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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

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Ungewollte Schwäche

Geräusche von der Straße weckten Carina aus ihrem doch recht tiefen Schlaf. Verdattert schaute sie zum Fenster, das bereits reichlich Licht spendete. Während sie sich im Halbschlaf aufsetzte wurde das Treiben auf den Straßen lauter. Die Leute schienen bereits alle ihrer Beschäftigung nachzugehen…In ihrem Kopf machte es Klick. „Scheiße“, murmelte sie und war im nächsten Moment bereits auf den Beinen. Sie hatte total verschlafen. Hecktisch zog sich das Mädchen an, fuhr sich ein paar Mal durch ihre blonden langen Haare und sprintete schließlich die Treppe hinunter, wobei sie immer zwei Stufen auf einmal nahm. Wenn sie sich nicht beeilte, dann würden die schönsten Blumen bereits alle verkauft sein. Warum hatte der Undertaker sie denn nicht geweckt, wenn sie denn schon mal verschlief?
 

„Undertaker?“, rief sie, erhielt jedoch keine Antwort. „Seltsam“, dachte die 16-Jährige und ließ ihre blauen Augen durch den Laden schweifen. Er wirkte wie ausgestorben. Gleich darauf verdrehte Carina die Augen. „Ein Bestattungsunternehmen wirkt ausgestorben“, dachte sie trocken, war sich aber trotzdem ziemlich sicher, dass der Totengräber darüber gelacht hätte. „Wo er wohl steckt? Um diese Uhrzeit ist er doch normalerweise immer hier. Na ja egal, ich habe keine Zeit mir darüber jetzt auch noch den Kopf zu zerbrechen.“ Eilig warf sie sich ihren Mantel über und war kurze Zeit später bereits auf den Weg zum Blumengeschäft.
 

Carina verfiel in einen schnellen Laufschritt und bereits 15 Minuten später stand sie vor ihrem Ziel. Der Laden war zwar recht klein, aber wenn man eintrat dann wurde man von Blumen beinahe erschlagen. Es war, als würde man dem grauen London für eine Weile entfliehen und eine Art neue Welt betreten, die nur aus Farben bestand. „Hey George“, meinte sie lächelnd und trat an die Ladentheke heran. Der stämmige Ladenbesitzer lächelte zurück. Bereits bei ihrem ersten Treffen hatte er ihr das Du angeboten. Carina schätzte ihn auf Mitte 40, denn sowohl in seinen rotbraunen Haaren als auch in seinem Kinnbart waren bereits einige graue Stellen dabei. „Du bist aber spät dran, Carina“, meinte er und zog sich bereits seine Handschuhe an. „Womit kann ich dir denn heute behilflich sein?“
 

Die 16-Jährige hatte Glück. Die meisten Blumen, die sie benötigte, waren noch da und so konnte sie eine gute halbe Stunde später bereits mit der Bepflanzung des ersten Grabes beginnen. Da es nun bereits Dezember war, waren die meisten Bäume komplett kahl und sie musste nicht mehr so viele Blätter vom Grab aufsammeln. Die Stunden verstrichen immer recht schnell während sie auf dem Friedhof war und Carina war recht froh darüber. Es tat ihr einfach gut eine Aufgabe zu haben. Sie wollte sich gebraucht fühlen, sie wollte gebraucht werden.
 

„Die hier ist aber hartnäckig“, murmelte die Blondine, während ihre blauen Augen auf der bereits verdorrten Pflanze ruhten, die anscheinend sehr tief in der Erde verwurzelt war. „Dann eben anders.“ Sie zog ihr Taschenmesser aus ihrem Stiefel, klappte es auf und schnitt die Wurzel aus dem Boden heraus. „Na geht doch“, sagte sie zufrieden und schaute auf die Kirchturmuhr. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr bis es dunkel wurde. Wenn sie das Grab noch fertig machen wollte, dann musste sie sich beeilen. „Ich glaube das war’s“, sagte Carina 20 Minuten später und strich mit der Schaufel noch ein letztes Mal die neue Erde glatt. Mittlerweile hatte sie sogar das Gefühl, dass sie ein wenig besser geworden war. Sanft berührte sie eine der weißen Lilien und musste unwillkürlich daran denken, wofür sie stand. „Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit“, murmelte sie und besah sich erneut die Geburtsdaten auf dem Grabstein. Dieses Mädchen war 10 Jahre alt gewesen, als sie gestorben war. Carina war froh, dass sie diese Blume ausgewählt hatte, denn zu wem würde Reinheit besser passen, als zu Kindern? „Na ja, Ciel jetzt mal ausgenommen“, dachte sie und erhob sich.
 

