Amnesia Memories von Kyo_aka_Ne-chan (Geliebter Zwiespalt) ================================================================================ Kapitel 1: Eine ausgestreckte Hand ---------------------------------- Ukyo schreckte mit einem Aufschrei hoch in eine sitzende Position und das so schnell, dass sein schwarzer Hut mit einem leisen Wispern ins Gras fiel. Ukyos Herz pochte wie wild in seiner Brust und er brauchte ein paar Momente, um ins Hier und Jetzt zurück zu finden. „Schon wieder...“, flüsterte er leise und gepeinigt, während er versuchte, seinen Traum zu verarbeiten. Nur leider war es kein Traum, sondern die Realität. Ukyos Blick fiel auf seine Hände und ihm war immer noch so zumute, als ob Blut daran kleben würde. Das Blut von ihr... Ein erstickter Laut drang über die Lippen des jungen Mannes und seine Atmung beschleunigte sich. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen, schloss die Augen und versuchte, kontrolliert ein und auszuatmen, um die aufkommende Panik zu unterdrücken. Es dauerte länger als sonst... Endlich beruhigte sich Ukyo aber wieder und er ließ sich einen Moment danach zurück ins grüne Gras sinken. Seine Gedanken schweiften wie von allein wieder zu den Erlebnissen der letzten Tage zurück und er setzte sich wieder einmal damit auseinander. Er konnte nicht anders, als immer wieder über alles nachzudenken und darüber zu grübeln, was er jetzt tun sollte. Nachdem sein anderes Ich sie getötet hatte und Ukyo schließlich viel zu spät die Kontrolle zurückerlangt hatte, war alles ganz schnell gegangen. Er hatte versucht, noch etwas zu tun, um sie zu retten, doch sie hatte sich vor seinen Augen aufgelöst. Ihr Körper war zu Unmengen kleiner Lichter geworden und sie waren davon geflogen. Ukyo hatte schnell die Tür aufgeschlossen und war nach draußen in den Sturm gelaufen, nur um zu sehen, dass die leuchtenden Punkte in die dunklen Gewitterwolken geflogen waren. An jener Stelle war die Wolkendecke aufgerissen und hatte das Unwetter verschwinden lassen. Weiterhin war das Feuer an der Universität so plötzlich erloschen, wie es ausgebrochen war und Ukyo stand auf dem Glockenturm, während er zusehen musste, wie alles normal wurde. Er wusste nicht, wie oft er durch die Zeit gereist war, er wusste nicht mehr, wie oft er dabei getötet worden war und er wusste auch nicht, ob es nun wirklich das Ende seiner Reise durch die Welten war... aber er konnte gewisse Zeichen nicht ignorieren. Eines davon war, dass sein zweites Ich verschwunden war. Außerdem war er an all jenen Orten gewesen, an denen er in den Welten davor seinen Tod gefunden hatte. Nichts war passiert. Ukyo seufzte leise und öffnete die Augen, um in den klaren Sommerhimmel zu schauen. Ja, er lebte und es war der 27. August. Das war das Zeichen, dass der Zauber gebrochen war und er nicht mehr in den Welten nach ihr suchen konnte. Es gab nur noch diese eine Welt ohne sie... „Was soll das für eine Welt sein...?“, fragte sich Ukyo leise und der Schmerz nahm ihm die Luft zum Atmen. Er hatte sich noch nie so allein gefühlt wie in dieser Welt, wo es sie nicht mehr gab. All die Dinge, die vorher noch Sinn ergeben hatte, ergaben nun keinen Sinn mehr. Ukyo hatte die Lust an der Fotografie verloren und auch an den strahlend blauen Sommerhimmeln. Alles war einfach nur noch Grau in Grau und er fragte sich, ob dies irgendwann besser werden würde. Bisher bezweifelte er das und die Träume von seinen Gräueltaten waren der beste Beweis. //Genauso gut kann ich hier liegen bleiben, bis ich sterbe...