~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 11: Longing ------------------- Es war wie ein schlechter Film. Momoko sah tatenlos zu wie drei Männer in hellen, sterilen Uniformen ihren Vater, der sich lautstark mit Händen und Füßen wehrte, in einen Krankenwagen beförderten. Einer von ihnen zückte nach zu viel Widerstand eine Spritze und jagte sie direkt in eine Armvene Shôichirôs, woraufhin er sofort ruhiger wurde und sich fast schon willenlos in das Auto bewegte. Die Türen des Wagens schlossen sich hinter ihm und seinen Begleitern und man fuhr mit Blaulicht leise davon. Seine zurückgelassene Tochter fühlte sich schrecklich, doch es war das Beste so. Bestätigend legte sich ein Arm um ihre Schulter. Ihre Augen blickten auf zu Takuro, der sie mit einem tröstlichen Lächeln bedachte. „Keine Sorge, die Klinik, in die man ihn bringt, ist spezialisiert auf Alkoholismus und Depressionen. Man wird ihm dort ganz sicher helfen können wieder auf die Beine zu kommen.“ Die Blauäugige schüttelte sich kurz unwillkürlich; die Nacht war kalt und sie fühlte sich so unglaublich erschöpft und müde. So viel war in so kurzer Zeit passiert… „Ich danke dir, wirklich.“, flüsterte sie mit matter Stimme und ging wieder ins Haus, wohin Takuro ihr direkt folgte. „Was hast du?“, fragte er sie, als sie drinnen zu der Stelle sah, wo sie das Erbrochene ihres Vaters noch vor kurzem aufgewischt hatte. Was war nur aus ihrem Leben geworden? „Ich bin nur durcheinander… und ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll für das, was du für meinen Vater tust.“ Sie mied seinen Blick, aber wusste, dass er sie ganz sicher anlächelte, weil er ihre Hände in seine nahm und für einen respektvollen Kuss an seine Lippen führte. „Das ist doch selbstverständlich, schließlich ist er mein zukünftiger Schwiegervater und du meine baldige Frau.“ Momoko rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Tut mir leid, es fällt mir angesichts der Ereignisse schwer, mich so darüber zu freuen wie du es tust.“ Takuro seufzte traurig. Schweigend standen sie mitten im leeren Wohnzimmer, Momoko schaute nach wie vor leer in andere Richtungen als er, der sehr sehnsüchtig ihr Gesicht fixierte. „Ich möchte mit dir ausgehen.“, durchbrach der die Stille. Zum ersten Mal sah die Blauäugige mit etwas Leben in den Augen zu ihm auf und erwiderte seinen Blick ohne auszuweichen. „Schon länger möchte ich viel mehr Zeit mit dir verbringen. Wir unternehmen viel zu wenig, ich sehe dich - meine Verlobte – kaum noch. Lass mich dich ablenken und dir noch ein bisschen mehr von mir und meiner neuen Welt zeigen, die schließlich auch bald deine sein wird.“ Momoko wurde ganz verlegen, sie ahnte worauf das abzielte. Einladend schmunzelte er und drückte ermutigend ihre Finger. Vielleicht was das wirklich eine gute Idee, es war an der Zeit einen Schritt auf Takuro zuzugehen. Die Phase der Zurückhaltung war vorbei. „In Ordnung. Gern.“ Sie sah wie die Sonne in seinem Gesicht aufging bei ihrer Antwort. So ein ehrliches Strahlen war sie von dem blassen, jungen Mann gar nicht gewohnt, ihm musste wirklich etwas an ihr liegen und das versetzte ihr einen Stich im Herzen. „Du weißt ja gar nicht wie sehr mich deine Antwort freut!“, jubelte er glücklich. Ermutigt zog er sie dicht an sich heran und beugte sich zu ihr hinunter um sie zu küssen. Völlig überrumpelt war Momoko zunächst starr, doch im letzten Moment animierte sie ihr Unterbewusstsein dazu, ihr Gesicht wegzudrehen. Takuros Lippen trafen ihre rechte Wange. »Oh nein! Das war falsch von mir!