Plötzlich drangen laute Geräusche an ihr Ohr. An und für sich war das zwar nichts ungewöhnliches, aber hier auf dem Friedhof legten die Leute großen Wert auf Ruhe. Und in dieser Zeit war es noch extremer als im 21. Jahrhundert. Wer veranstaltete also am späten Nachmittag so einen Lärm? Die Frage sollte Carina schneller beantwortet bekommen, als ihr lieb war. Denn bereits im nächsten Moment taumelte der Verursacher des Lärms um die Ecke und blieb wie angewurzelt stehen, als er sie erblickte.
 

Der Mann - Carina schätzte ihn auf Anfang 30 - war zwei Köpfe größer als sie. Seine schulterlangen schwarzen Haare hatte er hinten zu einem recht kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Viele kleine Stoppeln zierten sein kantiges Kinn. Carina fiel auf, das seine Nase nicht komplett gerade war. Vermutlich war sie mindestens schon einmal gebrochen gewesen. Aber was der 16-Jährigen noch mehr auffiel als seine Nase, war seine Kleidung. Natürlich kannte sie das Sprichwort „Kleider machen Leute“. Aber in diesem Jahrhundert machte dieses Sprichwort erst richtigen Sinn. Schon von weitem konnte man sehen, dass er ein Adeliger war. Er trug einen braunen Anzug und darunter ein weißes Hemd, um seinen Hals befand sich eine rote Schleife und seine schwarzen Anzugsschuhe schienen so lange poliert worden zu sein, dass sie das Licht reflektierten.
 

„Irgendetwas an ihm ist seltsam“, dachte Carina und schaute ihn stirnrunzelnd an. Seine blassblauen Augen waren blutunterlaufen und als er einen Schritt auf sie zutrat, wusste Carina endlich was mit ihm nicht stimmte. Der Geruch von Alkohol schlug ihr entgegen und automatisch rümpfte sie die Nase. Erneut tat der Mann einen Schritt und taumelte dabei leicht nach links. „Der ist ja sternhagelvoll“, dachte Carina angewidert. Natürlich hatte sie bereits selbst Erfahrungen mit Alkohol gemacht, aber sie hatte immer gewusst, wann sie ihre Grenze erreicht hatte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass dieser Herr seine Grenze bei Weitem überschritten hatte. Vermutlich würde er am nächsten Tag so einige Erinnerungslücken haben, ganz zu schweigen von einem enormen Kater.
 

„Was macht denn so ein junges, kleines Mädchen wie du ganz allein auf einem Friedhof?“, lallte er und erneut wehte Carina seine Fahne entgegen. Ihr Kiefer wurde hart, als sie die Zähne aufeinanderbiss. Nur ganz langsam stellte sich ein Gefühl in ihrer Magengegend ein, das sie ganz und gar nicht mochte. Furcht. „Ich pflanze Blumen“, antwortete sie knapp und trat unbewusst einen kleinen Schritt zurück. Der Mann grinste. „Na, dann kannst du ja bald beim Grab meiner Frau weitermachen, das hätte es auch mal dringend nötig.“ Carina schlug ihre Augen nieder. Jetzt wusste sie zumindest schon mal, warum er so betrunken war. Der Tod seiner Frau war vermutlich noch nicht allzu lang her. Seine Augen schienen sie nun von oben bis unten abzuscannen. „Ich sollte machen, dass ich hier wegkomme“, dachte sie und drehte sich bereits halb rum, als die Stimme des Betrunkenen erneut ertönte. „Ich könnte zu Hause ein bisschen Gesellschaft vertragen.“ Die 16-Jährige versteifte sich für einen kurzen Moment und warf ihrem Gegenüber einen erschrockenen Blick zu. Seine Miene war nun eindeutig lüstern. Carinas Herz begann schmerzhaft schnell gegen ihre Brust zu pochen. Instinktiv wollte sie nach ihrem Taschenmesser greifen, bemerkte aber dann entsetzt, dass sie es auf der anderen Seite des Grabes hatte liegen lassen. Ihre Augen huschten zwischen dem Mann und dem Messer hin und her. Wäre sie schnell genug, um an die Waffe zu gelangen?
 

