Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 49: Talk with the devil ------------------------------- „Möchtest du einen neuen Rekord aufstellen?“ Carina runzelte die Stirn und steckte sich währenddessen eine weitere Gabel Spaghetti in den Mund. „Bitte?“, fragte sie nach und schaute Grell an, der auf seiner roten Bettwäsche saß und die langen Nudeln ebenfalls genüsslich aß. „Stell dich nicht dumm. Du weißt ganz genau, was ich meine, Carina.“ Seine gelbgrünen Augen funkelten sie hinter den Brillengläsern wütend an. „William hat dich bei mir in den höchsten Tönen gelobt und, ich zitiere: „Nehmen Sie sich besser einmal ein Beispiel an ihrer Schülerin Sutcliff.“ Als ich ihn daraufhin gefragt habe, was zur Hölle er damit meint, hat er mir deine Liste gezeigt.“ „Ach, hat er das?“, entgegnete die Schnitterin nervös und kaute nun ein wenig langsamer. Irgendwie fühlte sie sich ein wenig ertappt, immerhin hatte sie sowohl Grell als auch Alice versprochen, es am Anfang ein wenig langsamer angehen zu lassen. „Ja, hat er. 1120. 1120 Seelen, Carina! In 5 Wochen. Das sind im Durchschnitt 32 Seelen pro Tag. Hattest du eigentlich in der Zeit neben diesen ganzen Überstunden auch nur einen freien Tag oder hast du dir selbst das nicht gegönnt?“ Carinas Schweigen war an dieser Stelle wohl Antwort genug. „Das muss aufhören, Carina“, seufzte der Rothaarige und stellte den Teller auf den kleinen Tisch neben seinem Bett. „Ernsthaft, ich hab sowieso schon die ganze Zeit das Gefühl, dass du mir was verschweigst und dieser Arbeitswahn bestätigt doch nur, dass irgendetwas nicht stimmt. Kann es vielleicht sein, dass du William und mir nicht die ganze Wahrheit über deine Entführung gesagt hast?“ „Das bildest du dir ein“, antwortete Carina mit einer Stimme, die sich genau so steif anhörte, wie ihr ganzer Körper es war. Grell verschränkte die Arme. „Ich kann möglicherweise verstehen, dass du William angelogen hast, aber mich? Ich dachte wirklich du wüsstest, dass du mit mir über alles reden kannst. Immerhin bist du sowas wie meine kleine Schwester.“ Das schlechte Gewissen der jungen Frau meldete sich kreischend zurück und überrollte sie unmittelbar darauf wie ein entgleister Güterzug. „Das weiß ich doch, Grell. Wirklich! Das…also…das ist es doch…auch nicht…“, stotterte sie vor sich hin, doch jetzt war es zu spät. Der rothaarige Reaper war eingeschnappt und wenn er etwas gut konnte, dann war es das. „Ich werde jetzt baden gehen“, erwiderte er schnippisch und stand auf, grazil wie eh und je. „Wenn ich wieder komme, wirst du mir entweder erzählen was wirklich los ist oder du bist weg. Deine nächste Schicht fängt ja ohnehin bald an.“ „Aber Grell…“, begann die Blondine, jetzt schon beinahe ein wenig verzweifelt und schaute ihrem besten Freund bittend hinterher. Doch dieser ließ sich nicht erweichen. „Kein Aber. Und tauche hier nicht wieder auf, ehe du nicht dazu bereit bist mir die Wahrheit zu sagen“, fauchte er und knallte anschließend die Badezimmertür lautstark hinter sich zu. „Großartig gemacht, Carina. Das hast du ja ganz toll hinbekommen“, murmelte die 18-Jährige sich selbst zu und vergrub seufzend eine Hand in ihren Haaren. Innerlich haderte sie. Konnte sie Grell wirklich die Wahrheit sagen? Wie würde er reagieren? Würde er sie verstehen? Oder würde er sie viel mehr hassen? Immerhin hatte sie ihn angelogen und ihn grundlos wochenlang in Sorge um sie ausharren