«, war das Erste, was sie erschrocken dachte. Und sie hatte Recht, ihre abwehrende Reaktion hatte die Miene ihres Verlobten sofort gefrieren lassen. Sie konnte ihn noch so beschwichtigend ansehen, sein Blick zeugte überdeutlich von seiner Verstimmung. Da war sie wieder; Takuros dunkle Seite. „Tut mir leid, du hast mich so überrascht!“, versuchte Momoko sich zu erklären, aber sie selbst hörte die Lüge in ihren Worten, wie sollte er es dann glauben können? Sein Griff um ihre Handgelenke wurde fester und fordernder. „Was stimmt nicht mit mir, dass du mich immer wieder zurückweist? Ich versprach dir geduldig zu sein, aber ich habe schon seit längerem den Eindruck, dass du gar nicht vor hast mir dein Herz zu öffnen! Als ich dich bat meine Frau zu werden hast du ja gesagt und ich möchte dir wirklich die Welt zu Füßen legen, deinem Vater helfen, euch mit euren finanziellen Problemen helfen… aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr von dir zurück bekomme, als brüderliche Dankbarkeit! Aber das reicht mir nicht mehr, Momoko.“ Er klang so eindringlich wie einschüchternd, mit flackernden Augen sah sie ihn an und suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten, aber sie fand nichts. Außer der Erkenntnis, dass er Recht hatte. Er wollte doch nur ein bisschen Zuneigung für all die Freundlichkeit, die er ihr entgegen brachte. Sie war schließlich seine Verlobte. Resignierend schlug sie die Augen nieder und ließ die Schultern hängen. „Es tut mir leid, natürlich darfst du mich küssen. Ich war einfach nur so überrumpelt, die Situation ist so skurril, weil eben mein Vater abgeholt wurde, das ist alles.“, sagte sie und hob ihm tapfer ihr Kinn entgegen. Mit geschlossenen Augen wartete sie auf Takuro, bereit ihm das zu geben was er von ihr wollte. Der Sturm, der in ihrem Magen tobte, um sich gegen das was sie tat zu wehren, wurde von ihrem Entschluss, die Sache mit der Hochzeit durchzuziehen, niedergekämpft. Sichtlich verblüfft musterte der Brillenträger seine Angebetete, die sich auf einmal gar nicht mehr zierte und sich ihm sogar darbot. Eine endlose Sekunde lang dachte er wirklich daran sie einfach zu küssen. Seine Hände streichelten ihr Gesicht, seine Finger glitten zu ihrem Haaransatz, wo sie sich in ihr offenes Haar gruben, das seidig schimmernd über ihren Rücken fiel. „Du bist wunderschön.“, raunte er bewundernd. Momoko zitterte angespannt, sie hoffte er würde es einfach endlich tun. Es war nur ein Kuss und trotzdem, sie hatte sich das immer anders vorgestellt. Sie wünschte sich mehr Gefühl dabei, ein Kribbeln oder so etwas wie Sehnsucht nach dem anderen. Stattdessen fühlte sie sich genötigt, aber hatte sie eine Wahl? „Ich danke dir für dein Zukommen auf mich, aber heute werde ich dir noch nicht deinen ersten Kuss stibitzen.“ Verunsichert schlug Momoko ihre Augen auf, hatte sie etwas falsch gemacht? Takuro betrachtete sie eingehend und fuhr dabei verträumt mit seinem rechten Daumen über ihre Unterlippe. „Du hast eine schönere Atmosphäre verdient als das hier. Verzeih meine Taktlosigkeit, ich habe mich von meinem Verlangen nach dir hinreißen lassen.“ Satt ihrer Lippen küsste er den Ring an ihrem Finger. Sie konnte gar nicht anders als zu erröten. Vielleicht hatte sie sich in Takuro doch getäuscht und er war am Ende ein netter, anständiger Mann, der sie wirklich einfach nur liebte? „Es tut mir leid… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“, gab sie zu. „Nichts muss dir leid tun. Sag mir, was würde dir denn Spaß machen? Ein Date ist doch ein viel besserer Anlass für einen Kuss.