~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 32: Mixed feelings -------------------------- Der Abend hatte angefangen richtig Spaß zu machen. Nachdem Hinagiku den peinlichen Zwischenfall, zwischen dem Türsteher und sich, verarbeitet hatte, übte sie sich darin in ihren Schuhen vernünftig auf und ab zu gehen, damit ihr so etwas nicht noch mal passierte. So langsam wollte es auch klappen; immerhin fielen ihre gelegentlichen Fehltritte, hier in der Menge, nicht so auf, wie draußen vor dem Einlass. Ihr Patzer hatte für einen so göttlich guten Lacher gesorgt, dass er nun fortan sicherlich, als Anekdote, noch so manches Mal in ihrer aller Leben Erwähnung finden würde. Die Freundinnen hatten sich danach direkt mit alkoholfreien Mixgetränken die trockenen Kehlen befeuchtet und sich anschließend gegenseitig, ohne langes Zögern, auf die Tanzfläche geschoben. Dort dauerte es nicht lange, bis sie den Rhythmus der Musik so verinnerlicht hatten, dass sie ihm geschickt folgen konnten und Spaß am Tanzen entwickelten. Je mehr Lieder verstrichen, desto mehr fiel die Scheu, sich ganz nach Belieben zu bewegen, von ihnen ab, sodass sie schließlich ausgelassen mit dem Rest der anderen Clubbesucher abtanzten. Momoko erreichte gerade den Gipfel ihrer persönlichen Hochstimmung, als Yuri die Puste ausging und um eine Pause bat, damit sie noch mal etwas trinken konnte. Hinagiku begleitete sie zum Tresen, sodass ihre bezopfte Freundin allein zurück blieb. Ohne ihre vertraute Gesellschaft fühlte sie sich allerdings schnell nicht mehr mutig genug, um allein weiterzutanzen. Sie entschied also ihren Mädels zur Bar zu folgen, als sich plötzlich ihre Nackenhaare aufstellten und sie den Drang verspürte, sich umdrehen zu müssen. Es war wie dieses Gefühl, das man hatte, wenn man beobachtet wurde. Vielleicht stieß der längst überfällige Kazuya endlich zu ihnen dazu? Doch als sie sich umwandt begegnete sie nicht etwa dessen Blick, sondern fing das schockierte Starren eines ganz anderen Bekannten auf. »Unmöglich!«, dachte sie bei sich, aber wagte es nicht zu blinzeln. Die Zeit um sie herum blieb plötzlich stehen; selbst die Musik verstummte. Alles was Momoko hörte, war das Rauschen ihres Blutes in den Ohren, das ihr beschleunigender Puls durch ihre Venen pumpte. Das Licht im Saal schien nur sie und Yosuke, auf der anderen Seite des Clubs, in seinen Kegel genommen zu haben. Sie wusste, dass es nicht ihre Umgebung war, die erstarrt war, sondern sie selbst. Nahezu unfähig sich zu rühren, geschweige denn einen klaren Gedanken zu fassen, war das Starren, in seine mindestens genauso überraschten Augen, alles, was ihr blieb. „Mo~mo~kooo!“, drang von sehr weit weg das übersteuerte Rufen einer ihrer Freundinnen zu ihr durch. „Willst du nichts trinken?!“ Die Blauäugige blinzelte aufgeschreckt, als die imaginäre Blase, um sie herum, in der es weder Zeit noch Geräusche gab, platzte und sie von der lauten, hektischen Kulisse förmlich überrannt wurde. Desorientiert huschten ihre Augen umher und suchten nach Hinagiku, die nach ihr gerufen hatte. »Was macht er hier? Was macht er hier? Was macht er hier?«, ging es ihr wieder und wieder durch den Kopf. Ihr Herz raste wie verrückt und ihre Finger begannen zu zittern; ihr ganzer Körper schrie geradezu danach, dass sie flüchten sollte. Es fühlte sich völlig verkehrt an, dass er hier war; sie wollte ihn nicht sehen, um keinen Preis! Momoko drängte sich an tanzenden, verschwitzten Körpern vorbei in Richtung Bar. Ihr wurde ganz anders bei dem Gedanken an ihn. Ihr war heiß und kalt gleichzeitig, ihr Kopf begann zu dröhnen… und irgendwie wurde ihr schwummrig vor Augen. Als sie schon glaubte ohnmächtig zu werden, fand sie sich bei Yuri wieder, die sie besorgt an ihren Oberarmen schüttelte. „Was ist los mit dir? Alles ok? Du siehst ja furchtbar aus!