gab sich ihr Pate endlich geschlagen, „und stell das mit der abartigen Gesichtsmimik deines Tränkeprofessors augenblicklich ein!“ Ihre Augenbraue wanderte wieder an ihre Ausgangsposition. Mist, das fiel ihr selbst in letzter Zeit immer seltener auf.

     „Rück schon raus mit der Sprache, was habe ich wieder angestellt?“

     Sie griff, ohne zu fragen, über die schwarze Schreibtischplatte nach der Zigarettenschachtel ihres Paten und nahm sich einen Glimmstängel heraus, welchen sie auch sofort mithilfe eines der aberhunderten Zippos anzündete, die allesamt in einer meterlangen Glasvitrine an der Wand hinter dem Schreibtisch standen. Penibel gerade mit genau null Komma acht Zentimeter Abstand zwischen jedem.

     „Du hast vielleicht von den Fortschritten mit dem GFYS-Serum gehört?“

     „Ja, aber ich habe nichts davon verkauft, falls-„

     „Nein, nein, das hat ja niemand behauptet.“

     Gut

     „Natürlich weiß ich davon, ansonsten hätte ich wohl gestern ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt, als Sir Rennoc mit mir in der Mittagssonne spazieren gegangen ist.“

     „Kein Grund frech zu werden, junge Dame“, sagte Gabriel mit scharfem Ton und nahm auch gleich einen erhobenen Zeigefinger dazu. Wenn sie so weiter machte, würde es noch eine ‚Solang du deinen Kopf unter meinem Stahlbeton steckst‘-Rede hageln, demnach nahm sie einen weiteren Schluck Kaffee und ein paar Züge von ihrer Zigarette, was übrigens Grundvoraussetzung für ihre Kooperationsfähigkeit am Morgen war.

     „Tut mir Leid.“ Tat es ihr nicht. Doch er nickte zufrieden.

     „Das GFYS-Serum befindet sich noch im Testlauf“, ja, das war ihr bekannt, „soll heißen, wir haben noch nicht alle Nebenwirkungen und Risiken testen können.“

     Das machte Luciana hellhörig. Zwar war es nicht das erste Mal, dass ein Mittel der Tränkeabteilung in einem frühen Stadium der Testphasen an Menschen ausprobiert worden war, aber im Regelfall ging es dabei um irgendwelche Probanden, die zu dämlich waren aus dem hunderte Seiten umfassenden Vertragskatalog, inklusive Verzichtserklärungen, schlau zu werden und am wichtigsten, sie kannte diese Personen nicht.

     „Ist Sir Rennoc okay?“, fragte sie und die darauffolgende Gesichtsakrobatik ihres Paten fraß ein Loch in ihren Bauch. „Ist er okay?“ Dieses Mal mit Nachdruck.

     „Also er lebt“, begann ihr Pate, doch das Aber musste bei diesem Tonfall einfach einen riesenhaften Rattenschwanz nach sich ziehen, „aber es geht ihm gerade nicht sonderlich gut.“

     Lucianas Nasenflügel bebten, dennoch biss sie sich auf die Zunge und tat einen Teufel, die Methoden dieser vermaledeiten Organisation ihres Paten in Frage zu stellen. Zudem musste sich Rennoc über die Risiken bewusst gewesen sein, immerhin gehörte er nicht zu den Frischlingsvampiren, die der Meinung waren, sich ohne einen Kratzer abzubekommen vor einen fahrenden Fünftonner werfen zu können.

     „Und keiner von den knapp zwanzigtausend Leuten, die dir zu Verfügung stehen und auch ohne irgendwelche Mittelchen im Probestadium am Tag draußen herumspazieren können, wäre für Sir Rennocs Job gestern in London in Frage gekommen?“, fragte Luciana spitzt – so viel zum Nicht-Kommentieren. Gabriels Blick verfinsterte sich.

     „Sir Rennoc und ich haben alle Möglichkeiten gründlich diskutiert, nicht, dass es dich etwas angehen würde.“ Aha, hatte der Herr also doch so etwas wie ein Gewissen. Oder zumindest das Bedürfnis sich zu rechtfertigen.

     „Aber es ist nicht lebensbedrohlich?“ Sagte man das so eigentlich bei untoten Vampiren? Auf der anderen Seite, wie sollte man es sonst sagen?

     „Der Mann ist zäh, er hat schon Schlimmeres überstanden.“

     Na das war doch mal eine Antwort, mit der sie nichts anfangen konnte. Seufzend nahm Luciana die letzten Züge ihrer Zigarette und drückte diese dann in dem verchromten Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus.

     „Was ist denn mit Wire?“, kam es ihr plötzlich in den Sinn und dabei hatte sie nicht ein Deut schlechtes Gewissen, dass ihr der Gedanke eines sich windenden Oberarschs eine gewisse Genugtuung verschaffte.

     „Der hat bisher keinerlei Symptome von Nebenwirkungen.“

     Verdammt.

     „Aber darüber wolltest du nicht mit mir reden.“

     „Nein, das war lediglich eine kleine Einleitung, die Fragen wären von dir sowieso gekommen.“ Wo er recht hatte … „Mit Sir Rennocs krankheitsbedingten Ausfall muss ich dich früher als geplant vom Urlaub, zurück auf deinen Ordensposten setzen.“

     Halle-scheiss-lujah

     „Bedauerlich.“

     „Es lässt sich nicht ändern.“ Dabei ein Pokerface aufrecht zu erhalten war eine wirkliche Herausforderung, dennoch schien Gabriel nichts davon mitzubekommen und er fuhr fort. „Deswegen habe ich dich allerdings auch nicht in mein Büro gebeten.“

     Verdammt, wer hatte diese unverbesserliche Drama-Queen in ihren Paten verpflanzt?

     „Gabriel, einfach raus damit, danach geht es dir bestimmt besser“, säuselte Luciana und überspielte damit eine Portion ihrer Genervtheit (und auch eine Spur Neugierde).

     „Uns fehlt nun nicht nur ein Mitglied, das den Platz im Orden des Phönix wieder einnimmt“, sie ahnte Schlimmes, „sondern auch die Position, die Sir Rennoc heute Nacht in der Mauritius-Mission inne gehabt hätte.“ Volltreffer.

     „Soweit er mir davon erzählt hat, geht es um Insiderwissen die Räumlichkeiten betreffend. Vor allem die, die wir nicht besichtigen konnten.“

     „Das ist korrekt.“

     „Ich habe keine Ahnung, wie ich da aushelfen sollte.“

     „Sir Rennoc erzählte mir immer, du hättest ein Talent für eine … ausgeprägte Phantasie.“ Luciana zog verwirrt die Brauen zusammen. „Er hätte dir in seinem Unterricht von Gebäuden und Ortschaften erzählt, in denen du dich, wenn ihr sie denn einmal auf eine Exkursion besucht habt, alleine anhand seiner Beschreibungen gut zurecht finden konntest.“

     Daran hatte sie nur noch verschwommen Erinnerung (immerhin lag das ein gutes Jahrzehnt weit zurück). Zumindest wusste sie jetzt, woher der Hahn krähte und das behagte ihr ganz und gar nicht.

     „Das mag vielleicht sein, aber bitte bedenke dabei meinen nicht vorhandenen Orientierungssinn.“

     „Du sollst nicht den Palast kartographieren, sondern von dem Eingang der Privatgemächer zum Lesezimmer der Königin finden und dort den korrekten Einband aus einem Tresor ziehen“, sagte Gabriel genervt, als solle sie lediglich beim Nachbarn mal eben eine Tasse Zucker schnorren gehen.

     „Nur anhand der Erzählungen von Sir Rennoc.“

     „Korrekt.“

     „Heute Nacht?“

     „Korrekt.“

     „Also spaziere ich gleich in seine Bibliothek“, „Auf die Krankenstation“, „Auf die Krankenstation und er erzählt mir eine kleine Geschichte. Die merk ich mir dann, mit meinem ach so tollen Gedächtnis und meiner blühenden Phantasie und führe heute Nacht eine Horde von deinen Sicherheitsleuten“, „Eine Handvoll, der Rest ist draußen stationiert“, „Eine Handvoll in die Privatgemächer von Gottes Gnaden, Königin des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth?“

     „Korrekt“, Luciana starrte ihren Paten über den Schreibtisch hinweg ungläubig an. „Du hast ‚Verteidigerin des Glaubens‘ vergessen, allerdings, den Part fand ich schon immer äußerst fragwürdig. Und vierzehn weitere Titel, aber das sehe ich dir nach.“

     Wieder Stille, in der sie Gabriel durchdringend und mit geschürzten Lippen anschaute.

     „Okay“, sagte sie dann, nach einer gefühlten Ewigkeit.

     Gabriel klatschte sich einmal triumphierend in die Hände und sprang darauf sofort auf.

     „Hoch mit dir und Beeilung, im Konferenzraum wartet der Rest schon seit“, er schaute auf die Glashütte-Armbanduhr an seinem linken Handgelenk, „zwölf Minuten für die Missionsbesprechung.“ 

 

Der Eingang (einer davon) zum Konferenzraum befand sich gleich in Gabriels Arbeitszimmer zu ihrer Linken und bestand aus einer doppelwandigen Stahltür, die ihr Pate schwungvoll für sie aufstieß. Der Raum dahinter war besser als Saal zu beschreiben (zumindest was seine Größe anbelangte), in dessen Mitte ein gigantischer Konferenztisch aus poliertem Wurzelholz stand. An den langen Seiten des Tisches standen rechts und links jeweils zehn Lederbürostühle (die eigentlich wie Sessel aussahen, nur, dass sie einen Fuß hatten und somit drehbar waren), in denen, zu den üblichen UOWV internen Konferenzen, die zwanzig gewählten Mitglieder des Vorstands der Seite der Werwölfe und der Vampire saßen. Vor Kopf, ganz am Ende des Raums, standen drei Stühle, die gerade alle nicht besetzt waren. Direkt neben den vier Türen des Saals waren je zwei Wachen in haargenau gleich aussehenden, schwarzen Anzügen, postiert, die sich allesamt kerzengerade hielten und mit ihrer Bewegungslosigkeit auch als Schaufensterpuppen durchgegangen wären (ganz besonders muskelbepackte, finster blickende Schaufensterpuppen, mit automatischen Handfeuerwaffen unter dem Sakko und Sonnenbrillen auf den Nasen). Übrigens gab es diese Wachen nur innerhalb dieser vier Wände – niemand machte sich Sorgen darum, jemand könnte gewaltsam in diesen Raum eindringen. Die Herrschaften waren bei jeder Sitzung anwesend, damit niemand auf die Idee kam, spontan das Weite zu suchen. 

     An diesem Morgen konnte Luciana nur fünf Leute auf der rechten und sechs auf der linken Seite des Konferenztisches ausmachen und – Na wer hätte das kommen sehen; selbstverständlich gehörte Professor Snape (heute in seiner üblichen, vollen Hogwarts-Prüderie-Montur) zu diesem Personenkreis und er sah alles andere als glücklich aus, dieser kleinen ‚gemütlichen‘ Runde beiwohnen zu dürfen. Sein Rücken hielt er heute noch eine Spur kerziger (dabei hatte er schon standartmäßig einen akkurat geraden Besenstil im äußerst lecker anzusehenden Hinterteil stecken) und sein Blick zuckte immer wieder zu den Wachposten, deren Anwesenheit ihm gar nicht zu schmecken schien. Wahrscheinlich war das auch der Grund, wieso er Luciana erst bemerkte, nachdem sie den Platz ihm gegenüber eingenommen hatte. Jetzt wich sein etwas angespannter Beobachtungsblick einem verwirrten.

     „Was macht Miss Bradley hier?“, sagte er unvermittelt an Gabriel gewandt, der es sich gerade auf seinem Chefsessel vor Kopf bequem gemacht hatte.

     „Sir Rennoc ist verhindert, Mr Snape, deshalb übernimmt meine Patentochter seinen Part in der Mission.“

     Snapes Kopf zuckte wieder Richtung Luciana und anscheinend war er einen kurzen Moment wohl mit der Frage überfordert, bei welchem Thema er wohl zuerst nachhaken sollte. Oder ein Fass aufmachen konnte; wie man es auch immer betrachten wollte.

     „Sir Rennoc ‚ist zäh‘“, zitierte Luciana Gabriel und deutete in der Luft mit den Fingern Anführungszeichen an, „oder mit anderen Worten: er wird es überleben. Mehr bekomm ich aus Gabriel auch nicht raus.“ Damit hatte sie Snape wenigstens den einen Teil der Fragerei erspart. Trotzdem sah er in keiner Weise auch nur eine Spur zufriedener aus. Im Gegenteil.

     „Sir Rennoc fällt aus und da kommt Ihnen als Ersatz für seine Rolle in dieser, äußerst heiklen Mission, Ihre Patentochter in den Sinn“, spottete Snape auch schon drauf los und die meisten der Anwesenden (bestehend aus Xaong, Wire, Matthews aus der Sicherheitsabteilung und einige andere Männer und Frauen, die Luciana nur vom Sehen her kannte) wandten sich entweder mit ihrer Aufmerksamkeit den Akten vor ihnen auf den Plätzen zu oder versuchten auf eine andere Art sich die Zeit zu vertreiben (zum Bespiel Jojo spielen, wie Wire es tat).

     „Stellen Sie etwa meine Kompetenz in Frage, Mr Snape?“

     „Er stellt meine Kompetenz in Frage“, sagte Luciana, was von Snape einfach übergangen wurde.

     „Sie ist noch ein K-„, Luciana zog beide Augenbrauen in die Höhe – der Schnitzer schien ihrem Tränkeprofessor allerdings selbst aufgefallen zu sein, daher korrigierte er sich augenblicklich, ohne auch nur einen Moment aus dem Konzept zu geraten, „sie ist noch zu unerfahren! Wir sprechen hier von einem Hochsicherheitsgebäude, tödliche Magiemechanismen, aberhunderte Sicherheitsleute. Diese Mission ist schon für einen erfahrenen Zauberer eine Herausforderung, Miss Bradley ist eine Schülerin! Die Operation ist zu bedeutend, das müssen selbst Sie einsehen, Steinhardt!“

     „Der Krieg ist bedeutend“, entgegnete Gabriel trocken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Besser sie lernt es früh als zu spät.

     Oha, da bekam Snape gleich ein paar rote Flecken im Gesicht – plus mordrigen Blick und der war gar nicht so einfach aus ihm heraus zu kitzeln, Luciana konnte da aus Erfahrung sprechen.

     „Ich sehe es nicht ein, diese Mission zu gefährden, nur weil Sie der Meinung sind, ich müsse zusätzlich den Part des Babysitters übernehmen!“

     „Erstens“, knurrte Gabriel mit gefährlich blitzenden Augen und lehnte sich ein Stück nach vorne, beide Ellbogen auf der Tischplatte abstützend und viel zu schnell, als dass Luciana selbst empört etwas hätte einwerfen können, „lasse ich mir von Ihnen nicht unterstellen zu unfähig zu sein, um Risiken einer Mission abzuschätzen, die ich mit entworfen habe und zweitens“, damit schnalzte er in einer kurzen Unterbrechung mit der Zunge, „hat niemand etwas davon gesagt es würde Ihre Aufgabe sein, auf meine Patentochter acht zu geben. Drittens steht es Ihnen zu jeder Zeit frei diese Mission abzulehnen.“ Snapes Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Nasenflügel bebten und er schien, wie Luciana, ganz genau zu wissen, dass dies einen Haken haben musste. „Allerdings erklären Sie dann Professor Dumbledore und dem Rest Ihres kleinen Ordens, wieso wir uns doch für die Ausführung von Plan B entscheiden mussten, den sie doch alle so vehement abgelehnt haben.“

     Was auch immer ‚Plan B‘ heißen mochte, die Aussicht auf genau diesen ließ Snape verstummen, auch wenn er gerade dabei war, Späne aus seiner Kauleiste zu produzieren, zumindest laut seiner heftig arbeitenden Kiefermuskulatur.

 

Nachdem Snape und ihr Pate ihren kleinen Machtkampf ausgetragen hatten, waren die Unterlagen aus den Akten geholt und die Pläne, höchst anschaulich, anhand eines Overheadprojektors, auf der großen Leinwand hinter den Chefsesseln, besprochen worden. Die Operation hörte sich simpel und vor allem sehr schnell durchführbar an, allerdings war die Besprechung des Sicherungstrupps unter ‚Ausschluss von Fremdpersonen‘ (Snape) am Vorabend erfolgt und somit hatte weder der Professor noch sie den blassesten Schimmer, wie genau das Arial um den Palast ‚gecleared‘ werden sollte. Laut Gabriel war dies aber auch nicht ihre Sorge und sie hätten sich ‚ausschließlich auf die eigenen Aufgaben zu konzentrieren‘. Am Ende der Sitzung hatte Snape so ausgesehen, als würde ihn lediglich der Gedanke an die acht Sicherungskräfte im Raum davon abhalten, ihrem Paten, mit einem Hechtsprung über den Tisch, an die Gurgel zu gehen und na ja … bei der Abfälligkeit, mit der Snape von Gabriel behandelt worden war, konnte man ihm dies kaum verübeln.

     In den Mittagsstunden erledigte Luciana den anstehenden Besuch auf der Krankenstation. Sir Rennoc sah mit seinem Krankenhausleibchen, der weißen Bettdecke bis zur Brust gezogen und mindestens ein halbes Dutzend Schläuche, die sowohl klare als auch rote Flüssigkeiten in und aus seinen Körper transportierten, noch schlimmer aus, als sie es sich vorgestellt hatte. Dabei hatte seine ohnehin schon sehr blasse Hautfarbe, etwas Pergament ähnliches angenommen. Während ihres Gesprächs versuchte sie so wenig wie möglich auf die deutlich sichtbaren, pulsierenden Venen unter seiner Haut zu achten, was ihr leider nur die Hälfte der Zeit gelingen wollte.

     Sie verbrachte fast zwei Stunden an dem Krankenbett, mit den Füßen (minus Schuhe, in manchen Dingen war sie dann doch wohlerzogen) auf dem Ende der Matratze abgelegt und die meiste Zeit mit geschlossenen Augen. So war es wesentlich einfacher ihren ‚blühenden Phantasie‘-Motor anzuschmeißen und im Geiste die vielen, verschiedenen Korridore, verborgenen Türen und Räume zu durchschreiten. Immer wieder unterbrach sie Rennocs Erzählungen durch kleine Fragen, welche Farbe die Zierleisten der Wandvertäfelungen hatten oder aus welchem Holz das eine oder andere Möbelstück gefertigt war. Gerade bei der Erläuterung des Gemäldes, hinter dem sich der gesuchte Tresor befinden sollte, hakte sie bis ins kleinste Detail nach. Erst, als sich ein klares Bild in ihrem Kopf geformt hatte, trat sie den Rückweg in ihr Zimmer an (Rennoc versprach ihr zum Abschied, so schnell wie möglich die Übersetzungen der Ordensprotokolle anzufertigen, sobald er in der Lage sein würde, länger als fünf Minuten am Stück einen Stift halten zu können). 

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

    

Den Nachmittag für ein paar Stunden vorgezogene Nachtruhe zu verwenden, hatte sich nach einer geschlagenen Stunde des Hin- und Her Wälzens als nicht durchführbar ergeben. Natürlich wäre Luciana die Operation gerne frisch und ausgeruht angegangen, jedoch wollte sich die Aufregung in ihrem Bauch einfach nicht legen – zudem spazierte sie jedes Mal, sobald sie die Augen schloss, imaginäre Flure der Royal-Privatgemächer entlang und bevor sie durch lauter im Geiste Umherirren noch am Ende, wenn es darauf ankam, die zweite Kreuzung links durch rechts verwechseln würde, hatte sie sich letztendlich doch wieder aus den Laken geschält und es sich vor ihrem Rechner gemütlich gemacht. Für diese Entscheidung klopfte sie sich, nebenbei bemerkt, selbst auf die Schulter, da sie seit über einem Jahr nicht in den Genuss gekommen war, einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzukommen: Fanfiktions lesen. Allerdings hatte dieses Hobby einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt, der sich meist mehr negativ als positiv auswirkte – man hatte nach Rekordzeit nicht nur seine Umgebung ausgeschaltet, sondern die innere Uhr gleich mit und so konnten Stunden und Stunden vergehen, obwohl man selbst am Ende hätte schwören können, man habe sich am Abend gerade erst vor den Lesestoff gesetzt, obwohl einem durch die Fenster schon die ersten Strahlen der Morgensonne höhnisch entgegen winkten.

     Ganz so extrem fiel ihre heutige Partie Lieblingspairing-beim-Imkern-bis-der-Honig-fließt-Beschatten nicht aus, gleichwohl das eher der Person zu verdanken war, die Luciana mitten beim Storywechsel unterbrach.

     „‘Altersauthentifizierung: Bitte bestätige hiermit, dass du achtzehn Jahre oder älter bist‘“

     Snapes Nase war das Erste, was sie aus dem Augenwinkel heraus von ihm zu sehen bekam. Der Herr stand, mit verschränkten Armen hinter den Rücken, mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt und betrachtete stirnrunzelnd die Internetseite auf dem Bildschirm, ganz, als sei es nichts Besonderes, dass er sich hier in Lucianas Zimmer aufhielt und inspizierte, was sie mit ihrer Freizeit anstellte. Ungefragt und ohne vorher an die Tür zu klopfen. Die Situation war derart surreal, dass sie sich nicht einmal über seine plötzliche Anwesenheit erschreckt hatte.

     „Was ist das, Miss Bradley?“, fragte Snape dann misstrauisch und schien ihr im Geiste schon alle möglichen, illegalen Aktivitäten anzudichten.

     „Fanfiktions“, antwortete Luciana wie automatisch und fragte sich gleichzeitig, ob sie nicht doch gerade eingeschlafen war. Wenn sie denn träumen würde, ja, das Thema kam schon öfter.

     „Fanfiktions?“ Snapes Blick hing noch immer gebannt an der Altersauthentifizierung und es schien ihm sehr zu missfallen, dass der Bildschirm gerade nicht mehr Informationen Preis gab.

     „Fanfiktion oder Fangeschichte bezeichnet Werke, die von Fans eines literarischen oder trivialliterarischen Originalwerkes aus Film, Serie oder Bücher geschrieben werden, welche die Protagonisten dieses Werkes oder Originalcharaktere des Fanfiktion-Autors in einer neuen, fortgeführten oder alternativen Handlung darstellen.“  

     „Werke, für die eine Altersfreigabe von Nöten ist?“ Damit richtete er sich wieder auf und betrachtete sie, aus seiner nun erhöhten Position, im wortwörtlichen Sinne von oben herab.

     „Bei NC-17 Stories, ja.“ Sie führte hier nicht gerade ernsthaft ein Aufklärungsgespräch mit Professor Snape über ein Urban-Internetphänomen?

     „NC-17?“, schnarrte er und sein Blick verriet, dass seine Toleranzspanne des Nachhakens langsam zum Ende kam.

     „Ja, das ist die Kategorie der Geschichten, die durch ausfallende Wortwahl, inhaltliche Gewalt oder detailliert beschriebene Geschlechtsaktvollziehung“, dieses Wort hatte sie ganz besonders betont ausgesprochen und Snapes Blick war jede noch so angestrengte Bemühung ihr Pokerface aufrecht zu erhalten, wert gewesen, „nicht für zu junge Leser bestimmt sind. Sehen Sie hier, Sir“, sagte Luciana und öffnete mit einem Klick den Link zu der FAQ über die Altersbestimmungen. Und wieder beugte sich Snape ein paar Etagen tiefer, sein Kopf war so nah an ihrem, dass sie einen Luftschwung ‚au-de-Tränkemeister‘ abbekam – was sie schwer schlucken ließ, denn auf sie wirkte dieser Misch aus jahrtausendealtem Mauerwerk, getrockneten Kräutern und Mann mittlerweile wie Lockstoff in seiner Reinform.

     „Was bedeutet Lemon?“ Und mit dieser Frage richtete er sich wieder auf, der Lockstoff verschwand mit ihm. Gut, denn die Uhr, rechts unten an ihrem Bildschirm, hatte ihr soeben verraten, dass sie lediglich eine halbe Stunde bis zum Beginn der Operation hatten und die Fahrstuhlfahrt in die Garagenebene würde, inklusive Fußweg, eine Viertelstunde beanspruchen. Und fünfzehn Minuten würde sie alleine brauchen, um die scheinbar aberhundert Knöpfe an Snapes Roben zu öffnen.

     „Na ja …“, sagte sie ein paar Sekunden später und nachdem sie mit wüsten Beschimpfungen von Miss Vernünftig aus dem Sex-Arial ihrer Gedankenwelt geschmissen worden war, „bei dem Beispiel, die diese Seite hier angibt, wäre das eine wohl beschriebene Zusammenführung von Krycek und Mulder.“

     „Mu- wer?“

     „Ehm … wenn diese Realität hier eine Fernsehserie wäre – Sie wissen, was eine Fernsehserie ist?“ Snape schnalzte abfällig mit seiner Zunge und spießte Luciana mit seinem ‚ernsthaft??‘-Blick auf. „Also wir nehmen an, diese Realität ist eine Fernsehserie und ein paar Zuschauer, die diese ganz besonders gerne mögen, schreiben Fanfiktions darüber, dann gäbe es Lemon Konstellationen wie GS/JJ, zum Beispiel.“

     „GS/JJ.“

     „Gabriel und Johnny, zum Beispiel.“ Snape verzog sein Gesicht.

     „Und es heißt Lemon, wegen der Parallele zum Gesichtsausdruck, den man sowohl beim Essen dieser Zitrusfrucht, als auch beim Lesen macht“, bemerkte Snape spitzt und Luciana musste schallend anfangen zu lachen. Wer behauptete doch gleich immer, der Kerl hätte keinen Humor? Nun ja, besonders amüsiert sah er allerdings nicht aus.

     „Oder SS/SB“, sagte sie dann, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Snapes rechte Augenbraue wanderte nach oben, doch es dauerte nicht lange, bis sich sein Gesicht mit einem Schlag verfinsterte. Wie Luciana wieder und wieder feststellen musste, hatte der Professor wirklich eine erstaunlich schnelle Auffassungsgabe. Auf die er in diesem Moment sicher gerne verzichtet hätte.

     „Oder SS/RL.“

     „Ihr Pate hat mich gebeten“, überging Snape ihren Kommentar, auch wenn sich sein Blick noch weiter verfinstert hatte, „Sie daran zu erinnern, dass wir uns in fünfundzwanzig Minuten in der Minus elf Ebene einzufinden haben.“

     „Mh, aber wie ich Fandoms so einschätze, wäre SS/HP der absolute Renner!“

     Und plötzlich sah sie nur noch das Umhang-Ungetüm von Hinten, ein paar Sekunden später war er durch ihre Tür gerauscht.

     „Hey, ich habe Ihnen doch noch gar nicht erklärt was eine Mary Sue ist!“

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Sie waren umzingelt. Snape stand stocksteif neben ihr, dabei hatte er derart wenig Platz zu seinen Seiten, dass seine Robe Lucianas Cardigan streifte. Schon als sich die Aufzugstüren geöffnet hatten (der Professor hatte im Flur vor der Wohnung auf sie gewartet, wohl mehr aus Unwissen, wie er zum Ziel gelangen sollte, als aus reiner Höflichkeit – in der Aufzugskabine selbst hatte er sich vor lauter entrüstetem Schnauben ob der Kommentare auf den violetten ‚Sicherheitshinweis‘ Zetteln kaum mehr eingekriegt), waren ihm die Gesichtszüge entglitten und zwar derart endgültig, dass selbst sein Mund aufgestanden hatte. In der Garagenebene, die die ungefähre Grundfläche von drei Fußballfeldern hatte, reihten sich aber Dutzende, wenn nicht einhundert, Londoner Caps der Bauart LTI Fairway Austin FX3 aneinander (Dank einer regelmäßigen Bettgeschichte von vor zwei Jahren, war Luciana so etwas wie ein Semi-Experte in Sachen Oldtimer und welche sich am besten dazu eigneten, die eine oder andere zweisame Stunde darin zu verbringen – dieser, äußerst aufwändige Kink, war übrigens auch der Grund gewesen, wieso sie die Sache beendet hatte). Dazwischen waren immer wieder ein paar Armeefahrzeuge aufgestellt, die ihrem Aussehen nach eher in ein Museum für Kriegsgeschichte, als in die Vorbereitung einer ‚bedeutsamen Mission‘ gehörten.

     Der übrige Raum war angefüllt mit hunderten von Menschen, von denen der Großteil mit vollkommen schwarzer Funktionskleidung mit Schusssicheren Westen, Springerstiefeln und Mützen auf den Köpfen ausgestattet waren, die man mit einer Bewegung in eine Sturmmaske umfunktionieren konnte. Ach ja, und sie trugen allesamt Gewehre auf den Rücken (nein, einige hatten anstatt dieser Rucksäcke umgeschnallt) und Handschuhe mit freien Fingern; ausgenommen Wire und Xaong, die sich für schlichte, dunkle Zivilkleidung entschieden hatten und bei Gabriel an einem der Fahrzeuge, in der Nähe des Fahrstuhls, standen.

     Und genau dort, zwischen ihrem Paten, Wire und Xaong, hatten sich Luciana und Snape einen Quadratmeter Platz gesucht, während sie der Ausführung von Gabriel lauschten.

     „W47“, bei Operationen pflegte die UOWV dem Großteil der Beteiligten Nummern zuzuordnen, das hatte irgendetwas mit Datenschutz zu tun – was Luciana auch gleich geflüstert an Snape weitergab, da dieser einen verwirrten Eindruck gemacht hatte, „fährt sie alle zur Startposition. Sie werden sich ohne ihn aus dem Fahrzeug begeben, unauffällig, wie jeder weitere Tourist in der Großstadt“, Luciana bezweifelte, dass es um diese Uhrzeit (es war ein Uhr dreißig) noch Touristen auf die Straßen zog, „zu den Toren des Palastes begeben und dort, ich betone es nochmal, unauffällig auf das Signal warten. Den restlichen Ablauf haben wir gründlich besprochen. Und bedenken Sie alle dabei, dass Sie ihr Fahrzeug auf dem Rückweg erst am Shepherd Market wieder finden werden. Irgendwelche Fragen?“  

     Snape schien eine ganze Menge Fragen auf der Zunge zu haben, hielt sich aber geschlossen. W47, ein dunkelhäutiger Mann mit dem Aussehen eines Bilderbuchsöldners, zog die Tür des Austin FX3 auf, der zu seiner Linken stand.

     „Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg“, schloss Gabriel, klopfte Luciana im Vorbeigehen auf die Schulter und mischte sich unter die Gruppierung der Sicherheitsmannschaft.

     Snape und sie ergatterten die beiden Sitzplätze, die in Fahrtrichtung positioniert waren, Wire und Xaong nahmen ihnen gegenüber Platz. Ihr Fahrer hatte es sich unterdessen schon im Vorderhäuschen des Oldtimers gemütlich gemacht und warf den Motor an, sobald sich alle Türen geschlossen hatten. Während alle Beteiligten in der Garage den Eindruck von vollkommener Normalität machten, war Snape der Einzige, der sich, bemüht unauffällig, zu fragen schien, was zur Hölle hier vor sich ging. Zu allen Seiten hatten sich die Leute in ihre Fahrzeuge begeben, aber Dutzende von Motoren heulten in der Halle auf – die Einzige Person, die noch in der Halle stand, war ihr Pate, der gerade auf dem Feld einer Pin-Code-Eingabe an der Wand herumtippte. Augenblicklich, nachdem er die letzte Taste gedrückt hatte, schoss im gesamten Saal aus in den Wandleisten eingelassenen Öffnungen meterhohes Feuer, welches mit seinen charakteristisch grünen Flammen nur eins bedeuten konnte.

     „Beim Barte des-„, entwich es Snape und schon fuhren sie, aus der ersten Reihe bestehend, direkt auf das Feuer zu.

     Im nächsten Moment brausten sie durch die Wand eines verlassenen Parkhauses, neben und hinter ihnen schon weitere Fahrzeuge aus dem Bunker im Schlepptau.

     „Ich nehme an, Gabriel hat Ihnen nicht gesagt, wie wir zum Palast kommen?“ Snape antwortete darauf nur mit einem Geräusch, was man mit viel Phantasie als Knurrlaut bezeichnen konnte.

     „Die Kamine wurden das letzte Mal im ersten Krieg gegen Vo-„, scharfer Blick von dem Professor, „den Schwarzen Führer“, Augenrollen, „eingesetzt, seitdem waren sie stillgelegt. Gabriel hat sie wohl eigens für diese Mission wieder in Betrieb genommen.“

     „Ein wirklich beruhigender Gedanke, dass ausgerechnet ihr Pate in der Lage ist, ganz Großbritannien zu invadieren“, kommentierte Snape mit einer Spur zu viel Sarkasmus.

     „Woll’n wir den Fahrer nicht nötigen ein bissl Musik aufzulegen?“, fragte Wire plötzlich in die Runde.

     „Nein“, kam es von den restlichen drei Insassen im Chor, wie aus der Pistole geschossen (plus Fahrer, der anscheinend durch die geschlossene Glasscheibe jedes Wort verstehen konnte). Wire zog sich darauf, mit Schmollmund, zurück in seinen Sitz.

     An der nächsten Kreuzung trennte sich die Kolonne der Caps und Armeefahrzeuge, kurz bevor sie in den inneren Kreis der Stadt fuhren. Die Fahrzeuge bogen in alle möglichen Himmelsrichtungen ab und danach waren sie allein auf der Straße; von den paar Nachtschwärmern auf den Bürgersteigen und den wenigen Taxis, die nicht zu ihnen gehörten, einmal abgesehen.

     Einen Moment ehe sie sich der Constitution Hill näherten, die zum Startpunkt ihrer Mission führte, kramte Xaong plötzlich wild in ihrem riesenhaften (an der zierlichen Dame sah eigentlich alles riesig aus) Rucksack herum und zog dann vier Brillen heraus, die sie gleich an alle Insassen verteilte.

     „Diese setzen Sie auf, sobald die Mission beginnt. Ein Uhr und keine Sekunde früher.“ Luciana nahm die unscheinbare Brille mit schwarzen Kunststoffgestell näher in Augenschein, hob sie an ihr Gesicht, um einmal hindurch zu sehen- „Ein Uhr“, wiederholte Xaong mit scharfem Befehlstonfall, den Luciana bisher noch nie von ihr gehört hatte. Demnach ließ sie die Brille in eine ihrer Taschen verschwinden. Nur Wire ließ es sich selbstverständlich nicht nehmen, das Teil auf seinem Kopf zu drapieren.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Die Statue von Königin Victoria wirkte bei Nacht noch eine Spur größer und prunkvoller. Mehrere Scheinwerfer waren auf das Denkmal gerichtet und tatsächlich tummelten sich zu dieser späten Stunde noch mehr Touristen vor dem Palast, als sie angenommen hatte. Das schien die anderen im Auto jedoch weniger zu beunruhigen und so verbannte auch Luciana den Gedanken aus ihrem Kopf. Gleich nachdem sie aus dem Taxi ausgestiegen waren und dieses mit voller Fahrtgeschwindigkeit wieder in die Richtung verschwunden war, aus der sie gekommen waren, hatte sie sowieso mehr damit zu tun, sich an alle Details der Wegbeschreibung von Sir Rennoc zu erinnern. Daher war sie auch nicht sonderlich traurig um die Tatsache, dass sie nun schon seit etlichen Minuten tatenlos vor dem Eingangstor des Vorhofes standen. Allerdings schien Snape gar nicht angetan von dem vielen Nichtstun, zumal er in seinen schwarzen Roben (minus Umhang, den hatte mit dem Wink seines Zauberstabs noch während der Fahrt im Aufzug verkleinert und sich in die Hosentasche gesteckt) ein wenig aus der kleinen Menge herausstach.

     Wire wippte unterdessen gut gelaunt auf seinen Füßen hin und her und summte seit einer geschlagenen Ewigkeit TNT von AC/DC (Luciana liebte den Song, aber wenn der Affe da vor ihr so weiter machte, war auch das Geschichte), während er in regelmäßigen Abständen auf seine Armbanduhr sah. Auch Snapes Geduldsfaden schien langsam, aber gründlich, an sein Ende zu kommen und anstatt Wire zu ignorieren, wie er es offenbar die ganze Zeit über vorgezogen hatte, fixierte er ihn nun mit scharfem Blick. Und gerade, als er zum Sprechen (oder eher Anschnauzen) ansetzen wollte, schaute Wire wieder auf die Uhr, doch dieses Mal nahm er sie nicht wieder aus seinem Blickfeld. Schlimmer noch; mit höchst freudigem Grinsen visierte er Snape an und zählte mit seltsam, vor Vorfreude aufblitzenden Augen herunter:

     „Drei, zwei, eins … `Cause I’m EMP.“

     Die Druckwelle erfasste die Umgebung mit einem Schlag – sie war so deutlich zu spüren, dass Lucianas Cardigan in ihren Ausläufern flatterte und von einer Sekunde zur nächsten standen Sie in vollkommener Dunkelheit.  

 

Zurück im Grimmauldplatz

 

„LAUFT LAUFT LAUFT!!“ Dieser Befehl drang klar und deutlich an Lucianas Ohren, obwohl bei den ahnungslosen Passanten um sie herum die schiere Panik ausgebrochen zu sein schien und sie von angsterfülltem Geschrei umgeben waren. Der Ruf kam aus der Richtung links von ihnen, aus einer weiteren Entfernung, doch sie konnte nicht einmal die eigene Hand vor Augen erkennen, auch wenn der helle Halbmond am sternenklaren Himmel über ihnen zu sehen war. Es war ähnlich düster wie die Nächte in Hogwarts, das in der schottischen Berglandschaft, mitten im Nirgendwo, weder von eigener Beleuchtung, noch dem Lichtsmog einer Stadt erhellt wurde. Zudem hatte sie gerade noch auf einer gut beleuchteten Straße gestanden.

     „Brillen nicht vergessen“, kam es von Xaong, irgendwo von dort, wo das Tor des Zauns stehen musste. Luciana kramte eilends in der Tasche ihres Cardigans und setzte sich die Brille auf die Nase.

     „Woohoow“, entkam es ihr und ja, diese Sicht war wirklich ein Staunen wert. Lediglich durch die Gläser sah sie wie bei Tageslicht, nur, dass die Umgebung den Eindruck eines ganz besonders wolkenverhangenen Herbsttages machte. Das Gewöhnungsbedürftige dabei war nur, dass alles außerhalb der Brillensichtfläche vollkommen Nachtschwarz blieb und dieses Paradoxon schmeckte ihrem überforderten Sehnerv überhaupt nicht. Snape und Wire, die Luciana nun klar und deutlich vor sich stehen sah, hatten ihre Brillen ebenfalls aufgesetzt, genau wie Xaong, die sich gerade mit irgendeinem flachen Gegenstand an dem Schloss des Tors zu schaffen machte.

     KLICK und damit sprang das besagte Tor eine Sekunde später auf.

     „WEGTRETEN!“ Xaong beeilte sich, mit einem Hechtsprung den Eingang frei zu machen und keinen Moment zu früh – Rund zwei Dutzend Gestalten, mit Gewehren im Anschlag und Sturmhauben auf dem Kopf, die ihre kompletten Gesichter verdeckten, rannten in geduckter Haltung an ihnen vorbei auf den Vorhof des Palastes. Eine Sekunde später hätte sich Luciana, zusätzlich zu der Brille, ein ordentlich dichtes Paar Ohropax gewünscht, denn genau da brach der ohrenbetäubende Lärm von Schüssen los.

     „Mit der zweiten Welle geht es rein.“ Huch, wann war Matthews neben ihr aus dem Boden gewachsen? Und mit ihm zwei vermummte Männer? Über diese Frage hatte sie keine Gelegenheit mehr nachzudenken, weil die erwähnte ‚zweite Welle‘ schon über die Straße hinter ihnen angestürmt kam. Matthews schnappte sich Lucianas Arm und mit ein paar schnellen Schritten fand sie sich in einem Chaos aus Kugelhagel und umherfliegenden Bärenfellmützen wieder.

     Vor ihnen hatte sich die erste Welle breit gefächert über den gesamten Vorhof verteilt und schoss alles nieder, was nicht zur UOWV gehörte oder eine übergroße Hakennase im Gesicht hatte. Die Wachen konnten einem schon fast leidtun – mit vollkommen umherirrenden Gliedern und verwirrten Gesichtsausdrücken, in denen nicht selten die blanke Panik stand, versuchten sich die Männer ihren Weg durch die totale Dunkelheit zu bahnen und gleichzeitig dabei die Angreifer ausfindig zu machen. Was, selbstredend, ein völlig unmögliches Unterfangen darstellte.

     „Kein Blutvergießen, mh?!“, zischte Snape, welcher dicht links neben ihr lief, äußerst angepisst mit massivst düsterer Miene.

     „Betäubungsgeschosse, Mr Snape“, antwortete Matthews und war trotz des Laufschritts nicht ein bisschen außer Atem. „Wenn sich die Herrschaften beim zu Boden fallen das Knie aufschürfen sollten, dürfen Sie gerne einen Beschwerdebrief an Doktor Steinhardt schreiben.“

     Snape sah nicht so aus, als würde er in Betracht ziehen, diesem Angebot nach zu kommen.

     „Oh, die waren schneller als erwartet“, kommentierte Matthews plötzlich und Luciana folgte seinem Blick, über ihre Gruppe hinweg, zum äußersten Rand des Vorhofes.

     Sie hatten fast den Durchgang zum Innenhof des Palastes erreicht, doch die letzten Meter sahen plötzlich gar nicht mehr so nah aus, bei dem Bollwerk einer Front, die sich in rasanter Geschwindigkeit genau auf sie zu bewegte.

     Die Grenadier Guards vor dem Buckingham Palast hatten vielleicht keine sonderlich große Herausforderung für ihre Sicherheitseinheit dargestellt, aber die knapp fünfzig Männer, die weder mit aufwändiger Uniform, noch mit turmhohen PETA-Albträumen auf den Köpfen, sondern mit höchst moderner Sondereinsatzausrüstung ausgestattet waren und nicht die Nettigkeit besaßen, bloß mit Betäubungsmunition zu schießen, ja diese könnten ein kleines Problemchen für sie werden. Zumal sie schon von ihrem Standpunkt aus erkennen konnte, dass einige von ihnen nicht durch die Dunkelheit gehandicapt waren, da sie Nachtsichtgeräte trugen. Und wie gefährlich ihre scharfe Munition war, bekam sie einen Wimpernschlag später heraus, als Matthews neben ihr sich mit einem lauten „FUCK“ an den Oberarm fasste.

     Gerade als sie sich ein Stück nach vorne beugte, um die Wunde näher zu inspizieren, wurde sie mit einem wohlbekannten, schraubstockartigen Griff am Oberarm gepackt und hinter einen Rücken gezogen, wobei sich der Rücken vor ihrer Nase gleich in Bewegung setzte.

     „In den Hauseingang, sofort!“, schrie Snape über den ohrenbetäubenden Lärm von Schüssen hinweg und das ließ sich die kleine Gruppe nicht zweimal sagen.

     Xaong machte sich an dem Türschloss zu schaffen, sobald sie diesen erreicht hatte. Währenddessen hatte sich ein Teil der ersten Truppe hinter ihnen in einem Halbkreis um den Eingang formiert, den sie nun, mit allem was ihre Betäubungsgewehre hergaben, vor der immer näher kommenden Sicherheitseinheit des Königshauses, verteidigten.

      Luciana verkniff es sich Snape darauf aufmerksam zu machen, dass sein Griff um ihren Arm ihr langsam, aber sicher, die Blutzufuhr abschnürte und sie schon jetzt kaum noch ihre Fingerspitzen spüren konnte, denn der Tränkeprofessor machte einen äußerst gestressten Eindruck. Zumindest insoweit sie dies aus ihrer Position heraus beurteilen konnte, da er sie immer wieder vehement hinter sich zog, sobald sie sich auch nur ein kleines Stückchen aus seinem Windschatten herausbewegte, um sich einen besseren Überblick verschaffen zu können.

     Das nächste ‚Klick‘ in dieser Nacht bescherte ihnen den zweiten freien Zugang. Als Vorhut betrat Matthews (der sich in der kurzen Zeit vor dem Eingangsbogen mit einem Stück Stoff den Arm verbunden hatte; laut ihm war er ‚nur‘ von einem Streifschuss getroffen worden) mit einem seiner Männer den Durchgang zum Vorhof, dahinter Xaong und Wire, dicht gefolgt von Snape und Luciana (die in ihrer Reihenfolgenpositionierung eh nicht viel zu melden hatte, da die Hand des Professors bald Miete an ihren Oberarm abtreten müsste, wenn das so weiter ging) und als Nachhut der zweite Sicherheitsmann.

     Der innen gelegene Hof des Palasts lag in vollkommener Stille da. Die Schüsse waren in den Schallgeschützten Mauern nur dumpf zu hören und nicht ein Mensch begegnete ihnen auf dem Weg in den Westflügel. Sobald Luciana den roten Teppich unter ihren Füßen zu spüren bekam (die Eingangstür war übrigens nicht verschlossen gewesen – anscheinend machte man sich innerhalb des Palastes wenig Sorgen um unbefugte Herumtreiber), beugte sie sich etwas näher an Snape heran.

     „Ich denke ab hier kann ich alleine laufen.“

     Der Druck um ihren Arm wurde nicht ein bisschen weniger.

     „Sie bleiben hinter mir, verstanden, Miss Bradley?“

     „Ja, Sir.“

     Und endlich, endlich entließ er sie aus seinem Klammergriff. Das Blut in ihrem Arm brauchte den gesamten Treppenaufgang in das erste Stockwerk, den ersten Flur und den White Drawing Room, bis es auch in den letzten Finger ihrer Hand zurückgeflossen war. Bei Zeiten würde sie sich Snape noch einmal zu dem Thema zur Brust nehmen, dachte sie sich zähneknirschend und fragte sich gleichzeitig, ob sie ihre vierhundert Milliliter Prellungssalbe schon verbraucht hatte – was nach dem letzten Schuljahr mit Mr Schraubstockhand gar nicht so unwahrscheinlich sein durfte.

     Im Thronsaal hatte Luciana allerdings schon wieder alle mürrischen Gedanken für Snape über Bord geworfen, da ihr seine Erzählung von den Kronleuchtern und dessen verborgene Funktion derart glasklar in den Sinn kam, dass sie schnell die zwei Schritte zu ihm aufholte. Dieses Mal war es an ihr seinen Oberarm als Parkbox für ihre Hand zu missbrauchen.

     „Nichtzauberndarfnichtzaubernkeinemagiebloßkeinenfunken“, murmelte sie leise in einem Mantra vor sich her und dabei schien der Saal gleich dreimal so lang, als sie ihn in Erinnerung hatte.

     „Vielleicht sollte ich Ihnen auftragen genau das zu tun, wo Sie doch eine ausgeprägte Schwäche dafür haben, genau das Gegenteil von dem zu machen, was man Ihnen sagt, Miss Bradley.“

     Damit kassierte sich Snape einen Stoß von ihrer Faust in seine Flanke (welcher jedoch mit sehr wenig Kraftaufwand von ihr ausgeführt worden war). Sein empörter Gesichtsausdruck über diesen tätlichen Angriff lenkte sie sogar von der Tatsache ab, dass sie gerade unter einem ganz besonders bedrohlich ausschauenden Kronenleuchter hindurch gingen.

     Snape bekam seinen Arm wieder, sobald sie die Schwelle von dem Thronsaal zu der Galerie überschritten hatten und ganz als wolle sie seine Bemerkung Lügen strafen, positionierte sie sich wieder hinter ihn, die ganze Strecke, bis sie ihr Ziel im Green Drawing Room erreichten.

     Bei dem ganzen Theater, welches sie über die Nacht hinweg, bis zu diesem Zeitpunkt veranstaltet hatten, war es schon fast enttäuschend einfach, den geheimen Durchgang am Kamin zu öffnen. Xaong griff lediglich rechts unter einen Sims, zog an einem Mechanismus und schon bewegte sich die Wand, wenn auch schwerfällig, bis ein Gang dahinter freigelegt war. Alle Köpfe wandten sich auf einmal zu Luciana um.

     Oh, sie hatte ja einen Job bei diesem Ausflug zu erledigen. Mit einem tiefen Durchatmen und ein paar Sekunden der Stille, sammelte sie nochmals alle Beschreibungen und Worte von Rennoc in ihrem Gedächtnis zusammen, sortierte diese in der korrekten Reihenfolge und betrat dann als erstes den Weg zu den royalen Privatgemächern - Snape stahl Matthews ungefragt und mit einem dreisten Wegabschneiden den zweiten Platz.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

    

Nach der ersten Abbiegung brauchte Luciana sich nicht doppelt und dreifach in ihrem Hirn absichern, ob sie auch die richtige Richtung eingeschlagen hatte, denn anscheinend hatte Sir Rennoc, mit seiner Einschätzung ihrer ‚Phantasie‘-Begabung betreffend, voll ins Schwarze getroffen.

     Obwohl sie diese Korridore vor ihr noch nie betreten hatte, war es ihr, als kenne sie jede Wandvertäfelung und jeden Zierstreifen an den Wänden, genau wie jede geschlossene Tür, an der sie achtlos vorbeilief. Natürlich war das vor allem den ausführlichen Worten des Bibliothekars zu verdanken, aber trotzdem war sie ein klein wenig stolz darauf, ab der Hälfte des Weges ihre Schritte sogar noch etwas beschleunigen zu können. Tatsächlich hätte dieser Weg Stunden in Anspruch nehmen können, wenn man keinerlei Auskunft darüber besaß, hinter welcher Tür welcher Raum liegen würde und welche Abbiegung der rund fünf Kreuzungen die Richtige war. Diese Gänge führten nämlich nicht nur zu den royalen Privatgemächern, sondern ebenso zu dem Flügel des Hauspersonals, dem Weg zur Küche und einigen Ausgängen, die nicht für die Öffentlichkeit zugänglich waren. Allerdings hatte Sir Rennoc all dies nur beiläufig erwähnt und Luciana hatte, von dem Weg, der ihr eingebläut worden war abgesehen, keinen blassen Schimmer wie es in den verbliebenen Teilen des Palastes aussah.

     Hier und da kamen sie an einer Tür vorbei, die einen Spalt oder ganz offen stand, dabei bot sich ihnen immer und immer wieder das Bild von vollkommen verlassenen Räumen. Bis Luciana mit einer Vollbremsung vor einer Tür zu ihrer Linken stehen blieb und dieser unangekündigte Halt eine kleine Massenkarambolage nach sich zog. So viel dazu, dass Luciana genau dies Snape mehr als nur einmal vorgehalten hatte …

     „Das Lesezimmer Ihrer Majestät“, bemerkte sie und drückte die Gold verzierte Klinke herunter. Dahinter lag ein mittelgroßer Raum, etwa halb so groß wie der Green Drawing Room, der mit allerhand altertümlichen Möbelstücken ausgestattet war. Dazu gehörten ein urig aussehender Sessel mit passendem Hocker, ein Sekretär an der rechten Wand zwischen zwei deckenhohen Fenstern und ein mächtig alt scheinender Schreibtisch, auf dem penibel angerichtete Schreibutensilien standen. Auf dem Teppich lagen, in einem geordneten Durcheinander, überall verteilt Hundekörbchen herum, die glücklicherweise alle leer zu sein schienen. Und wo sie gerade beim Thema leer und verlassen war - im Allgemeinen war es seltsam ruhig auf dem Weg gewesen und gerade in diesem Raum fiel die absolute Stille ganz besonders auf. Wenn eine fremde Personengruppe mit unbekannter Absicht gewaltsam in das Königshaus eindrang, konnte man dann nicht davon ausgehen, das absolute Chaos in der unmittelbaren Umgebung der Blaublütigen vorzufinden? Auf der anderen Seite hatte Luciana gar nicht darauf geachtet, ob die britische Flagge auf dem Palast gehisst gewesen war, ergo, war die Königin überhaupt im Palast?

     „Nicht anfassen!“, kam es plötzlich von Snape, schräg hinter ihr. Sie drehte sich auf dem Absatz um und sah Wire, wie er gerade in der Bewegung innehielt, um den Rahmen eines Landschaftsgemäldes zu berühren.

     „Das wäre aber schlecht“, bemerkte Luciana und deutete auf das Bild. „Genau dahinter ist der Tresor.“

     „Sind Sie ein Zauberer, Mr Wire?“, fragte Snape und durchschritt den Raum, bis er mit einem beachtlichen Abstand vor dem Gemälde stehen blieb.

     „Eh, ja?“

     „Dann rate ich Ihnen zurückzutreten, wenn Sie an Ihrem Leben hängen.“

     Adrenalinjunkie hin oder her, Wire schien diese Warnung ernst zu nehmen und trat gleich mehrere Schritte zur Seite.

     „Ist hier einer unter den Anwesenden, der keine magische Begabung hat?“ Oh, Snape hatte nicht einmal den, wie sie fand, abfälligen Begriff ‚Muggel‘ benutzt – andererseits war ein Werwolf oder Vampir, streng genommen, auch kein Muggel und Snape schon beinahe so Korrektheitsverliebt wie ihr Pate. In dem Lesezimmer gingen gleich drei Hände hoch.

     „Schön“, schnarrte Snape, „damit wäre diese Mission noch nicht vollends gescheitert.“

     „Aber ich bin der einzige Experte für Tresorschlösser“, warf Wire ein und zuckte dabei ratlos mit den Schultern.

     „Miss Xaong“, diese trat ein paar Schritte hervor. „Sie machen mir einen recht kompetenten Eindruck. Denken Sie es wäre Ihnen möglich unter der Anleitung von Mr Wire seine Arbeit zu verrichten?“ Xaong nickte. Seit wann hatte Snape hier eigentlich das Kommando übernommen? Genau das schien sich zumindest Matthews zu denken, der sich gerade schnaubend in den königlichen Sessel fallen ließ und seine Füße, inklusive Schmutz verkrusteter Springerstiefel, auf dem gepolsterten Hocker davor ablegte.

     Von dem Vorschlag, Xaong den Tresor öffnen zu lassen, bis zum tatsächlichen Erfolg, verging eine geschlagene Viertelstunde. Das mochte sich vielleicht nicht nach einer sonderlich langen Zeitspanne anhören, aber wenn man in diesen Minuten nichts Besseres zu tun hatte, als aus einem der Fenster auf die Straße zu schauen, welche sich immer und immer weiter mit bewaffneten Gestalten anfüllte (die auch Reihenweise zu Boden fielen, jedoch schienen die Briten irgendwo einen Sondereinsatzkommando-Klonautomaten herumstehen zu haben), war es eine schweißtreibende Ewigkeit. Und Wires endlose, zweideutige Kommentare über Xaongs ‚talentierte Fingerchen‘ waren ebenfalls wenig hilfreich für ihr angespanntes Nervenkostüm.

     Das dritte ‚Klick‘ in dieser Nacht ließ Luciana demnach einen Stein vom Herzen fallen. Sie riss sich vom Anblick des Straßengefechts unter ihr los und trat vor den Schreibtisch, hinter dem der nun geöffnete Tresor in der Wand eingelassen war.

     „Das rote Album, es müsste das Zweite von links sein, oberste Reihe“, gab Luciana an und einen Augenblick später zog Xaong ein Album mit rotem Ledereinband hervor. Dieses legte sie auf dem Schreibtisch ab. Einen ganzen Moment herrschte angespannte Stille, dann:

     „Miss Bradley, soll Miss Xaong jetzt auch noch Ihren Part übernehmen?“ Snape.

     „Aber ich dachte ich sollte wegen dem Magiezeugs-„

     „Der Schutzzauber beschränkt sich lediglich auf das Gemälde und den Tresor, das Album können Sie bedenkenlos anfassen.“ Pah, und jetzt sah er sie an, als hätte sie das wissen müssen.

     Luciana beugte sich über die Tischplatte und zögerte einen Moment den Ledereinband mit ihren Fingern zu berühren. Sicher, Snape war anscheinend Experte auf diesem Gebiet, aber wieso sollte er sich nicht auch einmal irren? Vielleicht war sein Spürsinn vor lauter magischen Schranken und Schutzzauber aufspüren derart überstrapaziert, dass er den ‚es-zerreisst-dich-sofort-und-auf-der-Stelle‘ Fluch über dem Buch gar nicht bemerkt hatte?

     „Ein klein wenig Vertrauen müssen Sie mir schon entgegenbringen, Miss Bradley“, kommentierte er dann, während seine Mimik dabei einmal mehr undefinierbar schien.

     Luciana zog das Album zu sich heran, schlug es in derselben Bewegung auf und es passierte - nichts. Snapes Lippen kräuselten sich zu so etwas wie einem amüsierten Lächeln, wenn auch kaum erkennbar.

     Mit einem leichten Augenverdrehen machte sie sich an die Arbeit. Aberhunderte von verschiedenster Briefmarken rauschten an ihrem Blickfeld vorbei, während sie, wie Rennoc es beschrieben hatte, bis kurz hinter die Mitte des Albums blätterte. Und tatsächlich – sie legte den Einband geräuschvoll auf den Schreibtisch ab, mit der flachen Hand hielt sie das Buch auf - oben, ganz rechts war sie, die Blaue Mauritius. Wegen der die halbe Hauptstadt Englands im Dunkeln lag und gerade vermutlich im totalen Chaos versank.  Klein, im Verhältnis zu anderen Exemplaren in diesem Album und vollkommen unscheinbar. Sie war nicht einmal besonders hübsch, zumindest nicht für Lucianas Geschmack, allerdings ging es hier ja auch nicht um Ästhetik.    

