Licht ohne Wärme von mangacrack
(Ob unser Kampf jemals enden wird? ...)
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Morgendämmerung - Am Anfang war ...
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Titel: Licht ohne Wärme
Untertitel: Wird unser Kampf jemals enden?
Genre: Action
Warnungen: Post-Serie, Drama, Engel, (leichte) Blasphemie, Shônen-Ai
Andeutungen
Charaktere: Michael, Luzifer, Raphael
Pairings: Die Beziehung der Charaktere unterliegen eurer eignen Interpretation.
Inhalt: Wir sind immer noch Gottes Figuren! Er hat uns erschaffen, er hat bei
unserer Geburt unser Schicksal bestimmt. Ich hätte nie gedacht, das zugeben zu
müssen, aber ... unseres ist besonders grausam, mein Bruder!
Kommentar: Diese Fanfiction beginnt nach dem Ende des Mangas und wird sich zum
großen Teil um Michael drehen. Er ist ein interessanter Charakter, der aus
meiner Sicht in der Originalhandlung nicht genügend beachtet wurde, daher sehe
ich es als meine Mission über ihn zu verbreiten. Oder so ungefähr jedenfalls,
denn es werden noch andere bekannte Charaktere auftauchen. Darunter auch solche,
welche eigentlich tot sein müssten, aber die Macht Personen zurück zu bringen
liegt zum Glück in den Händen eines Autors. Genauso wie jene Leser in die Irre
zu führen und sie zu ärgern bis sie schwarz werden.
mangacrack
xxx
::Kapitel 01 - Am Anfang war ... ::
Michael schritt über Leichenberge.
Eigentlich war das ja nichts besonders, denn man wusste, das, wenn der
Feuerengel ausrastete, der Gegner dabei schon mal sein Leben verlieren konnte.
Wenn man es vorsichtig ausdrücken wollte. Die Realität sah so aus, dass der
große Erzengel Michael so gewalttätig wie kein anderer Engel war. Wo auch
immer er auftauchte, ging etwas zu Bruch, Knochen brachen als wären sie aus
Holz und Blut spritze, als wäre es Wasser.
Unter Dämonen war der Feuerengel gefürchtet.
Selbst die Engel des Hohen Rates wussten nicht wie sehr Michaels Macht und Ruf
in der Unterwelt gefürchtet war, denn ansonsten hätte man sich sicher Sorgen
gemacht, ob einen derartigen Engel nicht lieber exekutieren müsste. Doch
Michael konnte dankbar sein, dass es Leute gab, die ihn schweigend und ohne zu
Fragen, deckten. Das waren einmal Mikas Leute, die aus Respekt, Ehrfurcht und
Angst die Klappe hielten, sowie Uriel und Raphael. Die beiden anderen Erzengel
wussten, dass es keine andere Lösung gab, denn ohne ihren himmlischen Hooligan
hätten sie keinen Kriegsherrn mehr, der gegen die dämonischen Heerscharen in
die Schlacht ziehen würde.
Doch trotz der Verschwiegenheit fürchteten sich selbst die normalen Engel vor
dem Erzengel und dessen grausam Taten, die sich in der Bevölkerung erzählt
wurden, wenn dieser in den Palast geschwebt kam. Es kam selten vor, dass er sie
besuchte und im Allgemeinen war man auch dankbar darüber, denn jedes Mal
veranlasste Michael bei einem seiner Besuche eine Rundum Reparatur. Es gab
Engel, die waren eigens dafür eingestellt worden waren, hinter Michael wieder
aufzuräumen. Michael schien das nicht im Geringsten zu kümmern. Dem Herrn des
Feuers war es vollkommen egal, wie viel Zerstörung er anrichtete oder wie
ungehobelt er sich eigentlich für einen Engel benahm.
Bis vor kurzem.
Das Bild, das sich jetzt dem Beobachter bot, so fern denn jemand da gewesen
wäre, war höchst seltsam. Und noch seltsamer für jemanden, der Michaels
Verhaltensweisen kannte. Der kleine Feuerengel stand auf einem Schlachtfeld.
Hoch oben auf einem Berg von verkohlten gefallenen Engeln und zerhack
stückelten Dämonen und sah auf die schwarze Erde hinunter. Die Sonne ging
gerade unter und der Himmel war in ein tiefes rot getaucht. Michaels Haar konnte
man von dem Hinterrund nicht mehr unterscheiden, das Licht umriss seine Gestalt
und das einzige was noch halbwegs klar zu sehen war, war Michaels schwarze
Kleidung.
Sie war stellenweise zerrissen und zerfetzt, Blut lief an dem Körper herunter,
denn bei einer solchen Schlacht kam selbst Michael nicht ohne ein paar Schrammen
davon. Die ‚paar Schrammen’ waren zwar mehr oder weniger ernsthafte
Verletzungen, aber nicht lebensbedrohend. Jedenfalls nicht für Mika, jeder
andere Engel wäre vermutlich daran elendig gestorben. Bis auf Uriel und Raphael
vielleicht, wobei sich die aber nie in einen solchen Kampf einlassen würden.