“, sagte sie aufgeregt und griff auf der Theke nach ihrem Glas mit Mineralwasser, das sie sofort an ihre verstörte Freundin weiterreichte. Die junge Frau stützte sich wie ein Ertrinkender mit beiden Armen auf dem Tresen ab und versuchte, ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen. Gierig kippte sie sich das Wasser in den Hals, nur um sich auf halben Weg fürchterlich daran zu verschlucken. Hinagiku und Yuri nahmen sie schützend in ihre Mitte, jeder Zeit bereit sie aufzufangen, sollte sie doch noch zusammensacken. „Momoko, was ist denn passiert? Hat dir etwa jemand was in dein Getränk vorhin gemischt?“, analysierte die Braunäugige misstrauisch und klopfte ihr helfend auf den Rücken. Die Rosahaarige schüttelte den Kopf. Sie glaubte es fast selber nicht, aber wenn sie die Zeichen richtig deutete, erlitt sie tatsächlich gerade eine mittelschwere Panikattacke. Ausgelöst, weil er hier war und alles wieder hoch kam. „Yosuke ist hier…“, flüsterte sie krächzend. Ihre Begleiterinnen verstanden kein Wort bei diesem Lärm und runzelten deswegen nur hilflos die Stirn. Zu außer Atem, um sich zu wiederholen, zeigte Momoko hinter sich und überließ es ihnen selbst, des Rätsels Lösung herauszufinden. „Da ist Kazuya!“, stellte Yuri nach kurzem Suchen erfreut fest. „Und Fuma…“, ergänzte Hinagiku weniger begeistert. Jetzt war ihnen klar, welcher Geist Momoko so eiskalt erwischt hatte, doch sie hatten nicht die geringste Vorstellung davon, was tatsächlich in ihr vorging. Sie waren so ahnungslos, dachte sie. Wussten sie doch nicht mal ansatzweise, was wirklich zwischen ihr und dem Fußballspieler vorgefallen war. Ihr innerliches Beben und das Zittern in allen Gliedern, ließen langsam nach, sodass die Gefahr einer Ohnmacht gebannt war. Doch auch wenn sich ihre anfängliche Panik wieder legte, saß der Schreck noch tief. „Ich muss gehen.“, beschloss sie laut. Ihr Herz raste noch immer und hielt ihren Widerwillen, ihm noch ein zweites Mal zu begegnen, aufrecht. Ihre Freundinnen hielten sie allerdings je an einer Schulter zurück. „Nein, bitte bleib doch! Wir wissen ja, du bist sauer auf ihn und enttäuscht von seinem Verhalten, aber vielleicht ist das hier eine gute Gelegenheit euch wieder zu vertragen?“ Momoko sah Yuri aus verengten, ungläubigen Augen an. „Wusstest du etwa, dass er hier sein würde?“ „Wir wussten es beide, um ehrlich zu sein… Kazuya hat ihn mitgebracht.“, antwortete Hinagiku für ihre Freundin. „Ihr habt das geplant?!“, schloss sie entsetzt und schmallippig daraus. Die Geschichte wurde ja immer dubioser! „Natürlich habt ihr das… deswegen auch meine Typveränderung und dieser überzogene Club! Warum habt ihr das gemacht?! Ich dachte, wir sind Freundinnen und würden einfach nur mal einen Abend allein für uns haben!“ Wütende Tränen stiegen in ihren Augen auf. Als ob sie in ihrem Leben nicht auch so schon genug Probleme hatte, die sie bewältigen musste… Wieso mussten ihre Begleiterinnen ausgerechnet den einzigen Abend mit so einer Aktion ruinieren, an dem sie gehofft hatte den Kopf mal wieder ganz frei von alledem zu bekommen? Betroffen sahen sich die zwei Mädchen an, verwirrt über diesen emotionalen Ausbruch ihrer Freundin. Momoko wischte sich die Tränen vorsichtig aus den Augenwinkeln, um ihr Make Up nicht zu ruinieren. So wütend sie auch war, so musste sie sich doch eingestehen, dass es die Beiden einfach nicht besser wussten. Wie sollten sie auch ahnen können, dass Yosuke sie nicht einfach nur als Mensch oder Freund enttäuscht hatte? Dass ihr Kummer viel weiter über das hinaus ging, weil sie sich betrogen und ausgenutzt von ihm fühlte, da sie Dinge miteinander geteilt hatten, die viel tiefer gingen als das? „Es tut uns leid, ehrlich! Wir wussten uns nicht anders zu helfen, nachdem du dich nach diesem Date damals so merkwürdig verhalten hast. Du bist so verändert und verschlossen seitdem. Wir dachten, du und Yosuke könntet euch vielleicht aussprechen, wenn ihr nur die Gelegenheit bekommen würdet miteinander zu reden, ohne dass jemand dazwischen funkt, der etwas dagegen haben könnte.