~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 63: Day 1.4 – The scavenger hunt (Part 1) ------------------------------------------------- Momokos Herz raste noch einige Minuten weiter, nachdem Yosukes Schritte schon lange hinter ihr verhallt waren. Wie machte er das nur, dass sie in einem Moment noch todunglücklich war und im nächsten Augenblick – nur durch seine unschuldige Berührung und sein Lächeln – ihr Herz vor Glück überquellen wollte? Der Sturm ihrer Gefühle für Yosuke war mal wieder übermächtig über sie hereingebrochen, sodass sie wehrlos und ohne sich zu regen zugelassen hatte, dass er ihr Gesicht berührte. Sie legte ihre Finger in Erinnerung daran an jene warme Stelle, die immer noch angenehm prickelte, und lächelte. Das Herz wurde ihr schwer von dem bittersüßen Schmerz, mit dem es sich zu füllen begann. Fast hatte sie angenommen, dass der Dunkelhaarige sie küssen würde. Dieser bestimmte, geheimnisvoll dunkle Glanz hatte in seinen Augen gelegen, aber da hatte sie sich anscheinend geirrt. Vielleicht war das auch besser so, dachte sie bei sich, und hob das Gesicht zum Himmel, von wo aus das Sonnenlicht durch die dichten Baumkronen zu ihr hindurch brach. Es gab da ein paar Dinge - Änderungen in Takuros Zukunftsplänen - über die Yosuke noch nicht bescheid wusste und sie hatte Angst, wie er reagieren würde, wenn er davon erfuhr. Dieser Kurzurlaub wurde dadurch in vielerlei Hinsicht noch wichtiger für sie, egal wie sehr sie sich dabei quälte. »Erinnerungen schaffen.« Yosukes Worte geisterten ihr melancholisch durch den Kopf, bevor sie tiefe Traurigkeit befiel. Ein paar Minuten gestattete sie sich, die Dämme brechen zu lassen und nicht so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Alle, außer Yosuke und Hiromi, lieferten sich am Strand gerade ein kleines Match mit einem Frisbee, als Momoko zu ihnen zurückkehrte. Dass sie so lange gebraucht hatte, erklärte sie mit einer Ausrede darüber, dass sie ihre Fotokamera gesucht hatte, mit der sie ein paar wertvolle Momente einfangen wollte. Begeistert forderten ihre Freunde sie sogleich auf zu fotografieren, wie sie in Paaren aufgeteilt die fliegende Scheibe zwischen sich hin und zurück warfen, ihr nachhechteten und sie mal fingen, mal ins Leere griffen. Die Hobbyfotografin ignorierte Yosuke währenddessen mit voller Absicht, denn sie war noch nicht wieder bereit dafür, ihm frei heraus zuzulächeln. Nachdem Hinagiku und Yuri knapp vor Kazuya und Takuro gewonnen hatten, packten sie alle ihre Sachen, den Sonnenschirm und die Plane zusammen und gingen zurück zum Haus, um sich umzuziehen und für das Abendessen oben im Hotel fertig zu machen. Das Hotel hatte neben dem Restaurant mit offenem Buffet im Inneren noch ein zweites im Außenbereich, das eine große Terrasse hatte. Diese war eingezäunt von hohen, miteinander verbundenen Holzsäulen, an denen Seile befestigt waren, die sich kreuz und quer über die Fläche in ihrem Zentrum spannten und an denen runde Lampions über den Köpfen der Gäste hingen. Ihr Licht war warm und unaufdringlich; in unterschiedlichen Höhen aufgehängt, zauberten sie eine lockere, fast romantische Atmosphäre. Naturfarbene Tücher hingen wie Vorhänge an den Säulen herunter und bewegten sich im seichten Wind. Zwischen ihnen standen außerdem Pflanzkästen aus Terrakotta, aus denen sich dicht wachsender Bambus in die Höhe reckte. Am hinteren Ende der Terrasse gab es zudem eine Bühne, die dem Hotel sicher für Unterhaltungsprogramme diente. An diesem Abend spielte dort eine kleine Band leise Loungemusik, die die speisenden und sich angeregt unterhaltenden Gäste begleitete. Zahlreiche Holztische, mit einfachen Stühlen drum herum, standen an den Seiten dicht an die Holzsäulen und den Bambus gedrängt, damit in der Mitte genug Platz blieb, um sich dort zum Tanzen einzufinden. Kerzen flackerten in ovalen Gläsern, die sie vor dem Wind schützten. Sie waren dekoriert mit Sand und kleinen Muscheln. „Ist das hübsch!