“ Verheißungsvoll zwinkerte er ihr zu; automatisch zog sich wieder etwas in ihr unangenehm zusammen. Momoko schluckte das grässliche Gefühl hinunter und überlegte. „Weißt du was, überrasch mich einfach.“, sagte sie leichthin. Takuro war etwas verblüfft über diese Antwort, aber nicht unzufrieden. Er mochte es die Fäden in der Hand zu halten. „Dann lass mich dich nächsten Sonntag ausführen. Ich überlege mir etwas Schönes für uns.“ „Ja…“, entgegnete die Blauäugige verhalten glücklich. Zu ihrem Glück musste auch Takuro am nächsten Tag genau wie sie wieder zur Schule, weswegen er sich nach ihrem Gespräch von ihr überschwänglich verabschiedete. Nachdem sie ihn dann zur Tür hinaus begleitet- und diese anschließend hinter sich verschlossen hatte, holte sie tief Luft und ließ ihren Kopf in ihren Nacken fallen. »Oh mein Gott, jetzt wird es ernst.«, dachte sie bei sich und versuchte sich zeitgleich vorzustellen, wie so ein Date mit diesem ehrgeizigen Mann wohl aussehen würde. Natürlich waren sie schon einige Male vor ihrer Verlobung miteinander ausgegangen, aber das waren normale Treffen an gewöhnlichen Orten gewesen, ohne das sie sich jemals besonders nahe gekommen waren. Dieses Date würde anders werden, denn Takuro wollte mehr. Bei dem Gedanken daran wurde das grässliche Gefühl in ihrer Brust wieder schlimmer, Momoko schlang ihre Arme um sich herum und kämpfte dagegen an, doch jetzt, wo sie allein war, gelang es ihr einfach nicht. Sie hatte Angst, sie wollte nicht. Nicht so. Nicht mit ihm. Waren Beziehungen so? Hatte jeder Angst vor den ersten, intimeren Kontakten mit dem Partner? Manchmal bereute sie es früher nie dem Werben eines anderen Jungen nachgegeben zu haben und deswegen noch völlig unerfahren in Sachen Beziehung und Liebe zu sein. Doch sie hatte immer geglaubt, dass der Richtige für solche Dinge noch kommen würde. Aber er war nie gekommen, oder war er es doch und sie erkannte ihn in Takuro einfach nicht wieder? Sie sollte Yuri fragen, sie hatte schließlich Kazuya und deswegen bestimmt einen guten Rat übrig… doch sie waren zerstritten und Takuro hatte Recht; wo waren ihre Freunde gewesen, als die Probleme mit ihrem Vater begannen? Sie waren mit sich selbst und ihren ach so perfekten, glücklichen Leben und Freunden beschäftigt gewesen. »Du musst wohl alleine klarkommen.«, flüsterte die kleine Stimme in ihrem Kopf ihr zu. Momoko wollte an etwas anderes denken. Sie müsste eigentlich erleichtert sein, dass ihrem Vater jetzt endlich geholfen wurde und das nun nicht mehr auf ihr lastete, aber stattdessen badete sie in Selbstmitleid. „Liebe wird überbewertet!“, sagte sie entschlossen, löschte das Licht im Wohnzimmer und ging wieder hinauf in ihr Zimmer, wo ihr Bett auf sie wartete. Im Schein des Mondes, der durch ihr Fenster fiel, lag sie noch lange wach und dachte über Takuros Berührungen nach, die ihr so viel Unwohlsein bescherten. Es wäre alles weniger kompliziert und verwirrend, wenn sich nicht immer wieder in ihr Unterbewusstsein die Erinnerung daran schleichen würde, dass sich derartiger Körperkontakt auch ganz anders anfühlen konnte. Stöhnend kniff sie ihre Augen zu, so als ob es das Bild von jenem, braunhaarigen Jungen verschwinden lassen könnte und zog sich die Zudecke über den Kopf. Doch das durchdringende Funkeln seiner Augen verfolgte sie auch dorthin. Der Klang seiner Stimme war gegenwärtig in der Stille ihres Jugendzimmers und wenn sie gegen den Stoff