“, rief Yuri ihr ins Ohr, damit sie es über die Musik hinweg auch verstand. „Wir glaubten, dass würde deine Laune wieder etwas heben.“ Das sie bei ihrem Plan sehr wohl auch romantischere Hintergedanken gehabt hatte, blieb vorerst ihr Geheimnis. »Wir können aber nie wieder Freunde sein.«, dachte Momoko betrübt und haderte mit sich, ob sie noch mal einen Blick in seine Richtung riskieren sollte. Er musste genauso ahnungslos in diese Falle getappt sein wie sie. „Ihr versteht das nicht. Es ist zu viel passiert und weder er noch ich sind daran interessiert, etwas an der derzeitigen Situation zu ändern.“ Es hätte überzeugend und entschlossen klingen sollen, aber das tat es nicht. Sie hatte nur noch seine Augen im Kopf, wie sie eben zu ihr rüber geschaut hatten. Drei Wochen war es nun her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten und inzwischen waren die Erinnerungen an ihn nicht viel mehr als Schatten der Vergangenheit. Verblasste Momente einer Zweisamkeit, die nichts bedeutet hatte und doch stark genug war, sie in ihrem Alltag und in ihrer Beziehung zu Takuro immer noch zu beeinflussen. Jetzt konnte sie es nicht mehr verdrängen, denn alles wurde wieder lebendig; die Bilder in ihrem Kopf erhielten ihre Farbe zurück und sie erinnerte sich an Gerüche und Berührungen, als würde sie sie noch ein Mal durchleben. Mit diesen Erinnerungen kehrte auch der Schmerz zurück, als es abrupt vorbei gewesen war. Nichts konnte sich schlimmer anfühlen wie dieser Verrat, als er sie wie ein benutztes Spielzeug weggeworfen hatte. Momokos Blick brach weg wie der eines angeschossenen Rehs. Strauchelnd tauchte sie in dem Gewimmel aus Menschen ab. Sie floh vor ihm, so wie er es auch vorgehabt hatte, bevor sie ihn entdeckt hatte. „Sie hat dich gesehen.“, stellte Kazuya ebenfalls fest, der diesen kurzen Moment des Blickkontaktes zwischen ihnen mitbekommen hatte. Es war kaum eine Sekunde gewesen, doch die Gesichter der Beiden sprachen trotzdem Bände. „Willst du immer noch gehen?“, fragte er auslotend. Yosuke ballte die Fäuste, sah auf seine Füße und überlegte angestrengt. Das überdeutliche Klopfen seinen Herzens machte es ihm schwer sich angemessen zu konzentrieren und seinen Verstand die nötige Entscheidung treffen zu lassen. Ja, es wäre besser zu gehen. Es wäre das Richtige und würde Momoko und ihm wahrscheinlich eine Menge Stoff zum Grübeln ersparen. Doch sein Herz flüsterte ihm zu, dass das sinnlos war. „Jetzt ist es auch egal, oder?“, fragte er seinen Freund resignierend. Nun hatten sie einander gesehen, was machte es da schon aus doch zu bleiben? So wie sie davon gelaufen war, war er sowieso der letzte in diesem Club, mit dem sie ein Schwätzchen halten wollte. Selbst die buhlenden Bewegungslegastheniker auf der Tanzfläche, waren für sie wahrscheinlich eine größere Versuchung, als seine Gesellschaft. Und das war gut so. Sie sollte ihn besser ganz und gar verabscheuen, damit sie nie wieder ihre eigene Zukunft wegen ihm aufs Spiel setzte und er nicht mehr die Gelegenheit dazu bekam, ihr zu verfallen. „Entscheide du. Ich werde Yuri schon irgendwie verständlich machen, warum wir gegangen sind.“, kam ihm Kazuya reumütig entgegen. „Lass uns bleiben.“ „Wirklich? Du bleibst trotzdem?“, hakte Yuri erstaunt nach. Momoko nickte entschlossen. Sie hatte Panik bei seinem Anblick bekommen, aber das würde ihr kein zweites Mal passieren. „Yosuke wollte doch mit mir nicht mehr befreundet sein. Wenn ihm also meine Anwesenheit nicht passt, soll er doch gehen!“, entschied sie tapfer. Sie war entschlossen sich ihrem Schatten zu stellen; sie hatte sich nichts vorzuwerfen – zumindest nicht mehr als er. Sollte er sich also nach ihrer Begegnung nicht längst feige aus dem Staub gemacht haben, würde sie ihm zeigen, dass es ihr gut ging und sie auf ihn verzichten konnte. »Nein, ich beweise es mir selbst, nicht ihm!