     Zwischen Daumen und Zeigefinger fischte sie das kleine, bedruckte Stück Papier aus seiner Halterung, nahm zwei weitere Finger hinzu und –

     Ratsch

     „Ein dezentes Durchstechen mit einer Nadelspitze hätte es auch getan“, bemerkte Snape trocken. Die Mauritius segelte derweil zweigeteilt auf die Oberfläche des Schreibtischs.

     „Das ist kein Hor-„,

     „Das kann ich sehen, Miss Bradley“, zischte Snape und blickte bedeutungsschwer zu den anderen. Die übrigens allesamt nicht den Eindruck machten zu verstehen, worüber sie eigentlichen sprachen. Und da ging Luciana ein Licht auf – sie und der Professor waren natürlich die einzigen, die über die Horkruxe Bescheid wussten, für alle weiteren Anwesenden dieser Mission war das Ziel vollkommen unbekannt. Das klang logisch, vor allem bei der ganzen Geheimniskrämerei, von der sowohl ihr Pate, als auch Dumbledore riesen Fans zu sein schienen. Trotzdem hätte man sie auf diese Geheimhaltungssache aufmerksam machen können.

     „Ich gehe mal davon aus, wir sind fertig hier?“, fragte Matthews und erhob sich aus dem Sessel. Xaong und Wire kramten gerade das Spezialwerkzeug in ihre Rucksäcke zusammen, als plötzlich Stimmengewirr hinter der geschlossenen, zweiten Tür des Lesezimmers zu ihnen durchdrang.

     Luciana hielt in ihrer Bewegung inne (sie wollte gerade die Teile der Briefmarke wieder zusammenlegen und so ins Album stecken, dass dies sicher keinem aufgefallen wäre) und sah Snape mit geweiteten Augen an.

     „Das ist unser Fluchtweg“, flüsterte sie und deutete auf die Tür, von wo aus die Stimmen immer lauter wurden – und ganz und gar nicht nach ihren Sicherheitsleuten oder einer der Royals klangen.

     „Das heißt wohl Umplanung“, bemerkte Snape wenig hilfreich, aber wenigstens genauso leise, „und wir nehmen den Weg, den wir gekommen sind.“ 

     „Aber das ist doch jetzt alles Seitenverkehrt“, protestierte Luciana, doch es half alles nichts. Snape bugsierte sie zu dem Eingang, durch den sie gekommen waren, Wire und Xaong warfen sich ihre Rucksäcke über und sie verschwanden, keinen Moment zu früh, aus dem Lesezimmer, da dieses anscheinend gerade von einer Mannschaft britischer Sicherheitsklone gestürmt wurde.

     Der Professor und sie bildeten dabei die Vorhut, dahinter ein etwas ächzender Matthews (der ‚Streifschuss‘ schien ihm doch etwas zuzusetzen) und danach folgte der Rest, allesamt im Laufschritt. Wie Luciana bereits befürchtet hatte, machte ihr der seitenverkehrte Rückweg einige Probleme – zum Glück hatte sich Snape offenbar den Hinweg so gut eingeprägt, dass sie an jeder Kreuzung nur kurz Halt machen mussten, um sich einen Überblick über ihre Position zu verschaffen. Zwar hatten sie und er an einer Stelle so etwas wie einen waschechten Streit über Links oder Rechts, welcher aber von Xaongs schüchternem „Ich glaube es war links“ (Luciana hatte triumphierend gegrinst, Snape geschnaubt) schnell beendet worden war.

     Auf dem Innenhof befand sich noch immer keine Sterbensseele, dafür gab es einen Hindernislauf über all die umherliegenden, bewusstlosen Grenadier Guards und Sicherheitsleute des Königshauses vor dem Palast. Der gesamte Platz vor den Toren und um die Victoria Statue lag vollkommen verlassen da – Luciana hatte angenommen, bei den Gefechten, die sie aus dem Fenster des Lesezimmers hatte beobachten können, eine tobende Schlacht vorzufinden, stattdessen hatte sich absolute Stille ausgebreitet. Irgendwo in weiter Entfernung waren ein paar Schreie zu vernehmen, hier und da meinte sie zudem zerbrechendes Glas zu hören, aber ansonsten nichts. Vereinzelnd lagen auch auf der Zufahrtstraße alle paar Meter ein ausgeknockter Sicherheitsmann, doch –

     „Sind das Hufe?“ Einer von Matthews Männern, der zum ersten Mal in dieser Nacht einen Ton von sich gegeben hatte. Die Gruppe blieb stehen, gerade als sie die ausgeschaltete Ampel zum Eingang des Green Parks erreicht hatten. Und tatsächlich – wenn man sehr genau hinhörte waren da Geräusche zu hören, die Hufeisen auf Asphalt nahe kamen. Allerdings hoffte Luciana inständig, dass sich der Mann geirrt hatte, immerhin müssten das eine Menge Hufe und zudem verdammt schnelle

     „Scheiße!“, fluchte Matthews auf und yap, das hätte man nicht besser ausdrücken können. Mit einer Drehung um die eigene Achse erspähte Luciana aus sämtlichen Richtungen Dutzende von Reitern, selbst aus dem Green Park schienen sie sich zu nähern. Und in der gesamten Umgebung gab es keine Spur von auch nur einem der Sondereinsatzleute ihres Paten.

     Selbst Snape schienen die Ideen ausgegangen zu sein, zumindest dem verzweifelt-angepisstem Ausdruck seines Gesichts zu entnehmen, laut dem er sich wohl schon im Geiste die Nacht im Tower verbringen sah. Nein, das hatte sie wohl falsch interpretiert, denn der Herr hatte gerade eben seinen Zauberstab gezückt. Okay, vielleicht mochten sie sich nicht hinter den Mauern des Palastes befinden und hier draußen würde es auch keine Kronleuchtergeschosse hageln, aber trotzdem befanden sie sich noch auf Appariersperrzone und es mit knapp hundert bewaffneten Männer zu Pferd aufzunehmen, schien ihr doch ein sehr hoffnungsloses Unterfangen zu sein.

     Wie sich Professor Snape im Angesicht dieser schier aussichtlosen Lage geschlagen hätte, würde sie jedoch nie erfahren, denn just in diesem Moment brach das Geheul eines mächtig lauten Motors durch das Klappern der Hufe und das Licht eines Scheinwerfers erleuchtete die Straße. Obwohl, was hieß hier erleuchtete, es fühlte sich mehr an wie eine Explosion auf der Retina.

     „Brillen runter!“, rief Xaong und darauf hätte sie nicht aufmerksam machen müssen, derart schnell flogen die Sehhilfen. Noch immer blitzte ein schieres Sternenmeer in Lucianas Sichtfeld auf, doch dahinter war schemenhaft eines der Militärfahrzeuge zu erkennen, die sich kurz nach Eintreffen in London von ihnen an einer Straßenkreuzung getrennt hatten. Mit quietschenden Reifen kam der grüne Laster vor ihnen zum Stehen –

     „HOCH, HOCH, HOCH!“, kam ein lauter Schrei aus dem Innenraum des Fahrzeugs (ob das derselbe Schreihals wie zu Beginn der Mission gewesen war?).

     Schnell setzten sich alle in Bewegung und liefen auf die offene Ladefläche des Lasters zu. Luciana hatte noch nicht ganz das Heck mit ihrer Hand berührt (an dem sie sich hatte hochziehen wollen), als sie zwei Hände an der Hüfte packten und sie auf die Ladefläche hoben. Bei der Dunkelheit und noch immer sehr eingeschränkter Sicht von der Nachtsichtbrille vs. Scheinwerfer, konnte sie ihren Helfer zwar nicht sehen, aber da sich Snape einen Moment später neben sie auf die Bank des Lasters setzte, stellte dies kein großes Rätsel dar.  

     Nachdem auch Wire als Letzter (zumindest mit dem Oberkörper) ins Fahrzeug gestiegen war, schlug einer der vermummten Gestalten, die schon vorher auf der Ladefläche gesessen hatten, mit der flachen Hand gegen das Fahrerhaus. Mit geräuschvollem Start setzte sich der Laster wieder in Bewegung und die Insassen mussten sich an den Bänken, auf denen sie saßen, festhalten, damit niemand durch den Laderaum flog.

     Luciana konnte im Vorbeifahren die Reiter auf ihren Pferden sehen, die es gerade geschafft hatten dem Wagen auszuweichen. Ein paar von ihnen zeigten sich sogar besonders engagiert und versuchten die Verfolgung aufzunehmen, was aber auch der Letzte von ihnen nach ein paar Abbiegungen aufgab.

     „Richten Sie Ihrem Fahrer aus“, sagte Snape an einen der Insassen neben ihn gewandt, nachdem der Reiter aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, „dass er mich und Miss Bradley am Rande von Soho absetzen soll.“

     „Soho?“, fragte Luciana verwirrt. „Ich dachte ich würde mit den anderen zurück nach Deutschland reisen.“

     „Hat Ihnen Ihr Pate nicht ausgerichtet, dass im Anschluss der Mission eine Ordenssitzung ansteht?“

     „Nein, das hat er anscheinend versäumt“, grummelte sie zähneknirschend und richtete ihren Blick wieder auf die Straße.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

„Die hätten uns auch gleich am Grimmauldplatz rausschmeißen können“, bemerkte Luciana genervt, nachdem sie nun geschlagene zwanzig Minuten durch die lahmgelegten, unbeleuchteten Straßen von London liefen – natürlich in einem Snape angepassten Tempo, was nichts anderes bedeutete, als ein Schritt er, zwei für sie.

     „Was genau geht Ihnen bei der Definition geheimes Hauptquartier nicht in den Schädel, Miss Bradley?“, sagte Snape und übertraf damit ihren genervten Tonfall um Längen.

     „Musste es denn gleich ein ganz anderer Stadtteil sein?“

     Darauf bekam sie keine Antwort mehr, denn der Professor war viel zu abgelenkt von den drei Gestalten, gegenüber auf dem Bürgersteig, die gerade mithilfe eines Backsteins die Schaufensterscheibe eines Elektronikfachhandels einschlugen. Kaum, dass die drei durch das zerbrochene Glas in den dahinterliegenden Verkaufsraum gestiegen waren, zückte Snape seinen Zauberstab. Im nächsten Augenblick erschienen an der Stelle, an der vor einem Moment noch die letzten Scherbenreste in der Glasfassung gehangen hatten, massive Gitterstäbe, in einem Abstand, durch den man nicht mal einen Babyschädel hindurch bekommen hätte. Luciana prustete schadenfroh auf.

     Beim Näherkommen hatte sie dann freie Sicht (soweit man in der Dunkelheit davon sprechen konnte) auf die Männer, oder besser gesagt Bürschchen, in Kapuzenpullovern, die derart beschäftigt mit dem Einpacken von Ware in große Sporttaschen waren, dass sie die Sperre vor ihrem Fluchtweg nicht einmal zu bemerken schienen. Und schon waren Luciana und Snape an dem Geschehen vorbeigelaufen.

     „Ihr Pate wird sich für das Chaos verantworten müssen, was er in dieser Nacht angerichtet hat.“

     „Ich denke wir wissen beide, dass das nicht passieren wird“, sagte Luciana und holte im Laufschritt zu Snape auf. Dieser schwieg zu ihrem Einwand, was sie als Zustimmung wertete.

     „Sir, mal ganz unter uns“, Snape warf ihr im Laufen einen skeptischen Blick zu. „Nein ernsthaft, das sind nur meine eigenen Schlüsse dazu.“

     „Wozu, Miss Bradley? Ich habe weder die Zeit noch die Nerven Ihnen jedes Wort aus der Nase zu ziehen.“

     „Wie ich Gabriel und die Aktionen der UOWV über die letzten Jahre kennengelernt habe – also, das, was ich mitbekommen habe und aus den Berichten für den Orden weiß – jedenfalls war das heute Nacht nicht bloß eine Mission, um an den vermeintlichen Horkrux zu kommen.“

     Diese Aussage veranlasste Snape sein Tempo zu drosseln und kein Wunder, immerhin waren sie gerade in die Straße eingebogen, in dem das Haus des Orden stand – demnach blieb nicht mehr viel Zeit für irgendwelche Mutmaßungen, die nicht für die Ohren anderer bestimmt waren.

     „Welches Ziel sollten sie, Ihrer Meinung nach, noch verfolgt haben?“

     Luciana zögerte einen Moment. Immerhin war sie kurz davor, internes Wissen über die Arbeit ihres Paten an jemanden auszuplaudern, den dieser auf den Tod nicht ausstehen konnte und vor allem nicht zwei Zentimeter über den Weg traute. Aber das galt nicht für sie. Darüber hinaus hatte sie schon eine ganze Weile das nagende Gefühl im Hinterkopf gehabt, dieses, nicht ganz offiziell erlangte Wissen mit jemandem von dem Orden zu teilen. Im Bestfall mit einer Person, die in der Lage sein würde, diese Informationen ohne viel Erklärung zu begreifen und die vielleicht mehr über die Konsequenzen der Handlungen ihres Paten verstand, als sie sich selbst derzeit zusammenreimen konnte.

     „Im letzten Monat gab es reichlich Diskussionen im Bunker, wie man die nicht magische Welt vor Vol-„, gereiztes Aufstöhnen von Snape, „dem Schwarzen Führer warnen könnte.“

     Mittlerweile waren sie vor dem Treppenaufgang zum Grimmauldplatz stehen geblieben – der Professor hatte dabei eine äußerst angespannte Körperhaltung eingenommen.

     „Selbst Ihr Pate müsste sich darüber im Klaren sein, was es für uns alle bedeuten würde, wenn er die strengen Regeln des Geheimhaltungsabkommens der gesamten Zaubererwelt brechen würde.“

     „Und die wurden heute Nacht ja auch gar nicht gebrochen.“

     „Soweit ich das bisher beurteilen kann, nein.“

     „Aber Gabriel beschwert sich schon seit Jahren darüber, dass sich die nicht magische Welt heutzutage vollkommen abhängig von der Technik gemacht hat und man den ‚da oben‘ mal zeigen sollte, wie hilflos sie eigentlich sind. Und das heute war ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn diese Technik plötzlich nicht mehr funktioniert. Ich meine, mal ehrlich, man hätte auch mit weniger Aufwand an die Briefmarke kommen können, also muss er einen Hintergedanken gehabt haben. Und so einen Totalausfall hat es in diesem Ausmaß in den letzten Jahren nirgendwo gegeben, vor allem nicht in der unmittelbaren Umgebung des Königshauses.“

     „Bis heute“, bemerkte Snape nachdenklich.

     „Bis heute“, sagte Luciana und nahm die ersten Stufen zum Hauseingang. „Sicher wird in dieser Nacht eine Menge Schaden entstehen“, dabei dachte sie an die drei Einbrecher, oder die vielen verlassenen Autos auf den Straßen, an denen sie im Slalom vorbeigefahren waren, die die ein oder andere Beule davon getragen haben mussten, weil plötzlich die Motoren ausgefallen waren und alles in Dunkelheit gelegen hatte, „aber zumindest sollte ab morgen auch im allerletzten Kopf die Botschaft angekommen sein, die Gabriel so dringend herausposaunen wollte. Mit dem kleinen Hinweis darauf, dass ein unbekannter Feind vor der Tür steht. Und dass sie verdammt kreativ werden müssen, um etwas gegen ihn ausrichten zu können.“

     Luciana griff nach dem Türklopfer, doch es war gar nicht mehr nötig diesen zu benutzen. Kaum, dass sie ihn berührt hatte, wurde die Eingangstür auch schon aufgerissen und im nächsten Moment fand sie ihr Gesicht in etwas furchtbar weiches gedrückt wieder, das nach Bratkartoffeln und Putzmitteln roch.

     „Bei Merlin, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht“, kam es einen Kopf über ihr von Molly Weasley. „Wie kann man nur auf die Idee kommen, ein Kind auf so eine gefährliche Mission zu schicken und dann auch noch auf die Straßen von so einer großen Stadt, mitten in der Nacht!“

     Luciana schob ihren rechten Arm zwischen dem Oktopus Griff von Mrs Weasley hindurch und deutete hinter sich.

     „Wr ncht alln, Prssor Snpe wr mt“, versuchte sie sagen, so deutlich wie es die Umstände den Mund voller Kleidungsberge und Weasley-Mama-Bär zu haben, zuließen.

     „Mit einer Schülerin eine Ordensmission machen“, der Professor hatte schon ganz andere Dinge mit dieser Schülerin gemacht, dachte sich Luciana und glücklicherweise wurde das plötzlich auftretende Kichern von ihr ebenfalls erstickt, „da habe ich auch noch ein Wörtchen mit dir zu reden, Severus!“

     „Ich wäre dir in der Tat sehr dankbar, wenn du mir zukünftige Unterredungen, diese Thematik betreffend, mit Doktor Steinhardt abnehmen würdest, Molly“, entgegnete Snape kühl und betrat ebenfalls den Hausflur, nachdem Mrs Weasley Luciana endlich aus der Umklammerung entlassen hatte.

     „Dem habe ich heute Morgen schon ein Heuler geschickt, gleich nachdem ich von dieser Schnapsidee gehört habe.“

     Au weia, und das, wo Gabriel kein Geschrei ertragen konnte, ausgenommen natürlich es war sein Eigenes. Die guten Absichten von Mrs Weasley einmal dahingestellt; ausbaden dürfte es letztendlich sie selbst.

     „Mrs Weasley, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie sich Sorgen machen“, begann Luciana vorsichtig, wobei sie sich auf dem Weg durch den Flur, hinunter in die Küche machten, „aber bitte vergessen Sie dabei nicht, dass ich volljährig bin und ab übernächsten Monat auch in der nicht magischen Welt keinen Vormund mehr brauche. Ich kann sehr gut Entscheidungen für mich selbst treffen.“

     „Ach Kindchen, das habe ich in deinem Alter auch gedacht“, sagte Mrs Weasley, „und mit dieser … dieser Person als Patenonkel kannst du es auch gar nicht besser wissen.“

     Die große Standuhr im Flur zeigte zwei Uhr dreiunddreißig an. Zu spät, oder zu früh, je nachdem wie man es nahm, um darüber einen Streit vom Zaun zu brechen, vor allem mit Molly Weasley. Außerdem konnte die gute Dame eh nicht viel ausrichten, außer hin und wieder einen Heuler schicken und Einsprüche einlegen, wenn es zu einer Absprache im Orden kam. Und da sie nicht einmal ihre eigenen Söhne davon abgehalten hatte, aktive Mitglieder im Phönixorden zu werden, durfte sie ihrem Unmut ruhig hier oder da mit ein wenig Geschimpfe Luft machen. Dementsprechend hielt sich Luciana von nun an geschlossen.

    

In der Küche angekommen bot sich ihr ein wohl bekanntes und sehr vermisstes (wie sie nun verstärkt feststellen musste) Bild von einer schummerigen Küche, die wohl irgendwann Anfang oder Mitte des neunzehnten Jahrhunderts errichtet worden war und in der sich in Dingen Modernisierung seit dato nicht mehr viel getan hatte. Dass die Beleuchtung aus Öllampen an den Wänden bestand, kam ihnen in dieser speziellen Nacht natürlich sehr gelegen, genau wie der Holzofen oder dass das Haus im Allgemeinen auf keinen Funken Elektrizität angewiesen war.

     Für einen kurzen Moment fragte sich Luciana, ob die Bewohner des Grimmauldplatz überhaupt mitbekommen hatten, dass die halbe Stadt ohne Licht und Energie war, jedoch schaute Professor Dumbledore, der am Kopfe des langen Tischs, welcher beinahe den gesamten Raum einnahm, saß, gerade auf, als sie an ihm vorbeiging, um zu ihrem Stammplatz am anderen Ende zu gelangen. Oh und der Schulleiter sah ganz und gar nicht glücklich aus. Genauer genommen hatte sie den alten Mann noch niemals derart schlecht gelaunt gesehen, nicht einmal, nach der Mysteriumsabteilungssache. Und dabei hatte er wahrscheinlich noch nicht einmal erfahren, dass die Blaue Mauritius das falsche Exemplar gewesen war.

     Nachdem sie sich auf ihren Stuhl gesetzt hatte, umarmte sie kurz Remus zu Begrüßung (der einen total übernächtigten Eindruck machte, inklusive verstrubbeltem Haar und dicken Rändern unter den Augen; dabei war Vollmond erst in ein paar Tagen), nickte Sirius zu, der darauf die Hand hob und sie dabei kurz angrinste, darauf ein Händedruck von Arthur Weasley, der gerade links neben ihr Platz nahm und ihr einen Becher Kaffee vor die Nase stellte („Oh, Sie sind ein Schatz!“) plus ein Kopfnicken von Kingsley Shacklebolt, welcher beinahe so düster dreinblickte wie Dumbledore. Und wo man gerade vom Teufel sprach …

     „Ich denke wir ziehen es, zu dieser fortgeschrittenen Stunde, alle vor, die Sitzung so kurz wie irgend möglich zu halten“, beinahe alle Anwesenden (für ein Ordenstreffen waren in dieser Nacht übrigens sehr wenige Personen am Tisch) nickten zustimmend. „Nun, ich denke Severus und Luciana haben einiges zu berichten.“

     „Da lasse ich Ihnen den Vortritt, Miss Bradley“, sagte Snape und setzte ein minimales, schadenfrohes Grinsen auf. Natürlich, Vortritt. Ganz der Gentleman.

     „Kurz, hatten Sie gesagt?“ Dumbledore blickte ihr zustimmend über seine Halbmondbrille entgegen. Luciana nahm, bei der Voraussicht den ganzen Missionsablauf zusammenfassen zu müssen, einen großen Schluck Kaffee (der glücklicherweise nicht mehr kochend heiß war), griff dann in die Tasche ihres Cardigans und zog ihre Schachtel Lucky Strike heraus, die doch nicht ernsthaft -

     „Och verdammt!“ Genau in der Mitte der Packung klaffte ein Galleonen-Stück großes Loch, ausgefranzt und angesengt an den Rändern, durch welches sie komplett hindurchsehen konnten. Selbstverständlich wies nicht nur die Schachtel, sondern auch ihr Lieblingscardigan ein riesen Durchschuss auf, den sie gleich mit mürrischen Blick genauer in Augenschein nahm.

     „Ist der noch zu retten, Mrs Weasley?“ Doch Mrs Weasley starrte sie mit Augen an, die mindestens so groß schienen wie das Einschussloch und sie machte gerade weniger den Eindruck in der Lage zu sein, Haushaltstipps zu geben. Und nicht nur Mrs Weasley hatte es anscheinend die Sprache verschlagen – alle Anwesenden starrten geschlossen auf die Schachtel Zigaretten, die nun vor Luciana auf dem Tisch stand. Selbst Snape war der selbstgefällige Ausdruck aus dem Gesicht gewichen und schien plötzlich sehr blass um die Nase.

     „Sind Sie sicher, dass Sie nicht getroffen wurden, Miss Bradley?“, erkundigte er sich und darauf konnte sie ihn erst nur ungläubig anstarren.

     „Ich glaube, das hätte ich mitbekommen.“ Zu Sicherheit schaute sie aber doch noch einmal unter ihr T-Shirt, genau an die Stelle, wo der Cardigan drüber gewesen war. Natürlich war nichts weiter als unversehrte Haut zu sehen.

     „Ihr seid beschossen worden??“ Remus hatte offenbar seine Stimme wieder gefunden und schien diesen Gedanken sehr anstößig zu finden.

     „So ein bisschen?“, sagte Luciana.

     Snape schnaubte abfällig. 

     „Okay, das war’s“, sagte Remus kopfschüttelnd und verschränkte in einer ergebenen Geste seine Arme hinter den Kopf. „Ich rede gleich heute Mittag mit Johnny. Ihr erster Außeneinsatz, ich meine das - irgendjemand muss Vernunft in Steinhardt bekommen.“

     „Also“, fing Luciana an und warf Remus einen scharfen Blick zu – so langsam reichte es ihr wirklich mit dem bemuttert werden, „wir haben pünktlich um null Uhr fünfunddreißig den Bunker verlassen, kurz danach London erreicht, wo sich die Kolonne in South Lambeth getrennt hat. Unsere Gruppe, bestehend aus zwei UOWV Mitglieder, Professor Snape und mir, wurde direkt vor dem Palast abgesetzt, wo wir auf die drei restlichen Teammitglieder gestoßen sind“, „Und eine Handvoll unbeteiligter Muggel“, warf Snape ein. „Ein um Punkt ein Uhr ausgelöster EMP“, fuhr Luciana unbeirrt fort und wurde sogleich wieder unterbrochen, dieses Mal von Mr Weasley.

     „Ein was?“

     „Ein Elektromagnetischer Impuls.“ Davon ging sie zumindest aus – etwas anderes hätte die Stadt nicht lahmlegen können und nur eine Unterbrechung der Stromversorgung hätte keine Auswirkungen auf die alten Fahrzeuge haben können. „Wir wollen es ja kurz halten, daher sehr knapp zusammengefasst: Eine breitbandige elektromagnetische Strahlung, die bei einem einmaligen, hochenergetischen Ausgleichsvorgang in einen Umkreis abgegeben wird.“ Um sie herum ratlose Gesichter, minus Snape, dem mal wieder nicht anzusehen war, ob er verstanden hatte oder nicht. Man könnte es auch als nichtssagendes Doppelspion-Gesicht bezeichnen. „Stellen Sie sich einfach einen großen, metallenen Klotz mit furchtbar vielen Einzelteilen, Verdrahtungen und Kabeln vor“, Mr Weasley machte dabei eine Miene als sei Weihnachten vorverlegt worden, „den man auf einen LKW lädt, diesen dahin fährt, wo man den Impuls auslösen möchte, den Klotz dann anwirft und, je nachdem wie man das Gerät gebaut hat, eine unsichtbare Welle in der Umgebung kreisförmig jedes elektrische und elektronische Bauteil stört oder teilweise auch zerstört.“ Wohl doch kein Weihnachten für Mr Weasley.

     „Ich nehme an, das ist auch der Grund für den Stromausfall in der Stadt“, schloss Shacklebolt.

     „Richtig. Stromausfall und nicht nur für die Grundstromversorgung, sondern auch den Notstromaggregaten in Sicherheitsgebäuden wie dem Buckingham Palast“, „Oder den Krankenhäusern“, wieder Snape. Luciana atmete einmal tief durch und zählte im Geiste bis drei. „Jedenfalls konnten wir nach dem ausgelösten EMP in den Palast eindringen -“,

     „Unter Beschuss.“

     „Professor Snape, möchten Sie weiter berichten?“

     „Nein, nein, ich korrigiere Sie nur hier und da, Miss Bradley“, schnarrte Snape und präsentierte schon wieder dieses sarkastische Halbgrinsen.

     „Bitte unterlassen Sie das.“

     „Wenn Sie es unterlassen wichtige Fakten auszulassen.“

     „Schon mal dran gedacht, dass wir beide eine vollkommen andere Auffassung von wichtigen Fakt-„

     „Kinder, ich bitte euch!“ Dumbledore. Und er hatte sogar beschwichtigend die Hände gehoben.

     „Nochmal zurück zum Eintreffen am Palast.“

     Und damit begann Luciana eine derart haargenaue Berichterstattung über die kürzlich ausgeführte Mission (ausgenommen der gesprochenen Worte privater Natur zwischen ihr und dem Tränkeprofessor), dass Snape nach nur fünf Minuten genervt in seinen Stuhl gesunken war, sie mit seinen mordrigen Blicken aufspießte und dabei eine besonders harte Trainingseinheit für seine  Kiefermuskulatur einlegte. Trotzdem wagte er nicht auch nur den kleinsten Einwand oder beiläufigste Korrektur einzuwerfen. Der Herr schien aus seinem Fehler gelernt zu haben.

     „ (…) zerriss die Marke in zwei Teile und –„ An dieser Stelle der Erzählung angekommen ging ein allgemeines, enttäuschtes Aufstöhnen und Raunen durch die gesamte Runde. Dumbledore griff sich mit einem hörbaren Seufzer an den Nasenrücken und setzte sich die Brille ab. Das waren übrigens beides keine sonderlich guten Anzeichen bei ihm, wie sie von früheren Ordenssitzungen wusste.

     „Und jetzt?“, warf Sirius ein, aber anscheinend wusste keiner eine Antwort auf diese Frage.

     „Die zweite Möglichkeit war doch der Privatbesitzer“, sagte Luciana und biss sich im selben Moment auf die Zunge, nachdem der Schulleiter sie mit abschätzendem Blick ins Visier genommen hatte. „Das hat Gabriel beiläufig erwähnt.“ Hatte er nicht und Dumbledore setzte soeben einen Röntgenblick bei ihr ein, den sie bisher nur von Snape kennengelernt hatte.

     „Den wir bedauerlicherweise noch immer nicht ausfindig machen konnten“, sagte Dumbledore nach einer halben Ewigkeit (Luciana hatte nicht einmal geblinzelt – zwar brannten nun ihre Augen, aber es hatte sich anscheinend gelohnt). „Unsere Hoffnung hatte tatsächlich in dem einen Exemplar im Königshaus gelegen.“

     „Ich denke mein Pate kann sicher-„

     „Nein Luciana, das wird erst einmal nicht nötig sein“, unterbrach sie der Schulleiter. Gabriel schien sich mit der kleinen EMP-Aktion wirklich keine Freunde gemacht zu haben. „Und mit einem Blick auf die Uhr möchte ich die Sitzung dann auch für heute Nacht beenden.“

     Luciana folgte seinem Blick zu der, an der Wand angebrachten Uhr, mit angelaufenem, altem Ziffernblatt. Drei Uhr zwanzig. Nun ja, streng genommen war sie zwar noch nicht am Ende ihres Berichts angelangt gewesen, allerding durfte es die hier Anwesenden recht herzlich wenig interessieren, wie ihre etwas überstürzte Fluchtaktion ausgesehen hatte. Und plötzlich kam ihr etwas ganz anderes in den Sinn, wo gerade alle Leute um sie aufstanden.

     „Ehm … Mrs Weasley?“

     „Ja, Luciana?“, sagte Mrs Weasley, jetzt wieder mit freundlichem Gesicht, als sei es die ganze Sitzung über nicht äußerst düster dreinblickend gewesen.

     „Sie haben nicht noch zufällig eine Couch über? Um die Uhrzeit erreiche ich meinen Paten nicht mehr“, (Abschalten aller Telefone um Punkt zwölf Uhr, ansonsten würde er, seiner Aussage nach, nie wieder ein Auge zu tun), „die Kamine sind bei uns dicht und einen Flug bekomme ich erst ab sieben, wenn die nicht ausgebucht sind.“

     Mrs Weasley schob mit nachdenklicher Miene ihren Stuhl unter den Tisch.

     „Mh, also die Kinder schlafen schon alle, den Salon haben wir noch immer nicht ganz von Ungeziefer befreien können, aber mach dir keine Sorgen, ich kann dir sicher hier-„

     „Du kannst bei mir schlafen“, rief Remus hinter der Theke von der Küche rüber und-

     RUMMS

     Am anderen Ende des Raums hatte Professor Snape mit enorm großem Kraftaufwand seinen Stuhl unter den Tisch geknallt und starrte Remus mit einem derart bösartigen Blick an, dass sich Luciana ernsthaft die Nackenhaare aufstellten. Der Moment war so schnell vorbei, wie er gekommen war, denn gleich darauf drehte sich Snape, die Neutralität in Person, zu dem Schulleiter und verwickelte ihn in ein Gespräch, als sei nichts geschehen.

     „A-also du kannst mein Bett haben, ich nehme natürlich die Couch“, fügte Remus betont langsam und laut hinzu, mit einem blitzschnellen Seitenblick auf Snape. Okay, irgendwas stimmte hier nicht. Für Mrs Weasley schien der Vorschlag die perfekte Lösung zu sein, zudem hatte sie offenbar nichts von dem kleinen, seltsamen Vorfall mitbekommen. Wie die anderen Anwesenden auch, die beim Hinausgehen alle in Gespräche vertieft waren. Nur Remus zupfte sich etwas nervös am Kragen seines zerschlissenen Hemds und da, schon wieder ein Blick auf Snape, dann zu Luciana. Diese konnte nur seufzend für einen Moment die Augen schließen – die Annahme, dass Remus in dieser einen, speziellen Nacht nichts mitbekommen hatte, war wohl gutgläubige Naivität gewesen. Wenigstens würde sie nun die Gelegenheit haben, ihm unter vier Augen auf den Zahn zu fühlen.

     Luciana half Mrs Weasley noch den Tisch abzuräumen und ein wenig sauber zu machen, während Remus schon mal nach oben gegangen war, um einen Schwung frischer Laken aufzutreiben (den ihm Sirius besorgen wollte).

     Dumbledore und Snape waren mit ihnen die letzten beiden in der Küche, doch auch sie kamen nun zum Ende ihres Gesprächs. Der Schulleiter verabschiedete sich mit freundlichem Lächeln (er schien endlich wieder bessere Laune zu haben), unterdessen hielt Snape ihm die Tür zum Treppenaufgang auf, durch die Dumbledore auch gleich verschwand.

     „Eine angenehme Nacht, Molly“, sagte Snape dann und nickte Mrs Weasley zu. Vielleicht hatte er gar nicht mehr bemerkt, dass sie auch noch im Raum war?

     „Gute Nacht Professor“, sagte Luciana. Der kalte Blick, welchen er direkt auf sie richtete, traf sie unvorbereitet. Ohne einen Ton zu sagen verschwand er ebenfalls durch die Tür und mit einem zweiten RUMMS an diesem Abend knallte diese hinter ihm ins Schloss.

    

    

    

 

 

Aus Fehlern lernt man - nicht

Aus Fehlern lernt man - nicht

 

Luciana lag mit dem Kopf auf ihren verschränkten Armen und starrte seit einer geschlagenen Ewigkeit auf den bröckeligen Putz der Decke. Das regelmäßige Atemgeräusch von Remus war unterdessen mit all den anderen Hintergrundgeräuschen verschmolzen, wie die vielen Sirenen, die von den umliegenden Straßen seit nunmehr als einer halben Stunde dumpf durch das verschlossene Fenster drangen und Anzeichen dafür gaben, dass die Stadt langsam wieder Herr über die chaotische Lage geworden war.

     Den Weg von der Küche bis in eins der oberen Stockwerke des Hauses, hatte sie kaum bewusst mitgeschnitten, da ihr der unterkühlte Abgang von Professor Snape noch immer im Kopf umherschwirrte und sie sich einfach keinen Reim darauf machen konnte. Erst war ihr der Gedanke gekommen, dass es etwas mit ihrer kleinen Pyjama-Party mit Remus zu tun haben musste, immerhin war es nicht das erste Mal, dass sie den Eindruck bekommen hatte, Snape würde ihr eine heimliche Affäre mit dem Werwolf andichten. Allerdings zählte diese Form der Interpretation ganz klar zur Kategorie ‚Überbewertung‘ und die Erklärung, der Professor habe am Ende der Sitzung einfach genug von ihrer Person und der, letztendlich absichtlich massiv detailreichen, Berichterstattung gehabt, war wesentlich naheliegender.

     Jedoch war Luciana nicht darauf vorbereitet gewesen, beim Übertreten der Schwelle zu Remus Zimmer von einem derart klarem Déjà-vu überrumpelt zu werden - eine ganz spezielle Nacht nach einem gewissen Aufenthalt im Zaubereiministerium betreffend. Und das konnte sie in diesem Augenblick so gar nicht gebrauchen, vor allem, da sie sich fest vorgenommen hatte, ihre Gedanken endlich von diesem griesgrämigen Kerl abzuziehen.

     „Nun, ich bin zwar kein Freund von deiner Rolle in der Mission heute Nacht gewesen“, durchbrach Remus die Stille – also hatte sie doch mit der Vermutung richtig gelegen, er habe auch keinen Schlaf finden können, „aber du hast trotz und alledem einen guten Job gemacht.“

     „Danke“, sagte Luciana und dann herrschte eine, nicht zu verleugnende, angespannte Stimmung in der Luft. Die Idee Remus unter vier Augen zu sprechen und ihm über sein Wissen, sie und Snape betreffend, auf den Zahn zu fühlen, war plötzlich gar nicht mehr reizvoll.

     „Triffst du dich eigentlich noch mit diesem – Wie hieß er noch gleich, Dennis, David –„

     „Dan“, antwortete Remus auf Lucianas kläglichen Versuch, ein beiläufiges Gespräch zu beginnen. „Nein, das hat zu nichts geführt.“

     „Mmh“, und wieder Stille.

     „Hast du Tonks mittlerweile gesteckt, dass du-„

     „Nein“, unterbrach er sie schnell, „ich warte noch auf die passende Gelegenheit.“

     „Na dann warte aber mal lieber nicht zu lange … bei den Hoffnungen, die sie sich macht.“

     „Das ist kompliziert“, bemerkte Remus mit wehmütiger Stimme und ja, zumindest das konnte sie ihm sehr gut nachempfinden.

     „Ich weiß“, sagte sie nach einer halben Ewigkeit.

     „Mmmh.“

     Wieder Stille. Und dieses Mal wollte Luciana partout kein weiteres Gesprächsthema einfallen, welches auch nur halbwegs unverfänglich gewesen wäre. Früher hatte es niemals ein Problem dargestellt, stundenlang mit Remus über alles und nichts zu reden, ob mit oder ohne Alkohol im Blut. Er gehörte zu den wenigen Werwölfen der UOWV, der nach so vielen Jahren (er war als Kind gebissen worden) noch immer große Probleme mit seinem ‚Zustand‘ hatte und auch wenn ihm diese Tatsache das Leben in vielen Dingen erschwerte, machte ihn das gleichzeitig zu einem sehr angenehmen Zeitgenossen. Er gab nicht viel darauf, wie ein Alpha-Männchen durch die Gegend zu stolzieren und bei jeder Gelegenheit einen Streit vom Zaun zu brechen, so, wie es viele Werwölfe taten. Außerdem war er ein verdammt guter Zuhörer. Aber auch wenn Luciana ihm in der Vergangenheit beinahe alles anvertraut hatte, von ihren ersten kläglichen, sexuellen Erfahrungen mit Männern bis hin zu den wenigen Momenten in ihrer Zeit an den nicht magischen Schulen, in denen ihr der Außenseiter-Status doch mehr zugesetzt hatte, als sie es vor irgendeinem anderen zugegeben hätte, das Thema Snape wagte sie nicht anzusprechen. Und vielleicht hatte sie Remus Reaktion wirklich nur falsch verstanden, immerhin konnte sie gut und gerne auch eine Spur zu paranoid sein (wenn man mit Gabriel Steinhardt aufwuchs, blieb das schlicht und ergreifend nicht aus) und –

     „Wie konntest du nur mit Severus schlafen?!“, platzte Remus auf einmal heraus und yap, so viel zum Thema paranoid.

     „Ehm“, begann sie, vollkommen überfordert von dieser Überrumpelung. „Wie bitte??“

     „Luciana.“ Über der Couch sprang an der Wand eine Öllampe an und kaum, dass sie sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, schaute ihr ein angesäuert dreinblickender Remus entgegen, inklusive Verasch-mich-nicht-Blick.  „Versuch es gar nicht erst zu leugnen – an dem Abend hat die gesamte Küche nach Severus und deinen Ausdünstungen-„

     „Ist ja gut!“, unterbrach sie ihn hastig, in der Hoffnung erst gar keine Bilder in ihrem Kopf entstehen zu lassen. Zu spät. Verdammte Werwolfnase. Dabei hatte sie wirklich angenommen, mit dem Anti-Geruchszauber alle Spuren beseitigt gehabt zu haben. Selbstverständlich war ihr erst die Idee gekommen, als es schon viel zu spät für die Schadensbegrenzung gewesen war. Wenigstens hatte er keinen blassen Schimmer, dass sie es ausgerechnet in seinem Bett getrieben hatten.

     „Es ist einfach passiert“, sagte sie dann, doch er schien in keiner Weise zufrieden mit dieser nichtssagenden Phrase. „Und es war eine absolut einmalige Sache.“

     „Er ist dein Lehrer, er kann nicht –„

     „Nein!“, warf Luciana ein und hob dabei warnend einen Finger in Richtung Couch, zum Ende des Zimmers. „Jetzt schieb ihm das nicht in die Schuhe, du weißt ganz genau wie ich sein kann.“

     Remus schien sich dies einen Moment lang durch den Kopf gehen zu lassen, während er mit seiner Hand nachdenklich sein Haar durchwühlte – welches schon vorher einen sehr strubbeligen Eindruck gemacht hatte.

     „Er ist sechsunddreißig, du bist seine Schülerin, seine Schutzbefohlene, egal was du angestellt haben magst – es sei denn, da war ein Trank oder Zauber im Spiel, du hast doch nicht …?“

     Für diese unverschämte Unterstellung verzichtete Luciana gerne auf ihr zweites Kissen und schmiss es Remus mit voller Wucht ins Gesicht.

     „Uff!“

     „Er war im Raum, als ich mich umgezogen habe“, sagte sie, noch immer empört darüber, dass er angenommen hatte sie habe es nötig ‚Hilfsmittel‘ einzusetzen, „und vielleicht habe ich ihn gebeten mir beim BH Öffnen zu helfen“, fügte sie etwas kleinlaut hinzu.

     „Zu viel Information“, sagte Remus und machte dabei ein furchtbar wehleidiges Gesicht.

     „Der ging wirklich nicht auf!“ Stille. „Vielleicht wäre er aufgegangen, wenn ich es wirklich versucht hätte, aber mal ernsthaft, einmalig!“

     „Huhu“, machte Remus und sah ganz und gar nicht danach aus, als sei er überzeugt. „Das hat er gesagt?“ Bei dieser Frage musste Luciana schlucken. Und nicht nur, weil sie sich fragte wie viel sie sagen sollte, sondern da ihr die Antwort selbst nicht gefiel.

     „Er hat gar nichts gesagt.“ Darauf machte Remus ein sehr verwirrtes Gesicht.

     „Wie, er hat gar nichts gesagt?“

     Luciana zuckte nur ratlos mir den Schultern.

     „Moment mal“, damit richtete er sich aus seiner liegenden Position etwas auf und stützte sich mit einem Arm ab, um sie aus dieser Perspektive noch besser fassungslos anstarren zu können. „Um das einmal zusammen zu fassen: Ihr seid, aus welchen Gründen auch immer, miteinander im Bett gelandet, an dem Abend der Mysteriumsabteilung“, Luciana nickte, „und ihr habt kein klärendes Gespräch darüber geführt, wie es dazu kommen konnte.“

     „Da der halbe Orden plus UOWV Vorstand genau dann das Haus stürmen musste, als wir gerade eben … also … es gab nicht wirklich eine Gelegenheit dazu.“

     „Nun, ehm … vielleicht nicht an dem Abend, aber was war seitdem?“

     Daraufhin konnte sie nur den Blick senken und auf ihrer Unterlippe herumkauen.

     „Nicht ein Wort?“ Remus hörte sich mittlerweile beinahe wütend an. „Das sieht ihm ähnlich“, fügte er noch murmelnd hinzu und schnaubte kopfschüttelnd auf. Luciana versuchte den Stich, den ihr diese Worte versetzten, so gut es ging zu ignorieren, doch vergeblich.

     „Also macht er das oft“, ein fragender Blick von ihm, „mit Schülerinnen schlafen und danach so tun, als sei nichts gewesen.“

     Remus machte plötzlich den Eindruck einer unbeweglichen Statue, nur das vermehrte Blinzeln ließ vermuten, dass noch Leben in ihm steckte. Dann fing er plötzlich schallend an zu Lachen. Luciana konnte darauf nur tief durchatmen, die Zähne zusammenbeißen und abwarten, bis es vorbei war – der Stich hatte sich mittlerweile als Kloß in ihrem Hals abgesetzt. Sie konnte dieser Situation wirklich nichts Komisches abgewinnen.

     „Tut mir Leid, tut mir Leid“, warf Remus zwischen seinen Lachern ein und hielt sich mittlerweile den Bauch. „Ich meine –„ hicks, „kannst du dir vorstellen“, kicher, „was Minerva mit ihm anstellen würde wenn –„, damit schüttelte er seinen Kopf, warf sich in sein Kissen und hob seine Hand. „Gib mir einen Moment.“ Und endlich, nach einem Augenblick, in dem sich Remus anscheinend sehr angestrengt am Riemen riss, setzte er sich wieder auf. Von seinem Anflug der offenkundigen Freude war nur noch ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen. „Nein“, sagte er und atmete tief durch, „das sieht ihm gar nicht ähnlich. Du weißt ja, dass ich ein Jahr Lehrer an Hogwarts war.“ Luciana nickte. Remus war vor drei Jahren wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Als er wieder aufgetaucht war, hatte er einen bitterbösen Streit mit Johnny gehabt und auch sie selbst hatte ihm diese plötzliche Funkstille übel genommen. „Und Severus und ich in meiner Schulzeit im selben Jahrgang waren?“ Wieder nickte sie zur Bestätigung. „Ich glaube nicht, dass es ihm Recht wäre, wenn ich zu viel darüber ausplaudere, aber sei dir sicher, Severus Snape gehört nicht zu der Sorte Mann, die sonderlich … beliebt beim anderen Geschlecht sind. Oder beim eigenen“, damit setzte er ein schiefes Grinsen auf, „weder heute, noch damals.“ Der Kloß war wie von Zauberhand verschwunden. Faszinierend. „Es sieht ihm lediglich ähnlich die Dinge zu ignorieren, die aus seiner Kontrolle geraten sind.“

     „Das erklärt einiges“, murmelte Luciana und sah Remus dann mit durchdringendem Blick an. „Du darfst niemanden davon erzählen, verstehst du?“

     „Ich glaube du hättest es gemerkt, wenn ich es irgendjemandem erzählt hätte.“

     „Und das bleibt auch dabei, versprochen?“

     Stille. Er senkte seine Augen und schien scharf nachdenken zu müssen.

     „Remus, ich halte seit Jahren für dich dicht, also bitte …“ Darauf sah er sie wieder direkt an und machte einen sehr zögerlichen Eindruck. Ganz der Kerl mit einer Spur zu viel Verantwortungsbewusstsein.

     „Ja, ich verspreche es“, sagte er letztendlich mit widerwilligem Tonfall und knipste mit einem genervten Seufzer die Öllampe aus. Luciana lehnte sich, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, zurück in ihr Kissen, schloss die Augen und hatte das erste Mal in dieser Nacht das Gefühl wirklich todmüde zu sein. Dementsprechend schnell versank ihr Bewusstsein in –

     „Warte mal“, sie machte zur Bestätigung, dass Remus zumindest zum Teil ihre Aufmerksamkeit hatte, ein „Mh?“, „… BH geklemmt, du hattest dir an dem Abend doch ein paar Klamotten von mir-„ Lucianas Augen flogen mit einem Mal auf, alle Müdigkeit war wieder aus ihren Knochen gewichen.

     Ohoh.

     „Ihr habt doch nicht ernsthaft … in meinem Zimmer -“ Mit glühenden Wangen verkroch sie sich unter die Bettdecke, ihr „Es tut mir Leid“ drang nur dumpf darunter hervor.

     „Beim Barte des Merlin, IN MEINEM BETT!!“

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

„Gn‘ Morgen“, nuschelte Luciana in die Küche hinein und schlurfte einem Zombie gleich, mit wirrem Haar im fahrig gebundenen Zopf und halb geöffneten Augen, Richtung Tresen, auf dem eine halbvolle Kaffeekanne stand und ihr gerade den Eindruck vom Heiligen Gral vermittelte. Ihr Rücken hatte ihr die Nacht auf der durchgelegenen Matratze sehr übel genommen und allgemein fühlte sich ihr Körper wie nach einer durchzechten drei Tages Party an.

     „Wohl eher guten Mittag.“ Diese korrekturlastige Stimme konnte nur von einer ihr bekannten Person stammen und natürlich – als Luciana sich auf einen der Hocker vor den Tresen gehievt hatte und sich zum Tisch in der Mitte des Raums umwandte, sah sie Granger, die mit einer aufgeschlagenen Daily Mirror zwischen Potter und dem zweitjüngsten Weasley Sprössling saß. Das hatte ihr für einen guten Start in den Tag gerade noch gefehlt.

     „Ich dachte für die Ferien bist du nicht im Orden?“ Potter, der seine Zeit anscheinend nicht für irgendwelche Begrüßungsfloskeln verschwenden mochte und sie durchdringend anschaute. Wenigstens besaß Ronald noch den Anstand, ihr mit einem Halbgrinsen zuzuwinken.

     „Jetzt löchert das arme Ding doch nicht sofort mit Fragen“, herrschte Mrs Weasley das Goldene Trio an (nicht ihre Worterfindung; so nannte man die drei wirklich hinter den Mauern von Hogwarts) und schüttete Luciana Kaffee in einen Becher. Kaum war dieser gefüllt, umschloss sie diesen mit beiden Händen und zog ihn zu sich heran. Beim ersten Schluck bereute sie nicht einmal, dass sie sich, rein temperaturtechnisch, wohl noch besser ein paar Minuten hätte gedulden sollen.

     „Nach der Nacht möchtest du doch sicher ein ausgiebiges Frühstück?“ Mrs Weasleys Fürsorge in allen Ehren, aber bei dem Gedanken an Würstchen und Speck verzog sie automatisch das Gesicht und nahm einen weiteren Schluck Kaffee, bevor ihr Geschmacksgedächtnis auf dumme Ideen kam.

     „Nein danke, Mrs Weasley.“

     „Was war denn letzte Nacht?“, hakte Potter prompt nach und bekam von Granger, inklusive Augenrollen von dieser, die Tageszeitung vor den Latz geknallt.

     „Worüber wird sich den gesamten Morgen in diesem Haus unterhalten, Harry?“ Potter und Ronald tauschten einen höchst verwirrten Blick aus. „Ihr würdet auch mal was Wichtiges mitbekommen, wenn ihr nicht den gesamten Tag über irgendwelchen Quidditsch-Kram reden würdet!“

     In diesem Moment tat ihr Granger beinahe leid. Sicher war das Mädchen nicht gerade jemand, mit dem sie sonderlich gut klar kam. Sie war eine unverbesserliche Streberin, die jeden und alles ungefragt korrigierte und zudem äußerst empfindlich auf Regelbruch reagierte. Alles in allem eine sehr besserwisserische Person mit wenig Sinn für Humor, zumindest was Lucianas betraf. Allerdings verbrachten die drei gefühlte vierundzwanzig sieben Zeit miteinander und das ewige Sportgequatsche musste einen schier wahnsinnig machen, wenn sich keine Alternativen auftaten und man sich persönlich nicht die Bohne dafür interessierte.

     „Es gab heute Nacht einen Stromausfall?“, sagte Potter überrascht, richtete die runde Brille auf seiner Nase zurecht und zog die Zeitung ein Stück näher zu sich heran.

     „Oh, das ist das Zeugs wo die Muggel Licht mit machen und so!“ Ronald schien sehr stolz auf dieses Wissen zu sein, wobei Luciana das starke Bedürfnis unterdrücken musste, fassungslos den Kopf zu schütteln. Gerade Zaubererfamilien, die in ihrem Alltag wenig bis gar keine Berührungspunkte außerhalb ihrer kleinen Zaubererwelt erfahren hatten, steckten bei jedem noch so kleinsten nicht magischen Belang den Kopf in den Sand – dementsprechend dürftig fiel ihr Allgemeinwissen aus. Was bei Zeiten wirklich anstrengend sein konnte, vor allem in den Ordenssitzungen, in denen Luciana sogar einmal hatte erklären müssen, was ein Metalldetektor war (und da lag die Beschreibung ja wohl schon im Namen).

     „Für einen Stromausfall hätte es bestimmt keine Titelseite gegeben, Harry!“, bemerkte Granger spitz, doch Potter schien sie gar nicht mehr zu beachten.

     „Der Buckingham Palace wurde überfallen“, rief er überrascht. Dann flogen seine Augen nur so über den Artikel.

     „Wohnt da nicht die Muggelkönigin?“ Bei dieser Nobelpreis-reifen Bemerkung spitzte selbst Mrs Weasley missmutig die Lippen und warf ihrem Spross einen strengen Seitenblick zu.

     „ (…) eine offizielle Stellungnahme hat es bisher nicht gegeben, doch aus zuverlässigen Kreisen werden Stimmen laut, die von einer Elektromagnetischen Waffe sprechen, die für den Schaden in Zentral London in der letzten Nacht verantwortlich sein soll. Bisher hat sich noch keine Terrororganisation zu dem Anschlag bekannt. Die ermittelnden Behörden schließen die Beteiligung von ausländischen Regierungen bislang aus. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat in einer Pressekonferenz seine sofortige Hilfe angeboten, wie eine Vielzahl weiterer Länder (…)“ Potter ließ an dieser Stelle die Zeitung wieder sinken. Luciana hatte sich unterdessen aus den Bruchstücken ihrer zerschossenen Zigarettenschachtel einen vollständigen Glimmstängel zusammengebastelt und diesen angezündet.

     „Wieso bricht man in den Buckingham Palace ein um eine Briefmarke kaputt zu machen?“, fragte Potter verwirrt in die Runde und Luciana fluchte lautlos in ihrem Kopf. Hätte sie in der letzten Nacht nur eine Minute länger gehabt, wäre der Umstand mit der Mauritius gar nicht aufgefallen. Oder zumindest nicht heute.

     „Die gehen momentan davon aus, dass der Einbruch nur ein Probelauf war“, sagte Granger und nahm dabei Luciana ins Visier - diese versuchte einen betont neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen, „und dass das Zerreißen der Briefmarke eine Provokation sein sollte.“

     Gut. Sollten sie das glauben. Jedoch war es sehr stark zu bezweifeln, dass Voldemort nicht spätestens nach dieser Schlagzeile (die es zu hundert Prozent in vielfacher Ausführung in allen erdenklichen Medien gab, selbst in der Zaubererwelt) Wind von ihrem Vorhaben bekommen hatte. Das bedeutete wohl ein Wettrennen um die letzte Marke, die noch in Frage kam.

     „Aber das stimmt natürlich nicht“, fügte Granger nach einem Moment des Schweigens hinzu und schien sich ihrer Sache verdammt sicher.

     „Oh, Luciana“, lenkte Mrs Weasley ein; gesegnet sei ihr unerschöpfliches Ablenkungsrepertoire, „wie sind deine ZAGs eigentlich ausgefallen?“ Und ein besseres Thema als Noten hätte ihr wirklich nicht einfallen können, um Granger auf andere Gedanken zu bringen.  Doch Luciana konnte darauf nur mit den Schultern zucken.

     „Keine Ahnung, die Ergebnisse sind noch nicht da.“

     „Aber wir haben die Eulen schon letzte Woche bekommen“, bemerkte Granger. Luciana runzelte die Stirn, fasste sich dann in die Hosentasche und zog ihr Miniaturmobiltelefon daraus hervor.

     „Mrs Weasley, wären Sie bitte so nett darauf einen Vergrößerungszauber zu wirken?“, bat sie und schob das Telefon über den Tresen.

     „Hast du deinen Zauberstab etwa nicht dabei?“, fragte Mrs Weasley und ließ das Handy mit einem Schlenker ihres Zauberstabs auf Normalgröße anwachsen.

     „Danke.“

     „Wieso lässt sie ihren Zauberstab zuhause?“, hörte sie Ronald an Potter flüstern, während sie schon auf der Tastatur herumdrückte und sich das Gerät an ihr Ohr hielt.

     „Kronleuchter, Ronald.“ Mit dieser Aussage konnte dieser anscheinend so gar nichts anfangen und ja, im Grunde hatte sie genau das im Sinn gehabt.

     „Ja?“, ertönte, nach ein paar Leerzeichen, die Stimme ihres Paten.

     „Ist eine Eule für mich angekommen?“

     „Nicht, dass ich darüber informiert wäre.“

     Luciana ließ einen genervten Seufzer hören, doch da fiel ihr etwas Anderes ein.

     „Kannst du Johnny eben fragen?“

     „JONATHAAAAAN!!“

     Klasse, da hatte sie den Hörer eine Millisekunde zu spät außer Schadenreichweite gezogen. Grummelnd rieb sie sich ihr fiepsendes Ohr und legte das Handy an ihr Linkes. Am anderen Ende der Leitung war nun dumpfes Gemurmel zu hören, dann wieder Gabriel.

     „Vor einer Woche ist offenbar ein Brief aus Hogwarts für dich angekommen.“

     „Super“, patzte Luciana angesäuert, „verpass der Flachpfeife mal einen ordentlichen Schlag auf den Hinterkopf. Und mach einen Kamin im Sangues auf, ich komme in fünf Minuten rüber.“ Wütend drückte sie den roten Knopf und knallte das Handy auf den Tresen. Mrs Weasley verwandelte es unaufgefordert wieder zurück und schenkte ihr ein wenig Kaffee nach.

     „Mach dir keine Sorgen, Kind, ich bin mir sicher-„

     „LUCIANAAA!!!“ Mit einem Mal wurde sie von vier Armen gleichzeitig gepackt und in eine stehende Position bugsiert, eine Sekunde später war sie von einem Knäuel aus Weasley-Zwillingen umgeben. Das entlockte ihr nicht nur das erste Lächeln des Tages, sondern verdrängte den Gedanken daran, dass ihre heiß begehrten ZAG Ergebnisse schon seit etlichen Tagen zum Greifen nahe gewesen waren.

     „George, leg meine Zigarettenschachtel auf der Stelle wieder zurück!“

     „Wie macht die das?“, sagte George empört und entließ sie zeitgleich mit seinem Bruder aus der Umarmung. Die Schachtel schmiss er mit einem Schnauben wieder an ihren Platz zurück (es war nicht das erste Mal, dass die beiden versucht hatten, sie mit so einer oder ähnlichen Aktionen, am Rauchen zu hindern).

     „Ihr seht noch immer nicht haargenau gleich aus, ihr seid auch nicht exakt gleich groß und ihr habt nicht mal den gleichen Körpergeruch. Ach ja, und ich habe zwei Augen im Kopf, auch wenn ihr versucht, mich immer wieder abzulenken.“ Oh hätte sie doch bloß nichts gesagt – jetzt schnüffelten sich die beiden doch ernsthaft gegenseitig an den Achseln herum … und verzogen im nächsten Moment die Gesichter.