“, schwärmte Yuri, die sich bei Kazuya eingehakt hatte und zusammen mit ihm die Stufe zur Terrasse hinaufstieg. Es dämmerte am Himmel; das Meer hinter den Wipfeln der Bäume leuchtete in sattem Orange, so als ob es in Flammen stünde. Die Aussicht von hier aus war fantastisch. „Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass es hier einen Ort mit so einer schönen Aussicht gibt!“, schloss Momoko sich ihrer brünetten Freundin an. Auch sie hing am Arm ihres Verlobten, der sich stillschweigend über ihre Faszination freute, und folgte dem Paar vor sich auf dem Fuße. Hinter ihnen wiederum liefen Yosuke und Hiromi, ebenfalls Arm in Arm. Seine Freundin, die ihre wilden Locken zu einem kleinen, hohen Pferdeschwanz gebändigt hatte, schmiegte sich beim Laufen dicht an ihn. „Ach Yosuke, das ist ja wie in einem Traum!“, schwärmte sie verliebt. „Na, wenn du das sagst.“, entgegnete er und versuchte dabei keine giftigen Blicke in Takuros Richtung zu werfen, der Momokos Hand an seinem Arm besitzergreifend tätschelte. „Eher ein Alptraum.“, nuschelte Hinagiku, die das Schlusslicht bildete, leise vor sich hin. Nicht, dass sie das schöne Ambiente der Außenterrasse nicht zu schätzen wusste oder keinen Gefallen an dem Sonnenuntergang fand, aber sie war allergisch gegen kitschige Phrasen, wenn sie aus den Mündern der falschen Personen kamen. Es war nicht viel Betrieb an den Tischen, da sich die meisten Hotelgäste drinnen am kostenlosen Buffet aufhielten, anstatt sich hier draußen im Bereich der Zulaufkundschaft bedienen zu lassen und dafür extra zu zahlen. „Und es ist wirklich in Ordnung, dass wir hier draußen essen und uns bedienen lassen, ohne dafür zu bezahlen?“, fragte Momoko unsicher nach, während Kazuya und Yosuke bereits dabei waren zwei Tische für ihre siebenköpfige Gruppe zusammenzuschieben. Wie immer belächelte Takuro ihre Gewissensbisse freigiebiger Großzügigkeit gegenüber nur milde. „Es wird ja dafür bezahlt, nur eben nicht von euch.“, antwortete er gelassen und rückte gentlemanlike einen Stuhl für seine Freundin zurück. Die Rosahaarige strich ihren kurzen Jeansrock glatt und achtete darauf, sich anständig mit geschlossenen Beinen hinzusetzen. „Möchtest du deine Strickjacke nicht ausziehen?“ Momoko zog ihr dünnes, weißes Jäckchen automatisch enger um ihre Schultern. „Nein, danke. Mir ist etwas kühl.“ Bei der Erwähnung des Wörtchens kühl, warfen sich die anderen ungläubige Blicke zu. Sonnenuntergang hin oder her, die hohen Temperaturen des Tages waren bisher kaum gesunken. Sie wussten nicht, dass die junge Frau unter dieser Jacke einen leichten Sonnenbrand versteckte, den das rote, ärmellose, weit geschnittene Shirt mit Rundhalsausschnitt, das sie trug, nicht vollständig abdeckte. „Du bist bestimmt müde vom Tag.“, schlussfolgerte Takuro und sie lächelte ihn dankbar an dafür, dass er ihr ungefragt die perfekte Erklärung lieferte. „Ich habe vielleicht einen Kohldampf! Wie läuft das hier, wenn man was zu Futtern will?“, unterbrach Hinagiku sie und rutschte auf ihrem Stuhl geräuschvoll quietschend an den Tisch heran. Ihre Freunde kicherten belustigt. Pasta, Fischgerichte und exotische Säfte versüßten den Hungrigen, gemeinsam mit ein paar Geschichten über Alltägliches, wie Schule und Beziehungskram, in der nächsten Stunde den Abend. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden, der sich von dort aus langsam blau über lila bis nachtschwarz färbte. Zwischen den Lampions über ihren Köpfen zeigten sich die ersten Sterne am Firmament. Fast fühlte sich alles ganz natürlich an, wären da nicht Yosuke und Momoko, die mit fast jedem unverkrampft plaudern konnten, außer miteinander. Zwar wechselten auch Takuro und der Torwart kaum ein Wort, aber wenn sie es doch taten, dann in einer Freundlichkeit, die auffällig war. Die Blauäugige versteckte sich schweigend hinter ihrem Eis-Dessert und ließ die meiste Zeit die anderen für sich reden. Ganz beiläufig warf sie manchmal einen Blick in Yosukes Richtung, der an diesem Abend zu ihrem Ärger mehr als vertraut mit dem Mädchen an seiner Seite umging. Und dabei sah er auch noch unverschämt gut aus – zu gut, um als Frau davon kalt gelassen zu werden. Sein dunkelbraunes Haar war zu einer ungezähmten Frisur geformt, von der man nicht wusste, ob sie aus Vorsatz oder Nachlässigkeit entstanden war. Ein paar widerspenstige Strähnen hingen ab und an von seiner Stirn in seine grünbraunen Augen, bis er sie wieder lässig mit den Fingern aus seinem Gesicht strich. Passend zu seinem legeren Auftreten trug er ein weißes, anliegendes Shirt mit Rundhals und darüber ein blassblaues, offenes Hemd, zu einer dunkelblauen Jeans und Turnschuhen. Jeder Blinde sah trotz des gedimmten Lichts, dass er ein gutaussehender Mann war! Es fuchste seine heimliche Beobachterin sehr, dass es ihr nicht gelang, dass sein Anblick sie einfach kalt ließ, damit sie ihm ungerührt die kalte Schulter zeigen konnte. Hiromi redete ohne Unterlass, lachte und scherzte albern und Yosuke reagierte entsprechend auf sie. Als Reaktion darauf kokettierte Momoko aus Trotz heraus mit Takuro auf dieselbe Weise; schließlich sollten er und der Torwart nicht das Gefühl bekommen, sie wäre in irgendeiner Form eifersüchtig. Beide waren so sehr darauf konzentriert, wie sie sich zueinander verhielten und auf ihre Partner wirkten, dass ihnen dabei komplett entging, wie Kazuya und Yuri sie immer wieder prüfend musterten. Hinagiku, die im Gegensatz zu ihnen genauso ahnungslos wie Takuro und Hiromi war, dass in den ungesagten Dingen die eigentliche Botschaft lag, kam dagegen aus dem Augenrollen gar nicht mehr heraus. Etwas mehr Aktion und weniger rosa Dunst, von all den vermeintlich Verliebten um sie herum, war das, wonach sie sich sehnte. Ihre Gebete wurden jäh erhört, denn die Musik verstummte und ein kleiner, rundlicher Mann mit einem Klemmbrett in der Hand trat in die Mitte der Bühne. Ihm folgte ein Hotelangestellter, der zwei große Beutel mitbrachte. Der erste Mann räusperte sich und begann laut zu reden. „Werte Gäste, wir hoffen sehr, dass Ihnen der Aufenthalt hier gefällt und unser Service zu Ihrer vollsten Zufriedenheit ist. Wie Sie sicher schon alle bemerkt haben, ist es dunkel geworden und einige von Ihnen werden sicherlich bald Ihre Unterkünfte aufsuchen. Für all jene unter Ihnen, für die es noch zu früh ist, um ins Bett zu gehen, bietet unser Hotel heute Abend noch eine kleine Aktivität an.“ Hinagiku wurde hellhörig und tippte eilig Yuri an, die neben ihr saß und eben noch in eine Diskussion mit Hiromi darüber verstrickt war, welcher Typ Mädchen bei den Jungs heutzutage besser ankam. Ganz zum Leidwesen der beiden Fußballkollegen, die zwischen ihnen saßen. „Jeder, der Lust hat, kann sich bei mir und meinem Kollegen eine Karte, einen Kompass und Taschenlampen abholen und damit zu einer nächtlichen Schnitzeljagd aufbrechen. Dem Siegerteam winkt am Ende natürlich ein kleiner Preis.“ „Hört ihr das? Eine Schnitzeljagd im Dunkeln! Das klingt doch nach Spaß, oder?“ „In meinen Schuhen klingt das eher nach Knochenbrüchen.“, erwiderte Yuri, die besorgt auf ihre schwarzen Schnürschuhe mit Absatz schaute, die sie zu ihrem violetten, kurzen Jumpsuit trug. „Also ich wäre dabei.“, kommentierte Kazuya begeistert und setzte ein Lächeln auf, dem sich seine Partnerin nicht widersetzen konnte. „Ich auch, das ist besser, als den ganzen Abend nur herumzusitzen.“, schloss sich Yosuke an. Hiromi schaute verwundert zu ihm auf. „Hattest du heute nicht schon genug Bewegung?“ Yosuke streckte sich und grinste breit wie ein kleiner Junge. „Ich bin Sportler, Bewegung ist mein zweiter Vorname.