~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 27: The visit --------------------- Takuro hatte Momoko der Obhut ihrer beiden Freundinnen überlassen, nachdem endlich alle Missverständnisse ausgeräumt waren. Nur allzu neugierig warteten sie in ihrem Wohnzimmer darauf, dass die wieder Heimgekehrte erklärte, was hier schon wieder vor sich ging. „Soll ich uns einen Tee machen? Du siehst wirklich fertig aus.“, bot Yuri fürsorglich an. „Sehr gern.“, willigte die Rosahaarige ein. Sie zog sich die auf dem Sofa zusammengelegt liegende Kuscheldecke zu sich herüber und mummelte sich darin ein. Ihr war immer noch schrecklich kalt und sie fühlte eine bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern. Schlotternd zog sie sich den schweren Stoff enger um die Schultern. Yuri kannte sich in Momokos Haus bestens aus, also machte sie sich gleich an die Arbeit und setzte Wasser auf. „Ich kann noch gar nicht glauben, dass Takuro euch meinetwegen angerufen hat.“, bemerkte die Rosahaarige, als sie ihr verträumt dabei zusah. „Na frag mal nicht wie ich geguckt habe, als der mich halb aus dem Bett geklingelt hat! Dabei dachte ich, er hält sich inzwischen für etwas Besseres und will nichts mehr mit uns zu tun haben.“, entgegnete Hinagiku. Diese sah wirklich ein bisschen so aus, als hätte man sie geweckt, trug sie doch nur eine weite Jogginghose mit Turnschuhen, ein weißes Rollkragenshirt, sowie eine schwarze Strickjacke darüber. Momoko belächelte das schwach. „Er muss sich wirklich sehr gesorgt haben, wenn er sich überwinden konnte uns anzurufen.“, kommentierte die hochgewachsene Braunhaarige aus der Küche heraus. „Das hat er wohl…“ Wenn er als allererstes zu ihrem Haus gefahren war, wo sie zunächst ja nicht aufgetaucht war, hätte sie, seiner Logik nach, eigentlich nur noch bei einer ihrer Freundinnen gewesen sein können. „Wie hat er denn reagiert, als ihr ihm sagen musstet, dass ich auch nicht bei euch bin?“, wollte sie wissen. „Genau wie wir – ratlos. Deswegen haben wir ihm dann angeboten bei der Suche zu helfen, aber als wir uns mit ihm getroffen haben, bist du dann ja doch noch aufgetaucht.“, antwortete Hinagiku. Yuri kam mit einem Tablett gefüllter Teetassen zu ihnen an den Couchtisch zurück. „Wobei ich ja einen leisen Verdacht habe, wo du gewesen sein könntest.“ Vorsichtig musterte sie ihre kleinere Freundin, während sie die Getränke verteilte. Momoko verspannte sich augenblicklich und schaute finster auf die heiße Tasse in ihren Händen. „Falls du auf Yosuke anspielst, der ist Geschichte!“, entgegnete sie grummelnd. Erstaunt ruhten zwei Augenpaare auf ihr. „Schaut nicht so. Der Blödmann hat es geschafft Hiromi zu schwängern und will sich nun doch nicht von ihr trennen, deswegen bin ich ihm als Gesellschaft lästig geworden.“ Ihren Freundinnen klappte synchron die Kinnlade herunter. „Schwanger?!“, wiederholten sie ebenfalls unisono. Momoko zuckte desinteressiert mit den Schultern und vermied Blickkontakt mit den beiden Mädchen. „Das ist ein Skandal, sie sind doch beide erst mitten im Abschlussjahr der Highschool! Wie soll das denn funktionieren?“, fragte sich Yuri besorgt, verstört und errötend zugleich. „Woher soll ich das wissen? Es interessiert mich nicht und geht mich auch nichts an!“ Die Blauäugige gab sich genauso so cool und desinteressiert Yosukes Angelegenheiten gegenüber, wie in alten Zeiten. Die Brünette stutzte über dieses Verhalten, nachdem Momoko bei ihrem letzten Gespräch doch so in die Bresche für den Torwart und ihre ungewöhnliche Annäherung gesprungen war. „Irgendwie ist das schade. Ich hatte das Gefühl, dass du ihn inzwischen wirklich gut leiden kannst und magst. Das muss doch schwer für dich gewesen sein, oder?