//, dachte er düster, doch einen Moment später wusste er schon, dass er das nicht durchhalten würde. Sie hatte sein Leben gerettet und hatte mit ihrem letzten Atemzug von ihm verlangt, dass er glücklich wurde. Das hieß, dass er dieses Leben nicht verschwenden durfte, denn ansonsten trat er ihr Andenken mit Füßen. Ukyo erhob sich abermals seufzend in eine sitzende Position, schwang die Beine über den Randstein, der die Grünfläche umgab und stand auf. Er hob seinen Hut auf und setzte ihn auf seinen Kopf. Unschlüssig verharrte er und dachte erneut darüber nach, was er jetzt tun sollte. Vielleicht würde ein Spaziergang ihn aufheitern oder ihn zumindest so erschöpfen, dass er diese Nacht wieder tief und fest schlafen konnte. Sein zweites Ich war weg, also musste er keine Angst mehr davor haben, andere Menschen zu gefährden und ein großer Teil von ihm war dankbar dafür. Doch ein kleiner Teil war auch traurig darüber, denn ohne den anderen war er nun wirklich völlig allein. Der junge Mann begann zu laufen. Er wählte willkürlich eine Richtung aus und spazierte hier und dort entlang, nur damit die Zeit verging. Er kam recht bald im Park an, wo er immer gerne im Gras gelegen und sich den Himmel angesehen hatte, doch das reizte ihn heute nicht mehr. Also wandte Ukyo sich ab und ging weiter. Einem Impuls folgend betrat er den Wald, der still und dunkel vor sich hin existierte. Der Boden war uneben und schlammig, ein kleines Zeugnis der Regenfälle, die vor drei Tagen noch gewütet hatten. Trotzdem ging Ukyo weiter in den Wald hinein, bis er den kleinen Schrein und den Brunnen erreichte. Unbehagen überfiel ihn, als er an die vielen Male dachte, die er hier sein Ende gefunden hatte. Er erinnerte sich vor allem nicht gerne daran, wie er in den Brunnen gestoßen worden war. Der Grund des Brunnens hatte aus modrigem Schlamm bestanden und wenn man einmal feststeckte, dann kam man nicht mehr heraus. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er hektisch nach dem Ausweg, den es nicht gab, gesucht hatte und dabei immer mehr versunken war wie in Treibsand. Letztendlich war er erstickt... Ein kalter Schauer überlief Ukyos Rücken und er rannte einem Impuls folgend davon. Es war nicht gut, hier zu sein. So schnell er konnte, rannte er aus den Wald hinaus und rannte und rannte und rannte, so weit ihn seine Beine noch tragen wollten. Irgendwann musste er stehenbleiben, weil er schlimmes Seitenstechen bekam und er stützte die Hände auf seine Oberschenkel. Er beugte sich etwas nach unten und rang nach Luft, wobei seine Lungen brannten. Gierig sog er die Luft ein und nahm sich vor, nicht mehr in die Nähe des Waldes zu gehen. Zwar konnte ihm nun nichts mehr passieren, doch er wollte sich nicht allein auf dieses „Glück“ verlassen. Die Sonne war im Begriff unterzugehen, als Ukyo aufblickte und erkannte, dass er vor dem Gebäudekomplex stand, in dem sie einmal gewohnt hatte. Seines Wissens nach lebte in jener Wohnung niemand, denn er hatte keine Vorhänge an den Fenstern gesehen und es stand auch kein Name auf dem Klingelschild. Er war auch im Meido no Hitsuji gewesen, war aber gegangen, als er festgestellt hatte, dass sie dort zur gewohnten Zeit nicht auftauchte. Er hatte da seine letzte Hoffnung begraben, dass er in einer weiteren Welt gelandet war und dass es wieder von vorn losgehen würde. Aber es würde kein weiteres Mal geben, darauf wiesen alle Zeichen hin. Niedergeschlagen kehrte Ukyo zu der kleinen Grünfläche mitten in der Stadt zurück. Er legte sich wieder hin und schloss die Augen. Mehr blieb nicht zu tun... „Ikki, nun komm schon, Waka macht uns sonst noch die Hölle heiß!“, rief Shin ungeduldig, denn er war nicht scharf darauf, sich mit dem Chef des Meido no Hitsuji anzulegen. Er legte seinen Arbeitsweg immer mit den anderen zur gleichen Zeit am frühen Morgen zurück und es lief immer gleich ab, wenn sie Ikki von seiner Wohnung aus abholen wollten. „Gleich!“, rief Ikki zurück, nur um sich dann bei den Frauen zu entschuldigen, die vor seiner Wohnung auf ihn gewartet und ihn bis jetzt umringt hatten. „Entschuldigt, Ladys. Wir treffen uns heute Abend“, sagte er und zwinkerte den fünf Mädchen zu. Amüsiert gewahrte er, wie sie rot wurden und er lief hinter seinen Freunden her, um diese einzuholen. Shin hatte ja Recht, sie durften nicht zu spät kommen, sonst würde Waka Amok laufen und sie das ganze Lokal auf Hochglanz polieren lassen. „Ich verstehe nicht, warum du nicht schon längst die Polizei gerufen hast. Irgendwann brechen sie in deine Wohnung ein“, meinte Toma, während er, Shin, Ikki und Kent ihren Arbeitsweg einschlugen. „Ich bin nichts ohne meine Fans, wieso sollte ich sie verhaften oder sie von mir fernhalten wollen?