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Luciana Bradley und die Sammlungen der Väter

von

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Die Auktion

In der folgenden Woche hatte Luciana kaum die Gelegenheit Dumbledores Ratschlag nachzukommen und ihre restlichen Ferien zu genießen. Wenn sie nicht damit beschäftigt war den hunderte von Seiten umfassenden Katalog, aka Sir Rennocs unfassbar detailreiche Ordenssitzungsprotokolle, zu studieren (es las sich wie ein verdammtes Theaterstück, inklusive Regieanweisungen – wenn sie gewollt hätte, wäre es ihr möglich, eine Statistik über die Kaffee– und Teetrinkgewohnheiten der gesamten Ordensbelegschaft anzufertigen… Snape trank im Durchschnitt vier Komma zwei sechs Tassen Kaffee pro Sitzung. Ihr stark vernachlässigter Taschenrechner hatte sie angefleht, endlich wieder eine Existenzberechtigung haben zu dürfen…), hielt ihr Pate sie mit Botengängen zwischen den einzelnen Abteilungen des Bunkers auf Trab oder trug ihr andere Aufgaben auf, die allesamt Kilometer um Kilometer Laufarbeit erforderten. Sie beschlich immer mehr und mehr das Gefühl, Gabriel würde irgendetwas im Schilde führen. Er hatte sie die letzten Jahre penibel fern von allen Dingen gehalten, die seine Organisation betrafen, viel Wert auf ihre Karrierelaufbahn in der nicht magischen Welt gelegt und all diese Grundsätze schien er mit einem Mal über Bord geworfen zu haben. Vor drei Jahren noch hatte sie ihn ganze zwei Monate bearbeiten müssen, um seine Zustimmung für einen lapidaren Aushilfsjob in der Tränkeabteilung zu bekommen und plötzlich war er dazu übergangen, sie als seine persönliche Assistentin zu missbrauchen.

     Diese Annahme verstärkte sich noch mehr, als er sie am Mittwochabend in sein Büro rufen ließ. Mittlerweile war ihre Anwesenheit in dieser Räumlichkeit keine Seltenheit mehr, dementsprechend gelassen nahm Luciana vor seinem Schreibtisch Platz.

     „Hast du deinen Hosenanzug sauber im Schrank hängen?“, fragte Gabriel ohne Umschweife und schaute dabei nicht einmal von seinen Unterlagen auf.

     „Armani, Boss, Gucci?“

     „Boss.“

     „Ja, der müsste frisch aus der Reinigung sein.“ Nachdem er sie in dieser Montur am Samstagmorgen auf ein Treffen von gefühlt fünfzig Wirtschaftsgurus geschleppt und sie mit ihrer alleinigen Präsens sowohl den Altersdurchschnitt, als auch die Frauenquote gesprengt hatte. „Aber falls du mich nochmal zu so einer Veranstaltung im Börsenviertel schleifst-„

     „Es geht um die Auktion.“ Oh.

     „Ich dachte du würdest jemanden vom Vorstand mitnehmen wollen.“

     „Das ist korrekt. Ich habe Cicil mit mir angemeldet, aber in der Vollmondnacht kam es zu einem Zwischenfall“, sagte ihr Pate betont neutral.

     „Hat sie überlebt?“ Eine berechtigte Frage, immerhin nutzte er das Wörtchen ‚Zwischenfall‘ meist als Synonym für Mord und Totschlag.

     „Wir schauen uns derzeit nach einem geeigneten Kandidaten um, der ihren Posten neu besetzten kann.“ Volltreffer.

     „Und ich soll für morgen ihren Job bei der Auktion übernehmen?“

     „So hatte ich mir das gedacht.“ In diesem Moment hob er seinen Kopf, blickte sie direkt an und schob ihr eine graue Mappe über den Tisch, die aus allen Nähten platzte. Luciana nahm diese entgegen und klappte sie auf.

     „Man kann Blätter übrigens auch zweiseitig bedrucken, dann hast du am Ende nur noch ein Viertel des Regenwalds auf dem Gewissen“, kommentierte sie die zweihundertdreiundachtzig durchnummerierten Steckbriefe (meist männlich, weiß und in den Vierzigern) und einen Gebäudeplan des Auktionshauses. „Aber du erwartest jetzt nicht, dass ich die bis morgen auswendig lerne?“

     „Das ist der Personenkreis, welcher in Frage kommt morgen mit zu steigern. Allesamt nicht magisch und ohne jegliche Verbindung zu Voldemort. Der Grundriss des Gebäudes dient nur der Orientierung, falls es doch zu einem Zwischenfall kommen sollte“, schon wieder dieses böse Wort, „aber davon ist nicht auszugehen.“ 

     „Also ist es meine Aufgabe, mir diese Gesichter einzuprägen, damit ich sie ausschließen kann und wir die Unbekannten Voldemorts Leuten zuordnen können?“

     „Du verinnerlichst immer mehr unsere Herangehensweise, das ist löblich“, kommentierte Gabriel und setzte dabei eine sehr zufriedene Miene auf.

     „Aber ich darf trotzdem noch meinen Abschluss in Hogwarts machen, oder bekomm ich in ein paar Tagen den Vollzeitknebelvertrag plus Mitgliedschaft auf Lebenszeit deiner kleinen Vorzeigediktatur vorgelegt?“ Eine berechtigte Frage, wenn man bedachte, dass ihr die letzten Wochen wie eine verkürzte und höchst intensive Ausbildungsperiode vorgekommen waren.