“ Er warf einen herausfordernden Blick in Takuros Richtung, der dieser Idee unschlüssig gegenüber stand. „Hättest du denn auch Lust, Momoko?“ „Sicher, das klingt doch ganz lustig.“, gab sie zurückhaltend zu. „Na, dann geht das doch klar!“, jubelte Hinagiku vergnügt in die Hände klatschend. Sie packte Yuri am Arm und zog sie mit sich, ihnen folgte der Rest der Gruppe nach vorne zur Bühne. „Wir möchten gerne teilnehmen.“, erklärte sie dem Veranstalter euphorisch und präsentierte ihr Team. Von ihrem selbstbewussten Auftreten ermutigt, kam in die Gäste eines naheliegenden Tisches ebenfalls Bewegung. Fünf jugendlich aussehende Leute mit eindeutig amerikanischem Aussehen meldeten ebenfalls Interesse an. Es war eine Gruppe aus drei Mädchen und zwei Jungs. Eine von ihnen stach besonders heraus, weil sie dickes, kräftig rotes Haar hatte und etwas mürrisch in die Gegend schaute. „Schön, schön! So viele junge Leute, die Lust auf ein Abenteuer haben!“, freute sich der Betreiber. „Allerdings sind Ihre Teams zu groß. Unsere Schnitzeljagd sieht vor, dass sich jeweils nicht mehr als drei Leute zusammenschließen, sonst ist es zu einfach, die gestellten Aufgaben zu bewältigen.“ Wildes Gemurmel brach los. „Oh je, wir müssen uns schon wieder in Teams aufteilen.“, bedauerte Yuri ehrlich. Takuro griff automatisch nach der Hand seiner Verlobten. „Die Wahl sollte uns doch nicht schwerfallen, schließlich ist so eine Herausforderung doch eine gute Prüfung für jedes junge Paar.“ Dabei bedachte er Momoko mit einem rührseligen Blick aus glänzenden Augen, den sie etwas verkrampft zu erwidern versuchte. „Entschuldigung? Ihre Unterhaltung war nicht zu überhören, tut mir leid. Ich denke, ich kann helfen.“ Der Hotelangestellte, der sie unterbrochen hatte, zählte sie fix durch und wühlte dann in einer der Taschen, die sein Kollege in den Händen hielt. Nachdem er gefunden hatte, was er suchte, wandte er sich ihnen wieder zu. Er hielt in seiner Faust sieben Holzstäbchen vor ihre verwirrten Gesichter. „Um allgemeinen Teamgeist zu fördern, entscheiden bei unserem Spiel immer Lose über die Zusammenstellung der Teams, wenn es zu viele Teilnehmer gibt.“ Erstaunt und sprachlos sahen sie einander an. Bedauernd und zum Teil auch ängstlich, dass sie in einer unglücklichen Konstellation landen könnten. Hinagiku stöhnte, denn mit Hiromi wollte sie auf keinen Fall ein Team bilden. Ihren Freundinnen ging ein ganz ähnlicher Gedanke durch den Kopf. Takuro und Yosuke warfen sich ebenfalls argwöhnische Blicke zu, während der Fußballspieler wiederum heimlich auf eine Gelegenheit hoffte, Zeit mit Momoko verbringen zu können, die ihn schon den ganzen Abend so distanziert behandelte. „Und? Möchten Sie nun ein Los ziehen?“ „Wenn ihr nicht wollt, mache ich eben den Anfang.“ Hiromi ergriff entschlossen die Gelegenheit und drängelte sich durch. Mit verbissener Miene ließ sie ihre Hand über dem Bündel Hölzer schweben, ehe sie sich blitzschnell für eines entschied und herauszog. Es hatte eine weiß eingefärbte Spitze. „Wunderbar, sie gehören ab jetzt Team Weiß an.“, erklärte ihr der freundliche Mann grinsend. „Wer möchte als nächstes sein Glück versuchen?“ Hinagiku schritt vor und zückte ein Stäbchen mit rotem Ende. Erleichtert ausatmend legte sie eine Hand auf ihre Brust. Kazuya und Takuro zeigten mit einer einladenden Handbewegung an, dass sie ihren Partnerinnen den Vortritt bei der Wahl ließen. Gleichzeitig zogen sie ganz langsam ihr Los aus der verschlossenen Hand ihres Gegenübers. Yuri hob sichtlich erfreut ein blaues Stäbchen in die Luft, während Momoko schon ihre Nase kraus gezogen hatte, weil ihr Ende weiß gefärbt auftauchte. „Oh nein!“, stöhnte Hiromi gereizt. Yosuke versuchte nicht allzu angespannt auszusehen. Diese Kombination versprach explosiv zu werden, das sahen auch die anderen so. Trotzdem bot keiner von ihnen einen Tausch an. „Dann versuche ich jetzt mein Glück.