Michael schulterte sein großes Schwert und es sah so aus - mit ihm als
einziges, noch lebendes Wesen weit und breit- als stünde die Welt in Flammen.
Die Konturen vermischten sich und die Farben schwarz, rot und orange zerflossen
ineinander. Ein Künstler hätte seine wahre Freude daran gehabt. Doch das war
eben keine Staffelei, sondern ein Schlachtfeld. Ein Schlachtfeld, das er ganz
allein verursacht hatte. Seltsamerweise fühlte er nicht einmal etwas Besonderes
dabei. Michael ließ seinen Blick noch einmal über die zerstörte Umgebung
schweifen, versuchte dabei eine besondere Emotion zu empfinden, doch nichts. Er
fühlte nichts, wenn er sich diese Zerstörung und dieses Chaos ansah. Weder
Freude, Scham oder gar Reue. Es war schon lange her, dass er sich für seine
Taten geschämt hatte. Obwohl, eigentlich hatte er das nie. Er erinnerte sich
nicht einmal wieso er zum Heerführer geworden war. Es war nicht so gewesen,
dass er das unbedingt gewollt hatte.
Nein. Eigentlich war es anderes. Er hatte sich an die Spitze des Heeres gesetzt,
weil er etwas brauchte, an dem er seine Wut auslassen konnte. Etwas, das sich
nicht wehren konnte. Sich nicht gut genug wehren konnte, um ihn aufhalten zu
können. Die Dämonen aus der Hölle kamen ihm da gerade recht. Sie waren eine
Art Ersatz für seinen Bruder. Sein Bruder.
Emotionen regten sich in Michael und ließen die Flammen der Feuer um ihn herum
aufzüngeln.
Ja, diese Dämonen hier waren nichts weiter als ein Ersatz für Luzifer.
An Luzifer wollte er seine Wut auslassen. Luzifer war der Grund dafür, warum
sein Bruder verschwunden war. Er war der Grund dafür warum es Luzifel nicht
mehr gab. Denn einst war Luzifel nicht zu Luzifer geworden, sondern Luzifel war
einfach verschwunden. Michael erinnerte sich nicht mehr genau an die Zeit, in
der der Morgenstern den Himmel verraten hatte. Es gab nur die Zeit mit Luzifel
als dieser noch sein lieber Bruder war, die Zeit in der Luzifel sich von ihm
entfernte und eben nicht mehr sein Bruder war und dann gab es nur noch die zeit
in der es Luzifer gab.
Michael war davon überzeugt, dass Luzifel einst seinen Charakter um 180°
gedreht hatte. Luzifer war das genaue Gegenteil von dem, was sein Bruder einst
gewesen war. Und damit das so blieb und er nicht die vielleicht bittere Wahrheit
erkennen musste, hatte er seine Erinnerungen an diese Zeit verdrängt.
Der Höllenfürst lebte in seinem Reich ohne Licht und von viel Dunkelheit
umgeben. Luzifel hatte die vollkommene Dunkelheit gehasst. Er seine Kräfte des
Lichts benutzt um seine Umgebung zu erhellen und nur selten hatte man ihn nachts
draußen angetroffen. Stets war in seinem Palast gewesen meist von Kerzenschein
umgeben. Luzifel hatte das Licht geliebt, während Luzifer das Licht hasste. Es
war eine verkehrte Welt. Es war verkehrt. Und genau deswegen konnte er Luzifer
und Luzifel als unterschiedliche Persönlichkeiten betrachten. Er, Michael. Denn
dann hatte sein Bruder ihn ja nicht verraten, sondern war nur verschwunden.
Sollte sein Bruder irgendwann wieder auftauchen, obwohl Michael nicht so recht
daran glaubte, dennoch aber die Hoffnung nicht aufgab, so könnte er ihm
einfacher vergeben.
Vergeben.
Sein Bruder hatte ihm einst alles vergeben. Egal, was er getan oder angerichtet
hatte. Sein Bruder hatte ihm immer alles vergeben. Und er hatte viel
angerichtet.
Michael breitete seine Schwingen aus und erhob sich in Luft. Er rief die Flammen
unter ihm dazu auf, sich auszubreiten und alles zu vernichten, was sich im
näheren Umkreis befand. Rauch stieg auf, als die Leichen der Dämonen
verbrannten und Michael flog höher hinauf. Bald würde der Rauch den ganzen
Himmel bedecken und schwarz färben. Dann würde jeder wissen, dass Michael
wieder gemordet hatte. Viele bezeichneten es als Mord, wenn er in die Schlacht
zog. Vor allem die Familien der Unterklassen Dämonen, die den Menschen
ähnlicher waren. Auch einige Engel, die nach ihm, wenn die Erde verbrannt und
die Leichen vernichtet waren, die Landschaft wieder mit ihren Kräften
regenerierten, bezeichneten seine Taten als grausam und brutal.
Doch er kümmerte sich nicht darum. Nicht mehr.