     „Sei nicht albern, du bist weder Vampir noch Werwolf.“

     „Ja, und ich wäre sehr dankbar, wenn das auch so bleibt.“

     Für eine ganze Weile schauten sich Luciana und Gabriel über den Tisch hinweg an, nicht einer von ihnen blinzelte dabei.

     „Haben wir ein Problem, Luciana?“, fragte ihr Pate dann und verschränkte seine Hände auf dem Schreibtisch.

     „Ich weiß nicht, haben wir?“ Nach einer weiteren Runde des Starrens schien Gabriel allerdings genug zu haben und warf ihr, als Geste des guten Willens, seine Schachtel Zigaretten vor die Nase. Die gute alte Friedenspfeife – sie zündete sich gleich einen Glimmstängel an und warf das Päckchen zurück, worauf er sich auch einen herausnahm.

     „Irgendetwas missfällt dir, du hast wie üblich maximal“, er schaute kurz auf seine Armbanduhr, „fünf Minuten. Der Rekord liegt bei“, Gabriel durchblätterte seinen Terminkalender und schlug eine Seite auf, „drei Minuten zweiundzwanzig. Los!“

     „Gut, fangen wir von vorne an“, sagte Luciana, nahm sich ein paar Sekunden Zeit um ihre Gedanken zu sammeln, einen kräftigen Zug aus ihrer Zigarette und bereitete ihre Zunge auf einen kleinen Wortmarathon vor. „Anfang Oktober, letztes Jahr, erster unüblicher Schachzug von dir, du setzt mich auf einen sogenannten ‚Vermittlungsposten‘“, sie fügte mit den Fingern angedeutete Anführungszeichen ein, „wobei es wesentlich unkomplizierter gewesen wäre, jemanden wie Johnny auszuwählen“, „Er ist schon erster Vorsitzender der Werwöl-„ „Oder jemand anderes, jetzt behaupte nicht, du hättest nicht genügend Auswahl gehabt.“

     „Du weißt so gut wie ich, dass sich die eine oder andere Seite zerfleischt, sobald ich nur die Vertretung von einem Vampir oder einem Werw-„

     „Nah!“, unterbrach sie ihn mit erhobenen Finger. „Das mag vielleicht bei Dumbledore und den anderen ziehen, wir wissen beide, dass dieses Argument nur vorgeschobener Bullshit ist. Und du kannst dich äußern wenn ich fertig bin, deine Unterbrechungen gehen von meiner Zeit ab.“

     Gabriel verzog sich grummelnd in seinem Lederbürostuhl und bedeutete ihr mit einer Handgeste fortzufahren.

     „Dann, letzten Monat nach der Ministeriumssache – anstatt mir den Hintern dafür aufzureißen, auf eigene Faust dem Abenteuer-Trupp-Potter nachgereist zu sein, hast du mich für meine ‚Eigeninitiative‘ gelobt“, „Du hast den Hintern für das Versäumnis, dein Serum nicht eingesteckt zu haben, aufgerissen bekommen“, „und so eigenwillig“, fuhr sie unbeirrt fort und überging seinen Kommentar, „dein Verständnis für pädagogische Wertevorstellung manchmal ausfallen mag, dafür hätte ich all die Jahre davor mächtig Ärger bekommen. Weiter, Sir Rennocs ‚Einladung‘ an mich, ihn zum Buckingham Palast zu begleiten – seltsam, dass der gute Mann mir vorgestern im Schmerzmitteldelirium noch gesteckt hat, das sei auf deinem Mist gewachsen“, ihr Pate begutachtete äußerst interessiert die Maserung seiner Tischplatte, „und es sei so oder so vorgesehen gewesen, mich auf die Mission mitzunehmen, wenn auch nicht mit seinem Job bei der Sache. Und jetzt laufe ich mir seit mehr als einer Woche die Haxen wund, mir werden von allen Seiten streng vertrauliche Informationen über die Vorgehensweise der UOWV um die Ohren gehauen, die ich für meinen ‚Vermittlungsposten‘ nicht einmal benötige, du schleppst mich zu deinen Geschäftstreffen, bei denen ich früher nicht mal erfahren durfte, in welcher Stadt sie stattfinden und oben auf geht es morgen zu einer Auktion, an der, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, auch Todesser teilnehmen werden. Ich meine“, hier legte Luciana eine kleine Pause ein, die sie direkt für zwei kräftige Züge ihrer Zigarette nutzte, „mir ist bewusst, dass ich in weniger als zwei Monaten achtzehn werde und ich dir lange genug auf der Tasche gelegen habe, aber erstens habe ich in diesem Land Anspruch auf Kindergeld bis zu meinem achtundzwanzigsten Lebensjahr“, Gabriels Gesicht nahm einen verwirrten Ausdruck an, „solange ich noch nicht Vollzeit arbeite und beide Staatsbürgerschaften behalte - die meiste Zeit, für die nächsten zwei Jahre, werde ich in Hogwarts verbringen, vorausgesetzt ich handle mir nicht doch noch einen Schulverweis ein, und –„

     „Moment, stopp.“ Ihr Pate hielt beide Hände vor sich ausgestreckt, mittlerweile machte er einen sehr verstörten Eindruck. „Was für ein Ziel soll ich deiner Meinung nach im Sinn haben?“

     „Ich schwanke grad zwischen der schon genannten Option, bald vor der Entscheidung zu stehen, hier irgendeinen Vertrag unterschreiben zu müssen, damit du eines Tages jemanden auf deinen Posten setzen kannst, der nach deinen Vorstellungen deine Organisation leitet und deiner beliebten ‚ein Mensch ein Problem, kein Mensch, kein Problem‘ Lösung.“

     „Du ziehst in Betracht, dass ich dich mit Absicht in Gefahr bringe, damit es am Ende wie ein Unfall aussieht?“ Zwar war die Verwirrtheit gewichen, nun schien Gabriel allerdings geschockt.