“, kündigte Takuro an. Noch bestand schließlich die Chance, dass er mit seiner Freundin trotzdem in ein Team kam. Irgendeines von ihnen musste schließlich aus drei Leuten bestehen, aber er zog Rot. Yuri lachte und klopfte Hinagiku auf die Schulter. „Sieht so aus, als könntet ihr beide heute noch beweisen, dass ihr mehr könnt, als nur gegeneinander zu spielen.“ Ihre kurzhaarige Freundin stemmte entrüstet ihre Hände in die Taille. „Was soll das denn bitte heißen?!“ Takuro griff sich nervös in den Nacken. „Das weckt Erinnerungen an früher, nicht wahr? Ich verspreche, ich versuche kein Klotz am Bein zu sein. Vielleicht bin ich mit meinem Wissen über Kartografie sogar recht nützlich.“, versprach er Augenzwinkernd. Hinagiku fing an sich zu schämen und schaute weg. Sie war nicht der Typ für Rührseligkeiten und hatte außerdem nicht vor, es ihrem ehemaligen Sandkastenfreund leicht zu machen und einfach an frühere Zeiten anzuknüpfen. Yosuke trat als nächstes vor die verbliebenen zwei Stäbchen. Momoko schickte mit geschlossenen Augen ein Stoßgebet gen Himmel, dass er bitte nicht mit Hiromi und ihr in ein Team kam. Der Lockenkopf reichte vollkommen, um ihre mentalen Kräfte bis an seine Grenzen zu strapazieren. Zu ihrem Glück zog der Dunkelhaarige ein blaues Los und landete somit mit Yuri in einem Team. Kazuyas Los würde also entscheiden, mit wem er ein Dreierteam bildete. Jedes der bereits gebildeten Paare wünschte sich seine Unterstützung, aber Momokos Erleichterung, nachdem die Spitze seines Stäbchens weiß war, hätte nicht größer sein können. „Großartig, ich gratuliere Ihnen und hoffe für Sie, dass Sie mit der Auswahl zufrieden sind.“ Die Reaktionen waren durchwachsen, letztendlich aber überwiegend positiv. Zufrieden ging der Veranstalter zu der amerikanischen Gruppe hinüber und ließ auch sie Lose ziehen. In der Zeit teilte sein Kollege an jedes Team das nötige Zubehör aus und erklärte die Regeln. „Jedes Team bestimmt bitte jemanden, der die Karte und den Kompass verwaltet. Jeder von Ihnen hat eine Taschenlampe, mit der Sie nicht nur den Weg vor sich bitte achtsam im Blick behalten, sondern auch die Umgebung nach den Hinweisen absuchen. Was Sie suchen sind farblich zu ihrer Teamfarbe passende Bänder, auf denen Silben stehen. Es sind drei an der Zahl, jeweils eins finden Sie an den auf der Karte verzeichneten Orten. Allerdings sind sie versteckt beziehungsweise nur durch kleine Aufgaben zu erreichen, die Teamwork erfordert. Damit Sie sie nicht übersehen, sind die Stellen mit Reflektoren gekennzeichnet. Alles verstanden?“ Alle nickten. „Gut. Wenn Sie alle Bänder haben müssen Sie so schnell wie möglich den letzten Ort auf der Karte finden. Dort erwartet Sie das finale Rätsel, das Sie mit Hilfe der Silben auf den Bändern lösen können. Dem Team, dem es gelingt das zuerst zu schaffen, winkt am Ende ein kleiner Preis. Natürlich konkurrieren Sie auch gegen die beiden Teams dort drüben.“, er deutete mit einem Kopfnicken zu den Amerikanern. „Schon klar, wann und wo geht’s los?“ Hinagikus Kampfgeist war geweckt. Die beiden Hotelangestellten verteilten die Teams an unterschiedlichen Ausgangspunkten rund um das Hotel, aber fast alle befanden sich dabei am Wald. Dort sollten sie auf das Signal einer Feuerwerksrakete warten, die den Start der Schnitzeljagd markierte. Als sie dann endlich zischend durch die Luft sauste und jeder den Knall und die bunten Funken bemerkte, gab es kein Halten mehr. Allerdings stellten sie alle schon bald fest, dass man mit Schnelligkeit nicht unbedingt erfolgreich war. Der abschüssige Hügel, der weiche Waldboden und all die Sträucher, Steine und Wurzeln, machten in der Dunkelheit aus dem Weg trotz Taschenlampen einen regelrechten Hürdenlauf. Und waren sie zu hektisch unterwegs, übersahen sie die etwas versteckt angebrachten