lassen. „Ich könnte es ihm nicht mal verübeln, wenn er danach nichts mehr mit mir zu tun haben will“, dachte sie deprimiert und stand langsam auf, während im Badezimmer der Wasserhahn auf volle Lautstärke aufgedreht wurde. Erst einmal musste sie ihre Schicht hinter sich bringen und vielleicht fiel ihr ja währenddessen eine Lösung ein. Möglicherweise konnte sie Grell etwas anderes erzählen. „Aber dann müsste ich ihn wieder anlügen. Und das könnte ich nicht mal mir selbst verzeihen“, murmelte sie und verließ die Wohnung ihres Mentors mit leisen Schritten. Die letzten 5 Wochen waren, wie Grell es bereits erwähnt hatte, ziemlich anstrengend für Carina gewesen. Dabei hatte sie sich diese Anstrengung selbst aufgebürdet. Jede Überstunde war immerhin eine Stunde, in der sie nicht von ihren Gefühlen und Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit dem Bestatter gequält wurde. Eine Stunde, in der sie sich nur auf das Einsammeln von Seelen konzentrieren musste und nicht darauf ihre Tränen zurückzuhalten. Eine Stunde, in der sie nicht kurz davor war alles über den Haufen zu werfen und einfach zu verschwinden. Ohne wirkliche Motivation schlug sie ihre Liste auf und überflog die Einträge. Diese Nacht musste sie nur drei Seelen einsammeln, es würde also eine kurze Nachtschicht werden. Ihr Körper materialisierte sich innerhalb weniger Sekunden in London und gleich darauf schnappte sie erschrocken nach Luft, als der kalte Regenschauer auf ihre Haut traf. Sofort zog sie ihren schwarzen Mantel enger um sich. Wie so oft regnete es in der englischen Hauptstadt wie aus Kübeln, die Themse schien schon wieder an der Grenze zur Überschwemmung zu stehen. „Gott sei Dank bin ich heute schnell fertig“, seufzte sie und machte sich auf den Weg zu dem ersten Betroffenen, einem Mann Mitte 30, der mit gebrochenem Genick am Ende einer langen Wendeltreppe lag. Die zweite Seele sammelte sie 20 Minuten später ein, die Dritte weitere 20 Minuten später. Beide waren Kinder, einer an Tuberkulose erkrankt, die Zweite an einem grippalen Infekt. Mittlerweile fiel es Carina leichter die Seelen von Kindern einzusammeln, doch natürlich hinterließ es nach wie vor einen bitteren Beigeschmack. „Solch eine Verschwendung. Gäbe es doch nur schon die medizinische Entwicklung des 21. Jahrhunderts. Das könnte hier so viele Leben retten…“ Sie setzte den letzten Stempel in ihre Liste und schlug das Buch zu. Der Regen hatte kaum nachgelassen und jetzt war auch noch ein unangenehm eisiger Wind hinzugekommen, der durch die Straßen Londons heulte. Es verwunderte die Schnitterin beinahe ein wenig, dass nicht noch ein paar Obdachlose auf ihrer Liste standen, aber über wenige Tote würde sie sich garantiert niemals beschweren. Gedanklich war sie schon halb dabei wieder in die Shinigamiwelt zurückzukehren, als ihr etwas auffiel. Das Haus, auf dessen Dach sie sich gerade befand, war genau gegenüber von dem Blumenladen, den sie damals immer aufgesucht hatte. Der Blumenladen, wo sie ihre allererste Seele eingesammelt hatte. Der Blumenladen, der sich ganz in der Nähe des Bestattungsinstitutes befand… Carina biss sich auf die Lippe. Irgendetwas reizte sie an der Vorstellung den Ort aufzusuchen, an dem sie Cedric kennengelernt und ihre ersten Tage in diesem Jahrhundert verbracht hatte. Dort, wo alles angefangen hatte. „Na ja…eigentlich kann es ja nicht schaden“, dachte die junge Frau. Sie lag gut in der