     „Die Signale sind schwer zu deuten, aber das sind im Endeffekt die beiden einzigen Beweggründe, die mir einfallen.“

     „JONATHAAAAN!!!“ Der Schrei hallte selbst dann noch in Lucianas Ohren nach, nachdem Johnny schon das Büro von Gabriel betreten hatte und ihr Pate sofort an seine Seite gesprungen war.

     „Da, sie tut es schon wieder“, konnte sie ihn flüstern hören, daraufhin war er eine ganze Weile damit beschäftigt, Johnny auf den neusten Stand zu bringen. Mit einem mächtigen Augenrollen schnappte sie sich die Schachtel auf dem Tisch und zündete an der alten Zigarette direkt eine Neue an. Diese Diskussion würde in jedem Fall eine temporäre Kettenrauchaktion erfordern, wenn ihr Nervenkostüm nicht in einem völlig desolaten Zustand den Raum verlassen wollte.

     „Ach Kinder“, sagte Johnny seufzend, pflanzte sich im Schneidersitz auf den Schreibtisch und deutete von Gabriel auf den Bürostuhl. „Gab, setz’n.“ Doch der schien nicht einmal daran zu denken und ging dazu über, mit seinen Fingern hinter dem Rücken herumzuspielen. „Dann bleib steh’n … Luciana, du weiß ja dein Patenonkel is nen emotionaler Krüppel, ja?“

     „Jonathan, ich habe dich nicht hergebeten, damit du mit deinem psychoanalytischen Dünnsch-„ , patzte Gabriel los und wurde gleich in seine Schranken verwiesen - „Schnauze – so, nochma – dein Pate hat nen Feingefühl von ner Autopresse und mächtig nen Riss inner Schüssel, wenn’s drum geht den Wichtigst’n in seinem Leben seine Lie-„

     „Zuneigung“, unterbrachen ihn Luciana und Gabriel, wie aus einem Mund. Johnny schmiss in einer hilflosen Geste beide Arme in die Luft und zeigte dann mit ausgestrecktem Finger verärgert auf Gabriel. „Da, DA hast du’s, ich hab dir immer gesteckt, sie würd sich das bei dir abgucken und jetzt haste nen ausgewachsenes Mädl da sitzen, die meint, ihr eigener Paps würd se in’n Betonschuh‘ gießen.“

     „Ich habe lediglich die Fakten aufgezählt, so wie man es mir beigebracht hat und daraus Schlüsse gezogen“, sagte Luciana zu ihrer Verteidigung. „Das war nicht wertend gemeint.“

     „Kay, dann gibt’s von mir ma ein paar Fakten“, sagte Johnny und schnappte ihr die Zigarette aus der Hand. „Die Knalltüte da hat dich ganz fest in seine mächtig eingerostete Pumpe geschloss’n, seitdem du das erste Ma‘ diese kleine Mädch‘n Kulla’augen Speziwaffe ausgekramt hast und er liegt mir seit über nem‘ Jahr mit seinem Gejammer in den Lauschern, wie er dich für’n Krieg fit kriegt, soweit schonma geschnallt?“ Luciana nickte, Gabriel betrachtete derweil höchst interessiert seine Zippo-Sammlung. „Prächtich, dann werf ma dein Hirngemüse an und komm mit nem dritten Schluss um die Ecke.“

     Seufzend rieb sie sich die Stirn, versackte ein wenig tiefer in ihrem Stuhl und betrachtete für einen Moment nachdenklich die Rückseite ihres Paten.

     „Gabriel hat nach dem Brief von Hogwarts und Voldemorts Rückkehr begriffen, dass er mich nicht ewig aus der Zaubererwelt heraushalten kann, jetzt gibt es einen Crash-Kurs, damit ich vorbereitet bin, wenn es ungemütlich wird“, murmelte Luciana genervt, schon alleine, weil sie darauf nicht von ganz alleine gekommen war.

     „Siehste Gab, bekommt die Kurze doch mehr mit allse denkst.“ Ihr Pate nickte nur abwesend, worauf Johnny kopfschüttelnd von dem Schreibtisch sprang und mit einem „Ihr macht mich fertig, echt!“ aus dem Arbeitszimmer verschwand.

     „Fünf Minuten neununddreißig“, (Verdammt) bemerkte Gabriel, kaum, dass Johnny verschwunden war und setzte sich mit vollkommen neutraler Miene wieder auf seinen Bürostuhl.

     „Die Auktion beginnt um neunzehn Uhr?“, fragte sie.

     „Sei um Punkt achtzehn Uhr in meinem Büro.“ Luciana nickte und verließ ebenfalls den Raum.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Eine halbe Stunde vor Beginn der Auktion die Pforten des Sotherby’s Auktionshaus zu betreten, war nicht ganz so perfekt kalkuliert, wie es bei den sonstigen Plänen und Terminen ihres Paten die Regel war. Schon in der Eingangshalle, welche nur mit Ausweisen und zugeordneter Nummer passierbar war (auf Cicils Personalien hatte die IT-Abteilung lediglich Lucianas Passfoto eingefügt), offenbarte sich ein Menschenauflauf mit Chaospotenzial -  anscheinend war die gesamte höhere Gesellschaftsschicht Britanniens angetreten und das, obwohl die Zeitungen und Nachrichtensender ganz unverhüllt mit allen möglichen und unmöglichen Aluhuttheorien um sich geschmissen hatten, welche Katastrophe über die englische Hauptstadt mit dieser Auktion an diesem Abend hereinbrechen würde.