„Na komm schon, ich beiße auch nicht“, sagte er und trat wieder einen Schritt näher. „Stehen bleiben“, sagte sie laut, konnte das Zittern in ihrer Stimme aber nicht verbergen. „Jetzt hab dich nicht so, wir könnten eine Menge Spaß zusammen haben.“ Er tat noch einen Schritt. Carinas Finger bohrten sich schmerzhaft in den Griff der Schaufel. Auf einmal ging ihr ein Licht auf. „Natürlich“, dachte sie und hob die Schaufel ein wenig an. „Ich warne Sie. Lassen Sie mich in Ruhe oder ich werde Ihnen wehtun.“ Jetzt lachte der Schwarzhaarige belustigt auf. Anscheinend schien er keine allzu große Meinung von Frauen zu haben. Trotz ihrer Drohung näherte er ihr sich weiter und streckte nun sogar seine rechte Hand nach ihr aus. Angst und Zorn vermischten sich in Carinas Inneren. Bitte, er wollte es anscheinend nicht anders. Sie war vielleicht nicht besonders mutig, aber anfassen lassen würde sie sich von ihm ganz bestimmt nicht. Fest entschlossen holte sie mit der Schaufel nach hinten aus und zielte auf seinen Kopf. Doch so weit kam sie nie. Bevor sie das Werkzeug nach vorne schnellen lassen konnte, wurde der hölzerne Stiel von einer weiteren Hand umgriffen. Von einer Hand mit langen, schwarzen Fingernägeln.
 

Erschrocken schaute Carina auf und erkannte den Undertaker, der grinsend hinter ihr stand. Aber irgendwie wirkte sein Grinsen bei Weitem nicht so ausgelassen wie sonst. „Na na, gibt es hier ein Problem?“, fragte er kichernd und Carina stellte verwundert fest, dass sie die Schaufel um keinen Zentimeter mehr bewegen konnte. Sein Griff war hart wie Stahl.
 

Der schwarzhaarige Mann schien plötzlich ziemlich ernüchtert zu sein. Er nuschelte undeutlich etwas vor sich hin, warf ihr noch einen enttäuschten Blick zu und wandte sich dann ab, um zum Ausgang des Friedhofs zu schwanken. Carinas Angst war gewichen, aber der Zorn blieb. Am liebsten hätte sie irgendwo gegen geschlagen. „Alles in Ordnung?“, fragte der Undertaker - für seine Verhältnisse relativ monoton - und wandte seinen Kopf in ihre Richtung. „Nein“, entgegnete die Blondine schlicht und beugte sich nach unten, um ihr Messer aufzuheben und wieder in den Stiefel zu stecken. Innerlich kochte sie vor Wut, dabei wusste sie nicht einmal genau wieso.
 

Der Bestatter half ihr schweigend dabei die restlichen Sachen wegzuräumen. Auch, als sie sich zurück auf dem Weg zum Laden machten, herrschte anfangs ein großes Schweigen. Nach ca. 5 Minuten Fußweg sagte der Silberhaarige schließlich: „Warum bist du nicht weggelaufen?“ Carina runzelte die Stirn. Weglaufen? „Ich…ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht“, gestand sie und war über diese Tatsache selbst überrascht. Jetzt, wo der Bestatter es gesagt hatte, kam es ihr wie die offensichtlichste Lösung vor. Seine Frage war also durchaus berechtigt gewesen. Jedes normale Mädchen, das halbwegs Verstand besaß, hätte sofort die Beine in die Hand genommen. Die Antwort traf Carina wie ein Blitz. Tief in ihrem Inneren hatte sie einfach nicht weglaufen wollen. Und jetzt wusste sie auch, warum sie so wütend war. Dieser Mistkerl war einfach so davon gekommen. Wer weiß, vielleicht würde er es morgen bei einer anderen Frau oder einem anderen Mädchen noch mal versuchen.
 

„Sie hätten mich nicht aufhalten sollen“, murmelte sie, während sie das Bestattungsinstitut endlich erreichten. „Ich hätte diesem Mistkerl den Schädel einschlagen sollen.“ Der Undertaker, der gerade dabei war die Tür aufzuschließen, hielt kurz inne. „Tja, damit hast du wohl nicht gerechnet“, dachte Carina. „Selbst, wenn es funktioniert hätte“, sagte er und betonte dabei ganz stark das letzte Wort, „wärst du dadurch in noch größere Schwierigkeiten geraten. Einen Adeligen zu attackieren ist niemals besonders klug.“ Sie betraten den Laden und Carina ballte ihre Fäuste. „Und wenn er die Queen persönlich gewesen wäre, niemand fasst mich gegen meinen Willen an.“ Ihrem Gegenüber entfuhr ein Laut und Carina brauchte dieses Mal etwas länger, um zu erkennen, dass er aufgelacht hatte. Aber nicht wie sonst belustigt, sondern eher trocken. Er amüsierte sich über sie. Und das machte ihre ohnehin schon gereizte Laune noch schlimmer.
 

