Luciana Bradley und die Sammlungen der Väter von Picadelly ================================================================================ Kapitel 25: Sicherheitsprotokoll K-107 -------------------------------------- Sicherheitsprotokoll K-107   Am nächsten Tag verließ Luciana nach nur vier Stunden Schlaf frisch und ausgeruht mit einem Lächeln im Gesicht das geliehene Bett und wäre das nicht schon uncharakteristisch genug, übernahm sie höchstpersönlich den Job das Frühstück vorzubereiten und eine gewaltige Ladung Rühreier für die gesamte Weasley-Black-Potter-Lupin-Meute zu braten (vorsorglich, außer ihr und Remus hatte sich noch niemand in der Küche blicken lassen und Mrs Weasley war außer Haus, die Vorräte aufstocken). Das alleine hätte vielleicht nicht ausgereicht, Remus misstrauisch werden zu lassen, doch nachdem sie Mr Werwolf-Schnüffler summend einen Becher Schwarztee vor die Nase gestellt und zurück zu der brutzelnden Pfanne getänzelt war, schien dies zu viel des Guten.      „Du warst heute Nacht eine ganze Weile verschwunden“, stellte er fest. „Warst du wieder in Soho unterwegs?“ Wie vorletzte Woche, nachdem es einer der Patienten im St.-Mungo vollbracht hatte, seinen instabilen Darm auf gleich zwei defekte Bettpfannen zu verteilen und sie um eins in der Früh spontan beschlossen hatte, für eine Kneipentour auf Schlaf zu pfeifen (glücklicherweise hatte sie einen Anti-Kater Trank in ihrem Gepäck gehabt).      „Ehm, nein, wie kommst du darauf?“, fragte sie verwirrt und verteilte einen Teil des Rühreis auf zwei Teller.      „Deine gute Laune. Um acht Uhr in der Früh, wo du doch normalerweise wenigstens zwei Stunden länger schläfst, wenn du keinen Unterricht hast. So verhältst du dich nur, wenn du durchgefeiert hast, dabei jemanden kennengelernt hast und mit ihm …“      „Mit ihm was?“      Luciana stellte Remus das Frühstück vor die Nase und nahm selbst gegenüber von ihm Platz – natürlich wusste sie ganz genau, wovon er sprach, aber es war einfach viel zu amüsant beobachten zu können, wie ihm die Ohren puterrot anliefen und er verlegen auf seinem Teller herumstocherte – und als kleiner Bonus lenkte ihn das vom eigentlichen Thema ab.      „Du weißt schon.“      „Nein, wirklich, ich habe keine Ahnung wovon du sprichst“, säuselte sie scheinheilig.      „Hör auf dich lustig zu machen.“      „Was, wie, ich?“      Remus warf ihr einen bitterbösen Blick zu (für seine Verhältnisse, bei Snape wäre dieser äquivalent zu neutral-Gucken mit leichtem Hauch von Verstimmung gewesen) und schaufelte sich die erste Ladung Rührei in den Mund.      „Wieso sollte ich mich auch lustig machen, über einem Mann von sechsunddreißig, der das Wort Sex nicht in den Mund nehmen kann. Und das bei all den Dingen, die du sonst so in den Mund nimmst.“ Uuuups, da war wohl ein wenig Ei in der Luftröhre des Herrn gelandet. „Ich sollte ein ernsthaftes Wort mit Dumbledore sprechen“, sagte sie dann und griff selbst nach ihrer Gabel, „bei dem Aufstand, den ihr alle macht, wenn es um das Eine geht. Ein wenig Sexualkunde hätte der Stundenplan in Hogwarts wirklich bitternötig.“ Remus nahm ein paar Schlucke Tee, hustete noch einmal ausgiebig und schüttelte darauf missmutig den Kopf.      „Ich weiß nicht, ob das andere Extrem besser ist. Der Doktor hätte dir nicht mit fünf Jahren einen … Erotikfilm vorsetzen müssen.“      „Mit sechs und es waren Aufklärungsdokumentationen, für die Lattenkrimis war Johnny zuständig.“      „Luciana!“      „Also unfreiwillig, als Kind geht man überall ran, wo Minimi-Griffel verboten draufsteht. Außerdem ist die Chantal-Reihe nicht gerade das realistischste Beispiel, wenn es um die Ausdauer eines Mannes geht, oder den Würgerefle-“      „Luciana!!“      „Siehste, total verkappt, allesamt. Also da braucht sich wirklich niemand wundern, wenn die ein oder andere ungewollte Schwangerschaft vorkommt, Dumbledore sollte wirklich –„      „Moment!“, warf Remus ein und hob seine Hand. „Du lenkst vom Thema ab.“ Luciana schaute ihn mit kugelrunden Augen an, doch zu bluffen schien keinerlei Wirkung zu zeigen. „Du warst nicht unterwegs und nicht im Bett, also, woher kommt die gute Laune?“      Sie betrachtete schweigend das Essen auf ihrem Teller und lauschte angestrengt nach potenziell nahenden Schritten irgendeines Hausbewohners, der Remus davon abhalten könnte, sie auszuhorchen. Fehlanzeige – Unterbrechungen schien es nur zu geben, wenn sie diese ganz und gar nicht gebrauchen konnte.      „Ist Severus hier gewesen?“ Das Lametta über der Küchenzeile schien plötzlich eine unglaubliche Faszination auf sie auszuüben. „Aha. Mit anderen Worten, der Spruch mit dem ‚Beine breitmachen‘ ist vergeben und vergessen?“      „Und plötzlich ist die Prüderie wie verflogen“, knurrte Luciana und warf ihm einen scharfen Blick zu.      „Ich hatte den Eindruck bekommen, dass dir seine Worte entfallen sein könnten – dabei halte ich es für sehr wichtig, dass dies auf keinen Fall geschieht.“ Remus sah sie durchdringend an – sie hielt den Augenkontakt keine drei Sekunden aufrecht.      „Es ist mir nicht ‚entfallen‘ und du brauchst mich ganz sicher nicht wieder daran erinnern, danke.“      Remus seufzte, fuhr sich mit seiner Hand durch das Haar (dabei verteilte er ein wenig Rührei in den vordersten Strähnen) und schien abzuwägen, welche Strategie er nun verfolgen sollte. Wahrscheinlich mit dem Ziel, sie möglichst fern von Snape zu halten, immerhin war er ganz offensichtlich kein großer Fan von ihrer … ‚Sache‘.      „Erzähl schon, was ist passiert?“ Luciana sah ihn skeptisch an und machte keine Anstalten, ihren Mund zu öffnen. „Du bist noch mindestens drei Tage mit mir in diesem Haus und ich werde keine Ruhe geben, bis du mir davon erzählst hast.“      Dabei hatte Black den Kerl letztens erst gelobt, weil Remus einem angeblich ‚Freiraum‘ gab und seine Mitmenschen nicht zum Reden drängen würde … Noch immer niemand, der die Küche betrat und diese Unterhaltung im Keim ersticken könnte, dazu ein Versprechen, dass er garantiert halten würde – für einen kurzen Augenblick überlegte sie, die Vorkommnisse etwas zu beschönigen, ein paar Dinge wegzulassen oder ganz anders darzustellen, doch am Ende blieb sie bei der Wahrheit. Sie verschwieg ihm nicht einmal den ‚Strategiewechsel‘ oder die totale Berechnung ihrer ‚Anmachaktion‘ und auch wenn Remus an den meisten Stellen ungläubig den Kopf schüttelte, stahl sich hier und da ein Grinsen auf seine Lippen. Bis sie zu der Aktion am Mistelzweig kam, da fing er schallend an zu lachen.      „Er kann einem fast leidtun“, kicherte er und strich ein wenig überschüssige Tränenflüssigkeit aus seinen Augenwinkeln. „Fast, wenn man sich als Lehrer auf eine seiner Schüleri-„      „Jedenfalls haben wir uns darauf geeinigt, das Gespräch ein anderes Mal zu führen“, unterbrach sie ihn und plötzlich war jegliches Amüsement aus seinem Gesicht gewichen.      „Du hast nicht vor, das zwischen euch zu beenden“, stellte er nach einem Moment des Grübelns fest.      „Pff“, machte sie abfällig, „um etwas zu beenden müsste erst einmal was laufen. Wir haben jetzt beinahe vier Monate die Finger voneinander gelassen und die paar Male davor …“ Luciana zuckte mit den Schultern und schob mit der Gabel das bereits erkaltete Rührei von einer Seite zur anderen. „Wenn ich eins in dem letzten Jahr gelernt habe, dann, das Snape das eine sagt und das andere tut, zumindest was die ‚Sache‘ zwischen ihm und mir betrifft. Und das hat mich genug Nerven gekostet. Also wieso nicht ein paar Rahmenbedingungen festlegen, Spaß miteinander haben und sich wie zwei erwachsene Menschen verhalten?“      „Spaß miteinander haben?“ Remus verzog sein Gesicht, ganz als ob das mit Snape ein Ding der Unmöglichkeit sei. Nun ja, verständlich, wenn man noch nicht in den Genuss gekommen war, den Herren mit heruntergelassener Hose in Aktion erlebt zu haben. „Du willst das laufen lassen, wie deine sonstigen ‚Bekanntschaften mit Bonus‘?“      „Bekanntschaft Plus“, korrigierte sie ihn beiläufig.      „Ich habe dich und deine ‚Bekanntschaften mit Bonus‘“, „Plus …“, „erlebt, Luciana, da seid ihr beiden schon jetzt meilenweit davon entfernt. Du hättest dich mal sehen sollen, nach dem Gespräch in seinem Büro oder wie du ihn anschaust, wenn du denkst, keiner sieht es.“ Luciana schluckte, versuchte aber trotzdem eine neutrale Miene beizubehalten. „Und du hättest ihn vorgestern sehen sollen, wo Tonks uns berichtet hat, dass die Janus Thickey Station von Todessern angegriffen wurde und du noch nicht von deiner Praktikumsstelle zurückgekommen bist. Von seinen ‚Anweisungen‘ am Morgen der Dufftown-Mission will ich gar nicht anfangen.“      „Dann lass es auch“, bemerkte sie trocken, auch wenn ihr nichts lieber wäre, als mehr darüber zu erfahren. Aber sie brauchte ihm nun wirklich nicht noch mehr Zündstoff zu liefern. Demnach, ab jetzt keine Erwähnung mehr von einem gewissen Bewohner der Hogwarts-Kerker. Zumindest für diesen Tag.      „Oder wie er mich zusammengestaucht hat, noch vor der Destillerie.“      „Du wolltest nicht damit anfangen.“      „Ich habe ein wirklich, wirklich schlechtes Gefühl bei der Sache“, seufzte Remus und schaute sie aus großen, welpenartigen, grünen Augen beschwörend an. Und er hatte beinahe Erfolg damit. Beinahe.      „Notiert.“      „Er wird dir wehtun.“      „Na hoffentlich nur mit meinem ausdrücklichen Einverständnis“, erwiderte sie prompt und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.      „Du bist mindestens so dickköpfig wie Jonathan.“ Damit seufzte er theatralisch und verschränkte in einer Geste, die ein deutliches ‚ich-geb’s-auf‘ signalisierte, die Hände an seinem Hinterkopf.      „Jetzt übertreibst du aber. Und wo wir uns nun einig darüber sind, dass du mich eh nicht umstimmen kannst, was hat es eigentlich mit diesem mysteriösen Mr Smythe auf sich?“      Diese Frage beantwortete Remus zunächst mit einem verwirrten Stirnrunzeln.      „Du warst vorgestern noch bei deinem Paten, ich dachte du könntest mir etwas Genaueres über den Mann sagen.“      „Huh, hat Dumbledore mal wieder die Sitzung aufgelöst, bevor jemand unangenehme Fragen stellen konnte?“      „Sirius hat nachgehakt, aber seit Dufftown ist er nicht mehr ganz so … beharrlich, wenn er keine Antworten mehr von Dumbledore bekommt.“      Luciana nickte nachdenklich und aß in dem folgenden Schweigen die letzten zwei Gabeln ihres Rühreis auf. Sollte sie Remus einweihen, was ihre eigenen Überlegungen anbelangte? Immerhin hatte sie Snape davon erzählt, da sollte sie bei ihm wirklich nicht zweimal nachdenken …      „Gabriel hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ich ihm von Mr Smythe und dem Horkrux erzählt habe“, rang sie sich letztendlich doch durch, „und dann verschwindet der Mann gestern Morgen, spurlos.“      „Steinhardt hat dir nicht gesagt, ob er dahintersteckt?“      „Nein“, antwortete sie missmutig. „Und glaub mir, ich habe ihn nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht, der Kerl hat nicht mal Mikroexpressionen preisgegeben.“      „Mikroexpressionen?“      „Mikromimik. Gesichtsausdrücke, die man unbewusst macht und die einen auffliegen lassen können, wenn man lügt oder den Ahnungslosen spielt, sowas halt.“      „Lass mich raten, darüber hat dich Steinhardt aufgeklärt?“      „Ja, und er ist fast so gut die zu unterdrücken, wie Snape.“ Verdammt, und sie hatte den Namen vor Remus unter gar keinen Umständen mehr in den Mund nehmen wollen. Doch glücklicherweise schien dieser in Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein. „Dumbledore, Doge und Moody schienen jedenfalls ganz genau zu wissen, wer dieser Smythe ist.“      „Und Snape“, fügte Remus ihrer Aufzählung hinzu – vielleicht sollte sie bei dem Namensvorsatz Ausnahmen machen. „Ich habe noch nie von ihm gehört, oder die anderen. Moody ist zwar noch ein wenig hiergeblieben, aber er hat keinen Ton dazu gesagt, oder zu unserer Rätselei. Dädalus war sich nicht ganz sicher, ob er den Namen nicht schon einmal gehört hat, wenigstens ist ‚Smythe‘ nicht gerade gewöhnlich. Aber Sirius …“ Hier unterbrach er sich selbst, stand auf und lief zum Ende der Küche, wo er gegenüber der Speisekammer (Zauberer besaßen keine Kühlschränke, wieso auch, wenn man alles mit dem Wink seines Zauberstabs kühl und haltbar machen konnte) eine kleine Tür aufzog, die derart vor Schmutz stand, dass sie mit ihrem umliegenden Mauerwerk zu verschmelzen schien. Luciana beobachtete skeptisch, wie Remus seinen Kopf in einen dahinterliegenden Raum steckte und mit vor Ekel verzogenem Gesicht naserümpfend wieder den Rückweg antrat – nicht, ohne die knarzende Tür extra fest zu verschließen.      „Ich musste mich vergewissern, dass wir keine ungebetenen Zuhörer haben“, erklärte er und setzte sich zurück auf seinen Stuhl. Für einen Augenblick hatte sie keinen blassen Schimmer, wovon er sprach, doch dann fiel es ihr wieder ein.      „Kreachers ‚Nest‘ ist dahinten, richtig?“      Remus nickte. Der alte, griesgrämige Hauself hatte auch in all den Jahren sturmfreie Bude seinen gewohnten Schlafplatz in dem winzigen Kabuff, das eigentlich den altertümlichen Wasserboiler beherbergte, nicht aufgegeben – ‚Nest‘ deswegen, weil dies die einzige Bezeichnung zu sein schien, die einigermaßen in Worte fassen konnte, was Kreacher aus allen möglichen Lumpen und ausgedienten Putzlappen zusammengebastelt hatte. Luciana selbst hatte bloß einmal einen kurzen Blick hinter das kleine Türchen geworfen und gleich darauf fast das Handy gezückt, um die Kontaminierungseinheit der UOWV für einen spontanen Noteinsatz in den Grimmauldplatz zu zitieren.      „Sirius hatte noch an demselben Abend Kreacher in die Küche gerufen, nachdem die anderen schon gegangen waren“, begann er zögerlich und schaute abermals nervös zur Tür – sein Verhalten war eine sichere Methode, sie ganz besonders auf die Folter zu spannen und natürlich ließ Remus ein paar Sekunden verstreichen, bevor er weitersprach. „Du weißt, dass Kreacher, nachdem was letztes Jahr passiert ist, ausdrückliche Befehle bekommen hat?“      Luciana nickte. Aus einem von Sir Rennocs Protokollen in den Sommerferien war hervorgegangen, dass Kreacher maßgeblich an dem katastrophalen Verlauf im Ministerium beteiligt gewesen war und einen von Blacks Befehlen ein klein wenig zu genau genommen hatte – und zwar ‚zu verschwinden‘, was Kreacher gleich zum Anlass genommen hatte, nicht nur den Raum, sondern gleich den Grimmauldplatz zu verlassen und Blacks Cousine, Bellatrix Lestrange, aufzusuchen und ihr brühwarm zu berichten, wie eng Potter und Black miteinander waren. Was den Plan des Schwarzen Führers zur Folge gehabt hatte, Potter in das Ministerium zu locken – der Rest war Geschichte. Damit so etwas nie wieder vorkommen konnte, hatte Black, unter Anleitung von Dumbledore, ein mehrstündiges Gespräch mit Kreacher geführt und ihm haarklein aufgetragen, mit wem er sprechen durfte und dass er unter gar keinen Umständen das Haus zu verlassen oder das Flohnetzwerk für ‚Unterhaltungen‘ mit Personen außerhalb des Ordens zu nutzen hatte. Im Grunde hatte der Hauself eine Maulsperre verpasst bekommen mit einem sehr strengen Hausarrest – trotzdem war Luciana der Meinung, dass der kleine Kerl clever genug war, selbst hier ein Schlupfloch finden zu können … allerdings war ihr Vorschlag, Kreacher einfach mit einem dauerhaften Silencio zu versehen und ihn mithilfe eines kleinen, aber feinen Blutrituals an die vier Wände des Hauptquartiers zu binden, abgelehnt worden.      „Sirius hat ihn gefragt, ob er diesen Smythe kennt oder jemals von ihm gehört hat und hier wird es interessant.“ Und noch ein prüfender Seitenblick zur Tür – Luciana fragte sich, wieso Remus es überhaupt für nötig hielt, den Eingang im Auge zu behalten, wo er doch mit seinen ausgeprägten Werwolfsinnen jeden nahenden Schritt hätte hören müssen. Oder es war eine menschliche Angewohnheit, die man nur schwer ablegen konnte. „Kreacher konnte die Frage nicht beantworten.“      Luciana runzelte die Stirn.      „Was soll daran ‚interessant‘ sein?“      „Steinhardt hätte dich wirklich nicht so lange aus unserer Welt heraushalten sollen“, murmelte Remus missbilligend. „Sieh mal, ein Hauself kann sich dem direkten Befehl seines Herrn nicht entziehen. Kreacher mag sicherlich sehr kreativ mit seinen Auslegungen sein, aber wenn Sirius ihm aufträgt über etwas zu reden, dann muss er das tun. Aber hier gibt es eine Ausnahme von der Regel …“      „Remus, ernsthaft, mach es nicht so spannend“, stöhnte sie und rollte nicht zu knapp mit ihren Augen.      „Die einzige Ausnahme ist, wenn man ihm vorher aufgetragen hat, nicht darüber zu sprechen.“      „Meinst du Bellatrix hat ihm das eingebläut, oder –„      „Nein, nein“, unterbrach er sie kopfschüttelnd, „Bellatrix mag vielleicht mit Sirius verwandt sein, aber rechtmäßiger Herr von Kreacher ist und bleibt Sirius. Der Befehl, nicht über Smythe zu sprechen, muss vorher erteilt worden sein, sehr weit vorher.“      Für einen Moment herrschte Stille, in der Luciana ihre grauen Zellen anwarf und ein paar Jahreszahlen hin und her schmiss, bis ihre Augen groß wurden.      „Vor Blacks Gefangenschaft, als seine Mutter noch lebte?“      „Walburga war sicher eine der unausstehlichsten Persönlichkeiten in der Zaubererneuzeit, aber wir glauben nicht, dass das Verbot von ihr ausgesprochen wurde. Zwar sympathisierte sie zweifelsohne mit du-weißt-schon-wem, allerdings gehörte sie nie zu seinen Anhängern. Das hat ihr Jüngster für sie übernommen, Regulus.“      „Sirius hat einen Bruder?“, fragte Luciana perplex - spätestens bei dieser neuen Information war es an der Zeit, einen Glimmstängel zu entzünden, den Teller beiseite zu schieben und sich ein wenig weiter zu Remus zu lehnen.      „Hatte“, war die seufzende Antwort. „Niemand weiß so recht, unter welchen Umständen er gestorben ist, aber da er sich so jung du-weißt-schon-wem angeschlossen hat …“      „Warte mal, hatte Black nicht im Eberkopf erwähnt, dass sein Bruder mit Snape befreundet gewesen war?“ So viel dazu, dass sie niemals von Blacks Geschwistern gehört hatte – nun ja, Alkohol und eine ganze Flut an neuen Informationen trugen nicht gerade dazu bei, Details im Gedächtnis zu behalten.      „Hat er, ja. Sirius war zwar der Ältere und somit auch der Erbe der Black Familie, trotzdem wurde er behandelt … wie das schwarze Schaf. Weißt du, er hat nie viel von dem ganzen Reinblutwahn gehalten, oder von den Leuten, mit denen sich seine Familie umgab. Regulus war da anders. Slytherin, hat nur ‚O’s nach Hause gebracht und seinen Eltern immer nach dem Mund geredet.“      „Und er hat sich dem Schwarzen Führer angeschlossen?“, hakte sie nach.      „Ja, das muss noch zu seinen Schulzeiten gewesen sein.“      „Glaubst du Snape und er sind zu selben Zeit im Schwarzen Orden aufgenommen worden?“ Die Frage verließ ihren Mund, noch bevor sie genauer darüber nachdenken konnte – Remus sah wenig begeistert aus, dass sie die Gelegenheit beim Schopfe gepackt hatte, selbst bei diesem Thema an Hintergrundinfos über eine ganz spezielle Person zu kommen. „Jetzt guck nicht so, ich versuch mir hier ein Gesamtbild zu machen …“      „Darüber habe ich nie nachgedacht“, antwortete Remus. „Aber wo du es sagst, das würde Sinn ergeben. Sirius glaubt, dass Regulus noch im sechsten Schuljahr aufgenommen wurde, da war Severus in seinem letzten Jahr. Und kurz nachdem Regulus seinen Abschluss gemacht hat, ist er verschwunden.“      „Also ist gar nicht sicher, ob er tot ist?“      „Oh, er ist ganz sicher gestorben, das hat Kreacher seinen Eltern und auch Sirius erzählt, aber mehr auch nicht. Es muss das erste Mal gewesen sein, dass er sich dem Wunsch seiner Herrin widersetzt hat, denn er hat kein weiteres Wort darüber verloren – Orion, Sirius und Regulus Vater, hat diese Neuigkeit nicht verkraftet und ist nur Monate später selbst tot umgefallen.“      „Und das Ministerium kann ihn nicht getötet haben“, überlegte Luciana laut, „immerhin müsste es dazu einen Bericht gegeben haben.“ Remus nickte. „Aber was hat das alles mit Mr Smythe zu tun?