     „Jungs, ich würde echt gern mit euch plaudern, aber ich habe ein Zeitfenster von zehn Minuten, meinen Hintern durch den Kamin nach Hause zu befördern. Wenn Gabriel gnädig ist, dann fünfzehn Minuten. Also, sehen wir uns die Tage in eurem Laden?“, sagte sie, kippte sich den restlichen Kaffee die Kehle herunter und schnappte sich ihre durchlöcherte Schachtel Zigaretten und das Mobiltelefon vom Tresen. George und Fred tauschten einen Blick, sahen sie darauf an, verschränkten die Arme vor sich und machten ziemlich erwartungsvolle Gesichter, mit einem Hauch Angepisstheit in der Mimik.

     „Ehm … habe ich was verpasst?“, fragte sie und versuchte sich krampfhaft an eine Gegebenheit zu erinnern, die die beiden hätte verstimmen können.

     „Ich weiß nicht, George, hat sie was verpasst?“

     „Keine Ahnung, Fred, hat sie?“

     Stille und weiteres Starren. Ihr Zeitfenster für die Flohreise schrumpfte immer weiter. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

     „Oh verdammt, das ist heute?“

     „Ja, verdammt, das ist heute“, antworteten die beiden wie aus einem Mund.

     „Tut mir leid, das hätte ich echt verschwitzt … aber mit letzter Nacht und-„, Luciana biss sich mit einem Seitenblick auf das Goldene Trio, welches mit offener Neugierde die Szenerie vor ihnen begutachtete, auf die Zunge, „das erzähl ich euch später. Sieben Uhr, wenn ich mich richtig erinnere?“

     „Ja, sieben Uhr“, bestätigte Fred, „Und vergiss nicht, feierliche Kleidung.“ Luciana salutierte zur Bestätigung, verpasste den Zwillingen jeweils einen Klaps auf die Schulter und winkte den anderen zum Abschied.

     Auf dem Weg hoch ins Kaminzimmer wäre sie fast über Kreacher, den tattrigen Hauself des Grimmauldplatzes, gestolpert, als dieser gerade eins seiner Fledermaus ähnlichen Ohren von der Küchentür genommen hatte und darauf mit fahriger Bewegung Staubwischen mimte, ohne dabei einen Wedel in der Hand zu halten. Luciana warf ihm einen mahnenden Seitenblick im Vorbeigehen zu und sprintete den Rest der Treppe bis zu ihrem Ziel. Anscheinend hatte sie es noch innerhalb der zehn Minuten geschafft, denn glücklicherweise landete sie wirklich auf einem der Gänge im Sangues und nicht irgendwo im Flohnetzwerknirwana.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

„Was für eine Streberin.“ George schüttelte pikiert den Kopf und reichte mit angewidertem Blick ihre Prüfungsergebnisse mit zwei Fingern an Fred weiter. „Widerlich“, bestätigte dieser auf das Blatt Pergament schauend und verzog dabei demonstrativ sein Gesicht.

     „Das habe ich nun davon“, sagte Luciana theatralisch seufzend und schnappte sich den Brief aus Freds Griffeln. „Da beeilt man sich, hat kaum Zeit die passenden Klamotten raus zu suchen“, „Du siehst umwerfend aus“, „Danke Jordan – hat nicht einmal mehr die Gelegenheit seine Ergebnisse ohne Augenzeugen zu öffnen, damit ich bloß nicht zu eurer – wie habt ihr es gleich genannt? –  ‚Party zur Ehren der Weasley Galleonen‘ zu spät komme und nun habt ihr nichts weiter als Hohn und Spott für mich übrig.“

     „So war das nun auch ni-„

     „Dabei könnte ich euch mit all dem Wissen überhäufen“, fuhr sie unbeirrt fort und kippte sich, zur künstlerischen Pause ihrer Einlage, ein Pinnchen Feuerwhisky runter, „wie man ein ganzes Gremium von sehr erfahrenen Prüfungszauberern täuscht und nach Strich und Faden verarscht.“ Daraufhin brach ein Grölen unter den Anwesenden aus und es wurde gleich die nächste Runde bernsteinfarbener, bester Feuerwhisky aus Irland eingeschenkt.

     Luciana hatte sich letzten Endes tatsächlich verdammt sputen müssen. Der Weg vom Kamin, einmal quer durch den Bunker in ihr Zimmer, war so oder so schon elendslang (Gabriel weigerte sich noch immer, den im Wohnzimmer freizugeben, nur zu äußerst seltenen Gelegenheiten hatte dieser Zugang zum gesamten, und nicht nur Bunker internen, Flohnetzwerk) und in ihren vier Wänden angekommen, hatte sie erst einmal eine äußerst ausgiebige Dusche genommen, welche längst überfällig geworden war. Selbst danach hätte sie noch rund zwei Stunden Zeit gehabt, hätte ihr Pate ihr nicht von Rennoc ausrichten lassen, dass dieser die ersten zwei Wochen Ordensprotokolle fertig übersetzt hatte und diese nun zur Abholung an seinem Krankenbett bereitstünden. Da dem alten Vampir ohne seine abertausenden Büchern offensichtlich die Langeweile gepackt hatte, musste sie dann noch eine geschlagenen Stunde an seinem Bett sitzen und ihm haarklein erzählen, wie die Nacht im Buckingham Palast verlaufen war. Und dabei schien ihn nicht einmal die Mission selbst zu interessieren, nein, vielmehr hatte er sie im Punkto Details der Inneneinrichtung des Lesezimmers der Königin gelöchert.

     Am Ende war Luciana mit dampfenden Schuhsohlen (so hatte es sich zumindest angefühlt) zurück zu ihrem Kleiderschrank gelaufen, hatte sich dort ein schlichtes, dunkelblaues Kleid mit weitem Rückenausschnitt gegriffen (welches selbstredend keinen BH zuließ, aber sie hatten nicht umsonst Hochsommer und ein bisschen Schwund war immer), um darauf zurück zum Kamin zu hechten. Irgendwo dazwischen war ihr Johnny entgegen gekommen, der ihr kommentarlos den geschlossenen Briefumschlag von Hogwarts überreicht hatte und natürlich hatte sie sich die fünf Minuten Zeit nehmen müssen, um ihrem Paten logisch nachvollziehbar erklären zu können, wieso der Kamin gleich zweimal an demselben Tag ‚für alle Welt‘ offen stehen musste.

     Trotzdem war sie, mit nur fünf Minuten Verspätung, in der Winkelgasse sechsundneunzig eingetroffen. Allerdings hatte sie eine ganze Weile mit halb offenen Mund das Ladenlokal angestarrt, welches sich in den langsam dämmernden Abendhimmel erstreckte und an Auffälligkeit kaum noch zu übertreffen war. Die Weasley Zwillinge hatten ihr Geschäft ‚Weasley’s Zauberhafte Zauberscherze‘ schon vor den Ferien eröffnet, jedoch war dies die erste Gelegenheit, bei der sie selbst Augenzeuge des Ergebnisses werden konnte. Jeder noch so vielstöckige Hamley‘s Spielzeugwarenladen wäre bei dem Anblick vor Neid erblasst und Lucianas erster Gedanke war, ob George und Fred sich jetzt schon mit Sammelklagen der umliegenden Ladenbesitzern herumschlagen mussten, da man vor lauter Bunt, Geblinke und scheinbar Tausender beweglicherer Schaufensterteile kaum noch die Eingänge der anderen Geschäfte in der unmittelbaren Umgebung ausmachen konnte.

     Die Tür zu dem Zauberscherzladen war ihr nur mit mehrfachen Klopfen geöffnet worden (es war Samstag und die Winkelgasse schien am Wochenende die Bordsteine gegen Nachmittag hochzuklappen, Mittelalter eben) und dahinter hatte sich eine kleine Runde aus Partygästen befunden, von denen sie jetzt, drei Stunden später, umzingelt saß.

     Mitten im Verkaufsraum hatten sie sich, nach der dritten Flasche Feuerwhisky, einen Kreis aus allen greifbaren Kissen im Laden gebaut und waren dort nach allen Regeln der Kunst versackt. Die männlichen Anwesenden hatten schon längst ihre Fliegen und Krawatten gelöst oder ganz abgenommen, die ersten Knöpfe ihrer Hemden geöffnet und auch die meisten Damen (mit Luciana waren es jedoch nur noch Angelina Johnson und eine Hufflepuff Schülerin, die sie nur vom Sehen her kannte) hatten sich von ihrem unbequemen Schuhwerk getrennt.

     Die nächste Runde stark alkoholischer Kurzer setzte Luciana aus. Tatsächlich war sie, seit den Ferien, ein wenig kürzer getreten, was Partys und den einhergehenden Alkoholkonsum betraf. Die Aktion in der Ministeriumsabteilung wäre sicher nicht so sehr aus dem Ruder gelaufen, wenn sie sich vorher am See nicht ein zwei Schlucke zu viel Ossenkämper hinter die Binde gekippt hätte – vielleicht wäre sie sogar niemals auf die wahnwitzige Idee gekommen, auf eigene Faust ins Ministerium zu reisen, denn wenn Alkohol eins bei ihr auslöste, war es ein überschätztes Bild ihrer eigenen Fähigkeiten.

     „Hah, da fällt mir ein“, rief Fred und deutete grinsend auf Lucianas Testergebnisse, welche sie noch immer in der Hand hielt, „dir ist schon klar, was ein Ohne Gleichen in Tränke für dich heißt?“ In der Runde ging das erste Lachen los, Angelina kicherte hinter vorgehaltener Hand (normalerweise war sie weniger der Typ kicherndes Mädchen, aber der Alkohol schien ganz neue Seiten an ihr hervor zu bringen), doch ein zwei junge Männer schauten sie mit mittleidigem Blick an.

     „Ehm – dass ich bestanden habe?“

     „Nicht bloß bestanden“, redete George weiter, „du kommst mit dem Ergebnis da in Snapes berüchtigte Drill-Brauerei.“

     „In was?“ Luciana schaute sich fragend um, doch keiner erbarmte sich Licht ins Dunkel zu bringen. „Kommt schon Leute, was hab ich mir da eingebrockt?“

     „Snape nimmt nach den ZAGs nur noch Schüler mit guten Noten für seinen Unterricht auf“, sagte Angelina endlich und kicherte gleich wieder drauf los.

     „Gute Noten, du bist lustig“, meinte ein dunkelhaariger Junge (Mann, junger Mann? Das war so schwierig einzuordnen bei den Herren in der Alterskategorie siebzehn bis fünfundzwanzig – bei manchen selbst weit darüber hinaus). „Ohne Gleichen, nix weiter. Weißt du wie wenig das sind? In meinem Jahrgang hatten es grad mal zwei geschafft, zwei – kannst du dir vorstellen was die ertragen mussten, wenn einer mal krank war?“

     Einzelunterricht bei Professor Snape, beantwortete sich Luciana diese Frage im Stillen. Dass dieser weitaus angenehmer, als der Reguläre ausfallen konnte, würde sie die Anwesenden allerdings nicht wissen lassen.

     „Fred, nehm ihr das Glas weg, der Feuerwhisky hat ganz klar ihr Urteilsvermögen zerdeppert – guck dir mal das zufriedene Gesicht an!“ George machte sich gleich selbst ran, ihr das Pinnchen weg zu fischen, doch wie so oft zuvor, bei den Versuchen ihre Zigaretten zu entwenden, war Luciana auch hier einen Deut schneller.

     „Ich habe gerade nur an die vielen neuen Möglichkeiten gedacht, ihm das Leben zur Hölle zu machen“, flunkerte sie, ohne mit der Wimper zu zucken und legte dazu gleich eine noch viel zufriedenere Miene auf.

     Was Fred neben ihr darauf zu bemerken hatte, bekam sie nicht mehr mit. Denn ein Stück weit von dem Schaufenster, im Schein der Straßenlaternen, hatten sich drei Gestalten zusammen gefunden, die ihr sehr bekannt vorkamen. Und tatsächlich. Der Peroxyd-blonde Schopf stach so ziemlich überall heraus und da draußen hatte sich nicht nur ein Mensch dieser Gattung eingefunden. Die dritte Person war vollkommen in Schwarz gehüllt, nur das blasse Gesicht und die wüste Lockenpracht stachen hervor, welche Luciana wiederum irgendwo schon einmal gesehen hatte.

     „Bellatrix“, murmelte sie vor sich hin und sprang von ihrem Kissen.

     „Was hast du gesagt?“, fragte Jordan, doch ihr Blick war immer noch auf die Stelle außerhalb des Ladens gerichtet, an der sich die kleine Gruppe gerade wieder in Bewegung gesetzt hatte.

     „Oh Mist, tut mir Leid Jungs“, die Zwillinge sahen sie verwirrt an. „Ich hab völlig die Zeit vergessen, mein Pate macht gleich wieder den Kamin dicht.“ Was vollkommen erlogen war, denn Gabriel erwartete sie nicht vor morgen. Wenigstens hatte sie ihre Übernachtungspläne noch nicht mit George und Fred besprochen, was sie eigentlich schon beim Eintreffen hatte erledigen wollen. Manchmal konnte sich ein löchriges Gedächtnis als sehr hilfreich erweisen.

     „Ich muss mich beeilen, zum Tropfenden Kessel ist es ja noch ein Stück“, damit zog sie sich eilends ihre Schuhe an (wem auch immer sei Dank, hatte sie ihre hohen Pumps auf die Schnelle nicht finden können und sich mit schwarzen Sandaletten mit minimalem Absatz abfinden müssen – für eine geplante Verfolgungsaktion auf jeden Fall besser geeignet, als klapperndes Schuhwerk mit Verunglückungspotenzial), schnappte sich ihre Tasche und warf einen Cardigan über (nicht den mit Durchschuss).

     „Vielen Dank für den schönen Abend und die Einladung, euer Laden ist super geil geworden, ich komm die Tage nochmal beim Schulsachen kaufen vorbei!“ Und damit hatte sie sich auch schon von der verblüfften Runde abgewendet und war durch die Ladentür, hinaus auf die leere Straße verschwunden.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Malfoy Juniors Haarschopf war auch noch aus größerer Entfernung zu erspähen, selbst bei den nächtlichen Sichtverhältnissen. Luciana beeilte sich, den Abstand zu den dreien ein wenig zu verringern, allerdings dabei nicht so nahe heran zu kommen, dass sie Gefahr laufen konnte entdeckt zu werden. Die kühle Nachtluft bescherte ihr zudem einen kleinen Hammer auf den Schädel, so, wie es sich meist verhielt, wenn sie nach ein paar Drinks zu viel plötzlich aufsprang und ins Freie trat. Doch Miss Vernünftig hatte in diesem Moment wenig zu melden, bedauerlich, wenn man bedachte, dass Luciana sich vor ein paar Minuten noch Gedanken über ihr überstürztes Handeln gemacht hatte, wenn ihr gesunder Menschenverstand von Alkohol umnebelt war.

     Als Bellatrix, die vorne weg lief, in eine ganz spezielle, düstere Seitengasse einbog, zögerte Luciana dann doch einen kurzen Moment. Die letzte Erfahrung, die sie mit der sogenannten ‚Nokturngasse‘ gemacht hatte, lag so ziemlich genau ein Jahr zurück und war ihr noch sehr glasklar im Gedächtnis. Doch trotz aller Alarmglocken, die kläglich in ihrem Geiste die letzten Aufbäumversuche probten, bog auch sie in den kleinen Gang ein, der direkt in das Schwarzmarktviertel der Winkelgasse führte.

     Dieses Mal begegneten ihr keinerlei zwielichtige Gestalten. Genauer genommen schien die Gasse vollkommen ausgestorben zu sein – ob dies nun an der fortgeschrittenen Uhrzeit liegen mochte, oder das Ministerium hier in den letzten Wochen ein zwei Läden dicht gemacht hatte, konnte sie nicht ausmachen. Vor ihr, in etwa zwanzig Metern Entfernung, blickte sich die blonde Frau, Malfoys Mutter (es hatte in den letzten Tagespropheten mehr als nur ein Portrait dieser Dame gegeben), über die Schulter um. Luciana blieb für einen Augenblick das Herz stehen, doch wieder einmal hatte sie offenbar mehr Glück als Verstand gehabt – zu der Tatsache, dass der Gang, in dem sie sich befand, in vollkommener Dunkelheit lag und sie nur einen Schritt vor den anderen setzten konnte, weil der Mond fast voll war und somit ganz besonders hell schien und am Ende des Weges eine Straßenlaterne leuchtete, kam noch ihre nicht ganz dumme Entscheidung hinzu, sich möglichst nah im Schatten des Mauerwerks zu bewegen. Mrs Malfoy wandte sich wieder nach vorne, legte ihrem Nachwuchs die Hand auf die Schulter und führte ihn rechts in die Ladengasse.

     Mit schnellen Schritten beeilte sich Luciana ebenfalls zu der Kreuzung zu gelangen, steckte dann vorsichtig ihren Kopf um die Ecke und sah gerade noch, wie die drei in dem Laden verschwanden, den sie vor einem Jahr als einzigen von innen gesehen hatte: Borgin und Burkes. Die Malfoys schienen demnach Stammkunden zu sein, immerhin hatte sie Draco mit seinem Vater ebenfalls in diesem Geschäft angetroffen.

     An dem äußersten Rand des Schaufensters angekommen, machte sich Enttäuschung in ihr breit. Die ganze Verfolgungsaktion hatte natürlich wenig Sinn gehabt, wenn sie nun vor einer verschlossenen Tür stand, nichts von den Gesprächen der gesuchten Todesserin und den Malfoys mitbekam (dessen Oberhaupt gerade auf der Flucht vor sämtlichen Behörden war und ebenfalls zu den Schwarzen Führer-Anbetern gehörte) und sich keinerlei Möglichkeit bot, etwas an dieser Tatsache zu ändern. Sie hatte weder Langziehohren noch ein ähnliches Hilfsmittel für Abhöraktionen dabei und aus ihrer Position konnte sie lediglich schemenhaft erkennen, dass Mrs Malfoy aus ihrer Umhangtasche einen kleinen, rechteckigen Gegenstand zog, diesen auf den Tresen vor dem Ladenbesitzer ablud und im nächsten Moment ein riesenhafter Koffer zwischen ihnen stand. Okay, anscheinend war sie nur Zeuge eines simplen Vergrößerungszaubers geworden, jedoch verteilte Malfoy Junior gerade den Inhalt des Koffers, den sie aus dieser Position unmöglich erkennen konnte, auf dem Tresen. Die Malfoys und der Verkäufer unterhielten sich angeregt, während Bellatrix, anscheinend gelangweilt von den Verhandlungen, den Laden von rechts nach links durchstreifte und jeden Gegenstand begrabschte, der in ihrer Griffelreichweite lag.

     Nach einer gefühlten Ewigkeit (Luciana war unterdessen mehr als nur einmal der Gedanke gekommen, einfach wieder zurück zum Laden der Zwillinge zu laufen und sich irgendeine hanebüchene Geschichte aus dem Hintern zu ziehen, wieso sie plötzlich doch über Nacht bleiben konnte) wechselten Säckeweise Galleonen den Besitzer, der Koffer wurde nun leer wieder geschrumpft und zurück in die Tasche verstaut. Jetzt wurde es höchste Zeit für sie, sich in der nächstbesten Häusergasse zu verstecken, denn die drei waren gerade drauf und dran den Laden zu verlassen.

     „ … von Nutzen sein kann, Zissy, ihr seid vermögend genug“, herrschte Bellatrix Mrs Malfoy (Zissy??) an, kaum, dass sich die Ladentür hinter ihnen geschlossen hatte.

     „Die Auroren haben nun schon das zweite Mal bei uns herum geschnüffelt und bei der Dursuchung letzten Monat hätten sie beinahe gleich drei Verstecke ausfindig gemacht, wie oft soll ich dir das noch sagen?“

     „Tante Bella hat Recht, Mutter“, meldete sich Malfoy Junior zu Wort. „Die Stücke sind fast alle nicht ersetzbar und ich weiß nicht was Vater-„

     „Dein Vater“, wurde er von seiner Mutter mit scharfem Ton unterbrochen, „treibt sich irgendwo in Belgien herum, auf der Suche nach einer Taschenuhr.“ Dies betonte sie so, als sei es das Lächerlichste der Welt, um sich seine Zeit zu vertreiben – wobei ihr Luciana beipflichten musste.

     „Auf Befehl vom Dunklen Lord, Zissy!“ Ihre Stimmen wurden immer unverständlicher, je weiter sie sich von ihrem Versteck entfernten, doch Luciana wagte es nicht, dieses schon jetzt zu verlassen. Nach einer kleinen Weile waren die drei gar nicht mehr zu hören und sie wollte gerade auf den Weg hinaustreten, um wieder die Verfolgung aufzunehmen, als sich die Ladentür von Borgin und Burkes abermals öffnete. Der Verkäufer, ein älterer Mann mit buckeliger Haltung, lief an ihr vorbei und auch hier wartete Luciana lange genug ab, bis auch seine Schritte verhallt waren.

     Na klasse, jetzt konnte sie es sich endgültig abschminken zu den Malfoys und Bellatrix noch einmal aufholen zu können. Mit düsterer Miene trat sie aus dem Spalt zwischen den beiden Gebäuden und betrat wieder den gepflasterten Weg der Ladengasse.

     Malfoy hatte sich also mittlerweile den Weg bis nach Belgien durchgeschlagen und das offenbar nicht, wie das Zaubereiministerium vermutete, weil er die Hoffnung hatte im Ausland untertauchen zu können. Diese Information war ihr neu, allerdings konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, ob das nicht auch schon dem Orden bekannt war. Immerhin war es eine von Snapes Hauptaufgaben, die Pläne und Unternehmungen von Voldemort an den Orden weiter zu geben, auch, wenn sie meist nicht viel dagegen ausrichten konnten, da ansonsten sehr schnell sein Doppelspion-Dasein aufgeflogen wäre. Und was hatte es mit der Taschenuhr auf sich? Mrs Malfoy schien dem Gegenstand, den ihr Gatte zu besorgen hatte, nicht viel Wichtigkeit bei zu messen, aber wie Bella-

     Ihr Hinterkopf prallte mit voller Wucht gegen die nächste Häuserwand, ein spitzer Aufschrei entkam ihr und dann wurde für ein paar Sekunden alles Schwarz.

     Das Nächste, was Luciana wahrnehmen konnte, waren Hände, die sich fest um ihren Hals gelegt hatten und die sie schrittweise in die nächste Gasse zerrten. Krampfhaft versuchten ihre Finger den Griff um ihre Luftzufuhr zu lockern, doch bevor sie auch nur auf die Idee kommen konnte, nach ihrem Zauberstab zu greifen, wurde ihr Kopf wieder gegen eine Mauer geschmettert und wieder – dabei drückten die Hände ihren Hals immer weiter zu, seit dem plötzlichen Angriff hatte sie keinen Sauerstoff mehr in ihre Lunge bekommen können und das Einzige, was sie aus ihren brennenden Augen heraus erkennen konnte, war eine schemenhafte Gestalt, ein wutverzerrtes Gesicht – ihre Sicht verließ sie, als ihr Schädel abermals Bekanntschaft mit dem Backstein machte und dieses Mal gefolgt von einem Knirschen in ihrem Kopf, welches ihre innersten Instinkte dazu veranlasste mit sofortiger Wirkung alle verbliebenden Kraftreserven zu mobilisieren –

     Die Umklammerung an ihrem Hals verschwand, genau wie die menschliche Gestalt vor ihr. Genauer gesagt wurde sie weggeschleudert, was ihr nicht mehr am Hintern hätte vorbei gehen können, da sie genug damit zu tun hatte, wieder Luft in ihre Lunge zu bekommen. Es brauchte drei rasselnde Atemzüge und mindestens das Doppelte an kläglichen Hustern, bis Luciana sich ihrer Umgebung wieder soweit bewusst wurde, dass sie bemerkte auf dem feuchten Kopfsteinpflaster zu sitzen und sich mit beiden Händen die schmerzende Kehle zu halten. Irgendetwas Nasses, Warmes, floss ihr den Nacken bis zum Rücken hinunter und das Bild vor ihren Augen wollte nicht aufhören ständig ineinander zu verschwimmen. Dann entdeckte sie Beine, ein kleines Stück vor ihr in der Gasse und auch wenn ihre Sicht alles andere als deutlich war, wusste sie im nächsten Moment wer schräg neben ihr stand und mit seinem Zauberstab einen Punkt vor sich fixierte.

     „Prf Snp“, doch dieser klägliche Sprachversuch endete bloß in dem nächsten Hustenanfall. Wieder zwang Luciana sich dazu, in möglichster Ruhe tiefe Atemzüge zu machen, bevor sie sich ein genaueres Bild über die Lage verschaffen konnte. Das wenige Licht von der Straßenlaterne auf dem Weg, ließ sie keine Details erkennen, jedoch sah sie, nachdem die Welt um sie herum nicht mehr im Sekundentakt durcheinander wirbelte, einen Mann in der Luft schweben, die Beine zappelnd, mit beiden Händen zerrte er  an irgendetwas Unsichtbarem um seine Kehle. Das Gesicht und die schiefen Zähne kamen ihr unheimlich bekannt vor. Ein sehr ungutes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit, zusätzlich zu dem, was die Situation ihr ohnehin schon eingebracht hatte. Und da fiel es ihr ein – es war derselbe, widerliche Mistkerl, der sie schon einmal in der Nokturngasse überfallen hatte. Und dieses Mal schien er es auf Rache abgesehen zu haben, oder wie auch immer man in dieser Gegend Erdrosseln plus Totschlag nennen wollte.

     Das Zappeln seiner Beine wurde mit der Zeit fahriger, eine Hand fiel schlaff an seinem Körper herunter und endlich setzte bei Luciana zumindest ein Teil ihres Verstandes wieder ein.

     Professor Snape stand ein Stück neben ihr und das, was sie durch ihren niedrigen Blickwinkel von seinem Gesicht sehen konnte, glich einer hassverzerrten Maske, die ihr sehr deutlich offenbarte, wie fest entschlossen er sein musste, das Leben des Mannes vor sich zu beenden. Egal wie sehr ihr der Gedanke auch zusprechen mochte, Mord wurde in der Zaubererwelt noch härter bestraft, als in vielen westlichen, nicht magischen Ländern.

     „Professor“, versuchte sie es wieder, abermals vergebens. Wenigstens schien ihre Stimme wieder da zu sein, wenn auch nur unter Anstrengung und mehr einem Krächzen gleichend. Die zweite Hand des Mannes löste sich nun auch von der unsichtbaren Schlinge um seinen Hals, die Beine zuckten nur noch kläglich.

     „Professor Snape!“ Luciana packte Snape beim Bein und endlich, das lenkte seine Aufmerksamkeit auf sie. Kaum, dass er seinen Kopf in ihre Richtung gedreht hatte, erklang ein dumpfes Klatschgeräusch – aus dem Augenwinkel heraus sah sie, dass der Mann zu Boden gefallen war. Die wutverzerrte Maske auf Snapes Gesicht wandelte sich in einen Ausdruck der Verwirrung, der schnell einen kalkulierendem wich.

     „Wir müssen hier verschwinden, schnell!“, sagte er plötzlich, als sei es sie und nicht er gewesen, der eine halbe Ewigkeit damit zugebracht hatte, den hängenden Mann zu spielen.

     Seine Hand, welche sich um ihren Oberarm legte und sie auf die Beine zog, war noch nie so willkommen an Ort und Stelle gewesen, wie in diesem Moment. Der schnelle Positionswechsel hatte allerdings einen derart schlimmen Schwindel zu Folge, dass Luciana sich mit einem starken Gefühl von Brechreiz mit ihrem freien Arm an der Mauer neben ihr abstützen musste – glücklicherweise blieb es bei ein paar trockenen Würggeräuschen und nichts kam ihre Speiseröhre hoch. Auf den geschundenen Hals noch Magensäure zu packen, wäre sicher kein Spaß geworden.

     „Mir is schlecht“, murmelte sie, doch Snape schien das nicht davon abzuhalten sie aus der Gasse zu ziehen und, ohne den Mann  noch eines weiteren Blickes zu würdigen, die Straße zu betreten.

     „Schwindel?“, fragte er nach ein paar Schritten.

     „Check“, antwortete Luciana und strauchelte beim Laufen, ganz wie zu einer Doppelbestätigung.

     „Verschwommene Sicht?“

     „Yep“

     Bei der nächsten Straßenlaterne machte Snape Halt. Mit konzentrierter Miene begutachtete er ihren Hinterkopf, schob hier und da ein paar Haare beiseite und schien von dem Ergebnis wenig begeistert.

     „Platzwunde, Gehirnerschütterung, vielleicht Schlimmeres“, bemerkte er, „jedoch nichts, was Sie nicht die nächste Stunde überleben sollten.“

     „Okay“, antwortete sie etwas teilnahmslos und ließ sich bereitwillig von Snapes Hand abermals in Bewegung setzen, Richtung Winkelgasse.

     

Eine einmalige Sache

Erst auf der halben Strecke des Weges, von dem Luciana mittlerweile wusste, dass dieser wieder auf die Hauptstraße der Winkelgasse führte, fiel ihr das gedrosselte Schritttempo des Professors auf. Snapes Hand diente zudem kaum noch als penetrantes Wegweisungsinstrument, sondern nahm ihr einen großen Teil Arbeit ab, sich auf den Beinen zu halten. Und wieso hatte sie die letzten Minuten nur wie durch ein geräuschgedämpftes Milchglas wahrgenommen? Genau in diesem Moment spürte sie das dumpfe, schmerzhafte Pochen an ihrem Hinterkopf, einen Fuß vor den anderen zu setzen war damit eine noch größere Herausforderung. Die eben gestellte Diagnose einer Gehirnerschütterung kam ihr in den Sinn und der kleine, ganz besonders rationale Teil in ihr, versuchte den Schockzustand, in dem sie sich ganz offensichtlich befand, so gut es ging mit logischen Erklärungen einzudämmen. Auf den nächsten zwei Metern stolperte sie gleich drei Mal über ihre eigenen Füße.

     „Reißen Sie sich zusammen, Miss Bradley“, zischte ihr Snape entgegen und fasste noch eine Spur kräftiger um ihren Arm.

     „Könn wir nich beamen?“ Selbst in ihren eigenen Ohren hörte sie das Lallen in ihren Worten, welches zur Abwechslung einmal nichts mit Alkohol zu tun hatte, in Kombination mit ihrem wehleidigen Tonfall, gab dies ein ziemlich erbärmliches Gesamtbild ab.

     „Das Zaubereiministerium hat die gesamte Winkelgasse in diesem Sommer zu einem apparierfreien Raum erklärt“, antwortete Snape und bemühte sich dabei, so leise wie möglich zu sprechen. Offenbar stand ihm wenig Sinn danach, Aufmerksamkeit auf sie beide zu lenken.

     „Oh, vergessn. Schutzkrams – stand inner Zeitung.“

     Mittlerweile hatten sie das Ende der Nokturngasse erreicht und bogen auf die wesentlich besser ausgeleuchtete Winkelgasse ein. Sie hatten verdammtes Glück, dass ihnen weder eine einzige Person bis zum Tropfenden Kessel begegnete, noch einer der Partygäste von den Weasley Zwillingen auf sie aufmerksam wurde, als sie das große Fenster des Ladenlokals passierten (das Letztere war wohl mehr ein Segen für Luciana selbst – sie hatte keine Ahnung, was sie George und Fred oder einem der anderen für eine vorgeschobene, glaubhafte Story hätte auftischen können, die erklären würde, wieso sie sich von dem Drill-Brauerei-General durch die halbe Winkelgasse schleifen ließ).

     Im Innern der Kneipe warfen ihnen eine Handvoll Zauberer und Hexen neugierige Seitenblicke zu und der kahlköpfige Wirt, Tom, ließ nicht einen ihrer Schritte außer Augen, während er einem Zauberer im mittleren Alter Alkohol nachschenkte, der schon mehr über dem Tresen hing, als daran zu sitzen. Doch Snape lotste sie unbeirrt und mit starr geradeaus gerichtetem Blick zum Ausgang, betrat dadurch die Straße, die nun zur nicht magischen Welt gehörte und lief diese weiter hinunter, bis sie an eine größere, befahrene Kreuzung kamen.   

     Die vielen Scheinwerfer und Straßenlichter lösten die nächste Welle Übelkeit in ihr aus und nur mit fest geschlossenen Augen und viel Training ihres Magens in Punkto ‚der Alk war teuer und hat drin zu bleiben‘, war es ihr möglich, nicht im Kreis zu spucken. Und dem Professor damit seinen Umhang zu versauen, auch wenn dies in diesem Moment nicht wirklich ihre Hauptsorge war.

     „Gibt’s jetzt Befehl zum Beamen, Captn?“, fragte Luciana und atmete weiter konzentriert tief durch den Mund. Trotz ihrer Stehhilfe hatte sie nicht den Eindruck, sich noch viel länger auf den Beinen halten zu können und auch wenn sie gerade keinen Mageninhalt auf den Boden verteilte, musste das noch lange nicht dabei bleiben.

     „Wenn Sie sich, wie ich es vor einiger Zeit von Ihnen verlangt hatte“, begann Snape genervt, „bei der Apparierprüfung angemeldet und somit den theoretischen Teil studiert hätten, dann wüssten Sie jetzt, dass es strengstens untersagt ist, mit einer Kopfverletzung zu apparieren.“

     „Oh“, meinte Luciana nur und ließ sich, ohne Gegenwehr, auf die Rückbank eines Taxis schieben, wobei sie nicht einmal mitbekommen hatte, dass Snape es von der Straße herangewinkt haben musste.

     Die etwa zehn minütige Fahrt wer-weiß-wohin, stellte die reinste Tortur für ihren derzeitig angeschlagenen Zustand dar. Snape ging ihr alle halbe Minute mit der Aufforderung auf den Senkel, die Augen geöffnet zu lassen, welche sie nur immer wieder zukniff, um nicht von vorbeifahrenden Scheinwerfern geblendet zu werden und nicht, wie Mr Ich-durschaue-deine-Absichten ihr unterstellte, ein Nickerchen zu machen. 

     Das Taxi hielt am Bordstein einer kleinen Seitenstraße, die beidseitig von typisch englischen Backsteinhäusern (eher Häuschen) durchzogen war und die allesamt ihre Glanzzeiten hinter sich gelassen hatten, doch Luciana beendete ihre Umgebungsinspektion prompt, als die ohnehin schon identisch aussehenden Bauten begannen, vor ihren Augen zu fusionieren.

     Den Weg vom Auto bis vor eine schwarz lackierte, von Macken durchzogenen Haustür, schnitt sie kaum bewusst mit und die darauffolgenden Treppenstufen überwand sie nur, indem Snape ihr seinen Arm um die Taille legte und achtzig Prozent der Fortbewegung übernahm. Im nächsten Moment saß sie auch schon auf einem braunen Sofa und wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie darauf schwören können, von der Treppe dorthin appariert zu sein. Der Professor war übrigens nirgends zu sehen, worauf die rationale Stimme in ihrem Kopf versuchte ihr folgend begreiflich zu machen, dass sie sich an einem unbekannten Ort aufhielt, inklusive angeschlagenem Gesundheitszustand und dies klare Indizien darstellen sollten, sich in Sicherheit zu bringen – wer weiß, vielleicht hatte sie sich die Anwesenheit von Snape nur zusammen halluziniert und eigentlich –

     „Setzen Sie sich wieder hin, Miss Bradley.“ Nein, definitiv keine Halluzination. Und das Bild des Tränkemeisters, wie dieser gerade mit den Armen voller Flaschen und Tiegel auf ihren Platz zusteuerte, kam ihr irgendwoher verdammt bekannt vor.

     Mit lautem Geklirre (obwohl, in dieser Lage schien alles laut in ihrem Kopf) stellte Snape die Sachen auf einem rechteckigen Wohnzimmertisch ab, auf dem, unter anderem, ein Aschenbecher stand und ein paar Bücher lagen. Dann fischte er eine Flasche mit grünlichem Inhalt heraus.

     „Trinken“, forderte er sie kurz und knapp auf, entkorkte das nicht etikettierte Behältnis und hielt es Luciana unter die Nase. Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand, verschwendete keinen zweiten Gedanken an den Inhalt und setzte an zum Exen, bis der erste Tropfen des bittersten Geschmackstoffes auf ihre Zunge traf, der jemals die Pforte durch ihre geöffneten Lippen passiert hatte.

     „Sie haben nur einen Versuch, das ist der letzte Rest, den ich von dem Trank vorrätig habe“, kommentierte Snape ihr angewidertes Gesicht – er hatte garantiert wieder dieses gehässige Halbgrinsen aufgesetzt, aber mit Bestimmtheit ließ sich das bei ihrer angeknacksten Wahrnehmung sowieso nicht sagen.

     Mit ein paar kräftigen Schlucken, plus aufmuckendem Magen, kippte sie die gut zweihundert Milliliter Flüssigkeit die Kehle herunter. Dem abartigen Nachgeschmack auf der Zunge schenkte sie nur einem kurzen Augenblick ihre Aufmerksamkeit, denn plötzlich klärte sich ihr Sichtfeld, die Übelkeit verschwand und ihr Hirn schien wieder vom Blue Screen in einen brauchbaren Zustand überzugehen. Als Kehrseite rückte allerdings nun der stechende Schmerz an ihrem Hinterkopf in den Vordergrund und das erste Mal, seit dem Vorfall in der Seitengasse, berührte Luciana die Stelle, welche immer und immer wieder mit einem Mauerwerk Bekanntschaft gemacht hatte.

     „Au!“, entkam es ihr, genau in dem Augenblick wo ihre Fingerspitzen auf eine feuchte Stelle unter ihrem Haar trafen und als sie ihre Hand in ihr Blickfeld führte, war Blut darauf zu sehen.

     „Lassen Sie Ihre Finger davon, Sie machen es nur schlimmer“, schnappte Snape gereizt, setzte sich auf den Platz neben ihr und zog dieses Mal eine winzige Flasche mit blauer Flüssigkeit und eine Mittelgroße mit klarer hervor. Die folgende Behandlung ihrer Platzwunde ließ sich mit dem Wörtchen ‚unangenehm‘ zwar nicht ansatzweise realistisch beschreiben, aber letztendlich zählte hier nur das Ergebnis und das war mit einer sekundenschnellen Schließung der Wunde und sofortigem Stopp der Schmerzen mehr als zufriedenstellend. Einen Punkt mehr auf der Pro Liste für die Zaubererwelt. Danach schmierte Snape ihr noch irgendeine weiße Paste auf die Stelle ihres Halses, an der sie gewürgt worden war und betrachtete sie dann mit prüfendem Blick.

     „Keine Übelkeit mehr, Sehstörungen, Schmerzen?“

     Luciana schüttelte den Kopf.

     „Sind Sie sich sicher?“, hakte er noch einmal nach und setzte seinen berüchtigten Röntgenblick ein.

     „Es geht mir blendend, alles wieder beim Alten.“

     Der Professor nickte mit zufriedener Miene und stellte den Tiegel in seiner Hand wieder auf den Tisch zurück.

     „Vielen Da-„

     „WAS FÄLLT IHNEN EIN, MITTEN IN DER NACHT IN DER NOKTURNGASSE HERUM ZU SPAZIEREN“, Luciana bugsierte sich mit aufgestemmten Armen an das hinterletzte Ende der Couch, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, „ALLEIN, IN DIESEM AUFZUG“, Snape war mittlerweile aufgesprungen, das Gesicht wutentbrannt und rötlich verfärbt, seine Hand deutete einmal an ihr auf und ab – zugegeben, hätte sie den kleinen Ausflug geplant, wäre ihre Kleiderwahl vielleicht etwas anders ausgefallen … „IST ES VÖLLIG AN IHREM IGNORANTEN DICKSCHÄDEL VORBEI GEGANGEN, DASS DIE WARNUNGEN DES MINISTERIUMS ERNST ZU NEHMEN UND NICHT ALS MAKABERER SCHERZ ZU WERTEN SIND??!!“

     „Sir, ich habe nur-„

     „SIE SOLLTEN DEN TAGESPROPHETEN AUF IHREM SCHREIBTISCH ZUR ABWECHSLUNG LESEN UND NICHT ALS DEKORATION NUTZEN, DANN WÄRE IHNEN DIE VIELZAHL AN ARTIKELN AUFGEFALLEN, DIE VON DEN JÜNGSTEN FÄLLEN VON MORD, ENTFÜHRUNG UND ÜBERFÄLLEN AUF GENAU DIESE PERSONEN BERICHTEN, DIE WIE SIE DER MEINUNG SIND, DIE GEFOLGSLEUTE DES DUNKLEN LORDS STELLTEN KEINE BEDROHUNG FÜR SIE DAR!!“

     Okay, diesen Abriss hatte sie vielleicht in gewisser Weise verdient, jedoch war diese Art von Wutausbruch des Professors der zumindest Lauteste, von dem sie jemals Zeuge geworden war - demnach erschien ihr seine Reaktion ein wenig übertrieben. Snape stellte die ganze Sache zudem so hin, als  hätte sie aus Langeweile, für ein bisschen Nervenkitzel, einen Abenteuerkurztrip in die Nokturngasse gemacht.

     „Sir, ich-„

     „WAR IHNEN DIE ERSTE BEGEGNUNG NICHT GENUG, WOLLTEN SIE DEN NETTEN HERRN DARUM BITTEN, DIE SACHE ZU ENDE ZU BRINGEN, DIE ER LETZTES JAHR BEGONNEN HATTE?!!“

     „HEY!!“, damit sprang sie auf, ihren Zeigefinger warnend auf Snape gerichtet und den Puls nun selbst vor Wut auf hundertachtzig – mit diesem Kommentar war er wirklich einen Schritt zu weit gegangen! „DAS NEHMEN SIE ZURÜCK!!“ Doch er schien nicht einmal einen Gedanken daran zu verschwenden, daher war es wohl gleich, dass sie beinahe sofort fort fuhr. „Es war nicht mal geplant da rein zu gehen, ich war auf einer Party bei den Weasleys eingeladen und da habe ich Malfoy mit seiner Mutter und dieser Bellatrix von dem Fenster aus gesehen und bin ihnen gefolgt.“

     „Wie war das?“ Snape sprach diese Worte plötzlich leise und langsam aus, oder um eine bessere Bezeichnung dafür zu finden: gefährlich. 

     „I-ich habe die ganze Zeit über großen Abstand gehalten und genau darauf geach-„

     „Sie sehen einen gesuchten Todesser auf der Straße und Ihnen fällt nichts Besseres ein, als diesem zu folgen.“ Wie gesagt, die Lautstärke mochte Snape vielleicht massiv gedrosselt haben, aber aus irgendeinem Grund hätte sie sein Brüllen dieser stoischen Ruhe vorgezogen.

     „Wir stecken doch gerade mit dem Orden in so etwas wie einer Sackgasse und da dachte ich –„

     „Und da dachten Sie sich, die jahrelange Ausbildung und das Training eines Fachmanns auf diesem Gebiet stünde Ihren dilettantischen Fähigkeiten in nichts nach und Sie nehmen die Verfolgung selbst in die Hand. Oder noch besser, deren Festnahme?“

     „Sir, ich weiß es war vielleicht dumm von mir, aber –„

     „VIELLEICHT?!“ Nicht ganz so laut wie gerade eben, trotzdem hallte sein Aufschrei von den winzigen vier Wänden um sie herum wieder. „Vielleicht hätte ich Ihnen nicht zu Hilfe kommen sollen, denn vielleicht hätten Sie sogar die Nacht überlebt und es wäre Ihnen endlich in den Sinn gekommen, SOLCHE AKTIONEN IN ZUKUNFT ZU UNTERLASSEN!!“

     „Vielleicht“, mimte sie mit erschreckender Ähnlichkeit seinen Tonfall nach, „hätte ich Ihre Hilfe auch gar nicht nötig gehabt und wäre selbst mit dem Kerl fertig geworden.“

     Bullshit. Dasselbe schien sich Snape auch zu denken, denn im nächsten Augenblick stand er mit einem Satz vor ihr, packte ihre Handgelenke und schob sie derart blitzschnell einmal quer durch den Raum, dass sie nicht einmal dazu kam, sich gegen ihn zu stemmen. Und schon kollidierte ihr Rücken unsanft mit der Wand links neben der Eingangstür, ihre beiden Arme waren rechts und links in seinem Griff neben ihren Kopf gepinnt und das höchst angesäuert dreinblickende Gesicht von ihm stand keine Handbreit vor ihrem eigenen.

     „Sagen Sie, Miss Bradley“, schnarrte er gehässig, „wie genau wollen Sie mit einem Kerl wie mir fertig werden?“

     Gut, die Botschaft war angekommen. Überdeutlich, denn kein noch so starkes Zerren veränderte die Position ihrer Arme um auch nur einen Zentimeter und die Option, Snape einen saftigen Tritt in die Weichteile zu verpassen, blieb ebenfalls aus, da sein Körper derart eng an ihren gepresst stand, dass sie nicht einmal ihr Bein heben konnte.

     Luciana hätte in diesem Moment wahrscheinlich nur die weiße Flagge schwingen müssen, aka zugeben, dass sie im Unrecht und er im Recht gewesen war, doch gerade, als sie zum Sprechen ansetzen wollte, schwebte ihr eine besonders starke Welle Au-de-Tränkemeister in die Nase. Ihr Blick wanderte von seinem, herunter zu seinen Lippen, die leicht geöffnet waren und nun gar nicht mehr verkniffen aussahen. Eigentlich machten sie einen verdammt einladenden Eindruck und wo sie gerade bei dem Thema war – hatte sie Snape überhaupt jemals geküsst? Auf die Wange, ja, vor der Tür zur Tränkeprüfung, sie hatten Sex gehabt, check, aber geküsst?

     Als sie ihren Blick von seinem Mund wieder auf seine Augen lenkte, waren diese plötzlich ein Stück weit mehr geöffnet – Snape schien eine gewisse Ahnung von dem zu haben, was ihr gerade im Kopf umher spukte, doch bevor er den Griff um ihre Handgelenke ganz lockern konnte, hatte Luciana sich schon ein Stück nach vorne gelehnt.

     Seine Lippen waren warm, zumindest wärmer als ihre eigenen (bei dem Bluthochdruck der letzten Minuten auch kein Wunder), auf eine verquere Art und Weise weich und gleichzeitig rau und, ach ja, vollkommen unbeweglich. Nach ein paar Sekunden wich sie wieder von ihm zurück, bis ihr Kopf die Wand berührte – Snapes Körper war in der kurzen Zeit vollkommen versteinert und seinem Blick nach zu urteilen, kalkulierte er gerade den Kraftaufwand, welchen er benötigen würde, um sie zu erwürgen oder sonst wie umzubringen. Sein Atem ging furchtbar flach, seine Pupillen waren ohnehin bei den derart dunklen Augen schwer zu erkennen, aber nun scheinbar nicht vorhanden. Dann kam Bewegung in seinen Körper, Luciana schloss die Augen, ganz, als würde sie damit die nahende Explosion nicht über sich ergehen lassen müssen und in der nächsten Sekunde –

     Pressten sich seine Lippen auf ihre, bei weitem nicht so behutsam, wie sie es vor noch keiner Minute getan hatte. Ihre Augen flogen wieder auf, doch sie hatte die Szenerie wirklich nicht falsch interpretiert. Snape küsste sie und nicht nur das – seinem Mund entkam ein gepresstes Stöhnen und auch wenn er in den meisten Dingen die kürzere Reaktionsleitung von ihnen beiden hatte, war ihre, sexuelle Handlungen betreffend, noch eine Spur kürzer. Somit schlang sie ihre Beine wie automatisch um seine Hüfte, keine Sekunde darauf verschwanden Snapes Hände um ihre Handgelenke und schoben sich einen Moment danach ihre Schenkel hoch, unter ihr Kleid, bis sie ihren Hintern fest umfassten.

     Professor Snape war kein talentierter Küsser. Oder zumindest kein sonderlich Erfahrener, denn sein Mund führte mehr instinktive, als geübte Bewegungen aus – allerdings minderte dies weder das Pochen in ihrem Schritt, noch das dringende Bedürfnis ihm schnellstmöglich die Klamotten vom Leib zu reißen. Ihre rechte Hand hatte sie mittlerweile zwischen seinem Nacken und Haaransatz gekrallt, während die Linke die obersten Knöpfe seiner Robe öffneten, oder das zumindest versuchten, denn für diese komplizierte Aufgabe hätte sie sich mal lieber die Rechte ausgesucht. Doch dies schien gar nicht mehr so tragisch, da Snape sich gerade ein Stück von ihr löste, mit seiner rechten Hand irgendeine Bewegung vor seiner Brust vollführte und die Knöpfe der Reihe nach einfach aufsprangen. Wäre das Mysterium um seine Vorliebe für aufwändige Kleidungsstücke auch gelöst. Die Robe fiel achtlos hinter ihm zu Boden, nachdem er sich aus ihren Ärmeln geschält hatte, dann kollidierten ihre Münder wieder miteinander, genau wie ihre unteren Körperregionen – verdammt, was hatte sie diese mächtige Ausbeulung in seiner Hose vermisst. Ihr Cardigan flog als nächstes zu Boden und während Snape einen Träger ihres Kleids über ihre Schulter schob, wanderte seine rechte Hand wieder ihren Oberschenkel entlang, bis sie am Bund ihres Höschen Halt machte, zugriff, er irgendetwas unverständliches in ihren Mund hineinmurmelte und –

     RATSCH

     Verdammt, das war ein  Victoria’s Secre – oooh, groooßer Schwa-

     Die Reste ihres Höschens hatten noch nicht ganz die Holzdielen unter ihren Füßen berührt, da spürte sie auch schon Snapes ausgebeulten Schritt auf ihrer nackten Haut, dem sie sich sofort instinktiv entgegen bewegte, selbst wenn er noch von schwarzem Stoff bedeckt war. Dieser Umstand änderte sich allerdings ebenfalls in den nächsten paar Sekunden, in denen er sich kurz an dem Knopf und Reisverschluss zu schaffen machte, dann seine Hose samt angegrautem Feinrippungetüm (dabei hatte sie nur für eine Millisekunde die Augen geöffnet und nach unten geschielt, das kam davon, wenn man bei jedem Geräusch den Ursachenpfadfinder heraushängen lassen musste) herunter schob und mit einer fließenden Bewegung nach vorne direkt in sie Eindrang.

     Gut, dass Snapes Tränke so scheiße perfekt ausfielen, ansonsten hätte sich die Stelle an ihrem Hinterkopf, mit der sie genau in diesem Moment beim Kopf nach hinten fallen lassen mit der Wand kollidierte, herzlich bedankt. Aber mit einer derart schnellen Aktion vom Entkleiden bis zum wortwörtlichen Vorstoß, hatte Luciana nicht rechnen können. Genau wie das laute Aufstöhnen, welches ihr entwich. Viel Zeit um sich an die neue Situation zu gewöhnen blieb ihr ohnehin nicht – sie konnte lediglich noch einmal ihre Beine um seine Hüfte eine Spur fester ziehen und schon stieß Snape mit gemäßigtem Tempo immer wieder in sie hinein.

     Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als ihre Stirn auf seiner Schulter für einen Moment zum Liegen kam – zwischen einen sich anbahnenden Höhepunkt gesellte sich das mittlerweile unangenehme Gefühl von kaltem, harten Mauerwerk an ihrem Rücken und davon hatte sie in dieser Nacht nun wirklich genug gehabt.

     „Couch“, brachte sie schwer atmend zwischen zwei leisen Stöhngeräuschen hervor, „jetzt“ und sie brauchte nicht lange warten, bis die Wand in ihrem Rücken verschwand – allerdings sah sie die Couch aus dem Augenwinkel an ihr vorbeiziehen, während Snape sie offenbar mühelos einmal quer durch den Raum trug (ohne dabei die Position in ihr aufgeben zu müssen, Luciana war beeindruckt), dann einen Raum betrat, der vorher verschlossenen gewesen war und er sich nach ein paar weiteren Schritten mit ihr in ein Bett begab. Doch bevor er es sich in der Missionarsstellung gemütlich machen konnte, kam ihr der Gedanke, diese Runde horizontale Sportart in eine teilweise senkrechte Lage zu bringen, so, wie sie es sich vielleicht hin und wieder … sehr selten und fast überhaupt nicht, in den letzten Wochen ausgemalt und dabei garantiert nicht ihren Tränkeprofessor im Sinn gehabt hatte, nein, nein (wie bereits erwähnt, sexuelle Frustration, Hormone, yadayada).

     Snape reagierte auf die vehemente Verschiebung ihrer Hüfte, plus das Wegdrücken seines Oberkörpers Richtung Matratze, zunächst mit Verwirrung. Für einen Augenblick schien er sogar davon auszugehen, sie wolle die Sache hier beenden, bevor auch nur einer von ihnen auf seine Kosten gekommen war, doch da hatte sie ihn auch schon von sich herunter geschoben und wieder breitbeinig über ihm positioniert. Dem armen Kerl stand noch immer eine Mischung aus Fragezeichen und einer Spur Panik im Gesicht, als Luciana nach seiner Erektion griff und sich diese in der nächsten Sekunde mit einem schnellen Absenken ihres Beckens einführte. Dieses Mal entkam ihm ein überraschter Stöhnlaut, Rache konnte so süß sein! Und genau wie er, ließ sie ihm keine Eingewöhnungszeit, sondern setzte ihr Becken sofort in Bewegung.

     Das Licht im Wohnraum drang nicht vollständig zum Bett vor, so konnte sie den Ausdruck in seinem Gesicht bloß ihm Halbschatten erkennen. Ähnlich wie bei ihrer letzten, kleinen Liaison, hatte seine Mimik absolut null Ähnlichkeit mit der, die er sonst aufzusetzen pflegte, dementsprechend kompliziert war es, diese zu beschreiben. Vielleicht ein vergleichsweise Zornfalten-freies Gesicht, ein ungewöhnlich losgelöster Blick mit einer Spur Verwunderung ob der Situation, in der er sich gerade befand? Dieser Anblick löste ein leichtes Schmunzeln in ihrem Mundwinkel aus. Sie beugte sich herunter, da sie der Versuchung einfach nicht wiederstehen konnte und nahm so lange seinen Mund mit Küssen, leichten Bissen und ihrer Zunge in Anspruch, bis ihre Lunge einen Moment freie Sauerstoffzufuhr verlangte.  

     Mit einer Hand stützte sie sich auf seinem Oberkörper ab, der noch immer von seinem weißen Hemd bedeckt wurde, um sich wieder aufzusetzen – ihm schien ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf zu gehen, da er sich an dem Reißverschluss ihres Kleides zu schaffen machte (Luciana nutzte die Gelegenheit, um sich die Sandaletten von den Füßen zu ziehen, die sie so langsam in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten). Kaum war dieser geöffnet, setzte sich Snape ein Stück auf, griff nach dem Saum und zog ihr das Kleidungsstück über den Kopf und schon umschlossen beide Hände ihre Brüste - richtig, für diese hatte er ja eine gewisse Vorliebe gehabt.

     Die neue Position von ihm entpuppte sich derweil als noch perfekter, oder besser gesagt, er war mit dieser Verschiebung noch ein Stück weiter in sie eingedrungen (was rein physikalisch überhaupt keinen Sinn ergab, aber was interessierte sie das, wenn er gerade genau die richtigen Stellen penetrierte?). Es fühlte sich auf der einen Seite gigantisch an, auf der anderen begann ihr Körper zu zittern, da ihm anscheinend die Kombination aus einer frisch behandelten Hirnerschütterung und der erneuten Zusteuerung auf einen Orgasmus, etwas zu viel wurde. Aber kaum, dass das Zittern begonnen hatte, wanderten Snapes Hände von ihren Brüsten wieder ab, die sich darauf beide um ihren Hintern legten und sie dort in ihren auf und ab Bewegungen unterstützen. Schaden abgewendet und das einzige Zittern welches blieb, galt wirklich nur noch ihrem nahenden Höhepunkt – der in der nächsten Sekunde über sie hereinbrach.

     Snape wartete ab, bis sie vollkommen regungslos, mit der Stirn auf seiner Schulter, sitzen blieb und sich ihr schneller Atem ein klein wenig beruhigt hatte. Dann packte er sie, erhob sich ein Stück, vollführte eine hundertachtzig Grad Drehung und im nächsten Augenblick lag Luciana wieder unter ihm. Es brauchte nur wenige, kurze Stöße, bis auch er mit einem erstickten Laut auf seine Kosten kam.

     Die Stille in dem kleinen Zimmer wurde lediglich von ihren und seinen Atemgeräuschen durchbrochen, bis sie, nach einigen Minuten, wieder in den kaum hörbaren Normalzustand übergegangen waren.

     Lucianas Hand lag noch immer auf Snapes Haar und dass sie an dieser Stelle etwas vollführte, was man gut und gerne in die Kategorie ‚Streicheln‘ hätte einordnen können, fiel ihr erst auf, nachdem sich der Körper auf ihr wieder regte. Beziehungsweise fahrig in Bewegung setzte, von ihr herunterrollte und auf dem Rücken, direkt neben ihr, wieder zum Liegen kam. Aus ihren halb geöffneten Augen (nach der nächtlichen Nokturnaktion und dieser sportlichen Höchstleistung gerade eben, fühlte sie sich, als habe man ihr ein Sedativum eingeflößt) sah sie dann, wie sich Snape, der ebenfalls einen sehr erschlagenen Eindruck machte, die Schuhe und Socken auszog, sein Feinripp wieder an Ort und Stelle zog und seine Hose aus dem Bett schmiss. Im nächsten Augenblick zog er eine Decke, die am Fußende des Bettes gelegen hatte, über ihre beiden Körper und mit einer scheinbar lässigen Handbewegung von ihm erloschen die Lichter im Wohnraum.