ihrer Decke atmete, fühlte es sich fast so an, als könnte sie wieder seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Ein Schauer kroch von ihrem Rücken hinauf bis über ihre Kopfhaut. Momoko biss sich auf die Unterlippe und hielt sich selber fest; dieses Gefühl war so anders als alles was sie bisher kennengelernt hatte, aber so fremd und neu es auch war, es war irgendwie angenehm. Irgendwie aufregend. Sie seufzte lang und schlug die Augen wieder auf. Es war ihr unmöglich Yosuke aus ihren Gedanken zu löschen, nachdem so viele von diesen kleinen Dingen zwischen ihnen passiert waren. Obwohl schon 14 Tage vergangen waren… Es war als fühlte sie noch immer seine warmen, ruhigen Finger ihre Waden und Oberschenkel hinaufwandern. Sofort bekam sie erneut eine Gänsehaut und wünschte sich in diesem kurzen Moment der Schwäche, dass sie sich so elektrisiert auch in Takuros Nähe fühlen würde. »Schluss jetzt damit! Ich muss aufhören Vergleiche zwischen meinem Verlobten und meinem Ex-Erzfeind zu ziehen! Schlimm genug, dass ich mich nicht gegen Yosukes Charme gewehrt habe…«, rüffelte sie sich und versuchte grummelnd in den Schlaf zu finden. Ihm war heiß, sein Puls raste und sein Atem ging schnell. Sein ganzer Körper glühte vor Erregung, als er ihren langen Hals hinunter strich, ihr Schlüsselbein mit Küssen bedeckte und dann mit seinen Lippen hinunter zur tiefsten Stelle zwischen ihren Brüsten wanderte. Er ließ seine Hände weiter unten an den Außenseiten ihrer Schenkel hoch bis zu ihrer Hüfte gleiten und ließ sein Becken in ihren Schoß sinken. Sie war so warm, duftete so gut… er musste sie haben, hier und jetzt. Leise stöhnend hob er seinen Oberkörper um ihr in die blauen Augen zu sehen. Yosuke schlug die Augen auf und fand nichts weiter vor als die Dunkelheit der Nacht. Erbarmungslos steril begegnete ihm der Anblick seiner weißen Zimmerdecke, die in dem wenigen Licht in schalem Grau erstrahlte. Dort war nichts von dem leuchtenden Blau, das er gehofft hatte zu sehen. »Schon wieder so ein Traum!« Er fasste sich an seine vom Schweiß feuchte Stirn. Als das Gefühl in seinen Gliedern zurückkehrte, spürte er unterhalb der Gürtellinie auch überdeutlich die Reaktion seines Körpers auf seine Fantasien pochen. „Verdammt!“, fluchte er leise und versuchte an etwas äußerst Abturnendes zu denken. Sein letztes Mal war nun schon fast ganze drei Wochen her, also war ein erotischer Traum eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber hätte er sich dann nicht nach roten, statt blauen Augen verzehren müssen? Es war wieder nicht Hiromi, der sein Verlangen galt. Und es war auch nicht sein erster Traum dieser Art gewesen. »Vergiss sie doch endlich!«, ermahnte er sich selbst und begann sich im Bett zu wälzen. Yosuke hatte gehofft, dass die Zeit und der Abstand zu den Ereignissen mit Momoko schon von allein dafür sorgen würden, dass sie immer mehr in Vergessenheit geraten würde und er sein normales Leben wieder aufnehmen konnte, doch dem war nicht so. Es war viel mehr so, dass sich sein Unterbewusstsein vor allem nachts einen Spaß daraus machte, seine Erinnerungen an die körperliche Anziehungskraft der Blauäugigen zu forcieren. All die zweideutigen Momente zwischen ihm und ihr kamen ihm nach all der Zeit deswegen viel intensiver vor, als sie es wahrscheinlich gewesen waren. Sein abstinenter, junger, heißblütiger Körper spielte ihm einfach einen üblen Streich. Hormone konnten echte Arschlöcher sein! Ein wenig hoffte er, dass Hiromi sich bald entschloss wieder nach Hause zu kommen, damit er seine sexuelle Energie entladen- und wieder klar denken konnte. Gleichzeitig verabscheute er sich für diese Gedanken, denn es war mies und unfair, so etwas zu denken oder gar zu tun. Zumal er sich im Augenblick nicht mal sicher war, ob es einen Sinn machte weiterhin eine Beziehung mit seiner Freundin zu führen, wenn er heimlich immer wieder von einer anderen träumte, die er nicht mal liebte und auch nicht mehr wiedersehen würde. »Liebe ich denn Hiromi überhaupt noch?