“      „Sirius hat Kreacher erwischt, wie er mit dem Tagespropheten in dem alten Zimmer von Regulus herumgelaufen ist. Dabei hat er wohl ein klein wenig vor sich hin geplappert … Sirius ist sich sicher gehört zu haben, dass Smythe der Letzte gewesen ist, der seinen Bruder lebend gesehen hat.“      „Mr Smythe hat Regulus umgebracht?”      „Mh, nja – wohl eher nicht“, sagte Remus und kratzte dabei an seinem Hinterkopf. „Kreacher hat geflucht, weil er nicht aus dem Haus kommt, um sich auf die Suche nach Smythe machen zu können, da er ihm wohl für die ‚Treue zum Hause der Blacks‘ Tribut zollen und ihn von seinen Entführern befreien sollte. Und offenbar scheint Kreacher zu denken, dass du-weißt-schon-wer Smythe hat und die schlimmsten Sachen mit ihm anstellt.“      „Huh … wenn wir das demnach ein wenig weiterspinnen, könnte es sein, dass Smythe selbst auf der Suche nach den Horkuxen vom Schwarzen Führer war, vielleicht dabei so schlimm verletzt wurde und deswegen nicht weitersuchen konnte?“      Remus zuckte mit den Schultern.      „Jedenfalls hat er nicht das Dunkle Mal“, grübelte sie weiter, „das wäre mir bei der Musterung aufgefallen.“      „Gut zu wissen, da hatte ich gar nicht dran gedacht.“      „Trotzdem, alles ziemlich beschissen, wenn du mich fragst – Gabriel bekommt die Zähne nicht auseinander, Dumbledore und Co. scheinen auch nicht reden zu wollen … OH FUCK!“      Luciana hatte bei der Erwähnung von ihrem Paten einen kurzen Blick auf die Uhr an der Wand geworfen und war im selben Moment aufgesprungen.      „Kurz nach neun, ich hab Gabriel gesagt, ich würde um Punkt rüber kommen, Trankzutaten, wir reden später weiter!“ Damit schnappte sie die Schachtel Zigaretten vom Tisch, drückte ihren Glimmstängel aus und sprintete zur Tür – und gerade als sie diese aufriss, sah sie noch den Rest von etwas fleischfarbigem aus dem Augenwinkel in die Höhe blitzen. An der Balustrade im ersten Stockwerk konnte sie einen Schopf dunklen Haars ausmachen, der in der nächsten Sekunde wieder verschwunden war. Potter. Nun, darum würde sie sich kümmern, sobald sie wieder zurückgekehrt war.   -.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-   Das Positive zum bisherigen Tagesverlauf: Luciana hatte tatsächlich alle Zutaten für Snapes Panscherei zusammenklauben können, auch wenn Doktor Hamilton bei dem Wegnehmen des einzigen Exemplars einer Chimärenmilz beinahe das Tränkelabor abgeriegelt und sie fast nicht hatte gehen lassen (das Zauberwort war eine kleine Flunkerei gewesen, dass Ersatz schon bestellt sei – dabei hatte sie keinesfalls im Sinn, die Entwendung all dieser Dinge durch die Bücher und somit auch die Hände von Gabriel laufen zu lassen). Und damit endete auch die Aufzählung, denn kurz nach ihrer Rückkehr in den Grimmauldplatz war sie hoch zu Potter gestiefelt (der in irgendeinem Gespräch mit seinem Paten über ein ‚legendäres Quidditch-Match‘ zu Blacks Hogwarts-Zeiten verwickelt gewesen war), in dem Versuch ihn zur Rede zu stellen … bisher hatte sie wenigstens herausbekommen, dass er den wirklich brenzlichen Teil (und zwar den über Snape und ihr Pläuschchen der letzten Nacht) nicht bei seiner Abhöraktion mitbekommen hatte und nun war es tatsächlich so herum, dass er sie mit Fragen über den ominösen, verschwundenen St.-Mungo Patienten löcherte.      „Potter, jetzt mach mal halblang, ich habe dem Orden alles erzählt, was ich weiß!“, rief sie empört, nachdem ‚der Auserwählte‘ ihr wenig diskret vorgeworfen hatte, dass sie mit ihrem Paten unter einer Decke stecken würde und sie insgeheim die Fronten gewechselt hätten. „Und egal was Gabriel da auch immer aushecken mag, du wirst niemanden finden, der einen größeren Brass auf Voldemort und seinen Anhang hat!“ Potter schnaubte, setzte zum Sprechen an, doch sie redete unbeirrt weiter. „Mal davon abgesehen, wieso sollte er Dumbledore all die Horkruxe überlassen, wenn er eigentlich nach Voldemorts Nase tanzt?“      „Na ja“, warf Potter ein, „eigentlich hat er gar keine Nase.“      Für einen Augenblick warf sie dieser Kommentar aus der Bahn, dann holte sie Luft, für die nächste Reihe an Argumenten, doch das Bild in ihren Kopf formte sich immer weiter.      „Wie, keine Nase, hat er da eine glatte Fläche, oder –„      „Luciana hat Recht, Harry“, warf Granger ein (selbstverständlich hatte Luciana ihn nicht alleine zu einem Gespräch aufsuchen können – zumindest hatten sie den Salon mit Ronalds und Potters Zimmer getauscht, was gleichzeitig bedeutete, dass wenigstens Black nicht mehr anwesend war) und stieß Ronald zu ihrer linken mit dem Ellenbogen an, der darauf einmal nickte. „Es gibt keine Beweise, dass Lucianas Pate Mr Smythe entführt hat und selbst wenn, wissen wir nicht, was dahinterstecken mag.“      „Aber wenn Lupin richtig liegt, dann kann uns Smythe sagen, wo die restlichen zwei Horkruxe versteckt sind!“, schnappte Potter.      „Mr Smythe sagt gar nichts“, warf Luciana ein. „Ernsthaft, er hat nicht einmal einen Ton herausbringen können, als er mich dabei beobachtet hat, wie ich den Horkrux aus der Box genommen und eingesteckt habe, er ist total außer Gefecht gesetzt durch seinen Zustand. Zumal, es war nur eine Idee, keine Ahnung, ob er wirklich nach den Horkruxen gesucht hat … und woher willst du wissen, dass es noch zwei sind?“      „Dumbledore hat gesagt, es seien sieben“, antwortete Potter, anscheinend noch immer in Rage, wegen der gesamten Thematik. „Das Tagebuch –„      „Welches Tagebuch?“, unterbrach sie ihn verwirrt – wobei Potter, Granger und Ronald sie nun noch verblüffter anstarrten.      „Das Tagebuch von Tom Riddle, das Harry im zweiten Schuljahr zerstört hat, mit dem Zahn des Basilisken, in der Kammer des Schreckens“, sagte Granger - nun gut, Luciana verstand jedes Wort. Einzeln, der Satz in seiner Gesamtheit ergab nämlich keinerlei Sinn für sie.      „Häh?“      „Lucius Malfoy hat es Ginny in der Winkelgasse zugesteckt, nur deswegen ist die Kammer des Schreckens wieder geöffnet worden. Darüber habt ihr bei den Sitzungen nicht gesprochen?“ Potter starrte sie perplex an, doch Luciana konnte nur mit den Schultern zucken – zudem schwirrten ihr noch immer ein paar Worte im Kopf herum, die einfach keinen Sinn ergaben.      „Du hast das Buch zerstört?“, sprach sie dann laut heraus und Potter nickte. Mit dem Zahn eines Basilisken, doch wieso sollte Dumbledore ihnen dies vorenthalten, wenn sie schon seit Monaten auf der Suche nach etwas waren, was die Seelenteile von Voldemort ein für alle Mal zerstören könnte? Doch dieses Thema mit den Dreien zu besprechen, befand sie für diesen Moment als viel zu heikel, sie würde in den nächsten Tagen selbst allerhand damit zu tun haben, ihre eigenen Gedanken zu ordnen, ohne der Verschwörungsfraktion vor ihrer Nase noch mehr Ansporn zu geben. „Also das Tagebuch, die Mauritius, die Taschenuhr und der Manschettenknopf – wenn es sieben sind, wieso fehlen dann noch zwei?