     Wenn Luciana in einem wacheren Geisteszustand gewesen wäre, hätte sie sich ihre folgende Aktion sehr wahrscheinlich zweimal überlegt. Doch so drehte sie sich, wie automatisch, an seine Seite, schob ein Bein über seinen Oberschenkel und machte es sich mit ihrem Kopf zwischen seinem Arm und seiner Brust gemütlich. Sie war schon beinahe eingeschlafen, als einer seiner Arme sie zögerlich näher an seinen Körper zog.

     „Ich wäre nicht mit dem Kerl fertig geworden“, flüsterte sie in sein Hemd. „Danke.“

     Einen ganzen Moment sah es so aus, als würde Snape dies völlig ohne Reaktion stehen lassen, doch dann spürte sie seine Lippen, wie diese einen leichten Kuss auf ihre Stirn setzten. Ein paar Sekunden später war sie eingeschlafen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Das erste zögerliche Blinzeln am Morgen offenbarte ihr die Sicht auf ein fürchterlich staubiges Fenster, durch das die Strahlen der Morgensonne nur teilweise durchdringen konnten, um den Raum in Licht zu tränken. Mit einem schmerzhaften Stöhnen brachte Luciana sich in eine sitzende Position und verfluchte dabei die nun zweite Matratze in Folge, die mit ihrem desolaten Zustand ihr Rückgrat in abartige Richtungen gequetscht hatte.

     Ihr verschlafener Verstand brauchte einige Zeit, bis sich alle Geschehnisse des gestrigen Tages wieder nahtlos zusammengefügt hatten (der Rückweg von der Nokturngasse mit angeschlagenem Schädel blieb allerdings weiterhin lückenhaft) und wundersamer Weise überfiel sie bei dem Gedanken an die nun zweite Runde Sex mit ihrem Tränkeprofessor keine Welle von Panik. Und wo sie gerade beim Thema war, wo war Snape eigentlich abgeblieben?

     Das Kopfkissen wies ganz klar zwei Abdrücke auf, aber er war weder zu sehen, noch war irgendein Geräusch aus der unmittelbaren Umgebung zu hören. Luciana schmiss die Bettdecke von ihrem Körper, ignorierte die Gänsehaut, welche sich prompt auf ihrer vollkommen nackten Haut bildete und sprang aus dem Bett. Fast wäre sie an dem Berg Kleidung vorbeigelaufen, der auf einem Stuhl direkt neben der Tür zum Wohnzimmer lag. Dort waren, fein säuberlich, ihr Kleid, der Cardigan und ihre Handtasche aufgestapelt worden; vor dem Stuhl standen ihre Sandaletten.

     „Professor?“ Sie steckte ihren Kopf zur Tür heraus, doch auch in dem Wohnraum (eigentlich Wohnküche, doch die kleine Küchenzeile mit Tresen als Raumtrennung, hatte sie in der letzten Nacht gar nicht bemerkt) war niemand zu sehen. Die Tür zum Bad stand zudem weit auf und da es sich um einen ganz besonders winzigen Raum handeln musste, konnte sie auch schon aus ihrer Position sagen, dass Snape auch nicht dort war. Mit anderen Worten, er hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht, höchst wahrscheinlich gleich nachdem er erwacht war und sie neben sich erblickt hatte. Typisch – zumindest, wenn man Remus Einschätzung Glauben schenken wollte.

     Seufzend schnappte sie sich ihre Klamotten von dem Stuhl und lief Richtung Badezimmer. Es war wirklich so klein, wie es auf den ersten Blick den Anschein gemacht hatte und es besaß nicht einmal ein Fenster. Dazu war es über und über mit kotzgrünen Fliesen bedeckt, genau die Art, welche man so gerne in den sechziger und siebziger Jahren an alle Wände geklatscht hatte. Außer einer kleinen Duschkabine, einer Toilette und einem Waschbecken mit Spiegelschrank war nicht viel zu sehen.

     Nachdem sie sich einen schnellen Überblick verschafft und auf keiner der Ablagen irgendwelche Waschutensilien gefunden hatte, öffnete sie den Spiegelschrank – und machte vor Schreck einen Satz nach hinten, der sie mit einem Scheppern direkt gegen die Duschkabine beförderte. Hinter den Schranktüren tat sich ein rechteckiges Loch auf, das scheinbar endlos weiter in das Mauerwerk hineinreichte. Rechts und links waren Regalbretter angebracht, die über und über mit Flaschen und Behältern gefüllt waren. Luciana trat wieder einen Schritt nach vorne und steckte, von Neugierde gepackt, ihren Kopf durch die Öffnung. Ihr Professor schien hier in seinem Winzbad eine größere Sammlung an Tränken zu horten, als in seinem Büro in Hogwarts oder den Klassenräumen im Kerker. Wieso benötigte er derart viele Tränke für seinen Privatgebrauch? Zudem es hier auch weniger um Forschung während der Freizeit gehen konnte, immerhin hatte sie noch keine Falltür zu einem geheimen Tränkelabor erspähen können. Obwohl, die Existenz dieser würde Luciana auch nicht mehr wundern.

     Ihre neuste Entdeckung brachte sie übrigens kein Stück weiter in der Frage, wo der Kerl sein Duschgel oder Shampoo versteckt hielt. Oder seine Zahnbürste – obwohl. Im letzten Jahr auf der magischen Schule, hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die meisten Zauberer und Hexen gar keine Zahnbürsten benutzen. Ein ziemlich simpler Zauber am Morgen und Abend verbannte sehr zuverlässig alle Bakterien aus dem Mundraum, daher war es erstens nicht nötig einen Zahnarzt aufzusuchen (den Beruf gab es in der Zaubererwelt einfach nicht) und zweitens hatte dies den netten Nebeneffekt, dass es das Problem von Mundgeruch so gut wie gar nicht gab – vorausgesetzt man wendete den Zauber auch wirklich regelmäßig an.

     Auch wenn Luciana die Vorteile von dieser Art der Mundhygiene unschlagbar fand und sie auch zweimal am Tag an sich selbst anwandte, griff sie, allein schon aus Gewohnheit, immer wieder zu der manuellen, popeligen Zahnbürste. Nichts ging am Morgen über einen frischen Pfefferminzgeschmack.

     Okay, zurück zum Thema – Shampoo. Duschgel. Negativ, negativ. Mit einem Ruck öffnete sie die Duschkabine und –

     „Nicht sein scheiß Ernst“, sprach sie in den leeren Raum hinein und starrte, mit ungläubigen Blick, ein einsames Stück Kernseife an, das auf einem schmalen Gitter an der Duschwand lag. Nächstes Mysterium geklärt, dieses Mal seine fettigen Haare betreffend. Sie verbannte, mit all den vereinigten Kräften ihrer halbwegs vernünftigen Gedanken, die sie auf die Schnelle zusammen kratzen konnte, die fixe Idee einen Großeinkauf zu starten, um den Herrn Professor zumindest mit den lebensnotwendigsten aller Pflegeprodukte auszustatten … und ein Lebensvorrat Boxershorts, die Feinrippschande könnte sie in null Komma Nix in einem Ölfass im Hinterhof verbrennen. Nein, sein Leben. Er war ein erwachsener Mann und schien auch gut ohne all den Luxus klar zu kommen. Außerdem konnte man ihm viel nachsagen, aber nicht, dass er unsauber war. Das permanent fettige Haar vermittelte auf den ersten Blick den falschen Eindruck, denn dies war keinerlei Indiz für mangelnde Körperhygiene. Zumindest soweit sie es bisher bewerten konnte.

     Mit einem tiefen, missmutigen Seufzer betrat sie letztendlich die Dusche. Das Stück Seife ließ sie an Ort und Stelle liegen.

     Nach einer fünfminütigen Katzenwäsche zog sie sich ihr Kleid über (das am Rückenteil von einer dunklen Blutspur vollkommen versaut war – sie musste unbedingt daran denken, Mrs Weasley bei der nächsten Gelegenheit um einen ihrer effektiven Haushaltszaubersprüche zu bitten) und lief darauf wieder Richtung Schlafzimmer, als ihr Blick an dem Bücherregal hängen blieb, das eine gesamte Wand des Wohnraums einnahm. Ein schwarzer Buchrücken mit einem eingestanzten, goldenen Kreuz war derart unverkennbar, dass Luciana eigentlich nicht hätte auf Nummer sicher gehen müssen, aber gerade Professor Snape mit einer derartigen Literatur in Verbindung zu bringen, ließ sie die Sache näher inspizieren.

     Die Bibel war nicht sonderlich alt, zumindest nicht im Maßstab der Ausgaben, die sie von Rennocs Bibliothek kannte, doch ihr fiel der außergewöhnlich stark verschlissene Einband als erstes ins Auge, nachdem sie das Buch aus dem Regal gezogen hatte. Die Seiten waren über und über mit winzigen Notizen versehen, es tat sich kaum ein Blatt auf, welches keine unterstrichene Textzeile aufwies. Lucianas Brauen hatten sich mittlerweile zusammengezogen, auf ihrem Gesicht hatte sich der Ausdruck totaler Verwirrung breit gemacht. Und dann, auf der Suche nach dem Druckjahr der Ausgabe, sprang ihr ein Name entgegen, der links oben auf der Innenseite des Einbands notiert stand: Tobias Snape. Irgendetwas klingelte bei diesem Namen in ihrem Hinterstübchen und nachdem sie noch weitere Sekunden auf die Zeilen gestarrt hatte, fiel es ihr wie Schuppen vor die Augen – Sir Rennoc hatte letztes Jahr, in einem Brief, erwähnt, dass Snapes Vater diesen Namen trug.

     Das Buch war im Jahr neunzehnhundertzweiundfünfzig gedruckt worden, zudem hatte die Handschrift zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit der ihres Professors, aber es waren trotzdem zu viele Unterschiede vorhanden, um dieselbe zu sein. Sie verstaute die Bibel wieder an seinen Platz, gleich neben einer kleinen Uhr, die in einem Glassockel –

     HALB ZEHN??? Luciana beeilte sich zurück ins Schlafzimmer zu kommen, warf sich den Cardigan über, schlüpfte in ihre Schuhe – verdammt, sie wusste nicht einmal wo sie sich genau in London aufhielt, wie sollte sie da innerhalb von einer halben Stunde am Grimmauldplatz sein (Gabriel hatte sich geweigert den Kamin länger als auch nur fünf Minuten für einen ‚zwielichtigen‘ Ort wie den Tropfenden Kessel offen zu halten und da sie dies für ein wirklich zu knappes Zeitfenster gehalten hatte, war ein Kompromiss für eine Viertelstunde für das Hauptquartier des Ordens zustande gekommen)? Eilends griff sie ihre Handtasche, drehte sich noch einmal um die eigene Achse um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich nichts vergessen hatte und –

     Ihr Herz machte einen gewaltigen Hüpfer. Von der unangenehmen Sorte, die in Richtung ‚Lass-das-bitte-nicht-Realität-sein‘. Ein paar Sekunden stand sie wie angewurzelt auf der Stelle, die Augen mit geschocktem Blick auf das kleine Nachttischchen neben dem Bett gerichtet. Eine kleine Stimme in ihrem Kopf bat sie inständig, einfach auf dem Absatz kehrt zu machen und die Wohnung zu verlassen, immerhin könnte sie sich vielleicht so einreden, dass sie gar nichts gesehen habe. Doch dazu war Luciana dann wohl eine Spur zu masochistisch veranlagt und so trat sie mit langsamen Schritten auf den Nachttisch zu. Natürlich hatten ihre Sinne ihr keinen Streich gespielt – die Hamsterbacken von John Houblon sprangen ihr in Form eines rot abgedruckten Kupferstichs höhnisch entgegen, kein Zweifel. Snape hatte ihr eine fünfzig Pfund Note ans Bett gelegt. Im nächsten Moment hatte Luciana Schwierigkeiten zu atmen, oben auf verschwamm ihr Blickfeld durch eine Menge überflüssiger Feuchtigkeit, die sich in ihren Augen angesammelt hatte – wenigstens musste sie somit nicht mehr Houblons Gesicht ertragen. Der Schockzustand wich schnell einem reichlich angepissten (das war auch leichter hinzunehmen, als der penetrante Stichschmerz in ihrer linken Brustregion). Mit einer energischen Bewegungen wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln, dachte nicht mal eine Millisekunde darüber nach das Geld auch nur mit einer Fingerspitze zu berühren und stapfte dann stinksauer aus der Wohnung, inklusive lautem Türscheppern.

Gabriels Plan

Fünfzig Pfund, fünfzig läppische Pfund, PAH! Damit hätte Snape sich gerade mal einen kurzen Ritt in der Herbertstraße leisten können und das auch nur bei einer der Damen der Sorte längst verbraucht, was bildete sich dieser Oberarsch eigentlich ein?! Es war eine Sache, dass er offenbar der Meinung gewesen war, Luciana für ihre ‚Dienste‘ zu entschädigen (was an sich schon Beleidigung genug darstellte), aber dann noch die Dreistigkeit besitzen, sie mit einem kümmerlichen Fünfziger abzuspeisen, das schlug dem scheiß Fass den Boden aus!

     Der Taxifahrer, den sie ein paar Querstraßen von Arschs Wohnung aufgegabelt hatte (der Wichser hatte sie oben auf auch noch am Hintern der Welt ausgesetzt!), wagte es nicht auch nur ein Wort an sie zu richten und schaute während der gesamten, zwanzigminütigen Fahrt immer wieder nervös zu ihr in den Rückspiegel. Dass sie einen derart angepissten Eindruck auf ihre Umwelt machen musste, interessierte sie nicht die Bohne und nachdem ihr der nächste Fünfziger unter die Augen kam (den sie wahllos aus ihrer Handtasche gefischt hatte, um den Fahrer zu bezahlen), wäre sie beinahe auf der Stelle explodiert. Ohne einen Gedanken an das Wechselgeld zu verschwenden, knallte sie die Tür des Fahrzeugs zu, das auch ungewöhnlich schnell und mit quietschenden Reifen verschwand.

     Die Haustür des Grimmauldplatz wurde kurz nach ihrem, zugegebenermaßen, etwas heftigem Klopfen, aufgerissen. Vor ihr stand Remus, im Morgenmantel und etwas zerknautschtem Gesamtbild und schaute sie mit verwirrtem Blick an.

     „Luciana, was machst du denn-„ Selbstverständlich musste ausgerechnet in diesem Augenblick ein kräftiger Windstoß von hinten kommen. Lucianas Kleid flatterte um ihre Beine und es brauchte keine Sekunde, bis Remus seinen Riecher in ihre Richtung steckte. Und darauf sich sein Blick verfinsterte.

     „Einmalige Sache“, kommentierte er tonlos.

     „Verdammt, ich hab sogar geduscht!“, schimpfte sie und schob sich an ihm vorbei in den Flur.

     „Willst du darüber re-„

     „NEIN!“ Und damit war sie auch schon ins Kaminzimmer abgebogen. Doch die Hoffnung, in Ruhe einen Abgang machen zu können, zerschlug sich, als sie gerade eine Handvoll Flohpulver für die Heimreise gegriffen hatte.

     „Was hat er angestellt?“ Remus lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und sah sie mit einer Spur Besorgnis in den Augen an. Aber sie würde niemandem, niemals nie erzählen, was Snape ‚angestellt‘ hatte.

     „Wir sehen uns die Tage.“ Damit ließ sie ihm keine Gelegenheit weiter nachzuhaken und verschwand in den grünen Flammen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

‚Die Tage‘ entpuppte sich am selben Abend als der darauffolgenden Tag, da Gabriel ihr eine ellenlange Anweisungsliste für eine, zur Abwechslung, weniger kurzfristig geplante Ordenssitzung übergab. Der anonyme Besitzer der Mauritius, die noch für den Horkrux in Frage kam, hatte sich nach den Schreckensmeldungen über den nächtlichen Einbruch in den Hochsicherheitspalast der königlichen Familie offenbar dazu entschlossen, sich von seiner Briefmarke zu trennen. Und zwar so schnell wie irgend möglich. Luciana konnte diese Entscheidung sehr gut nachvollziehen, denn wer auch immer diese unbekannte Person sein mochte, sie war sich mittlerweile anscheinend darüber im Klaren, dass sie im Besitz eines plötzlich heiß begehrten Gegenstands war und dieser nicht gerade ein Garant für einen friedlichen Alltag sein konnte.

     Die öffentliche Auktion würde in einer Woche bei Sotheby’s stattfinden und nun hatte sich ihre Pate fest in den Kopf gesetzt, an dieser teilzunehmen. Dies und weitere Details hatten, seiner Aussage nach, absolute Dringlichkeit und mussten mit dem Orden besprochen werden, im Bestfall mit der höchstmöglichen Anzahl seiner Mitglieder, die so gut wie nie vollständig bei den Sitzungen anwesend waren.

     Luciana hatte keinerlei Ambitionen, Oberarsch nach weniger als achtundvierzig Stunden wieder unter die Augen treten zu müssen, allerdings ging es hier um eine etwas bedeutendere Angelegenheit, als ihren verletzten Stolz. Und damit dieser nicht noch weiter mit Füßen getreten werden konnte, schnappte sie sich schon eine halbe Stunde vor Beginn des Ordenstreffen ihre Unterlagen und reiste via Flohnetzwerk zum Grimmauldplatz, um sich dort schon mal in die Detailbesprechung einzulesen.

     In der Küche war bloß Mrs Weasley anwesend, die gerade dabei war, gleich drei Kannen Kaffee und ebenso viel Tee zu kochen (erfahrungsgemäß würde diese Menge nicht einmal die erste Hälfte der Sitzung überleben). Nach zehnminütiger Plauderei über Haushaltszauber (Luciana war wieder ihr verschmutztes Kleid in den Sinn gekommen – obwohl, nach der Nacht und den damit verbundenen Erinnerungen an Oberarsch, zog Luciana ernsthaft in Betracht es mit hoch ätzender Säure zu eliminieren), dem Zauberscherzartikelladen der Zwillinge und einige Patzer, die während der Arbeit von Mr Weasley passiert waren (er arbeitete in der Abteilung gegen Missbrauch von Muggelartefakten, Stoff aus dem die besten Geschichten waren), hatte sie das erste Mal seit gestern Morgen so etwas wie einen Anflug von guter Laune. Die natürlich in dem Moment im Keim erstickt wurde, als sich die Küchentür öffnete und sie die langen, strähnigen Haare von Oberarsch aus dem Augenwinkel heraus erkannte.

     „Guten Abend Molly, Miss Bradley“, sagte er, in einem recht neutralen Tonfall und Luciana gefror das Lächeln, welches ihr Mrs Weasley gerade eben mühsam entlockt hatte, auf dem Gesicht.

     „Oh, hallo Severus, du bist früh dran.“ Das hatte sie sich auch eben zähneknirschend gedacht. „Möchtest du einen Kaffee?“ Vorzugsweise brühheiß und direkt ins Gesicht?

     „Ehm“, Oberarschs Blick war an Luciana hängen geblieben und ihre pure Welle von ‚Ich-verfluche-den-Tag-an-dem-du-geboren-wurdest‘ schien ihn gerade mit voller Wucht getroffen zu haben. „J-ja bitte.“

     Mrs Weasley schien nichts von der eisigen Stimmung mitzubekommen, die plötzlich im Raum herrschte und stellte Arschnase eine dampfende Tasse an den Platz, an den er sich eben nieder gelassen hatte. Vor Kopf, zu der Rechten von Dumbledores Stammplatz. Weil Oberarsch ja so wihiiichtig war.

     „Danke.“ Er hatte noch immer nicht die Augen von ihr abgewendet und anscheinend hatte er Mühe, bei Lucianas Blicken, die ihn regelrecht in der Luft in abertausende Einzelteile zerfetzten, eine neutrale Miene beizubehalten. Sicher war dies nicht der erste Vorfall, bei dem sie ihn böse angesehen hatte, aber an diesem Abend galt dies nicht der leichten Verstimmtheit wegen einer ungerechten Behandlung im Unterricht oder einer Reaktion auf eine seiner Gemeinheiten. Jetzt meinte sie es bitterernst und den Unterschied schien er deutlich zu spüren. Zudem hatte er nun schon das dritte Mal geschluckt, dabei hatte er seine Kaffeetasse noch nicht mal angerührt.

     „Ich bin noch einmal schnell oben und sag Arthur Bescheid, dass es gleich losgeht“, sagte Mrs Weasley und band sich die Schürze vom Bauch. „Seitdem er diesen Kassettrekord aufgetrieben hat“, „Kassettenrekorder“, verbesserten sie Arsch und Luciana gleichzeitig, „jedenfalls verliert er seitdem völlig die Zeit aus den Augen.“ Schon war sie aus der Küche verschwunden. Und somit war Luciana allein mit der Wurzel all ihrer aufgestauten Wut – genau das hatte sie eigentlich verhindern wollen. Ein letzter, ganz besonders angepisster Blick in seine Richtung und dann lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Unterlagen vor ihr auf dem Tisch. Oder besser gesagt: sie versuchte es. Eigentlich malte sie sich gerade sehr bunt und realistisch aus, was man alles mit diesem Wich-

     ChrmChrm

     Lucianas Kopf schnellte hoch. Auch wenn ihr sehr wohl bewusst war, dass dieser Laut allein von der Tonlage her nicht einer ganz besonders pink plüschigen Kehle entkommen sein konnte, reagierte sie bis heute sehr allergisch auf diese Art von Geräusch. Doch Oberarsch schien sich tatsächlich nur geräuspert zu haben, denn er nahm gerade einen Schluck aus seinem Becher und machte daraufhin den Eindruck, um Worte zu ringen.

     Genau, winde dich, du Wurm!

     „I-ich hatte gestern Morgen einen unaufschiebbaren Termin, mit äußerster Dringlichkeit und-„

     „FÜNFZIG PFUND?!“ Platzte es aus Luciana heraus und dabei hatte sie sich eine Sekunde zuvor noch fest vorgenommen, die Nerven zu behalten. Oberarsch starrte sie darauf nur mit halb geöffnetem Mund an, sein Gesicht spiegelte die absolute Verwirrtheit wieder. „Es ist ja nicht schon unfassbar genug, dass Sie überhaupt auf diese unverschämte Idee kommen, Professor, aber dann noch ein lächerlicher Fünfziger!“

     Er schien absolut keinen Schimmer zu haben, wovon sie da redete – bis sich seine Augenbrauen nachdenklich zusammenzogen.

     „Geld für das Taxi“, sagte er dann und seine Brauen zogen sich noch ein Stück weiter zusammen. „Ich wusste nicht, ob Sie Muggelgeld dabei haben würden und – wovon sind Sie ausgegangen, wofür ich es –„ Diesen Satz brachte er nicht zu Ende, denn anscheinend war ihm ein Licht aufgegangen, das ihm gleich die Sprache verschlug.

     Luciana war derweil alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und höchst auf damit beschäftigt, sich im Geiste gleich dutzendfach zu Ohrfeigen. Am liebsten hätte sie sich eine Schaufel geschnappt, um sich damit am besten gleich bis nach Neuseeland durch zu buddeln.

     „Haben Sie wirklich angenommen, ich würde-„

     „Luciana! Und Severus, guten Abend“ Remus kam, mit verdächtig guter Laune, in die Küche geplatzt, lief schnurstracks zum Küchentresen rüber und schenkte sich eine Tasse Schwarztee ein. Was für ein Timing. Da er gerade mit dem Rücken zu ihnen stand, nutzte Luciana die Gelegenheit ein deutliches ‚Es tut mir Leid‘ mit ihrem Mund zu formen, worauf Snape nur kurz nickte. Es machte nicht den Eindruck, als würde er dieses Missverständnis auf die sonderlich leichte Schulter nehmen, wobei diese Annahme auch wieder nur ihrem paranoiden Hirn entspringen konnte – dass sein Gesicht einer neutralen Maske glich, war in Anwesenheit von anderen Personen vollkommen normal.

     Remus hatte noch nicht ganz den Platz neben ihr eingenommen, da betrat auch schon das nächste Ordensmitglied den Raum. Black. Snapes Schultern zogen sich augenblicklich noch ein wenig mehr straff.

     „Was hat dir Steinhardt da wieder stapelweise mitgegeben?“, erkundigte sich Remus, legte den Arm um ihren Stuhl und beugte sich sehr nah an sie heran, um die Unterlagen zu inspizieren. Black besetzte den Stuhl neben Remus und zog sich dessen Teetasse heran.

     „Jones hat ein neues Bett für dich aufgetrieben, Moony“, bemerkte Black und nahm einen kräftigen Schluck. Konnte dieser Abend noch schlimmer werden?

     „Oh, wirklich“, sagte Remus begeistert und wandte sich ihr zu. „Du hattest Recht, Luciana, diese Matratze verbiegt einem wirklich schrecklich den Rücken, gerade wenn man nicht nur darin schlafen mag.“

     Oh bei Wotan – die Augen einen Moment zu schließen und sich ganz fest an einen anderen Ort zu wünschen, funktionierte übrigens nicht. Vielleicht sollte sie sich wirklich zur Apparierprüfung anmelden. Was ihr in diesen appariergeschützten vier Wänden absolut nichts brachte, aber Details … Ein lautes Scheppern verriet ihr, dass Snape seine Tasse geräuschvoll auf den Tisch abgesetzt hatte.

     „Alles in Ordnung, Severus?“, erkundigte sich Remus und am liebsten hätte Luciana ihn in diesem Moment erwürgt. Sie hatte den Ärger wohl unterschätzt, den er offensichtlich bei dem Gedanken an einen Lehrer hatte, der es sich, seiner Meinung nach, anscheinend zum Hobby machte Schülerinnen zu vernaschen, oder zumindest diese eine (obwohl sie es nach dem Gespräch mit ihm vorletzte Nacht hätte kommen sehen können) – dazu noch ihr wütender Abgang gestern, der ganz offensichtlich auf Snape zurückzuführen war.

     „Ich frage mich nur“, schnarrte Snape und bekam dabei kaum seine aufeinander gepressten Zähne auseinander, „wann die Sitzung beginnt. Immerhin hat nicht jeder von uns den Luxus eines so offenen Freizeitfensters wie du und Black.“  Dieses Mal war es an Black seine Tasse auf das Holz zu knallen und wenn das so weiter ging, würde nicht mehr viel fehlen bis die Sache hier eskalierte. Das war, nebenbei bemerkt, im vergangenen Jahr häufig der Fall gewesen, zumindest was die Konstellation Black und Snape anbelangte, nur mit dem kleinen Unterschied, dass gerade kein Dumbledore anwesend war, der die beiden daran hindern konnte sich mit Flüchen gegenseitig umzubringen.

     „Dann solltest du dir besser die Füße waschen, damit der Dreck oder in deinem Fall, das Fett absacken kann – mit sauberen Ohren hättest du vielleicht mitbekommen, dass es Remus und meine Aufgabe ist, die Dementoren ausfindig zu machen. Unser ‚Freizeitfenster‘ steht deinem in Nichts nach.“

     Uuund damit wären sie wohl wieder beim allseits bekannten Schwanzvergleich. Dazu keine Kekse in Sicht und Remus schien nicht mal im Traum daran zu denken, die Lage zu entschärfen (was er normalerweise immer tat, wenn Dumbledore mal nicht schnell genug war). Schlimmer noch, er schien sich das Wortgefecht mit zufriedener Miene gleich eines Tennismatches zu Gemüte zu führen.

     „Du nennst es Aufgabe“, sagte Snape und beäugte Black mit einem abschätzigen Blick von oben nach unten, „und ich Beschäftigungstherapie für einen – ehm, armen Irren.“

     Oh fuck – Black sprang von seinem Platz auf, Snape tat es ihm beinahe zeitgleich nach, Remus sah derweil aus, als würde er in Erwägung ziehen sich eine Schüssel Popcorn zu machen.

     „Wo wir grad bei Irre sind, Schniefelus“, Snapes Gesicht verdüsterte sich um ein Vielfaches bei diesem Namen, „hast du deinem Herrchen in den letzten Tagen endlich gründlich die Füße geleckt, oder muss sich der Orden weiterhin mit unbrauchbaren Nichtigkeiten abfinden? Oder habe ich doch über die ganze Zeit Recht behalten und du hast in Wirklichkeit nie die Seiten gewechselt?“ Nun, jetzt hatte Black zumindest deutlich klar gemacht, was er über Snape dachte. Wie gesagt, in der Vergangenheit hatte es Dumbledore den beiden, zu sechszehnjährigen Testosteronbömbchen mutierten Herrschaften, nie gestattet sich mehr als nur ein zwei schnippische Kommentare an den Kopf zu knallen. 

     „Weil dein Urteilsvermögen, was die Vertrauenswürdigkeit der Menschen in deinem unmittelbaren Umfeld betrifft, in der Vergangenheit so äußerst zuverlässig ausgefallen ist, Black?“ Mit dieser Aussage konnte sie nicht viel anfangen, dementsprechend schwer war es in diesem Moment zu beurteilen, ob Black einen Hechtsprung, inklusive gezücktem Zauberstab Richtung Snape vollführte, weil ihm das Gesagte nicht passte, oder das spöttische Grinsen auf dem Gesicht des Professors das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Snape zückte ebenfalls seinen Zauberstab, noch bevor Black keine zwei Handbreit vor ihm zum Stillstand kam (dabei wurde er von dem Professor beinahe um einen ganzen Kopf überragt) und richtete die Spitze seines dunkelbraunen Stöckchens direkt auf Snapes Gesicht. Luciana konnte sich nicht helfen – selbst wenn sie sich sehr wohl bewusst war, wie gefährlich und vor allem tödlich so ein Zauberstab sein konnte, sah ein Zauberduell in der Ausgangsposition irgendwie immer danach aus, als würden sich die beiden Duellanten jeden Moment mit Essstäbchen die Augen gegenseitig ausstechen wollen. Bis einer weinte und dazu würde sie es an diesem Abend nicht kommen lassen –

      BAMMS

     „MEINE HERREN!“ Das Schlagen ihrer flachen Hand auf der Tischplatte hallte nach, Blacks und Snapes Köpfe zuckten beide in ihre Richtung. Keine Sekunde zu früh, denn Blacks Hand hatte schon zum Angriff gebebt. Luciana erhob sich von ihrem Platz und machte einen sehr guten Job dabei, das ‚ich-habe-genug-von-eurem-Scheiß‘-Gesicht ihres Paten zu imitieren. „Sie werden beide augenblicklich ihre Zauberstäbe einstecken und Ihre Sitzplätze einnehmen!“ Für eine Sekunde sah es so aus, als habe sie das Schlimmste abgewendet, doch –

     „Halt dich raus, Luciana“, knurrte Black wütend und war dann im Begriff eine Bewegung mit seinem Zauberstab zu vollführen, Snape tat es ihm nach und –

     BAMMS – zweiter Schlag auf die Tischplatte, dieses Mal mit voller Wucht.

     „Mit einer Zweidrittelmehrheit des Stimmrechts, gegeben mit der prozentualen Verteilung der Mitgliederanzahl, durch den abgeschlossenen Vertrag zwischen der UOWV GoH und dem Orden des Phönix, habe ich in Abwesenheit von Professor Dumbledore und Mr Doge den ranghöchsten Posten dieser Versammlung inne und stehe somit in voller Befugnis, einen oder beiden von Ihnen einen Verweis aus diesem Besprechungsraum zu erteilen!“, ratterte sie herunter, ohne dabei auch nur einmal Luft zu holen und fixierte beide Männer mit höchst scharfem Blick. „Also entweder Sie stecken sofort Ihre Zauberstäbe ein und setzen sich zurück auf Ihre Plätze, oder Sie klären ihre Diskrepanzen vor der Tür, HABEN WIR UNS VERSTANDEN?!“

     Die Zauberstäbe verschwanden synchron in den Taschen der beiden Männer, darauf folgte ein kurzes Starrduell und dann begaben sich Snape und Black endlich wieder auf ihre Stühle. Und keine Sekunde zu früh, denn genau in diesem Moment öffnete sich die Tür, durch die nacheinander mehr als ein Dutzend Ordensmitglieder traten, angeführt von Albus Dumbledore, der auch gleich das Wort an sie richtete.

     „Mir war, als hätte ich dich von der Treppe aus hören können, Luciana, ist irgendetwas geschehen?“

     Mit einem genervten Seitenblick auf Black und Snape nahm auch sie wieder Platz und schob beiläufig ihre Unterlagen zusammen.

     „Nein, alles gut.“

     Der Schulleiter nahm diese Aussage mit einem Schmunzeln hin, blinzelte ihr über seine Halbmondbrille zu und wandte sich zu Shacklebolt, welcher ihn gerade ansprach.

     „Ganz der Ziehpapa“, kommentierte Remus und lehnte sich ihr dabei entgegen.

     „Danke für deine tatkräftige Unterstützung“, höhnte Luciana, dabei warf sie ihm einen ganz besonders angesäuerten Seitenblick zu.

     „Du bist doch sehr gut klar gekommen.“

     „Was auch immer Snape und Black da für eine Fehde haben, so langsam artet es aus“, flüsterte sie, auch wenn es bei dem angestiegenen Geräuschpegel in dem Raum wohl nicht nötig gewesen wäre. „Kannst du Black nicht mal ins Gewissen reden? Ansonsten finden wir noch einen von beiden tot über nem Geländer hängen.“

     „Klar, nichts einfacher als das. Und du übernimmst das Gespräch mit Severus, mh?“ Dabei wackelte er anzüglich mit den Augenbrauen. „Oh, ich habe eine tolle Idee! Lass uns den beiden gleich noch Freundschaftsbändchen basteln, was meinst du?“

     Für einen Augenblick starrte sie Remus mit ausdruckslosem Gesicht an, dann schnappte sie sich ihren, in Leder eingebundenen Kalender und schlug ihn auf.

     „Dachte ich es mir, morgen ist Vollmond.“

     Darauf hörte sie ihn verächtlich schnauben.

     „Und du bist besser mit deinem Abgang gestern Früh?“, sagte er schnippisch und trommelte mit seinen Fingern auf dem Tisch.

     „Ich diskutiere eine Nacht vor Vollmond nicht mit dir, Remus.“ Damit schnappte sie sich den Stapel Zettel vor ihrer Nase, erhob sich von ihrem Stuhl und nahm zwei entfernt wieder Platz. Keine Sekunde später war ihr alter Sitzplatz auch schon von Tonks besetzt, die in Rekordzeit die Strecke von der Eingangstür bis an Remus Seite hinter sich gebracht hatte. Dieser atmete sichtbar tief ein und warf Luciana einen bitterbösen Blick zu, während er sogleich in ein Gespräch von seiner neuen Sitznachbarin verwickelt wurde – ein schadenfrohes Schmunzeln konnte sie sich schlecht verkneifen, auch wenn Luciana wusste, dass Remus nicht sehr viel für sein wankelmütiges Emotionskostüm an diesem speziellen Tag in der Mondphase konnte. Pff, auf sie als Weibsbild nahm auch niemand Rücksicht, wenn die Hormone mal wieder besonders quer schossen, demnach hatte sich der Herr auch keine Sonderbehandlung verdient.

     „Luciana, Kaffee?“ George stand gerade am Tresen, vor ihm eine ganze Reihe von Tassen. Sie hob zur Bestätigung den Daumen, während sich Fred neben sie setzte, der andere freie Stuhl wurde von Bill, dem ältesten der Weasley Sprösslinge, eingenommen. Natürlich, ausgerechnet heute musste Zuckerschnäuzchen antreten, weil sie bislang noch nicht genug Runden auf dem Gefühlskarussell gedreht hatte. Normalerweise saß er immer bei seinem Vater oder neben Shacklebolt, in ihre Nähe war er noch nie gekommen, worüber sie im Prinzip nur dankbar sein konnte. Denn bei diesem vermaledeiten Kerl verhielt Luciana sich oft wie ein pubertäres Mädchen, das man vor seinen Schwarm gesetzt hatte, inklusive rot werden wenn er sie ansprach oder stolpern über die eigene Zunge. Dieser Abend wurde immer schlimmer und schlimmer.

     „Wie waren die Ferien?“, sprach Zuckerschnäuzchen sie an und machte dabei ein ganz besonders zuckeriges Gesicht. Über den Sommer hatte sich seine Haut von typisch blass für einen Ginger in einen leichten Bronzeton mit Sommersprossen gefärbt, was seine markanten Gesichtszüge noch eine Spur mehr hervorhob. Seine tiefblauen Augen schauten sie aufmerksam und freundlich an, natürlich nicht ohne ein Lächeln auf den Lippen, welches sie zum Schmelzen brachte. Also, normalerweise. In diesem Moment fühlte sie sich seltsam … normal.

     „Kurz, unspektakulär“, antworte sie und dabei schoss ihr nicht mal ein Milliliter zu viel Blut durch die Wangen, „das erste Wochenende stand eine kleine Kneipentour an, aber an mehr als hell dunkel, hell dunkel kann ich mich auch nicht erinnern.“ Bill lachte auf und ihr Magen – machte rein gar nichts. Kein kurzen Zusammenziehen, kein Kribbeln, kein mädchenhaftes, dümmliches Grinsen … sie hatte sich oben auf nicht einmal verhaspelt. George stellte ihr eine Tasse auf den Tisch und verteilte die restlichen, die er vor seinem Zauberstab durch die Luft schweben ließ, an Fred und Bill. Luciana war noch immer höchst verwirrt. Die Neuankömmlinge hatten derweil alle ihre Plätze eingenommen, nur Dumbledore stand noch mit Shacklebolt an der Tür und unterhielt sich angeregt, mit Flüsterstimme. Und gerade, als sie sich wieder Zuckerschnäuzchen zuwenden wollte, um die Nicht-Reaktion noch einmal zu testen (nur um sicher zu gehen), traf ihr Blick zwei ganz besonders dunkelbraune, fast schwarze Augen, die sie direkt ansahen. Snape – und ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Wie an dem Mittag vor dem Buckingham Palast. Oder die paar hundert Male in Hogwarts, wenn sie ihn am Lehrertisch beim Frühstück das erste Mal am Tag gesehen hatte.

     Fuck

     Der Blickkontakt blieb nicht lange bestehen, vielleicht ein paar Sekunden, wenn es hoch kam und wie so oft zuvor, war es ihr nicht möglich den Ausdruck in seinen Augen zu deuten. Was Luciana wieder zu dem ‚kleinen‘ Missverständnis brachte, das ein verdammt unangenehm schlechtes Gewissen in ihr auslöste. Aber wer hätte schon ahnen können, dass der Professor so aufmerksam sein könnte, ihr Geld für das Taxi zu hinterlassen? Übrigens wäre eine kleine Nachricht dazu ebenfalls sehr hilfreich gewesen, mit einem kurzen Verweis auf seine Abwesenheit … nein, sich die Sache zurecht zu biegen und ihm mindestens die Hälfte an Mitschuld in die Schuhe zu schieben, schien nicht den gewünschten Effekt zu bringen, das schlechte Gewissen blieb. Dazu noch die neu erworbene Erkenntnis, dass sie anscheinend die Schwärmerei für Zuckerschnäuzchen hinter sich gelassen hatte und nun offenbar dazu übergegangen war, nur noch auf einen ganz bestimmten Typ Mann zu reagieren (der blasse, hakennasige Typ, in seinen Mitdreißigern mit Faible für viktorianischen Kleidungsstil, aufbrausendem Charakter und unkalkulierbarem Gemüt und einer Stimme, die sonst nur die C-Saite eines Cellos erzeugen konnte – Männer eben, die es wie Sand am Meer gab … alle sieben Jahre änderte sich halt der persönliche Geschmack, nichts Besonderes, kein Grund zur Sorge).

      „Doktor Steinhardt“, Dumbledores Stimme, der sich mittlerweile ebenfalls gesetzt hatte, hallte laut durch den Raum und der Schulleiter wartete einen Moment ab, bis auch das letzte Gespräch am Tisch verstummt war, „hat mir eine Nachricht zukommen lassen und mich gebeten diese Sitzung einzuberufen“, in der Runde war das ein oder andere Gemurmel zu hören und dabei schien niemand sonderlich erfreut auf den Namen ihres Paten zu reagieren. Zumindest schien niemand einen persönlichen Greul gegen sie selbst zu hegen – an diesem Abend war sie schon dankbar für kleine Lichtblicke. „Ich muss zugeben, das hat die Neugierde in mir geweckt, also Luciana, was hat der Doktor so dringend mit dem Orden zu besprechen?“

     Und schon war die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sie gerichtet. An diese Art von Rampenlicht würde sie sich übrigens nie gewöhnen - all die Augenpaare hinterließen bei ihr immer den Eindruck, sie sei als ganz besonders außergewöhnliche Kuriosität auf einem Jahrmarkt ausgestellt.

     „Mein Pate hat die Information bekommen, dass der anonyme Besitzer der zweiten Mauritius sein Exemplar versteigern lässt“, Dumbledore machte ein erstauntes Gesicht, „und zwar nächste Woche Donnerstag, in dem Auktionshaus Sotheby. Die Öffentlichkeit wird morgen davon in den Zeitungen erfahren, mit den Informationen, wie die Auktion ablaufen wird.“

     Am Tisch brach plötzlich ein lautes Stimmgewirr los, der Schulleiter musste gleich zweimal um Ruhe bitten.

     „Das kann nur in einem Gemetzel enden“, knurrte Moody und fixierte die Runde mit gleich zwei seiner Augen (das eine magische setzte er üblicherweise ein, um seine gesamte Umgebung im Blick zu halten). „Ihr-wisst-schon-wer wird schneller davon erfahren, als wir Wachposten aufstellen können und der Horkrux wird in seine Hände fallen, bevor die Auktion auch nur begonnen hat.“ Die meisten Ordensmitglieder stimmten ihm nickend zu, Dumbledore schien unterdessen vollauf damit beschäftigt, seine grauen Zellen auf Hochleistung laufen zu lassen.

     „Ein Gemetzel wird dem Schwarzen Führer wenig bringen“, sagte Luciana, „denn hier kommt der knifflige Teil: Aufgrund des offensichtlichen Interesses einer ‚Terrororganisation‘ an der Briefmarke, wird diese während der Auktion nicht zur Schau gestellt. Die Mauritius wird im Anschluss der Versteigerung dem Höchstbietenden per Kurier geliefert.“

     „Die Muggel wissen aber nicht, dass ihr-wisst-schon-wer sehr effektive Zauber anwenden kann, um die Informationen über den Verbleib der Marke zu bekommen“, warf Shacklebolt ein.

     „Die Nicht-Magier kennen aber Entführung und Folter oder das sicherste Mittel in solchen Fällen: Bestechung“, entgegnete sie. „Dementsprechend wird niemand im Auktionshaus darüber informiert, wo sich die Marke befindet oder wer der Besitzer ist. Wo kein Wissen ist, kann es auch nicht zu Zwischenfällen kommen.“

     „Der Dunkle Lord wird zweifellos ein paar seiner Anhänger vor Ort haben und abwarten, bis er den Namen der Person hat, die die Marke ersteigern wird“, sagte Snape und jeder am Tisch wusste, dass er mit den meisten Vermutungen, was die zukünftigen Schritte von Voldemort anbelangte, Recht behielt – so zumindest die Erfahrung.

     „Ja, davon geht mein Pate auch aus. Deswegen wird er selbst vor Ort sein und an der Versteigerung teilnehmen, um die Mauritius zu kaufen.“

     Wieder ertönten mindestens ein halbes Dutzend Stimmen, von „Dann gibt es auf jeden Fall ein Gemetzel“ bis hin zu „Woher will er wissen, dass die Gebote nicht zu hoch gehen“ war alles dabei.

     „Das Startgebot liegt bei achtzigtausend Pfund“, rief Luciana dazwischen und bekam so das Durcheinandergerede eingedämmt, „und über zu hohe Gebote scheint er sich keine Sorgen zu machen.“

     „Wir sollten trotzdem Posten vor und in dem Auktionshaus stellen, besser auf Nummer sicher gehen“, warf Black ein.

     „Soweit ich auf dem neusten Stand bin, weiß der Schwarze Führer noch immer nichts von der Zusammenarbeit des Ordens mit der UOWV?“ Diese Frage richtete Luciana direkt an Snape. Dieser nickte zur Bestätigung. „Demnach weiß er auch nicht, ob der Orden überhaupt herausbekommen hat, dass Horkruxe von ihm existieren, eine Suche stattfindet und hier irgendwer mit der Mission im Palast zu tun hatte?“

     „Der Dunkle Lord ist derweil sehr gefestigt in der Meinung, dass die Vorkommnisse im Palast die alleinige Handschrift von Steinhardt trägt“, sagte Snape, wobei seine Mimik noch weniger lesbar war als sonst – das war übrigens der Regelfall, wenn er von dem ‚Dunklen Lord‘ sprach.

     „Dann sollten wir ihn weiterhin in diesem Unwissen lassen und niemanden bei der Auktion postieren, meine ich“, bemerkte Dumbledore und schlürfte an seinem Tee.

     „Professor Dumbledore“, der Schulleiter sah zu Luciana herüber, „ich soll noch fragen, ob Sie mittlerweile herausbekommen haben, wie man einen Horkrux zerstört?“

     „Es gibt gegenwärtig die eine oder andere Vermutung, Luciana“, sagte Dumbledore wage. „Aber das lässt sich selbstverständlich erst mit Bestimmtheit sagen, wenn wir einen davon in den Händen halten.“

     „Mein Pate bittet in diesem Fall um eine Woche Zeit, um den Horkrux von unserer Magieforschungsabteilung untersuchen zu lassen.“

     Und wieder kommentierte die Meute drauf los, dieses Mal waren äußerst unhöfliche Bemerkungen darunter. Dumbledore hob seine Hand, darauf trat wieder Stille ein.

     „Nun, ich denke die genaue Herangehensweise werden wir besprechen, sobald wir auch sichergestellt haben, ob es sich bei der Blauen Mauritius wirklich um den Horkrux von Tom Riddle handelt.“

     „Ich denke damit wird Gabriel sich schon irgendwie zufrieden geben“, sagte Luciana und erwähnte dabei nicht, dass sie kaum davon ausging, Gabriel würde dem Orden eine Wahl lassen. Immerhin hatte er vor die Briefmarke zu ersteigern, demzufolge würde er sie auch als erstes in die Finger bekommen.

     „Schön“, schloss der Schulleiter und schaute offen in die Runde. „Da diese Angelegenheit geklärt scheint, haben wir noch weitere Dinge zu besprechen?“

     Shacklebolt nahm das Wort an sich. „Die französische Abteilung für Strafverfolgung hat heute Morgen Kontakt mit uns aufgenommen. Offenbar haben sie Lucius Malfoys Spur ganz verloren.“ Ein enttäuschtes Raunen ging um den Tisch, Luciana wurde hellhörig.

     „Die Kobolde haben auch nichts Neues gehört“, warf Bill ein und sie bereute gerade zutiefst, anstatt die Protokolle von Rennoc gelesen zu haben, vor ihrer neuen Nintendo Konsole versackt zu sein (zu ihrer Verteidigung: japanischer Import in 3D).

     „Also haben wir immer noch keine Ahnung was Malfoy da treibt? Kobolde anheuern, Verhandlungen mit den Riesen, wer weiß, am Ende hat er sich doch nur abgesetzt und der Knabe ist doch nicht so deppert wie es den Anschein gemacht hat?“ Dieser Kommentar kam von Hestia Jones, eine, ansonsten sehr stille, schwarzhaarige Hexe, die in diesem Moment einen eher gefrusteten Eindruck machte.

     „Luciana, hast du uns etwas zu sagen?“ Wie, was? Dumbledore hatte sie mal wieder ins Auge genommen, inklusive durchdringendem Blick über die Halbmondbrille. Verdammt, hatte sie in der letzten Minute mal wieder ihre Gesichtskirmes nicht unter Kontrolle gehabt?

     „Mmmh“, machte sie um Zeit zu gewinnen und sich eine glaubwürdige Quelle aus dem Hintern zu ziehen, die nichts mit Hobbybeschattung auf eigene Faust gemein hatte, „also ehm … vielleicht ist Malfoy ja in … ehm, Belgien?“

     „Das ist keine Rätselrunde“, knurrte Moody. „Raten wird uns nicht weiter bringen.“

     „Ja also vielleicht hat das wer gesagt, der das nicht raten musste, weil die Person das ziemlich genau weiß?“

     „Hat Lucius Kontakt mit seinem Vater aufgenommen?“, fragte Remus und lehnte sich ein Stück nach vorne, um Luciana besser anzuvisieren. Hätte sie doch mal die Klappe gehalten.

     „Okay, nein“, sagte sie und erhob ergebend beide Arme, „das hat nichts mit der UOWV zu tun – ich war vor kurzem unterwegs in der Winkelgasse und bin über Draco und seine Mutter gestolpert“, dieses Mal traf sie ein scharfer Blick von Snape, „ehm und dieser … ehm Bellatrix“, vervollständigte sie ihre Aufzählung und ihr Tränkeprofessor nickte ihr kaum merkbar zu – währenddessen sah Mrs Weasley mal wieder danach aus, kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen, daher beeilte sie sich, weiter zu sprechen. „Die drei haben mich gar nicht bemerkt, jedenfalls habe ich gehört, dass Mrs Malfoy meinte, ihr Mann sei in Belgien und diese Bellatrix sagte, auf Befehl vom Schwarzen Führer.“

     „Potz Blitz!“, kam es von dem alten Doge, der es irgendwie vollbrachte, durch die vielen lauten Stimmen am Tisch zu ihr durchzudringen (natürlich fühlte sich mal wieder jeder genötigt, diese neue Information gleich mit seinen Sitznachbarn zu besprechen). „Hast du noch etwas hören können?“ Und schon war es wieder mucksmäuschenstill.

     „Ehm“, Luciana kniff ihre Augen zusammen und versuchte sich krampfhaft an die paar Worte zu erinnern, die sie mit angehört hatte. Was sich als ziemlich schwierig gestaltete, immerhin hatte sie keine fünf Minuten später eine offene Kopfwunde davon getragen und dieser Zeitraum war noch immer sehr lückenhaft in ihrem Gedächtnis.

     „Das sind mehr Auskünfte, als Snape uns in den gesamten letzten Wochen eingebracht hat“, kommentierte Black mit schadenfrohem Grinsen und lehnte sich ein Stück nach vorne, um eine noch bessere Sicht auf Snape zu bekommen. „Scheint dein Dunkler Lord frisst dir nicht mehr aus der Hand, was Schniefelus?“

     „Taschenuhr!“, rief Luciana plötzlich und hatte damit anscheinend den nächsten Zickenkrieg im Keim erstickt. „Mrs Malfoy sagte, er sei auf der Suche nach einer Taschenuhr!“

     Die meisten Personen dieser Runde schienen mit dieser Information genauso wenig anfangen zu können wie sie selbst, nur Doge und Dumbledore hatten ihre Köpfe zusammen gesteckt (Snape, der auf dem Platz zwischen den beiden saß, rückte gerade ein Stück weit zurück, da die beiden alten Männer offenbar keine zwei Pfennige auf persönlichen Raum gaben). Dann, nach einigen Minuten und einer Geräuschkulisse, die einer Mittelschulklasse in der fünf Minuten Pause gleich kam, trennte sich der Schulleiter wieder von seinem Gesprächspartner und lächelte zufrieden in die Runde.

     „Elphias und ich sind übereingekommen, noch heute Abend einen alten Schulkameraden aufzusuchen, denn wir haben eine Idee, worum es sich bei der Taschenuhr handeln könnte. Ich wünsche euch allen einen erfreulichen Abend und bis zum nächsten Mal.“ Niemand am Tisch machte sich die Mühe bei dieser Ankündigung und abrupten Beenden der Sitzung (Nummer siebenundfünfzig, wie Luciana gerade mit einem Blick auf ihrem Protokoll feststellen musste, zumindest mit Anwesenheit eines UOWV Vermittlungspostens) weiter nachzuhaken – bei den vergangenen Ordenssitzungen war genügen Zeit und Energie für die vergeblichen Versuche draufgegangen, dem Gründer dieser Widerstandsorganisation die Details seiner Pläne hervor zu locken. Wenn Dumbledore etwas zu sagen hatte, dann würde er dies tun, wenn nicht, eben nicht. So einfach und frustrierend war das.

     „Oh, Luciana“, sagte Dumbledore und erhob sich von seinem Stuhl. „Kommst du bitte zu mir?“ Sie schluckte, bemerkte mit einem Seitenblick nach links und rechts, dass ihre Sitznachbarn schon alle aufgesprungen waren, steckte sich ihre Unterlagen in die Tasche und machte sich, mit mulmigem Gefühl, auf den Weg zum Schulleiter. Snape, der nur einen Schritt von Dumbledore entfernt stand, beäugte sie mit einem leicht schadenfreudigen Halbgrinsen, denn auch er schien wie sie, genau zu ahnen was der alte Zauberer mit ihr zu besprechen hatte.

     „Ja, Professor Dumbledore?“, fragte Luciana und kaute sich unbewusst auf der Innenseite ihrer Unterlippe herum.

     „Richte deinem Paten bitte herzlichen Dank für seine Mühen aus“, sie atmete aus und nickte schnell zur Bestätigung. „Und sollte sich noch einmal die Gelegenheit ergeben, das ein oder andere Gespräch von Todessern oder ähnlich gefährlichen Zeitgenossen zu belauschen“, und schon stockte ihr der Atem, zu früh gefreut, „dann bitte ich dich inständig die Lauscher auf Durchzug zu stellen und dich in Sicherheit zu bringen und vor allem nicht auf den Gedanken zu kommen, diesen Leuten zu folgen.“ Ein kurzer Seitenblick auf Snape offenbarte ihr einen sehr selbstgefälligen Gesichtsausdruck. „Es ist ein sehr großes Glück, dass dir nichts geschehen ist“, Snape machte den Eindruck, bei der Bemerkung beinahe platzen zu müssen, so sehr schien es ihn anzustrengen keinen Kommentar einzuwerfen (ein kleiner Lichtblick: Der Professor stand schräg hinter dem Schulleiter, dementsprechend bekam dieser, erfreulicherweise, nichts von Snapes Mimikschauspiel mit), „denn diese Bellatrix ist wirklich und wahrhaftig zu allem fähig.“

     „Ich versuche mich in Zukunft fernzuhalten, versprochen“, sagte Luciana und blieb den schier endlosen Moment, den Dumbledore sie durchdringend anschaute, standhaft. Kurz darauf veränderte sich seine Miene und übrig blieb der alte, etwas ulkige Kauz mit freundlichem Lächeln. Nebenbei bemerkt, diese Transformation war jedes Mal aufs Neue verdammt gruselig.

     „Genieße deine letzten Ferienwochen, die lästigen Pflichten holen dich früh genug ein.“

     

Die Auktion

In der folgenden Woche hatte Luciana kaum die Gelegenheit Dumbledores Ratschlag nachzukommen und ihre restlichen Ferien zu genießen. Wenn sie nicht damit beschäftigt war den hunderte von Seiten umfassenden Katalog, aka Sir Rennocs unfassbar detailreiche Ordenssitzungsprotokolle, zu studieren (es las sich wie ein verdammtes Theaterstück, inklusive Regieanweisungen – wenn sie gewollt hätte, wäre es ihr möglich, eine Statistik über die Kaffee– und Teetrinkgewohnheiten der gesamten Ordensbelegschaft anzufertigen… Snape trank im Durchschnitt vier Komma zwei sechs Tassen Kaffee pro Sitzung. Ihr stark vernachlässigter Taschenrechner hatte sie angefleht, endlich wieder eine Existenzberechtigung haben zu dürfen…), hielt ihr Pate sie mit Botengängen zwischen den einzelnen Abteilungen des Bunkers auf Trab oder trug ihr andere Aufgaben auf, die allesamt Kilometer um Kilometer Laufarbeit erforderten. Sie beschlich immer mehr und mehr das Gefühl, Gabriel würde irgendetwas im Schilde führen. Er hatte sie die letzten Jahre penibel fern von allen Dingen gehalten, die seine Organisation betrafen, viel Wert auf ihre Karrierelaufbahn in der nicht magischen Welt gelegt und all diese Grundsätze schien er mit einem Mal über Bord geworfen zu haben. Vor drei Jahren noch hatte sie ihn ganze zwei Monate bearbeiten müssen, um seine Zustimmung für einen lapidaren Aushilfsjob in der Tränkeabteilung zu bekommen und plötzlich war er dazu übergangen, sie als seine persönliche Assistentin zu missbrauchen.

     Diese Annahme verstärkte sich noch mehr, als er sie am Mittwochabend in sein Büro rufen ließ. Mittlerweile war ihre Anwesenheit in dieser Räumlichkeit keine Seltenheit mehr, dementsprechend gelassen nahm Luciana vor seinem Schreibtisch Platz.

     „Hast du deinen Hosenanzug sauber im Schrank hängen?“, fragte Gabriel ohne Umschweife und schaute dabei nicht einmal von seinen Unterlagen auf.

     „Armani, Boss, Gucci?“

     „Boss.“

     „Ja, der müsste frisch aus der Reinigung sein.“ Nachdem er sie in dieser Montur am Samstagmorgen auf ein Treffen von gefühlt fünfzig Wirtschaftsgurus geschleppt und sie mit ihrer alleinigen Präsens sowohl den Altersdurchschnitt, als auch die Frauenquote gesprengt hatte. „Aber falls du mich nochmal zu so einer Veranstaltung im Börsenviertel schleifst-„

     „Es geht um die Auktion.“ Oh.

     „Ich dachte du würdest jemanden vom Vorstand mitnehmen wollen.“

     „Das ist korrekt. Ich habe Cicil mit mir angemeldet, aber in der Vollmondnacht kam es zu einem Zwischenfall“, sagte ihr Pate betont neutral.