« Er fühlte sich alleingelassen und einsam, aber bedeutete das auch, dass er sie noch liebte? Der Nachwuchssportler ahnte, dass es mit dem Einschlafen bis zum Weckerklingeln wohl nichts mehr werden würde… was für ein bescheidener Start in die Woche. Wie jeden zweiten Tag in der Woche hetzte Momoko nach der Schule direkt zu dem Maid Café, in dem sie nachmittags jobbte. „Hallo Hanasaki-chan.“, begrüßte sie wie immer ihre Chefin, die ihr pechschwarzes Haar heute hochgesteckt trug. „Guten Tag, ich bin doch nicht zu spät?“ Geschäftig schlüpfte die Rosahaarige aus ihrer Schuluniform, die sie gegen ihr Maidkostüm tauschte. Ihre Vorgesetzte sah ihr lächelnd beim Umziehen zu, sie hielt dabei eine gerollte Zeitung in der Hand. „Ich habe noch eine Überraschung für dich.“, kündigte sie an. Momoko, die gerade ihr Kleid übergezogen hatte und alles richtete, sah die hochgewachsene Frau neugierig an. „Eine Überraschung? Für mich?“, fragte sie ungläubig. „Du kamst mir in letzter Zeit etwas still und bedrückt vor… und ich dachte mir, dass das vielleicht mit dem jungen Mann von neulich zusammenhängen könnte.“ »Oh nein. Bitte nicht.«, dachte die Schülerin nur und ließ alle Gesichtszüge entgleiten. „Oh, du wirst ja ganz blass? Dabei habe ich ja noch gar nicht erzählt, um was es genau geht.“, bemerkte ihre Chefin enttäuscht. „Das liegt daran, weil wir… also er und ich, nichts mehr miteinander zu tun haben. Sie haben sich sicher ganz umsonst irgendwelche Umstände bereitet.“ „Hmm… wenn das so ist, dann kann ich den Zeitungsartikel hier ja auch wegwerfen, nicht wahr?“ Die intelligente Frau wusste ganz genau wie sie spielen musste, um Momokos Interesse zu wecken. Tatsächlich haftete ihr Blick sofort an der Zeitung in ihrer Hand. „Was… was ist denn das für ein Artikel?“, fragte sie widerwillig, aber doch eindeutig zu neugierig. Ihre Vorgesetzte grinste breit. „Das ist die Schülerzeitung meiner kleinen Schwester. Ich habe sie neulich entdeckt, als ich das Altpapier entsorgt habe.“, sie entrollte das Papier und zeigte mit dem Zeigefinger auf ein auffälliges Foto auf der Titelseite. Momoko erkannte sofort das Motiv, solche Fotos hatte sie in ihrer Zeit an der Mittelschule zu hunderten geschossen; ein Fußballer der sich im Sprung nach dem Ball ausstreckte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sie Yosuke in ihm erkannte. Genau wie früher, nur älter, attraktiver und in einem anderen Trikot. „So wie es aussieht geht dieser Junge auf dieselbe Schule wie meine Schwester, ist das nicht ein Zufall? Wusstest du denn, wo er zur Schule geht?“ Die Angesprochene schüttelte den Kopf und zog sich weiter um, so tuend als würde sie das gar nicht interessieren. „Wusste ich nicht, ist mir aber auch egal.“, sagte sie bekräftigend. „Tatsächlich? Schade. Ich dachte, es würde dich interessieren, falls du ein paar Dinge mal mit ihm klären möchtest, ohne das seine Freundin dabei ist.“, entgegnete ihre Chefin, die sich selber das Foto noch mal eingehend ansah. „Also wenn ich noch mal so jung wäre wie du, wäre er ja total mein Typ gewesen! Wart ihr mal zusammen?