“ Oder hatte Dumbledore dem Orden noch mehr verschwiegen?      „Du musst den verbliebenen Teil von du-weißt-schon-wem noch dazu zählen“, sagte Granger.      „Ist das sicher?“, erkundigte sich Luciana zweifelnd. „Wenn Dumbledore sagt es seien sieben Horkruxe, fehlen noch drei, wenn es um sieben Seelenteile geht, dann noch zwei.“      „Harry, hat Dumbledore von Horkruxen gesprochen, oder den Teilen, die du-weißt-schon-wer mit seiner verbliebenen Seele meinte?“      „Ehm“, machte Potter nachdenklich und nahm sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er weitersprach. „Er sagte, dass irgendwer mit dem jungen Tom Riddle gesprochen hat. Besser gesagt, derjenige hatte ihm beigebracht, wie man einen Horkrux macht und da wäre die Zahl Sieben gefallen, bei der Nachfrage, wie oft man seine Seele spalten kann.“      Oha, jetzt hatte sie anscheinend Granger verwirrt, da diese nun mit gerunzelter Stirn am Bettpfosten gelehnt stand, ihre Unterlippe mit ihren Zähnen bearbeitete und gedankenverloren an die Decke starrte.      „Das kann alles heißen“, sagte sie nachdenklich. „Sowohl das es sieben oder auch sechs sein könnten.“      „Klasse“, schnaubte Luciana, „jetzt wissen wir nicht einmal, nach wie vielen Horkruxen wir suchen müssen, bevor man dem Schwarzen Führer die Lichter ausknipsen kann.“      Diese Diskussion ging noch eine Weile so weiter, doch letztendlich konnte niemand von ihnen mit Bestimmtheit sagen, ob noch zwei oder drei Seelenteile fehlten – oder (und diese Option gab es leider auch) es sich Voldemort ganz anders überlegt hatte und er nicht bei sieben Spaltungen geblieben war. Potter versprach hoch und heilig, Dumbledore bei seiner nächsten ‚Denkariumsstunde‘ darauf anzusprechen und sogar, Luciana von dem Ergebnis zu berichten, doch sie bezweifelte, dass der Schulleiter eine klare Antwort parat haben würde.   -.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-        Im Laufe des Nachmittags trudelte ein Rotschopf nach dem anderen im Grimmauldplatz ein, doch dass bis zum frühen Abend beinahe jeder Raum und jeder Flur mit einem Weasley-Familienmitglied besetzt war, schien Mrs Weasley noch immer nicht genug zu sein, auch wenn sie sich alle Mühe gab, eine betont fröhliche Miene aufzusetzen.      „Sagt mal, was ist denn mit eurer Ma los?“, erkundigte sich Luciana letztendlich doch, als sie mit den Zwillingen an Küchentresen stand und mithilfe ihrer Zauberstäbe Kartoffeln schälten und Champignons putzten (erst war sie für die Pilze zuständig gewesen, doch da sie auf Kriegsfuß mit Haushaltszaubern stand und es lediglich vollbracht hatte, jedes einzelne des blassbraunen Schwammgemüses zu köpfen, hatten sie die Aufgaben getauscht). George und Fred schielten beide unauffällig zum Küchentisch herüber, wo ihre Mutter gerade geräuschvoll die Plätze mit Geschirr und Besteck eindeckte.      „Percy“, murmelte Fred, der am nächsten bei Luciana stand.      „Warte“, sagte sie und musste für einen Moment den Zauber unterbrechen, um ihre Gehirnzellen auf Hochtouren zu bringen. „Bruder Nummer drei, richtig?“ Und der Einzige, den sie noch nie selbst zu Gesicht bekommen hatte. George und Fred nickten, wobei der Zweite noch ein Stück näher an sie heranrückte.      „Mum hat vor ein paar Tagen eine Eule geschickt, mit einer Einladung zum Weihnachtsessen morgen. Heute Mittag kam die Absage. Schwachkopf“, klärte Fred sie auf – und das mit zusammengebissenen Zähnen; die drei Pilze, welche vor ihm schwebten, landeten gleich dutzendfach geteilt in einer Schüssel.      „Besser als letztes Jahr, da hat er sich nicht mal dazu herabgelassen, seine hässliche Visage durch den Kamin zu schieben“, knurrte George und das wohl etwas zu laut – denn hinter ihnen zog Mrs Weasley ganz besonders geräuschvoll die Nase hoch.      „Ehm …“, wie konnte sie das Thema nun dezent in eine vollkommen andere Richtung lenken? „Wisst ihr ob Snape die Weihnachtsferien in Hogwarts verbringt?“      Beide Köpfe der Zwillinge drehten sich synchron, gleichzeitig und unglaublich langsam zu ihr, wobei schwer auszumachen war, wer von ihnen das entgeistertere Gesicht machte. Dezent – so viel dazu. Nun ja, zumindest schien sich niemand von den beiden mehr das Hirn über ein abtrünniges Familienmitglied zu zermartern, das war ein Pluspunkt.      „Ja, Kindchen, er verlässt die Schule nur in den Sommerferien und kehrt zurück nach … keiner weiß so recht, wohin“, kam die Antwort von Mrs Weasley, die anscheinend den Tisch fertig gedeckt hatte und sich nun vehement daranmachte, ein monstermäßiges Stück Roastbeef mit ihrem Zauberstab zu tranchieren. Übrigens hatte Luciana eine sehr gute Vorstellung davon, wo er die Sommerpause verbrachte, allerdings wunderte es sie sehr, dass er anscheinend aus seiner Wohnung hier in London ein Geheimnis machte.      „Wieso willst du das wissen?!“ Die Zwillinge, wie aus der Pistole geschossen. Sie hätte sich wirklich ein besseres Thema zur Ablenkung ausdenken können.      „Ich habe ihm ein paar Zutaten für das Trankprojekt besorgt, ihr wisst schon“, nach der Abhöraktion von Potter würde sie in Zukunft sehr genau darauf achten, wann sie wo etwas sagen würde und nur noch offene Worte gebrauchen, wenn Dumbledore oder Snape mit ihrem sechsten Sinn oder Moody mit seinem allzweck-Spionage-Auge in der Nähe waren, „und ich weiß nicht, wohin ich Azrael jetzt schicken soll.“      „Oh, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Luciana“, sagte Mrs Weasley. „Die Eulenpost ist nicht sicher, nicht in diesen Zeiten – aber der Kamin von Professor Snape ist immer an das Hauptquartier angeschlossen, er wird sicher dankbar sein, wenn du ihm die Sachen vorbeibringst.“      Luciana schluckte und wollte gerade zu einem Widerspruch ansetzen, da kamen ihr George und Fred zuvor.      „Mum, weißt du, was du da sagst? - wer weiß was er da in seiner Höhle – Folterkeller – anstellt - du kannst sie doch nicht zu diesem Fettranzen – GEORGE!! – weidet da Froschdärme aus – HUNDEBABIES – in Unterhose – FRED!!! – muss sie dann mundtot machen und –„      „HEY, AUSZEIT!“, brüllte Luciana dazwischen – dabei hatte sie nicht einen vollständigen Satz aus der ‚Diskussion‘ zwischen den Zwillingen und ihrer, nun sehr aufgebrachten, Mutter verstehen können, bei all dem Durcheinandergerede. „Azrael hat von meinem Paten einen Schutzzauber bekommen und selbst die Olle Fotz- Kröte vom Ministerium hat es letztes Jahr nicht geschafft, meine Post abzufangen, also alles halb so wild.