Zeit, es würde mit ziemlicher Sicherheit niemandem auffallen. Abgesehen davon sang William momentan sowieso Loblieder auf sie, da würde eine kleine Verspätung sicherlich keinen Ärger geben. Mit einem gekonnten Sprung landete sie auf der Straße und ging gleich darauf durch die engen Gassen in Richtung Bestattungsunternehmen. Sie kam sogar an dem schmalen Durchgang vorbei, in der sie damals ihr Leben beendet hatte, riskierte jedoch keinen zweiten Blick hinein. Seit ihrem Selbstmord war sie bereits einige Male dort gewesen, aber nichts erinnerte mehr an die Qualen, die sie dort hatte ausstehen müssen. Keiner, der durch diese Gasse ging, würde wissen, dass dort schreckliche Dinge passiert waren. Es dauerte keine 5 Minuten, da stand die Seelensammlerin tatsächlich vor dem ehemaligen Geschäft des Undertakers. Es sah von außen immer noch genauso aus wie zuvor, nichts hatte sich verändert. Immer noch hing das riesige Schild mit dem Namen des Instituts über der Tür, immer noch wirkte die Gegend kalt und trostlos. Das kleine, weiße Schild, das unmittelbar hinter dem Glas der Eingangstür baumelte, zeigte an, dass der Laden geschlossen war. „Und das sicherlich schon seit einer ganzen Weile“, vermutete Carina stumm und drückte die Türklinke hinunter. Wie sie erwartet hatte, war sie verschlossen. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Noch ein Vorteil ein Shinigami zu sein bestand darin, dass man keinen Schlüssel benötigte, um eine Tür zu öffnen. Jedenfalls nicht an Orten, an denen man schon einmal war. Sie konzentrierte sich auf den Eingangsbereich im Laden und keine Sekunde später stand sie auf der anderen Seite der Tür. Ihre Augen betrachteten die Umgebung. Obwohl es stockfinster war, hatte sie keine Probleme damit alles zu erkennen. „Sieht wirklich noch alles genauso aus wie damals. Die Särge, der Tresen, das Skelett…“ Mit dem einzigen Unterschied, dass alles von einer dicken Staubschicht überzogen war und noch mehr Spinnen ihr Dasein in den Ecken zu fristen schienen, als zuvor. Zielstrebig ging Carina die Treppe nach oben. Auch hier konnte man deutlich erkennen, dass das Haus seit einiger Zeit unbewohnt war. Die Tür zum Schlafzimmer knarzte leise, als sie sie öffnete. Hier hatte sie ihre letzten Tage als Mensch verbracht. In diesem Bett hatte sie geschlafen, ihre Albträume gehabt und darüber nachgegrübelt, wieso zum Teufel sie in dieses Jahrhundert gekommen war. Vorsichtig wischte die Blondine den Staub von der Bettdecke, um sich anschließend draufzusetzen. Eine angenehme Stille herrschte an diesem Ort, das war ihr auch damals schon aufgefallen. Wenn es hier nicht so dreckig und dunkel wäre, dann konnte man es hier glatt als friedlich bezeichnen. Plötzlich fiel ihr etwas siedend heiß ein. Hatte sie nicht damals… Ihre Hand griff unter das Bett und unter noch mehr Staub kam eine rechteckige Schachtel zum Vorschein. „Ich fasse es nicht. Sie ist tatsächlich noch hier“, flüsterte Carina und öffnete den Deckel. Da war sie. Ihre Kleidung, mit der sie damals hierhergekommen war. Ihre dunkelblaue Jeans, der bordeauxrote Kapuzenpullover und ihre schwarzen Sneaker. Immer noch ordentlich zusammengelegt und unberührt. Eine Welle der Melancholie ergriff sie. „Der könnte mir jetzt sogar mittlerweile zu klein sein“, grinste sie und hielt sich den Pullover vor den Oberkörper. Die Ärmel waren deutlich zu kurz und auch ihr Oberkörper schien ein wenig