“ „Wir?! Zusammen? Oh nein, wir waren uns spinnefeind! Das habe ich doch schon mal erwähnt…“ „Und du bist dir sicher, dass er nicht der Grund dafür ist, dass du so betrübt bist?“ Momoko sah der ehrlich besorgten Frau fest in die Augen, einen Moment lang zögernd, was sie darauf antworten sollte. Dann schaute sie auf ihren beringten Ringfinger, den sie sich nervös rieb. „Nein… es liegt an meinen familiären Problemen. Gestern wurde mein Vater abgeholt und in eine Klinik für Suchtkranke gebracht.“ Ihre Chefin holte geschockt Luft. „Oh Momoko, das tut mir sehr leid! Ich hatte ja keine Ahnung! Geht es dir denn gut?“ „Ich komme klar. Ich habe jemanden, der sich um mich kümmert.“ Mit einem traurigen Lächeln präsentierte sie ihren Verlobungsring, der ja schon seit Wochen eigentlich nicht zu übersehen war. „So ist das also… verstehe… Dann entschuldige bitte, dass ich dir mit diesem Zeitungsartikel auf die Nerven gegangen bin. Ich dachte wirklich, es liegt daran, dass du vielleicht Liebeskummer oder so etwas hast…“ „Nein, nein. Wirklich nicht, aber wie kommen Sie denn darauf überhaupt?“ „Nun… ich habe die Szene wo er hier zu Gast war etwas beobachten können… auch wie er dir gefolgt ist.“ Die Hilfskellnerin wurde schlagartig rot und der Mund klappte ihr auf; ihre Chefin hatte also alles gesehen! Und sie wusste auch, dass sie sie angelogen hatte, als sie behauptet hatte, sie wäre alleine auf der Toilette! Doch ihre Vorgesetzte lächelte sie nur beschwichtigend an anstatt ihr eine Strafpredigt zu halten. „Keine Sorge, ich bin nicht böse. Allerdings bin ich jetzt etwas verwirrt. Ich sah euch, ich beobachtete dich… und jetzt erfahre ich von deinem Vater und der Bedeutung deines Ringes… Das ist glaube ich, etwas zu hoch für mich und es geht mich auch nichts an. Aber scheu dich nicht mir zu sagen, wenn du vielleicht mal einen Tag mehr frei brauchst, in Ordnung?“ So nett und verständnisvoll war schon lange niemand mehr zu ihr gewesen. Momoko musste schlucken um zu verhindern, dass Tränen in ihren Augen aufstiegen. Jetzt wurde ihr wieder bewusst, wie einsam sie eigentlich war. „Dankeschön.“, sagte sie mit krächzender Stimme und verbeugte sich kurz höflich. Die dunkelhaarige Frau legte die Zeitung auf den Tisch in der Umkleide und wendete sich zum Gehen um. „Wir sehen uns dann gleich im Lokal.“ „Ja, bis gleich.“, bestätigte Momoko zum Abschied und widmete sich nur ihrer Schürze und den Strümpfen, die sie noch anziehen musste. Als sie schlussendlich auch mit den kleinen Details ihrer Uniform fertig war und ihre Arbeit beginnen wollte, fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch mit der ausgebreiteten Zeitung. Einen kurzen Moment lang ließ sie sich dazu hinreißen, sie sich genauer anzusehen. Yosukes starker, konzentrierter Ausdruck war auf dem Foto viel lebendiger als in ihrer Erinnerung. Sie seufzte, nicht mal in ihrem Alltag entkam sie ihm, selbst auf dem Papier verfolgte er sie. Der dumpfe Schmerz der Einsamkeit und Sehnsucht pochte in ihrer Brust. „Warum tust du das…“, hatte sie ihn damals gefragt. „Weil ich immer noch denke, dass du zur Zeit wirklich einen guten Freund zum Reden gebrauchen kannst…“ Leider hatte er Recht. Tag zwei der Schulwoche war angebrochen. Mitte April waren die Außentemperaturen endlich etwas konstanter und vor allem wärmer. Die Sonne schien vom klaren, blauen Himmel angenehm hell und warm herab. Die Bäume und Sträucher hatten angefangen auszutreiben und die beliebten, japanischen Obstbäume hatten mit ihrer Blütezeit begonnen. Der Moment des Genießens war vorbei, als an Yosuke scharf geschossenes Leder vorbeisauste, das er mit ausgestreckter Faust noch gerade so abblocken konnte. „Gut gemacht, Fuma! Aber träum nicht so viel, sonst geht der nächste Schuss ins Tor!