“, merkte sie an. Die burschikose Grünhaarige konnte sich ein Auflachen nicht verkneifen. „Ach Yuri! So wie du das sagst könnte man meinen, da sei noch mehr! Darüber lacht sie doch - bevor Momoko sich in so einen Idioten verguckt, friert die Hölle zu! Stimmt’s?“, warf sie amüsiert ein und stieß der Angesprochenen dabei freundschaftlich gegen die Schulter. In der jungen Frau zog sich etwas schmerzhaft zusammen. „Stimmt…“, antwortete sie kleinlaut und versuchte mit aller Macht auf den, durch den Schubs gefährlich schwankenden, Inhalt ihrer Tasse zu achten und keine Miene zu verziehen. Sie selbst und auch ihre Freundinnen sahen, wie ein dicker Tropfen plötzlich die ruhige Oberfläche des Tees aufbrach. „Momoko! Du weinst ja schon wieder!“, rief Yuri erschrocken aus. Tat sie das? Ungläubig fasste sie mit einer Hand in ihr Gesicht und stellte fest, dass es stimmte. An ihrer Nase kullerte bereits die nächste Träne hinab. „Was’n jetzt kaputt?!“ „Ach… das ist nichts. Das sind nur meine Nerven, heute Abend war einfach zu viel los.“, versuchte sie sich vor Hinagiku zu erklären. „Lüg doch nicht! Das ist wegen Yosuke, oder? Was um Himmels Willen ist denn genau passiert?“, wollte die Brünette wissen. „Uns kannst du es doch sagen.“, fügte sie hinzu. Momoko konnte den aufflammenden Schmerz nicht zurück drängen. Sie war zu wütend und enttäuscht; einfach viel zu verletzt. „Ich war halt bei ihm… vorhin. Ich wollte mit ihm reden, aber… Hiromi war auch da und deswegen war er ganz komisch. Er hat viele gemeine Dinge zu mir gesagt und mir dann deutlich gemacht, dass wir keine Freunde mehr sein können.“ Baff wussten ihre Freundinnen darauf gar nichts zu sagen. Nur das Schniefen ihrer traurigen Freundin war zu hören. „Du wolltest dich bei ihm vor Takuro verstecken?“, hakte Hinagiku schließlich nach. „So ähnlich…“ Sie konnte ja schlecht antworten wieso sie geglaubt hatte, dass ausgerechnet er sie am besten verstehen würde. „Und er hat wegen Hiromi aus heiterem Himmel die Freundschaft mit dir gekündigt?“, erkundigte sich auch Yuri. „Kann man so sagen…“ „Dafür muss es doch aber noch einen anderen Grund geben als ihre Schwangerschaft! Hat er das etwa nur wegen ihrer Eifersucht getan?“, bohrte die Langhaarige weiter. Momoko wollte darüber nicht weiter nachdenken oder reden, sie wollte es nur einfach schnell vergessen. „Was weiß ich, ist doch egal. Er ist mir egal!“ Yuri und Hinagiku tauschten einen kurzen Blick, denn glauben konnten sie das beide nicht so recht. „Und was ist mit Takuro? Das sah ja vorhin sehr innig aus zwischen euch beiden.“ Die sportliche junge Frau konnte auch wirklich keine Frage für sich behalten. Augenrollend erwiderte die Blauäugige ihren Blick. „Wir sind doch ein Paar, da küsst man sich eben auch mal, oder nicht?“ „Aber wir dachten, du bist nicht in ihn verliebt? Sein Kniefall und die Art, wie du dich an ihn geschmiegt hast… das sah nicht aus wie ein erster Kuss.“, stellte Yuri verlegen fest. „Wollt ihr Details?“, stöhnte Momoko entnervt. „Wir haben uns heute schon mehrfach geküsst, aber danach ging irgendwie alles schief und ich wurde hysterisch, weil ich dachte, er will mehr und das ging mir zu schnell... Den Rest der Geschichte kennt ihr. Reicht das? Seid ihr jetzt endlich fertig mit eurem Verhör? Ich würde nämlich schrecklich gerne ins Bett gehen, denn morgen ist wieder Schule.“ „Eins noch, Momoko.