Einst hatte er versucht seine Gegner zu schonen und am Leben zu lassen, wenn es
möglich war. Aber das war schon lange her. Es war mühevoll und zahlte sich
nicht aus. Inzwischen ließ er letzten Endes nur die Dämonen noch am Leben, die
während der Schlacht flüchteten. Wenn diese die Strafe der Fahnenflucht
überlebten, so würde er sie nicht nachhaltig verfolgen. Es würden nur die
sterben, die sich gegen ihn wandten. Und das waren immer noch mehr als genug.
Es war nicht so, dass alle Wesen des Himmel und der Hölle die gleiche Meinung
hatten, geschweige denn seine. Viele Engel und Dämonen glaubten immer noch an
die Unterschiede zwischen Himmel und Hölle und das diese sich nie vereinen
würden. Dabei bestand jetzt, nachdem Gott - der Herr - endlich verschwunden
war, die Möglichkeit dazu.
Michael wusste selbst nicht ,wie sich das Uriel und Raphael vorstellen.
Eine Einigung mit der Hölle würde es niemals geben. Nicht in der nächsten
Zeit. Vielleicht würde es in geraumer Zeit – aus himmlischer zeitloser Sicht
gesehen – irgendwann mal einen Waffenstillstand geben. Gewisse Regeln,
gemeinsame Gesetze oder einen Nichtangriffspakt. Offizieller Krieg herrschte im
Moment nicht zwischen Himmel und Hölle.
Michael war nicht froh darüber, denn das bedeutete nur Papierkram für ihn.
Kämpfe gab es an der Grenze sowieso immer. Nur gab es Zeiten in denen es
ruhiger war. So wie jetzt zum Beispiel. Aber das war vermutlich nur so, weil
Gott verschwunden war. Endgültig. Eigentlich machte es in ihrem Leben gar
keinen Unterschied, ob Gott nun existierte oder nicht, denn er war schon viel zu
lange verschwunden gewesen, als das sich noch viele daran erinnern könnte, wie
es unter seiner Herrschaft gewesen war. Michael konnte das. Er konnte sich an
die Zeit erinnern, wie es war bevor Luzifel den Himmel verriet und Gott
verschwand. Aber er wollte nicht. Deswegen hatte er diese Erinnerungen
vergraben. Es war besser so, wenn er sich nicht erinnerte.
Michael flog immer weiter über das Land in die Gefilde des Himmels hinein. Nun
ließ er den Boden unter sich und stieg auf in die Himmelstadt. Die weißen
Wolken erhoben sich vor ihm, auf denen der Himmelspalast stand. Er schlug
kräftig mit seinen Schwingen und flog direkt durch das große Himmelstor. Links
und Rechts bemerkten ihn die Wachen, doch er kümmerte sich nicht um sie. Sie
würden melden, dass sie ihn gesehen hatten und dass er wohlbehalten aus der
Schlacht zurückgekehrt war.
Als er den Palast schon von weitem sah, dachte er den Berg von Arbeit, der ihn
noch erwartete und drehte ab. Er stellte seine Schwingen quer, ließ sich vom
Wind in Richtung Osten tragen und flog um den Palast herum, wo sich sein eigenes
Heim befand. Schon bald hatte er es erreicht. Es war ein großes Haus mit vielen
Zimmern und einem großen Garten. Viele Diener arbeiteten und lebten hier, doch
ihm als Elementarengel stand das zu. Zwar bewohnte er sein eigenes Zuhause nur
selten, doch es war gemütlich und vollkommen nach seinen Wünschen
eingerichtet. Mit einer eleganten Landung setzte er im Garten auf.
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Linael erschrak als sie ihren Herren im Garten landen sah. Genauso wie eines der
Hausmädchen neben ihr. Schnell lief sie dem Erzengel entgegen um ihn zu
begrüßen. Sie arbeitete schon einige Zeit hier und es geschah nur selten, dass
ihr Herr sich so offen seiner Hausgesellschaft zeigte. Normalerweise kam er,
wenn das Haus vollkommen leer war und ging bevor die ersten Diener aufstanden.
Nur durch vage Spuren konnte man sehen, dass er überhaupt da gewesen war. Als
sie bemerkte, dass er näher gekommen war, verbeugte sie sich tief. Aus den
Augenwinkeln beobachte sie, wie das Hausmädchen auf die Knie ging.
„Mein Herr. Ich heiße Euch sehr herzlich willkommen, Erzengel
Michael-sama“, begrüßte sie ihn.
Ihr Herr ging schweigend an ihr vorbei. Mit unbewegtem Gesicht schritt er stolz
an ihr vorbei, ohne sie auch nur anzusehen. Natürlich war das auch sein gutes
Recht. Was sollte ihr Herr mit einer einfachen Dienerin wie ihr? Nichts. Sie war
viel zu klein und zu schwach um von ihm überhaupt wahrgenommen zu werden.
Vermutlich erinnerte ihr Herr sich nicht einmal an ihren Namen. Aber das
brauchte er auch nicht. Wozu sollte er? Sie war unwichtig. Sie diente ihm nur,
damit er es zu Hause so gut wie möglich hatte. Irgendwann, wenn ihre
Dienstjahre hier vorbei waren, so würde sie gehen und jemand anderes an ihren
Platz treten.