     In der Menge war es ihr kaum möglich, ein Gesicht von dem nächsten zu unterscheiden, hinzu kam noch, dass Luciana mit ihrer nicht gerade hochgewachsenen Statur sowieso nur Rücken und Fronten der Menschen um sich herum ausmachen konnte und das, obwohl sie ihre Pumps mit neun Zentimeter Absatz angezogen hatte. Zumindest fügte sie sich mit dem Kleidungswunsch von Gabriel perfekt in das Gesamtbild, dazu noch einen streng gestriegelten Zopf und eine Fensterglasbrille plus dezentes Makeup und sie ging beinahe mit den sechsundzwanzig Jahren durch, die auf ihrem falschen Pass vermerkt waren.

     Erst nachdem sie sich bis zu dem eigentlichen Auktionsaal durchgeschoben hatten, wurde die Sicht etwas weniger beengt und ihr bot sich der freie Blick auf einen riesenhaften Raum, der für die sonstigen Verhältnisse, die in diesem Land herrschten, sehr schlicht, oder besser gesagt, funktionell gehalten war. In der Mitte waren Reihen um Reihen von einfachen  Holzstühlen aufgestellt, die beinahe alle schon besetzt waren. An den Seiten des Saals befanden sich meterlange weiße Tresen, auf denen in regelmäßigen Abständen Telefonapparate aufgereiht waren und an einigen standen schon jetzt ein paar Herrschaften, die angeregte Gespräche führten.

     „Gibt es hier anonyme Bieter per Telefonschaltung?“, erkundigte sich Luciana.

     „Selbstverständlich, das ist in diesem Haus üblich. Hast du die Akte nicht gründlich studiert?“ Ihr Pate warf ihr einen scharfen Seitenblick zu.

     „Ich habe mir sicher nicht die Nacht um die Ohren geschlagen, um jeden Lebenslauf zu lesen – oh, yap, der Herr kommt mir bekannt vor“, damit nickte sie in Richtung eines wohl beleibten Mannes mit Schnäuzer und lichtem Haar, der in einem Affentempo in eine Hörmuschel quasselte und der mit all den Krümeln in seiner Gesichtsbehaarung lieber vor Antritt seiner Arbeitsstelle ein Bad mit Spiegel aufgesucht hätte.

     „Vor der Mauritius werden noch drei Gemälde versteigert“, merkte Gabriel neben ihr an und führte sie in eine der letzten drei Reihen der Sitzplätze. „Allerdings werden nach Auktionsbeginn keine Personen mehr in das Gebäude gelassen, daher sollten sich unsere Zielpersonen entweder schon mit uns in diesem Raum befinden, oder in den nächsten Minuten eintreffen.“

     Sie setzten sich in die Mitte, Luciana holte sich ein Klemmbrett mit Füller aus der Tasche, legte beides auf ihren Schoß (alleine schon um ganz besonders geschäftig auszusehen) und somit begann das ziemlich eintönige Beobachten. Die Menschen in dem Saal konnte sie schon nach kürzester Zeit ausschließen, da sie diese entweder auf einem der Steckbriefe gesehen hatte oder die Unbekannten überdeutlich zu dem Personal des Hauses gehörten. Tatsächlich zog sie erst in dem Augenblick die Luft scharf zwischen den Zähnen ein, als ein Mann mit weißen Handschuhen und perfekt sitzendem Dreiteiler drauf und dran war, das erste Gemälde zur Versteigerung auf ein Podest zu heben.

     „Vielleicht habe ich mir nicht die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, aber selbst die knappe Stunde hätte ich mir sparen können“, kommentierte Luciana und nickte dezent in Richtung der zweiflügeligen Eingangstür, durch die gerade zwei Herren in schwarzen Anzügen getreten waren.  

     „Seit über zwanzig Jahren im Geschäft und noch immer nichts über Inkognito dazu gelernt“, flüsterte ihr Gabriel zu und setzte ein belustigtes Grinsen auf. Die zwei neu eingetretenen Gestalten mochten zwar rein kleidungstechnisch in die nicht magische Welt passen (wenn man davon absah, dass die Schnitte der Anzüge verdächtig nach den Achtzigern aussahen), allerdings hätten sie sich die Verkleidung alleine durch ihre auffällige Kopfbehaarung schenken können. Beide Männer waren im Alter zwischen Mitte Dreißig und Anfang Vierzig anzusiedeln, hatten pechschwarzes Haar (Nummer Eins bis unter die Schulterblätter, Nummer Zwei etwas gesellschaftsfähiger, bis zu den Schultern) und Bärte – wobei Nummer Zwei auch hier eine dezentere Gesichtsbehaarung hatte, als Nummer Eins. Bei den beinahe allesamt aalglattrasiertem Briten im Saal wirkten die beiden fast, als seien sie geradewegs aus einem dreimonatigen Überlebenstraining vom Mount Everest gekrackselt. Die zwei verschafften sich mit düsterem Blick kurz einen Überblick (die absolute Abscheu, sich in einer Horde nicht Magier zu befinden, war ihnen in die Gesichter gemeißelt, Luciana konnte nicht einmal sagen, ob der eine oder der andere angewiderter um sich schaute) und liefen dann weiter zu den vorderen Reihen, um dort ihre Plätze aufzusuchen.