länger zu sein als damals. Die 2 Jahre ihrer Ausbildung hatten definitiv Spuren an ihrem Körper hinterlassen. Nach kurzem Zögern legte sie die Sachen wieder zurück in die Schachtel und verstaute sie erneut unter dem Bett. Sicherlich konnte sie zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal hierhin kommen und sie dann mitnehmen. Immerhin waren diese Dinge das Einzige, was ihr noch aus ihrer eigenen Zeit geblieben war. Seufzend verließ sie das Schlafzimmer und kehrte ins Untergeschoss zurück. Ihr Blick huschte noch einmal durch den Raum, mehr instinktiv als gewollt, und urplötzlich fiel der Shinigami etwas ins Auge. Etwas Goldenes blitzte in ihrem Augenwinkel auf. Carina drehte sich um und sah einen funkelnden Gegenstand auf dem Tresen liegen. „Was zum…“, dachte sie und näherte sich dem Verkaufstisch vorsichtig. Und dann erkannte sie die lange Kette mit den Medaillons, die bis vor kurzem noch den langen Mantel des Undertakers geziert hatten. Fasziniert von dem Anblick nahm sie das Schmuckstück in die Hand und betrachtete die goldenen Anhänger. Was es wohl damit auf sich hatte? „Aber warum ist sie hier? Hatte Ciel sie nicht aufgefangen?“ Doch diese Frage sollte Carina schneller beantwortet bekommen, als ihr lieb war. Aus heiterem Himmel schwang hinter ihr laut die Ladentür auf, was die 18-Jährige erschrocken zusammenzucken ließ. Zu ihrem größten Entsetzen kam Ciel Phantomhive höchstpersönlich in das Bestattungsunternehmen marschiert, dicht gefolgt von seinem treuen Butler. „Was zur Hölle…“, sagten sie und Ciel gleichzeitig und perfekt synchron, während sie sich gegenseitig entgeistert ansahen. „Was machst du denn hier?“, fragten sie, erneut vollkommen unisono, was Sebastian ein wenig schmunzeln ließ. Carina schnaubte. „Wen habt ihr denn erwartet?“, fragte sie, obwohl sie sich die Antwort eigentlich schon denken konnte. „Den Undertaker natürlich“, antwortete der Earl in einer Mischung aus Wut und Enttäuschung. „Ich hatte die glorreiche Idee, dass wir ihn mit dieser Kette vielleicht anlocken könnten. Sebastian hat extra dafür gesorgt, dass wir direkt bemerken, wenn jemand den Laden betritt.“ Die Schnitterin hob eine Augenbraue. „Tja, euer ‘glorreicher‘ Plan scheint ja aber bisher nicht sonderlich gut funktioniert zu haben“, entgegnete sie spöttisch, was dem 13-Jährigen so überhaupt nicht zu gefallen schien. „Und was habt Ihr hier zu suchen, wenn ich fragen darf?“, meinte der Butler mit samtener Stimme, doch seine Augen glühten währenddessen gefährlich und rötlich auf. „Um ehrlich zu sein gar nichts. Ich wollte nur noch einmal herkommen. Der alten Zeiten willen“, antwortete sie und endlich schien dem Dämon ein Licht aufzugehen. „Nun weiß ich, wo ich Euch schon einmal gesehen habe. Ihr wart vor einigen Jahren schon mal in diesem Laden. Das Mädchen, das ein Glas fallen ließ.“ Auch Ciel schien sich nun zu erinnern. „Steckst du mit dem Undertaker unter einer Decke?“, rief er aus und schlug einen Befehlston an, der eigentlich so ganz und gar nicht zu einem Kind seines Alters passte. „Antworte mir!“ „Nein, das tue ich nicht“, sagte Carina kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie Euch vielleicht aufgefallen ist, haben wir Shinigami vom Londoner Dispatch selbst ein großes Interesse daran, dass dieser Deserteur verhaftet und seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Ganz abgesehen davon wusste ich damals noch gar nicht, dass er ein Shinigami ist. Ich wurde ebenso von ihm getäuscht wir Ihr.