«, korrigierte sie ihren Gedankengang. „Jetzt klingst du wieder genau wie früher.“, bemerkte Hinagiku erstaunt, die sich noch unsicher war, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. „Geht es dir denn jetzt wieder besser?“, hinterfragte Yuri, immer noch besorgt um ihren körperlichen Zustand. „Ja, ja. Das war nur der Schreck und der Flüssigkeitsmangel.“, gab sie vor und winkte ab. Ihre Begleiterinnen glaubten ihr kein Wort, ließen es aber unkommentiert. Momoko richtete sich auf und atmete tief durch; innerlich war sie immer noch aufgewühlt. Eine mögliche zweite, zufällige Begegnung mit Yosuke, wollte sie aber gewappnet bestreiten können. „Jetzt könnte ich einen echten Drink vertragen. Für die Nerven.“, scherzte sie leichthin und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die bunt etikettierten Flaschen hinter dem Barkeeper, die ihr noch gut zwei Jahre verwehrt blieben. „Na das sind ja ganz neue Töne – vergiss es!“, ermahnte Yuri sie streng und stemmte dabei mütterlich anklagend die Hände in die Hüfte. „Boah Mädels, können wir das hier kurz unterbrechen? Ich muss echt dringend mal für kleine Königstigerinnen! Kommt eine von euch mit?“, klagte Hinagiku plötzlich völlig unvermittelt vom Thema weg. Momoko lächelte schief. „Also ich nicht. Ich habe, glaube ich, die ganze Flüssigkeit auf der Tanzfläche ausgeschwitzt.“, entgegnete sie belustigt. „Ich würde mich erbarmen, dann könnte ich bei der Gelegenheit gleich mal meinen Freund aufsuchen. Eine Zusammenführung von dir und Yosuke werden wir ja heute wohl nicht mehr erwirken können, oder?“, fragte Yuri rhetorisch. „Nein! Auf gar keinen Fall!“, bestätigte die Blauäugige entrüstet darüber, dass die Brünette überhaupt danach fragte. „Gut… können wir dich denn kurz hier alleine lassen?“ Die junge Frau fasste sich ein Herz und drehte sich um. Auf den ersten Blick erkannte sie in der Ferne nirgendwo auch nur den Hauch eines dunkelhaarigen Torwarts. „Ja, geht ruhig. Ich laufe schon nicht weg, versprochen.“ Ohne weitere Umschweife suchten sich ihre Freundinnen zügig einen Weg durch die Menge, um irgendwo die Damentoiletten ausfindig zu machen. Hinagiku hüpfte schon angespannt von einem Bein auf das andere. Als sie aus ihrem Sichtfeld verschwanden, seufzte Momoko und überlegte, ob sie nach diesem kleinen Dämpfer des Abends wohl noch mal die Lust zum Tanzen packen würde. Zwar sah sie Yosuke im Moment nirgendwo, aber wenn Kazuya noch da war, dann war er es vielleicht auch. Sie stützte ihre Ellenbogen auf dem Tresen in ihrem Rücken ab, bis sie an ihrem linken Arm etwas Kaltes spürte. Sofort wanderte ihr Blick dorthin, wo sie ein breites Glas mit einer dunklen Flüssigkeit darin an ihrer Haut entdeckte, in dem zudem dicke Eiswürfel schwammen. „Ich habe gehört, du könntest einen Drink gebrauchen? Dürfte ich dich denn zu einem einladen?“ Momokos Augen huschten hoch. Das Glas wurde ihr von einem fremden, jungen Mann in den Zwanzigern rüber geschoben. Er war groß und schlank, fast ein wenig schlaksig und er hatte eine Brille mit dickem, schwarzem Rahmen auf. Ein kleiner, stoppeliger Bart zierte sein Kinn; er war wahrscheinlich ein Student aus den letzten Semestern. Seine längeren, schwarzen Haare waren aufwendig gegelt und er trug zu einem weißen Poloshirt eine schwarze Weste, sowie schwarze Lederhosen. Er war auf den ersten Blick einer von der Sorte, die sich für besonders cool hielt. „Sorry, aber ich bin noch keine 20.“, lehnte Momoko höflich lächelnd ab. „Das habe ich mir schon gedacht. Ich verrat’s aber keinem.“, flüsterte er ihr vorgebeugt zu und zwinkerte verschwörerisch. Tatsächlich musterte sie das Glas unentschlossen. Sie sollte es besser lassen, aber die Versuchung war groß. Allerdings erwartete der Typ sicherlich eine Gegenleistung und wenn es nur ein Flirt war. „Das ist wirklich nett von dir, aber ich bin eigentlich nicht auf der Suche nach neuen Bekanntschaften.