Für Michael-sama war sie nur eine von vielen, wenn überhaupt. Doch das machte
ihr nichts aus. Sie verneigte sich noch ein Mal tief und wartete bis hier Herr
im Haus verschwunden war, ehe sie in eine andere Richtung davon lief um den
anderen Bescheid zu sage, dass der Herr zurück war. Alles sollte vorbereitete
werden. Höchstwahrscheinlich würde Michael-sama ein Bad nehmen und etwas
essen, bevor er sich in seine Gemächer zurückzog und alle aus dem Haus
schickte.
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Michael schritt langsam und stolz durch das Haus. Überall gingen die Diener zur
Begrüßung auf den Boden oder verneigten sich, wenn sie gerade etwas trugen. Er
beachtete sie nicht. Sie arbeiteten nur hier um das Haus im Gang zu halten. Er
brauchte nicht zu hetzen. Vor seinen Leuten musste er Ruhe bewahren. Michael
wusste, dass er sich hier, bei sich zu Hause am meisten zu benehmen hatte, denn
überall befanden sich Diener, die ihn überwachten und sein Verhalten
ausspionierten. Höchst wahrscheinlich für Rosiel und andere hohe Engel, die
misstrauisch waren. Man hatte ihn ständig im Auge. Mika wusste, dass über ihn
genauso oft diskutiert wurde, wie über Luzifer. Er wollte lieber nicht wissen,
wie oft er nur knapp einer Verbannung entgangen war.
Bald hatte er sein Gemach erreicht. Er winkte die Diener hinaus und gab ihnen
ein Zeichen, dass er allein sein wollte. Hinter ihm schloss sich die Tür, als
er sein Zimmer betrat. Erleichtert atmete der Engel auf. Endlich allein und ein
Platz zum ausruhen. Er vergewisserte sich, dass die Tür auch wirklich zu war
und achtete zusätzlich auf Geräusche im Haus. Er hatte nicht das Bedürfnis
noch einmal auf Diener, Menschen oder Engel zu treffen. Er wollte bloß alleine
sein.
Erleichtert stieß Michael den Atem aus seinen Lungen. Jetzt war er endlich
wieder da, dass er sein eigen nannte. Er sah sich in dem großen Raum um. Der
erste Teil war eine Art Flur, wo manchmal noch Diener, allerdings nur mit seiner
ausdrücklichen Erlaubnis, hereinkamen um das Essen abzustellen oder Nachrichten
zu überbringen, wenn es etwas Dringendes gab. Allerdings fürchtete sich jeder
Diener davor diesen Raum zu betreten, da es hier schon wärmer war als irgendwo
sonst im Haus.
Auch hatte Michael manchmal in seiner Wut über die Störung ein paar Diener
verbrannt, die dann von Raphael geheilt werden mussten. Doch was kümmerte es
ihn? Michael nahm seinen Mantel von der Schulter und schmiss ihn irgendwo in
Richtung Sofa, das in leuchtend roter Farbe neben dem Eingang stand, durch den
er eben gekommen war. Sein Schwert schulterte er und trug es mit sich, als er
dann seine eigentlichen Räumlichkeiten betrat.
Diese Räumlichkeiten bestanden aus mehreren Teilen. Einmal das Schlafgemach,
welches außer ihm noch nie jemand anderes lebendig verlassen hatte, dann das
Bad, das doch eher einem Schwimmbad glich, so groß war das Becken, dann sein
Waffenraum, wo alles mögliche lagerte, dass man zum töten verwenden konnte und
dann noch der Trainingsraum, der aus richtig dickem Lavagestein bestand. Sowieso
war das gesamte Gemach aus Lavastein gehauen worden. Es musste schließlich
seinen Wutausbrüchen standhalten. Dazu war der rote Stoff, der überall zu
finden war, auch unbedingt feuer- und sogar fast reißfest. Es war zwar teuer
und aufwendig gewesen, kam den Herren da oben aber immer noch billiger, als wenn
sie Michaels jedes Mal eine neue Wohnung machen mussten.
Michael verstaute sein Schwert in dem Waffenraum und machte sich dann daran ein
schönes heißes Bad zu nehmen. Sauber machen konnte er sein Schwert auch noch
später.
Das Bad war immer schön angeheizt. Es war kochend heiß und selbst normale
Engel würden ihn für verrückt halten darin zu baden, aber was kümmerte ihn
schon Hitze? Gar nicht. Es gab zwar auch ein Becken, wo das Wasser eisigkalt
war, damit er sich abkühlen konnte, falls ihm der Kopf mal wieder zu hieß
wurde, doch er benutzte es selten. Sowieso war die Temperatur hier heiß. Für
einen Menschen wäre es unerträglich gewesen, für normale Engel unangenehm,
doch für passte es. Hier bestimmte er die Außentemperatur, normalerweise
erhitze er seinen Körper so lange, sodass ihm nicht mehr kalt war. Das war der
Grund, warum er auch im Winter und in großen Höhen nicht fror. Doch er mochte
das Gefühl von Hitze auf seiner Haut.