Reflektoren und liefen minutenlang im Kreis. Kazuya, der von den beiden jungen Frauen in seinem Team einvernehmlich zum Anführer erklärt wurde, lief gemäßigt voraus. Immer ein Blick auf Karte und Kompass, die er in seiner linken Hand mit sich führte. In der anderen hielt er die Taschenlampe, mit der er sich selbst leuchtete, um überhaupt etwas lesen zu können. Momoko hinter ihm führte ihren Lichtstrahl so über den Boden, dass sie alle sahen, wohin sie gingen. Hiromi lief etwas lustlos neben ihr her und leuchtete ohne erkennbares System abwechselnd in alle Himmelrichtungen. „Du musst schon etwas langsamer machen und genauer hinsehen, wenn du einen Hinweis finden willst.“, kritisierte Momoko sie vorsichtig. Hiromi hielt ihr daraufhin mit voller Absicht die Taschenlampe ins Gesicht. „Hm, also hier ist schon mal nichts.“, kommentierte sie ihr Verhalten frech und machte danach unbeirrt weiter wie zuvor. „Hey, ich weiß, dass du mich nicht besonders gut leiden kannst, und das beruht übrigens auf Gegenseitigkeit, aber ich hätte gern wenigstens eine kleine Chance darauf, dass wir dieses Spiel hier gewinnen. Vielleicht versuchen wir zur Abwechslung mal einfach so zu tun, als würden wir uns verstehen?“ Momoko staunte selber über diese diplomatischen Worte aus ihrem Mund, aber es steckte etwas Wahres in ihnen. Sie wollte wirklich gern gewinnen oder das Spiel zumindest richtig genießen können. Immerhin machten sie den Urlaub auch, um sich zu amüsieren. „Wer sagt denn, dass ich dich nicht leiden kann?“, tat Hiromi unschuldig. „Äh, niemand… das spüre ich einfach. Auch wenn ich mir nicht erklären kann, wieso.“ Die Lilahaarige leuchtete ihr wieder kurz ins Gesicht, hielt den Lichtkegel dann aber niedriger, damit sie sich beide ansehen konnten. „Angenommen du hättest recht und ich könnte dich wirklich nicht leiden. Könntest du dir dann ehrlich nicht erklären, woran das liegt?“ Momoko sagte einen Moment lang nichts, sondern erwiderte nur stur Hiromis bohrenden Blick. „Nein, ich wüsste nicht, womit ich mir deinen Unmut zugezogen haben könnte. Nicht ich war Diejenige, die bei unserer letzten Begegnung der anderen mit voller Absicht heiße Schokolade über die Beine gekippt hat. Ich war immer freundlich zu dir, obwohl du mit deiner Art schon zu unserer gemeinsamen Schulzeit bei so ziemlich allen Mädchen angeeckt bist.“ Ihre Gesprächspartnerin lachte amüsiert. „Die waren damals doch alle nur neidisch, weil ich bei den Jungs besser angekommen bin als sie.“ Die Rosahaarige biss sich auf die Zunge, Hiromi war einfach unmöglich! Aber ganz Unrecht hatte sie nicht; ihr unschuldiges, hilfloses Getue hatte ihr früher tatsächlich die Aufmerksamkeit sämtlicher Mitschüler verschafft. Selbst jetzt noch flirtete sie bei jeder Gelegenheit mit den Jungs aus ihrer Gruppe. Nicht mal vor Takuro machte sie dabei Halt. An diesem Abend scharwenzelte sie in einem weißen, knielangen Kleid im maritimen Stil zwischen ihnen herum, das wie eine Tunika nur an der Brust figurbetont war. Es hatte einen typischen, blauen Matrosenkragen mit Schleife und an jedem Saum zwei farbliche passende, aufgenähte Streifen. Darin und in den dazu passend weißen Halbschuhen, wirkte sie wie immer süß und anziehend - auffallend genug, um das Interesse anderer junger Männer auf sich zu ziehen. Momoko dagegen war eher unauffällig gekleidet. „Stimmt, du hattest praktisch die Auswahl unter den Jungs unseres gesamten Jahrgangs. Warum hast du dich dann ausgerechnet auf Yosuke eingeschossen?“ Verflixt! Warum kam sie denn jetzt ausgerechnet auf ihn zu sprechen, wo gerade er doch am wenigsten Thema zwischen ihnen beiden sein sollte?! Bereuend biss sie sich auf die Unterlippe. Hiromis Augen wurden schmal und stechend. „Und du behauptest, du wüsstest nicht, warum ich nicht gut auf dich zu sprechen bin? Warum willst du das denn jetzt wissen?