     „Hat sie überlebt?“ Eine berechtigte Frage, immerhin nutzte er das Wörtchen ‚Zwischenfall‘ meist als Synonym für Mord und Totschlag.

     „Wir schauen uns derzeit nach einem geeigneten Kandidaten um, der ihren Posten neu besetzten kann.“ Volltreffer.

     „Und ich soll für morgen ihren Job bei der Auktion übernehmen?“

     „So hatte ich mir das gedacht.“ In diesem Moment hob er seinen Kopf, blickte sie direkt an und schob ihr eine graue Mappe über den Tisch, die aus allen Nähten platzte. Luciana nahm diese entgegen und klappte sie auf.

     „Man kann Blätter übrigens auch zweiseitig bedrucken, dann hast du am Ende nur noch ein Viertel des Regenwalds auf dem Gewissen“, kommentierte sie die zweihundertdreiundachtzig durchnummerierten Steckbriefe (meist männlich, weiß und in den Vierzigern) und einen Gebäudeplan des Auktionshauses. „Aber du erwartest jetzt nicht, dass ich die bis morgen auswendig lerne?“

     „Das ist der Personenkreis, welcher in Frage kommt morgen mit zu steigern. Allesamt nicht magisch und ohne jegliche Verbindung zu Voldemort. Der Grundriss des Gebäudes dient nur der Orientierung, falls es doch zu einem Zwischenfall kommen sollte“, schon wieder dieses böse Wort, „aber davon ist nicht auszugehen.“ 

     „Also ist es meine Aufgabe, mir diese Gesichter einzuprägen, damit ich sie ausschließen kann und wir die Unbekannten Voldemorts Leuten zuordnen können?“

     „Du verinnerlichst immer mehr unsere Herangehensweise, das ist löblich“, kommentierte Gabriel und setzte dabei eine sehr zufriedene Miene auf.

     „Aber ich darf trotzdem noch meinen Abschluss in Hogwarts machen, oder bekomm ich in ein paar Tagen den Vollzeitknebelvertrag plus Mitgliedschaft auf Lebenszeit deiner kleinen Vorzeigediktatur vorgelegt?“ Eine berechtigte Frage, wenn man bedachte, dass ihr die letzten Wochen wie eine verkürzte und höchst intensive Ausbildungsperiode vorgekommen waren.

     „Sei nicht albern, du bist weder Vampir noch Werwolf.“

     „Ja, und ich wäre sehr dankbar, wenn das auch so bleibt.“

     Für eine ganze Weile schauten sich Luciana und Gabriel über den Tisch hinweg an, nicht einer von ihnen blinzelte dabei.

     „Haben wir ein Problem, Luciana?“, fragte ihr Pate dann und verschränkte seine Hände auf dem Schreibtisch.

     „Ich weiß nicht, haben wir?“ Nach einer weiteren Runde des Starrens schien Gabriel allerdings genug zu haben und warf ihr, als Geste des guten Willens, seine Schachtel Zigaretten vor die Nase. Die gute alte Friedenspfeife – sie zündete sich gleich einen Glimmstängel an und warf das Päckchen zurück, worauf er sich auch einen herausnahm.

     „Irgendetwas missfällt dir, du hast wie üblich maximal“, er schaute kurz auf seine Armbanduhr, „fünf Minuten. Der Rekord liegt bei“, Gabriel durchblätterte seinen Terminkalender und schlug eine Seite auf, „drei Minuten zweiundzwanzig. Los!“

     „Gut, fangen wir von vorne an“, sagte Luciana, nahm sich ein paar Sekunden Zeit um ihre Gedanken zu sammeln, einen kräftigen Zug aus ihrer Zigarette und bereitete ihre Zunge auf einen kleinen Wortmarathon vor. „Anfang Oktober, letztes Jahr, erster unüblicher Schachzug von dir, du setzt mich auf einen sogenannten ‚Vermittlungsposten‘“, sie fügte mit den Fingern angedeutete Anführungszeichen ein, „wobei es wesentlich unkomplizierter gewesen wäre, jemanden wie Johnny auszuwählen“, „Er ist schon erster Vorsitzender der Werwöl-„ „Oder jemand anderes, jetzt behaupte nicht, du hättest nicht genügend Auswahl gehabt.“

     „Du weißt so gut wie ich, dass sich die eine oder andere Seite zerfleischt, sobald ich nur die Vertretung von einem Vampir oder einem Werw-„

     „Nah!“, unterbrach sie ihn mit erhobenen Finger. „Das mag vielleicht bei Dumbledore und den anderen ziehen, wir wissen beide, dass dieses Argument nur vorgeschobener Bullshit ist. Und du kannst dich äußern wenn ich fertig bin, deine Unterbrechungen gehen von meiner Zeit ab.“

     Gabriel verzog sich grummelnd in seinem Lederbürostuhl und bedeutete ihr mit einer Handgeste fortzufahren.

     „Dann, letzten Monat nach der Ministeriumssache – anstatt mir den Hintern dafür aufzureißen, auf eigene Faust dem Abenteuer-Trupp-Potter nachgereist zu sein, hast du mich für meine ‚Eigeninitiative‘ gelobt“, „Du hast den Hintern für das Versäumnis, dein Serum nicht eingesteckt zu haben, aufgerissen bekommen“, „und so eigenwillig“, fuhr sie unbeirrt fort und überging seinen Kommentar, „dein Verständnis für pädagogische Wertevorstellung manchmal ausfallen mag, dafür hätte ich all die Jahre davor mächtig Ärger bekommen. Weiter, Sir Rennocs ‚Einladung‘ an mich, ihn zum Buckingham Palast zu begleiten – seltsam, dass der gute Mann mir vorgestern im Schmerzmitteldelirium noch gesteckt hat, das sei auf deinem Mist gewachsen“, ihr Pate begutachtete äußerst interessiert die Maserung seiner Tischplatte, „und es sei so oder so vorgesehen gewesen, mich auf die Mission mitzunehmen, wenn auch nicht mit seinem Job bei der Sache. Und jetzt laufe ich mir seit mehr als einer Woche die Haxen wund, mir werden von allen Seiten streng vertrauliche Informationen über die Vorgehensweise der UOWV um die Ohren gehauen, die ich für meinen ‚Vermittlungsposten‘ nicht einmal benötige, du schleppst mich zu deinen Geschäftstreffen, bei denen ich früher nicht mal erfahren durfte, in welcher Stadt sie stattfinden und oben auf geht es morgen zu einer Auktion, an der, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, auch Todesser teilnehmen werden. Ich meine“, hier legte Luciana eine kleine Pause ein, die sie direkt für zwei kräftige Züge ihrer Zigarette nutzte, „mir ist bewusst, dass ich in weniger als zwei Monaten achtzehn werde und ich dir lange genug auf der Tasche gelegen habe, aber erstens habe ich in diesem Land Anspruch auf Kindergeld bis zu meinem achtundzwanzigsten Lebensjahr“, Gabriels Gesicht nahm einen verwirrten Ausdruck an, „solange ich noch nicht Vollzeit arbeite und beide Staatsbürgerschaften behalte - die meiste Zeit, für die nächsten zwei Jahre, werde ich in Hogwarts verbringen, vorausgesetzt ich handle mir nicht doch noch einen Schulverweis ein, und –„

     „Moment, stopp.“ Ihr Pate hielt beide Hände vor sich ausgestreckt, mittlerweile machte er einen sehr verstörten Eindruck. „Was für ein Ziel soll ich deiner Meinung nach im Sinn haben?“

     „Ich schwanke grad zwischen der schon genannten Option, bald vor der Entscheidung zu stehen, hier irgendeinen Vertrag unterschreiben zu müssen, damit du eines Tages jemanden auf deinen Posten setzen kannst, der nach deinen Vorstellungen deine Organisation leitet und deiner beliebten ‚ein Mensch ein Problem, kein Mensch, kein Problem‘ Lösung.“

     „Du ziehst in Betracht, dass ich dich mit Absicht in Gefahr bringe, damit es am Ende wie ein Unfall aussieht?“ Zwar war die Verwirrtheit gewichen, nun schien Gabriel allerdings geschockt.

     „Die Signale sind schwer zu deuten, aber das sind im Endeffekt die beiden einzigen Beweggründe, die mir einfallen.“

     „JONATHAAAAN!!!“ Der Schrei hallte selbst dann noch in Lucianas Ohren nach, nachdem Johnny schon das Büro von Gabriel betreten hatte und ihr Pate sofort an seine Seite gesprungen war.

     „Da, sie tut es schon wieder“, konnte sie ihn flüstern hören, daraufhin war er eine ganze Weile damit beschäftigt, Johnny auf den neusten Stand zu bringen. Mit einem mächtigen Augenrollen schnappte sie sich die Schachtel auf dem Tisch und zündete an der alten Zigarette direkt eine Neue an. Diese Diskussion würde in jedem Fall eine temporäre Kettenrauchaktion erfordern, wenn ihr Nervenkostüm nicht in einem völlig desolaten Zustand den Raum verlassen wollte.

     „Ach Kinder“, sagte Johnny seufzend, pflanzte sich im Schneidersitz auf den Schreibtisch und deutete von Gabriel auf den Bürostuhl. „Gab, setz’n.“ Doch der schien nicht einmal daran zu denken und ging dazu über, mit seinen Fingern hinter dem Rücken herumzuspielen. „Dann bleib steh’n … Luciana, du weiß ja dein Patenonkel is nen emotionaler Krüppel, ja?“

     „Jonathan, ich habe dich nicht hergebeten, damit du mit deinem psychoanalytischen Dünnsch-„ , patzte Gabriel los und wurde gleich in seine Schranken verwiesen - „Schnauze – so, nochma – dein Pate hat nen Feingefühl von ner Autopresse und mächtig nen Riss inner Schüssel, wenn’s drum geht den Wichtigst’n in seinem Leben seine Lie-„

     „Zuneigung“, unterbrachen ihn Luciana und Gabriel, wie aus einem Mund. Johnny schmiss in einer hilflosen Geste beide Arme in die Luft und zeigte dann mit ausgestrecktem Finger verärgert auf Gabriel. „Da, DA hast du’s, ich hab dir immer gesteckt, sie würd sich das bei dir abgucken und jetzt haste nen ausgewachsenes Mädl da sitzen, die meint, ihr eigener Paps würd se in’n Betonschuh‘ gießen.“

     „Ich habe lediglich die Fakten aufgezählt, so wie man es mir beigebracht hat und daraus Schlüsse gezogen“, sagte Luciana zu ihrer Verteidigung. „Das war nicht wertend gemeint.“

     „Kay, dann gibt’s von mir ma ein paar Fakten“, sagte Johnny und schnappte ihr die Zigarette aus der Hand. „Die Knalltüte da hat dich ganz fest in seine mächtig eingerostete Pumpe geschloss’n, seitdem du das erste Ma‘ diese kleine Mädch‘n Kulla’augen Speziwaffe ausgekramt hast und er liegt mir seit über nem‘ Jahr mit seinem Gejammer in den Lauschern, wie er dich für’n Krieg fit kriegt, soweit schonma geschnallt?“ Luciana nickte, Gabriel betrachtete derweil höchst interessiert seine Zippo-Sammlung. „Prächtich, dann werf ma dein Hirngemüse an und komm mit nem dritten Schluss um die Ecke.“

     Seufzend rieb sie sich die Stirn, versackte ein wenig tiefer in ihrem Stuhl und betrachtete für einen Moment nachdenklich die Rückseite ihres Paten.

     „Gabriel hat nach dem Brief von Hogwarts und Voldemorts Rückkehr begriffen, dass er mich nicht ewig aus der Zaubererwelt heraushalten kann, jetzt gibt es einen Crash-Kurs, damit ich vorbereitet bin, wenn es ungemütlich wird“, murmelte Luciana genervt, schon alleine, weil sie darauf nicht von ganz alleine gekommen war.

     „Siehste Gab, bekommt die Kurze doch mehr mit allse denkst.“ Ihr Pate nickte nur abwesend, worauf Johnny kopfschüttelnd von dem Schreibtisch sprang und mit einem „Ihr macht mich fertig, echt!“ aus dem Arbeitszimmer verschwand.

     „Fünf Minuten neununddreißig“, (Verdammt) bemerkte Gabriel, kaum, dass Johnny verschwunden war und setzte sich mit vollkommen neutraler Miene wieder auf seinen Bürostuhl.

     „Die Auktion beginnt um neunzehn Uhr?“, fragte sie.

     „Sei um Punkt achtzehn Uhr in meinem Büro.“ Luciana nickte und verließ ebenfalls den Raum.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Eine halbe Stunde vor Beginn der Auktion die Pforten des Sotherby’s Auktionshaus zu betreten, war nicht ganz so perfekt kalkuliert, wie es bei den sonstigen Plänen und Terminen ihres Paten die Regel war. Schon in der Eingangshalle, welche nur mit Ausweisen und zugeordneter Nummer passierbar war (auf Cicils Personalien hatte die IT-Abteilung lediglich Lucianas Passfoto eingefügt), offenbarte sich ein Menschenauflauf mit Chaospotenzial -  anscheinend war die gesamte höhere Gesellschaftsschicht Britanniens angetreten und das, obwohl die Zeitungen und Nachrichtensender ganz unverhüllt mit allen möglichen und unmöglichen Aluhuttheorien um sich geschmissen hatten, welche Katastrophe über die englische Hauptstadt mit dieser Auktion an diesem Abend hereinbrechen würde.

     In der Menge war es ihr kaum möglich, ein Gesicht von dem nächsten zu unterscheiden, hinzu kam noch, dass Luciana mit ihrer nicht gerade hochgewachsenen Statur sowieso nur Rücken und Fronten der Menschen um sich herum ausmachen konnte und das, obwohl sie ihre Pumps mit neun Zentimeter Absatz angezogen hatte. Zumindest fügte sie sich mit dem Kleidungswunsch von Gabriel perfekt in das Gesamtbild, dazu noch einen streng gestriegelten Zopf und eine Fensterglasbrille plus dezentes Makeup und sie ging beinahe mit den sechsundzwanzig Jahren durch, die auf ihrem falschen Pass vermerkt waren.

     Erst nachdem sie sich bis zu dem eigentlichen Auktionsaal durchgeschoben hatten, wurde die Sicht etwas weniger beengt und ihr bot sich der freie Blick auf einen riesenhaften Raum, der für die sonstigen Verhältnisse, die in diesem Land herrschten, sehr schlicht, oder besser gesagt, funktionell gehalten war. In der Mitte waren Reihen um Reihen von einfachen  Holzstühlen aufgestellt, die beinahe alle schon besetzt waren. An den Seiten des Saals befanden sich meterlange weiße Tresen, auf denen in regelmäßigen Abständen Telefonapparate aufgereiht waren und an einigen standen schon jetzt ein paar Herrschaften, die angeregte Gespräche führten.

     „Gibt es hier anonyme Bieter per Telefonschaltung?“, erkundigte sich Luciana.

     „Selbstverständlich, das ist in diesem Haus üblich. Hast du die Akte nicht gründlich studiert?“ Ihr Pate warf ihr einen scharfen Seitenblick zu.

     „Ich habe mir sicher nicht die Nacht um die Ohren geschlagen, um jeden Lebenslauf zu lesen – oh, yap, der Herr kommt mir bekannt vor“, damit nickte sie in Richtung eines wohl beleibten Mannes mit Schnäuzer und lichtem Haar, der in einem Affentempo in eine Hörmuschel quasselte und der mit all den Krümeln in seiner Gesichtsbehaarung lieber vor Antritt seiner Arbeitsstelle ein Bad mit Spiegel aufgesucht hätte.

     „Vor der Mauritius werden noch drei Gemälde versteigert“, merkte Gabriel neben ihr an und führte sie in eine der letzten drei Reihen der Sitzplätze. „Allerdings werden nach Auktionsbeginn keine Personen mehr in das Gebäude gelassen, daher sollten sich unsere Zielpersonen entweder schon mit uns in diesem Raum befinden, oder in den nächsten Minuten eintreffen.“

     Sie setzten sich in die Mitte, Luciana holte sich ein Klemmbrett mit Füller aus der Tasche, legte beides auf ihren Schoß (alleine schon um ganz besonders geschäftig auszusehen) und somit begann das ziemlich eintönige Beobachten. Die Menschen in dem Saal konnte sie schon nach kürzester Zeit ausschließen, da sie diese entweder auf einem der Steckbriefe gesehen hatte oder die Unbekannten überdeutlich zu dem Personal des Hauses gehörten. Tatsächlich zog sie erst in dem Augenblick die Luft scharf zwischen den Zähnen ein, als ein Mann mit weißen Handschuhen und perfekt sitzendem Dreiteiler drauf und dran war, das erste Gemälde zur Versteigerung auf ein Podest zu heben.

     „Vielleicht habe ich mir nicht die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, aber selbst die knappe Stunde hätte ich mir sparen können“, kommentierte Luciana und nickte dezent in Richtung der zweiflügeligen Eingangstür, durch die gerade zwei Herren in schwarzen Anzügen getreten waren.  

     „Seit über zwanzig Jahren im Geschäft und noch immer nichts über Inkognito dazu gelernt“, flüsterte ihr Gabriel zu und setzte ein belustigtes Grinsen auf. Die zwei neu eingetretenen Gestalten mochten zwar rein kleidungstechnisch in die nicht magische Welt passen (wenn man davon absah, dass die Schnitte der Anzüge verdächtig nach den Achtzigern aussahen), allerdings hätten sie sich die Verkleidung alleine durch ihre auffällige Kopfbehaarung schenken können. Beide Männer waren im Alter zwischen Mitte Dreißig und Anfang Vierzig anzusiedeln, hatten pechschwarzes Haar (Nummer Eins bis unter die Schulterblätter, Nummer Zwei etwas gesellschaftsfähiger, bis zu den Schultern) und Bärte – wobei Nummer Zwei auch hier eine dezentere Gesichtsbehaarung hatte, als Nummer Eins. Bei den beinahe allesamt aalglattrasiertem Briten im Saal wirkten die beiden fast, als seien sie geradewegs aus einem dreimonatigen Überlebenstraining vom Mount Everest gekrackselt. Die zwei verschafften sich mit düsterem Blick kurz einen Überblick (die absolute Abscheu, sich in einer Horde nicht Magier zu befinden, war ihnen in die Gesichter gemeißelt, Luciana konnte nicht einmal sagen, ob der eine oder der andere angewiderter um sich schaute) und liefen dann weiter zu den vorderen Reihen, um dort ihre Plätze aufzusuchen.

     „Kennst du die beiden?“, fragte sie leise.

     „Rabastan Lestrange links“, flüsterte ihr Gabriel zu.

     „Bellatrix Bruder?“

     „Nein, ihr Schwager“, sagte Gabriel und lehnte sich noch ein Stück zu ihr rüber, da sie mittlerweile beide jeweils einen Sitznachbarn hatten und diese Art von Gespräch nun wirklich keine unerwünschten Zuhörer gebrauchen konnte. Luciana hatte derweil große Schwierigkeiten, sich eine Bellatrix in einem weißen Hochzeitskleid mit Verschleierung vorzustellen – obwohl Vermählungen in der Zaubererwelt wahrscheinlich wenig mit denen ihr Bekannten gemein hatten … „Er ist einundachtzig wegen Freiheitsberaubung, Mord und Folter zu lebenslanger Haft verurteilt worden und seit Januar auf der Flucht. Bellatrix reizender Ehegatte heißt Rodolphus, der Herr rechts. Gleiches Urteil,  selbe Tat.“

     „Sieht das mit der Flucht in der magischen Welt irgendwie anders aus oder warum spazieren die alle in der Öffentlichkeit rum?“

     „Wieso Konsequenzen fürchten? Askaban ist schwer beschädigt und das Ministerium bekommt es nicht mal bewerkstelligt, dessen Wachen unter Kontrolle zu bringen und während die Todesser darauf pfeifen, was die nicht magische Welt mitbekommt oder nicht, stellt der Minister die Geheimhaltung über die Priorität von Festnahmen.“

     Luciana wollte gerade nachhaken, ob es üblich für Todesser war, gleich den ganzen Familienclan auf Lebzeiten zu verpflichten, da trat auch schon der Auktionator an sein Pult. Was folgte, löste bei ihr eine Mischung voller Entsetzen aus, wie viel Massen an Geld einige Menschen bereit waren, für ein bisschen alte Leinwand mit Acrylfarbe aus dem Fenster zu schmeißen und pure, gähnende Langeweile. Allein die erste Versteigerung nahm, mit dem detailreichen Vorgeplänkel über Herkunft und Geschichte des ‚herausragenden, einmaligen Stücks‘, eine halbe Stunde in Anspruch und es würden noch zwei weitere Auktionen dieses Kalibers folgen …

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

     „Cicil!“ Lucianas Kopf schnackte mit einem hörbarem Knacksen nach oben – für einen kurzen Augenblick hatte sie nicht den Funken einer Ahnung, wieso sie inmitten einer Masse von Menschen saß, dann kam das Gesicht ihres Paten in ihr Sichtfeld, der sie mit einem gemischten Blick aus Strenge und Belustigung von ihrer linken Seite aus musterte.

     „Fuck, Sekundenschlaf“, murmelte sie und schob die verrutschte Alibibrille auf der Nase gerade.

     „Du hast eine gesamte Auktion verschlafen“, bemerkte Gabriel und richtete seinen Blick wieder nach vorne. „Allerdings habe ich irgendwann einmal irgendwo gelesen, dass man Kindern ihren Erholungsschlaf lassen soll, ansonsten beeinträchtigt sie dies in der kognitiven Entwicklung.“ Den Stoß mit ihrem Ellbogen hatte er sich redlich verdient.

     „Bei unserem nächsten Versteigerungsobjekt“, sprach der Auktionator in das Mikrofon, das an seinem Pult angebracht war, „muss eine Abbildung als Platzhalter dienen. Ich denke die Sirs und Madams, die heute anwesend sind, werden bereits über diesen ungewöhnlichen Umstand informiert sein. Die Blaue Mauritius –„ Und damit begann abermals das Gerede über Geschichte und Herstellungsweise des winzigen Stück Papiers, das mindestens eine Viertelstunde dauerte. Obwohl Luciana von ihrem Platz aus nur die Hinterköpfe der Todesser in der dritten Reihe erkennen konnte, war deutlich zu sehen, dass Leben in die Herrschaften gekommen war. Der Linke, Rabastan, wenn sie sich richtig entsann, fummelte hektisch an seinem rechten Ohr herum und dass Rodolphus unaufhörlich mit einem seiner Füße wippen musste, war überdeutlich.

     „Das Startgebot beginnt bei achtzigtausend Pfund.“ In den folgenden Minuten lief sie nicht einmal Gefahr, auch nur an Schlaf zu denken. Im ganzen Saal war die Aufregung der Menschen um sie herum zu spüren, man konnte schon fast von einer Aufladung in der Luft sprechen und es wurde mit Geboten nur so um sich geworfen. Gabriel saß in der gesamten Zeit vollkommen ruhig auf seinem Platz und beobachtete, mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, wie sich Rodolphus mit gleich zwei Mitbietern in Reihe Vier und einem aus der Telefonzuschaltung in schwindelerregende Höhen steigerte. Es brauchte noch eine weitere Ewigkeit, bis nur noch der Todesser und ein grauhaariger Herr weiter vorne den Kampf unter sich austrugen. Währenddessen schien Rabastan noch immer vollauf beschäftigt mit seinem Ohr zu sein – manchmal machte es sogar den Anschein, als würde er vor sich hin brabbeln.

     „1,580.000 zum Ersten“, der Grauhaarige steckte seinen Kopf mit seinem Sitznachbarn zusammen, „1,580.000 zum Zweiten“, der Auktionator hob seinen Hammer, Lucianas Herz beschleunigte und für eine Millisekunde dachte sie ernsthaft darüber nach, ihrem Paten das Schildchen mit der Zahl fünfhundertzweiundfünfzig aus der Hand zu reißen und selbst mitzubieten, „1,580.000 zum Dri – 1,600.000.“ Gabriel hatte im allerletzten Moment sein Gebot abgegeben, verdammt, das schien ihm hier einen Mordsspaß zu bereiten. Die beiden schwarzhaarigen Köpfe aus der zweiten Reihe wirbelten herum, auf der Suche nach dem Übeltäter – und Gabriel machte es ihnen nicht besonders schwer, immerhin winkte er ihnen mit zwei Fingern und einem breiten Grinsen im Gesicht zu. Offenbar hatte sie sich nicht geirrt, denn da sich die beiden gerade zu ihnen gewandt hatten, sah sie sehr genau, dass Rabastan sehr offensichtlich die eine Hand am Ohr und die andere in die Nähe sein Mundes hielt, dabei redete er unaufhörlich in diese hinein.

     „1,620.000 Pfund, 1,640.000“, und so ging es weiter und weiter und weiter –

     „Hat der einen Funkknopf im Ohr?“, fragte Luciana, als sie bei 3,740.000 angekommen waren und ihr Pate dazu übergegangen war, sein Schildchen einfach nicht mehr herunter zu nehmen.

     „So etwas ähnliches“, sagte er, aber nahm dabei nicht den Blick von dem Geschehen vor seiner Nase. „In der Zaubererwelt nennt man sie Communic-Steine, sehen in etwa aus wie eine halbierte Murmel, ein Stein für das Ohr zum Hören, in den anderen kann man sprechen. Das ist eine nicht sehr verbreitete Art der Kommunikation, da der Grundbaustein sehr selten ist und man den Zauber darin bloß für eine sehr kurze Zeit einschließen kann. Im Grunde kann der Herr die Dinger nach dieser Auktion entsorgen.“

     „3,950.000, 4,000.000“

     „Meinst du er redet da grad mit Voldemort?“

     „Oh, davon ist ganz sicher auszugehen“, sagte Gabriel und sie schaute sich mit dieser Information das Schauspiel noch etwas genauer an. Rabastan war mittlerweile puterrot im Gesicht geworden und auf seiner Stirn glänzten die Schweißperlen – zumindest konnte man dies sehr gut erkennen, wenn er sich immer mal wieder zu Rodolphus wandte und diesen schon beinahe verzweifelt anstarrte.

     „4,500.000“

     Die linke Hand des Todessers, welche er dafür gebrauchte sein Bietschild in die Höhe zu halten, hatte zu zittern begonnen seit sie die 4,000.000 Pfund Marke geknackt hatten und auch ihm stand mittlerweile der Schweiß auf der Stirn.

     „Tss, wer wird denn da wütend sein“, bemerkte Gabriel, wobei seine Laune von Sekunde zu Sekunde glänzender ausfiel.

     „Wütend?“, sagte Luciana und lehnte sich noch ein Stück weit nach vorne. „Das sieht fast aus, als hätten die beiden Schmerzen …“

     „Ich habe ja auch nie behauptet, dass die zwei verstimmt wären …“ Leider ergab sich in diesem Moment nicht die Gelegenheit, diese Anmerkung weiter zu hinterfragen, denn bei 5,100.000 zog Rodolphus Lestrange seinen bebenden Arm zurück in den Schoß.

     „5,100.000 zum Ersten, 5,100.000 zum Zweiten… und zum Dritten“, BAMMS, „verkauft an die Nummer fünfhundertzweiundfünfzig.“

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

„ … es war uns eine Freude Sie als Kunden gewinnen zu können und wir wären hoch erfreut, Sie in naher Zukunft wieder in unserem Haus begrüßen zu dürfen.“ Gabriel nahm den Umschlag über den Tresen entgegen, der ihm von einer Mitarbeiterin des Sotherby’s zugeschoben wurde, nickte der Dame höflich zu und reichte den Brief an Luciana weiter, die ihn sofort in ihrer Ledermappe verstaute.

     Nach der gewonnenen Auktion waren sie von gleich vier Sicherheitsleuten umringt in einen Nebenraum des Saals geführt worden, in dem ihr Pate den Scheck über die irrwitzige Summe von 5,100.000 Pfund ausgefüllt hatte (was einige Zeit in Anspruch genommen hatte, allein die vielen Nullen und die Summe in Worten ausgeschrieben hatten fast die vorgedruckten Linien des Bankscheins gesprengt). Sobald diese Formalitäten abgeschlossen waren, verließen sie über eine weitere Tür im Raum den Kassierbereich des Auktionshauses und traten auf den Flur, welchen sie schon auf dem Hinweg genommen hatten. Weder Luciana noch Gabriel wirkten überrascht, als sie die beiden schwarzhaarigen Gestalten am Ende des Gangs stehen sahen, die darauf zu warten schienen, dass sie sie zum Treppenabgang passieren würden. In unmittelbarer Sichtweite befanden sich nur noch eine Handvoll weitere Auktionsgäste und zwei Mitarbeiter des Sotheby’s, aber offenbar genügend Augenzeugen, um einen sofortigen ‚Zwischenfall‘ abzuwenden.

     „Steinhardt“, knurrte Rabastan ihrem Paten entgegen, als sie auf der Höhe der zwei angekommen waren. Luciana fiel sofort auf, dass sich Rodolphus seinen linken Arm hielt und ihm noch immer das Wasser über die Stirn lief. Sein Begleiter machte allerdings auch keinen entspannten Eindruck.

     „Ah, die Lestranges“, sagte Gabriel aggressiv fröhlich (ja, die Kombination beherrschte er vorzüglich) und blieb keine zwei Schritte vor ihnen stehen. „Rudi, wo hast du deine Angetraute gelassen?“ Rodolphus bleckte seine Zähne, wohl um zu antworten, aber ihr Pate kam ihm zuvor. „Oder hat sie den wertlosen Wisch von einer Trauungsurkunde endlich dort verstaut, wo er hingehört?“ Gabriel trat noch Stück näher an den Todesser heran. „Auf der Klorolle vom Scheißhaus eures Herrchens?“ Bei dieser glasklaren Provokation hätte Luciana beinahe geräuschvoll nach Luft geschnappt und auch die beiden Herrschaften vor ihnen schienen kurz davor die Beherrschung zu verlieren.

     „Verkriech dich nur weiter unter der Erde bei den Krauts, Steinhardt“, zischte Rodolphus mit hasserfülltem Blick. „Der Dunkle Lord wird sich dieses Mal auf keinen feigen Waffenstillstand von dir einlassen und du wirst sehen“, der Mann trat noch einen halben Schritt näher an Gabriel heran und der nun nicht mehr vorhandene Abstand zwischen ihnen sah aus ihrer Perspektive schon beinahe anstößig aus, „wir haben dich und deinen Abschaum“, damit schaute er verächtlich an Luciana auf und ab und rümpfte die Nase, ganz als ob er den Werwolf oder Vampir Halbmenschstatus an ihr riechen könne, „schneller aus deiner Höhle geräuchert, als du uns kommen sehen kannst. Das Dunkle Mal wird an jedem Ort aufsteigen, du wirst schon sehen.“ Rodolphus packte Rabastan bei der Schulter und schob ihn die Treppe zur Lobby hinunter, nicht, ohne sich vorher noch einmal zu ihnen umzublicken und ein ganz besonders hässliches Grinsen zu zeigen, das eine Reihe angefaulter Zähne offenbarte. Gabriel bewegte sich mit versteinerter Miene eine ganze Weile nicht vom Fleck.

     „Alles okay?“, erkundigte sich Luciana und fasste ihn beim Ellenbogen. Ihre Pate setzte sich darauf in Bewegung und sprach erst wieder, als sie die New Bond Street fast verlassen hatten.

     „Riddle weiß in welchem Land wir sitzen.“ Über diese Erkenntnis konnte sie nur die Stirn runzeln.

     „Heißt das, er wusste das bisher nicht?“ Gabriel nickte und bog mit strammen Schritttempo in die Unterführung einer U-Bahn Haltestelle, Luciana dicht auf seinen Fersen.

     „Er hatte uns all die Jahre irgendwo zischen Tschechien und Polen angesetzt und wir haben alles dafür getan, damit er in dem Irrglauben bleibt.“ Ja, die Geheimhaltung der UOWV war wirklich ein Thema für sich … Nur der Vorstand kannte die Postanschrift des Bunkers, alle weiteren Mitglieder mussten sich damit begnügen, zu festen Terminen pünktlich bestimmte Orte aufzusuchen, an denen Kamine direkt in das Sangues führten und das auch nur mit einem maximalem Zeitfenster von dreißig Minuten.

     „Glaubst du es gibt eine undichte Stelle im Vorstand?“

     „Unwahrscheinlich.“ Sie passierten die Drehkreuze der Station und liefen weiter zu einer der drei Rolltreppen direkt vor ihnen.

     „Was ist mit letztem Jahr, da war doch diese … wie hieß sie gleich, Sophie Harley oder Harvey –„

     „Harris“, knurrte Gabriel. „Ziemlicher Frischling und hat wohl den Adrenalinkick gesucht, indem sie bei Riddle angekrochen ist. Aber mehr als ein paar Namen hat sie nicht ausplaudern können, hinzukommt, dass sie und die anderen drei, die unter einem Imperius gestanden hatten, nur den einfachsten Mitgliedsstatus hatten.“

     An dem Bahnsteig angekommen, gingen sie diesen fast bis ganz hinten durch, um weiterhin so ungestört wie möglich reden zu können, obwohl sich um diese Uhrzeit (es war zweiundzwanzig Uhr) nicht mehr allzu viele Menschen in der Underground befanden.

     „Mit den gegebenen Fakten würde ich, rein aus Wahrscheinlichkeit, darauf tippen, dass es kein Leck in unseren eigenen Reihen gibt.“ Damit schaute er sie mit bedeutungsschwerem Blick an und betrat einen der letzten Waggons der U-Bahn, die gerade vor ihnen zum Stillstand gekommen war.

     „Warte, willst du damit sagen, die Info haben die vom Orden?“ Luciana griff nach einer der roten Haltestangen (ihr Pate zog sich gerade Lederhandschuhe über, bevor er es ihr gleich tat – verdammter Mysophobiker) und verzichtete auf einen der leeren Sitzplätze – sie hatte die letzten Stunden lang genug auf einem äußerst unbequemen Stuhl gesessen.

     „Vom Orden oder präziser ausgedrückt: Von jemandem, der vorgibt für diesen zu arbeiten.“ Bei dieser Anschuldigung entwich ihr ein genervtes Aufstöhnen, selbst das Augenrollen konnte sie nicht aufhalten.

     „Was, hat Black dir seine Vermutung gesteckt, Snape habe nie wirklich die Seiten gewechselt?“

     „Pff“, machte Gabriel belustigt, „ich gebe nichts auf eine unlogische und im hohen Grade emotionale Meinung, die einer jahrzehntelangen, präpubertären Feindschaft entspringt – Snape könnte den Welthunger ausmerzen, das Artensterben aufhalten und drei Jahre in Folge den Friedensnobelpreis überreicht bekommen und trotzdem würde Black ihn bei den Betbrüdern als Antichrist anschwärzen.“ Oha, das hieß wohl nichts anderes, als dass auch ihr Pate mehr über die Gründe dieser Antipathie der beiden Männer wusste – was sie sich auch hätte denken können, immerhin hatte sich die Schulzeit von Gabriel, Snape und Black ein paar Jahre überschnitten. „Nein, ein Doppelspion ist per Definition schon eine sehr heikle Angelegenheit. Es ist seine Hauptaufgabe, sowohl der einen, als auch der anderen Seite, glaubwürdig seine Loyalität vorzugaukeln und gleichzeitig das größte Talent dieser Person, die Menschen in diesen Kreisen zu täuschen, insofern sie ihren Job gut macht.“

     „In den letzten Wochen scheint Voldemort misstrauisch geworden zu sein, Snape hat kaum Informationen weiterleiten können“, sagte Luciana mit einem plötzlich starken Bedürfnis Snape in Schutz zu nehmen.

     „Oder behauptet er dies nur, damit er die Pläne seines Lords nicht in Gefahr bringt?“ Daraufhin betrachtete sie nachdenklich ihre Füße – die übrigens mittlerweile höllisch wehtaten.

     „Du siehst, das ist ein Teufelskreis und man kann es nie mit Bestimmtheit sagen, vor allem nicht bei einem Kaliber wie ihm. Soweit mir zu Ohren gekommen ist, scheint Snape sich selbst über Jahre hinweg gegen Veritaserum immun gemacht zu haben, er ist ein exzellenter Okklumentiker und ist sogar unter meisterhaft ausgeführter Folter noch in der Lage, die Wahrheit für sich zu behalten“, „Woher-„ „Es gibt das ein oder andere Gerücht.“

     „Dumbledore traut ihm.“

     „Haaach, der gute alte Albus“, lachte Gabriel auf, einen Wimpernschlaf später war seine Miene wieder neutral. „Wir haben nur noch drei Stationen vor uns – für dieses Thema müssten wir Minimum zwei Runden mit der Circle Line drehen. Sieh mal Luciana“, er atmete einmal tief durch und schien einen Moment nach den richtigen Worten zu suchen, „deine Generation hatte noch nicht sonderlich viele Berührungspunkte mit Voldemort und seinen Gefolgsleuten und ich spreche hier extra von dem Begriff ‚Gefolgsleute‘, denn zwischen diesem und dem des Todessers gibt es noch einmal einen gesonderten Unterschied.“

     „Der da wäre?“

     „Dazu komme ich gleich, wir sind ja noch immer bei Snape“, ja, und dieses Thema ging ihr so langsam an die Nieren, „und die beiden Betreffe lassen sich eh miteinander verbinden – Dein Tränkelehrer hat es in einem sehr jungen Alter bewerkstelligt, ein hohes Ansehen bei Voldemort zu erlangen, allerdings werde ich auch hier nicht meine persönliche Haltung gegenüber Snapes Charakterzüge und Eigenschaften einfließen lassen, wir bleiben bei Fakten – du müsstest Voldemort begegnet sein, um im vollen Maße ein Verständnis dafür aufzubringen, was es wirklich bedeutet, wenn dieser von einem anderen Lebewesen begeistert ist und welche Taten man in seinem Namen auszuführen hat, damit man noch weiter die Karriereleiter hochkommen kann. Womit wir bei dem Begriffsunterschied Todesser und Gefolgsleute sind. Ein Anhänger Voldemorts kann alles Mögliche in seinem Namen tun und hinter seinen Parolen stehen, von diesen gibt es viele, in ganz Europa sicher Tausende, genau genommen weltweit – die Gefolgsleute stehen ihm schon ein wenig näher, bekommen teilweise direkt oder indirekt Befehle von ihm und setzen alles daran, in seiner Gunst zu stehen. Ein Todesser aber“, Gabriel sah sie durchdringend an, während er eine kleine Pause einlegte, „ist nur derjenige, der das Dunkle Mal erhält. Es sieht einem gewöhnlichem Tattoo wie zum Verwechseln ähnlich, wird direkt auf den linken Unterarm eingebrannt, mit der Sorte Schwarzmagie, die nicht einmal ich mit der Kneifzange anpacken würde“, Luciana schluckte, „und schon ist man Mitglied eines äußerst exklusiven Gentlemen-Clubs.“

     Also hatte sie mit der Jugendsünde, aka Gang-Tattoo, gar nicht so falsch gelegen. Das flaue Gefühl in ihrem Magen war schwer zu beschreiben und dabei war Gabriel offenbar nicht einmal am Ende angelangt.

     „Und damit komme ich zurück zum Thema der undichten Stelle … Egal wovon Dumbledore auch überzeugt sein mag, selbst er kann in all seiner ach so herrlichen Weisheit niemals mit Bestimmtheit sagen, ob er nicht von seinem Spion hintergangen wird. Dafür habe ich zu genaue Informationen darüber, welch einen Schlag Mensch Lord Voldemort in seinen engsten Kreis zu holen pflegt und diesem traue ich nicht so weit wie ich spucken kann.“

     Luciana sprach, bis sie zurück nach Deutschland gereist waren, kein einziges Wort mehr.

 

Auf den letzten Drücker

Auf den letzten Drücker

 

„12:59:43“ Luciana stand mit verschränkten Armen vor dem Labortisch von Doktor Xander, der mit Doppelschichtschutzhandschuhen in zwei Löchern eines Panzerglaskastens mit Pipetten herumhantierte und damit unaufhörlich neonfarbene Flüssigkeiten auf die Blaue Mauritius träufelte. Natürlich hatte Gabriel ihr die verdammte Aufgabe zukommen lassen, den Herrschaften aus der Magieforschungsabteilung die Briefmarke abzuschwatzen, obwohl jeder einzelne Mitarbeiter in diesem Labor sehr genau darüber in Kenntnis gesetzt worden war, dass die Experimentierperiode von genau sieben Tagen vor beinahe exakt einer Stunde beendet gewesen war. Was selbstverständlich keinen der hier Anwesenden davon abgehalten hatte, mal eben noch eine weitere Testphase einzuleiten.

     „Dreizehn Uhr, Doktor Xander, ich muss Sie jetzt wirklich bitten mir die –„

     BUUUUUMMMMMM

     Luciana machte einen mächtigen Hechtsprung rückwärts und rasselte zielgenau mit dem Kreuz gegen die Tischkante des nächsten Labortischs – Xander hatte sich, trotz der Explosion in dem Glaskasten, keinen Zentimeter vom Fleck bewegt und blickte nun entrüstet auf das kleine Stück Papier zwischen seinen Händen (insofern diese noch vorhanden waren, die dicken Handschuhe versperrten ihr jegliche Sicht, um den Zustand seiner Gliedmaßen bewerten zu können), welches nicht einmal einen winzigen Knick abbekommen hatte.

     „Versuch zweihundertfünfunddreißig führte zu keiner strukturellen Veränderung, Masse gleichbleibend, Radiokarbonmessung zeigt keine messbare Abweichung“, ratterte ein kleiner, dunkelblonder Mann rechts neben ihr herunter und notierte in rasanter Geschwindigkeit eine Menge Zahlen auf seinem Klemmbrett, dabei schaute er unaufhörlich von einem der drei Bildschirme vor sich zum anderen.

     „Dreizehn Uhr zwei, Doktor Xander, ich habe Ihnen nun schon mehrfach gesagt, dass die Übergabe um Punkt ein Uhr angesetzt ist, jetzt rücken Sie endlich die verdammte Briefmarke raus!“

     Mit ausgestreckter Hand und sehr genervtem Blick, stellte sie sich direkt vor den Glasbehälter, gegenüber des Doktors, der ganz offensichtlich weiterhin seinen Kurs durchzog, ihre Anwesenheit schlicht und ergreifend zu ignorieren.

     „Soll ich den Kasten selbst öffnen oder gleich meinen Paten holen?“

     Das schien Wirkung zu zeigen, denn Xander zog seufzend beide Hände aus den Handschuhen (die mit dem Glaskasten fest verbunden waren – erstaunlicherweise hatten seine Hände keinen sichtbaren Schaden abbekommen) und drückte dann einen roten Knopf an der Tischleiste, der einen sekundenlangen Dampfausstoß im Innern der Glaskammer auslöste. Als sich der Nebel gelegt hatte, bedeutete er seinem Assistenten den Sicherheitscode freizugeben und nachdem dieser eine ganze Weile auf einer Tatstatur eingetippt hatte, schwang die obere Glasklappe mit einem deutlich hörbaren Klickgeräusch auf. Luciana war drauf und dran in den Behälter zu greifen, da versperrten ihr Xanders Altersflecken überzogene Griffel den Weg.

     „Wenn wir nur noch weitere vierundzwanzig Stunden Aufschub bekommen könnten – Doktor Hamilton aus der Tränkeabteilung hat eine wirklich vielversprechende Theorie über -„

     „Nein!“, unterbrach sie ihn bestimmt und manövrierte ihre Finger in die Lücke zwischen seine Hände. Mit einer schnellen Bewegung schnappte sie nach der Mauritius - der Doktor sah plötzlich aus wie ein dreijähriger Bengel, dem sie den Lolly direkt aus dem Mund geklaut hatte.

     „Aber –„

     „Einen schönen Tag noch.“ Luciana beeilte sich Laborraum drei zu verlassen und über den elend langen Flur zum Fahrstuhl zu kommen. Den Affenzahn legte sie dabei nicht nur auf, weil ihre Armbanduhr schon dreizehn Uhr fünf anzeigte … diesen Übernerds das Forschungsobjekt zu entreißen, auf das einige, laut Aussage ihres Paten, schon ein Leben lang gewartet hatten (erstens schienen Horkruxe weniger häufig vorzukommen, zweitens konnte ‚ein Leben lang‘ bei einigen in der Magieforschung gut und gerne mehrere Jahrhunderte bedeuten), könnte diese Fanatiker auf die abwegigsten Ideen bringen und bevor sie hinterrücks zu Boden getackelt werden konnte, zog sie es vor, auf dem schnellsten Weg den größtmöglichen Abstand zu gewinnen. Am besten gleich das Land verlassen, was gerade praktischerweise sowieso als nächstes auf dem Plan stand.

     Als die Fahrstuhltüren zu glitten, sackten ihre Schultern ein ganzes Stück herab und ihre gesamte Haltung entspannte sich sichtlich. Es verhielt sich ja nicht so, dass sie in den letzten beiden Ordenssitzungen dieser Woche, die nach der Auktion stattgefunden hatten, von Vorwürfen der meisten Mitglieder bombardiert worden war, weil sie es nicht bewerkstelligt hatte, ihren Paten von der Idee abzubringen, den Horkrux auf eigene Faust zu zerstören (oder es zumindest zu versuchen) – dabei hatte sie es sogar geschafft, ihn davon abzuhalten, aus den angedachten sieben Tagen Testphase einen ganzen Monat zu machen. Hätten Dumbledore und Co. auch nur eine Minute dieser Gespräche selbst führen müssen, hätten sie sich jeglichen schnippischen Kommentar dahin gesteckt, wo keine Sonne mehr scheint. Erstaunlicherweise hatte eigentlich nur Snape seinen Rand gehalten und war, zur Krönung der Nettigkeit, sogar einmal für sie in die Bresche gesprungen, als Black einen ganz besonders fiesen Spruch in ihre Richtung geschossen hatte – obwohl, wahrscheinlich hatte er nur die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, mit seinem Lieblingserzfeind eine Runde Zickenwalzer zu tanzen.

     Seufzend ließ Luciana die kleine Briefmarke in ihre Jeanstasche gleiten, lehnte sich gegen die Metallkabine und wartete ungeduldig, bis der Fahrstuhl endlich sein Ziel erreichen würde – dabei fühlte sie plötzlich, wie ihr Bein ein Stück absackte. Das winzige Stück Papier in ihrer Tasche musste deutlich weniger als ein Gramm auf die Waage bringen und trotzdem hätte sie schwören können, in diesem Moment einen Backstein am Schenkel hängen zu haben. Dazu ging von der Stelle, an der der Horkrux liegen musste, eine starke Wärme aus – waren doch nicht alle Chemikalien bei der Dekontamination entfernt worden? Oder hatte das rein gar nichts mit irgendwelchen Experimenten zu tun und die Hitze war eine der Eigenschaften eines Horkruxes? War dieses Gefühl ähnlich dem, ein Dunkles Mal zu tragen, wurde es heiß oder schmerzte es nur?

     Gleich in der Nacht nach der Auktion hatte Luciana keinen Schlaf finden können, ganz egal wie oft und lange sie sich hin und her gewälzt hatte. Und als selbst drei volle Kapitel aus Geschichte der Zauberei nicht den gewünschten Müdigkeitseffekt gebracht hatten, hatte sie sich auf den Weg hinunter in die Krankenstation gemacht, in der Sir Rennoc noch immer sein Krankenbett hüten musste. Doch dieser hatte Abstand davon genommen, ihr Auskunft darüber zu erteilen, wem seiner Meinung nach Severus Snapes Loyalität galt. Wie üblich hatte er es vorgezogen, ihr den Rat zu geben, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden, ohne Einfluss von den Urteilen anderer Personen.

     Aber ganz umsonst hatte sie nicht den Weg angetreten, denn Rennoc hatte ihr ein paar sehr interessante Dinge über das Dunkle Mal erzählt, das Markenzeichen von dem Schwarzen Führer. Luciana hatte davon bisher nur aus dem Tagespropheten und der Zaubereigeschichte der Neuzeit lesen können und selbst da wurde es nur beiläufig erwähnt, da die Zaubererwelt offenbar sehr genau wusste, wovon die Rede war. Dabei hatte sie es nur einmal selbst zu Gesicht bekommen – am Abend des kleinen Marihuana-Keks-Debakels, auf dem linken Unterarm von Professor Snape, in Form eines Tattoos. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch keine Ahnung gehabt, mit was für einem Zeichen er sich auf Lebzeiten hatte brandmarken lassen.

     Nach dem Sturz von Voldemort, der das Ende des ersten Kriegs zur Folge gehabt hatte, war laut Rennoc das Tattoo ähnliche Gebilde auf den Armen seiner engsten Vertrauten verschwunden, was das Zaubereiministerium vor die unmögliche Aufgabe gestellt hatte, wirkliche Kriegsverbrecher von denen zu unterscheiden, die behauptet hatten, entweder unter einem Imperius-Fluch gestanden oder durch Erpressung für Voldemort gearbeitet zu haben. Das Dunkle Mal tauchte erst Jahre später wieder auf der Haut der noch übrig gebliebenen Todesser auf, erst kaum erkennbar, gleich einer feinen Narbe, mittlerweile wieder wie frisch gestochen. Dabei hatte es nicht nur eine Kennungsfunktion – laut Rennoc war Voldemort in der Lage über das Mal Treffen einzuberufen und manchmal, wenn er wirklich, wirklich wütend war, konnte er darüber sogar ein schmerzendes Brennen aussenden. Ein faszinierendes Stück Magie, wie er gesagt und dem noch hinzugefügt hatte, dass es sich bei dem Schwarzen Führer zweifelsohne um einen sehr begabten und intelligenten Zauberer handelte.

     Was wieder die Frage in ihr aufkommen ließ, was Snapes wahre Absichten waren, den Orden, den ‚Dunklen Lord‘ und letztendlich auch sie selbst betreffend. Er schien genügend Verachtung für seine Mitmenschen aufbringen zu können, um ausreichend Energie zu haben, diese jahrelange Scharade aufrecht zu erhalten, die Antipathie gegenüber dem gesamten Haus Gryffindor gaben einen Vorgeschmack auf sein Potential, eine bestimmte Gruppierung pauschalisierend abzustempeln und verhielt es sich nicht so, dass sie ihn von Voldemort ausschließlich als ‚der Dunkle Lord‘ hatte sprechen hören? Gehörte nicht eine ordentliche Portion Respekt oder sogar Hochachtung dazu, nicht ein einziges Mal von diesem Titel abweichen zu können, selbst wenn er in Gesellschaft einer ganzen Horde Widerstandskämpfer gegen genau jenen Lord war? Was bewegte einen jungen Mann dazu, sich einer Bewegung anzuschließen, die die Ideologie vertrat, die einzig wahre Krönung der Schöpfung zu sein und sich einen Spaß daraus machte, die Lebewesen um sie herum zu quälen, die es ihrer Meinung nach nicht wert waren, dieselbe Luft mit ihnen Atmen zu dürfen, mit dem Ziel alles zu unterwerfen, was nicht den Mindestanforderungen eines reinen Zauberer-Stammbaums vorweisen konnte?

     Was, wenn Gabriel mit seiner Befürchtung richtig lag und Snape an seinen Lord Informationen „Miss Bradley“ weitergab? Wie weit war sie dann von der Schlussfolgerung entfernt, dass ihre, höchst komplizierte Beziehung zu ihm, nichts weiter als ein besonders niederträchtiger Versuch seinerseits war, ihr Vertrauen zu gewinnen, um den Standort der UOWV herauszubekommen oder andere wichtige Details, die sie wusste oder beides? Das ergab Sinn, wieso sollte er sich sonst auf eine siebzehnjährige Schulgöre einlassen „Miss Bradley“, die ihm bisher nichts als Ärger und Blamage eingebracht hatte, keinen lupenreinen Familienstammbaum vorlegen konnte und die er nicht einmal mochte? Es war nur logisch, dass er beim letzten Mal das Weite gesucht hatte, bevor er sich mit der Person am Morgen auseinandersetzen musste, die er widerwillig und zum Mittel „Miss-„ des Zwecks bestiegen hatte – Und wie abwegig war die Annahme, dass das Scheusal aus der Nokturngasse sie gar nicht zufällig zweimal in Folge überfallen hatte? Snape war sicher in der Position, die Anhänger Voldemorts zu befehligen und was gab es Besseres, um das Vertrauen einer Person zu erlangen, als dieser den Retter in der Not vorzugaukeln? War er von Beginn an auf sie angesetzt worden, seitdem er erfahren hatte, dass sie nach Hogwarts kommen würde? Wie schwierig war es, herauszubekommen wer ihr Pate war, diese Information musste er erhalten haben, gleich nachdem ihre Aufnahme an der Schule besprochen worden war … Der Horkrux war überhaupt nicht sicher bei Dumbledore, der alte Kauz vertraute Snape blind, ihm fehlte der Durchblick, er hatte sich täuschen lassen und somit wäre es bestimmt besser, wenn sie selbst –

     „Luciana!“

     Ein Paar schwarze Augen erschien in ihrem Sichtfeld, an ihrer Schulter spürte sie eine Hand, die sie leicht schüttelte. Wie zum Teufel war sie in die Küche des Grimmauldplatz gekommen?! Und warum starrte sie Snape mit diesem seltsamen Blick an? Korrektur, da Luciana gerade ihre Umgebung inspizierte – Dumbledore, der schräg hinter dem Professor stand, beäugte sie ähnlich komisch, genau wie Professor McGonagall, Doge und Mrs Weasley.

     „Geben Sie mir die Briefmarke, Miss Bradley“, sagte Snape ruhig, aber bestimmt, ganz als würde er behutsam auf ein scheues Tier einreden. In diesem Augenblick lief ein Schweißtropfen ihre Stirn herunter, ihr beschleunigter Atem ging stoßweise, ihr Puls raste, ihre Finger bebten und hielten dabei die Blaue Mauritius im Klammergriff. Mit einer blitzschnellen Bewegung schob sie Snape diese Ausgeburt der sieben Höllenkreise entgegen, der sie, ohne eine Sekunde zu zögern, entgegennahm und an Dumbledore weiterreichte.

     „Was für ein abgefuckter Scheißtripp“, murmelte sie und griff beim nächsten Wimpernschlag nach ihrer Zigarettenschachtel.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

„Oh und ich muss noch einmal zurück und meine Koffer holen, ich habe für heute Abend ein Zimmer im Tropfenden Kessel reserviert, dann wird es morgen früh nicht wieder so stressig mit Gabriel – Johnny hat eh keine Zeit, meinte er.“

     Mrs Weasley stellte Luciana einen Teller heiße Kartoffelsuppe vor die Nase und legte ein paar Scheiben gerösteten Toast daneben. Nach zwei Zigaretten und einer Tasse Kamillentee hatte sich Lucianas Zustand wieder halbwegs normalisiert - was auch immer in der halben Stunde geschehen sein mochte, in der sie in den Fahrstuhl getreten war, bis zu dem Moment in der Küche des Grimmauldplatzes.

     „Kindchen, du hast deine Koffer schon im Kaminzimmer abgestellt, als du angekommen bist“, bemerkte Mrs Weasley vorsichtig und nahm ihr gegenüber Platz. „Bist du sicher, das alles wieder beim Alten ist?“

     „Faszinierend – also wenn man nervige Arbeiten erledigt und nicht mal was davon mitbekommt, sollte ich Professor Dumbledore die Mauritius mal öfter abschwatzen.“ Dafür kassierte sie einen sehr scharfen Blick. „Sorry, das war unangebracht.“

     Mrs Weasley ließ einen langgezogenen Seufzer hören und wischte nachdenklich die Hände an ihrer Schürze ab.

     „Und du kannst dich an gar nichts erinnern?“

     Luciana schüttelte den Kopf und schob sich einen Löffel Kartoffelsuppe in den Mund – die selbstverständlich köstlich war, alles was diese Frau bisher fabriziert hatte, konnte mit jedem Gericht in einem ihrer Lieblingsrestaurants mithalten.

     „Ich habe die Briefmarke abgeholt, bin dann in den Aufzug und im nächsten Moment stand ich hier in der Küche. Okay, vielleicht war ich etwas in Gedanken, aber das erklärt keinen Blackout von einer halben Stunde … wobei –„

     „Wobei?“, hakte Mrs Weasley nach und Luciana ließ den Löffel sinken. Sie waren allein in der Küche, die anderen hatten den Grimmauldplatz verlassen, sobald die Übergabe stattgefunden und sie ihnen mehrfach versichert hatte, dass es ihr gut ging. Und bei der Dame vor ihrer Nase war es ihr weniger unangenehm offen zu sprechen, als bei einigen anderen Personen, die vor ein paar Minuten noch anwesend gewesen waren.

     „Am Anfang habe ich einfach ein wenig gegrübelt, aber dann – ich weiß nicht, es ist schwer zu beschreiben …“

     „Du hattest das Gefühl, die Gedanken in deinem Kopf sind nicht deine eigenen?“ Darauf konnte sie Mrs Weasley nur verblüfft ansehen und leicht nicken. „Ja, meine Jüngste, Ginny, hat in ihrem ersten Jahr auf Hogwarts eine sehr … schlimme Erfahrung mit einem Gegenstand von du-weißt-schon-wem gemacht.“ Mrs Weasley schluckte; es schien ihr sehr schwer zu fallen, über diese Angelegenheit zu reden. „Sie spricht kaum darüber, aber so hat sie es beschrieben.“

     „Ich habe es erst gar nicht bemerkt“, begann Luciana nach einem Moment der Stille. „Irgendwann wurde das Zeugs in meinem Kopf immer konfuser.“ Was nicht unlogisch bedeutete, das war ihr sehr wohl bewusst. Aber sobald ihr Snape die Mauritius abgenommen hatte, wirkten alle paranoiden Ideen, die sie noch vor ein paar Sekunden gehabt hatte, abwegiger denn je. Natürlich war sie in der Nacht nach der Auktion zu Sir Rennoc gegangen, um ihn nach seiner Meinung zu fragen, letztendlich wäre es allerdings gleich gewesen, hätte er ihr mit allen Mitteln versucht begreiflich zu machen, dass Snape auf der Seite des Schwarzen Führers stehen würde – sie hätte ihm sowieso nicht geglaubt. Sie hatte mehr im Sinn gehabt, sich mit einer Person austauschen zu können, die Snape nicht wie die Pest hasste und hatte letztendlich mehr Informationen bekommen, als ihr lieb gewesen waren. Das einzige, was ihr die letzte Stunde wirklich an Erkenntnis gebracht hatte, war ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie gefährlich dieser Schwarze Führer wirklich sein musste und wie weit seine Macht über seinen Tellerrand hinausgehen konnte.