Er betrat das Badezimmer und zog sich das obere Gewand vom Körper, das er stets
trug, wenn er in die Schlacht zog und warf es irgendwo hin. Es war weiter als
seine übliche Kleidung, doch es versteckte Bewegungen, die im Kampf vom Gegner
erahnt werden konnten. Doch als er sich weiter auszog, stellte er etwas
Merkwürdiges fest. Irgendetwas stimmte nicht. Etwas war anders als sonst. Er
trat halbnackt vor den Spiegel und betrachte sich darin. Er kam nicht sofort
darauf, da der Dunst des heißen Wasser den Spiegel beschlagen hatte, doch als
er sah, was anders war als sonst riss er vor Unglauben die Augen weit auf.
Schock war darin zu lesen.
„Nein! Das kann nicht sein. Das ist unmöglich!“, flüsterte Michael
aufgebracht zu sich selbst.
Morgendämmerung - Hoch lodernde Flammen
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Kommentar: Auch dieses Kapitel
wurde überarbeitet. Der Inhalt hat sich allerdings nicht großartig verändert.
Es folgt noch die Überarbeitung von Kapitel 3 und 4.
„...“ = Jemand redet
°...° = Uriel redet
So weit ich weiß, kann Uriel nicht reden, da er sich selbst die Stimme
geraubt hat. Um das irgendwie deutlich zu machen, sind dessen Worte in besondere
Schriftzeichen gesetzt.
mangacrack
xxx
::Kapitel 02 – Hoch lodernde Flammen::
„IHR UNFÄHIGEN WÜRMER! RAUS! KOMMT MIR NICHT MEHR UNTER DIE AUGEN ODER ICH
VERBRENNE EUCH ZU ASCHE, EHE ÜBERHAUPT DARAN DENKEN KÖNNT RAPHAEL ZU HILFE ZU
RUFEN! RAUS!“
Sofort floh ein ganzer Schwarm von Gefolgsleuten Michaels aus dem Zimmer ihres
Herrn. Die Tür wurde zugeschlagen, nicht ohne dass ein paar Feuerbälle
hinterher geflogen kamen und die Hautschichten von ein paar Dienern verbrannten.
Keuchend blieb die versammelte Dienerschaft draußen stehen, dem Schicksal
dankend mit dem Leben davon gekommen zu sein.
Die Wand hatte teilweise Risse bekommen, als die Tür zugedonnert worden war
und aus dem schmalen Türspalt stieg schwarzer Rauch empor, ein sicheres Zeichen
dafür, dass gerade irgendetwas verkokelte. Die Untergebenen des Feuerengels
sahen sich besorgt das Schauspiel aus sicherer Entfernung an. Sie waren zwar
Wutausbrüche gewöhnt und es konnte manchmal auch recht hitzig werden, doch
eigentlich ließ Michael-sama während der Büroarbeit seine Wut nicht an
einfachen Diener aus, die ihm manchmal sogar überhaupt nicht unterstellt waren,
sondern lediglich Botengänge ausführten. Langsam verdichtete sich der Rauch
und die Dienerschaft fohl noch ein Stück weiter weg.
Besorgt beratschlagte man sich. Normalerweise würde jetzt Camel-sama
versuchen den Erzengel zu beruhigen, doch Camel befand sich im Moment an der
Grenze und leitete als oberster Offizier stellvertretend für Michael-sama das
Heer. Die gesamte Belegschaft wünschte sich zurzeit inständig den Feuerengel
auch dort hin, doch man war ja im Allgemeinen schon froh, dass der Erzengel sich
überhaupt mal zur Papierarbeit herabgelassen hatte. Gewisse Dinge musste der
Erzengel nun mal leider selbst tun, die kein anderer für ihn übernehmen
konnte. Seit zwei Monaten befand sich Michael nun wieder im Schloss und obwohl
dieser zurzeit in einer seltsamen Laune war, war größtenteils noch alles ganz
geblieben. Man hatte schon an Wunder geglaubt, doch die jetzige Situation bewies
wieder einmal, dass der Erzengel Michael unberechenbar war. Die niederen Engel
wandten sich an den Leiter der Bibliothek.
„Was sollen wir nun tun, Herr? Michael-sama ist außer sich, doch die
wertvollen Dokumente...!“
Der Leiter der Bibliothek wog gut ab, was er jetzt tun sollte. Es war schon
öfters in seiner Amtszeit passiert, dass Michael-sama einige Bücher oder
Stapel Papiere vernichtet hatte, deren Verlust er sehr bedauerte, doch noch nie
war es soweit gekommen, dass es drohte einen Großteil aller gesammelten Bücher
zu verbrennen. Als die ersten Flammen unter der Tür hervor krochen, handelte er
schnell.
„Schnell. Informiert Uriel-sama. Er muss über diese Situation unterrichtet
werden. Außerdem soll man Raphael-sama Bescheid geben, er ist vielleicht der
Einzige, der Michael-sama beruhigen kann. Doch Beeilung, ehe alles
niedergebrannt ist.“
Zwei Dienerinnen rannten davon. Der Bibliothekar faltete die Hände zusammen
und betete zum Schicksal, dass doch alles gut gehen möge. Etwas sagte ihm, dass
die Lage ernster war, als sie zunächst schien. Es hatte zwar in der
Vergangenheit schon öfters ähnliche Unfälle gegeben, doch niemals in diesem
Maße während der Büroarbeit, denn der Feuerengel hatte auf mühsame Weise
lernen müssen, dass verbrannte Akten nur noch mehr Arbeit machten. Deswegen
hatte er es gelernt sich bei Büroarbeit, die nun mal erledigt werden musste,
zusammenzureißen.