“, rief ihm einer seiner Mannschaftskameraden lachend über den Platz zu. Das Fußballfeld lag direkt hinter seiner Schule; eine offene Tribüne erstreckte sich auf der einen Seite und ließ das Schulgebäude hinter sich verschwinden. Trotz des guten Wetters trugen alle Spieler noch ihre langen Trikots, die dunkelblau mit weißen Streifen und Schriftzügen waren. Passend zu den Schuluniformen seiner Highschool. Yosuke grinste geschafft, aber selbstgefällig zurück, warf den Fußball vor sich in die Luft und schoss ihn mit dem rechten Fuß über das halbe Feld. „Wenn du ein Tor schießen willst, musst du schon wenigstens halb so gut schießen können wie ich!“, rief er prahlerisch zurück, seine Kollegen verstanden den Spaß aber und lachten ausgelassen darüber, während sie sich wieder hitzig den Ball zuspielten. Endlich war er wieder in seinem Element; Fußball lenkte ihn wirklich von allem ab, was ihn sonst so beschäftigte. Auf dem Platz war er zuhause, das Tor sein Heim. Es gab nichts Besseres als seine überschüssige Energie auf diese Weise auszuschwitzen und bei solchem Topwetter machte es auch noch so richtig Spaß! Es folgten noch so einige Angriffe auf sein Viereck, aber der Torwart war in Bestform und vereitelte jeden Schuss mit vollem Körpereinsatz. Die Sonne stand bereits in einem tieferen Winkel, der Nachmittag schien ihn blenden zu wollen, doch selbst das konnte ihn nicht bremsen. „Schaut mal, Besuch!“, hörte er einen Spieler rufen. Ein Anderer sah sich neugierig zur Tribüne um und pfiff anerkennend. „Hui, heißer Feger! Aber die ist nicht von unserer Schule!“, bemerkte dieser. Neugierig folgte Yosuke den Blicken der anderen hinauf in die oberen Reihen der Tribüne, wo ihn die Sonne erbarmungslos blendete. Er sah nicht viel mehr als eine weibliche Gestalt in einem Rock. „Kommt schon Jungs, nicht ablenken lassen!“, rief er seinen Kollegen zu und konzentrierte sich wieder aufs Ballgeschehen. Von Mädchen hatte er sich in letzter Zeit genug ablenken lassen. Ein langer Schuss wurde abgegeben, der Ball flog zielsicher auf ihn zu. Es war ein Kinderspiel diesen mit einem kräftigen Kick zu kontern. Aus dem Augenwinkel bemerkte er im selben Moment ein Aufblitzen, wie von einem Blitzlicht. Sein Herz stolperte bei diesem Gedanken und er strauchelte ungeschickt nach vorn. Kaum das er sich gefangen hatte, fuhr sein Kopf nochmals zur Tribüne herum. Das konnte nicht sein, oder doch? Wieder blinzelte er dem Sonnenlicht angestrengt entgegen, doch unter seinem Handschuh über den Augen, fand er endlich genug Schatten um besser sehen zu können. Das Mädchen, das dort oben Platz genommen hatte, ließ eine Kamera sinken und schaute lächelnd in seine Richtung. Sie hatte gelbe Schleifen in ihrem rosa Haar. „Pfirsichtörtchen…“, flüsterte er zu sich selbst und bekam vor Staunen den Mund gar nicht mehr zu. Mit tellergroßen Augen schaute er zu ihr hoch, unfähig sich zur rühren aus Angst, sie säße nach dem nächsten Blinzeln nicht mehr da. „Fuma! Achtung!“, brüllte jemand, doch er drehte sich zu spät um. Er sah noch das schwarzweiß wirbelnde Leder auf sich zu rasen, bevor es ihn mit voller Wucht am Kopf traf und von den Füßen holte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)