“, gab sie ehrlich zu und schob das Glas wieder in die Richtung des Fremden. „Aber vielleicht nach Zerstreuung?“, fragte er und schob es wieder zurück. Oh ja, Zerstreuung konnte sie gebrauchen. Sehr sogar! Momoko kaute auf ihrer Unterlippe herum, während sie zwischen Gut und Böse abwägte, schloss aber am Ende doch ihre Hand um das kalte Getränk und hob es an die Lippen. Vordergründig schmeckte sie die Süße von Cola, aber sie war durchzogen von etwas anderem, das weich und schwer zugleich war. Schon beim ersten Schluck spürte sie, wie sich eine angenehme Wärme von ihrem Magen aus ausbreitete. „Was ist da drin?“, fragte sie neugierig und versuchte es durch Riechen herauszufinden. Der spendable, junge Mann lachte leise. „Garantiert keine K.O. Tropfen, dafür Whiskey und Cola.“, antwortete er. Whiskey also. Mutig, weil es gar nicht so übel schmeckte, wie sie erwartet hatte, nahm sie noch einen Schluck und dann noch einen. „Nicht so hastig! So etwas muss man langsam trinken.“, warnte der Fremde sie schmunzelnd. „Keine Zeit. Ich will möglichst viel davon intus haben, bevor meine wachsamen Freundinnen wieder da sind.“, antwortete Momoko und leerte das Glas anschließend komplett. Viel war ja nicht drin in so einem Drink, was sie gar nicht verstehen konnte, wo es doch so lecker und gar nicht nach bitterem Alkohol schmeckte. Sie spürte die beobachtenden Blicke ihres Gönners auf sich ruhen. Er wand sich kurz von ihr ab und rief dem Barkeeper eine weitere Bestellung zu. Der Mixer schien sich nicht sonderlich dafür zu interessieren, ob sein Kunde den Drink für sich oder jemand anders orderte. Er stellte ihm kommentarlos ein weiteres Glas desselben Getränks hin, welches ihr abermals heimlich zugeschoben wurde. „Das kann ich nicht annehmen!“, wehrte sie ab, obwohl es sie durchaus reizte es doch zu tun. In ihrem Bauch war es herrlich warm und es kribbelte angenehm bis in ihren Kopf. Vielleicht hätte sie ihren ersten Drink überhaupt allerdings doch nicht so hinter schlingen sollen. „Auf einem Bein kann man doch nicht stehen. Cheers!“, prostete ihr Nebenmann ihr neckisch grinsend zu und nahm selber einen Schluck von seinem eigenen Drink. „Na gut… Dankeschön.“ »Was soll’s. Ich bin ja nur ein Mal jung, wann bekomme ich so eine Gelegenheit je wieder?«, sagte sie sich selbst, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Die Wirkung des Alkohols war wirklich erstaunlich, denn er spülte sämtliche graue Gedanken hinfort und hinterließ nur eine angenehme Leichtigkeit, mit der sie die Welt und ihre eigenen Probleme in einem ganz anderen Licht sah. Etwa nach dem halben Glas und etwas Smalltalk mit ihrem spendablen Verehrer, den sie aber nur sporadisch und beiläufig führte, blieb ihr abschweifender Blick, über die Köpfe der Tanzenden hinweg, an einem anderen jungen Mann hängen, den sie nur allzu gut kannte. Yosuke stand diesmal in einer ganz anderen Ecke des Clubs; wahrscheinlich hatte er sich vor ihr versteckt. Momoko konnte Kazuya nicht in seiner Nähe ausmachen. Gut möglich also, dass Yuri ihn irgendwie zur Seite gezogen hatte, um mit ihm alleine zu reden. Falls sie und Hinagiku es überhaupt schon von der Damentoilette runter geschafft hatten... Dort standen erfahrungsgemäß nämlich manchmal mehr Leute Schlange, als draußen vor dem Lokal. In dem wenigen Licht erkannte die Rosahaarige sein Gesicht nicht gut und sie wollte auch nicht starren, aber sie war sich sicher, dass er zu ihr herüber sah. Normalerweise würde sie ihre Nervosität an dieser Stelle übermannen, doch sie blieb anders als sonst innerlich ganz ruhig und gelassen. Momoko erwiderte mutig seinen Blick, streckte selbstbewusst den Rücken durch und trank aus. »Wahnsinn, das Zeug ist ja der Oberknaller!