Der Ruf des Heerführers war bekannt, doch als eben solcher war er
verantwortungsbewusst genug um zu wissen, dass man Angestellte nicht
willkürlich verletzten durfte. Dieses Verhalten war man von Michael-sama nicht
gewöhnt, bemühte sich ihr Herr doch immer möglichst geduldig zu sein. Dieses
Verhaltensmuster passte schon eher auf den harten Heerführer, den man zu sehen
bekam, wenn Michael in Schlacht zog und dann absoluten Gehorsam von seinen
Männern erwartete.
Der Bibliothekar wusste, dass er so etwas nicht denken durfte, trotzdem sorgte
er sich im Stillen um die vollständige geistige Gesundheit seines Herrn.
Michael-sama war zwar ein angesehner Engel und in jeder Hinsicht einem Urteil
erhaben, dennoch machte es die Arbeit unter dem Feuerengel schwierig, da dieser
seit Verhalten von Sekunde zu Sekunde ändern konnte.
Es mochte vielleicht so sein, dass sich Michael den Spitznamen Mika dann und
wann duldete, um unter Gleichgestellten und unter Freunden nicht ständig an
seinen Rank und an das Theater darum herum erinnert werden zu müssen, aber man
fürchtete auch, dass nur ein weiterer Keil sein könnte, der die angeschlagene
Psyche nur noch weiter spaltete.
Nach dem die Unruhen geendet hatten, die von dem Erscheinen des Messias her
ausgelöst worden waren, hatte Mika-sama, der bis dahin nur als Raufbold bekannt
gewesen war, sich endlich ein wenig um seine Stellung und um seine gesamte
Arbeit gekümmert. In den letzten Jahrhunderten hatte man begonnen grob
schichtig die letzten Jahrtausende abzuarbeiten und zu durchkämmen.
Anfangs war man geschockt gewesen, wie den der Erzengel auf einmal ein solches
verantwortungsbewusstes Verhalten an den Tag legte, doch man hatte sich nicht
beschwert, nahm ihr Herr ihnen nun viele Aufgaben ab. Viele hatten sich
natürlich gefragt, was plötzlich in den Erzengel gefahren war, nachdem er so
lange nur auf Schlachtfeldern herumgedrückt hatte, doch der Feuerengel war
nicht der Einzige gewesen, der seine Arbeit wieder aufgenommen hatte.
Uriel war aus der Unterwelt zurückgekehrt und sein Amt wieder aufgenommen.
Jibril und Raphael waren seinem und Michaels Beispiel gefolgt, als sie wieder
erwachten. Der Heiler hatte sich von seinen Verletzungen kuriert und war dann
etwas gewissenhafter als davor an die Arbeit gegangen, hatte dennoch einige
seiner Lasten beibehalten. Jibril hatte Schwierigkeiten ihr vollständiges
Gedächtnis und ihre Kräfte zurück zu erlangen, doch so langsam schien sich
das Bewusstsein von Sara Mudo aufzulösen. Nach ihrem Tod in der Menschenwelt
war diese in den Himmel gekommen und war in ihren alten Körper zurückgekehrt.
Etwas Ähnliches war geschehen, als Setsuna Mudo aus der Menschenwelt
verschied, denn die Seelen von Rosiel und Alexiel hatten sich aus dessen Seele
materialisiert. Bei Setsunas Tod waren ihre Kräfte gleichmäßig aufgeteilt
worden, sodass der alte Streit nie wieder ausbrechen konnte. Auch hatten die
beiden Zwillinge während der Zeit in der Seele Setsunas auch alle anderen
Diskrepanzen begraben und hatten sich an das Werk gemacht den Himmel neu
aufzubauen, denn nach dem Fall des einstigen Herrschers war hier oben das
absolute Chaos ausgebrochen, da es nun keine führende Spitze mehr gab und
niemand es schaffte sich durch zu setzten.
Doch seit Alexiel und Rosiel sich gemeinsam die Führung übernommen hatten,
tatkräftig unterstützt von Uriel durch dessen klugen Verstand, schien langsam
wieder zumindest etwas Ordnung ein zu kehren. Gleichzeitig versuchte man einige
Reformen durch zusetzten und den Himmel neu zu gestalten, um der Gefahr zu
entgehen einer erneuten Schreckensherrschaft entgegen zu segeln.
Im Allgemeinen hatte es auch zwei Überraschungen gegeben mit denen man
absolut nicht gerechnet hatte. Die eine war, das der Messias nicht in Rosiel und
Alexiel aufgegangen war, wie zuerst angenommen, sondern als eigenständige Seele
den Himmel erreicht hatte. Er war immer noch ein Teil menschlich und zum anderen
Teil steckte die Kraft von Alexiel und Rosiel in ihm. Er wurde von diesen wie
ein jüngeres Geschwisterkind behandelt und die drei schienen eine recht gute
Beziehung zueinander zu haben, ungeachtet dessen, was in der Vergangenheit
geschehen war.