“, entgegnete Hinagiku. „Ich sage das nur ungern und eigentlich finde ich Takuros Verhalten voll peinlich, aber ich glaube echt, er meint es ernst mit dir. Wenn du es nicht ehrlich mit ihm meinst, spiel ihm nichts vor.“, endete sie ernst. Ihre braunen Augen schauten sie streng an. Die junge Frau nahm selten etwas richtig ernst, aber das schien ihr wirklich wichtig zu sein. Natürlich, sie kannte Takuro schon von klein auf; sie hatten immer miteinander gespielt und bevor er ins Ausland gegangen war, waren sie auch noch gute Freunde gewesen. Auch wenn sich inzwischen die Dinge geändert hatten, hatte Hinagiku die alten Zeiten nicht vergessen. „Ich mag ihn wirklich, keine Sorge.“, beruhigte Momoko sie. Das war noch nicht einmal gelogen, denn nachdem er ihr so vor ihrem Haus begegnet war, mochte sie den schlaksigen, etwas überengagierten, jungen Mann mehr als je zuvor. Yuri blieb skeptisch. In ihren Augen hatte es nicht nur Takuro verdient glücklich zu sein. Nach wie vor bereitete ihr die arrangierte, bevorstehende Eheschließung ihrer besten Freundin Bauchschmerzen. Sie stellte ihre Tasse ab und umarmte die junge Frau unangekündigt. „Aber Yuri, was ist denn…?“ „Ich will nicht, dass du glaubst, du müsstest uns etwas vorenthalten. Warum auch immer… Wir haben uns immer alles erzählt, bitte vergiss das nicht.“ Momoko erwiderte traurig ihren besorgten Blick. „Es ist spät, wir werden dann jetzt gehen.“, kündigte die Brünette an, als ihr Gegenüber nicht weiter auf ihren vorherigen Satz reagierte. Hinagiku stand ebenfalls auf und leerte noch schnell ihre Tasse aus. „Ich finde, wir sollten wieder mehr miteinander unternehmen. So wie früher!“, schlug sie vor, während sie sich die Schuhe anziehen gingen. „Das ist eine gute Idee! Lasst uns einfach deswegen in Verbindung bleiben, dann finden wir bestimmt mal einen Tag, wo wir Zeit haben, uns gemeinsam zu amüsieren.“, stimmte Yuri begeistert zu. Die erschöpfte Hausherrin hatte im Moment zu gar nichts Lust, denn ihre Gefühlswelt ließ jede Verlockung grau und schnöde erscheinen. Dennoch, das war wahrscheinlich wirklich eine gute Idee, denn so konnte sie ihren Kummer schnell vergessen und zur Normalität zurückkehren. „Ok, wieso nicht.“, stimmte sie zu und rang sich ein Lächeln ab. Auf ihrem Nachhauseweg schwieg Yuri viel, aber auch Hinagiku hatte einiges, worüber sie grübelte, weswegen ihr das zunächst gar nicht auffiel. Erst als sie stehen blieben, weil sich ihre Wege trennten, da sie beide in unterschiedliche Richtungen mussten, ergriff die quirlige Sportliebhaberin das Wort. „Mann, Mann, Mann… das war ja vielleicht ein verkorkster Abend.“ „Hmh…“, murmelte Yuri nur. Nachdenklich tippte sie sich mit dem Zeigefinger am Kinn herum und starrte Löcher in die Luft. „Hey, was hast du denn?“, wollte Hinagiku wissen. „Findest du es nicht merkwürdig, dass Momoko völlig verheult von Yosuke nach Hause kam?“, antwortete sie endlich etwas aufmerksamer. Die Grünhaarige zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Du hast doch gehört, dass er sie ganz schön fertig gemacht haben soll. Sie streiten eben wieder, ist doch nicht viel anders als früher.“, versuchte sie als Erklärung herzuleiten. „Das stimmt, gezankt haben sie schon immer, aber Momoko hätte nie deswegen geweint. Verstehst du?“ Hinagiku kratzte sich am Hinterkopf, während sie überlegte. „Und außerdem… das passt irgendwie gar nicht zu ihm! Yosuke war früher nie fies oder unhöflich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Momoko so schlimm angegriffen haben soll, dass sie deswegen nun so fertig ist. Und das mit der angeblichen Schwangerschaft kann ich auch noch gar nicht glauben!