“      Zwar ersparte dieser Einwand George und Fred nicht, das Trockentuch in Mrs Weasleys Hand um die Ohren gepfeffert zu bekommen (irgendwas mit ‚Manieren‘ und ‚so eine Sprache haben euer Vater und ich euch bestimmt nicht beigebracht!‘), dafür wusste sie nun, wohin das Paket gehen musste. Zweiter Bonus: Mrs Weasley war endlich abgelenkt genug und schmollte nicht mehr wegen ihrem verschollenen Sohn und so wurde es letztendlich doch noch ein recht amüsanter Abend im Kreise der Weasley-Familie, einigen Hauskameraden und einer Handvoll Ordensmitglieder.   -.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-   Der Weihnachtsmorgen war zunächst weniger erfreulich und entspannt, da Luciana ja unbedingt am Abend zuvor ihren Vorsatz, nie wieder Feuerwhisky anzufassen, über Bord werfen musste und sich zusammen mit Black eine dreiviertel volle Flasche hinter die Binde gekippt hatte. Und das, ohne beim letzten Besuch im Tränkelabor so voraussichtig gewesen zu sein, den erschöpften Vorrat an Anti-Kater-Tränken wieder aufzufüllen. So saß sie, mit aus Klopapier geformten Kügelchen in den Ohrmuscheln, am Frühstückstisch im Grimmauldplatz und kaute lustlos auf einer trockenen Toastscheibe herum, die sie mit einer heißen Zitrone und einer Schmerztablette hinunterspülte, während die Geräuschkulisse in dem gerammelt vollen Raum nicht einmal Lärmschutzkopfhörer eingedämmt hätte. Natürlich hätte sie einfach im Bett bleiben und das Frühstück ausfallen lassen können, doch Remus hatte ihr, kurz nach halb acht, nicht nur die wohlig warme Decke vom Körper gezogen, sondern sie so lange mit Vorträgen über ‚unverantwortlichen Alkoholkonsum‘ getriezt, bis sie freiwillig die spärlichen vier Wände von ihm verlassen hatte (dabei hätte Black diese Art von Ansprache sicherlich weitaus bitterer nötig gehabt, als sie). Erst als der Raum nur noch aus zerfetztem Geschenkpapier zu bestehen schien und die mittelgroße, über und über bunt blinkende, geschmückte Tanne in der hintersten Ecke vollkommen von eingepackten Kartons befreit war, machte Luciana sich daran, selbst ihre vier Päckchen auszupacken, die im Laufe der letzten Stunde entweder von ihr unbekannten Eulen oder Mrs Weasley und Remus vor ihrem Platz abgeliefert worden waren.      Von der Weasley-Mama gab es einen neuen Schal (der Alte war der Dufftown-Mission zum Opfer gefallen), dieses Mal in den patriotischen Farben von Gryffindor gehalten, Remus hatte es hingegen irgendwie vollbracht, ihren alten, vollkommen verdreckten Mantel in neuem Glanz erstrahlen zu lassen und das dritte Paket … beinhaltete ein Dutzend neuer Anti-Kater-Tränke von Johnny. Klasse, wäre sie mal lieber auf die Idee gekommen, ihre Weihnachtsgeschenke gleich zu inspizieren – nun ja, jetzt war es zu spät, die Schmerztablette hatte ihre Arbeit getan und für die leichte Übelkeit würde sie sicher keinen ganzen Trank verschwenden. Grummelnd machte sie sich an das letzte Paket, welches in schlichtes, hellbraunes Papier eingeschlagen und nur an L. Bradley adressiert worden war. Zum Vorschein kam ein schwarzes, ledernes Buch, auf dem in Lettern, die wohl in längst vergangenen Tagen einmal golden gewesen sein mochten, in deutscher Sprache ‚Der Gedankenbaum‘ eingraviert stand. Auch die Seiten waren vergilbt, die Schrift in altdeutschem Druck und beim Durchblättern sah sie, in regelmäßigen Abständen, Bilder, Symbole und andere Illustrationen, die allesamt sehr mittelalterlich aussahen.      „Hat Sir Rennoc seine Regale für dich geplündert?“, fragte Remus und blickte neugierig über ihre rechte Schulter auf das Buch in ihren Händen.      „Sicher nicht, da müsste das hier schon doppelt und dreifach in seiner Bibliothek vorhanden sein. Außerdem habe ich noch nie ein Weihnachtsgeschenk von ihm bekommen, wieso sollte er jetzt –„ Luciana blieben die eigenen Worte im Hals stecken, als sie, auf der ersten Seite angelangt, eine ihr sehr bekannte Handschrift ausmachen konnte, welche mit schwarzer Tinte folgende, deutsche Worte verfasst hatte:      ‚Was auch immer du tust, handle klug und berücksichtige das Ende‘      „Ist das nicht Severus Schri-„      „Nicht so laut!“, zischte sie und klappte den Einband blitzschnell wieder zu – glücklicherweise schien niemand von der anwesenden Meute diesen kleinen Zwischenfall bemerkt zu haben und auch nicht, dass Luciana nun das Buch wieder in dem Paketpapier verschwinden ließ.      „Das war deutsch, richtig?“, hakte er weiter nach und war drauf und dran, ihr das Paket vor der Nase weg zu fischen – was ihm eine flache Hand auf seinem Hinterkopf einbrachte. Tonks lugte argwöhnisch zu ihnen herüber, obwohl es ihr am Allerwertesten vorbeizugehen schien, worum die beiden sich gerade kebbelten – das Problem lag wohl eher darin, dass Luciana gerade mehr Aufmerksamkeit von Tonks selbsternannten Liebsten bekam, als sie selbst.      „Richtig, und wenn du so einen Stunt noch einmal vor all den Leuten machst, verrate ich Tonks gleich, welcher Mistelzweig in diesem Haus von den Zwillingen übersehen worden ist!“, zischte sie ihm zu und das zeigte endlich Wirkung. Denn Luciana hatte Remus vor nicht einmal einer halben Stunde, beim Betreten der Küche, davor bewahrt gleich unter dem Grünzeug der Küche von besagter Dame abgeschlabbert zu werden – obwohl, wäre es alleine nach Tonks gegangen, hätte diese sich bestimmt nicht von ein wenig Bundimun-Sekret abschrecken lassen.      „Ein Weihnachtsgeschenk von Severus“, flüsterte er dann und nahm neben ihr auf dem freien Stuhl Platz. „Ich bin mir fast sicher, dass du die erste im gesamten Orden bist, die er diese Ehre zuteil hat werden lassen. Und das, wo Dumbledore und Molly nicht ein Jahr auslassen, ihm wenigstens eine Kleinigkeit zu schenken …“      „Es ist ein Buch, Remus“, murmelte Luciana. „Bestimmt irgendein Zusatzzeugs für den Unterricht – wahrscheinlich ist ihm nicht mal aufgefallen, dass heute Weihnachten ist.“      „Sicher“, meinte Remus schmunzelnd, zog seine Teetasse heran und betrachtete sie mit einem Blick, der so gar nicht in sein Gesicht passen wollte – oder es war einfach die Revanche dafür, dass sie ihn gestern nach allen Regeln der Kunst aufgezogen hatte. „Warte, hast du ihm heute Morgen nicht einen ganzen Sack voller … ‚Schulmaterialien‘ geschickt?“      „Das waren Trankzutaten“, zischte sie wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt ganz genau, wofür die sind und dass Azrael seinen Federarsch erst heut Nacht hierher geflogen hat!