     „Meinen Sie Professor Dumbledore wird mit dem Horkrux fertig?“

     Mrs Weasley setzte ein aufmunterndes Lächeln auf und erhob sich wieder von ihrem Platz, um gleich ein paar Tassen auf dem Tisch einzusammeln (die Frau konnte keine fünf Minuten still sitzen bleiben).

     „Da mach dir mal keine Sorgen. Dumbledore ist der mächtigste Zauberer dieser Zeit und wird einen Weg finden, ganz bestimmt.“

     Luciana schnappte wortlos nach einem Stück Brot und kaute gedankenverloren auf der etwas harten Kruste herum – sie fragte sich, was der Horkrux wohl in dem alten Mann wachrufen würde.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Nach dem Mittagessen verabschiedete sie sich von Remus (und Black, der in letzter Zeit zu so etwas wie dem Schatten des Werwolfs mutiert war), lehnte das dritte Mal in Folge Mrs Weasleys Angebot ab, die Nacht im Grimmauldplatz zu verbringen, um am nächsten Morgen gemeinsam mit den anderen zum King’s Cross Bahnhof zu fahren (der Vorschlag hatte beinhaltet im Mädchenzimmer zu schlafen, ergo bei Ginevra und Granger - danke, aber nein danke) und verließ mit ihren zwei Koffern und dem leeren Vogelkäfig das Hauptquartier des Phönixordens.

     Die Besorgungen in der Winkelgasse hatte sie nun bis auf den allerletzten, möglichen Tag geschoben und auch wenn Gabriel bei dieser Ankündigung beide Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hatte, befand sie ihre Entscheidung für äußerst gut gewählt. An diesem Samstagnachmittag begegnete sie keinem einzigen Schüler in der Einkaufsgasse der Magier, die Läden schienen allesamt spärlich besucht und auch die meisten Verkäufer machten den Eindruck, sehr froh darüber zu sein, die sommerliche Hogwartsinvasion hinter sich gebracht zu haben. Ihr erster Besuch galt der Gringotts Bank, in der sie zwei Beutel Monetas-Nachschub aus ihrem Verließ einsteckte, bevor sie sich dem Minimarathon durch den guten alten Einzelhandel stellte. Die längste Zeit verbrachte sie in der einzigen Buchhandlung (von dem Second-Hand-Laden abgesehen) der kleinen Einkaufsmeile, da ein älterer Herr mit verwaschenem, blass rotem Spitzhut und einem Monokel im linken Auge die einzige Verkäuferin in dem Geschäft scheinbar stundenlang für sich beanspruchte und sie demnach gezwungen war, sich eigenhändig durch die Regale ohne erkennbares System zu prügeln.

     „Das macht dreiunddreißig Galleonen und fünfzehn Sickel.“ Mit einem tiefen Durchatmen konnte sich Luciana gerade eben davon abhalten, eine empörte Schimpftirade vom Stapel zu lassen, auch wenn diese Summe bei weitem nicht so hoch ausfiel, wie beim Schulbücherkauf vom letzten Jahr. Allerdings hatte sie dort alle Bücher bis einschließlich der fünften Stufe kaufen müssen und jetzt waren es nur fünf Exemplare! Widerwillig schob sie der Verkäuferin (übrigens dieselbe von ihrem letzten Einkauf bei Flourish & Blotts) vierunddreißig goldene Geldstücke über den Tresen (alleine das Abzählen beanspruchte eine halbe Ewigkeit – was hatten diese Zauberfunzeln gegen Scheine? Oder zumindest einen höheren Wert, wenn man seine Währung unbedingt auf Münzen beschränkt lassen wollte?) und nahm, nachdem sie das Wechselgeld erhalten hatte, die kleine Tüte entgegen.

     Als nächstes bog sie, wie versprochen, bei Weasley’s Zauberhafte Zauberscherze ab, allerdings schien genau dieses Geschäft all die Zauberer und Hexen zu beherbergen, die sie in der restlichen Winkelgasse nicht zu Gesicht bekommen hatte. Mit anderen Worten, der Laden war gerammelt voll und das nicht einmal, wie man hätte vermuten können, von einem sonderlich jungen Publikum, denn dieses schien sich, einen Tag vor Antritt in das neue Schuljahr, wirklich anderorts den letzten Tag der Ferien zu vertreiben. Nein, offenbar nutzten die älteren Generationen die jugendfreie Gasse aus, um zeugenfrei den eigenen Bedarf an Würgzungen-Toffees, Juxzauberstäben und sogar Nasch-und-Schwänzleckereien aufzustocken (das Letztere in offensichtlicher Vorfreude darüber, dem Chef ‚mal so richtig ordentlich auf den Schreibtisch reihern zu können‘, wie sie einem kurzen Gespräch zwischen zwei Herren in ihren Vierzigern hatte entnehmen können). George und Fred bemühten sich zwar händeringend ein paar Minuten Zeit für sie aufzubringen, doch nach der gleich dritten Unterbrechung von ganz besonders ungeduldigen Kunden schlug Luciana vor, das Treffen auf ein Frühstück am nächsten Tag zu verschieben, bevor sie sich auf den Weg zum Bahnhof machen würde.

     Mit einer Gratisbox Kotzpastillen und Kollapskeksen in der Tasche, steuerte sie die letzte Station ihrer Einkaufstour an, als sich im Vorbeilaufen links neben ihr eine Ladentür öffnete und ein wohlbekannter Junge mit dunkelblondem Haar auf die Gasse trat.

     „Hallo Luciana!“ Hinter Neville Longbottom kam eine ältere Dame mit grauem Karokleid, einer riesenhaften, roten Handtasche und einem zerschlissenen Hut (auf dem irgendein ausgestopftes Federvieh saß; Luciana wandte bei dem Anblick schnell den Blick ab) aus dem Bekleidungsladen und musterte sie von oben bis unten.

     „Hey Neville“, grüßte sie ihren Klassenkameraden und streckte der Frau ihre Hand entgegen. „Luciana Bradley, Neville und ich sind in derselben Klasse.“ Mit dieser Erklärung schien die Frau zufrieden gestellt zu sein, wobei ihr strenger Blick nur ein wenig freundlicher wurde.

     „Augusta Longbottom, hocherfreut“, sagte die Dame und schüttelte ihre Hand mit ordentlichem Griff dahinter. „Ich bin Nevilles Großmutter. Hast du auch deine Bücherliste verklüngelt, oder kann es einen anderen Grund geben, solch bedeutende Besorgungen auf den letzten Drücker zu machen?“ Diese Bemerkung schien mehr gegen ihren Enkel zu schießen und weniger gestellt aus wirklichem Interesse. Neville war derweil puterrot angelaufen, während er scheinbar aufmerksam seine Schuhspitzen betrachtete - Luciana bekam eine winzige Vorstellung, wie der etwas zerstreut wirkende, schüchterne Junge genau an dieser Stufe der Persönlichkeitsentwicklung gekommen war.

     „Nein, ich dachte mir einfach kurz vor knapp wird es nicht so voll hier und wie es aussieht, scheint der Plan aufzugehen.“

     „Nun ja, das ist wirklich eine willkommene Abwechslung, ich habe die Winkelgasse in all den vielen Jahren noch nie so leer gesehen“, bemerkte Mrs Longbottom und Neville sah darauf ein wenig hoffnungsvoller aus. „Ausgenommen natürlich bei dem ersten Schreckenszug von du-weißt-schon-wem, weißt du, die Leute sind nicht umsonst umsichtiger und vermeiden unnötig aus ihren Häusern zu gehen.“

     „Ehm –„

     „Aber du bist viel zu jung um das zu wissen, Neville hier selbstredend auch. Sind deine Eltern noch in einem anderen Geschäft?“ Die alte Dame sah sie durchdringend an. Wenn das so weiter ging, würde sie genau wie Neville Fuß scharrend in der Ecke stehen – man was hatte das Weib eine Autorität am Leib.

     „Ich bin volljährig und daher –„

     „Du kommst mit uns“, sagte Mrs Longbottom, wie aus der Pistole geschossen. „Albus würde es gar nicht gerne sehen, wenn einer seiner Schüler alleine unterwegs ist.“

     „Das ist wirklich nett von ihnen“, begann Luciana vorsichtig, wobei sich Mrs Longbottom schon wieder in Bewegung gesetzt hatte, genau wie ihr Enkel, der ihr mit einem Schritt Abstand folgte, „aber ich muss nur noch in die Apotheke.“

     „Das trifft sich hervorragend, dorthin sind wir ebenfalls unterwegs.“ Nach ein paar Sekunden weiteren, durchdringenden Starrens begab sie sich an Nevilles Seite, der überhaupt nicht den Eindruck machte, als sei das Verhalten seiner Großmutter etwas Besonderes.

     „Warst du schon bei Madame Malkins?“, fragte er nach einem Moment der Stille, in der Luciana schon Pläne schmiedete, wie sie die alte Dame abhängen können würde. „Wir waren bestimmt eine ganze Stunde da drin und ich habe dich nicht gesehen.“

     „Was, wegen der Schuluniform?“ Neville nickte. „Die habe ich letztes Jahr gekauft, ich wachse nicht mehr, seit … mh, bestimmt seit ich fünfzehn bin.“ Und wo sie gerade bei dem Thema waren, nahm sie ihren Klassenkameraden ein wenig genauer in Augenschein. Der Junge hatte in den paar Wochen wirklich einige Zentimeter zugelegt und wirkte somit weitaus weniger mopsig, als vor Ferienbeginn.

     „Oh, da hast du es ja gut. Großmutter musste mir einen ganzen Satz neuer Hosen und Hemden kaufen, selbst meine Roben waren zu kurz.“ Ja, und darüber schien diese weitaus weniger erfreut, als ihr Nach-Nachwuchs.

     „Sag mal –„, sagte Luciana und legte ihre Stirn dabei in Falten, „wieso wollt ihr eigentlich in die Apotheke? Also ohne dir aufn Schlips treten zu wollen, aber hast du die Zaubertränke Prüfung ernsthaft mit einem O bestanden?“ Neville starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an, schüttelte heftig seinen Kopf und versuchte ihr mit Handgesten irgendetwas begreiflich zu machen, doch da war es schon zu spät.

     „Neville“, schnappte Mrs Longbottom entrüstet und richtete sich das notdürftig konservierte Tier auf dem Haupt, „hat ein Mies in Zaubertränke bekommen und ein Annehmbar in Verwandlungen und Geschichte der Zauberei. Dabei war Frank, sein Vater, so begabt in Zaubertränke und auch für seine verblüffenden Verwandlungen hat er immer ein beachtenswertes Wort der Anerkennung von seinen Lehrern gekriegt und –„ Luciana murmelte Neville mehrfach ein ‚Es tut mir so leid‘ entgegen, bis sie den Eingang der Apotheke erreicht hatten und seine Großmutter noch immer nicht den Lobgesang auf ihren Sohn beendet hatte. Und wäre das allein nicht schon Demütigung genug, folgte für den armen Knaben der nächste Tritt in den Hintern im Innern des spärlich beleuchteten Ladenlokals. Sie hätte fast nicht bemerkt, dass Neville, kurz nach der Eingangstür, wie angewurzelt stehen geblieben war und mit vor Schreck geweiteten Augen einen bestimmten Punkt an der gegenüberliegenden Regalwand fixiert hatte, da Luciana selbst die Gelegenheit beim Schopfe packen wollte, ein wenig Abstand zwischen sich und die schrullige Lady zu bringen, doch dann bemerkte sie ihn selbst.

     „Hallo Professor“, flötete sie scheinbar gut gelaunt und war dabei hin und her gerissen, Mitleid für ihren Klassenkameraden zu empfinden oder ein wenig Schadenfreude aufzubringen, da Snape sich mit einem tiefen Durchatmen und sehr angenervtem Blick zu ihr umdrehte.

     „Miss Bradley“, sagte er, für den Ausdruck in seinem Gesicht doch recht neutral, dann glitt sein Blick über sie hinweg, „und Mr Longbottom.“ Für einen sehr kurzen Moment zog er fragend eine seiner Augenbrauen in Höhe und musterte Luciana dabei prüfend – was ihm währenddessen durch den Kopf ging, war selbstverständlich ein Rätsel, genau wie die, mit hoher Wahrscheinlichkeit, spitze Bemerkung, ausgefallen wäre, zu der er gerade ansetzte, als sich auch schon Mrs Longbottom von der Seite anpirschte. Snape musterte die alte Frau für einen kaum wahrnehmbaren Moment und jemand, der nicht so gut darin geschult war wie Luciana seine noch so kleinsten Regungen zu bemerken, wäre sicher nicht aufgefallen, dass seine Augen sich bei dem Anblick des Huts und der Handtasche weiteten.

     „Ist das ein Lehrer von dir, Neville?“

     Neville machte unterdessen den Eindruck, sich gleich auf den grauen Steinboden zu seinen Füßen erbrechen zu müssen – ob die violetten Enden der Nasch-und-Schwänz-Leckereien auch halfen, wenn man das eigentliche Brechmittel gar nicht gegessen hatte?

     „Das ist Professor Snape, Lehrer für Zaubertränke“, beantwortete Luciana die Frage, nachdem ein ganzer Moment seltsame Stille folgte. „Professor, das ist Mrs Longbottom, Mr Longbottoms Großmutter.“ Die alte Dame griff darauf sofort die Hand des Professors und begann los zu plappern, für Luciana die Gelegenheit sich aus der Schusslinie zu begeben, Neville beim Arm zu packen und ihn zum nächsten Regal zu schleifen (es fühlte sich mehr danach an, eine unbewegliche Schaufensterpuppe zu bewegen, als einen lebendigen Menschen).

     „Ruhig atmen, Neville“, sagte sie in Flüsterstimme und zog ihren Zutatenzettel aus der Umhängetasche. „Morgen geht es wieder zur Schule und du hast bis Weihnachten Schonzeit.“ Es dauerte ein wenig, bis die erste Reaktion von ihm kam, in Form eines kurzen Nickens. Allerdings schien er im Moment noch nicht davon auszugehen, die anstehende Fahrt nach Schottland überhaupt antreten zu können.

     „Snape wird dich bestimmt nicht in die Scheiße reiten.“ Jetzt sah Neville sie an, als habe sie vollkommen den Verstand verloren – nicht ganz unbegründet, also Strategiewechsel. „Und sieh mal, deine Oma lässt ihn sowieso nicht zu Wort kommen, was soll da schon schief gehen?“

     Tatsächlich liefen die nächsten Minuten so ab, dass Luciana sich ein Körbchen unter dem Kassentresen schnappte, kreuz und quer in dem, von ihnen vier abgesehen, vollkommen menschenleeren Laden lief (so langsam fragte sie sich, ob überhaupt ein Verkäufer anwesend war) und dabei immer wieder im Slalom um Snape und Mrs Longbottom balancierte, während sie in den umliegenden Regalen ihre Zaubertrankzutaten zusammensuchte. Wenn dabei ihr Blick an Snape hängen blieb, fiel überdeutlich auf, wie schnell seine Nasenflügel von unbeweglich zu bebend und seine Hautfarbe von blass zu fleckig übergangen war, wobei er selbst kaum ein Wort zu sprechen schien – das Reden übernahm weiterhin Mrs Schrullig und das mittlerweile in Qualität auf-totes-Tier-einreden (wer konnte schon mit Bestimmtheit sagen, wie sie an ihren Hut gekommen war …).

     „Zwei Dutzend Lenkpflaumen, Miss Bradley“, durchdrang die Stimme von Snape den Raum und keine zwei Sekunden später angelte ein durch und durch von schwarzem Stoff bedeckter Arm ein volles Glas mit den dunkelrot verschrumpelten Früchten, direkt über ihrem Kopf und ersetzte das, welches sie gerade beinahe leer gemacht hatte. Ein Seitenblick auf ihre Liste verriet, dass dunkelgrün auf Pergament-gelb dort etwas von einem Dutzend Lenkpflaumen stand. Mrs Longbottom stand noch immer in der Mitte der Apotheke und beäugte das Schauspiel vor ihrer Nase, wohl in der freudigen Erwartung, gleich ihren Monolog weiterführen zu können. Nun ja, Luciana war kein Unmensch und Snape hatte schon beinahe so etwas wie eine verzweifelte Miene aufgesetzt, zumindest insofern sie dies beurteilen konnte, da er noch immer mit den Zutaten vor seiner Nase beschäftigt war.

     „Oh, zwei Dutzend“, sagte sie deutlich und schaute demonstrativ auf die Liste. „Gut, dass Sie es bemerkt haben.“

     „Geben Sie schon her“, fauchte Snape dann und schnappte sich den Zettel aus ihrer Hand, „bevor ich Sie im gesamten nächsten Schuljahr mit Trankzutaten versorgen muss!“

     Tief durchatmen wiederholte sie nun ein paar Mal im Geiste und setzte ein sehr eingefrorenes Lächeln auf – das Ablenkungsmanöver schien jedenfalls seine Wirkung zu zeigen, denn kurz nachdem Snape angefangen hatte, den Rest ihrer Liste mit ihr zusammen aus den Regalen zu suchen, wandte sich Mrs Longbottom Neville zu und begann selbst mit ihrem Einkauf.   

     „Wie können Sie es wagen mir diese … diese Person auf den Hals zu hetzen?“, zischte er ihr leise zu, nachdem noch zwei weitere Kunden den Laden betreten hatten und der Geräuschpegel in dem Raum wesentlich zugenommen hatte.

     „Ah, ich bin wieder Schuld, schon Recht“, sagte sie und achtete ebenso darauf, einen Flüsterton anzuschlagen. „Es ist ja auch nicht so, dass die Alte mich seit Malkins selbst als Geisel genommen hat.“ Snape vollführte darauf sein Ein-Brauen-Non-Verbal-Fragezeichen. „Die Dame ist offenbar der Meinung, ich könnte die fünfzig Meter zur Apotheke nicht alleine laufen.“

     „Soll heißen Sie sind alleine unterwegs und haben sich nicht mit den Longbottoms zum Einkauf getroffen?“ Diese Frage stellte er mal wieder auf seine unnachahmliche Art und Weise, die einem das Gefühl vermittelte, gerade den größten Bockmist verzapft zu haben.

     „Sir, es fünf Uhr am Spätnachmittag, ich bin nicht mal in die Nähe der Nok-„

     „Ich habe Ihnen schon einmal etwas zu den Warnungen des Ministeriums gesagt und mich dabei nicht auf offensichtlich zwielichtige Ortschaften wie die Nokturngasse beschränkt.“ Damit schmiss er aufgebracht eine abgepackte Tüte getrocknetes Diptam in ihren Korb. „Die Zwischenfälle geschehen bei Tag, wie auch bei Nacht, was meinen Sie, wieso hier niemand alleine auf den Straßen ist?“

     Luciana lag schon eine spitze Bemerkung auf der Zunge, wieso sie ganz genau wusste, warum er dabei eine der wenigen Ausnahmen bildete, als ihr in den Sinn kam, warum er gerade schon wieder einen kleinen Aufstand probte. Durch das letzte Jahr in der Schule und vor allem mit den Ordenssitzungen, hatte sie ihn gut genug kennengelernt, um mittlerweile sagen zu können, dass er sich im Normalfall keine zwei Pfennig für das Wohl seiner Mitmenschen interessierte. Natürlich musste er jedem auf die Nase binden, wenn er einen besseren Vorschlag hatte oder einem anderen ein Fehler unterlaufen war, aber er pflegte die Leute ins offene Messer laufen zu lassen, insofern damit keine ‚wichtige Mission‘ gefährdet war. Was sie zu dem Schluss kommen ließ, dass er sich Sorgen um sie machte und das war ja schon irgendwie niedlich.

     Letztendlich seufzte Luciana und schmiss im Vorbeilaufen drei Bezoare in den Einkaufskorb, bevor sie sich ihm wieder zuwandte. „Ich schätze das muss erstmal in meinem Schädel ankommen – ich spaziere draußen alleine rum, seitdem ich weiß wie man die Bunkertür öffnen kann und das habe ich ziemlich schnell herausbekommen“, sagte sie und musste bei den letzten Worten Schmunzeln. Ja, herauszukommen war die eine Sache gewesen, aber für den Weg hinein hatte sie bis zum Morgengrauen gebraucht – Gabriel hatte bis dato schon ganze fünf Suchtrupps auf den Weg geschickt. „Aber selbst wenn mir bei dem Gedanken schon das Grauen kommt: Ich gehe gleich zusammen mit den Longbottoms wieder aus dem Laden, die zehn Meter, ohne Umwege, in den Tropfenden Kessel und hoch auf mein Zimmer.“

     Snapes Gesicht verdüsterte sich mit einem Schlag.

     „Was jetzt?“, fragte sie genervt. „Was ist daran wieder falsch?“

     „Offensichtlich haben Sie auch nicht aufmerksam den Tagespropheten studiert, ich frage mich, wieso ich mir überhaupt die Mühe mache.“ Ja, das Thema hatte sie vor nicht einer Minute selbst schon durchgekaut. Übrigens sprach er trotzdem weiter. „Gatria Menkar, Sekretärin des Zaubereiministers, ist letzte Woche spurlos verschwunden, nachdem sie ihr Zimmer im Tropfenden Kessel bezogen hat.“ Das erklärte jedenfalls, wieso sie die Zaubererkneipe vor ein paar Stunden beinahe Menschenleer vorgefunden hatte.

     „Na dann kann ich ja von Glück sagen, dass ich weder eine bekannte Person bin, noch in einer anderen Weise für den Schwarzen Führer interessant sein könnte, immerhin sollte niemand wissen, wer mein Pate ist.“

     „Vielleicht wäre dem so, wenn Doktor Steinhardt nicht auf die äußerst clevere Idee gekommen wäre, Sie mit auf die Auktion zu nehmen“, schnarrte Snape, dieses Mal achtete er besonders darauf, keine ungebetenen Zuhörer zu haben und lehnte sich nah an sie heran, in der scheinbaren Absicht ein Glas Molchaugen zu begutachten – dabei driftete ihr selbstverständlich ein Schwall Au-de-Tränkemeister in Nasenlöcher, „und ich kann Ihnen nur gratulieren, Miss Bradley, Sie scheinen einen Bewunderer zu haben.“

     Luciana schluckte schwer. „Rabastan oder Rodolphus?“, flüsterte sie tonlos.

     „Der Zweite und ich erspare Ihnen die Obszönitäten, die er unaufhörlich zu äußern pflegt.“

     Für einen Augenblick spürte sie einen kalten Schauer über den Rücken laufen, gefolgt mit einer Faust, die ihren Magen im Klammergriff zu halten schien, dann schüttelte sie diese unsinnigen Emotionen, mit einer gewaltigen Klatsche von der Logikfraktion, ab.

     „Okay, wahrscheinlich habe ich im letzten Jahr nicht wirklich den Eindruck auf Sie gemacht, aber ich bin, im Normalfall, wirklich in der Lage auf mich selbst aufzupassen. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie –„

     „Kehren Sie über Nacht nach Hause zurück, Miss Bradley“, sagte Snape, interessanterweise ohne jegliche Schärfe oder Befehlston in der Stimme.

     „Tut mir leid, aber das wird nicht passieren“, ah, da kam auch gleich wieder der angesäuerte Herr Professor zum Vorschein. „Nicht, dass ich mich vor Ihnen rechtfertigen müsste, aber erstens ist das Zimmer schon bezahlt, zweitens habe ich seit Wochen keine einzige Nacht mehr durchgeschlafen, weil mir andauernd irgendein Idiot eine unaufschiebbare Aufgabe aufs Auge drückt und drittens halte ich überhaupt nichts davon, Dinge, die ich tun möchte, sein zu lassen, weil etwas passieren könnte.“

     „Das ist der unsinn-„

     „Zimmer eins sieben, Sir“, unterbrach Luciana ihn sofort, bevor er doch noch seine Selbstbeherrschung verlor und jeder Zeuge ihrer kleinen Unterhaltung werden würde. „Falls Sie sich selbst von meiner Unversehrtheit überzeugen möchten. Die Wände scheinen nicht besonders massiv, ist ja auch ein altes Gebäude, aber das Bett macht einen sehr stabilen Eindruck.“ Von einer Sekunde auf die andere war Snape alles aus dem Gesicht gefallen, es grenzte an ein Wunder, dass er das Einmachglas voller Blutegel noch in der Hand hielt.

     „Severus, deine Bestellung ist fertig.“ Ein kleiner, rundlicher Zauberer mit grauer Halbglatze und dicker Brille auf der Nase, war in der Zwischenzeit aus einem Hinterraum an den Tresen gewatschelt und stellte dort eine große Papptüte ab. Snape brauchte allerdings eine gewisse Zeit, bis er wieder soweit funktionierte, das Glas zurück auf seinen Platz in das Regal zu stellen und sich Richtung Kasse zu bewegen.

     Luciana war kaum überrascht, dass er weder ihr noch den Longbottoms ein Wort des Abschieds zukommen ließ, als er eilends den Laden verließ.  

    

Kopfkino

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die andere Möglichkeit

Die andere Möglichkeit

 

Die Kutsche hielt mit einer Vollbremsung vor dem Eingangsportal des Schlosses – Luciana konnte gerade eben den Kragen des Burschen packen, der vor lauter Enthusiasmus schon von der hölzernen Sitzbank aufgesprungen war, noch bevor sie zum Stillstand gekommen waren und verhinderte somit, dass sein Schädel direkte Bekanntschaft mit der Wand der Innenkabine machte. Danach hielt sie den Jungen so lange an Ort und Stelle, bis die beiden Hufflepuffs aus der Kutsche gestiegen waren.

     „Du bleibst an meiner Seite“, wies sie ihn mit bestimmtem Befehlston an, worauf der Bengel einmal nickte. Bei dem Verhalten, was er bisher an den Tag gelegt hatte, würde er schneller in den Weiten endloser Gänge verloren gehen, bevor sie nur daran denken könnte, ihn bei irgendeiner Lehrkraft abzuliefern. Dementsprechend ging Luciana auf Nummer Sicher, als sie sich hinter der Traube Schüler einreihten, die im Schleichtempo die paar Stufen zur Eingangshalle nahmen und hielt ihn am Oberarm fest. Was sich keine zwei Minuten später als eine sehr weise Entscheidung herausstellte, denn bei dem Anblick der riesigen Halle, die sie durch das Eichenportal betraten, blieb der Junge mit weit aufgerissenen Augen stehen – das gigantische Treppenhaus war, wie üblich, mit aberhunderten von an den Wänden hängenden Fackeln erleuchtet, tausende von Gemälden und Portraits reihten sich endlos weite Stockwerke in die Höhe und der Knabe reckte neben ihr soweit den Hals in den Nacken, offenbar in dem Versuch das Ende der vielen Treppenaufgänge zu erspähen (da könnte er lange suchen), dass er ohne ihre Hand am Arm Schlagseite bekommen hätte.

     „Miss Bradley!“ Rechts neben ihr tat sich eine Schneise zwischen den Schülern auf, durch die eine aufgebrachte McGonagall, mit wehendem, grün bedrucktem Schottenmuster-Zauberumhang, auf sie zugestürmt kam. Was zur Hölle – Luciana hatte noch keine Minute den Fuß in die Schule gesetzt, sie konnte noch gar nichts angestellt haben.

     „Merlin sei Dank, Sie haben ihn gefunden“, rief McG und kam völlig außer Atem vor ihnen zum Stehen. Sogar ihr Spitzhut saß schief auf ihrem Kopf, was sie allerdings sofort mit einem Handgriff wieder in Ordnung brachte. „Mr Scrimgeour, wir haben Sie überall gesucht!“ Dabei spitzte das Gryffindoroberhaupt auf unnachahmliche Art ihre Lippen – Luciana war sehr froh darüber, nicht in der Haut des Erstklässlers zu stecken. Und wieso kam ihr der Name so bekannt vor?

     „Vielen Dank, Miss Bradley“, sagte McGonagall, nickte ihr zu und schnappte sich ein Stück Umhang von dem Jungen, um ihn ohne weitere Umschweife an ihre Seite zu ziehen. „Die Zeremonie wird sich ein wenig verspäten, wir hatten nicht einmal die Gelegenheit, den Sprechenden Hut zu holen, bei all der Aufregung!“ Der Knabe schaute betreten auf seine Schuhspitzen, doch er hatte kaum Zeit sich ausgiebig zu schämen, da McG ihn auch schon in Richtung der Tür schleifte, hinter der Luciana in einem kleinen Nebenraum selbst vor einem Jahr in ihr Haus gewählt worden war.

     Nachdem die beiden verschwunden waren, folgte sie dem Strom der anderen Schüler in die Große Halle, in der schon einige Bänke der vier Haustische halb gefüllt waren – nur der Lehrertisch war vollkommen leer gefegt. Luciana nahm den freien Platz neben Longbottom ein, der gegenüber des Goldenen Trios saß, das, wie so oft, die Köpfe zusammen gesteckt hatte und tuschelte. Gerade als sie wieder ihren Blick abwenden wollte, deutete Potter wenig dezent in Richtung der großen Flügeltüren, durch die noch immer vereinzelt Schüler eintraten. Rechts und links davon standen zwei hochgewachsene Kerle, die grimmig in die Runde schauten und die sie bisher gar nicht bemerkt hatte.

     „Wer sind die Männer?“, fragte sie an Granger gewandt, da die Dame erfahrungsgemäß so ziemlich alles wusste.

     „Auroren“, antwortete Potter und nahm dabei nicht den Blick von den beiden Gestalten. „Zur Bewachung der Schule.“ Dies sagte er besonders missmutig, wobei sie nicht ausmachen konnte, was ihm genau an dieser weiteren Sicherheitsmaßnahme, seit Rückkehr des Schwarzen Führers, sauer aufstieß.

     Das laute Stimmengewirr im Saal flaute langsam ab, sobald die ersten Lehrer über die zwei Seitentüren am Ende der Halle eintraten und an dem langen, etwas erhöhten Tisch vor Kopf Platz nahmen. Als letztes betraten der Schulleiter, heute in einer tief violetten Robe mit Funkenmuster besprenkelt, und Snape die Halle. Luciana prügelte beim Anblick des in schwarz schwarz schwarz gekleideten Mannes ärgerlich die surrenden, kleinen Biester in ihrer Magengegend zu Tode und beobachtete mit gerunzelter Stirn, wie die zwei Herrschaften noch eine ganze Weile an Snapes Stammplatz stehen blieben und sich angeregt weiter unterhielten, bis die Eingangstür am anderen Ende abermals geöffnet wurde. Dumbledore nickte auf irgendetwas, das Snape gerade gesagt hatte und begab sich zur Mitte des Tisches, an dem ein ganz besonders großer Stuhl für ihn reserviert war und auch der Tränkeprofessor nahm Platz, wobei er nicht ganz unglücklich schien, gerade weder zur Linken noch zur Rechten einen Sitznachbarn zu haben.

     Als Luciana den Blick vom Lehrertisch nahm, hatte die lange Reihe Erstklässler, die von Professor McGonagall an der Spitze angeführt wurde, schon die Hälfte der großen Halle durchquert. Auf dem Podest vor dem Lehrertisch machte McG halt, stellte einen Dreibeinstuhl, auf dem der alte, zerschlissene Hut lag, welcher Luciana letztes Jahr in das Haus Gryffindor verfrachtet hatte, auf den Steinboden und bedeutete den Winzlingen, sich der Reihe nach aufzustellen. Der dunkle Haarschopf des kleinen Bengels vom Bahnhof stach aus der Menge heraus und erstaunlicherweise fühlte sie sich ein wenig erleichtert, dass er auf dem Weg bis hierher nicht verloren gegangen war. Ganz nebenbei bemerkt, schienen die meisten der älteren Schüler recht wenig Interesse an dem Prozedere zu haben, das sich gerade abspielte, doch für sie selbst war es das erste Mal, dass sie Zeuge der sogenannten ‚Auswahlzeremonie‘ wurde. Einige der Erstklässler machten einen betont lockeren Eindruck, wohingegen andere ausschauten, als würden sie jeden Moment aus den Latschen kippen.

     Doch bevor sie die kleine Traube Nervenbündel noch näher in Augenschein nehmen konnte, sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung, die von dem Hut ausging. An der Krempe öffnete sich ein großer Spalt, gleich eines Mundes und schon war die gesamte Aufmerksamkeit des Saals auf das zweckendfremdete Kleidungsstück gerichtet, dass mit tiefer, kratziger Stimme ein Lied anstimmte:

 

Wenn er den Krieg gewonnen hätte,

mit Schwarzen Ordens Hände und Sturmgebraus,

dann wäre hierzulande und weit darüber nichts zu retten,

und alles gliche einem Irrenhaus.

 

In der großen Halle brach ein leises Stimmengewirr los, Potter und Ronald kommentierten etwas im Flüsterton, Granger saß sehr aufmerksam an ihrem Platz und oben am Lehrertisch hatte Snape eine besonders kerzengerade Haltung eingenommen, wobei Luciana sogar aus dieser Entfernung sehen konnte, wie seine Kiefermuskulatur arbeitete – okay, der Songtext schien von der ungewöhnlichen Sorte zu sein, doch der Hut sang unbeirrt weiter.

 

Man würde nach dem Blut uns sortieren

wie einen wilden Drachenstamm.

Wir sprängen, wenn seine Leute marschieren,

vom Schemel und stünden stramm.

 

Wenn er den Krieg gewonnen hätte,

dann wären wir ein stolzer Staat,

und pressten noch in unseren Betten

die Hände an die Hosennaht.

 

Die Frauen müssten Zauberer werfen,

ein Kind im Jahr. Oder Haft.

Der Dunkle Lord braucht Kinder als Konserven

und Blut schmeckt ihm wie Kürbissaft.

 

Einige der anwesenden Personen senkten bei dieser Strophe ihre Becher, ein Junge am Ravenclaw Tisch spuckte in diesem Moment sogar orangefarbene Flüssigkeit zurück in seinen Trinkkelch.

 

Wenn er den Krieg gewonnen hätte,

dann wäre jedermann gebrannt mit seinem Mal,

ein Volk gepfercht in seiner Fertigungsstätte

der freie Wille nichts mehr als ein Grabmal.

 

Doch zurück zu meiner eigentlichen Bestimmung,

mich auf eure Köpfe zu setzen

und dort zu erkennen eure wahre Gesinnung,

und dabei solltet ihr mich nicht hetzen.

 

Denn auch wenn ich bin der schlauste aller Hüte,

sitze ich nun schon tausende von Jahren lang,

auf einem Brette und bin so nicht in vollster Blüte,

wenn freilich dies kein Grund ist zu sein Angst und Bang.

 

Drum lasset uns beginnen mit der Häuserwahl,

Es gibt vier von ihnen, wie ihr sicher wisst

und keines davon wird am Ende sein in der Unterzahl,

soweit man zählen kann und daran misst.

 

Beginnen wir mit den Schwarz und Gelben,

die nicht selten hervorbringen einen wahren Helden.

Das Haus Hufflepuff steht für Gerechtigkeit und Treue,

wenn zugleich auch ein wenig gespickt mit Scheue.

 

Von einem Kreuz- auf einen Paarreim und das in einem fortlaufenden Text – Lucianas alte Deutschlehrerin hätte ihr für so ein Unding gleich die Daumenschrauben angelegt.

 

Weiter geht es mit Ravenclaw, den ganz Schlauen,

doch kann man allen von ihnen wirklich trauen?

 

An dem Ravenclaw-Tisch brach lautes Gemurmel los, einer der Schülerinnen war sogar aufgestanden, um den alten Hut besser mit ihrem Todesblick aufzuspießen – dieser zeigte sich übrigens unbeeindruckt.

 

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist es so einfach nicht,

entspringt doch jedem Haus der ein oder andere Wicht.

 

Was mich bringt zu den Leuten von Gryffindor,

haben es einige von ihnen ganz faustdick hinterm Ohr.

Denn wäre ohne einen von ihnen,

der Dunkle Lord nicht wieder auf der Bildfläche erschienen.

 

Nun war es wohl an ihren eigenen Hauskameraden, sich auf den imaginären Schlips getreten zu fühlen, wobei die meisten von ihnen nur verwirrte Gesichter machten. Luciana allerdings kannte die Geschichte von Peter Pettigrew, die ihr Black aus erster Hand erzählt hatte, wie auch das Goldene Trio, von dem Potter in diesem Augenblick aussah wie ein getretener Hundewelpe.

 

Und nun zu den Letzten, den der Rest stets meidet und verschmäht,

somit ganz von Beginn nur Hass und Zwietracht wird gesät.

Die Zauberer und Hexen von Slytherin,

dem Haus wo du alleine findest deine wahren Freunde, mittendrin.

 

Ich habe euch gewarnt, im letzten Jahr,

vor der herbeieilenden Gefahr,

und niemand, oder nur wenig,

haben sich einen Gedanken dazu genehmigt.

 

So fahrt fort wie ihr es gewohnt,

auch wenn ich euch sage, dass es sich lohnt,

die unsichtbaren Mauern der Häuser zu überwinden,

damit jeder kann finden,

Klugheit, Tapferkeit und Treue,

wie auch List und wahre Freundschaft, ohne Scheue.

 

Nun setzt mich auf,

zum ersten Prüfanlauf.

 

     „Na das nenn ich mal nen ordentlichen Rundumschlag“, kommentierte Luciana und stimmte in das zaghafte Klatschen ihrer Mitschüler ein, allerdings mit etwas mehr Begeisterung. „Scheint der Hut nicht häufig zu machen?“

     Granger schüttelte, mit etwas Verspätung, ihren Schopf und lehnte sich dann über den Tisch, um nicht zu sehr die Stimme heben zu müssen.

     „Letztes Jahr hat er schon eine Warnung ausgesprochen, aber die war bei weitem nicht so klar wie heute.“

     Vorne war McGonagall, nach einem sehr interessanten Blickaustausch mit Dumbledore, dazu übergangen, die Namen der Erstklässler in alphabetischer Reihenfolge aufzurufen, wobei die Schüler sich wenig begeistert zeigten, den Hut, der gerade eben noch vom Dunklen Lord geträllert hatte, auch nur in die Nähe ihrer Häupter zu lassen.

     Da sich die eigentliche Auswahlzeremonie nach sehr kurzer Zeit als ein sehr langweiliges Ereignis herausstellte, indem ein Schüler nach dem anderen auf dem Dreibeinstuhl Platz nahm und den Hut aufgesetzt bekam, der daraufhin sofort, oder teilweise erst nach Minuten der Stille, das jeweilige Haus in den Saal rief, ging Luciana schnell dazu über, ihre Umgebung zu inspizieren.

     In der Halle war nach dem Lied noch immer nicht vollkommene Ruhe eingekehrt, dabei verhielten sich die Unterhaltungen allerdings so dezent, dass es Dumbledore anscheinend nicht für nötig hielt einzugreifen. Tatsächlich saß der alte Zauberer an seinem Platz und sah selbst danach aus, mit seinen Gedanken nicht voll bei der Zeremonie vor seiner Nase zu sein. Über die Ferien hinweg schienen seine Falten ein wenig mehr ausgeprägt, die Haut in seinem Gesicht, zumindest den Teil, den man bei all dem Bart noch erkennen konnte, wirkte eine Spur blasser und auch seine Augen machten einen müden Eindruck. Luciana hoffte inständig, dass der Mann noch bei genügend Verstand war, die Mauritius nicht ständig bei sich zu tragen, oder sich zu viel mit dem Gegenstand zu beschäftigen, obwohl sein Anblick genau auf diesen Umstand hindeutete. Snape hingegen hatte seine übliche Miene der absoluten Undeutbarkeit aufgesetzt, dabei wandte er nicht einmal die Augen von dem Stuhl mit dem Sprechenden Hut ab.

     „Scrimgeour, Conrad“, rief McGonagall im nächsten Augenblick und alleine das schien auszureichen, um wieder vollkommene Ruhe in die Halle zu bekommen.

     „Das ist Rufus Scrimgeours Sohn“, bemerkte Dean Thomas, der gleich neben Ronald saß und seinen Hals für eine bessere Aussicht auf den schwarzhaarigen Jungen streckte.

     „Das erklärt all die Auroren im Schloss“, sagte Ronald, doch Luciana wagte es stark zu bezweifeln, dass der Personenschutz nur dem Sohn des Zaubereiministers galt. Daher hatte sie übrigens den Namen gekannt – sie sollte wirklich an ihrem Namensgedächtnis arbeiten, gerade was bekannte Persönlichkeiten in der magischen Welt anbelangte.

     „Slytherin!“, verkündete der Sprechende Hut über seine aufgerissene Krempe, keine Minute, nachdem er auf den Kopf des Jungen gesetzt worden war.

     „Oh, das wird seinem Dad aber gar nicht schmecken“, sagte Ronald und verzog sein Gesicht, Dean und Longbottom nickten ihn zustimmend an. Die Reihe der Erstklässler hatte sich mittlerweile stark verkürzt und nachdem auch das letzte kleine Mädchen dem Haus Gryffindor zugeordnet war, stand der Schulleiter von seinem Platz auf. Währenddessen räumte McG den Stuhl plus Hut, der wieder in seinen Starr-Modus übergegangen war, an die Seite des Lehrertisches und nahm dann ihren Platz neben Snape ein.

     „Willkommen zurück in Hogwarts an unsere Alten, ein Willkommen auch an unsere ganz Neuen“, verkündete Dumbledore mit ausgebreiteten Armen, während Luciana mal wieder damit abgelenkt gewesen war, Gespräche zwischen dem Tränkeprofessor und ihrer Hauslehrerin zu beobachten. „Bevor wir uns dem Schlemmen hingeben, hier ein zwei Dinge, die ich nicht gedenke, auf eure vollen Mägen zu packen …“ An dieser Stelle legte der Schulleiter eine kurze Pause ein und senkte seine Arme. „Wie ihr vielleicht schon gesehen habt, haben wir heute ein paar Gäste unter uns, die wir dieses Jahr beherbergen werden.“ Damit deutete er in Richtung der Männer an der Tür. „Der Zaubereiminister versicherte mir, seine Mitarbeiter der Aurorenzentrale würden unseren Alltag nicht beeinflussen, wenn auch gleich ich euch dazu aufrufen muss, das Schlossgelände unter keinen Umständen ohne Erlaubnis zu verlassen.“ Na klasse. Mit einem genervten Seufzen sackte Luciana ein Stück weiter unter die Bank – so viel dazu, bei Volljährigkeit etwas mehr Freiheiten genießen zu können. „Nun würde ich zwar gerne zu einem etwas erfreulicheren Thema kommen, allerdings –„

     RUMMS

     „Ey sorry, hab ich dich getroff’n?“ Hunderte von Köpfen wandten sich von dem Lehrertisch zum Eingang, dessen zwei Flügeltüren gerade aufgesprungen waren – eine davon anscheinend direkt in das Gesicht einer der Auroren, der sich jetzt mit beiden Händen die stark blutende Nase hielt. „Jetzt halt doch ma still, Mann!“ Hatte Snape sie in der letzten Nacht ein paar Mal zu oft gegen das Kopfteil des Bettes gevögelt, oder wieso sah sie Johnny am Anfang der Großen Halle stehen, mit seinem sichtbar mitgenommenen Zauberstab in der Hand, wie er gerade vor dem Gesicht des Mannes herumfuchtelte?

     „Episkey“ Das folgende Krachen war noch am andern Ende des Saals zu  hören, doch der Auror schien wieder alle Nasenknochen an Ort und Stelle gerückt zu haben. Mit einem ordentlichen Klapsen gegen die Schulter des Mannes setzte Johnny seinen Weg fort, der ihn offenbar Richtung Lehrertisch führte – Lucianas Mund stand mittlerweile halb offen, das Gesicht überfüllt von Fragezeichen und egal wie sehr sie in ihrem Hirn herumwühlte, keines der Gespräche oder ihre Erinnerungen der letzten Wochen wollten ihr die Frage beantworten, was der Kerl hier zu suchen hatte.

     „Voll der Massencrash auffa A Vierzig“, rief Johnny Dumbledore entgegen und griff den Gurt seines Seesacks nach – am Hufflepuff Tisch begann das erste weibliche Kichern und aus der Ravenclaw Fraktion reckten sich schon ein paar Mädchenköpfe in den Mittelgang hinein, wohl um eine bessere Perspektive auf das Hinterteil des jungen Mannes zu erhaschen (selbstverständlich hatte sich der Herr seine engste Levi’s für diesen Auftritt aus dem Schrank geangelt, totale Berechnung, wie sie aus Erfahrung sagen konnte). Luciana schwankte irgendwo zwischen Schnappatmung und Augenrollen und wären das nicht schon genügend Gründe, die Stirn vor sich mit der Tischplatte zu kombinieren, lehnte sich Lavender Brown in die Runde –

     „Merlins Eier, gibt es männliche Veela, weiß das wer, der muss doch –„

     „Nein, gibt es nicht“, unterbrach sie Granger, wobei selbst diese nicht die Augen von Johnny nahm (Ronald verzog sich mit verschränkten Armen und Schmollgesicht auf seinen Platz), der mittlerweile bis zum Schulleiter gekommen war, ihn mit einer herzlichen Umarmung begrüßte und oben auf zwei Schmatzer rechts und links an ihn verteilte.

     „ChrmChrm“, Lucianas Kopf vollführte beinahe augenblicklich eine hundertachtziggrad Achterbahnfahrt, das Räuspern war aber wirklich von dem Schulleiter gekommen – der Johnny mit einem leichten Schmunzeln hinterher schaute, bis dieser neben Snape den einzig freien Stuhl einnahm. Oha. Snape. Mh, mit der tadellosen Körperhaltung hätte Kim Jong-Il ihn mit Kusshand in seine jährliche Marschparade aufgenommen und hätte sein linkes Augenlid nicht wie wild gezuckt, wäre er zudem glatt als Wachsfigur durchgegangen.

     „Wo war ich?“, fragte Dumbledore mit nicht ganz so lauter Stimme, wie vor ein paar Minuten und korrigierte den Sitz seines Spitzhutes. Luciana hätte schwören können, dass er mehr Farbe im Gesicht hatte, als gerade eben noch. „Das erfreulichere Thema, ja, ganz recht – dieses Jahr dürfen wir Professor Jonathan für den Posten der Verteidigung der Dunklen Künste bei uns begrüßen.“

      Wahrscheinlich hätte es bei so ziemlich jedem Nachfolger von ES einen ordentlichen Applaus gegeben, allerdings bezweifelte sie, dass darunter auch Pfeifkonzerte zu hören gewesen wären (der anzüglichen Art und Weise). Johnny winkte mit einem lasziven Halbgrinsen vom Tisch herunter und als er dabei Luciana erblickte, formte er aus Zeige- und Mittelfinger ein Victory-Zeichen. Auf ihr stummes ‚Was zur Hölle‘ wandte er einfach den Blick ab. Im nächsten Moment läutete Dumbledore auch schon das Festessen ein, worauf keine zwei Sekunden später alle Tische gerammelt voll mit Platten von dampfenden Braten, heißem Gemüse, Saucen und Beilagen waren.

     So vielfältig die Auswahl an Essen auch sein mochte, so karg fiel das Angebot bei den Getränken aus. Es gab Krüge voller Säfte und Karaffen klaren, stillen Wassers, aber nach den letzten vierundzwanzig Stunden, war dies mehr als ungenügend. Sie hätte einiges darum gegeben, nur um für diesen Abend das Privileg der Herrschaften dort oben am Lehrertisch zu teilen und anstatt sich mit dieser Kürbissaftpanscherei abfinden zu müssen, einen ordentlichen Rotwein hinter die Binde kippen zu können. Zumal dieses Gebräu abartig sü- im Ansatz feinnervig auf ihrer Zunge prickelte, die Textur fruchtig schmeckte, die Flüssigkeit eine milde Säure hatte, die Struktur präsent war und das Ganze einen mittellangen, floralen Abgang nahm. Luciana blickte perplex in ihren Kelch, in dem sie herrlich dunkelrotes Nass ausmachen konnte, das vor ein paar Sekunden ganz sicher nicht der Inhalt gewesen war. Ein Blick nach rechts und schon sah sie Johnny, wie er ihr grinsend zuprostete, wobei er aus dem Augenwinkel nicht für eine kleine Bewegung von seinem Sitznachbar außer Augen gelassen wurde. Zur Krönung schien Snape auch noch der Appetit vergangen zu sein, denn auf seinem Teller konnte sie nicht einen Krümel erspähen. Als sich sein und ihr Blick zum ersten Mal an diesem Abend trafen, bekam sie einen bitterbösen zu spüren, ganz, als sei es ihr höchstpersönlich zu verdanken, wen er da keine zwanzig Zentimeter von sich entfernt zu ertragen hatte. Er schien sich dazu recht wenig davon beeindrucken zu lassen, dass sie nur hilflos die Schultern hob, zum Zeichen wie wenig sie selbst darüber informiert gewesen war, wer da die freie Stelle des Verteidigungspostens übernehmen würde und schon brach er mit bebenden Nasenflügeln den Blickkontakt ab. Was sie nur doppelt dankbar für den Getränkewechsel machte und dieser Wein hatte umdrehungstechnisch einiges zu bieten.

     Nach drei kräftigen Schlucken spürte sie schon ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen – kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie das letzte Mal am Morgen Nahrung zu sich genommen hatte. In der Zeit, wo sie sich Kartoffelpüree und Broccoli auf den Teller lud, wechselten die meisten Gespräche um sie herum wieder zu den Geschehnissen im Ministerium vor den Ferien, aka die offizielle Rückkehr des Schwarzen Führers. Selbst der Hausgeist von Gryffindor mischte mit – und machte einmal mehr klar, dass sich sowohl Potter, als auch alle anderen, direkten Beteiligten, noch immer in Schweigen hüllten, was den genauen Ablauf dieses bestimmten Abends anbelangte. Und schon ging es weiter mit den Beschwerden über die restlichen, ahnungsfreien Mitschüler, die es gewagt hatten sowohl schon im Hogwarts-Express, als auch auf dem Weg bis zu diesem Festessen, mit unangenehmen Fragen um die Ecke gekommen zu sein. Vor allem Granger schien höchst verärgert über diese Tatsache und das alles von den drei Personen, die keine Gelegenheit ausließen ihre eigenen Nasen tief in Angelegenheiten zu graben, welche sie einen feuchten Dreck angingen. Mal davon abgesehen, dass die ganze Ministeriums-Misere allein nur dadurch zu Stande gekommen war, weil Potter mal wieder gemeint hatte, den Superhelden herauskehren zu müssen – ohne Superkräfte oder Gadgets, versteht sich.

     „Warum erzählt ihr irgendwann die nächsten Tage im Gemeinschaftsraum nicht einmal ausführlich, was im Ministerium wirklich passiert ist?“, fragte Luciana in die Runde, nachdem der Fast Kopflose Nick versichert hatte, er würde nicht für Tratschereien unter den anderen Geistern dem ‚Auserwählten‘ auf den Wecker fallen, bloß um an ein paar Informationen aus erster Hand zu kommen. Granger rümpfte daraufhin die Nase und sah sie mit einem Blick an, als würde sie an Lucianas Verstand zweifeln.

     „Ich glaube nicht, dass Harry diesen Abend noch einmal durchleben will und was geht es die anderen an?“

     Luciana knallte geräuschvoll ihre Gabel auf den Teller und fixierte Granger über den Tisch hinweg.

     „Erstmal“, begann sie langsam und betont kontrolliert, „ist davon auszugehen, dass Harry diesen Abend so oder so immer wieder ‚durchlebt‘, wie du so schön sagst“, zumindest hatte das Black nach einer Ordenssitzung erwähnt und da Potter gerade sehr betreten auf seinen Teller sah, schien es der Wahrheit zu entsprechen. „Dazu kommen all die Gerüchte und Falschinformationen, die seit Juni die Runde machen und bei denen es garantiert angebracht wäre, sie richtigzustellen – oder wollt ihr euch lieber weiter über die anderen die Mäuler zerreißen, weil sie es nicht besser wissen und somit Mist verbreiten?“ Granger setzte empört zum Sprechen an, doch Luciana ließ sie nicht zu Wort kommen. „Und zum Thema ‚was geht es die anderen an‘: Ich weiß nicht, wie weit du deinen Schädel in den eigenen Arsch verfrachtet hast, aber wenn du dich mal umsiehst, wirst du ganz schnell feststellen, dass ihr umgeben seid von Leuten, die verdammt beschissene Ferien hinter sich haben, da“, sie deutete auf den Hufflepuff Tisch, „Abbotts Mutter ist vor zwei Wochen vor der eigenen Tür entführt worden, bislang fehlt jeder Spur von ihr, da drei Plätze weiter – seine große Schwester ist Anfang August zwischen eine Lieferung Flohpulver und eine Bande Todesser geraten, sie wird wohl nie wieder laufen können. Mit der Aufzählung kann ich bis zur Sperrstunde weiter machen“, denn im Gegensatz zu Snapes Behauptungen, hatte sie den Tagespropheten sehr wohl mit viel Aufmerksamkeit studiert. „Ganz nebenbei bemerkt sitzen die Hälfte der Eltern oder andere Verwandte der Slytherins entweder in Untersuchungshaft, was so langsam den Eindruck von einem Generalverdacht aufkommen lässt, oder sie verrotten in Askaban, wenn sie nicht auf der Flucht sind.“

     Das brachte Potter auf den Plan, dessen Miene etwas verdammt Wütendes angenommen hatte. Sie konnte sich sehr gut denken, was er darauf erwidern wollen würde. „Und anstatt so arrogant zu sein und das mit einem ‚selber Schuld‘ abzutun, solltet ihr euch mal fünf Minuten Zeit nehmen und euch in ihre Lage versetzen – die Familie zerrissen, der Rest der Welt stempelt euch als Schwerverbrecher ab, bevor ihr auch nur irgendetwas Falsches getan habt und auf Verständnis von euren Mitmenschen könnt ihr lange warten. Es wird nicht jeder als ‚Auserwählter‘ geboren, Potter … diese Lage, in der wir uns befinden, geht jeden etwas an!“ Jetzt hatte sie sich so in Rage geredet, dass ihr sogar der Hals schmerzte, dabei hatte sie gar nicht vorgehabt, derart laut zu werden. Unter Potter, Granger und Ronald hatte sich Schweigen ausgebreitet, inklusive betretene Gesichter. Erst jetzt fiel Luciana auf, dass es in der gesamten Großen Halle verdächtig still geworden war – von irgendwo am Hufflepuff Tisch hörte sie ein Räuspern und drüben bei den Slytherins vergrub eine braunhaarige Zweitklässlerin ihr verweintes Gesicht in der Schulter ihrer Sitznachbarin.

     Für eine Millisekunde bereute sie es, überhaupt ihre Meinung gesagt zu haben, doch als ihr Blick den von Malfoy Junior streifte und dieser ihr leicht zunickte, war ihr das Bestätigung genug für den Umstand, dass diese Ansage längst überfällig gewesen war.

     Dumbledore erhob sich kurz darauf von seinem Platz, wohl um die günstige Gelegenheit der eingekehrten Ruhe zu nutzen oder weil er mit seiner folgenden Rede sowieso im weitesten Sinn am Thema anknüpfte – eigentlich war es ihr gleich. Luciana verzog sich mit düsterer Stimmung auf ihren Sitzplatz, soweit dies bei der lehnenlosen Bank möglich war, prostete Johnny beiläufig dankend zu, da sie ihren Kelch wieder randvoll mit Wein vom Lehrertisch vorfand und schenkte dem folgenden Redeschwall des Schulleiters wenig Beachtung. Er schien ohnehin nur von Quidditch und den üblichen Warnungen zu faseln, mit denen ihr Snape und der gesamte Orden schon seit Wochen in den Ohren lagen und dass dieses Jahr rein bewegungsfreiheitstechnisch kein Zuckerschlecken sein würde, hatte sie schon beim Anblick der anwesenden Auroren und seiner ersten Ansprache schlussfolgern können. Zudem hatte sie es ganz offensichtlich wieder einmal vollbracht, sich gleich am ersten Tag in der Gunst ihrer Hauskameraden in ungeahnte Tiefen katapultiert zu haben. Oder zumindest beim Goldenen Trio.