“ „Wer weiß, vielleicht hat sie auch nur wegen dem Missverständnis mit Takuro geheult. Willst du jetzt Sherlock spielen, oder was?“ Yuri machte eine abwehrende Handbewegung. „Ach was, das hat doch damit nichts zu tun! Ich habe nur das untrügliche Gefühl, dass noch mehr dahinter steckt…“ „Aha? Und was willst du deswegen nun unternehmen?“ „Ich weiß es nicht, aber da wird mir schon noch was einfallen.“, antwortete sie entschlossen und verabschiedete sich im Anschluss von ihrer Begleitung. ~*~ Takuro hielt sein Versprechen Momoko gegenüber und organisierte einen Besuchstermin für sie bei ihrem Vater. Das war die erste Nachricht, die sie aus ihrer Trübsinnigkeit holen konnte und es schaffte, ihr neuen Lebensmut zu geben. Die Tage in der Schule und auf Arbeit, bis dahin, waren schemenhaft wie Schatten an ihr vorbei gezogen. Es war der Samstag eine Woche nach ihrem verunglückten Date und sie fuhren gemeinsam in seinem Wagen dorthin. Die Klinik lag etwas außerhalb der Stadt, umgeben von Hügeln und viel Natur, die sich in den frühlingshaften Temperaturen herrlich entwickelte. Momoko ließ ihr Fenster herunter, als sie auf einer Nebenstraße fuhren, die rechts und links von Wald gesäumt war. Vorsichtig streckte sie ihre Nase in den Gegenwind, der ihr offenes Haar zerwühlte. Die Sonne wärmte ihre Haut, genießend schloss die junge Frau die Augen und lehnte sich wieder an. Der Duft von Nadelhölzern vertrieb den Ledergeruch der Innenausstattung. „Die Gegend hier ist wirklich sehr schön und ruhig, oder?“, hörte sie Takuro neben sich sagen. Er hielt ihre linke Hand in seiner und strich immer wieder mit dem Daumen über ihre Haut. Momoko lächelte ihn dankbar an. „Das ist sie. Ich wusste gar nicht, dass so ein grünes Fleckchen hinter unserem Stadtrand liegt.“ „Du bist ja auch noch nicht wirklich viel rumgekommen. Ich selbst weiß von der Klinik auch nur durch meine Eltern.“ Sie bogen in eine weitere Nebenstraße ab, die recht steil nach oben in den Wald hinein führte. Am Ende des Weges ragte, zwischen all den Bäumen, ein sehr modernes, weißes Gebäude mit vielen Fenstern und Balkonen heraus. Davor lag eine hoch umzäunte Grünanlage mit gepflegtem Rasen, akribisch beschnittenen Sträuchern und kleinen Bänken. Ihr Auto parkte auf einem angeschlossenen Parkplatz, der extra für Besucher angelegt war. „Das sieht ja aus wie ein Hotel!“, stellte Momoko fest, während sie staunend ausstieg, ohne den Blick von der schönen Anlage zu nehmen. „Das macht eine Privatklinik aus. Hier gibt es nur das Beste vom Besten.“, erklärte Takuro stolz. Die Rosahaarige schluckte schwer bei der Vorstellung, was ein Aufenthalt hier wohl kostete. „Na komm, wir wollen deinen Vater doch nicht warten lassen?“ „Natürlich nicht.“, stimmte sie zu. Ihr Herz klopfte aufgeregter als sonst, denn sie hatte ihrem Verlobten versprochen, heute ihrem Vater von ihm und sich ganz offiziell zu erzählen. Vorsätzlich hatte sich Momoko für eine brave Garderobe aus einem langen Cordrock und einem pastellgelben Rollkragenshirt entschieden. Unter ihrem Rock trug sie eine schwarze Strumpfhose, zusätzlich zu den Lackschuhen ihrer Schuluniform. Ihre Frisur trug sie wie in alten Tagen, offen und nur mit ihren zwei gelben Schleifen darin, die verhinderten, dass ihr volles Deckhaar immerzu in ihr Gesicht fiel. Takuro hatte sich, wie immer, für ein etwas vornehmeres Outfit entschieden, aber indem er eine schwarze Anzughose mit einem roten, kurzärmeligen Hemd kombinierte und das Jackett weg ließ, wirkte er immerhin nicht ganz so steif wie sonst. Gleich hinter der verglasten Eingangstür befand sich die Rezeption, an der er, für sie beide, nach ihrem Vater ausrufen ließ. „Wir sollen einen Moment warten.