“      Wem auch immer sei Dank hatte Remus offenbar nicht bemerkt, dass zwischen all den Trankutensilien tatsächlich ein kleines, dunkelgrünes Päckchen gewesen war, welches rein gar nichts mit der Besorgungsliste von Snape zu tun gehabt hatte. Zur Krönung des Glücks schwang gerade in diesem Augenblick die Tür auf, als der Herr neben ihr schon wieder zum Sprechen angesetzt hatte und herein trat Dumbledore – nun ja, vielleicht müsste sie das mit dem ‚Glück‘ noch einmal revidieren, denn nachdem der Herr allen ein fröhliches Weihnachtsfest gewünscht und dankend eine Tasse Tee abgelehnt hatte, trat er an ihren Platz heran.      „Luciana, auf ein Wort?“, sagte er, in einem Tonfall, der unmöglich zu interpretieren war, genau wie seine Miene, die in diesem Moment rein gar nichts von dem preisgab, was in seinem Hinterstübchen vorgehen mochte. Luciana nickte, erhob sich von ihrem Platz und ging mit dem Schulleiter zur Tür, wobei sie das Paket noch immer fest in ihren Armen geschlossen hielt (sie würde einen Teufel tun, es unbeaufsichtigt in Griffelreichweite von Remus liegen zu lassen, selbst, wenn dieser nur ein paar Wortfetzen deutsch verstand – immerhin hatte sie selbst noch keinen blassen Schimmer, was genau der Tränkemeister ihr da geschickt hatte). Dumbledore sprach kein Wort, nicht, als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war oder sie die Stufen in das Erdgeschoss hinaufliefen – bis er im Kaminzimmer stehenblieb und zum Sprechen ansetzte, lagen ihre Nerven blank. Im Kopf war sie, in der vielleicht einen Minute, in der sie unterwegs gewesen waren, schon alle möglichen Horrorszenarien durchgegangen, was dieser unangekündigte Besuch zu bedeuten haben mochte. Am Ende hatte sich die fixe Idee in ihrem Kopf festgesetzt, dass Dumbledore Wind von ‚der Sache‘ bekommen haben musste und ganz gleich wie die Schulregeln offiziell ausfallen mochten, nun ein Ordensverweis, Verbannung aus Hogwarts oder gleich dem gesamten, britischen Empire für sie anstehen würde – dementsprechend erleichtert war sie, als der Schulleiter eine pralinenschachtelgroße Schatulle aus seinem Umhang zog, er den Deckel öffnete und dort, feinsäuberlich aufgereiht, die Horkruxe zu sehen waren. Beziehungsweise, die Erleichterung währte schätzungsweise zwei Komma fünf Sekunden, dann setzte die blanke Panik bei ihr ein.      „Dein Pate hat sich in den letzten Tagen sehr … dialogfreudig gezeigt“, begann er mit einem seltsamen Glitzern in den Augen, „und mich davon überzeugt, eurer Abteilung für … wie nennt ihr es, Magieforschung?“ Luciana nickte. „Ganz recht, eurer Abteilung für Magieforschung diese Gegenstände für ein paar Tage zu überlassen.“      „Okay“, sagte sie etwas verwirrt und nahm zögerlich die Schatulle entgegen, nachdem Dumbledore sie wieder verschlossen hatte.      „Er hat ebenso darauf bestanden, dass du dich um die Übergabe kümmerst, es scheint ein wenig mit Aufwand verbunden, Außenstehenden den Zutritt zu gewähren.“      Wieder nickte sie, in der Hoffnung, so wortkarg wie möglich aus dieser seltsamen Unterhaltung zu kommen – beziehungsweise, natürlich lagen ihr eine Menge Wörter auf der Zunge, angefangen bei ihrer Neugierde betreffend dem Umstand, dass er es für nötig hielt, Potter einmal quer durch Voldemorts Lebenslauf zu jagen oder der Vermutung, dass er ganz genau wusste, wie man einen Horkrux unwiderruflich zerstören konnte und diese Information für sich behielt …      „Möchtest du mir etwas sagen, Luciana?“, fragte Dumbledore plötzlich und schaute sie durchdringend an – sie gab sich alle Mühe, bloß keinen Gedanken auf die eben genannten Themen zu lenken und hoffte dabei inständig, dass der kurze Moment gerade nicht schon aufschlussreich genug für ihn gewesen war. Immerhin beherrschte der Schulleiter den Gedankenleserblick ähnlich wie Snape, auch wenn sie vermutete, dass er auf dem Gebiet bei weitem kein so großer Experte war, wie besagter Tränkemeister.      „Nein“, antwortete sie etwas verspätet und seufzte dann theatralisch. „Ich versuche mich nur schon mal geistig darauf vorzubereiten, Gabriel am Weihnachtsmorgen zu begegnen – Sie können sich wirklich glücklich schätzen, da drum herum zu kommen.“      Dumbledore schien mit dieser Aussage zufrieden und schenkte ihr sogar ein schiefes Lächeln plus Augenzwinkern.      „Dann möchte ich für dich hoffen, dass du sehr zeitig wieder zurückkehrst und das Festessen heute Abend ganz besonders genießen kannst.“      Er bot Luciana keinerlei Gelegenheit, dem noch etwas hinzuzufügen und verschwand, mit einem Handwink in ihre Richtung, aus dem Kaminzimmer – ein paar Sekunden später hörte sie die Eingangstür ins Schloss fallen. Seufzend verstaute sie das Paket in einem Sekretär, der auch das Schachspiel beherbergte, welches Granger und sie erst gestern Abend für gleich drei Partien genutzt hatten und lief dann zum Kamin hinüber; dabei hielt sie die Schatulle so weit von ihrem Körper entfernt, wie möglich – was selbstverständlich hinfällig wurde, sobald sie eine Handvoll Flohpulver ergriff und deutlich ihren Zielort in den Raum hineinsprach, da musste sie die Schachtel wohl oder übel an ihre Brust pressen, um nicht rechts und links mit den vorbeirasenden, aberhunderten Kaminen zu kollidieren.      Auch wenn die Reise sicherlich nicht mehr als ein paar Sekunden in Anspruch genommen hatte, kam ihr diese Zeitspanne wie eine nicht enden wollende Ewigkeit vor. Es war ihr einfach schleierhaft, wann der Orden und ihr Pate beschlossen hatten, sie zum Wächter und Boten für die Seelenstücke vom Schwarzen Führer zu machen – wobei es noch viel ärgerlich war, dass sie anscheinend den Moment verpasst hatte, dieses Treiben gleich im Keim zu ersticken… Zu allem Überfluss fand sie sich nun in einem der Kamine des Sangues wieder, die dutzendfach nebeneinandergereiht eine komplette Seite der Megahalle (sie mochte sicherlich um die vier Fußballfelder messen) einnahmen, dabei war sie nicht einmal auf dem Steg zwanzig Meter über ihr gelandet, sondern bei den ‚Besucherkaminen‘, die lediglich den ‚Standartmitgliedern‘ vorbehalten waren. Ein leichter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, der sie immer beschlich, sobald sie die Halle betrat, wenn sie vollkommen menschenleer und nur mit der notdürftigsten Beleuchtung an dem Boden der Seitenränder ausgeleuchtet war.      Übellaunig streckte Luciana die Schatulle wieder eine halbe Armlänge von sich und begann eilig auf den Aufzug zu ihrer Rechten zuzulaufen – dabei versuchte sie tunlichst zu ignorieren, wie sehr ihre Schritte um sie herum wiederhallten, bevor ihre Sinne ihr wieder einen Streich spielten und sie Schatten aus den Augenwinkeln wahrnahm, die gar nicht existierten. Sie hatte fast die offene Schiebetür erreicht, als ein Geräusch hinter ihr so klar und deutlich zu hören war, dass es keine Einbildung sein konnte. Stirnrunzelnd drehte sich Luciana einmal um die eigene Achse, den Blick auf die letzten, grünen Flammen gerichtet, die aus genau jenem Kamin schossen, welchen sie selbst gerade erst genutzt hatte.      