“ Und das war noch nicht einmal gelogen. Sebastian sah so aus als ob er ganz genau wüsste, dass noch mehr dahinterstecken musste, fragte aber nicht nach. „Wie dem auch sei“, fuhr Ciel fort und verengte sein freiliegendes Auge. „Ich will wissen, wie weit eure Ermittlungen in diesem Fall sind. Wann habt ihr ihn zuletzt gesehen?“ Carina rollte mit den Augen. „Ich weiß zwar nicht, wieso ich ausgerechnet Euch das sage, aber das letzte Mal war auf der Campania. Wir sind also beide auf dem gleichen Stand.“ Der Dämon lächelte eine Spur zu selbstzufrieden. „Da muss ich Euch leider enttäuschen, werte Shinigami. Mein junger Herr und ich haben den Undertaker zuletzt am Weston College angetroffen. Das war vor 3 Wochen.“ „Was?“, keuchte sie entsetzt und meinte es auch so. Die Beiden hatten Cedric tatsächlich aufspüren können? „Bedauerlicherweise konnte er allerdings entkommen“, knirschte Ciel mit den Zähnen und warf seinem Butler kurz einen wütenden Blick zu, den dieser allerdings nur schweigend hinnahm. „Das wundert mich nicht. Schon auf der Campania warst du ihm nicht gewachsen, Frackträger.“ „Sie etwa?“, erwiderte Sebastian kalt, woraufhin die beiden Rassenvertreter sich gegenseitig nieder starrten. Jetzt war es an Ciel die Augen zu verdrehen. Er wusste zwar, dass Shinigami und Dämonen natürliche Feinde waren, aber warum mussten sie sich immer streiten wie kleine Kinder? „Jedenfalls glaube ich nicht, dass der Undertaker noch einmal hierhin zurückkehren wird. So dumm ist er nicht“, sagte Carina gespielt gleichgültig. „Aber danke für die Information mit dem College, ich werde das gleich meinem Vorgesetzten berichten.“ „Wir werden ihn zuerst erwischen, da könnt ihr euch sicher sein“, antwortete Ciel arrogant wie eh und je, während er sie mit einer solchen Selbstsicherheit ansah, wie nur ein Adeliger es konnte. „Mit einer einfachen Kette?“, zweifelte Carina, woraufhin der Junge schnaubte. „Ihr Shinigami habt anscheinend nicht wirklich viel Allgemeinwissen, oder? Das ist nicht einfach nur eine Kette, das sind sogenannte „Memorial lockets“. Sie werden hergestellt, um sich an einen geliebten Menschen zu erinnern und ihm zu gedenken. Oftmals wird in diesen Medaillons etwas vom Verstorbenen aufbewahrt. Ein Teil der Asche, getrocknete Blumen von der Beerdigung, eine Haarlocke oder ein kleines Stück Stoff. Diese Medaillons werden ihm also kaum egal sein. Doch leider scheint er nicht mal für sie zurückkommen zu wollen.“ Carina starrte ihn sprachlos an. Das hatte sie tatsächlich nicht gewusst. Wie auch, sie hatte Cedric nie danach gefragt. „Personen, die ihm wichtig waren…“ Sie war sich ziemlich sicher, wenn sie sich die Anhänger genauer ansehen würde, würde sicherlich auch auf einem von ihnen Claudia eingraviert sein. „Wenn Ihr sie nicht mehr braucht Earl, dann überlasst sie doch mir. Möglicherweise können wir Shinigami damit etwas anfangen. Außerdem wollt ihr doch wohl kaum dieses kleine Suchduell gewinnen, ohne zumindest vorher für Gleichstand gesorgt zu haben, oder?“ Ciel entging der herausfordernde Ton in ihrer Stimme keineswegs. Einen Moment lang schien er über die ganze Sache nachzudenken, dann zuckte er mit den Schultern. „Ich glaube zwar nach wie vor nicht, dass ihr Schnitter zu irgendetwas taugt, aber meinetwegen. Wir haben ohnehin schon alles herausgefunden, was es darüber herauszufinden gibt.