“, teilte er ihr mit, als er zu ihr zurück kam. „Das macht nichts.“, beruhigte sie ihn. Sie nutzte die Zeit, um die Eingangshalle der Klinik zu betrachten. Alles war in hellen Farbtönen gehalten. Runde Formen bei Einrichtung und Innenarchitektur wirkten auflockernd und beruhigend. „Sind Sie der Besuch für Herrn Hanasaki?“, wurden sie beide, von einer blonden Pflegerin in reinweißer Uniform, von der Seite angesprochen. „Ja, sind wir.“, antwortete Takuro fachmännisch, als Momoko noch überrumpelt nach Worten suchte. „Würden Sie mir dann bitte folgen? Ich begleite Sie jetzt in das Besuchszimmer.“ „Gern!“, entgegnete sie diesmal schnell. Himmel war sie nervös; was würde sie wohl erwarten? Seit Wochen hatte Momoko ihren Vater nicht gesehen. Wie er wohl reagierte und wie es ihm ergangen war? Ein wenig plagte sie die Angst, er könnte es ihr übel nehmen, dass sie dafür gesorgt hatte, dass er hier eingeliefert worden war. „Hast du irgendwelche Bedenken?“, flüsterte Takuro ihr heimlich zu. Momoko schüttelte fast unmerklich den Kopf. Er brauchte sich keine Sorgen machen, denn schwerer als ihre Ängste, wog der Wunsch, ihren Vater wieder gesund in die Arme zu schließen. Sie machten vor einer, steril weißen, Tür halt. Die Blondine drehte sich mit geschäftlicher Miene zu ihnen um. „Bitte erwarten Sie nicht zu viel; Suchtkranke in dem Stadium tun sich oft noch schwer damit ihre Krankheit anzuerkennen und sind wegen des Entzugs manchmal etwas reizbar, obwohl sie Medikamente von uns bekommen. Aber keine Sorge, es ist immer eine Aufsicht in der Nähe.“ Ihre Ansage war wenig vielversprechend. Angespannt kaute die junge Besucherin auf ihrer Unterlippe herum. „Verstehe. Wir werden behutsam sein.“, versprach Takuro. Die Pflegerin öffnete die Tür zu einem sehr großen Raum mit deckenhohen Fenstern und vielen ovalen Tischen mit runden Sesseln darum. Fieberhaft suchte ein blaues Paar Augen zwischen den teilweise besetzten Sitzgruppen nach einem großen, breitschultrigen Mann mit braunem Haar. „Momoko?“, hörte sie eine tiefe, liebevolle Stimme sagen. Sofort schnellte ihr Blick zu einem Tisch rechts im Saal, der direkt am Fenster stand. Ein Mann in hellblauer Patientenkleidung saß dort einsam und schaute in ihre Richtung. „Papa!“, rief sie aus. Für sie gab es kein Halten mehr, ungezügelt lief sie ihrem Vater entgegen, der im selben Moment aus seinem Sessel aufsprang und die Arme für seine Tochter öffnete. Ungehemmt warf sie sich an seine Brust und brachte sie beide damit gefährlich ins Straucheln. „Papa…“, nuschelte sie in sein Hemd hinein und unterdrückte ein glückliches Schluchzen. „Meine Momoko…“, flüsterte er zärtlich und streichelte ihr über den Kopf und den Rücken. Ungern lockerte sie ihren Klammergriff, damit sie ihm ins Gesicht schauen konnte. Shôichirô war blass und schmal geworden, doch sein Haar und seine Haut machten einen gepflegten Eindruck. Er roch nicht mehr muffig oder nach einer Alkoholfahne, sondern wie ihr Vater, gemischt mit dem typischen Krankenhausgeruch. „Wie geht es dir?“, wollte sie wissen. „Besser, danke.“, antwortete er ruhig und schaute an ihr vorbei, nach hinten. Seinem Blick folgend erkannte sie Takuro, der lächelnd und mit einer Hand lässig in der Hosentasche, zu ihnen aufschloss. „Ah, darf ich vorstellen? Das ist Takuro Amano.