     Erst nachdem auch der letzte Teller des Nachtisches von allen vier Haustischen durch Zauberhand verschwunden war und Dumbledore ihnen allen eine gute Nacht gewünscht hatte, war es ihnen erlaubt, endlich den Saal verlassen und die Schlafsäle aufsuchen zu können. Da Luciana zu den ersten gehörte, die den Ausgang erreichten und sich ohne Umschweife Richtung Gryffindorturm bewegte, ergab sich für sie die Gelegenheit, gleich auf diesem Weg ungestört und vor allem ungesehen eine Zigarette in einem der Gänge zu rauchen – zwar würde sie morgen ohne jeden Zweifel von einem gewissen Geist einen kräftigen Rüffel dafür bekommen, es versäumt zu haben, auf einer bestimmten Damentoilette im zweiten Stock einen Stopp einzulegen, aber sie wollte nach diesem Abend einfach nur noch in ihre kleinen, eigenen vier Wände (die sie sich letztes Jahr hatte hart erkämpfen müssen), ohne dabei dutzende von Hauskameraden im Gemeinschaftsraum begegnen zu müssen. Am Ende musste sie sich zwar gedulden, bis Ronald (der Vertrauensschüler war) vor dem Portrait der Fetten Dame auftauchte und ihr das Passwort (Muscida) verraten konnte, aber den freien Weg bis zu ihrem Zimmer bekam sie trotzdem.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Am nächsten Morgen erwachte Luciana, noch bevor die Sonne ganz über den Bergen des schottischen Hochlands aufgestiegen war. Ein wenig Zeit verbrachte sie damit, den Klamottenberg aus ihrem Koffer notdürftig in die leeren Schubladen der Kommode zu verstauen und bei dieser Gelegenheit ein kleines Pläuschchen mit Roger zu halten, dem Spiegel, der auf benanntem Möbelstück stand und nach wochenlanger Leere im Schloss einen schier endlosen Nachholbedarf an Kommunikation zu haben schien. Dasselbe Bild fand sie beim zweiten Schlossbewohner vor, den man nicht wirklich in die Kategorie ‚lebendig‘ einordnen konnte – die Maulende Myrte war ihr schon auf dem Treppenabsatz des Ganges entgegen geflogen, in dem ihre ewigen Jagdgründe, oder besser gesagt, ihr Todesschauplatz lag und dabei hatte sie ein ohrenbetäubendes Kreischkonzert abgeliefert (zu Lucianas Glück der Art ‚Freude‘ und nicht Unmut darüber, dass sie schon über zwölf Stunden zurück war, ohne auf eine Zigarettenlänge bei ihr vorbei geschaut zu haben) und ließ sie erst nach einer, ihrer Auffassung nach, ausreichenden Berichterstattung über die ‚Welt da draußen‘ wieder weiterziehen.

     Trotz dieses schier endlosen Frage und Antwortspielchens, bei dem sie so ziemlich alle erwähnenswerten Ereignisse der letzten Wochen ausgelassen hatte (sie hatte keine Ahnung wie vertrauenswürdig Geister waren, vor allem solche der Sorte Maulende Myrte und sie war nicht scharf darauf, es herauszufinden), fand sie die Große Halle beinahe wie ausgestorben vor. Nun ja, es konnte nicht später als halb acht sein und der Unterricht würde nicht vor neun beginnen. Im Vorbeilaufen schnappte sich Luciana mit automatischem Handgriff eine leere Tasse vom Gryffindortisch und zog weiter zum Ende des Saals, dessen Lehrerpodium gerade nur von drei Personen besetzt war.

     „Du bekommst es auf die Kette die Anschrift deines Abos zu ändern, aber mir in den letzten Wochen mal stecken, dass du eine neue Nebenbeschäftigung hast, fällt dir nicht ein?“ Luciana setzte geräuschvoll die Tasse auf der Tischplatte ab und wartete ungeduldig, bis das Schundblatt des Jahrhunderts ihrem Blickfeld wich und das Gesicht von Johnny dahinter erschien.

     „Gab sollte nich Lunte riech’n“, gab dieser zum Besten und das mit einem besonders amerikanisch lastigen Akzent, welcher am frühen Morgen immer sehr ausgeprägt bei ihm war. Dass Snape (der die große Sitzauswahl anscheinend dazu genutzt hatte, seinen Stammplatz aufzugeben, um nicht direkt neben der neuen Lehrkraft sitzen zu müssen), ihre Unterhaltung aus dem Augenwinkel hinter seiner eigenen Tageszeitung genauestens beobachtete, entging ihr übrigens nicht. Genauso wenig sein finsterer Blick, als Johnny den Job übernahm, den Snape über das gesamte letzte Jahr hatte (vollkommen aufgezwungen und unter ausdrücklicher Anordnung des Schulleiters, aber das schien für ihn gerade nebensächlich) und ihr unaufgefordert Kaffee einschüttete.

     „Jetzt sag nicht du hast einfach die Koffer gepackt und bist gegangen, ohne Bescheid zu sagen?“, fragte Luciana perplex und nippte an ihrer Tasse.

     „Ach, das fällt ihm ers‘ morg’n auf, mit n‘ bissl Glück übermorg‘n.“

     Sie rief sich im Geiste dazu auf, ihr Handy bei der nächsten Gelegenheit gleich auf stumm zu schalten, bevor sie auch nur zehn Prozent des Shitstorms abbekommen konnte, der mit absoluter Sicherheit folgen würde. 

     „Ey, ich muss dir nach’m Untrricht sowas von meine Butze zeig’n“, sagte Johnny dann voller Begeisterung, damit war das Thema Gabriel wohl für ihn beendet. „Die Wanne hat was von nem abartig geilem Eierkocher und-„

     „Wären Sie so gütig“, schnarrte auch schon Snapes Stimme zu ihnen herüber, er nahm gerade sogar den Tagespropheten aus seinem Sichtfeld, um sie besser mit genervter Miene ansehen zu können, „Ihre Privatgespräche anderswo zu führen, es gibt Personen, die ihren Tag vorzugsweise ohne belangloses Geschnatter beginnen wollen.“

     „Klar Sev“, sagte Johnny, schnappte sich sein Schundblatt und die Tasse vor seiner Nase und sprang auf – währenddessen starrte Luciana mit geweiteten Augen zwischen ihm und dem Tränkemeister hin und her.

     „Nennen“, begann Snape gefährlich leise, die Zeitungsseiten zwischen seinen Finger zerknitterten unter seinem Griff, „Sie mich nie wieder –„

     „Wünsch dir was, Großer“, damit verpasste Johnny ihm im Vorbeilaufen einen Klaps auf die Schulter - Luciana machte blitzschnell auf dem Absatz kehrt und legte einen Zahn zu, um sich schnellstmöglich aus der Schusslinie zu entfernen. Einen Augenblick später war Johnny an ihrer Seite und erst als sie die Eingangshalle erreicht hatten, da er vorgeschlagen hatte, im Vorhof eine Zigarette zu rauchen, lehnte er sich etwas zu ihr herunter.

     „Da is aber jemand mit’m verkorkst’n Fuß aufgestand’n.“ Lucianas darauffolgendes Lachen verhallte erst, nachdem sie ins Freie getreten waren, dann kommentierte sie atemlos: „Du hast nicht den blassesten Schimmer!“    

 

Drei Strikes

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Die Drill-Brauerei

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Die Herumtreiber

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Phantomschmerz

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Schmerzgrenze

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Operation Hellraiser

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Das Nest

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Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

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Draco in Not

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Lehrjahre sind keine Herrenjahre

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Irrsein ist menschlich

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Überstunden für alle

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Taten sprechen lauter als Worte

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Sicherheitsprotokoll K-107

Sicherheitsprotokoll K-107

 

Am nächsten Tag verließ Luciana nach nur vier Stunden Schlaf frisch und ausgeruht mit einem Lächeln im Gesicht das geliehene Bett und wäre das nicht schon uncharakteristisch genug, übernahm sie höchstpersönlich den Job das Frühstück vorzubereiten und eine gewaltige Ladung Rühreier für die gesamte Weasley-Black-Potter-Lupin-Meute zu braten (vorsorglich, außer ihr und Remus hatte sich noch niemand in der Küche blicken lassen und Mrs Weasley war außer Haus, die Vorräte aufstocken). Das alleine hätte vielleicht nicht ausgereicht, Remus misstrauisch werden zu lassen, doch nachdem sie Mr Werwolf-Schnüffler summend einen Becher Schwarztee vor die Nase gestellt und zurück zu der brutzelnden Pfanne getänzelt war, schien dies zu viel des Guten.

     „Du warst heute Nacht eine ganze Weile verschwunden“, stellte er fest. „Warst du wieder in Soho unterwegs?“ Wie vorletzte Woche, nachdem es einer der Patienten im St.-Mungo vollbracht hatte, seinen instabilen Darm auf gleich zwei defekte Bettpfannen zu verteilen und sie um eins in der Früh spontan beschlossen hatte, für eine Kneipentour auf Schlaf zu pfeifen (glücklicherweise hatte sie einen Anti-Kater Trank in ihrem Gepäck gehabt).

     „Ehm, nein, wie kommst du darauf?“, fragte sie verwirrt und verteilte einen Teil des Rühreis auf zwei Teller.

     „Deine gute Laune. Um acht Uhr in der Früh, wo du doch normalerweise wenigstens zwei Stunden länger schläfst, wenn du keinen Unterricht hast. So verhältst du dich nur, wenn du durchgefeiert hast, dabei jemanden kennengelernt hast und mit ihm …“

     „Mit ihm was?“

     Luciana stellte Remus das Frühstück vor die Nase und nahm selbst gegenüber von ihm Platz – natürlich wusste sie ganz genau, wovon er sprach, aber es war einfach viel zu amüsant beobachten zu können, wie ihm die Ohren puterrot anliefen und er verlegen auf seinem Teller herumstocherte – und als kleiner Bonus lenkte ihn das vom eigentlichen Thema ab.

     „Du weißt schon.“

     „Nein, wirklich, ich habe keine Ahnung wovon du sprichst“, säuselte sie scheinheilig.

     „Hör auf dich lustig zu machen.“

     „Was, wie, ich?“

     Remus warf ihr einen bitterbösen Blick zu (für seine Verhältnisse, bei Snape wäre dieser äquivalent zu neutral-Gucken mit leichtem Hauch von Verstimmung gewesen) und schaufelte sich die erste Ladung Rührei in den Mund.

     „Wieso sollte ich mich auch lustig machen, über einem Mann von sechsunddreißig, der das Wort Sex nicht in den Mund nehmen kann. Und das bei all den Dingen, die du sonst so in den Mund nimmst.“ Uuuups, da war wohl ein wenig Ei in der Luftröhre des Herrn gelandet. „Ich sollte ein ernsthaftes Wort mit Dumbledore sprechen“, sagte sie dann und griff selbst nach ihrer Gabel, „bei dem Aufstand, den ihr alle macht, wenn es um das Eine geht. Ein wenig Sexualkunde hätte der Stundenplan in Hogwarts wirklich bitternötig.“ Remus nahm ein paar Schlucke Tee, hustete noch einmal ausgiebig und schüttelte darauf missmutig den Kopf.

     „Ich weiß nicht, ob das andere Extrem besser ist. Der Doktor hätte dir nicht mit fünf Jahren einen … Erotikfilm vorsetzen müssen.“

     „Mit sechs und es waren Aufklärungsdokumentationen, für die Lattenkrimis war Johnny zuständig.“

     „Luciana!“

     „Also unfreiwillig, als Kind geht man überall ran, wo Minimi-Griffel verboten draufsteht. Außerdem ist die Chantal-Reihe nicht gerade das realistischste Beispiel, wenn es um die Ausdauer eines Mannes geht, oder den Würgerefle-“

     „Luciana!!“

     „Siehste, total verkappt, allesamt. Also da braucht sich wirklich niemand wundern, wenn die ein oder andere ungewollte Schwangerschaft vorkommt, Dumbledore sollte wirklich –„

     „Moment!“, warf Remus ein und hob seine Hand. „Du lenkst vom Thema ab.“ Luciana schaute ihn mit kugelrunden Augen an, doch zu bluffen schien keinerlei Wirkung zu zeigen. „Du warst nicht unterwegs und nicht im Bett, also, woher kommt die gute Laune?“

     Sie betrachtete schweigend das Essen auf ihrem Teller und lauschte angestrengt nach potenziell nahenden Schritten irgendeines Hausbewohners, der Remus davon abhalten könnte, sie auszuhorchen. Fehlanzeige – Unterbrechungen schien es nur zu geben, wenn sie diese ganz und gar nicht gebrauchen konnte.

     „Ist Severus hier gewesen?“ Das Lametta über der Küchenzeile schien plötzlich eine unglaubliche Faszination auf sie auszuüben. „Aha. Mit anderen Worten, der Spruch mit dem ‚Beine breitmachen‘ ist vergeben und vergessen?“

     „Und plötzlich ist die Prüderie wie verflogen“, knurrte Luciana und warf ihm einen scharfen Blick zu.

     „Ich hatte den Eindruck bekommen, dass dir seine Worte entfallen sein könnten – dabei halte ich es für sehr wichtig, dass dies auf keinen Fall geschieht.“ Remus sah sie durchdringend an – sie hielt den Augenkontakt keine drei Sekunden aufrecht.

     „Es ist mir nicht ‚entfallen‘ und du brauchst mich ganz sicher nicht wieder daran erinnern, danke.“

     Remus seufzte, fuhr sich mit seiner Hand durch das Haar (dabei verteilte er ein wenig Rührei in den vordersten Strähnen) und schien abzuwägen, welche Strategie er nun verfolgen sollte. Wahrscheinlich mit dem Ziel, sie möglichst fern von Snape zu halten, immerhin war er ganz offensichtlich kein großer Fan von ihrer … ‚Sache‘.

     „Erzähl schon, was ist passiert?“ Luciana sah ihn skeptisch an und machte keine Anstalten, ihren Mund zu öffnen. „Du bist noch mindestens drei Tage mit mir in diesem Haus und ich werde keine Ruhe geben, bis du mir davon erzählst hast.“

     Dabei hatte Black den Kerl letztens erst gelobt, weil Remus einem angeblich ‚Freiraum‘ gab und seine Mitmenschen nicht zum Reden drängen würde … Noch immer niemand, der die Küche betrat und diese Unterhaltung im Keim ersticken könnte, dazu ein Versprechen, dass er garantiert halten würde – für einen kurzen Augenblick überlegte sie, die Vorkommnisse etwas zu beschönigen, ein paar Dinge wegzulassen oder ganz anders darzustellen, doch am Ende blieb sie bei der Wahrheit. Sie verschwieg ihm nicht einmal den ‚Strategiewechsel‘ oder die totale Berechnung ihrer ‚Anmachaktion‘ und auch wenn Remus an den meisten Stellen ungläubig den Kopf schüttelte, stahl sich hier und da ein Grinsen auf seine Lippen. Bis sie zu der Aktion am Mistelzweig kam, da fing er schallend an zu lachen.

     „Er kann einem fast leidtun“, kicherte er und strich ein wenig überschüssige Tränenflüssigkeit aus seinen Augenwinkeln. „Fast, wenn man sich als Lehrer auf eine seiner Schüleri-„

     „Jedenfalls haben wir uns darauf geeinigt, das Gespräch ein anderes Mal zu führen“, unterbrach sie ihn und plötzlich war jegliches Amüsement aus seinem Gesicht gewichen.

     „Du hast nicht vor, das zwischen euch zu beenden“, stellte er nach einem Moment des Grübelns fest.

     „Pff“, machte sie abfällig, „um etwas zu beenden müsste erst einmal was laufen. Wir haben jetzt beinahe vier Monate die Finger voneinander gelassen und die paar Male davor …“ Luciana zuckte mit den Schultern und schob mit der Gabel das bereits erkaltete Rührei von einer Seite zur anderen. „Wenn ich eins in dem letzten Jahr gelernt habe, dann, das Snape das eine sagt und das andere tut, zumindest was die ‚Sache‘ zwischen ihm und mir betrifft. Und das hat mich genug Nerven gekostet. Also wieso nicht ein paar Rahmenbedingungen festlegen, Spaß miteinander haben und sich wie zwei erwachsene Menschen verhalten?“

     „Spaß miteinander haben?“ Remus verzog sein Gesicht, ganz als ob das mit Snape ein Ding der Unmöglichkeit sei. Nun ja, verständlich, wenn man noch nicht in den Genuss gekommen war, den Herren mit heruntergelassener Hose in Aktion erlebt zu haben. „Du willst das laufen lassen, wie deine sonstigen ‚Bekanntschaften mit Bonus‘?“

     „Bekanntschaft Plus“, korrigierte sie ihn beiläufig.

     „Ich habe dich und deine ‚Bekanntschaften mit Bonus‘“, „Plus …“, „erlebt, Luciana, da seid ihr beiden schon jetzt meilenweit davon entfernt. Du hättest dich mal sehen sollen, nach dem Gespräch in seinem Büro oder wie du ihn anschaust, wenn du denkst, keiner sieht es.“ Luciana schluckte, versuchte aber trotzdem eine neutrale Miene beizubehalten. „Und du hättest ihn vorgestern sehen sollen, wo Tonks uns berichtet hat, dass die Janus Thickey Station von Todessern angegriffen wurde und du noch nicht von deiner Praktikumsstelle zurückgekommen bist. Von seinen ‚Anweisungen‘ am Morgen der Dufftown-Mission will ich gar nicht anfangen.“

     „Dann lass es auch“, bemerkte sie trocken, auch wenn ihr nichts lieber wäre, als mehr darüber zu erfahren. Aber sie brauchte ihm nun wirklich nicht noch mehr Zündstoff zu liefern. Demnach, ab jetzt keine Erwähnung mehr von einem gewissen Bewohner der Hogwarts-Kerker. Zumindest für diesen Tag.

     „Oder wie er mich zusammengestaucht hat, noch vor der Destillerie.“

     „Du wolltest nicht damit anfangen.“

     „Ich habe ein wirklich, wirklich schlechtes Gefühl bei der Sache“, seufzte Remus und schaute sie aus großen, welpenartigen, grünen Augen beschwörend an. Und er hatte beinahe Erfolg damit. Beinahe.

     „Notiert.“

     „Er wird dir wehtun.“

     „Na hoffentlich nur mit meinem ausdrücklichen Einverständnis“, erwiderte sie prompt und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.

     „Du bist mindestens so dickköpfig wie Jonathan.“ Damit seufzte er theatralisch und verschränkte in einer Geste, die ein deutliches ‚ich-geb’s-auf‘ signalisierte, die Hände an seinem Hinterkopf.

     „Jetzt übertreibst du aber. Und wo wir uns nun einig darüber sind, dass du mich eh nicht umstimmen kannst, was hat es eigentlich mit diesem mysteriösen Mr Smythe auf sich?“

     Diese Frage beantwortete Remus zunächst mit einem verwirrten Stirnrunzeln.

     „Du warst vorgestern noch bei deinem Paten, ich dachte du könntest mir etwas Genaueres über den Mann sagen.“

     „Huh, hat Dumbledore mal wieder die Sitzung aufgelöst, bevor jemand unangenehme Fragen stellen konnte?“

     „Sirius hat nachgehakt, aber seit Dufftown ist er nicht mehr ganz so … beharrlich, wenn er keine Antworten mehr von Dumbledore bekommt.“

     Luciana nickte nachdenklich und aß in dem folgenden Schweigen die letzten zwei Gabeln ihres Rühreis auf. Sollte sie Remus einweihen, was ihre eigenen Überlegungen anbelangte? Immerhin hatte sie Snape davon erzählt, da sollte sie bei ihm wirklich nicht zweimal nachdenken …

     „Gabriel hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ich ihm von Mr Smythe und dem Horkrux erzählt habe“, rang sie sich letztendlich doch durch, „und dann verschwindet der Mann gestern Morgen, spurlos.“

     „Steinhardt hat dir nicht gesagt, ob er dahintersteckt?“

     „Nein“, antwortete sie missmutig. „Und glaub mir, ich habe ihn nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht, der Kerl hat nicht mal Mikroexpressionen preisgegeben.“

     „Mikroexpressionen?“

     „Mikromimik. Gesichtsausdrücke, die man unbewusst macht und die einen auffliegen lassen können, wenn man lügt oder den Ahnungslosen spielt, sowas halt.“

     „Lass mich raten, darüber hat dich Steinhardt aufgeklärt?“

     „Ja, und er ist fast so gut die zu unterdrücken, wie Snape.“ Verdammt, und sie hatte den Namen vor Remus unter gar keinen Umständen mehr in den Mund nehmen wollen. Doch glücklicherweise schien dieser in Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein. „Dumbledore, Doge und Moody schienen jedenfalls ganz genau zu wissen, wer dieser Smythe ist.“

     „Und Snape“, fügte Remus ihrer Aufzählung hinzu – vielleicht sollte sie bei dem Namensvorsatz Ausnahmen machen. „Ich habe noch nie von ihm gehört, oder die anderen. Moody ist zwar noch ein wenig hiergeblieben, aber er hat keinen Ton dazu gesagt, oder zu unserer Rätselei. Dädalus war sich nicht ganz sicher, ob er den Namen nicht schon einmal gehört hat, wenigstens ist ‚Smythe‘ nicht gerade gewöhnlich. Aber Sirius …“ Hier unterbrach er sich selbst, stand auf und lief zum Ende der Küche, wo er gegenüber der Speisekammer (Zauberer besaßen keine Kühlschränke, wieso auch, wenn man alles mit dem Wink seines Zauberstabs kühl und haltbar machen konnte) eine kleine Tür aufzog, die derart vor Schmutz stand, dass sie mit ihrem umliegenden Mauerwerk zu verschmelzen schien. Luciana beobachtete skeptisch, wie Remus seinen Kopf in einen dahinterliegenden Raum steckte und mit vor Ekel verzogenem Gesicht naserümpfend wieder den Rückweg antrat – nicht, ohne die knarzende Tür extra fest zu verschließen.

     „Ich musste mich vergewissern, dass wir keine ungebetenen Zuhörer haben“, erklärte er und setzte sich zurück auf seinen Stuhl. Für einen Augenblick hatte sie keinen blassen Schimmer, wovon er sprach, doch dann fiel es ihr wieder ein.

     „Kreachers ‚Nest‘ ist dahinten, richtig?“

     Remus nickte. Der alte, griesgrämige Hauself hatte auch in all den Jahren sturmfreie Bude seinen gewohnten Schlafplatz in dem winzigen Kabuff, das eigentlich den altertümlichen Wasserboiler beherbergte, nicht aufgegeben – ‚Nest‘ deswegen, weil dies die einzige Bezeichnung zu sein schien, die einigermaßen in Worte fassen konnte, was Kreacher aus allen möglichen Lumpen und ausgedienten Putzlappen zusammengebastelt hatte. Luciana selbst hatte bloß einmal einen kurzen Blick hinter das kleine Türchen geworfen und gleich darauf fast das Handy gezückt, um die Kontaminierungseinheit der UOWV für einen spontanen Noteinsatz in den Grimmauldplatz zu zitieren.

     „Sirius hatte noch an demselben Abend Kreacher in die Küche gerufen, nachdem die anderen schon gegangen waren“, begann er zögerlich und schaute abermals nervös zur Tür – sein Verhalten war eine sichere Methode, sie ganz besonders auf die Folter zu spannen und natürlich ließ Remus ein paar Sekunden verstreichen, bevor er weitersprach. „Du weißt, dass Kreacher, nachdem was letztes Jahr passiert ist, ausdrückliche Befehle bekommen hat?“

     Luciana nickte. Aus einem von Sir Rennocs Protokollen in den Sommerferien war hervorgegangen, dass Kreacher maßgeblich an dem katastrophalen Verlauf im Ministerium beteiligt gewesen war und einen von Blacks Befehlen ein klein wenig zu genau genommen hatte – und zwar ‚zu verschwinden‘, was Kreacher gleich zum Anlass genommen hatte, nicht nur den Raum, sondern gleich den Grimmauldplatz zu verlassen und Blacks Cousine, Bellatrix Lestrange, aufzusuchen und ihr brühwarm zu berichten, wie eng Potter und Black miteinander waren. Was den Plan des Schwarzen Führers zur Folge gehabt hatte, Potter in das Ministerium zu locken – der Rest war Geschichte. Damit so etwas nie wieder vorkommen konnte, hatte Black, unter Anleitung von Dumbledore, ein mehrstündiges Gespräch mit Kreacher geführt und ihm haarklein aufgetragen, mit wem er sprechen durfte und dass er unter gar keinen Umständen das Haus zu verlassen oder das Flohnetzwerk für ‚Unterhaltungen‘ mit Personen außerhalb des Ordens zu nutzen hatte. Im Grunde hatte der Hauself eine Maulsperre verpasst bekommen mit einem sehr strengen Hausarrest – trotzdem war Luciana der Meinung, dass der kleine Kerl clever genug war, selbst hier ein Schlupfloch finden zu können … allerdings war ihr Vorschlag, Kreacher einfach mit einem dauerhaften Silencio zu versehen und ihn mithilfe eines kleinen, aber feinen Blutrituals an die vier Wände des Hauptquartiers zu binden, abgelehnt worden.

     „Sirius hat ihn gefragt, ob er diesen Smythe kennt oder jemals von ihm gehört hat und hier wird es interessant.“ Und noch ein prüfender Seitenblick zur Tür – Luciana fragte sich, wieso Remus es überhaupt für nötig hielt, den Eingang im Auge zu behalten, wo er doch mit seinen ausgeprägten Werwolfsinnen jeden nahenden Schritt hätte hören müssen. Oder es war eine menschliche Angewohnheit, die man nur schwer ablegen konnte. „Kreacher konnte die Frage nicht beantworten.“

     Luciana runzelte die Stirn.

     „Was soll daran ‚interessant‘ sein?“

     „Steinhardt hätte dich wirklich nicht so lange aus unserer Welt heraushalten sollen“, murmelte Remus missbilligend. „Sieh mal, ein Hauself kann sich dem direkten Befehl seines Herrn nicht entziehen. Kreacher mag sicherlich sehr kreativ mit seinen Auslegungen sein, aber wenn Sirius ihm aufträgt über etwas zu reden, dann muss er das tun. Aber hier gibt es eine Ausnahme von der Regel …“

     „Remus, ernsthaft, mach es nicht so spannend“, stöhnte sie und rollte nicht zu knapp mit ihren Augen.

     „Die einzige Ausnahme ist, wenn man ihm vorher aufgetragen hat, nicht darüber zu sprechen.“

     „Meinst du Bellatrix hat ihm das eingebläut, oder –„

     „Nein, nein“, unterbrach er sie kopfschüttelnd, „Bellatrix mag vielleicht mit Sirius verwandt sein, aber rechtmäßiger Herr von Kreacher ist und bleibt Sirius. Der Befehl, nicht über Smythe zu sprechen, muss vorher erteilt worden sein, sehr weit vorher.“

     Für einen Moment herrschte Stille, in der Luciana ihre grauen Zellen anwarf und ein paar Jahreszahlen hin und her schmiss, bis ihre Augen groß wurden.

     „Vor Blacks Gefangenschaft, als seine Mutter noch lebte?“

     „Walburga war sicher eine der unausstehlichsten Persönlichkeiten in der Zaubererneuzeit, aber wir glauben nicht, dass das Verbot von ihr ausgesprochen wurde. Zwar sympathisierte sie zweifelsohne mit du-weißt-schon-wem, allerdings gehörte sie nie zu seinen Anhängern. Das hat ihr Jüngster für sie übernommen, Regulus.“

     „Sirius hat einen Bruder?“, fragte Luciana perplex - spätestens bei dieser neuen Information war es an der Zeit, einen Glimmstängel zu entzünden, den Teller beiseite zu schieben und sich ein wenig weiter zu Remus zu lehnen.

     „Hatte“, war die seufzende Antwort. „Niemand weiß so recht, unter welchen Umständen er gestorben ist, aber da er sich so jung du-weißt-schon-wem angeschlossen hat …“

     „Warte mal, hatte Black nicht im Eberkopf erwähnt, dass sein Bruder mit Snape befreundet gewesen war?“ So viel dazu, dass sie niemals von Blacks Geschwistern gehört hatte – nun ja, Alkohol und eine ganze Flut an neuen Informationen trugen nicht gerade dazu bei, Details im Gedächtnis zu behalten.

     „Hat er, ja. Sirius war zwar der Ältere und somit auch der Erbe der Black Familie, trotzdem wurde er behandelt … wie das schwarze Schaf. Weißt du, er hat nie viel von dem ganzen Reinblutwahn gehalten, oder von den Leuten, mit denen sich seine Familie umgab. Regulus war da anders. Slytherin, hat nur ‚O’s nach Hause gebracht und seinen Eltern immer nach dem Mund geredet.“

     „Und er hat sich dem Schwarzen Führer angeschlossen?“, hakte sie nach.

     „Ja, das muss noch zu seinen Schulzeiten gewesen sein.“

     „Glaubst du Snape und er sind zu selben Zeit im Schwarzen Orden aufgenommen worden?“ Die Frage verließ ihren Mund, noch bevor sie genauer darüber nachdenken konnte – Remus sah wenig begeistert aus, dass sie die Gelegenheit beim Schopfe gepackt hatte, selbst bei diesem Thema an Hintergrundinfos über eine ganz spezielle Person zu kommen. „Jetzt guck nicht so, ich versuch mir hier ein Gesamtbild zu machen …“

     „Darüber habe ich nie nachgedacht“, antwortete Remus. „Aber wo du es sagst, das würde Sinn ergeben. Sirius glaubt, dass Regulus noch im sechsten Schuljahr aufgenommen wurde, da war Severus in seinem letzten Jahr. Und kurz nachdem Regulus seinen Abschluss gemacht hat, ist er verschwunden.“

     „Also ist gar nicht sicher, ob er tot ist?“

     „Oh, er ist ganz sicher gestorben, das hat Kreacher seinen Eltern und auch Sirius erzählt, aber mehr auch nicht. Es muss das erste Mal gewesen sein, dass er sich dem Wunsch seiner Herrin widersetzt hat, denn er hat kein weiteres Wort darüber verloren – Orion, Sirius und Regulus Vater, hat diese Neuigkeit nicht verkraftet und ist nur Monate später selbst tot umgefallen.“

     „Und das Ministerium kann ihn nicht getötet haben“, überlegte Luciana laut, „immerhin müsste es dazu einen Bericht gegeben haben.“ Remus nickte. „Aber was hat das alles mit Mr Smythe zu tun?“

     „Sirius hat Kreacher erwischt, wie er mit dem Tagespropheten in dem alten Zimmer von Regulus herumgelaufen ist. Dabei hat er wohl ein klein wenig vor sich hin geplappert … Sirius ist sich sicher gehört zu haben, dass Smythe der Letzte gewesen ist, der seinen Bruder lebend gesehen hat.“

     „Mr Smythe hat Regulus umgebracht?”

     „Mh, nja – wohl eher nicht“, sagte Remus und kratzte dabei an seinem Hinterkopf. „Kreacher hat geflucht, weil er nicht aus dem Haus kommt, um sich auf die Suche nach Smythe machen zu können, da er ihm wohl für die ‚Treue zum Hause der Blacks‘ Tribut zollen und ihn von seinen Entführern befreien sollte. Und offenbar scheint Kreacher zu denken, dass du-weißt-schon-wer Smythe hat und die schlimmsten Sachen mit ihm anstellt.“

     „Huh … wenn wir das demnach ein wenig weiterspinnen, könnte es sein, dass Smythe selbst auf der Suche nach den Horkuxen vom Schwarzen Führer war, vielleicht dabei so schlimm verletzt wurde und deswegen nicht weitersuchen konnte?“

     Remus zuckte mit den Schultern.

     „Jedenfalls hat er nicht das Dunkle Mal“, grübelte sie weiter, „das wäre mir bei der Musterung aufgefallen.“

     „Gut zu wissen, da hatte ich gar nicht dran gedacht.“

     „Trotzdem, alles ziemlich beschissen, wenn du mich fragst – Gabriel bekommt die Zähne nicht auseinander, Dumbledore und Co. scheinen auch nicht reden zu wollen … OH FUCK!“

     Luciana hatte bei der Erwähnung von ihrem Paten einen kurzen Blick auf die Uhr an der Wand geworfen und war im selben Moment aufgesprungen.

     „Kurz nach neun, ich hab Gabriel gesagt, ich würde um Punkt rüber kommen, Trankzutaten, wir reden später weiter!“ Damit schnappte sie die Schachtel Zigaretten vom Tisch, drückte ihren Glimmstängel aus und sprintete zur Tür – und gerade als sie diese aufriss, sah sie noch den Rest von etwas fleischfarbigem aus dem Augenwinkel in die Höhe blitzen. An der Balustrade im ersten Stockwerk konnte sie einen Schopf dunklen Haars ausmachen, der in der nächsten Sekunde wieder verschwunden war. Potter. Nun, darum würde sie sich kümmern, sobald sie wieder zurückgekehrt war.

 

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Das Positive zum bisherigen Tagesverlauf: Luciana hatte tatsächlich alle Zutaten für Snapes Panscherei zusammenklauben können, auch wenn Doktor Hamilton bei dem Wegnehmen des einzigen Exemplars einer Chimärenmilz beinahe das Tränkelabor abgeriegelt und sie fast nicht hatte gehen lassen (das Zauberwort war eine kleine Flunkerei gewesen, dass Ersatz schon bestellt sei – dabei hatte sie keinesfalls im Sinn, die Entwendung all dieser Dinge durch die Bücher und somit auch die Hände von Gabriel laufen zu lassen). Und damit endete auch die Aufzählung, denn kurz nach ihrer Rückkehr in den Grimmauldplatz war sie hoch zu Potter gestiefelt (der in irgendeinem Gespräch mit seinem Paten über ein ‚legendäres Quidditch-Match‘ zu Blacks Hogwarts-Zeiten verwickelt gewesen war), in dem Versuch ihn zur Rede zu stellen … bisher hatte sie wenigstens herausbekommen, dass er den wirklich brenzlichen Teil (und zwar den über Snape und ihr Pläuschchen der letzten Nacht) nicht bei seiner Abhöraktion mitbekommen hatte und nun war es tatsächlich so herum, dass er sie mit Fragen über den ominösen, verschwundenen St.-Mungo Patienten löcherte.

     „Potter, jetzt mach mal halblang, ich habe dem Orden alles erzählt, was ich weiß!“, rief sie empört, nachdem ‚der Auserwählte‘ ihr wenig diskret vorgeworfen hatte, dass sie mit ihrem Paten unter einer Decke stecken würde und sie insgeheim die Fronten gewechselt hätten. „Und egal was Gabriel da auch immer aushecken mag, du wirst niemanden finden, der einen größeren Brass auf Voldemort und seinen Anhang hat!“ Potter schnaubte, setzte zum Sprechen an, doch sie redete unbeirrt weiter. „Mal davon abgesehen, wieso sollte er Dumbledore all die Horkruxe überlassen, wenn er eigentlich nach Voldemorts Nase tanzt?“

     „Na ja“, warf Potter ein, „eigentlich hat er gar keine Nase.“

     Für einen Augenblick warf sie dieser Kommentar aus der Bahn, dann holte sie Luft, für die nächste Reihe an Argumenten, doch das Bild in ihren Kopf formte sich immer weiter.

     „Wie, keine Nase, hat er da eine glatte Fläche, oder –„

     „Luciana hat Recht, Harry“, warf Granger ein (selbstverständlich hatte Luciana ihn nicht alleine zu einem Gespräch aufsuchen können – zumindest hatten sie den Salon mit Ronalds und Potters Zimmer getauscht, was gleichzeitig bedeutete, dass wenigstens Black nicht mehr anwesend war) und stieß Ronald zu ihrer linken mit dem Ellenbogen an, der darauf einmal nickte. „Es gibt keine Beweise, dass Lucianas Pate Mr Smythe entführt hat und selbst wenn, wissen wir nicht, was dahinterstecken mag.“

     „Aber wenn Lupin richtig liegt, dann kann uns Smythe sagen, wo die restlichen zwei Horkruxe versteckt sind!“, schnappte Potter.

     „Mr Smythe sagt gar nichts“, warf Luciana ein. „Ernsthaft, er hat nicht einmal einen Ton herausbringen können, als er mich dabei beobachtet hat, wie ich den Horkrux aus der Box genommen und eingesteckt habe, er ist total außer Gefecht gesetzt durch seinen Zustand. Zumal, es war nur eine Idee, keine Ahnung, ob er wirklich nach den Horkruxen gesucht hat … und woher willst du wissen, dass es noch zwei sind?“

     „Dumbledore hat gesagt, es seien sieben“, antwortete Potter, anscheinend noch immer in Rage, wegen der gesamten Thematik. „Das Tagebuch –„

     „Welches Tagebuch?“, unterbrach sie ihn verwirrt – wobei Potter, Granger und Ronald sie nun noch verblüffter anstarrten.

     „Das Tagebuch von Tom Riddle, das Harry im zweiten Schuljahr zerstört hat, mit dem Zahn des Basilisken, in der Kammer des Schreckens“, sagte Granger - nun gut, Luciana verstand jedes Wort. Einzeln, der Satz in seiner Gesamtheit ergab nämlich keinerlei Sinn für sie.

     „Häh?“

     „Lucius Malfoy hat es Ginny in der Winkelgasse zugesteckt, nur deswegen ist die Kammer des Schreckens wieder geöffnet worden. Darüber habt ihr bei den Sitzungen nicht gesprochen?“ Potter starrte sie perplex an, doch Luciana konnte nur mit den Schultern zucken – zudem schwirrten ihr noch immer ein paar Worte im Kopf herum, die einfach keinen Sinn ergaben.

     „Du hast das Buch zerstört?“, sprach sie dann laut heraus und Potter nickte. Mit dem Zahn eines Basilisken, doch wieso sollte Dumbledore ihnen dies vorenthalten, wenn sie schon seit Monaten auf der Suche nach etwas waren, was die Seelenteile von Voldemort ein für alle Mal zerstören könnte? Doch dieses Thema mit den Dreien zu besprechen, befand sie für diesen Moment als viel zu heikel, sie würde in den nächsten Tagen selbst allerhand damit zu tun haben, ihre eigenen Gedanken zu ordnen, ohne der Verschwörungsfraktion vor ihrer Nase noch mehr Ansporn zu geben. „Also das Tagebuch, die Mauritius, die Taschenuhr und der Manschettenknopf – wenn es sieben sind, wieso fehlen dann noch zwei?“ Oder hatte Dumbledore dem Orden noch mehr verschwiegen?

     „Du musst den verbliebenen Teil von du-weißt-schon-wem noch dazu zählen“, sagte Granger.

     „Ist das sicher?“, erkundigte sich Luciana zweifelnd. „Wenn Dumbledore sagt es seien sieben Horkruxe, fehlen noch drei, wenn es um sieben Seelenteile geht, dann noch zwei.“

     „Harry, hat Dumbledore von Horkruxen gesprochen, oder den Teilen, die du-weißt-schon-wer mit seiner verbliebenen Seele meinte?“

     „Ehm“, machte Potter nachdenklich und nahm sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er weitersprach. „Er sagte, dass irgendwer mit dem jungen Tom Riddle gesprochen hat. Besser gesagt, derjenige hatte ihm beigebracht, wie man einen Horkrux macht und da wäre die Zahl Sieben gefallen, bei der Nachfrage, wie oft man seine Seele spalten kann.“

     Oha, jetzt hatte sie anscheinend Granger verwirrt, da diese nun mit gerunzelter Stirn am Bettpfosten gelehnt stand, ihre Unterlippe mit ihren Zähnen bearbeitete und gedankenverloren an die Decke starrte.

     „Das kann alles heißen“, sagte sie nachdenklich. „Sowohl das es sieben oder auch sechs sein könnten.“

     „Klasse“, schnaubte Luciana, „jetzt wissen wir nicht einmal, nach wie vielen Horkruxen wir suchen müssen, bevor man dem Schwarzen Führer die Lichter ausknipsen kann.“

     Diese Diskussion ging noch eine Weile so weiter, doch letztendlich konnte niemand von ihnen mit Bestimmtheit sagen, ob noch zwei oder drei Seelenteile fehlten – oder (und diese Option gab es leider auch) es sich Voldemort ganz anders überlegt hatte und er nicht bei sieben Spaltungen geblieben war. Potter versprach hoch und heilig, Dumbledore bei seiner nächsten ‚Denkariumsstunde‘ darauf anzusprechen und sogar, Luciana von dem Ergebnis zu berichten, doch sie bezweifelte, dass der Schulleiter eine klare Antwort parat haben würde.

 

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     Im Laufe des Nachmittags trudelte ein Rotschopf nach dem anderen im Grimmauldplatz ein, doch dass bis zum frühen Abend beinahe jeder Raum und jeder Flur mit einem Weasley-Familienmitglied besetzt war, schien Mrs Weasley noch immer nicht genug zu sein, auch wenn sie sich alle Mühe gab, eine betont fröhliche Miene aufzusetzen.

     „Sagt mal, was ist denn mit eurer Ma los?“, erkundigte sich Luciana letztendlich doch, als sie mit den Zwillingen an Küchentresen stand und mithilfe ihrer Zauberstäbe Kartoffeln schälten und Champignons putzten (erst war sie für die Pilze zuständig gewesen, doch da sie auf Kriegsfuß mit Haushaltszaubern stand und es lediglich vollbracht hatte, jedes einzelne des blassbraunen Schwammgemüses zu köpfen, hatten sie die Aufgaben getauscht). George und Fred schielten beide unauffällig zum Küchentisch herüber, wo ihre Mutter gerade geräuschvoll die Plätze mit Geschirr und Besteck eindeckte.

     „Percy“, murmelte Fred, der am nächsten bei Luciana stand.

     „Warte“, sagte sie und musste für einen Moment den Zauber unterbrechen, um ihre Gehirnzellen auf Hochtouren zu bringen. „Bruder Nummer drei, richtig?“ Und der Einzige, den sie noch nie selbst zu Gesicht bekommen hatte. George und Fred nickten, wobei der Zweite noch ein Stück näher an sie heranrückte.

     „Mum hat vor ein paar Tagen eine Eule geschickt, mit einer Einladung zum Weihnachtsessen morgen. Heute Mittag kam die Absage. Schwachkopf“, klärte Fred sie auf – und das mit zusammengebissenen Zähnen; die drei Pilze, welche vor ihm schwebten, landeten gleich dutzendfach geteilt in einer Schüssel.

     „Besser als letztes Jahr, da hat er sich nicht mal dazu herabgelassen, seine hässliche Visage durch den Kamin zu schieben“, knurrte George und das wohl etwas zu laut – denn hinter ihnen zog Mrs Weasley ganz besonders geräuschvoll die Nase hoch.

     „Ehm …“, wie konnte sie das Thema nun dezent in eine vollkommen andere Richtung lenken? „Wisst ihr ob Snape die Weihnachtsferien in Hogwarts verbringt?“

     Beide Köpfe der Zwillinge drehten sich synchron, gleichzeitig und unglaublich langsam zu ihr, wobei schwer auszumachen war, wer von ihnen das entgeistertere Gesicht machte. Dezent – so viel dazu. Nun ja, zumindest schien sich niemand von den beiden mehr das Hirn über ein abtrünniges Familienmitglied zu zermartern, das war ein Pluspunkt.

     „Ja, Kindchen, er verlässt die Schule nur in den Sommerferien und kehrt zurück nach … keiner weiß so recht, wohin“, kam die Antwort von Mrs Weasley, die anscheinend den Tisch fertig gedeckt hatte und sich nun vehement daranmachte, ein monstermäßiges Stück Roastbeef mit ihrem Zauberstab zu tranchieren. Übrigens hatte Luciana eine sehr gute Vorstellung davon, wo er die Sommerpause verbrachte, allerdings wunderte es sie sehr, dass er anscheinend aus seiner Wohnung hier in London ein Geheimnis machte.

     „Wieso willst du das wissen?!“ Die Zwillinge, wie aus der Pistole geschossen. Sie hätte sich wirklich ein besseres Thema zur Ablenkung ausdenken können.

     „Ich habe ihm ein paar Zutaten für das Trankprojekt besorgt, ihr wisst schon“, nach der Abhöraktion von Potter würde sie in Zukunft sehr genau darauf achten, wann sie wo etwas sagen würde und nur noch offene Worte gebrauchen, wenn Dumbledore oder Snape mit ihrem sechsten Sinn oder Moody mit seinem allzweck-Spionage-Auge in der Nähe waren, „und ich weiß nicht, wohin ich Azrael jetzt schicken soll.“

     „Oh, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Luciana“, sagte Mrs Weasley. „Die Eulenpost ist nicht sicher, nicht in diesen Zeiten – aber der Kamin von Professor Snape ist immer an das Hauptquartier angeschlossen, er wird sicher dankbar sein, wenn du ihm die Sachen vorbeibringst.“

     Luciana schluckte und wollte gerade zu einem Widerspruch ansetzen, da kamen ihr George und Fred zuvor.

     „Mum, weißt du, was du da sagst? - wer weiß was er da in seiner Höhle – Folterkeller – anstellt - du kannst sie doch nicht zu diesem Fettranzen – GEORGE!! – weidet da Froschdärme aus – HUNDEBABIES – in Unterhose – FRED!!! – muss sie dann mundtot machen und –„

     „HEY, AUSZEIT!“, brüllte Luciana dazwischen – dabei hatte sie nicht einen vollständigen Satz aus der ‚Diskussion‘ zwischen den Zwillingen und ihrer, nun sehr aufgebrachten, Mutter verstehen können, bei all dem Durcheinandergerede. „Azrael hat von meinem Paten einen Schutzzauber bekommen und selbst die Olle Fotz- Kröte vom Ministerium hat es letztes Jahr nicht geschafft, meine Post abzufangen, also alles halb so wild.“

     Zwar ersparte dieser Einwand George und Fred nicht, das Trockentuch in Mrs Weasleys Hand um die Ohren gepfeffert zu bekommen (irgendwas mit ‚Manieren‘ und ‚so eine Sprache haben euer Vater und ich euch bestimmt nicht beigebracht!‘), dafür wusste sie nun, wohin das Paket gehen musste. Zweiter Bonus: Mrs Weasley war endlich abgelenkt genug und schmollte nicht mehr wegen ihrem verschollenen Sohn und so wurde es letztendlich doch noch ein recht amüsanter Abend im Kreise der Weasley-Familie, einigen Hauskameraden und einer Handvoll Ordensmitglieder.

 

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Der Weihnachtsmorgen war zunächst weniger erfreulich und entspannt, da Luciana ja unbedingt am Abend zuvor ihren Vorsatz, nie wieder Feuerwhisky anzufassen, über Bord werfen musste und sich zusammen mit Black eine dreiviertel volle Flasche hinter die Binde gekippt hatte. Und das, ohne beim letzten Besuch im Tränkelabor so voraussichtig gewesen zu sein, den erschöpften Vorrat an Anti-Kater-Tränken wieder aufzufüllen. So saß sie, mit aus Klopapier geformten Kügelchen in den Ohrmuscheln, am Frühstückstisch im Grimmauldplatz und kaute lustlos auf einer trockenen Toastscheibe herum, die sie mit einer heißen Zitrone und einer Schmerztablette hinunterspülte, während die Geräuschkulisse in dem gerammelt vollen Raum nicht einmal Lärmschutzkopfhörer eingedämmt hätte. Natürlich hätte sie einfach im Bett bleiben und das Frühstück ausfallen lassen können, doch Remus hatte ihr, kurz nach halb acht, nicht nur die wohlig warme Decke vom Körper gezogen, sondern sie so lange mit Vorträgen über ‚unverantwortlichen Alkoholkonsum‘ getriezt, bis sie freiwillig die spärlichen vier Wände von ihm verlassen hatte (dabei hätte Black diese Art von Ansprache sicherlich weitaus bitterer nötig gehabt, als sie). Erst als der Raum nur noch aus zerfetztem Geschenkpapier zu bestehen schien und die mittelgroße, über und über bunt blinkende, geschmückte Tanne in der hintersten Ecke vollkommen von eingepackten Kartons befreit war, machte Luciana sich daran, selbst ihre vier Päckchen auszupacken, die im Laufe der letzten Stunde entweder von ihr unbekannten Eulen oder Mrs Weasley und Remus vor ihrem Platz abgeliefert worden waren.

     Von der Weasley-Mama gab es einen neuen Schal (der Alte war der Dufftown-Mission zum Opfer gefallen), dieses Mal in den patriotischen Farben von Gryffindor gehalten, Remus hatte es hingegen irgendwie vollbracht, ihren alten, vollkommen verdreckten Mantel in neuem Glanz erstrahlen zu lassen und das dritte Paket … beinhaltete ein Dutzend neuer Anti-Kater-Tränke von Johnny. Klasse, wäre sie mal lieber auf die Idee gekommen, ihre Weihnachtsgeschenke gleich zu inspizieren – nun ja, jetzt war es zu spät, die Schmerztablette hatte ihre Arbeit getan und für die leichte Übelkeit würde sie sicher keinen ganzen Trank verschwenden. Grummelnd machte sie sich an das letzte Paket, welches in schlichtes, hellbraunes Papier eingeschlagen und nur an L. Bradley adressiert worden war. Zum Vorschein kam ein schwarzes, ledernes Buch, auf dem in Lettern, die wohl in längst vergangenen Tagen einmal golden gewesen sein mochten, in deutscher Sprache ‚Der Gedankenbaum‘ eingraviert stand. Auch die Seiten waren vergilbt, die Schrift in altdeutschem Druck und beim Durchblättern sah sie, in regelmäßigen Abständen, Bilder, Symbole und andere Illustrationen, die allesamt sehr mittelalterlich aussahen.

     „Hat Sir Rennoc seine Regale für dich geplündert?“, fragte Remus und blickte neugierig über ihre rechte Schulter auf das Buch in ihren Händen.

     „Sicher nicht, da müsste das hier schon doppelt und dreifach in seiner Bibliothek vorhanden sein. Außerdem habe ich noch nie ein Weihnachtsgeschenk von ihm bekommen, wieso sollte er jetzt –„ Luciana blieben die eigenen Worte im Hals stecken, als sie, auf der ersten Seite angelangt, eine ihr sehr bekannte Handschrift ausmachen konnte, welche mit schwarzer Tinte folgende, deutsche Worte verfasst hatte:

     ‚Was auch immer du tust, handle klug und berücksichtige das Ende‘

     „Ist das nicht Severus Schri-„

     „Nicht so laut!“, zischte sie und klappte den Einband blitzschnell wieder zu – glücklicherweise schien niemand von der anwesenden Meute diesen kleinen Zwischenfall bemerkt zu haben und auch nicht, dass Luciana nun das Buch wieder in dem Paketpapier verschwinden ließ.

     „Das war deutsch, richtig?“, hakte er weiter nach und war drauf und dran, ihr das Paket vor der Nase weg zu fischen – was ihm eine flache Hand auf seinem Hinterkopf einbrachte. Tonks lugte argwöhnisch zu ihnen herüber, obwohl es ihr am Allerwertesten vorbeizugehen schien, worum die beiden sich gerade kebbelten – das Problem lag wohl eher darin, dass Luciana gerade mehr Aufmerksamkeit von Tonks selbsternannten Liebsten bekam, als sie selbst.

     „Richtig, und wenn du so einen Stunt noch einmal vor all den Leuten machst, verrate ich Tonks gleich, welcher Mistelzweig in diesem Haus von den Zwillingen übersehen worden ist!“, zischte sie ihm zu und das zeigte endlich Wirkung. Denn Luciana hatte Remus vor nicht einmal einer halben Stunde, beim Betreten der Küche, davor bewahrt gleich unter dem Grünzeug der Küche von besagter Dame abgeschlabbert zu werden – obwohl, wäre es alleine nach Tonks gegangen, hätte diese sich bestimmt nicht von ein wenig Bundimun-Sekret abschrecken lassen.

     „Ein Weihnachtsgeschenk von Severus“, flüsterte er dann und nahm neben ihr auf dem freien Stuhl Platz. „Ich bin mir fast sicher, dass du die erste im gesamten Orden bist, die er diese Ehre zuteil hat werden lassen. Und das, wo Dumbledore und Molly nicht ein Jahr auslassen, ihm wenigstens eine Kleinigkeit zu schenken …“

     „Es ist ein Buch, Remus“, murmelte Luciana. „Bestimmt irgendein Zusatzzeugs für den Unterricht – wahrscheinlich ist ihm nicht mal aufgefallen, dass heute Weihnachten ist.“

     „Sicher“, meinte Remus schmunzelnd, zog seine Teetasse heran und betrachtete sie mit einem Blick, der so gar nicht in sein Gesicht passen wollte – oder es war einfach die Revanche dafür, dass sie ihn gestern nach allen Regeln der Kunst aufgezogen hatte. „Warte, hast du ihm heute Morgen nicht einen ganzen Sack voller … ‚Schulmaterialien‘ geschickt?“

     „Das waren Trankzutaten“, zischte sie wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt ganz genau, wofür die sind und dass Azrael seinen Federarsch erst heut Nacht hierher geflogen hat!“

     Wem auch immer sei Dank hatte Remus offenbar nicht bemerkt, dass zwischen all den Trankutensilien tatsächlich ein kleines, dunkelgrünes Päckchen gewesen war, welches rein gar nichts mit der Besorgungsliste von Snape zu tun gehabt hatte. Zur Krönung des Glücks schwang gerade in diesem Augenblick die Tür auf, als der Herr neben ihr schon wieder zum Sprechen angesetzt hatte und herein trat Dumbledore – nun ja, vielleicht müsste sie das mit dem ‚Glück‘ noch einmal revidieren, denn nachdem der Herr allen ein fröhliches Weihnachtsfest gewünscht und dankend eine Tasse Tee abgelehnt hatte, trat er an ihren Platz heran.

     „Luciana, auf ein Wort?“, sagte er, in einem Tonfall, der unmöglich zu interpretieren war, genau wie seine Miene, die in diesem Moment rein gar nichts von dem preisgab, was in seinem Hinterstübchen vorgehen mochte. Luciana nickte, erhob sich von ihrem Platz und ging mit dem Schulleiter zur Tür, wobei sie das Paket noch immer fest in ihren Armen geschlossen hielt (sie würde einen Teufel tun, es unbeaufsichtigt in Griffelreichweite von Remus liegen zu lassen, selbst, wenn dieser nur ein paar Wortfetzen deutsch verstand – immerhin hatte sie selbst noch keinen blassen Schimmer, was genau der Tränkemeister ihr da geschickt hatte). Dumbledore sprach kein Wort, nicht, als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war oder sie die Stufen in das Erdgeschoss hinaufliefen – bis er im Kaminzimmer stehenblieb und zum Sprechen ansetzte, lagen ihre Nerven blank. Im Kopf war sie, in der vielleicht einen Minute, in der sie unterwegs gewesen waren, schon alle möglichen Horrorszenarien durchgegangen, was dieser unangekündigte Besuch zu bedeuten haben mochte. Am Ende hatte sich die fixe Idee in ihrem Kopf festgesetzt, dass Dumbledore Wind von ‚der Sache‘ bekommen haben musste und ganz gleich wie die Schulregeln offiziell ausfallen mochten, nun ein Ordensverweis, Verbannung aus Hogwarts oder gleich dem gesamten, britischen Empire für sie anstehen würde – dementsprechend erleichtert war sie, als der Schulleiter eine pralinenschachtelgroße Schatulle aus seinem Umhang zog, er den Deckel öffnete und dort, feinsäuberlich aufgereiht, die Horkruxe zu sehen waren. Beziehungsweise, die Erleichterung währte schätzungsweise zwei Komma fünf Sekunden, dann setzte die blanke Panik bei ihr ein.

     „Dein Pate hat sich in den letzten Tagen sehr … dialogfreudig gezeigt“, begann er mit einem seltsamen Glitzern in den Augen, „und mich davon überzeugt, eurer Abteilung für … wie nennt ihr es, Magieforschung?“ Luciana nickte. „Ganz recht, eurer Abteilung für Magieforschung diese Gegenstände für ein paar Tage zu überlassen.“

     „Okay“, sagte sie etwas verwirrt und nahm zögerlich die Schatulle entgegen, nachdem Dumbledore sie wieder verschlossen hatte.

     „Er hat ebenso darauf bestanden, dass du dich um die Übergabe kümmerst, es scheint ein wenig mit Aufwand verbunden, Außenstehenden den Zutritt zu gewähren.“

     Wieder nickte sie, in der Hoffnung, so wortkarg wie möglich aus dieser seltsamen Unterhaltung zu kommen – beziehungsweise, natürlich lagen ihr eine Menge Wörter auf der Zunge, angefangen bei ihrer Neugierde betreffend dem Umstand, dass er es für nötig hielt, Potter einmal quer durch Voldemorts Lebenslauf zu jagen oder der Vermutung, dass er ganz genau wusste, wie man einen Horkrux unwiderruflich zerstören konnte und diese Information für sich behielt …

     „Möchtest du mir etwas sagen, Luciana?“, fragte Dumbledore plötzlich und schaute sie durchdringend an – sie gab sich alle Mühe, bloß keinen Gedanken auf die eben genannten Themen zu lenken und hoffte dabei inständig, dass der kurze Moment gerade nicht schon aufschlussreich genug für ihn gewesen war. Immerhin beherrschte der Schulleiter den Gedankenleserblick ähnlich wie Snape, auch wenn sie vermutete, dass er auf dem Gebiet bei weitem kein so großer Experte war, wie besagter Tränkemeister.

     „Nein“, antwortete sie etwas verspätet und seufzte dann theatralisch. „Ich versuche mich nur schon mal geistig darauf vorzubereiten, Gabriel am Weihnachtsmorgen zu begegnen – Sie können sich wirklich glücklich schätzen, da drum herum zu kommen.“

     Dumbledore schien mit dieser Aussage zufrieden und schenkte ihr sogar ein schiefes Lächeln plus Augenzwinkern.

     „Dann möchte ich für dich hoffen, dass du sehr zeitig wieder zurückkehrst und das Festessen heute Abend ganz besonders genießen kannst.“

     Er bot Luciana keinerlei Gelegenheit, dem noch etwas hinzuzufügen und verschwand, mit einem Handwink in ihre Richtung, aus dem Kaminzimmer – ein paar Sekunden später hörte sie die Eingangstür ins Schloss fallen. Seufzend verstaute sie das Paket in einem Sekretär, der auch das Schachspiel beherbergte, welches Granger und sie erst gestern Abend für gleich drei Partien genutzt hatten und lief dann zum Kamin hinüber; dabei hielt sie die Schatulle so weit von ihrem Körper entfernt, wie möglich – was selbstverständlich hinfällig wurde, sobald sie eine Handvoll Flohpulver ergriff und deutlich ihren Zielort in den Raum hineinsprach, da musste sie die Schachtel wohl oder übel an ihre Brust pressen, um nicht rechts und links mit den vorbeirasenden, aberhunderten Kaminen zu kollidieren.