Die Andere viel verblüffende Sache war und die besonders den Messias gefreut
hatte, das aus heiterem Himmel der Mensch Kato aufgetaucht war, jener Mann der
an der Seite des Messias gekämpft hatte, doch leider nicht überlebte hatte.
Das hatte man so angenommen, doch es war anders. Man hatte ihn eines Tages im
Himmel gefunden, doch auch dieser selbst konnte nicht sagen, wie er jenes
schicksalhafte Ereignis überstanden hatte. Es war bis heute ein Rätsel, doch
angeblich sollte Setsuna Mudo Adam Kadamon in einem Gebet gedankt haben.
-
Der Bibliothekar wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er von weitem eine
große Gestalt herannahen sah. Erleichtert seufzte er auf. Uriel-sama würde die
Situation sicher wieder unter Kontrolle bekommen. Im selben Moment blieb der
Erzengel der Erde neben ihm stehen.
°Was ist passiert?°, fragte Uriel.
„Uriel-sama. Es ist schrecklich!“, antwortete des Bibliothekar. „Herr
Michael-sama hatte einen Wutanfall, allerdings wissen wir nicht genau warum. Er
hat uns hinaus gejagt und danach ist ihr dieses Flammenchaos ausgebrochen.“
Inzwischen hatten die Flammen auf den Flur übergegriffen und hielten jedes
Wesen zurück, das sich wagte sich der der Tür auch nur ansatzweise zu nähern.
Eine Dienerin war bereits jämmerlich verbrannt, weil sie dumm genug gewesen
war, sich der Tür zu nähern um Michael zu beruhigen.
Uriel besah sich die Lage. Es sah schlecht aus. Die Flammen griffen nicht auf
die Einrichtung über, zumindest wurde diese nicht zerstört, sondern nur vom
Ruß geschwärzt. Das bedeutete, dass Michaels im Moment jedes lebende Wesen von
sich fern halten wollte. Er hatte einen wagen Verdacht, was ihn in Rage versetzt
haben mochte, doch es war nicht sonderlich schwer zu erraten, dass es der Name
Luzifer gewesen sein musste, der indirekt dieses Chaos veranstaltet hatte.
°Was für Dokumente wurden heute bearbeitet?°
„Wie bitte?“
°Frag nicht! Antworte!°, herrschte Uriel den niederen Engel an.
„Entschuldigen sie. Heute wurden einige Berichte über den ersten großen
Krieg neu sortiert. Besonders das Kapitel, in dem sich Luzifer offiziell vom
Himmel abwandte, sich den Dämonen anschloss und zum ersten gefallenen Engel
wurde.“
Uriel hätte jetzt am Liebsten lauthals geflucht und gleichzeitig dem
Bibliothekar für seine Dummheit den Kopf abgerissen, doch das ging leider
nicht. Einmal besaß er keine Stimme mehr, es war das einzige Mal, dass er das
jetzt bereute und zudem konnte er keinen Angestellten umbringen, auch wenn
dieser es wirklich verdient hatte. Er winkte ihn fort und überdachte die
kritische Lage.
Er konnte sich gut vorstellen, was sich abgespielt hatte. Beim Lesen der alten
Berichte waren bei Mika Erinnerungen wach geworden und hatte sich immer mehr in
Rage versetzt, sodass es Michael schwer fiel sich zurückzuhalten, um nicht den
ganze Palast nieder zu brennen. Er hatte seine Untergebenen hinaus gejagt um
diese aus der Gefahrenzone zu bringen und hatte mit seinen magischen Flammen
verhindert, dass ihm so schnell jemand wieder zu nahe kam. Uriel spürte Raphael
zusammen mit Alexiel herannahen. Vielleicht wussten sie zusammen eine Lösung zu
finden, auch wenn Uriel da nicht viel Hoffnung hatte.
„Uriel. Was ist passiert?“, rief der Heiler ihm entgegen.
°Michael°
Das war Antwort genug.
Uriel sagte nur dieses eine Wort, doch anhand der Lage und des Tonfalls wusste
dieser sofort, was damit gemeint war. Ebenso besorgt wie Uriel stellte er sich
neben ihn, den Abstand zwischen ihnen und den Flammen einhaltend. Raphael fuhr
sich durch die blonden Haare und analysierte das Ganze ebenso wie er. Uriel gab
die Informationen weiter, die er erhalten hatte und die drei Engel verfielen in
Schweigen. Alexiel fluchte hin und wieder, lief auf und ab, doch damit drückte
sie nur das aus, was sie alle dachten.
Etwas weiter weg hatten einige Wasserengel zusammen mit Jibril einen Schild
aufgebaut, sodass sich das Feuer nicht weiter ausbreiten konnte, dennoch waren
sie nicht in der Lage es zu löschen. Kurz darauf begann Raphael die Verletzten
an ort und Stelle zu heilen, während er dem folgenden Gespräch lauschte.