“, erklärte die junge Frau rasch und wand sich aus der Umarmung. Er streckte seine Hand wie auf Knopfdruck nach vorne aus und ihr Vater ergriff sie höflich zu einem festen Händedruck. „Amano-kun, natürlich. Ich bin Shoîchirô Hanasaki, Momokos Vater.“ Der Jüngere nickte wissend und verbeugte sich kurz respektvoll. „Kennt ihr euch?“, fragte Momoko verwirrt. „Nicht persönlich, aber ich habe gehört, dass ich es der Familie Amano zu verdanken habe, dass ich hier sein kann.“, erklärte ihr Vater freundlich, aber sein Blick war undefinierbar, irgendwie fragend und analytisch. So wie ein Vater wohl einen jungen Mann ansah, der gemeinsam mit seiner gleichaltrigen Tochter bei ihm auftauchte. „Setzen wir uns doch.“, schlug der Schwarzhaarige vor und verwies auf die Sessel. Momoko und Takuro setzten sich Shôichirô gegenüber, der sie beide interessiert musterte. „Ich freue mich, dass ihr mich mit eurem Besuch beehrt. Hier drin kann es ganz schön einsam sein.“, begann er das Gespräch. „Behandelt man dich denn gut?“, erkundigte sich seine Tochter. „Angemessen, aber was will ich auch erwarten? Es ist schwer, Momoko. Doch man kümmert sich gut um uns Patienten hier. Es wird von Tag zu Tag besser.“ „Wenn es Ihnen an etwas fehlt, dann lassen Sie es mich oder meine Familie wissen. Wir kümmern uns darum.“ Takuros großzügiges Angebot verschaffte ihm wieder einen durchdringenden Blick seitens Momokos Vaters. „Entschuldigt, wenn ich unseren kleinen Smalltalk etwas unangenehm unterbrechen muss, aber wie komme ich denn überhaupt zu der Ehre? Ich wüsste nicht, in welcher Verbindung unsere beiden Familien zueinander stehen.“, stellte der erwachsene Mann ernst fest. „Papa, das ist eine längere Geschichte…“, fing Momoko zögerlich an und faltete dabei nervös ihre Hände in ihrem Schoß zusammen. „Takuro ist mit mir auf die Hanazono Gakuen Jr. High gegangen. Er war in einer Parallelklasse. Wir haben schon seit einigen Monaten wieder engeren Kontakt zueinander.“ Gegen Ende ihrer Ausführungen geriet ihr Redefluss deutlich ins Stocken. Der typisch väterliche Blick war ihr schrecklich peinlich und je mehr sie erklärte, desto verlegender wurde sie. Errötet und hilfesuchend sah sie ihren Verlobten an, der verstehend nickte. Selbstbewusst legte er seine rechte Hand auf ihre, die nun auf der Sessellehne ruhte. „Hanasaki-san, es mag Ihnen merkwürdig und unpassend vorkommen, doch wir möchten Ihnen sagen, dass wir beide schon eine ganze Weile verlobt sind. Der schwierigen Umstände halber, haben wir bis heute damit gewartet, es Ihnen endlich zu sagen.“ Mit heißen Ohren und glühenden Wangen, schmulte Momoko durch die Wimpern ihrer gesenkten Lider zu ihrem Vater hinüber. Dieser saß wie vom Donner gerührt, steif und unbeweglich, in seinem Sessel. Seine grünen Augen wanderten in Zeitlupe zu seiner Tochter hinüber. „Verlobt? So plötzlich? Mit 18 Jahren?“, fragte er mit unheimlich gefasster, leiser Stimme. „Naja, so plötzlich ist das ja gar nicht… wir kennen uns ja schon recht lange.“, versuchte Momoko zu scherzen. Takuro drückte ihre Hand noch etwas fester. „Ich versichere Ihnen, dass ich es mit ihrer Tochter ernst meine! Ich schwärme seit der Schule für sie und endlich hat sie mein Werben erhört.“ Einschleimend warf er ihr einen verliebten Blick zu, den sie vor Anspannung eher halbherzig erwiderte. „Ihr wollt also heiraten?“, hakte Shôichirô noch mal fassungslos nach. Die Rosahaarige schluckte einen Kloß im Hals herunter und nickte eifrig, Takuro tat es ihr nach. Ihr Vater blinzelte seine Lähmung hinfort und räusperte sich geräuschvoll. „Takuro-kun, richtig? Wärst du so gut mir ein paar Minuten alleine mit meiner Tochter zu geben?