“ „Deine Arroganz wird dich eines Tages noch den Kopf kosten“, dachte Carina, behielt die Warnung allerdings für sich. Der Junge würde so oder so nicht auf sie hören. „Sebastian, wir gehen“, befahl der 13-Jährige. „Sehr wohl, junger Herr. Gewährt Ihr mir noch einen kurzen Moment?“ Ciel wirkte verblüfft und musterte seinen Butler ganz genau. Doch dann tat er es mit einem knappen Nicken ab. Sobald er ihn fragte, musste der Teufel ihm ohnehin die Wahrheit sagen, dazu war er immerhin vertraglich verpflichtet. „Ich warte in der Kutsche“, erwiderte er und verließ zielgerichtet das Geschäft. Carina hatte sich bei den Worten des Schwarzhaarigen automatisch angespannt. Was wollte er noch von ihr? Das konnte nichts Gutes bedeuten, da war sie sich sicher. „Ihr wart damals ein Mensch. Vor 3 Jahren, wenn ich mich recht entsinne.“ „…Und wenn ich einer war?“, fragte sie, nun auf der Hut. „Unter uns Dämonen vermutet man schon lange, dass Todesgötter einst Menschen waren. Aber mich würde sehr interessieren, wie dieser Vorgang vonstattengeht. Ihr wollt es mir nicht zufällig verraten?“ „Zufällig nicht, nein“, entgegnete die Blondine mit zuckersüßer Stimme. Das konnte sich der Dämon abschminken, sie würde ihm sicherlich nicht bei so einer Frage antworten. Ganz zu schweigen davon, dass William sie einen Kopf kürzer machen würde. Dieses Geheimnis der Shinigami konnte in den falschen Händen immensen Schaden anrichten. Sebastian lächelte, schien erstaunlicherweise nicht einmal über ihre Antwort verärgert zu sein. Ihr Misstrauen wuchs. „Das dachte ich mir bereits. Dennoch habt Ihr mir ohne es zu wissen trotzdem eine recht interessante Erkenntnis geliefert. Ich darf Euch ganz herzlich gratulieren.“ Seine Stimme klang unglaublich freundlich, aber die Seelensammlerin wusste, dass sich dahinter viel mehr Häme verbarg. „Wozu?“, fragte Carina irritiert, die überhaupt keine Ahnung davon hatte, was ihr Gegenüber meinte. Dieser hob eine Augenbraue. „Ihr wisst es also tatsächlich nicht?“ „Wovon zur Hölle sprichst du?“, fragte sie, nun eine Spur schärfer. Er legte sich eine seiner weiß behandschuhten Finger ans Kinn. „Noch etwas, was die Shinigami von den Dämonen unterscheidet.“ Seine Augen schauten klar und berechnend in ihre und bevor sie reagieren konnte, stand der Butler mit einem Mal direkt vor ihr. Die Schnitterin musste sich schwer zusammenreißen, um nicht nach hinten auszuweichen oder ihm reflexartig eine reinzuhauen. Er beugte sich ein wenig zu ihr hinab, dennoch musste sie zu ihm hinaufschauen. Natürlich, wie immer hielt er sich für etwas Besseres. Doch seine geflüsterten Worte ließen sie jeglichen Gedanken daran vergessen. „Ihr könnt die zweite Seele in Euch also wirklich nicht spüren?“ Das Wort „Anspannung“ konnte nicht mehr das ausdrücken, was ihr Körper in diesem Moment tat. Carina erstarrte einfach zu Stein, mehrere Atemzüge lang fühlte sie sich nicht mehr so recht mit ihrem eigenen Körper verbunden. Was…Was hatte der Dämon da gerade gesagt? Das Lächeln des Butlers wurde breiter, man konnte ihm deutlich ansehen, dass er sich über ihren Gesichtsausdruck amüsierte. Sich an ihrem Entsetzen, ihrer Fassungslosigkeit ergötzte. Er…er konnte doch nicht ernsthaft das meinen, wovon sie dachte, dass er es meinte…oder? „Glaubt es mir ruhig“, meinte er, ihre Gedanken erahnend. „Wir Dämonen können Seelen sehen. Auch, wenn sie sich noch in ihren Körpern befinden. Auch, wenn sie noch ungeboren sind.