     „Kennst du die beiden?“, fragte sie leise.

     „Rabastan Lestrange links“, flüsterte ihr Gabriel zu.

     „Bellatrix Bruder?“

     „Nein, ihr Schwager“, sagte Gabriel und lehnte sich noch ein Stück zu ihr rüber, da sie mittlerweile beide jeweils einen Sitznachbarn hatten und diese Art von Gespräch nun wirklich keine unerwünschten Zuhörer gebrauchen konnte. Luciana hatte derweil große Schwierigkeiten, sich eine Bellatrix in einem weißen Hochzeitskleid mit Verschleierung vorzustellen – obwohl Vermählungen in der Zaubererwelt wahrscheinlich wenig mit denen ihr Bekannten gemein hatten … „Er ist einundachtzig wegen Freiheitsberaubung, Mord und Folter zu lebenslanger Haft verurteilt worden und seit Januar auf der Flucht. Bellatrix reizender Ehegatte heißt Rodolphus, der Herr rechts. Gleiches Urteil,  selbe Tat.“

     „Sieht das mit der Flucht in der magischen Welt irgendwie anders aus oder warum spazieren die alle in der Öffentlichkeit rum?“

     „Wieso Konsequenzen fürchten? Askaban ist schwer beschädigt und das Ministerium bekommt es nicht mal bewerkstelligt, dessen Wachen unter Kontrolle zu bringen und während die Todesser darauf pfeifen, was die nicht magische Welt mitbekommt oder nicht, stellt der Minister die Geheimhaltung über die Priorität von Festnahmen.“

     Luciana wollte gerade nachhaken, ob es üblich für Todesser war, gleich den ganzen Familienclan auf Lebzeiten zu verpflichten, da trat auch schon der Auktionator an sein Pult. Was folgte, löste bei ihr eine Mischung voller Entsetzen aus, wie viel Massen an Geld einige Menschen bereit waren, für ein bisschen alte Leinwand mit Acrylfarbe aus dem Fenster zu schmeißen und pure, gähnende Langeweile. Allein die erste Versteigerung nahm, mit dem detailreichen Vorgeplänkel über Herkunft und Geschichte des ‚herausragenden, einmaligen Stücks‘, eine halbe Stunde in Anspruch und es würden noch zwei weitere Auktionen dieses Kalibers folgen …

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

     „Cicil!“ Lucianas Kopf schnackte mit einem hörbarem Knacksen nach oben – für einen kurzen Augenblick hatte sie nicht den Funken einer Ahnung, wieso sie inmitten einer Masse von Menschen saß, dann kam das Gesicht ihres Paten in ihr Sichtfeld, der sie mit einem gemischten Blick aus Strenge und Belustigung von ihrer linken Seite aus musterte.

     „Fuck, Sekundenschlaf“, murmelte sie und schob die verrutschte Alibibrille auf der Nase gerade.

     „Du hast eine gesamte Auktion verschlafen“, bemerkte Gabriel und richtete seinen Blick wieder nach vorne. „Allerdings habe ich irgendwann einmal irgendwo gelesen, dass man Kindern ihren Erholungsschlaf lassen soll, ansonsten beeinträchtigt sie dies in der kognitiven Entwicklung.“ Den Stoß mit ihrem Ellbogen hatte er sich redlich verdient.

     „Bei unserem nächsten Versteigerungsobjekt“, sprach der Auktionator in das Mikrofon, das an seinem Pult angebracht war, „muss eine Abbildung als Platzhalter dienen. Ich denke die Sirs und Madams, die heute anwesend sind, werden bereits über diesen ungewöhnlichen Umstand informiert sein. Die Blaue Mauritius –„ Und damit begann abermals das Gerede über Geschichte und Herstellungsweise des winzigen Stück Papiers, das mindestens eine Viertelstunde dauerte. Obwohl Luciana von ihrem Platz aus nur die Hinterköpfe der Todesser in der dritten Reihe erkennen konnte, war deutlich zu sehen, dass Leben in die Herrschaften gekommen war. Der Linke, Rabastan, wenn sie sich richtig entsann, fummelte hektisch an seinem rechten Ohr herum und dass Rodolphus unaufhörlich mit einem seiner Füße wippen musste, war überdeutlich.

     „Das Startgebot beginnt bei achtzigtausend Pfund.“ In den folgenden Minuten lief sie nicht einmal Gefahr, auch nur an Schlaf zu denken. Im ganzen Saal war die Aufregung der Menschen um sie herum zu spüren, man konnte schon fast von einer Aufladung in der Luft sprechen und es wurde mit Geboten nur so um sich geworfen. Gabriel saß in der gesamten Zeit vollkommen ruhig auf seinem Platz und beobachtete, mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, wie sich Rodolphus mit gleich zwei Mitbietern in Reihe Vier und einem aus der Telefonzuschaltung in schwindelerregende Höhen steigerte. Es brauchte noch eine weitere Ewigkeit, bis nur noch der Todesser und ein grauhaariger Herr weiter vorne den Kampf unter sich austrugen. Währenddessen schien Rabastan noch immer vollauf beschäftigt mit seinem Ohr zu sein – manchmal machte es sogar den Anschein, als würde er vor sich hin brabbeln.