«, dachte sie glücklich und kicherte unhörbar, als sie das leere Glas schließlich abstellte. Von einem neuen, federleichten Mut durchflutet, machte es ihr gar nichts mehr aus, dass Yosuke Fuma – der Erstkuss-Stehler, Jungfräulichkeitsräuber und Herzensbrecher – sich im selben Raum befand wie sie. Das Licht im Club änderte sich wieder, als ein neuer Song angespielt wurde. Es wurde dunkler und die Scheinwerfer bewegten sich zu einem härteren, rockigerem Takt. Momoko war sofort elektrisiert, als die ersten, tiefen Töne in ihre Glieder fuhren. Wie magnetisch zogen die Klänge sie auf die Tanzfläche, wo sich reichlich andere J-Rockanhänger dazu gesellten, um es ordentlich krachen zu lassen. Die junge Frau, zwischen ihnen, schritt in eine Lücke hinein und ließ sich einfach von der Musik mitreißen, die so gut zu ihrer aktuellen Stimmung passte. Misstrauisch hatte der Torwart beobachtet, wie Momoko sich mit jemanden unterhielt, den er nicht kannte und der sie anscheinend mit einem, aus der Ferne undefinierbarem, Getränk versorgte. Er hatte sie nicht gezielt in der Menschenmenge gesucht, aber Kazuya hatte sich für unbestimmte Zeit abgesetzt, um Yuri zu finden. Ihm war irgendwann allein beim Rumstehen langweilig geworden. Was blieb ihm denn anderes übrig, als sich umzusehen? Und dann war es fast unmöglich für ihn die junge Hobbyfotografin, in ihrer ungewohnten Aufmachung, zu übersehen, zumal sie sich immer noch in der Nähe von dem Punkt aufhielt, wo sich ihre Blicke das erste Mal hier begegnet waren. Mit zu Schlitzen verengten Augen sah er also zu ihr hinüber und stellte alsbald fest, dass sie ihn bemerkt hatte und seinen Blick erwiderte. Yosuke überlegte wegzusehen und seinen Standpunkt erneut zu wechseln. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass es ihn irgendwie interessieren würde, dass sie hier war und was sie tat, aber die Art wie sie zurückblickte, irritierte ihn. Als das laufende Lied verebbte und ein neues angestimmt wurde, verlor er sie plötzlich aus den Augen. Er hatte nur kurz geblinzelt, aber schon war sie verschwunden. »Na was soll’s…«, dachte er bei sich und wollte sich die Beine ein wenig vertreten, um die Unruhe in seinen Gliedern zu vertreiben, als ihm ihr rosa Zopf plötzlich wieder auf der Tanzfläche ins Auge sprang. Erstarrt und mit geweiteten Augen, widmete er ihr ungeplant einen Augenblick seiner vollen Aufmerksamkeit. War das wirklich Momoko Hanasaki, die ihren Oberkörper zum Saxofon-Auftakt des aufgelegten Rocksongs so leidenschaftlich und wild hin und her warf, dass ihr eigenes Haar um ihr Gesicht herumpeitschte? Ihre Hüfte schwang aufreizend hin und her, sodass sich ihr Rocksaum in jeder Bewegung gefährlich anhob. Das Blasinstrument verstummte nach wenigen Sekunden und machte einem dominanten Bass und einem Schlagzeug Platz, dem eine tiefe, rauchige Stimme folgte. I lost myself I think I need someone in here? I know I'm sane But still my daemon calls me A lot of bruises to remind me what I'm here for Let's play six six six Die junge Frau zog alle Register. Ihr Becken bewegte sich geschmeidig zum Rhythmus der ersten Strophe, während ihre zunächst in die Höhe gehaltenen Hände Wort für Wort tiefer wanderten und verheißungsvoll über die Konturen ihrer eigenen Silhouette glitten. You better picture this I'm not a hopeless case You want a piece of me… Schluckend sah Yosuke zu, wie sie sich auch zum veränderten, fast willkürlichen Takt perfekt in Szene setzte. Es war, als würde etwas aus ihr herausbrechen, als der Refrain einsetzte. Say the words of love If you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love is you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Let me be… Eine kurze Zwischensequenz, wieder begleitet von dem Saxofon, wurde eingespielt. Sämtliche Tänzer sprangen ausgelassen im Takt mit und rissen ihre Arme dazu ebenfalls hoch. Es herrschte fast schon Konzertstimmung im Club! Momoko lachte nur für sich über das ganze Gesicht und ihre blauen Augen schienen durch das Halbdunkel hindurch alles zu überstrahlen. Das erinnerte Yosuke wieder schmerzlich an den Abend des Klassentreffens, bei dem ihre Ausstrahlung ihn das erste Mal gefesselt