“ Momoko richtete ihren Blick wieder auf den Weg vor sich. „Will ich gar nicht.“, log sie knapp. „Ich habe nur versucht, ein halbwegs normales Gespräch mit dir zu führen.“ Eine Zeit lang war nur das Knirschen trockener Fichtennadeln unter ihren Schuhen zu hören. Kazuya blieb manchmal stehen, um die Umgebung mit der auf seiner Karte abzugleichen. „Wir sollten bald den ersten Hinweis finden. Also schaut euch bitte gut um, ob ihr etwas entdeckt.“ Mehr sagte er nicht. Offensichtlich hielt er sich mit Absicht aus dem Gespräch der beiden jungen Frauen heraus. Vielleicht war er aber auch nur Feuer und Flamme für das Spiel. „Du willst also wissen, warum ausgerechnet er?“ Die Blauäugige schielte aus dem Augenwinkel zu Hiromi rüber, die sich anscheinend einen Ruck gab und das Gespräch fortsetzen wollte. Gern hätte sie verneint, denn es interessierte sie nicht wirklich, was ihre ungeliebte Teamkollegin alles unternommen hatte, um Yosuke zu bezirzen. Andererseits reizte es sie durchaus zu erfahren, was sie an dem Torwart so anziehend gefunden hatte, das ihr selbst damals entgangen war. „Wenn du es mir erzählen willst…“, entgegnete sie so unbeteiligt klingend, wie möglich. Ihr wurde kurz darauf ganz flau im Magen, als sie sah, wie sich ein warmer, ehrlicher Ausdruck auf Hiromis Gesicht ausbreitete. Ihre Augen glänzten selbst in dem fahlen Licht noch hell und verträumt. „Es war sein Feuer: Die Energie, die er ausstrahlt. Ich habe ihn zum allerersten Mal bei einem Fußballspiel unserer Schulmannschaft gesehen und war sofort hin und weg von seinem Temperament und Einsatz.“ Momoko erinnerte sich lebhaft daran, denn als Mitglied der Schülerzeitung waren sie und ihre beiden Freundinnen bei jedem Spiel dabei gewesen. Was Hiromi allerdings als Temperament und Einsatz beschrieb, war ihr damals wie Selbstverliebtheit und Wichtigtuerei vorgekommen. Vielleicht war das dem Fußball geschuldet, den sie bei ihrer eigenen ersten Begegnung, mit dem Torwart, mitten ins Gesicht bekommen hatte. »Wie voreingenommen ich doch war…«, dachte sie bedauernd. Trotzdem. Wenn das alles war, was Hiromi fasziniert hatte, war diese sogar noch oberflächlicher, als Momoko dachte. „Und ich mochte seine Beharrlichkeit!“, führte sie schließlich weiter aus. „Er war nicht ansatzweise so leicht um den Finger zu wickeln, wie die anderen Jungs, die wie Hündchen nach meiner Pfeife tanzten. Er war zwar immer entschieden, wenn er mich mal wieder abblitzen ließ, aber auch irgendwie süß, denn er wurde niemals unhöflich. Er respektierte meine Gefühle, obwohl er sie anfangs nicht ernst nahm.“ Schwärmend und in Erinnerungen schwelgend, legte sie eine Hand an ihr glühendes Gesicht und verlor völlig den Blick für ihre Umgebung. Momokos Unwohlsein verstärkte sich. Hiromis Worte strahlten unerwartet viel Gefühl aus, mit dem sie nicht umzugehen wusste. „Yosuke war hinter seiner coolen Fassade einfach schüchtern. Je mehr er mich ablehnte, desto mehr wollte ich ihn! In allem was er tat legte er seine ganze Leidenschaft; er war ehrlich und witzig und wenn man ihn brauchte, konnte man auf ihn zählen. Das galt für alle, nicht nur für seine Freunde. Noch dazu sieht er einfach klasse aus, nicht wahr?“ Hiromi strahlte über das ganze Gesicht, ihre Wangen schimmerten rosa vor Verlegenheit. Die Taschenlampe ihrer Zuhörerin war inzwischen mutlos Richtung Boden gesunken. Momoko fühlte sich furchtbar – nicht, weil Hiromis Worte ihr übel aufstießen, sondern weil alles, was sie gesagt hatte, stimmte. Genau so war Yosuke auch heute noch. Denselben jungen Mann hatte sie vor gar nicht allzu langer Zeit auch endlich in ihm erkannt und kennengelernt. Hiromi sah ihn also gar nicht mit anderen, oberflächlichen Augen, wie sie immer geglaubt hatte. Sie liebte ihn wirklich. Mit trockenem Mund rang Momoko um Fassung. Auch sie war in diesen Jungen verliebt… in seinen Charme, in seine Verletzlichkeit, in seine Stärke, in seine Klugheit und Reife, in seine Aufopferungsbereitschaft, in seine Loyalität… „Dann ist das also etwas Ernstes zwischen euch?