     „1,580.000 zum Ersten“, der Grauhaarige steckte seinen Kopf mit seinem Sitznachbarn zusammen, „1,580.000 zum Zweiten“, der Auktionator hob seinen Hammer, Lucianas Herz beschleunigte und für eine Millisekunde dachte sie ernsthaft darüber nach, ihrem Paten das Schildchen mit der Zahl fünfhundertzweiundfünfzig aus der Hand zu reißen und selbst mitzubieten, „1,580.000 zum Dri – 1,600.000.“ Gabriel hatte im allerletzten Moment sein Gebot abgegeben, verdammt, das schien ihm hier einen Mordsspaß zu bereiten. Die beiden schwarzhaarigen Köpfe aus der zweiten Reihe wirbelten herum, auf der Suche nach dem Übeltäter – und Gabriel machte es ihnen nicht besonders schwer, immerhin winkte er ihnen mit zwei Fingern und einem breiten Grinsen im Gesicht zu. Offenbar hatte sie sich nicht geirrt, denn da sich die beiden gerade zu ihnen gewandt hatten, sah sie sehr genau, dass Rabastan sehr offensichtlich die eine Hand am Ohr und die andere in die Nähe sein Mundes hielt, dabei redete er unaufhörlich in diese hinein.

     „1,620.000 Pfund, 1,640.000“, und so ging es weiter und weiter und weiter –

     „Hat der einen Funkknopf im Ohr?“, fragte Luciana, als sie bei 3,740.000 angekommen waren und ihr Pate dazu übergegangen war, sein Schildchen einfach nicht mehr herunter zu nehmen.

     „So etwas ähnliches“, sagte er, aber nahm dabei nicht den Blick von dem Geschehen vor seiner Nase. „In der Zaubererwelt nennt man sie Communic-Steine, sehen in etwa aus wie eine halbierte Murmel, ein Stein für das Ohr zum Hören, in den anderen kann man sprechen. Das ist eine nicht sehr verbreitete Art der Kommunikation, da der Grundbaustein sehr selten ist und man den Zauber darin bloß für eine sehr kurze Zeit einschließen kann. Im Grunde kann der Herr die Dinger nach dieser Auktion entsorgen.“

     „3,950.000, 4,000.000“

     „Meinst du er redet da grad mit Voldemort?“

     „Oh, davon ist ganz sicher auszugehen“, sagte Gabriel und sie schaute sich mit dieser Information das Schauspiel noch etwas genauer an. Rabastan war mittlerweile puterrot im Gesicht geworden und auf seiner Stirn glänzten die Schweißperlen – zumindest konnte man dies sehr gut erkennen, wenn er sich immer mal wieder zu Rodolphus wandte und diesen schon beinahe verzweifelt anstarrte.

     „4,500.000“

     Die linke Hand des Todessers, welche er dafür gebrauchte sein Bietschild in die Höhe zu halten, hatte zu zittern begonnen seit sie die 4,000.000 Pfund Marke geknackt hatten und auch ihm stand mittlerweile der Schweiß auf der Stirn.

     „Tss, wer wird denn da wütend sein“, bemerkte Gabriel, wobei seine Laune von Sekunde zu Sekunde glänzender ausfiel.

     „Wütend?“, sagte Luciana und lehnte sich noch ein Stück weit nach vorne. „Das sieht fast aus, als hätten die beiden Schmerzen …“

     „Ich habe ja auch nie behauptet, dass die zwei verstimmt wären …“ Leider ergab sich in diesem Moment nicht die Gelegenheit, diese Anmerkung weiter zu hinterfragen, denn bei 5,100.000 zog Rodolphus Lestrange seinen bebenden Arm zurück in den Schoß.

     „5,100.000 zum Ersten, 5,100.000 zum Zweiten… und zum Dritten“, BAMMS, „verkauft an die Nummer fünfhundertzweiundfünfzig.“

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

„ … es war uns eine Freude Sie als Kunden gewinnen zu können und wir wären hoch erfreut, Sie in naher Zukunft wieder in unserem Haus begrüßen zu dürfen.“ Gabriel nahm den Umschlag über den Tresen entgegen, der ihm von einer Mitarbeiterin des Sotherby’s zugeschoben wurde, nickte der Dame höflich zu und reichte den Brief an Luciana weiter, die ihn sofort in ihrer Ledermappe verstaute.

     Nach der gewonnenen Auktion waren sie von gleich vier Sicherheitsleuten umringt in einen Nebenraum des Saals geführt worden, in dem ihr Pate den Scheck über die irrwitzige Summe von 5,100.000 Pfund ausgefüllt hatte (was einige Zeit in Anspruch genommen hatte, allein die vielen Nullen und die Summe in Worten ausgeschrieben hatten fast die vorgedruckten Linien des Bankscheins gesprengt). Sobald diese Formalitäten abgeschlossen waren, verließen sie über eine weitere Tür im Raum den Kassierbereich des Auktionshauses und traten auf den Flur, welchen sie schon auf dem Hinweg genommen hatten. Weder Luciana noch Gabriel wirkten überrascht, als sie die beiden schwarzhaarigen Gestalten am Ende des Gangs stehen sahen, die darauf zu warten schienen, dass sie sie zum Treppenabgang passieren würden. In unmittelbarer Sichtweite befanden sich nur noch eine Handvoll weitere Auktionsgäste und zwei Mitarbeiter des Sotheby’s, aber offenbar genügend Augenzeugen, um einen sofortigen ‚Zwischenfall‘ abzuwenden.

     „Steinhardt“, knurrte Rabastan ihrem Paten entgegen, als sie auf der Höhe der zwei angekommen waren. Luciana fiel sofort auf, dass sich Rodolphus seinen linken Arm hielt und ihm noch immer das Wasser über die Stirn lief. Sein Begleiter machte allerdings auch keinen entspannten Eindruck.