„Das war mein Ernst“, presste sie zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. „Das gerade ist ja das Lustige daran“, entgegnete er und wandte sich zu ihr um. Obwohl die 16-Jährige seine Augen weiterhin nicht sehen konnte, fühlte sie sich von ihnen regelrecht durchbohrt. „Du glaubst wirklich, dass du gegen solche Menschen eine Chance hast. In diesem Jahrhundert herrscht eine andere Auffassung von Gerechtigkeit als in deiner, Carina. Mit diesem Mann wärst du vielleicht noch fertig geworden, weil er betrunken war. Aber jeder andere hätte sich einfach das genommen, was er wollte.“ Carina starrte ihn fassungslos an, denn so einen Vortrag hatte sie nicht erwartet. Und das wirklich Dumme daran war, dass er Recht hatte… und das ärgerte sie.
 

„Ich bin nicht schwach“, sagte sie, noch bevor sie sich überhaupt innerlich dazu entschlossen hatte es zu sagen. War das das eigentliche Problem? Dass sie sich hilflos fühlte?
 

Carina hatte keine Zeit mehr sich mit dieser Frage eingehender zu beschäftigen, denn im nächsten Moment kollidierte ihr Rücken mit der Wand. Mehr erschrocken als aus Schmerz keuchte sie auf und sah hoch zum Undertaker, der ihre Arme in einem rechten Winkel nach oben gegen die Wand gedrückt hielt. Automatisch wollte ihr Körper sich aus dieser unangenehmen Position befreien, doch sie bekam die Arme nicht um einen Millimeter von der Wand weg bewegt. Es war genauso wie mit der Schaufel. Da er wesentlich größer als sie war, beugte sich der Undertaker leicht herab, bevor er erneut sprach. „Doch, das bist du.“ Seine Stimme war rau und viel tiefer als normalerweise. Ihre Organe fühlten sich einen Moment lang so an, als würden sie sich umeinander wickeln. In dieser Sekunde machte er ihr Angst.
 

Erneut stemmte sie sich mit all ihrer Kraft gegen seinen Griff, doch dieser lockerte sich kein Stück. Im Gegenteil, er wurde eher noch fester. „Niemand darf dich ohne deine Erlaubnis anfassen, hmm?“, sagte er nachdenklich und ein Lächeln kräuselte sich nun auf seinen Lippen. „Er stellt mich bloß“, dachte sie. Am liebsten hätte sie ihm ein paar gepfefferte Beleidigungen an den Kopf geworfen, aber irgendwie schien sie kurzfristig vergessen zu haben wie man sprach, denn sie brachte kein weiteres Wort hervor. Nicht einmal, als sie bemerkte, dass er sich weiter nach vorne neigte und ihrem Gesicht gefährlich nahe kam. Ihre blauen Augen weiteten sich. Er wollte sie doch nicht etwa…
 

Plötzlich schlug der 16-Jährigen das Herz bis in den Hals. Es war so laut, dass sie sich fragte ob er es hören konnte. Automatisch presste sie ihren Hinterkopf fester an die Wand, obwohl das natürlich überhaupt nichts brachte. „Ich will nicht“, schoss es ihr durch den Kopf. „Ich will nicht, dass er mich küsst nur um zu beweisen, dass er es kann. Nur um zu beweisen, dass ich mich nicht wehren kann.“ Sie kniff die Augen fest zusammen und rechnete jeden Moment mit der Berührung, doch genau in diesem Moment klingelte die Türglocke. Der Undertaker ließ sie bemerkenswert schnell los, noch bevor Carina ihre Augen wieder öffnen konnte. „Ah, Mr. Wright. Ich hatte sie bereits erwartet. Kommen Sie, der Sarg steht im Hinterzimmer.“ Carina bekam kaum mit, wie die beiden Männer verschwanden. Aber kurz, bevor der Undertaker komplett aus ihrem Sichtfeld verschwand, drehte er sich noch einmal zu ihr zurück und lächelte. Und es war nicht sein übliches Grinsen, es war ein Lächeln bei dem sie ein Stromschlag durchzuckte. Sie konnte spüren, dass ihre Wangen ganz heiß wurden. Vollkommen durcheinander nahm sie sich ihren Mantel vom Kleiderständer, warf ihn sich über und eilte zurück nach draußen. Vielleicht würde sie ja hier einen klaren Kopf bekommen.



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