“ Ein schrilles Lachen zerriss die Stille des Waldes. Ungläubig schaute ihr die Lilahaarige in die Augen. „Machst du Witze? Wir sind seit über zwei Jahren zusammen, wir wohnen zusammen und bekommen ein Baby!“ Instinktiv strich sie dabei mit der linken Hand über den lockeren Stoff ihres Kleides und ließ sie unterhalb ihres kleinen Bäuchleins ruhen. Momoko schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Natürlich war ihre Frage mehr als überflüssig gewesen. „Entschuldige, das war blöd von mir.“ Verstohlen betrachtete sie die zarte Wölbung unter Hiromis Hand. Es war ihr unangenehm ihr auf den Bauch zu starren, aber es fühlte sich immer noch unbegreiflich an, dass dort drin ein kleiner Mensch heranwuchs. „Darf ich fragen, wie weit du bist?“ Der Lockenkopf stutzte über ihre interessierte Frage, zögerte aber mit der Antwort nicht. „Ich bin in der fünfzehnten Woche, falls du das meinst.“ „Ja… entschuldige, aber ich habe von so was keine Ahnung.“, gab die Rosahaarige beschämt zu. „Ach so!“, lachte ihre Gesprächspartnerin wissend. „Ich bin in der fünfzehnten Woche von vierzig. Ungefähr dann ist der Geburtstermin.“ Im Kopf rechnete Momoko schnell voraus und kam auf Anfang Dezember. „Und… spürst du schon etwas?“ Eigentlich wollte sie gar nicht so viel fragen. Schließlich war diese Schwangerschaft der einzige Grund, warum Yosuke nach eigenen Angaben überhaupt noch mit ihr zusammen war und auf seine eigenen Zukunftspläne verzichten musste. Aber irgendwie hatte Hiromis plötzliche Redseligkeit sie mitgerissen. Diese schüttelte verliebt lächelnd den Kopf und streichelte noch ein Mal über ihren Unterleib. „Nein, dafür ist es auch noch zu früh.“ Sie sah an sich herunter, so selig und glücklich, wie Momoko sie noch nie zuvor erlebt hatte. Etwas an ihrer Ausstrahlung war in diesem Moment anders als sonst; sie wirkte älter, reifer, wärmer… irgendwie… mütterlich? Die junge Frau riss ihren Blick von der Schwangeren los und drängte diese Gedanken mit aller Macht aus ihrem Kopf. Wenn sie jetzt zuließ, dass sie in Hiromi eine liebende Mutter und Partnerin sah, die sich für ihr Kind und ihren Partner vielleicht tatsächlich ändern konnte, würde ihr schlechtes Gewissen sie überrennen und unter sich begraben. Momoko durfte sich jetzt nicht wiederholt klarmachen, dass sie diese junge, sehr verliebte Frau zu dem Opfer eines schweren Betruges gemacht hatte. Dass sie ihr das Schlimmste angetan hatte, das man einer Schwangeren antun konnte, die blind vor Liebe naiv daran festhielt, dass ihre Beziehung eine zweite Chance bekommen hatte und Bestand haben würde. „Mädels? Wir müssten jetzt eigentlich an der ersten Markierung angekommen sein. Haltet bitte Ausschau nach dem Reflektor, in Ordnung?“ Kazuya dankbar für diese Ablenkung, machte sich Momoko ans Werk und suchte mit ihrem Lichtkegel das Unterholz und die Baumstämme ab. „Momoko?“, sprach Hiromi sie unerwartet im Flüsterton an „Ja?“ „Ich glaube, das war das erste halbwegs nette und ehrliche Gespräch, das wir je geführt haben.“ „So?“ Sie dachte über diese Aussage nach und kam zu dem Schluss, dass das tatsächlich stimmte. Nachdem sich Hiromi damals in der Schulzeit, als sie neu in die Klasse gekommen war, sofort durch ihr Verhalten den Unmut sämtlicher Mitschülerinnen zugezogen hatte, war es für Yuri, Hinagiku und sie überflüssig geworden, sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen. „Ja.“, bestätigte die Lilahaarige. „Wer weiß, vielleicht können wir irgendwann ja wirklich noch Freundinnen werden.“ Momoko nickte zustimmend und rang sich ein Lächeln ab. Dass sie das anders sah, musste schließlich niemand wissen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)