“ Zunächst verwirrt, stand der Schwarzhaarige auf und glättete nervös seine Krawatte. „Natürlich. Soll ich uns etwas zu Trinken besorgen?“ „Gern, einen Kaffee bitte.“, bestätigte der gesetzte Erwachsene trocken. „Für mich eine heiße Schokolade oder Tee, bitte.“ Momoko schwante ein ernstes Gespräch. Das fand sie etwas ungerecht – waren es nicht sonst immer die Schwiegersöhne in spe, die sich der Brautvater im Einzelgespräch zur Brust nahm?! „Gern, ich bin gleich wieder da.“, verabschiedete sich Takuro mit respektvollem Unterton. „Lass dir Zeit.“, rief ihm Shôichirô hinterher und konnte sich dabei ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Seine Tochter musste es erwidern, als sie beobachtete, wie stocksteif sich ihr Gefährte aus dem Besuchsraum bewegte. „Nun zu dir, Kind.“ Sie seufzte schwer und begann an ihrem Verlobungsring herumzudrehen. Ihn fasste ihr Vater als nächstes ins Visier. „Zeig doch mal her, deinen Ring.“, forderte er unvermittelt, aber lieb und beugte sich zu ihr über den Tisch. Ohne Widerworte hielt Momoko ihm ihren ausgestreckten Arm hin, damit er den ovalen, roten Edelstein perfekt betrachten konnte. Ebenfalls seufzend begutachtete er das schöne Schmuckstück und sah dann etwas betreten seiner Tochter in die Augen. „Verlobt also, ja? Und das ohne mich zu fragen.“ Zu ihrem Glück verriet seine Miene, dass er das nicht halb so ernst meinte, wie er es sagte. „Du warst fast nie da und wenn doch, dann in einem so schrecklichen Zustand… ich fand nie den richtigen Zeitpunkt, um dir davon zu erzählen.“ „Du musst dich nicht entschuldigen, ich muss eine wahnsinnige Last für dich gewesen sein. Ich habe dich mit all unseren finanziellen Sorgen allein gelassen und dir das Leben auch noch zusätzlich schwer gemacht. Du bist im Abschlussjahr, du solltest für deine Prüfungen lernen, anstatt Nebenjobs annehmen zu müssen.“ Bedauern zeichnete sich in seinem Blick ab. „Das macht mir nichts aus! Hauptsache, du wirst jetzt wieder ganz gesund.“ „Ach Momoko… womit habe ich eine so tolle Tochter wie dich verdient?“ Seine Augen glänzten feucht und auch sie musste inne halten, um keine Tränen zu vergießen. „Ich bin ja nicht ganz auf mich gestellt, ich habe ja Takuro.“ Shôichirô zog die Stirn in Falten. „Seine Familie zahlt meinen Aufenthalt hier. Er hat also Geld, ja?“ „Äh, also… nicht direkt. Er hat wohlhabende Angehörige in Amerika. Dort hatte er ein Austauschjahr, weil seine Noten immer ausgezeichnet sind und er viel Talent im Programmieren hat. Seine Verwandten wollen, dass er in ihr Unternehmen einsteigt und dort eine höhere Position einnimmt. Von dem Gehalt kann man dann sicher sehr gut leben.“ „Amerika? Momoko, du willst doch nicht etwa auswandern?“, hinterfragte ihr Vater schockiert. „Papa! Das ist noch gar nicht spruchreif, wir müssen erstmal unseren Abschluss schaffen und dann wollten wir noch studieren… was danach ist, werden wir sehen.“, rechtfertigte sie sich energisch. Über die Möglichkeit, dass sie Japan irgendwann den Rücken kehren würde, wollte sie am liebsten selber gar nicht nachdenken. „Wann wolltet ihr denn heiraten?“ Die junge Frau errötete wieder. „Direkt nach dem Abschluss…“, nuschelte sie. Mit einem Uff lehnte sich ihr Vater wieder an und massierte seine Schläfen. „Warum denn die Eile? Wartet damit doch noch bis nach dem Studium, ihr beide seid doch noch blutjung.“ Momoko grub ihre Finger in ihren Rock. Eilig hatte auch sie es nicht, aber wie sollte sie ihrem Vater erklären, dass Takuro das so wollte? Das es sich bei ihrer Verlobung um einen Vertrag mit gewissen Bedingungen handelte und es nicht allein um romantische Gefühle ging? „Er wünscht es sich so.