“ Carina war nicht mehr dazu fähig ihre Stimme zu benutzen. Sie starrte ihn weiterhin an, wie das Lamm den Schlächter. Sebastian beugte sich wieder nach hinten und deutete eine leichte Verbeugung an. „Meine besten Wünsche, Mylady“, sagte er, spöttisch und freundlich zugleich, während er mit wehendem Frack zu seinem Herrn und Meister zurückkehrte. Die junge Frau blieb indessen stehen, wie lange konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Aber als ihr Körper sich wieder rührte, sank sie mit zitternden Knien auf die Theke. Hatte der Dämon sich einen Spaß mit ihr erlaubt? Natürlich musste er das. „Ich bin eine Shinigami. Todesgötter sind gar nicht dazu in der Lage sch-“ Sie konnte das Wort nicht einmal denken, so entsetzt war sie. Wie in Trance stürmte die Schnitterin aus dem Bestattungsunternehmen und löste sich gleich darauf auf, um im nächsten Augenblick vor den weißen Mauern des Instituts zu stehen. Mit versucht normalem Tempo ging sie hinein, um ihren Bericht abzugeben und registrierte dankbar, dass Alice nicht mehr an ihrem Platz saß. Scheinbar war ihre Schicht bereits vorbei und das war ein Glücksfall. Die Schwarzhaarige hätte sofort bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte. Carinas Hände zitterten leicht, als sie den Bericht in Williams Postkörbchen legte und das Gebäude gleich darauf wieder verließ. Unterdessen wurde ihr Gehirn von ihren Gedanken malträtiert. Das passierte gerade nicht. Nein, das konnte einfach nicht passieren. Es hatte keinerlei Anzeichen gegeben, sie hätte es doch bemerkt, sie hätte ganz sicherlich etwas gespürt, sie konnte nicht…nein, sie konnte doch nicht… Am Rande eines Nervenzusammenbruchs stürzte sie los und keine 3 Minuten später hämmerte sie bereits gegen eine Tür. Kurz war ein Poltern und Rumpeln zu vernehmen, dann ein lautes Fluchen. Grell riss eben genannte Tür auf, sein Körper in einem weinroten Nachthemd, die Schlafmaske noch halb und schief in den Haaren. „Wer zum Donnerwetter stört mich um diese…Carina?“ Er starrte seine Schülerin halb zornig, halb verblüfft an. Die Blondine drängelte sich ohne zu fragen an ihm vorbei. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du erst wieder kommen sollst, wenn du mir die…Carina?“, fragte er ein zweites Mal, als er ihr Gesicht sah. Sie war bleich wie eine Tote und wirkte nur halb bei sich. Ihr ganzer Körper bebte. „Was ist passiert?“, schoss es ernst aus ihm hervor, während er die Seelensammlerin bestimmt an den Schultern packte. So fertig hatte sie nicht einmal ausgesehen, als er sie nach ihrer Entführung auf der Straße aufgelesen hatte. Angespannt beobachtete er, wie die 18-Jährige ihren Mund öffnete und wieder schloss, ohne auch nur ein einziges Wort gesagt zu haben. Er schüttelte sie leicht, was anscheinend ein wenig half. Carina öffnete erneut den Mund. „Ich…ich muss dich etwas fragen“, krächzte sie, ihre Stimme schwach und verängstigt. „Was denn? Nun sag schon“, drängte Grell, dem langsam wirklich flau im Magen wurde. Zittrig atmete die junge Frau aus, schaute ihren besten Freund mit geweiteten Augen an. Noch nie hatte sie vor etwas solch eine Furcht verspürt, wie vor der Antwort auf ihre kommende Frage. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. „Ist…ist es überhaupt möglich? Ich meine…können…können Shinigami Kinder zeugen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)