     „Ah, die Lestranges“, sagte Gabriel aggressiv fröhlich (ja, die Kombination beherrschte er vorzüglich) und blieb keine zwei Schritte vor ihnen stehen. „Rudi, wo hast du deine Angetraute gelassen?“ Rodolphus bleckte seine Zähne, wohl um zu antworten, aber ihr Pate kam ihm zuvor. „Oder hat sie den wertlosen Wisch von einer Trauungsurkunde endlich dort verstaut, wo er hingehört?“ Gabriel trat noch Stück näher an den Todesser heran. „Auf der Klorolle vom Scheißhaus eures Herrchens?“ Bei dieser glasklaren Provokation hätte Luciana beinahe geräuschvoll nach Luft geschnappt und auch die beiden Herrschaften vor ihnen schienen kurz davor die Beherrschung zu verlieren.

     „Verkriech dich nur weiter unter der Erde bei den Krauts, Steinhardt“, zischte Rodolphus mit hasserfülltem Blick. „Der Dunkle Lord wird sich dieses Mal auf keinen feigen Waffenstillstand von dir einlassen und du wirst sehen“, der Mann trat noch einen halben Schritt näher an Gabriel heran und der nun nicht mehr vorhandene Abstand zwischen ihnen sah aus ihrer Perspektive schon beinahe anstößig aus, „wir haben dich und deinen Abschaum“, damit schaute er verächtlich an Luciana auf und ab und rümpfte die Nase, ganz als ob er den Werwolf oder Vampir Halbmenschstatus an ihr riechen könne, „schneller aus deiner Höhle geräuchert, als du uns kommen sehen kannst. Das Dunkle Mal wird an jedem Ort aufsteigen, du wirst schon sehen.“ Rodolphus packte Rabastan bei der Schulter und schob ihn die Treppe zur Lobby hinunter, nicht, ohne sich vorher noch einmal zu ihnen umzublicken und ein ganz besonders hässliches Grinsen zu zeigen, das eine Reihe angefaulter Zähne offenbarte. Gabriel bewegte sich mit versteinerter Miene eine ganze Weile nicht vom Fleck.

     „Alles okay?“, erkundigte sich Luciana und fasste ihn beim Ellenbogen. Ihre Pate setzte sich darauf in Bewegung und sprach erst wieder, als sie die New Bond Street fast verlassen hatten.

     „Riddle weiß in welchem Land wir sitzen.“ Über diese Erkenntnis konnte sie nur die Stirn runzeln.

     „Heißt das, er wusste das bisher nicht?“ Gabriel nickte und bog mit strammen Schritttempo in die Unterführung einer U-Bahn Haltestelle, Luciana dicht auf seinen Fersen.

     „Er hatte uns all die Jahre irgendwo zischen Tschechien und Polen angesetzt und wir haben alles dafür getan, damit er in dem Irrglauben bleibt.“ Ja, die Geheimhaltung der UOWV war wirklich ein Thema für sich … Nur der Vorstand kannte die Postanschrift des Bunkers, alle weiteren Mitglieder mussten sich damit begnügen, zu festen Terminen pünktlich bestimmte Orte aufzusuchen, an denen Kamine direkt in das Sangues führten und das auch nur mit einem maximalem Zeitfenster von dreißig Minuten.

     „Glaubst du es gibt eine undichte Stelle im Vorstand?“

     „Unwahrscheinlich.“ Sie passierten die Drehkreuze der Station und liefen weiter zu einer der drei Rolltreppen direkt vor ihnen.

     „Was ist mit letztem Jahr, da war doch diese … wie hieß sie gleich, Sophie Harley oder Harvey –„

     „Harris“, knurrte Gabriel. „Ziemlicher Frischling und hat wohl den Adrenalinkick gesucht, indem sie bei Riddle angekrochen ist. Aber mehr als ein paar Namen hat sie nicht ausplaudern können, hinzukommt, dass sie und die anderen drei, die unter einem Imperius gestanden hatten, nur den einfachsten Mitgliedsstatus hatten.“

     An dem Bahnsteig angekommen, gingen sie diesen fast bis ganz hinten durch, um weiterhin so ungestört wie möglich reden zu können, obwohl sich um diese Uhrzeit (es war zweiundzwanzig Uhr) nicht mehr allzu viele Menschen in der Underground befanden.

     „Mit den gegebenen Fakten würde ich, rein aus Wahrscheinlichkeit, darauf tippen, dass es kein Leck in unseren eigenen Reihen gibt.“ Damit schaute er sie mit bedeutungsschwerem Blick an und betrat einen der letzten Waggons der U-Bahn, die gerade vor ihnen zum Stillstand gekommen war.

     „Warte, willst du damit sagen, die Info haben die vom Orden?“ Luciana griff nach einer der roten Haltestangen (ihr Pate zog sich gerade Lederhandschuhe über, bevor er es ihr gleich tat – verdammter Mysophobiker) und verzichtete auf einen der leeren Sitzplätze – sie hatte die letzten Stunden lang genug auf einem äußerst unbequemen Stuhl gesessen.

     „Vom Orden oder präziser ausgedrückt: Von jemandem, der vorgibt für diesen zu arbeiten.“ Bei dieser Anschuldigung entwich ihr ein genervtes Aufstöhnen, selbst das Augenrollen konnte sie nicht aufhalten.