hatte. Es war der Anfang vom Ende gewesen. Bevor er seinen Blick abwenden konnte, um sich dem Déjà-vu nicht mehr stellen zu müssen, fand ihr Blick ihn wieder und sie hielt, wie er, kurz inne. Let's play six six six… Nachdem sie ihn unter den Schaulustigen erspäht hatte, tanzte sie zunächst zurückhaltender, weil sie nicht wusste, was sie davon halten sollte. You better stick with me I wonder what is right I know you want me too Doch schnell war ihr klar, dass es ihr egal war, was er dachte oder tat. In diesem Augenblick war sie frei von allen Erwartungen anderer an sie, denn es war niemand da, der sie kontrollierte oder ihr sagte, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Wenigstens für diesen, einen Song war sie frei. Say the words of love If you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love, if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Love if you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love, if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Let me be… Mit jeder Bewegung bewies sie sich selbst, dass sie auch einfach nur für sich selbst schön und begehrenswert sein konnte und dass kein Mann auf der Welt es wert war, dass sie sich wegen ihm grämte, verstellte oder versteckte. Das hatte sie nämlich mehr als satt! Mit der Gewissheit im Nacken, dass Yosuke sie also jetzt gerade beobachtete und mit dem nötigen, angetrunkenen Mut im Blut, genoss sie es fast, dass sie ihm demonstrieren konnte, auf was und wen er da verzichtet hatte. Sollten auch nur ein paar von den Dingen, die er ihr in jener Nacht gesagt hatte, der Wahrheit entsprochen haben, dann war sie in diesem Moment eine tanzende Versuchung für ihn. Momoko war sich ihrer Figur und ihrem Sexappeal in diesem Outfit durchaus bewusst und der Whiskey lockerte ihre Hemmschwelle gehörig auf. Süffisant lächelnd, warf sie gezielt einen koketten, flüchtigen Blick in Yosukes Richtung. Sie würde nie wieder ihm gehören; genau diese Botschaft lag darin. I just want some peace of mind I need the perfect situation I want to be a stimulator I don't need no other complication Stop dragging me in your misery Yosuke wusste ganz genau, was sie da trieb; sie provozierte und reizte ihn mit voller Absicht. Verärgert darüber, dass es ihm auch tatsächlich etwas ausmachte, wie sie sich präsentierte, drehte er sich auf dem Hacken um und verschwand. It's not enough You know how hard it is to make it clear I might be wrong But no one's ever told me Inside my head I hear these voices telling me Let's play and kiss kiss kiss Momoko sah ihn plötzlich nicht mehr und schlussfolgerte daraus, dass ihr mehr als selbstbewusster Auftritt an seinem Stolz gekratzt haben musste. Ob es ihn wenigstens ein bisschen wurmte, dass sie nun ganz einem anderen gehörte? Noch dazu Takuro, den er nicht mal im Entferntesten ausstehen konnte? You better picture this I'm not a hopeless case You want a piece of me Durch den Nebel des Alkohols, in ihrem Kopf, wurde ihr kurz vor Beginn des letzten Refrains klar, wie unreif ihr Verhalten gerade war. Es war Unsinn ihn eifersüchtig machen zu wollen, denn dazu gab es keinen Grund. Sie waren nie verliebt ineinander gewesen, sodass keiner dem anderen etwas schuldig war. Es war ihr eigener Stolz, der angekratzt war. Weil sie so naiv gewesen war und geglaubt hatte, dass ihm ihre Küsse und anderen Intimitäten genauso viel bedeutet hatten, wie ihr, war sie nun verletzt. Deswegen wollte sie, dass es ihm etwas ausmachte, wenn er sie ansah; denn ihr machte es etwas aus! Say the word of love If you wanna kiss If you want kiss of me (justify your love) Love, if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Obwohl sie wütend auf ihn und zutiefst enttäuscht war, ging er ihr immer noch unter die Haut, wenn sie an ihn dachte. Love, if you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Let me be… Momoko senkte die Arme und hörte auf zu tanzen. Ihr war schlagartig die Lust vergangen und ihre anfängliche Euphorie wich einem niedergeschlagenen Gefühl. Ob das auch eine Wirkung des Whisky-Cola Drinks war? Let's play six six six… Außer Atem wand sie sich um und schlängelte sich zurück zur Bar, wo ihr alter Platz leider inzwischen anders besetzt war. »Na toll…und keine Spur von Yuri oder Hinagiku.