“, erwiderte sie leise. Misstrauisch runzelte ihr Gegenüber die Stirn. „Und was wünschst du dir?“ Irritiert sah sie auf. „Was? Wie meinst du das?“ „Liebling… Ich mag etwas benommen von den Medikamenten sein, die sie mir hier geben, aber ich kenne doch mein eigenes Kind. Seit wann bist du so lammfromm? Früher hättest du deine Pläne laut in die Welt verkündet und niemanden einen Zweifel daran gelassen, dass dies genau das ist, was du willst.“ „Nein, gar nicht wahr! Es ist alles bestens!“, widersprach Momoko, die sich tatsächlich ein bisschen wie ein kleines Kind fühlte, das ermahnt wurde. Ihr Vater blieb beharrlich und musterte sie besorgt. „Aber seit du hier bist, habe ich deine Augen noch nicht ein Mal aufrichtig leuchten sehen.“ Seine Tochter erblasste. „Weißt du, es ist zwar lange her, aber ich weiß noch ganz genau, wie deine Mutter mich immer angesehen hat, als wir noch frisch verliebt waren. Dieses Funkeln in ihrem Blick, allein schon, wenn ich nur ihre Hand nahm… das werde ich nie vergessen.“ Momoko wusste sofort welches Funkeln und Leuchten er meinte, denn sie sah es jetzt gerade in seinen Augen, während er sich an diese glückliche Zeit erinnerte. „Ich bin glücklich, keine Sorge.“, versuchte sie ihn zu beruhigen und lächelte so zuversichtlich wie nur irgendwie möglich. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihren Worten Glauben zu schenken. „Es ist nur so; ich will nicht, dass du einen Fehler machst. Wenn du das nur machst, weil wir zurzeit Geldsorgen haben, dann möchte ich das nicht! Selbst wenn es Jahre dauert die Schulden abzubezahlen, deswegen musst du nicht auf die wahre Liebe verzichten! Ich habe dir schon genug zugemutet und abverlangt.“ Die Blauäugige wich seinem Blick aus und holte tief Luft. Es war beängstigend wie gut ihr Vater sie kannte, doch wenn er sie durchschaute, gefährdete er alles worum sie sich mit aller Kraft bemühte. „So ist es aber nicht. Wirklich nicht.“ „Dann liebst du diesen Jungen?“ „Natürlich.“ Mist! Ihre Antwort kam zu zögerlich, einen winzigen Moment hatte sie zu lange überlegt. Shôichirô entging diese Feinheit in ihrer Reaktion nicht, doch er schwieg und sah sie einfach nur an. „Da bin ich wieder!“, unterbrach sie Takuro, der mit den bestellten Heißgetränken wieder zu ihnen an den Tisch zurückkehrte. „Ich bin doch hoffentlich lange genug abwesend gewesen?“ „Sicher.“, entgegnete sein zukünftiger Schwiegervater kühl. „Wir haben gerade davon gesprochen wie wundervoll die Liebe doch ist. Nicht wahr, Momoko?“ Er machte unfaire Anspielungen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen warf sie ihm einen anklagenden Blick zu. „Ja, haben wir. Du kommst also genau richtig.“, gab sie knapp zurück und griff nach ihrer heißen Schokolade. „Schon erstaunlich, wie warm einem ums Herz wird und sich der Puls beschleunigt, wenn wir in der Nähe unserer Liebsten sein können. Diese Sehnsucht kann Segen und Fluch zugleich sein.“, fügte ihr Vater noch hinzu. Das war ganz klar eine Botschaft, die sie dazu bringen sollte darüber nachzudenken, ob es ihr mit Takuro genau so ging. Momoko musste darüber aber nicht nachdenken, denn sie wusste schon längst, dass dem nicht so war. Aber es war auch nicht wichtig, nicht mehr… Denn ein Herz, das so fühlte, war verletzlich und schwach. Diesen Schmerz, wenn die eigenen Gefühle enttäuscht wurden, wollte sie sich ein für alle Mal ersparen. Sie war ohne Liebe besser dran. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)