     „Was, hat Black dir seine Vermutung gesteckt, Snape habe nie wirklich die Seiten gewechselt?“

     „Pff“, machte Gabriel belustigt, „ich gebe nichts auf eine unlogische und im hohen Grade emotionale Meinung, die einer jahrzehntelangen, präpubertären Feindschaft entspringt – Snape könnte den Welthunger ausmerzen, das Artensterben aufhalten und drei Jahre in Folge den Friedensnobelpreis überreicht bekommen und trotzdem würde Black ihn bei den Betbrüdern als Antichrist anschwärzen.“ Oha, das hieß wohl nichts anderes, als dass auch ihr Pate mehr über die Gründe dieser Antipathie der beiden Männer wusste – was sie sich auch hätte denken können, immerhin hatte sich die Schulzeit von Gabriel, Snape und Black ein paar Jahre überschnitten. „Nein, ein Doppelspion ist per Definition schon eine sehr heikle Angelegenheit. Es ist seine Hauptaufgabe, sowohl der einen, als auch der anderen Seite, glaubwürdig seine Loyalität vorzugaukeln und gleichzeitig das größte Talent dieser Person, die Menschen in diesen Kreisen zu täuschen, insofern sie ihren Job gut macht.“

     „In den letzten Wochen scheint Voldemort misstrauisch geworden zu sein, Snape hat kaum Informationen weiterleiten können“, sagte Luciana mit einem plötzlich starken Bedürfnis Snape in Schutz zu nehmen.

     „Oder behauptet er dies nur, damit er die Pläne seines Lords nicht in Gefahr bringt?“ Daraufhin betrachtete sie nachdenklich ihre Füße – die übrigens mittlerweile höllisch wehtaten.

     „Du siehst, das ist ein Teufelskreis und man kann es nie mit Bestimmtheit sagen, vor allem nicht bei einem Kaliber wie ihm. Soweit mir zu Ohren gekommen ist, scheint Snape sich selbst über Jahre hinweg gegen Veritaserum immun gemacht zu haben, er ist ein exzellenter Okklumentiker und ist sogar unter meisterhaft ausgeführter Folter noch in der Lage, die Wahrheit für sich zu behalten“, „Woher-„ „Es gibt das ein oder andere Gerücht.“

     „Dumbledore traut ihm.“

     „Haaach, der gute alte Albus“, lachte Gabriel auf, einen Wimpernschlaf später war seine Miene wieder neutral. „Wir haben nur noch drei Stationen vor uns – für dieses Thema müssten wir Minimum zwei Runden mit der Circle Line drehen. Sieh mal Luciana“, er atmete einmal tief durch und schien einen Moment nach den richtigen Worten zu suchen, „deine Generation hatte noch nicht sonderlich viele Berührungspunkte mit Voldemort und seinen Gefolgsleuten und ich spreche hier extra von dem Begriff ‚Gefolgsleute‘, denn zwischen diesem und dem des Todessers gibt es noch einmal einen gesonderten Unterschied.“

     „Der da wäre?“

     „Dazu komme ich gleich, wir sind ja noch immer bei Snape“, ja, und dieses Thema ging ihr so langsam an die Nieren, „und die beiden Betreffe lassen sich eh miteinander verbinden – Dein Tränkelehrer hat es in einem sehr jungen Alter bewerkstelligt, ein hohes Ansehen bei Voldemort zu erlangen, allerdings werde ich auch hier nicht meine persönliche Haltung gegenüber Snapes Charakterzüge und Eigenschaften einfließen lassen, wir bleiben bei Fakten – du müsstest Voldemort begegnet sein, um im vollen Maße ein Verständnis dafür aufzubringen, was es wirklich bedeutet, wenn dieser von einem anderen Lebewesen begeistert ist und welche Taten man in seinem Namen auszuführen hat, damit man noch weiter die Karriereleiter hochkommen kann. Womit wir bei dem Begriffsunterschied Todesser und Gefolgsleute sind. Ein Anhänger Voldemorts kann alles Mögliche in seinem Namen tun und hinter seinen Parolen stehen, von diesen gibt es viele, in ganz Europa sicher Tausende, genau genommen weltweit – die Gefolgsleute stehen ihm schon ein wenig näher, bekommen teilweise direkt oder indirekt Befehle von ihm und setzen alles daran, in seiner Gunst zu stehen. Ein Todesser aber“, Gabriel sah sie durchdringend an, während er eine kleine Pause einlegte, „ist nur derjenige, der das Dunkle Mal erhält. Es sieht einem gewöhnlichem Tattoo wie zum Verwechseln ähnlich, wird direkt auf den linken Unterarm eingebrannt, mit der Sorte Schwarzmagie, die nicht einmal ich mit der Kneifzange anpacken würde“, Luciana schluckte, „und schon ist man Mitglied eines äußerst exklusiven Gentlemen-Clubs.“

     Also hatte sie mit der Jugendsünde, aka Gang-Tattoo, gar nicht so falsch gelegen. Das flaue Gefühl in ihrem Magen war schwer zu beschreiben und dabei war Gabriel offenbar nicht einmal am Ende angelangt.

     „Und damit komme ich zurück zum Thema der undichten Stelle … Egal wovon Dumbledore auch überzeugt sein mag, selbst er kann in all seiner ach so herrlichen Weisheit niemals mit Bestimmtheit sagen, ob er nicht von seinem Spion hintergangen wird. Dafür habe ich zu genaue Informationen darüber, welch einen Schlag Mensch Lord Voldemort in seinen engsten Kreis zu holen pflegt und diesem traue ich nicht so weit wie ich spucken kann.“

     Luciana sprach, bis sie zurück nach Deutschland gereist waren, kein einziges Wort mehr.

 



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