«, dachte sie ärgerlich bei sich. Wäre sie doch einfach geblieben, wo sie war, dann hätte sie Yosuke nicht diese Szene gemacht und hätte sich in Ruhe von ihren Freundinnen wiederfinden lassen können. Nun stand sie da und wusste nicht wohin mit sich und all dem Frust, der sich in ihrem Innern gerade hochschaukelte. Denn sie konnte über das, was in ihr vorging, mit niemanden reden. Sie war dem Fußballspieler sowieso egal; ihre Tanzeinlage war also, bis auf ihr eigenes Vergnügen dabei, überflüssig gewesen. Genauso wie die zwei Drinks, die ihr inzwischen mächtig zu Kopf gestiegen waren. Ihr schwante, dass der Alkohol an ihrem verwirrenden Handeln nicht ganz unschuldig war, doch diesen Fehlern gegenüber stand das wohlig warme Gefühl, dass alle Sorgen, Ängste und Probleme viel geringer erscheinen lies. Zum ersten Mal konnte Momoko verstehen, warum ihr Vater dieser Sucht verfallen war… „Na Schätzchen, suchst du mich?“ Irritiert blickte sie in das Gesicht des jungen Mannes, der ihr die Drinks spendiert hatte. „Äh… nein, eigentlich suche ich meine Freundinnen…“, rief sie ihm über die Musik hinweg zu, zu der er lässig vor ihr rumtänzelte. »Tanzt der mich etwa an?« „Tanz doch mit mir, sie werden dich schon irgendwann hier finden.“ Er ließ seine Augenbrauen eine La-Ola-Welle vollführen und blitzte sie verführerisch an. Momoko wich einem intimeren Antanzversuch aus. „Sorry, aber ich suche sie lieber selbst. Viel Spaß noch“, versuchte sie ihn abzuwimmeln. Sie hatte kaum die Richtung gewechselt, als er sich in einer Art Schlangentanz wieder direkt vor ihr räkelte. „Nicht doch, wir haben uns doch so gut verstanden vorhin.“ Die Rosahaarige rollte mit den Augen und verzog ihren Mund. „Ich bin etwas beschwippst. Ich erinnere mich nicht mal an das, was du mir erzählt hast. Lass mich bitte vorbei.“, versuchte sie es ehrlich und eindringlich. Doch anstatt sie vorbei zu lassen, schnappte sich der Student ihre Handgelenke und zog sie für eine Schwingbewegung zu sich ran. Momoko stieß ihn augenblicklich unmissverständlich weg und funkelte ihn böse an. „Hey, mach dich locker Schätzchen!“, beschwichtigte der Typ sie, immer noch grinsend und unbekümmert tanzend. „Kein Interesse!“, fauchte sie zurück. „Das sah aber eben noch ganz anders aus… war heiß, wie du getanzt hast.“ Die junge Frau konnte nicht verhindern, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Ihr fiel außerdem kein guter Konter dazu ein und ein Danke wollte sie ihm nicht gönnen. Wortlos drehte sie sich abermals weg; wohin sie ging war egal, Hauptsache weg von diesem baggernden Schmierlappen! „Wo willst du denn schon wieder hin? Willst du dich nicht für die beiden Getränke von vorhin bei mir bedanken, Schätzchen?“ Diesmal hielt er sie am Oberarm fest und zog sie schroff zu sich herum, nur sein Tonfall und Gesichtsausdruck waren noch genauso honigsüß wie zuvor. „Ich bin nicht dein Schätzchen! Lass mich los oder…“ „Oder was? Willst du kleine Schlampe mir dann die Augen auskratzen? Ich steh’ auf widerspenstige Mädchen wie dich.“, unterbrach er sie und leckte sich dabei gierig über die Lippen. „Zappel ruhig, hier bekommt das eh keiner mit, wenn ich dich in die nächste Ecke zerre, damit wir uns ein bisschen besser kennenlernen können!“, ergänzte er und lachte zynisch auf. Von hinten grub sich plötzlich eine fremde Hand in die Schulter des Widerlings, die ihn ohne Vorwarnung unsanft nach hinten riss. „Davon würde ich nicht ausgehen!“, warnte ihn ergänzend die zur Hand gehörende, bedrohlich gereizt klingende Männerstimme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)