“, lächelte Ikki, was bei den anderen für verstärktes Kopfschütteln sorgte. „Ich wusste zu 99%, dass du das sagen würdest“, seufzte Kent und schob mit einer fast schon automatischen Handbewegung seine Brille über den Nasenrücken. „Irgendwann geht das schief, Ikki“, warnte Shin, doch Ikki nahm das gar nicht ernst. „Dann kannst du es mir unter die Nase reiben. Aber bis dahin kümmere dich bitte um deinen eigenen Kram und lerne, die Gäste anzulächeln.“ Shin knurrte und war im Begriff auf Ikki loszugehen, doch Toma legte ihm eine Hand auf die Schulter und Shin beruhigte sich sofort wieder. Er wusste, dass Ikki es nicht böse meinte und dass dieser seine eigene Auffassung von Frauen hatte. Shin wusste das nicht erst seit gestern, aber manchmal ging ihm dieses Gehabe ganz schön auf die Nerven. „Hey, ist das dort drüben nicht Ukyo?“, fragte Ikki plötzlich und deutete auf einen schwarzen Fleck im Gras einer Grünfläche. Alle sahen genauer hin und bestätigten den Silberhaarigen. „Ich habe mich schon gefragt, was mit ihm ist. Er war schon lange nicht mehr bei uns“, überlegte Shin. „Vielleicht schmeckt es ihm bei uns nicht mehr“, meinte Shin, doch Kent schüttelte den Kopf und schob erneut seine Brille nach oben. „Das halte ich für unwahrscheinlich.“ Toma schaute nachdenklich zu dem Grünhaarigen hinüber und fasste einen Entschluss. „Geht schon mal vor. Ich frage ihn einfach mal. Sagt dem Chef, ich mache eine Kundenbefragung“, grinste der Blonde und machte sich schon auf den Weg zur Grünfläche. Die anderen beobachteten kurz das Schauspiel und erinnerten sich dann daran, dass sie ja auf Arbeit mussten. Schnellen Schrittes ging es weiter, während Toma seine eigenen Pläne hatte. Er blieb unmittelbar vor der Grünfläche stehen und betrachtete das Profil des jungen Mannes, während dieser schlief. //Er sieht erschöpft aus... vielleicht war er krank?//, dachte Toma, ehe er den anderen leicht anstupste. „Ukyo?“, fragte er sanft nach und einen Moment später schauten ihn schläfrige, grüne Augen an. „Oh... Toma. Was machst du hier?“, fragte der junge Fotograf nach und er richtete sich auf. „Das ist mein Arbeitsweg. Ich habe dich gesehen und dachte, ich erkundige mich, wann du mal wieder im Meido vorbeischaust. Der Chef vermisst die Gespräche mit dir“, lächelte Toma und registrierte Ukyos verspannte Haltung. Ob der andere häufig im Freien übernachtete? //Nun ja, es geht mich nichts an...//, dachte Toma, aber neugierig war er schon. „Nun, ich... vielleicht sollte ich mal wieder vorbeischauen, nicht wahr?“, antwortete Ukyo jetzt schwach lächelnd. „Weißt du was? Komm doch gleich mit? Ein Kaffee würde dich munterer machen“, schlug Toma vor und ganz selbstverständlich hielt er Ukyo eine Hand hin, um ihm beim Aufstehen helfen zu können. Ukyo schaute verdutzt auf die Hand und dann in Tomas Gesicht. Sah er etwa so schwach aus, dass er nicht mehr selbst aufstehen durfte? //Er meint es nicht so...//, rief Ukyo sich selbst zur Ordnung und musste zugeben, dass es vielleicht das Zeichen war, auf dass er gewartet hatte. Vielleicht war diese ausgestreckte Hand das Zeichen dafür, dass er diese Chance ergreifen und neue Erinnerungen an den Orten schaffen sollte, die mit ihr überlagert waren. So würde er unter Leute kommen und vielleicht würde er irgendwann in der Lage sein, zu vergessen. „Also?“, fragte Toma nach und hielt Ukyo weiter die Hand hin. Dieser ergriff die Hilfe zaghaft, aber doch mit festem Griff und Toma zog ihn mit einem Ruck auf die Füße. „Ich komme mit dir. Ein Kaffee klingt nicht übel...“, gab Ukyo leise zu und Toma freute sich, dass er den anderen hatte überreden können. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er den Morgen mit einer guten Tat begonnen hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)