Die Silhouette einer Person trat hervor, doch da sie schon an die zwanzig Meter zum Fahrstuhl gelaufen und, wie bereits erwähnt, von Dunkelheit mit klitzekleinen Ausnahmen umgeben war, erkannte sie nicht auf Anhieb, wer ebenfalls via Flohnetzwerk die Reise ins Herz der UOWV angetreten hatte und nun einen unentschlossenen Eindruck machte, welchen Weg er einschlagen sollte. Für einen Augenblick haderte sie mit sich, ob es die weisere Entscheidung wäre, einfach den Fahrstuhl zu betreten und einen größeren Abstand zu gewinnen – sie hatte in den letzten Jahren genügend schlechte Erfahrungen mit ‚Neumitgliedern‘ gemacht, deren Benehmen in Anwesenheit von ‚schwächeren‘ Nicht-Werwölfen oder Vampiren alles andere als vorbildlich ausgefallen war, doch keine Sekunde später wurde ihr diese Entscheidung abgenommen.      „Du kannst die Horkruxe nicht deinem Paten überlassen!“      Luciana brauchte nicht lange, um diese, sich halb im Stimmbruch befindende, Person zuzuordnen, was ihr im nächsten Moment das Herz in die Hose rutschen ließ.      „Potter, zurück in den Kamin, SOF-„      Ein ohrenbetäubendes, basslastiges Horn schnitt ihr die letzten Worte ab, das Dröhnen kam von sämtlichen Seiten und ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern – ohne einen Gedanken an die bedrohliche Nähe der Seelenstücke zu verschwenden, klemmte sie die Schatulle an ihre Seite und setzte zu einem rekordverdächtigen Sprint an. Die Anweisungen, welche sie Potter auf der Strecke zuschrie, wurden komplett von dem Warnton verschluckt, der unaufhörlich die Halle durchflutete, der glatte Untergrund brachte sie das ein oder andere Mal zum straucheln, ihre Muskeln schrien schon nach den ersten Metern protestierend auf, was der schnell einsetzende Adrenalineinschub sofortig neutralisierte. Luciana hätte es beinahe geschafft. Ihr linker Arm war bereits ausgestreckt, in der Absicht, den Volltrottel mit einem kräftigen Stoß zurück in den sicheren Kamin zu befördern, doch bevor sie seine Schulter berühren konnte, streifte etwas Kühles, Glattes die Spitze ihres Mittelfingers. Die Vollbremsung kam einen Wimperschlag zu spät und sie rasselte, mit dem Vorhaben sich hinten über fallen zu lassen, mit den Kniescheiben vorweg, gegen eine massive Barriere. Die folgende Erschütterung vor ihr auf dem Boden war sogar trotz des hallenden Horns zu spüren, dann schalteten sich mit einem Schlag sämtliche Flutlichter des Sangues ein – Luciana presste blitzschnell ihre Augenlider aufeinander, trotzdem bekam sie eine ganze Flut von kleinen Sternchen auf der Netzhaut zu spüren. Es vergingen kostbare Sekunden, in denen sie sich zwang die Augen wieder zu öffnen um ihre Umgebung klar und deutlich erkennen zu können – wobei sie bei dem Bild, was sich vor ihr auftat, gerne für einen Moment auf ihr Augenlicht verzichtet hätte.      Potter stand, wie vom Donner gerührt, in einer circa zwei Mal zwei Meter großen Glaszelle, die auf keiner ihrer vier Seiten den Anschein machte, einen Ausgang aufzuweisen. Er schien selbst Schwierigkeiten zu haben, durch das grelle Licht irgendetwas erkennen zu können, doch er begann erstaunlich schnell, mit beiden Händen sein Gefängnis nach einem Ausweg abzutasten. Auf einen Schlag trat Stille ein – die keine zwei Sekunde anhielt:      ‚UNBEFUGTES EINDRINGEN AUF DER MINUS ZEHN EBENE REGISTRIERT, ABSCHNITT DREI SIEBENUNDZWANZIG‘, ertönte es zu allen Seiten von einer äußerst sympathisch klingenden, weiblichen Stimme. Luciana schwante Übles. ‚BITTE GEBEN SIE DEN GENERALSCHLÜSSEL EIN‘      Auf einer der Seitenwände erschienen zwei Tastenfelder, sowohl im Innenraum, in dem sich Potter befand, als auch auf der Außenseite. Potter schien dies gar nicht mitbekommen zu haben, da er noch immer unaufhörlich jeden Zentimeter des Glases abtastete und dabei ständig seinen Mund bewegte – was wohl bedeuten mochte, dass die Kabine schalldicht war (zugegeben, dafür war Luciana in diesem Augenblick sogar ein klein wenig dankbar). So schnell es ihre glasattackierten Kniescheiben zuließen, rappelte sie sich vom Boden auf und trat an das Tastenfeld heran – natürlich musste ihr Hirn an dieser Stelle erst einmal eine Pause einlegen und ihr alle möglichen Nummern um die Öhrchen pfeffern, die rein gar nicht mit irgendeinem ‚Generalschlüssel‘ zu tun hatten.      „Ehm“, machte sie panisch und tippte nervös auf das Glas neben dem Eingabefeld – „Scheiße, wie war denn noch –„ Potter trat in ihr Sichtfeld, keine Handbreite von ihr entfernt und er schien irgendetwas zu brüllen. Luciana deutete auf ihre Ohren und schüttelte den Kopf, was der Knabe, glücklicherweise, sofort zu verstehen schien. „Generalschlüssel, Generalschlüssel“, murmelte sie grübelnd weiter, war es etwas mit einer Vier gewesen, oder fing es mit Zwei an, oder –      ‚FÜR DIE EINGABE DES GENERALSCHLÜSSELS BLEIBEN IHNEN DREISSIG SEKUNDEN‘      „Ehm …“ Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch weiter, Potter und seine panisch geweiteten Augen auszublenden half bei der Zahlenfindung keinen Deut und –      ‚ZWANZIG SEKUNDEN‘      „Verdammt, was war denn noch … HAH!!“      Luciana tippte in rasanter Geschwindigkeit den Zahlencode sechs fünf fünf drei zwei eins ein, trat einen Schritt von der Glaswand zurück und –      ‚DIE EINGABE DES GENERALSCHLÜSSELS IST NICHT KORREKT. SICHERHEITSPROTOKOLL K-107 WIRD EINGELEITET.‘      …      Das Herzrasen war verschwunden. Dafür setzte das Pochen in ihrem Brustkorb für eine scheinbare Ewigkeit ganz aus. Potter starrte sie aus großen Augen an, offenbar bot sie in diesem Moment nicht den zuversichtlichsten Anblick. Wozu auch keinerlei Grund bestand, denn auch wenn sie niemals Augenzeuge von dem Sicherheitsprotokoll K-107 geworden war, wusste sie sehr genau, was nun unwiderruflich folgen würde. Interessanterweise wurde weder eine Klappe geöffnet, noch traten sichtbare Öffnungen aus dem Glas hervor, als ein orangefarbener Nebel zunächst die Knöchel von dem Jungen der lebte umschloss und unaufhörlich weiter seine Beine hinaufkroch. Potter riss seine Augen, kaum zu glauben, noch ein Stück weiter auf, versuchte mit einem Schritt nach hinten aus den wabernden Schwaden zu treten, doch mittlerweile war der gesamte Boden der Kabine ausgefüllt. Zuerst griff Potter nach seinem Hals, ganz, als würde er nach Luft ringen, dann traten deutlich sichtbar und in einem tiefen violett die Adern in seinem Gesicht hervor - keine zehn Sekunden später klatschte er, mit der Wange voran, bewusstlos gegen die Glaskabine.                                    Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)