     Auch wenn die Reise sicherlich nicht mehr als ein paar Sekunden in Anspruch genommen hatte, kam ihr diese Zeitspanne wie eine nicht enden wollende Ewigkeit vor. Es war ihr einfach schleierhaft, wann der Orden und ihr Pate beschlossen hatten, sie zum Wächter und Boten für die Seelenstücke vom Schwarzen Führer zu machen – wobei es noch viel ärgerlich war, dass sie anscheinend den Moment verpasst hatte, dieses Treiben gleich im Keim zu ersticken… Zu allem Überfluss fand sie sich nun in einem der Kamine des Sangues wieder, die dutzendfach nebeneinandergereiht eine komplette Seite der Megahalle (sie mochte sicherlich um die vier Fußballfelder messen) einnahmen, dabei war sie nicht einmal auf dem Steg zwanzig Meter über ihr gelandet, sondern bei den ‚Besucherkaminen‘, die lediglich den ‚Standartmitgliedern‘ vorbehalten waren. Ein leichter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, der sie immer beschlich, sobald sie die Halle betrat, wenn sie vollkommen menschenleer und nur mit der notdürftigsten Beleuchtung an dem Boden der Seitenränder ausgeleuchtet war.

     Übellaunig streckte Luciana die Schatulle wieder eine halbe Armlänge von sich und begann eilig auf den Aufzug zu ihrer Rechten zuzulaufen – dabei versuchte sie tunlichst zu ignorieren, wie sehr ihre Schritte um sie herum wiederhallten, bevor ihre Sinne ihr wieder einen Streich spielten und sie Schatten aus den Augenwinkeln wahrnahm, die gar nicht existierten. Sie hatte fast die offene Schiebetür erreicht, als ein Geräusch hinter ihr so klar und deutlich zu hören war, dass es keine Einbildung sein konnte. Stirnrunzelnd drehte sich Luciana einmal um die eigene Achse, den Blick auf die letzten, grünen Flammen gerichtet, die aus genau jenem Kamin schossen, welchen sie selbst gerade erst genutzt hatte.

     Die Silhouette einer Person trat hervor, doch da sie schon an die zwanzig Meter zum Fahrstuhl gelaufen und, wie bereits erwähnt, von Dunkelheit mit klitzekleinen Ausnahmen umgeben war, erkannte sie nicht auf Anhieb, wer ebenfalls via Flohnetzwerk die Reise ins Herz der UOWV angetreten hatte und nun einen unentschlossenen Eindruck machte, welchen Weg er einschlagen sollte. Für einen Augenblick haderte sie mit sich, ob es die weisere Entscheidung wäre, einfach den Fahrstuhl zu betreten und einen größeren Abstand zu gewinnen – sie hatte in den letzten Jahren genügend schlechte Erfahrungen mit ‚Neumitgliedern‘ gemacht, deren Benehmen in Anwesenheit von ‚schwächeren‘ Nicht-Werwölfen oder Vampiren alles andere als vorbildlich ausgefallen war, doch keine Sekunde später wurde ihr diese Entscheidung abgenommen.

     „Du kannst die Horkruxe nicht deinem Paten überlassen!“

     Luciana brauchte nicht lange, um diese, sich halb im Stimmbruch befindende, Person zuzuordnen, was ihr im nächsten Moment das Herz in die Hose rutschen ließ.

     „Potter, zurück in den Kamin, SOF-„

     Ein ohrenbetäubendes, basslastiges Horn schnitt ihr die letzten Worte ab, das Dröhnen kam von sämtlichen Seiten und ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern – ohne einen Gedanken an die bedrohliche Nähe der Seelenstücke zu verschwenden, klemmte sie die Schatulle an ihre Seite und setzte zu einem rekordverdächtigen Sprint an. Die Anweisungen, welche sie Potter auf der Strecke zuschrie, wurden komplett von dem Warnton verschluckt, der unaufhörlich die Halle durchflutete, der glatte Untergrund brachte sie das ein oder andere Mal zum straucheln, ihre Muskeln schrien schon nach den ersten Metern protestierend auf, was der schnell einsetzende Adrenalineinschub sofortig neutralisierte. Luciana hätte es beinahe geschafft. Ihr linker Arm war bereits ausgestreckt, in der Absicht, den Volltrottel mit einem kräftigen Stoß zurück in den sicheren Kamin zu befördern, doch bevor sie seine Schulter berühren konnte, streifte etwas Kühles, Glattes die Spitze ihres Mittelfingers. Die Vollbremsung kam einen Wimperschlag zu spät und sie rasselte, mit dem Vorhaben sich hinten über fallen zu lassen, mit den Kniescheiben vorweg, gegen eine massive Barriere. Die folgende Erschütterung vor ihr auf dem Boden war sogar trotz des hallenden Horns zu spüren, dann schalteten sich mit einem Schlag sämtliche Flutlichter des Sangues ein – Luciana presste blitzschnell ihre Augenlider aufeinander, trotzdem bekam sie eine ganze Flut von kleinen Sternchen auf der Netzhaut zu spüren. Es vergingen kostbare Sekunden, in denen sie sich zwang die Augen wieder zu öffnen um ihre Umgebung klar und deutlich erkennen zu können – wobei sie bei dem Bild, was sich vor ihr auftat, gerne für einen Moment auf ihr Augenlicht verzichtet hätte.

     Potter stand, wie vom Donner gerührt, in einer circa zwei Mal zwei Meter großen Glaszelle, die auf keiner ihrer vier Seiten den Anschein machte, einen Ausgang aufzuweisen. Er schien selbst Schwierigkeiten zu haben, durch das grelle Licht irgendetwas erkennen zu können, doch er begann erstaunlich schnell, mit beiden Händen sein Gefängnis nach einem Ausweg abzutasten. Auf einen Schlag trat Stille ein – die keine zwei Sekunde anhielt:

     ‚UNBEFUGTES EINDRINGEN AUF DER MINUS ZEHN EBENE REGISTRIERT, ABSCHNITT DREI SIEBENUNDZWANZIG‘, ertönte es zu allen Seiten von einer äußerst sympathisch klingenden, weiblichen Stimme. Luciana schwante Übles. ‚BITTE GEBEN SIE DEN GENERALSCHLÜSSEL EIN‘

     Auf einer der Seitenwände erschienen zwei Tastenfelder, sowohl im Innenraum, in dem sich Potter befand, als auch auf der Außenseite. Potter schien dies gar nicht mitbekommen zu haben, da er noch immer unaufhörlich jeden Zentimeter des Glases abtastete und dabei ständig seinen Mund bewegte – was wohl bedeuten mochte, dass die Kabine schalldicht war (zugegeben, dafür war Luciana in diesem Augenblick sogar ein klein wenig dankbar). So schnell es ihre glasattackierten Kniescheiben zuließen, rappelte sie sich vom Boden auf und trat an das Tastenfeld heran – natürlich musste ihr Hirn an dieser Stelle erst einmal eine Pause einlegen und ihr alle möglichen Nummern um die Öhrchen pfeffern, die rein gar nicht mit irgendeinem ‚Generalschlüssel‘ zu tun hatten.

     „Ehm“, machte sie panisch und tippte nervös auf das Glas neben dem Eingabefeld – „Scheiße, wie war denn noch –„ Potter trat in ihr Sichtfeld, keine Handbreite von ihr entfernt und er schien irgendetwas zu brüllen. Luciana deutete auf ihre Ohren und schüttelte den Kopf, was der Knabe, glücklicherweise, sofort zu verstehen schien. „Generalschlüssel, Generalschlüssel“, murmelte sie grübelnd weiter, war es etwas mit einer Vier gewesen, oder fing es mit Zwei an, oder –

     ‚FÜR DIE EINGABE DES GENERALSCHLÜSSELS BLEIBEN IHNEN DREISSIG SEKUNDEN‘

     „Ehm …“ Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch weiter, Potter und seine panisch geweiteten Augen auszublenden half bei der Zahlenfindung keinen Deut und –

     ‚ZWANZIG SEKUNDEN‘

     „Verdammt, was war denn noch … HAH!!“

     Luciana tippte in rasanter Geschwindigkeit den Zahlencode sechs fünf fünf drei zwei eins ein, trat einen Schritt von der Glaswand zurück und –

     ‚DIE EINGABE DES GENERALSCHLÜSSELS IST NICHT KORREKT. SICHERHEITSPROTOKOLL K-107 WIRD EINGELEITET.‘

    

     Das Herzrasen war verschwunden. Dafür setzte das Pochen in ihrem Brustkorb für eine scheinbare Ewigkeit ganz aus. Potter starrte sie aus großen Augen an, offenbar bot sie in diesem Moment nicht den zuversichtlichsten Anblick. Wozu auch keinerlei Grund bestand, denn auch wenn sie niemals Augenzeuge von dem Sicherheitsprotokoll K-107 geworden war, wusste sie sehr genau, was nun unwiderruflich folgen würde. Interessanterweise wurde weder eine Klappe geöffnet, noch traten sichtbare Öffnungen aus dem Glas hervor, als ein orangefarbener Nebel zunächst die Knöchel von dem Jungen der lebte umschloss und unaufhörlich weiter seine Beine hinaufkroch. Potter riss seine Augen, kaum zu glauben, noch ein Stück weiter auf, versuchte mit einem Schritt nach hinten aus den wabernden Schwaden zu treten, doch mittlerweile war der gesamte Boden der Kabine ausgefüllt. Zuerst griff Potter nach seinem Hals, ganz, als würde er nach Luft ringen, dann traten deutlich sichtbar und in einem tiefen violett die Adern in seinem Gesicht hervor - keine zehn Sekunden später klatschte er, mit der Wange voran, bewusstlos gegen die Glaskabine.           

          

    

 

 

 

 

Oh du Fröhliche

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ein später Besuch

Ein später Besuch

 

Es dämmerte bereits, als Luciana wieder zum Grimmauldplatz zurückkehrte – beziehungsweise, das vermutete sie, immerhin war es durch das miese Wetter derart düster, dass sie den gesamten Tag nicht einen Streifen Sonne erblickt hatte. Bis auf ein paar U-Bahn Stationen war sie den Großteil des Weges zu Fuß gelaufen, da sich der gröbste Schauer zu einem sanften Sprühregen gewandelt hatte und sie nach fünf Gläsern Whisky und jenem heiklen Gesprächsstoff jeden Meter Frischluft gebrauchen konnte. Dementsprechend wenig Restalkohol vernebelte ihr Hirn, als sie die wenigen Stufen bis zur Eingangstür des Hauses der Blacks nahm und erst wagte zu klopfen, nachdem sie ihr Nervenkostüm für ausreichend vorbereitet befand – was auch immer sie im Innern erwarten mochte.

     Erstaunlicherweise wurde ihr von Bill Weasley geöffnet, eine Premiere und für den Anfang gar nicht mal schlecht.

     „Du hast den ganzen Showdown verpasst“, grüßte er sie zwinkernd und machte einen Schritt zur Seite, um sie einzulassen.

     „Das ist ja furchtbar tragisch“, kommentierte Luciana mit hochgezogener Augenbraue und ließ sich von ihm den Mantel abnehmen. „Sind die anderen in der Küche?“

     „Ein paar von ihnen, der Rest ist im Haus verteilt.“ Bill nickte rechts Richtung Kaminzimmer, in dem Charlie gerade an einem Eierpunsch nippte und ein Gespräch mit seinem Vater führte. Soweit so gut, bisher nicht die totale Mordsstimmung.

     „Geht es Po- Harry gut?“

     „Mh, ich glaube, er hat einen recht großen Schrecken bekommen, aber ansonsten … Sirius ist mit ihm nach oben gegangen, vielleicht vor zwei Stunden.“

     Luciana nickte, winkte Bill hinterher, als dieser ins Kaminzimmer abbog und schlug dann den Weg zur Küche ein. Am besten gleich das Schlimmste abhaken, dachte sie und selbstverständlich fand sie dort Mrs Weasley vor, genau wie die Zwillinge und Remus – doch die letzten drei bereiteten ihr weniger Sorge. Für die erste Zeit herrschte Stille, von dem Gemurmel der Zwillinge abgesehen, doch gerade, als Luciana die letzte halbe Tasse Kaffee aus der Thermoskanne auf dem Tisch ergattert hatte, richtete Mrs Weasley das Wort an sie:

     „Gaskammern, die aus dem Nichts auftauchen und wehrlose Kinder umbringen!“, schnaubte sie und als die ersten paar Sekunden des Schockmoments ob dieser Aussage verstrichen waren, schwoll Luciana gleich der Hals an vor Wut, da Gabriel sich ganz offensichtlich nicht an ihre Abmachung gehalten hatte.

     „Betäuben“, warf Remus in genau dem richtigen Moment ein und hielt sie eben noch davon ab, etwas verräterisches, ziemlich Dummes zu sagen. In diesem Moment konnte sie sich sehr glücklich schätzen, dass der Herr anscheinend seinen Mitgliedsvertrag bei der UOWV unterzeichnet hatte, ohne auch nur einen Teil des Kleingedruckten gelesen zu haben, zum Beispiel die Passage zum Sicherheitsprotokoll K-107.

     „Betäuben, als ob das einen Unterschied macht“, wetterte Mrs Weasley weiter (wenn die Gute wüsste, hätte sie sicherlich einiges zu dem Unterschied zu sagen) – George und Fred verdrehten zeitgleich die Augen, kaum, dass ihre Mutter ihnen kurz den Rücken gekehrt hatte, um einen riesenhaften Truthahn aus dem Backofen zu ziehen und ihn mit seinem Eigensaft einzupinseln. Das folgende Zischen schien die Grundstimmung der Dame nur allzu gut widerzuspiegeln, trotz und alledem lief Luciana bei dem Anblick des Megavogels das Wasser im Mund zusammen. Bei dem Gedanken an ein üppiges Festmahl war es ein Einfaches, die folgenden Minuten unaufhörlichen Gemeckers beinahe vollständig auszublenden, bis -

     „Ein Wunder, dass dieser Doktor Luciana nicht schon vor Jahren ‚versehentlich‘ umgebracht hat!“

     Und da war Mrs Weasley näher an der Wahrheit, als sie mit ihrem dürftigen Informationsstand ahnen konnte, immerhin hatte sie keinen blassen Schimmer von dem Waffensilo, der Giftmischerei im Tränkelabor, dem Abschnitt der Magieforschungsabteilung, in der es ‚unkonventionell‘ zuging, dem Verließ und seinen zugehörigen ‚Verhörungsabschnitten‘, der Kampfarena für die Vollmondnächte oder erst das Herz des Bunkers, ganz unten in der Minus Zehn Ebene, wo –

     „Kein Weihnachten, kein Geburtstag, schickt das arme Kind mit Horkruxen durch die Weltgeschichte und –„

     „Ich bin kein Kind“, unterbrach sie Mrs Weasley scharf - George und Freds kugelrunde, große Augen hätte sie allerdings nicht nötig gehabt, um im selben Augenblick, als sie die letzte Silbe ausgesprochen hatte, zu wissen, dass dies der denkbar schlechteste Zeitpunkt für Widerworte gewesen war. Das unvermeidliche Donnerwetter ließ Luciana zähneknirschend über sich ergehen, immerhin hätte sie auch einfach ihre vorlaute Klappe in Schach halten können – zudem standen die Chancen gar nicht mal schlecht, dass die Dame nach einem ordentlichen, schimpfenden Monolog endlich wieder etwas umgänglicher für das bevorstehende Weihnachtsessen sein würde … bis Mrs Weasley endlich ihre Schürze abband und diese schnaubend auf den Tresen warf, klingelten ihre Ohren – kaum zu begreifen, wie die Weasley-Sprösslinge das schon ihr ganzes Leben lang aushielten.

     „Selber Schuld“, meinte George mit einem Grinsen, gleich nachdem die Tür hinter seiner Mutter ins Schloss gefallen war, da sie nun die Treppe hinaufstapfte, um die gesamte Bagage zum Essen zusammenzutrommeln.

     „Und danke dafür“, bemerkte Remus trocken. „Der dritte Anschiss“, oha, und das Wort aus seinem Mund, „an einem Tag, dazu noch Weihnachten.“

     „Du hättest zu jeder Zeit den Raum verlassen können“, konterte Luciana.

     „Ich beweg mich heute nur noch in mein Bett, Steinhardt hat mich zweimal durch das Sangues gejagt, zu seinem Büro und wieder zurück.“

     Sie schluckte jeglichen Kommentar darüber, dass sie diese Strecke im letzten Monat über ein Dutzend Mal laufen musste, wenn Gabriel wiederholt nicht in der Lage gewesen war, genügend Geduld aufzubringen, auf die Eulenpost zu warten, die ihm die Sitzungsprotokolle ein paar Stunden später eingeflattert hätte. Dafür machte sich Luciana an einer anderen Stelle Luft:

     „Anstatt über die Sicherheitsvorkehrungen meines Paten zu meckern, hätte sie sich mal über Potter aufregen können, der mir einfach in den Kamin nachspaziert ist. Wollte nicht, dass Gabriel die Horkruxe in die Hände bekommt – mal von seinen ständigen Abhöraktionen ganz abgesehen …“

     „Keine Sorge“, gluckste Fred zufrieden, „den Abriss hat er bekommen, noch bevor Remus und er wieder ganz aus dem Kamin spaziert waren.“

     „Sie hat nicht einmal Sirius zu Wort kommen lassen“, fügte George dem noch hinzu, „und dabei war er mindestens so sauer wie Mum.“

     Oha, Black war nicht erfreut gewesen, dass Potter mal wieder ganz besondere ‚Eigeninitiative‘ an den Tag gelegt hatte? Sie war ernsthaft überrascht, konnte aber nicht weiter nachhaken, da in diesem Moment Ginevra und Granger zu ihnen stießen, dicht gefolgt von Mr Weasley, Charlie und Bill. In kürzester Zeit war die Küche gerammelt voll, allerdings herrschte, für diese hohe Anzahl an Menschen auf die paar Quadratmeter, eine recht angespannte Stille, die ihren Höhepunkt fand, als Black und Potter als letztes durch die Tür traten. Potter war zwar noch immer ein wenig blass um die Nase, allerdings machte er einen erstaunlich munteren Eindruck dafür, dass er an diesem Tag, strenggenommen, den Löffel abgegeben hatte.

     Es dauerte eine ganze Weile und einen halben Truthahn, bis nicht jedes Wort aus den Mündern der Leute am Tisch aufgesetzt und übervorsichtig gewählt klang, aber gerade mit den ältesten Weasley-Söhnen in der Runde waren die Gesprächsthemen schnell auf sicheres Terrain gelenkt, ergo man konnte fast vollständig vergessen, dass diese Feiertage zu einem verdammt unrosigen Zeitpunkt stattfanden. Selbst Mrs Weasley lachte bei der Erzählung ihres Zweitältesten laut auf, bei der ein ganz frischer Neuzugang auf seiner Arbeitsstelle in Rumänien kopfüber in den Riesenhaufen eines Chinesischen Feuerballdrachens gefallen war, auch wenn Luciana das zu fünfzig Prozent dem Elfenwein in ihrer Hand zuschrieb. Nachdem dieses Eis gebrochen war, blieb die Stimmung ausgelassen und fröhlich – zwar zeigte sich Potter noch immer verhalten und konnte ihr nicht einmal in die Augen blicken, nachdem er dreieinhalb Butterbier und ein Glas Eierpunsch intus hatte (Black vernichtete in der Zeit ein Viertel einer Whiskyflasche), aber Luciana bereute nun nicht mehr alle paar Minuten, Hermes Angebot, ihn nach Hause zu begleiten, ausgeschlagen zu haben.

     Als auch die letzte Schüssel geleert und auf den Silbertabletts mit den Fruchtküchlein kaum ein letzter Krümel übriggeblieben war (Luciana selbst hatte einen Bissen probiert und diesen, so dezent wie möglich, in eine Serviette gespuckt – die Briten und ihre seltsamen Geschmacksverirrungen), erledigten Bill, Charlie und Fred den Abwasch, Ginevra, Ronald und Granger verzogen sich in die oberen Stockwerke. Was dazu führte, dass letztendlich noch Potter, Black und sie an dem Tisch saßen, wobei ihr Plan darin lag, nach einer letzten Zigarette endlich in die Federn verschwinden zu können.

     „Sirius, lässt du Luciana und mich für einen Moment unter vier Augen sprechen?“

     Zum Glück hatte sie den letzten Schluck Rotwein vor einigen Sekunden heruntergeschluckt, bei der Ansage hätte sie garantiert Erstickungsanfälle bekommen. Black warf Potter und ihr jeweils einen kalkulierenden Blick zu, erhob sich dann mit seinem Whiskyglas in der Hand, schnappte nach der Flasche und verließ wortlos den Raum.

     „Er trinkt zu viel“, sagte Potter missmutig, kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war.

     „Genug Gründe dafür hat er“, bemerkte Luciana, „was die Angelegenheit nicht besser macht. Aber das solltest du ihm und nicht mir sagen, auf deine Meinung scheint er viel zu geben.“

     Potter lächelte schief und schüttelte dann sein zotteliges Haupt.

     „Ich habe ihn schon oft darauf angesprochen. Er meint, es hilft ihm beim Einschlafen. Und dass er gar nicht ‚zu viel‘ trinkt. Ich solle keinen Aufriss darum machen.“

     Ah. Aussagen eines Bilderbuchalkoholikers, aber das musste sie ihm nicht gerade heute stecken. Zumal er sie bestimmt nicht wegen des Alkoholkonsums seines Paten alleine hatte sprechen wollen.

     „Sag es seinem Therapeuten, das ist wahrscheinlich der Einzige, der ihm dabei helfen kann.“

     Potter nickte nachdenklich.

     „Ja, das wird wohl das Beste sein. Wo er nicht einmal auf Mrs Weasley oder Lupin hört.“

     Pff, als würde Black sich etwas von Remus sagen lassen, der Junge hatte komische Vorstellungen.

     „Dein Pate hat mir ein paar Dinge erklärt“, sagte er dann, nachdem ihm anscheinend deutlich geworden war, dass Luciana nichts mehr darauf zu erwidern hatte. „Wieso seine Organisation entstanden ist und dass sie schon beim ersten Mal gegen Voldemort gekämpft haben.“ Huch, da hatte der Junge das böse Wort in den Mund genommen und nach mindestens einer halben Minute des Schweigens saß noch immer kein angesäuerter Schwarzer Führer auf Potters Schoß. Wer hätte das gedacht ... „Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dir gefolgt bin und deinen Leuten so misstraut habe.“

     Luciana starrte Potter über den Tisch hinweg an, ohne einmal dabei zu blinzeln. Offenbar hatte Gabriel ganze Arbeit geleistet und für diesen Sinneswandel bei ihrem Klassenkameraden nicht einmal ein Achtel eines Tages benötigt, den sie seit Monaten zu erreichen versuchte … wenn auch nicht mit besonders viel Engagement dahinter. Andererseits hatte sie keine Ahnung, welche Geschütze ihr Pate aufgefahren hatte und es wäre sicherlich keine besonders kluge Idee, danach zu fragen.

     „Die Rechnung für deine Aktion hast du ja sofort bekommen, damit sollte es aus der Welt sein, mh?“

     „Ja, mein Kopf brummt immer noch“, erwiderte Potter mit einem schiefen Halbgrinsen. Dabei waren ein wenig Kopfschmerzen als Nachwirkung vom temporären Radieschenzählen verdammt human, schade, dass sie ihm das nicht unter die Nase reiben konnte. „Sag mal …“, begann er dann etwas zögerlich, „Sirius hat mir erzählt, diesen Bund von deinem Paten gäbe es nur in Europa, nicht in den anderen Ländern, stimmt das?“

     Diese Frage warf Luciana im ersten Augenblick aus der Bahn, doch sie fasste sich schnell wieder.

     „Ja. Hin und wieder sind ein paar Leute aus den Staaten bei uns, aber die haben hier alle Verwandtschaft oder sind immigriert.“

     Potter sah nachdenklich drein und kratzte dabei an dem Etikett seiner Butterbierflasche.

     „Doktor Steinhardt hatte nach unserem Gespräch noch ein Treffen. Eine Sitzung, wie er sagte und in dem Raum neben seinem Büro“, sie nickte, zur Bestätigung, dass sie wusste, wovon er sprach, „saßen Asiaten am Tisch, bestimmt zwanzig oder dreißig.“

     Luciana zog ihre Brauen zusammen, diese Information war tatsächlich ungewöhnlich.

     „Wir haben ein paar Asiaten als Mitglieder, aber die sind alle Europäer und mir würde kein Grund einfallen, wieso Gabriel ausgerechnet sie zusammentrommeln sollte, die haben alle total unterschiedliche Aufgabenbereiche oder sind einfache Mitglieder, die gar nicht für ihn arbeiten.“

     „Nein, sie haben alle japanisch … oder chinesisch oder –„

     „Japanisch?“

     „Vielleicht, ich meine, ich spreche beide Sprachen nicht, aber ich bin mir fast sicher, dass es japanisch war.“

     Sie machte sich nicht die Mühe, Potter darüber aufzuklären, dass in China de facto nicht ‚chinesisch‘ gesprochen wurde, zudem wurde sie gerade sowieso viel zu sehr von dem äußerst klaren Bild vor ihrem geistigen Auge abgelenkt, welches die erste Seite der Personalakte von Mr Smythe und seinen Geburtsort aufzeigte. Dann noch die Entführung von genau jenem, jetzt eine Sitzung mit Japanern, was zur Hölle trieb Gabriel da?

     „Ach, da fällt mir ein, das waren sicher seine Geschäftspartner“, bluffte Luciana – bevor sie nicht genau sagen konnte, was gerade in der UOWV ablief, konnte sie garantiert keinen Potter gebrauchen, der seinen frisch gefundenen Meinungswechsel gegenüber ‚ihren Leuten‘ genauso schnell über Bord werfen würde, wie er gekommen war. Ob er ihr diese Begründung allerdings abgekauft hatte, war schwer einzuschätzen. Er knibbelte noch immer an seiner Butterbierflasche und sah ihr somit nicht in die Augen. Vielleicht sollte sie die Geschichte noch etwas ausbauen, ein paar frei erfundene Namen aus dem Allerwertesten ziehen und ein Oberthema für die Konferenz erfinden, welches ihr, brühwarm gerade wieder eingefallen wäre? Bei Potter konnte man nie genug auf Nummer sicher gehen.

     „Wahrscheinlich waren das mal wieder ein paar Leute aus dem Börsenviertel, da kommen die Herrschaften aus aller Welt und –„

     Na klasse, da hatte sie sich gerade ein halbes Dutzend hübsch exotisch klingende Namen zusammengebastelt und natürlich musste Black genau diesen Augenblick abpassen, die Szenerie zu stürmen. Mit angepisster Miene. Und Remus im Schlepptau. Der … Moment, was hatte Snape hier zu suchen? Es war schwer auszumachen, wer dümmer aus der Wäsche guckte, Potter oder sie – Ersterer schnappte sich seine Flasche und war drauf und dran fluchtartig die Küche zu verlassen, doch da war Snape ein Nanosekündchen schneller:

     „Potter, Sie bleiben hier.“

     Ha, Glück im Unglü-

     „Miss Bradley, Sie ebenfalls.“

     Dabei hatte sie gerade mal ihren Hintern eine Handbreite vom Stuhl erhoben. Okay, was war hier los, wieso stiefelte Snape im Grimmauldplatz umher, ohne, dass eine Ordenssitzung einberufen worden war, am Weihnachtsabend und was hatte das alles mit Potter und ihr zu tun?

     „Harry geht es gut, Snape“, knurrte Black den Tränkemeister von der Seite an, nahm neben Potter auf dem freien Stuhl Platz, legte seinen Arm in einer sehr deutlichen Körpersprache um dessen Lehne und funkelte Snape feindselig entgegen.

     „Es ist nicht an dir, dies zu bewerten“, schnarrte Snape in einem, kaum zu glauben, noch feindseligeren Tonfall zurück. Okay, hatte der Kerl neben seinem Tränkestudium und privaten Dunklen Künste Forschungen noch nebenbei eine Heilerausbildung abgeschlossen, während er sich in der Zwischenzeit nebenbei neun Fremdsprachen angeeignet hatte, oder was war hier los? Allerdings hatte Luciana keinen blassen Schimmer, ob Snape jemals eine Universität von innen gesehen hatte, immerhin war Johnny von Dumbledore eingestellt worden und bei ihm konnte sie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass sein Bildungswerdegang noch vor Volljährigkeit ein jähes Ende gefunden hatte. Aber zurück zum Thema, was war hier los? Snape machte einen Schritt auf Potter zu und zückte dabei seinen Zauberstab, ihr Klassenkamerad wich, soweit es seine sitzende Position zuließ, ein Stück zurück – in der nächsten Sekunde war Black aufgesprungen und versperrte Snape den Blick auf seinen Patensohn und ach ja, Remus schien überfordert damit, die Situation einzuschätzen. Genau wie sie selbst. Dieser Tag war wirklich eine Zerreißprobe für ihre Nerven.

     „Professor“, sagte Luciana und bekam einen Moment verzögert seine volle Aufmerksamkeit (das intensive Starrduell mit seinem Lieblingskontrahenten verlangte, wie immer, ganz besonders harte, gehässige Körpersprache und Gesichtsmimik). „Wären Sie so freundlich erst einmal zu erklären, was Sie genau mit Ihrem Ding“, sie deutete auf seinen Zauberstab, „vorhaben, bevor Sie auf Potter losgehen?“

     „Er meint, er wär mal wieder der Einzigste“, ‚Einzige‘, nen Absolutadjektiv lässt sich nicht steigern, du Idiot, „der wirklich herausfinden könnte, ob mit Harry alles okay sei, nach der Attacke von deinem Paten!“, knurrte Black wütend, bevor Snape auch nur zum Sprechen ansetzen konnte. Was er jetzt natürlich nachholte.

     „Der Schulleiter“, schnarrte Snape in ihre Richtung und warf Black dabei einen bitterbösen Seitenblick zu, „hat mir aufgetragen, Potter auf mögliche Folgeschäden zu untersuchen, eine unabhängige, zweite Meinung – nicht jeder ist so vertrauensselig wie du, Black.“ Damit bekam Black wieder seine volle Beachtung. „Sei dir gewiss, dass ich mit diesem Abend zweifelsohne besseres hätte anfangen können, als Potters Einfältigkeit auszubaden.“

     „Folgeschäden?“, hakte Potter nach, anscheinend völlig unbeeindruckt von Snapes Seitenhieb. „Ich war nur für ein paar Minuten ausgeknockt, mir geht es gut!“

     Oh verdammt, bei dem Wörtchen ‚ausgeknockt‘ hatte Lucianas Gesicht ganz offensichtlich eine Regung zu viel preisgegeben, die ihr nun Snapes argwöhnische Aufmerksamkeit eingebrachte. Sie schaute sofort in Potters Richtung und brach somit den Kontakt zu seinem Röntgenblick ab, gleichzeitig war sie sehr bemüht, eine neutrale Miene aufzusetzen.

     „Anordnung des Schulleiters, Potter“, erst nach diesen Worten wandte Snape sich von ihr ab, zumindest sah es aus ihrer Seitenperspektive ganz danach aus. „Aber gewiss kann ich ihm ausrichten, dass Sie der Auffassung sind, diese Situation, die, nebenbei bemerkt, den Orden um ein Haar einen äußerst gewichtigen Zusammenschluss gekostet hätte, meinen besser einschätzen zu können, als er.“

     Ach, plötzlich war der Herr der Meinung, die Zusammenarbeit des Ordens mit der UOWV sei ‚äußerst gewichtig‘? Das würde sie ihm bei der nächsten Gelegenheit, die sich unter Garantie in Rekordschnelle ergeben würde, unter die Nase reiben – und es in vollen Zügen genießen. Übrigens schien Snape nach dieser Ansage und einem kurzen Starrduell mit Potter als Sieger aus dieser Runde herausgegangen zu sein, denn ihr Klassenkamerad erhob sich kurzerhand von seinem Stuhl, trat einen Schritt an die Seite seines Paten und sah Snape auffordernd an. Ziemlich mutig, wie Luciana ihm eingestehen musste, bei dem Blick des Tränkemeisters wäre sie ihm und seinem Zauberstäbchen nicht auf einen Kilometer Entfernung entgegengekommen. Tatsächlich nutzte Snape nicht die Gunst der Stunde, Potter oder seinem Paten irgendeinen Fluch auf den Hals zu hetzen, sondern vollbrachte irgendwelche, ihr völlig unbekannten Bewegungen mit seinem Zauberstab. Korrektur, ein paar davon hatte sie vielleicht in den zwei Wochen ihres Praktikums sehen können, mit Bestimmtheit konnte sie dies aber wirklich nicht sagen.

     Nach ein paar Minuten des Beobachtens von unspektakulärem Wünschelrutengefuchtel kam Luciana wiederholt die Frage, was zur Hölle sie eigentlich bei dieser Prozedur zu suchen hatte. Snape hatte explizit nach ihrer Anwesenheit verlangt, doch zu welchem Zweck? Sollte sie direkt stellverstretend den Kopf für die UOWV hinhalten, sobald er bemerken sollte, dass es bei Potter wirklich zu Folgeschäden kommen könnte oder würde er sie nach seiner Analyse  ausquetschen, mit welcher Art ‚Betäubungsmittel‘ Potter unschädlich gemacht worden war? Vielleicht war er so gut im Analysieren, dass er jeden Moment herausfinden würde, dass Potter für ein paar Minuten das Zeitliche gesegnet hatte und nicht bloß ‚ausgeknockt‘ gewesen war? Bei diesem Gedanken brach ihr der kalte Schweiß auf der Stirn aus, ganz besonders in dem Augenblick, als Snapes Zauberstab vor der Herzregion von Potter Halt machte und dort stehenblieb - aber nichts von Snapes Mimik oder Gestik gab preis, wie nahe oder entfernt er von der Wahrheit war. Sollte sie einfach die Ahnungslose mimen und so tun, als wäre weder Johnny, ihrem Paten oder ihr aufgefallen, was wirklich geschehen war? Bluffen war eins ihrer Spezialgebiete, auch wenn Snape dabei eine besonders große Herausforderung darstellte – auf einen Versuch sollte sie es sicher ankommen lassen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Stabspitze von Potters Brust abwanderte und sie endlich wieder ein klein wenig Aufatmen konnte.

     Snape steckte seinen Zauberstab zurück in seinen Ärmel, trat einen Schritt von Potter weg und richtete sich wieder zur vollen Größe auf. Die folgende Stille war zum Zerreißen gespannt.

     „Und?“, fragte Remus nach einer ganzen Weile.

     „Ich kann nichts Außergewöhnliches feststellen.“ Diese Worte waren Balsam auf Lucianas geschundenem Nervenkostüm und ihr Herzschlag sank endlich in etwas normalere Parameter ab. Zwar schien Snape wenig begeistert darüber, zugegeben haben zu müssen, dass die Einschätzung der Heiler ihres Paten und auch die von Potter selbst der Wahrheit entsprachen, aber den Dämpfer auf sein Ego hatte er, ihrer Meinung nach, mehr als nötig gehabt.

     Black nutzte die Gelegenheit, Snape einen besonders geringschätzigen Blick zuzuwerfen und mit Potter im Schlepptau wortlos das Weite zu suchen – natürlich nicht, ohne dabei die Tür ordentlich scheppernd ins Schloss fallengelassen zu haben. Interessant, dieser unerwartete Besuch am Weihnachtsabend war sonderbar glimpflich und vor allem ohne Prügelei, Magierduell oder verdammt unschöner Erklärungsnot ihrerseits ausgegangen. Obwohl, was hieß hier ausgegangen, Snape stand noch immer an Ort und Stelle und hatte nun Luciana ins Visier genommen. Das kam davon, wenn man den Tag vor dem Abend lobte, oder in diesem Fall, den Abend vor der Nacht.

     „Brauchen Sie eine schriftliche Aufforderung, Miss Bradley, oder sind Sie eigenmächtig in der Lage, Ihrem Vermittlungsposten nachzukommen?“

     Luciana zog fragend ihre Augenbrauen zusammen, doch nachdem Snape nicht den Eindruck machte, diesem rätselhaften Satz noch irgendetwas hinzuzufügen und sie lieber anzusehen, als sei der Inhalt ihres Schädels nichts weiter als ein Vakuum, sah sie Remus verwirrt an. Noch ein paar Sekunden der Stille, in welcher der schwarze Stoffberg auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches bereits schnaubende Ungeduldslaute von sich gab, dann schien Remus endlich ein Licht aufzugehen.

     „Johnny hatte vorhin über das Flohnetzwerk mit Mr Weasley gesprochen, Dumbledore hat mit Steinhardt die Übergabe des Generalschlüssels ausgehandelt.“ Okay, jetzt machte Luciana sogar das passende Gesicht zu dem Vakuumschädel.

     „Bitte was?!“

     „Im Laufe des Nachmittags sind zwei Bussarde eingetroffen, ich nehme an, in den Briefen steht der Schlüssel.“ Nein, das konnte einfach nicht der Wahrheit entsprechen, Gabriel würde nie, niemals den Generalcode an Außenstehende weitergeben, nicht mal der komplette Vorstand hatte Zugriff darauf. Irgendetwas musste faul sein – verdammt, da verließ Luciana mal für ein paar Stunden das Hauptquartier und in dieser kurzen Zeitspanne schien mal eben die Hölle eingefroren zu sein. „Tut mir leid“, setzte Remus nach, „bei all dem Chaos heute habe ich ganz vergessen, dir Bescheid zu sagen.“ Offenbar fehlinterpretierte er gerade gehörig ihre Mimik, noch eine Premiere. „Ich habe dir die Umschläge in die Schublade mit deinen Sachen in meinem Zimmer gelegt.“ Wieder ein Schnauben aus Snapes Richtung, dieses Mal gepaart mit einem süffisanten Halbgrinsen – hä?

     „Schlafgemach-Arrangements mit Black, ganz wie in alten Zeiten, Lupin?“

     „Nein, Severus“, entgegnete Remus, während Luciana einfach dazu überging ihr neutralstes Gesicht aufzusetzen, bei all dem Kauderwelsch, den die beiden von sich gaben. „Luciana schläft seit Beginn ihres Praktikums bei mir, kein Grund die Räumlichkeiten zu wechseln.“

     Snapes Grinsen erstarb augenblicklich, seine Augen wurden für eine Millisekunde zu Schlitzen, bevor sein komplettes Erscheinungsbild ein derartiges Neutrumlevel erreichte, dass das Rätsel um Mona Lisas Lächeln dahingegen wie ein Emotionsatlas eines Physiognomie-Schnupperkurses abstank. Wie waren sie von Potters Gesundheitszustand zu einem Generalschlüssel auf Lucianas temporäre Bettgewohnheiten gekommen? Und wer von ihnen hatte einen Blizzardzauber über die Küche gesprochen? Okay, das schien vielleicht etwas überspitzt ausgedrückt, immerhin wehte nicht ein Lüftchen, aber davon abgesehen hätte ein Fertiglebensmittelhersteller in diesem Augenblick in dem Zwischenraum von Snapes und Remus Blickkontakt eine Pizza schockfrosten können. Höchste Zeit das Weite zu suchen, der Tränkemeister schien ein wenig gereizt über seine spontane Weihnachtsabendplanänderung, kein Grund das noch länger hinzuziehen.

     „Ich schaue eben nach, bin gleich zurück.“

     „Beeil dich, wir wollen Severus nicht noch länger aufhalten“, sagte Remus und wich bei dieser Gelegenheit Snapes stechendem Blick aus. Was sie verdammt gut nachvollziehen konnte, hätte er sie so angeschaut, Luciana wäre noch schneller aus der Küche verschwunden, als es ohnehin schon der Fall war.

     Auf dem Weg in das erste Obergeschoss bekam sie nur beiläufig mit, dass das Kaminzimmer mindestens die Hälfte aller Hausbewohner zu beherbergen schien, die den Abend auf den zahlreichen Sofas und Sesseln des Raums nutzten, um ihre vollen Bäuche zwischen zu parken, bevor es in die Betten in den oberen Stockwerken gehen konnte. Erst auf der letzten Stufe vernahm sie weiteres Gemurmel, das aus dem Salon, direkt gegenüber von Remus Schlafzimmer, drang, da die Tür einen Spalt aufstand und verdächtig nach Potter und Black klang. Luciana ließ sich nur kurz von dem Gedanken ablenken, dass dies doch recht ungewöhnlich erschien, wo dieses Zimmer so gut wie nie genutzt wurde – allerdings verwarf sie sofort die Idee, die Gelegenheit für einen kleinen Lauschangriff zu nutzen. Sie könnte Potter schlecht ein Verhalten vorwerfen, welches sie dann selbst an den Tag legen würde. Zudem hatte sie nicht im Sinn, Remus unnötig lang mit Snape alleine in der Küche sitzen zu lassen, immerhin hatte sie heute mit genügend leblosen Körpern zu tun gehabt.

     Daher legte sie ab diesem Moment einen Zahn zu, riss die Schublade mit ihren Sachen auf und griff nach den beiden Umschlägen, die oben auf ihrem Klamottenberg lagen, doch bevor sie wieder den Rückweg antrat, zögerte sie. Die Briefe waren an Luciana adressiert, das anthrazitfarbene Wachssiegel nicht gebrochen und bevor es zu weiteren Unfällen kommen konnte, setzte sie sich auf die Bettkannte und öffnete beide Umschläge (die UOWV hatte, höchstwahrscheinlich, noch heimtückischere Flüche auf Lager, als die Malfoys) – zum Vorschein kamen zwei schlichte, kleine Zettel, auf denen ein insgesamt vierundsechzigstelliger Zahlencode notiert war. Lucianas erste Reaktion bestand aus einem Schnauben, kurz danach war sie versucht nach ihrem Handy zu greifen und Gabriel eine Standpauke über arglistige Täuschung zu halten. Denn mal ernsthaft, wer sollte es bitte bewerkstelligen, innerhalb von dreißig Sekunden nicht nur ein Tastenfeld ausfindig zu machen, sondern auf selbiges eine vierundsechzigstellige Zahlenfolge einzugeben? Ihre Skepsis von eben war demnach vollkommen begründet gewesen, der Generalcode hatte in den letzten Jahren nie mehr als acht Ziffern beansprucht und das tatsächliche Password würde diese Anzahl garantiert nicht überschreiten. Andererseits hatte ihr Dumbledore, seitdem sie  ihm das erste Mal begegnet war, mehr als genügend Gründe geliefert, ihm zu misstrauen und seine Beweggründe in Frage zu stellen, da sollte sie es eher befürworten, dass dieser Mann nicht in der Lage war, unbehelligt im Bunker herum zu spazieren.

     Luciana ließ die beiden Briefumschläge auf der Bettdecke liegen, steckte die beiden Zettel gefaltet in ihre Jeans und beeilte sich, so schnell wie möglich wieder in die Küche zu gelangen, bevor Snape seinen Unmut über ihre Trödelei an Remus auslassen konnte.

     Letztendlich schien ihre Sorge ein wenig unbegründet – zwar war die Atmosphäre im Untergeschoss noch immer auf dem Tiefpunkt und Remus schien in all seiner Verzweiflung damit begonnen zu haben, eine Kanne Tee aufzusetzen, damit er etwas Abstand zwischen sich und Snape bringen konnte (der noch immer an Ort und Stelle stand und sich, von den verschränkten Armen vor seiner Brust ausgenommen, keinen Millimeter bewegt zu haben schien), doch nachdem sie dem Tränkeprofessor die Zettel entgegengestreckt hatte und dieser, mit einem kurzen, prüfenden Blick darauf, sie in den Tiefen seines Umhangs verschwinden ließ, machte er ohne Umschweife auf dem Absatz kehrt und verließ wortlos den Raum. Okay, auch wenn Snape für diesen Abend sicherlich andere Pläne gehabt haben sollte und ihn das Krankenschwester für Potter plus Laufbursche spielen berechtigt die Laune verhagelt hatte, wäre ein kurzes ‚Guten Abend‘ doch das Mindeste an Höflichkeit gewesen. Zumal er Luciana letztendlich nicht einmal eines Blicks gewürdigt hatte – na ja, wenigstens hatte er seine schlechte Laune nicht an Remus ausgelassen und –

     „DU!“ – Luciana fiel vor Schreck die Zigarette auf den Boden, die sie gerade in ihren Mundwinkel geschoben hatte. Remus hatte sich blitzschnell zu ihr gedreht und zielte seinen Zeigefinger genau auf ihren Kopf. Dabei sah er verdammt sauer aus, was war denn jetzt schon wieder – „Du gehst noch heute Abend zu Severus und erklärst ihm, dass wir kein heimliches Stell-dich-ein miteinander haben, hast du verstanden?!“

     ‚Stell-dich-ein‘, das Grinsen erschien wie automatisch auf ihrem Gesicht – und erstarb so schnell, wie es gekommen war, bei dem Blick, den sie dafür kassierte.

     „Wieso sollte er das denken?“, fragte sie und sammelte die Zigarette vom Boden auf.

     „Weil ich ihm gesagt habe, wo du die letzten Wochen geschlafen hast und er nicht sehr erfreut reagiert hat, klingelt es da?!“ Und das sagte er in einem Tonfall, als sei sie diejenige gewesen, der diese Information herausgerutscht sei.

     „Richtig, du hast ihm das gesagt, wieso soll ich das jetzt wieder –„

     „Ich habe nicht nachgedacht, verdammt“, schnaubte Remus aufgebracht auf. „Er hat mir unterstellt ‚Schlafgemach-Arrangements‘ mit Sirius zu haben, ganz als würde er darauf anspielen wollen, dass Sirius und ich –„ Hier sprach er nicht weiter und sah betreten zu Boden. Luciana seufzte laut auf, zündete die Zigarette an und blies augenverdrehend Rauch an die Decke.

     „Wenn Snape eine Ahnung von der Sache hätte, dann würde er keine einzige Gelegenheit auslassen, dich damit aufzuziehen, meinst du nicht auch?“

     „Wahrscheinlich hast du Recht“, murmelte er, nachdem er sich ihre Aussage anscheinend eine Weile durch den Kopf hatte gehen lassen.

     „Und außerdem interessiert es ihn sicher nicht, was ich in meiner Freizeit treibe, solange ich dabei nicht irgendeine wichtige ‚Operation gefährde‘. Er hatte schlechte Laune, seitdem er hier reingeplatzt ist, du solltest echt nicht alles überinterpretieren.“

     Stille. Remus lehnte mit den Händen hinter sich gestützt am Tresen und starrte Luciana an, als seien ihr gerade Tannenzapfen aus den Ohren gewachsen, dann:

     „Bist du blind?!“

     „Ehm –„

     „Nach diesem unbedachten Spruch von mir hat es ihm sehr klar alles abverlangt, mir keinen Unverzeihlichen auf den Hals zu hetzen. Und hast du schon vergessen, wie er mich angesehen hat, als ich dir nach dem Buckingham Palast einen Schlafplatz angeboten habe?“

     „Er sieht dich andauernd so an, das scheint ein Vorrecht zu sein, wenn man Potter heißt oder Mitglied bei eurem Landstreicher“, „Rumtreiber“, „was auch immer-Verein war.“

     Für einen Augenblick machte Remus den Eindruck, wie wild hin und her zu kalkulieren, bevor er wieder zum Sprechen ansetzte.

     „Du gehst zu ihm und erklärst ihm, dass da nichts zwischen uns läuft. Und bei der Gelegenheit könnt ihr gleich mal euer Gespräch über ‚die Sache‘“, dies unterstrich er mit optischen Anführungszeichen durch seine Finger, „fortsetzen, bevor noch mehr Unbeteiligte mit hineingezogen werden!“

     „Remus“, seufzte sie und setzte ein schiefes Lächeln auf. „Mit der Ausnahme, dass ich dir hin und wieder die Ohren volllabere, wird niemand irgendwo mit hineingezogen. Also überlass es mir, wann ich ihn zu dem Gespräch nötige.“ ‚Nötigen‘ war hier übrigens das Stichwort, freiwillig würde sie ihn, selbst nach seinem Einsehen zum Ende der letzten Unterredung, niemals dazu bekommen. „Und hier noch einmal ganz deutlich zum Thema ‚Schlaf-Arrangements‘ mit dir:  Es. Interessiert. Ihn. Nicht.!“

     Für die nächsten zwanzig Sekunden wurde es derart still in der Küche, dass man das unverständliche Gemurmel der anderen aus dem oberen Stockwerk hören konnte. Dabei kannte sie den Blick von Remus, den er gerade aufgesetzt hatte – er überlegte sehr genau, welche Strategie er anwenden sollte, um sich gegen ihren Dickkopf durchsetzen zu können. Da könnte er lange überlegen. Pah, als würde sie auf die Idee kommen, Snape freiwillig an diesem Abend noch einmal seine Freizeitplanung zu zerschießen …

     „Als Severus mit uns als Schüler nach Hogwarts kam, hatte er eine Schreibfeder dabei.“ Was zur Hölle? War Remus jetzt völlig übergeschnappt? „Wie wir alle, mit dem Unterschied, dass er auf das Ding Acht gab, als bestünde es aus Zuckerwatte. Er hat sie immer in einem Kästchen in der Tasche aufbewahrt und James kopfüber am Geländer der Eingangshalle aufgehängt, als dieser einmal den Versuch unternommen hatte, sie aus seiner Tasche zu stibitzen.“

     „Ehm, Remus, geht es dir gut? Bist du sicher, dass das nur Tee ist in deiner Tasse?“

     „Er hat sie niemals weiterverliehen“, setzte er die Geschichte unbeirrt fort, während Luciana überlegte, wer im Haus am qualifiziertesten war, Remus auf seine geistige Unversehrtheit hin zu überprüfen, „nicht einmal an Professor Slughorn, dem Tränkelehrer zu unserer Zeit, als dieser einmal darum gebeten hatte, da er seine nicht finden konnte. Dabei wollte er nur Severus eigenen Aufsatz mit einem Pluszeichen versehen, welches er vergessen hatte zu notieren.“ Okay, das hörte sich wirklich nach einer ungesunden Obsession an, allerdings wunderte Luciana nichts mehr, was Snape anbelangte. „Im zweiten Schuljahr haben wir in Verwandlung gesehen, wie Rosier, auch ein Slytherin und mit Severus befreundet, so dumm war, die Feder an sich zu nehmen und die Aufgabenstellung der Hausarbeit damit zu notieren.“ Verdammt, jetzt legte Remus eine Kunstpause ein – dabei hatte er sie in Rekordschnelle von ihrem ‚was zur Hölle Modus‘ mit ein paar Sätzen zu ‚wie geht es verdammt nochmal weiter‘ katapultiert. Durchtriebener Werwolf. „Severus hat nicht einen Ton gesagt, als er es bemerkte. Hat ihm die Feder abgenommen, sie in aller Ruhe in ihrem Kästchen verstaut und im Unterricht kein Wort mehr mit Rosier gewechselt. Ab da hatten wir alle angenommen, damit wäre die Angelegenheit geklärt. Bis zum nächsten Morgen.“

     „Was war am nächsten Morgen?“, fragte sie ungeduldig, Remus Blick wurde noch durchdringender.

     „Ein großer Aufruhr im Slytherin-Gemeinschaftsraum, wir anderen haben auch nur davon gehört. Es gab viele Spekulationen, was in der Nacht geschehen sein konnte, die Slytherins haben alle dichtgehalten, aber sicher ist, dass Rosier zwei Wochen nicht den Krankenflügel verlassen hat.“ Luciana schluckte. „Wenn er bei einer schlichten Schreibfeder im Alter von zwölf Jahren einen Hauskameraden für zwei ganze Wochen in den Krankenflügel befördert, was meinst du stellt Severus mit mir an, wenn er der Meinung ist, ich würde mir sein Mädchen ‚ausborgen‘?“ 

     „Was auch immer mit dem Schüler geschehen ist, muss nichts mit der Feder oder Snape zu tun gehabt haben. Und ich bin garantiert nicht ‚sein Mädchen‘.“

     Remus schnaubte genervt auf und knallte seine Teetasse auf den Küchentresen, dann deutete er mit seinem Finger auf den Fliesenspiegel hinter sich, der … war der breite Riss schon immer dagewesen, oder –

     „Die Wand ist mir fast ins Gesicht gesprungen, keine zwei Sekunden, bevor du wieder zur Tür rein bist, dabei hatte Severus nicht mal seinen Zauberstab in der Hand.“

     „Das ist nen altes Haus, das kann sich auch einfach nur gesetzt ha-„

     „Luciana Evelyn Bradley!!“ Oh oh, vollständiger Name. „Ich habe mir den Irrsinn, den du dir seit Monaten zurechtgelegt hast, lange genug mitangehört, das hat jetzt ein Ende!“ Sie schluckte, Remus trat einen Schritt näher an sie heran, wenigstens drosselte er seine Lautstärke. „Ich wage nicht zu erraten, welche Flausen in Severus Kopf herumspuken, die ihn dazu gebracht haben, es so weit mit einer Schülerin“, jetzt nicht die Augen verdrehen, „kommen zu lassen und das Gespräch über deine Wahrnehmung von dem Mann verschieben wir auf ein anderes Mal, aber lass dir eins gesagt sein: Severus hat eine neue Lieblingsfeder und du wirst noch heute Abend zu ihm gehen und klarstellen, dass ich sie mir nicht ausgeborgt habe!“  



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  KaFurke
2017-10-12T19:17:31+00:00 12.10.2017 21:17
Hello my Dear.

Habe soeben LB&dSdV zuende gelesen.
Auf ff versteht sich, aber es ist einfacher für mich Dir hier zu schreiben (die Mobile Seite von ff taugt noch weniger als die hier!)

Vielen lieben Dank. Das liest sich großartig. Ich habe mich vorhin dabei erwischt, zu denken, dass ich Deine HP Variante tatsächlich gerne als gedrucktes Buch in mein Regal stellen würde.
:)

Und natürlich freue ich mich jetzt auf Teil 3.
Danke, dass Du durchgehalten hast, so toll zu schreiben.

GLG, ka.
Von:  KaFurke
2017-10-08T16:30:46+00:00 08.10.2017 18:30
Oha!

Schön, dass wir Johnny mal näher kennen lernen!
Von:  KaFurke
2017-10-08T09:42:06+00:00 08.10.2017 11:42
Spannend, was der Guten so alles zustößt...
Von:  KaFurke
2017-10-07T11:25:22+00:00 07.10.2017 13:25
Hui, was ein Glück hast Du weiter geschrieben.

Nachdem ich Teil I verschlungen habe, habe ich allerdings Anlaufschwierigkeiten mit diesem Kapitel gehabt.
Vlt liegt mir, der auf Luciana angepasste Schreibstil mehr.

Wie dem auch sei... das war eine sehr aufschlussreiche Unterhaltung, zwischen den 2 alten Herren.

Ich les dann mal weiter ♥
Von:  Black-Cat1605
2017-05-23T01:52:03+00:00 23.05.2017 03:52
Bin eigtl eher der ruhige leser aber ich muss sagen das ich schon den ersten teil verschlungen habe :D und kaum die freitage abwarten kann bis ein neues kapitel kommt... ich hoffe das du bald wieder zeit findest das nächste kapitel zu posten :)
liebe grüße :D
Antwort von:  Picadelly
26.05.2017 10:38
Vielen Dank für dein Review - eigentlich lade ich hier mehr aus Gewohnheit hoch, als alles andere, da die Response dann doch sehr verhalten ist. Außerdem dauert es hier ein klein wenig lang, bis die Kontrollen der einzelnen Chaps durch sind, also wenn du aktuell bleiben magst, dann empfehle ich dir die FF auf fanfiktion de zu lesen, da kommt jeden Freitag pünktlich ein Kapitel. Username ist derselbe, ich wünsche dir schonmal viel Spaß mit den nächsten Kapiteln!
Von:  SarahLee
2017-03-12T23:07:09+00:00 13.03.2017 00:07
Hallöchen piccadilly!

Als erstes mal ein megggaaaa fettes Lob an dich für die mehr als gelungene story teil 1 luciana bradley und der orden des phönix. Bin echt nicht mehr vom staunen rausgekommen wie genial dein schreibstil is. Hab mich auch öfters tot gelacht weil dein char luciana einfach derb geil dargstellt ist, dieses kleine freche luder *gefällt mir* ^.^ ... und es wird nie langweilig und bleibt immer spannend also ein muss zum weiterlesen für leseratten und hp fans ;)...ach, übrigens hab die story innerhalb von ein paat tagen durchgelesen weil sie mich einfach so extrem in den bann gezogen und fasziniert hat.. und als ich am ende war fast schon verzweifelt bin und schon meinen kopf gegen die wand hauen wollte weil ich dachte "ach nöö bitte nicht sag jetzt nicht das wars jetzt.. was is mit jahr 6 und 7. Kommen snape und lucy vl doch noch zusammen usw.. ahhhh und dann siehe da es gibt eine fortsetzung omg wie endgeil. Made my day wirklich. Die story versüsst mir einfach voll den tag.. hab im moment einfach zu viel freizeit *lol* also mach weiter so wie bisher und ich les jetzt noch ein paar kapitel vom teil 2 und dann ab ins bettchen *schönheitsschlaf muss sein gg* und morgen gehts dann wieder weiter :)... tschüsss! Bis bald! Dein treuer fan SarahLee
Von:  chevalier_vh
2011-08-07T16:42:38+00:00 07.08.2011 18:42
schließe mich dem letzten kommi an, hab die andere story verschlungen, daumen hoch für mehr davon
Von:  Iore
2011-07-18T18:02:16+00:00 18.07.2011 20:02
Ich freu mich es geht weiter
und ja ich kann mir denken wie schwer es ist sich so etwas auszudenken aber du hast es wirklich toll hinbekommen.
Ich bin Feuer und Flame auf das nächste Kapitel gespannt


Liebe Grüße
Iruna


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