„Was sollen wir tun?“, fragte Alexiel schließlich als ihr das Warten zu
dumm wurde, allerdings wagte sie es auch nicht, sich in die Flammen zu stürzen,
da auch Uriel und Raphael Abstand hielten.
„Wir können nichts tun!“, gab Raphael zurück.
„Wir müssen etwas tun können!“, antworte Alexiel nun darauf. „Wir
nichts unternehmen, wir hier irgendwann alles in Flammen stehen! Selbst wenn
nicht und Mika sich nach einer Weile beruhigt, so wir das Folgen haben, denn der
Rat hasst es, wenn er schon wieder Probleme mit Michael bekommt. Sie sind sehr
wütend darüber, dass er gegen ihre Anweisungen die Grenze verlassen hat und
haben es nur geduldet, weil sie dessen Arbeitswut nicht bremsen wollten. Eine
Aktion wie diese wird alle Gespräche rund um Mika wieder auflodern lassen.“
°Steht es so schlimm um Michael? °, wollte Uriel besorgt wissen.
„Sie werde ihn nicht gleich verbannen, doch sie mögen es nicht, dass
Michael nur selten ihren Anweisungen gehorcht. Sie fürchten seine
Verlässlichkeit. Nachdem man versucht eine neue Ordnung aufzubauen könnte es
sein, dass sie ihn als Amt des Erzengels entheben und nur noch Heerführer sein
lassen.“
„Warum nur das Amt des vierten Erzengels? Sie könnten doch gleich mit einer
ganzen Kündigung drohen. Michael würde es nicht kümmern müssen. Er besitzt
genug Reichtum, um auch so leben zu können!“
„Keiner ist im Kriegsdienst so erfahren wie er. An einen neuen Feuerengel
könnten sie sich gewöhnen, der ist leichter ersetzbar, doch Michael ist der
Einzige, der die nötige Erfahrung hat einen eventuellen erneuten Krieg mit der
Hölle zu führen oder es zu verhindern.“
„Der Himmel plant gegen Luzifer einen Krieg?“, wollte Raphael geschockt
wissen.
So ganz konnte er sich das nicht vorstellen. Das der Rat wieder mal nicht
mitspielte war nichts Neues und solange Michael für den Himmel unentbehrlich
war, drohte diesem auch nicht das Exil. Jeder andere Engel wäre bei solch einem
Benehmen sicherlich schon lange angeklagt worden, doch der Rat wusste, das Uriel
nicht mitspielen würde, solange dieser selbst keinen Grund zur Anklage sah. In
so fern genoss Michael ein Sonderrecht im Himmel. Doch der Gedanke an einen
erneuten Krieg mit der Hölle war erschreckend.
„Wir wissen nicht, ob in dieser Richtung etwas geplant ist“, informierte
ihn Alexiel, „Der Zeitpunkt wäre günstig, denn wir sind schwach, doch ich
kann mir nicht vorstellen, dass auch die Hölle besser da steht als wir im
Moment. Leider wissen wir nichts Genaues!“
°Es hängt allein von Luzifer und dessen weiteren Plänen ab!°, mischte sich
jetzt Uriel ein. °Sein Ziel Gott zu töten hat er erreicht fraglich ist nur,
was er jetzt vorhat. Doch wenn er auch nur ein bisschen Verstand besitzt, dann
werden erneute Kämpfe vermieden.°
„Woher kannst du so etwas genau sagen?“
°Genaueres sagen, kann nur Michael. Ich denke, dass Luzifer sich
zurückgezogen hat, weil sein eigener Streit mit seinem Bruder noch nicht
ausgestanden ist. Er wartet auf Michaels nächsten Zug, doch wir wissen nicht,
ob und wann sich Michael je bereit sieht erneut mit seinem Bruder zu reden!°
„Du glaubst, dass das der Auslöser für dieses Chaos hier war?“
°Luzifer ist immer der Auslöser. Sein ganzes Dasein dreht sich um seinen
Bruder. Vor seinem Verrat und nach seinem Verrat. Er hängt zwischen seiner
alten Liebe zu seinem Bruder, die schon so lange zurückliegt und dem immer
währenden Zorn auf Luzifer.°
„Liebt er seinen Bruder trotz dessen, was er getan, denn immer noch? Ist so
etwas möglich?“, wollte Alexiel nun wissen.
Für einen Moment schwieg Uriel ehe er leise meinte: °Das solltest du doch
eigentlich am besten wissen! °
Dieser Satz hallte in Alexiel Kopf wider.
Sie hatte vergessen, dass sie und Rosiel nicht die Einzigen wahren, die als
Zwillinge geboren worden waren. Oft vergaß man, dass Michael und Luzifer
gleichzeitig geboren worden waren. Da Luzifer immer nur als ‚Bruder’
Michaels bezeichnet wurde, hatte man diese Tatsache vergessen, doch es machte
einen gewaltigen Unterschied aus. Nach einer Weile drehte sie sich weg und
verschwand in Richtung ihres Gemachs. Vielleicht konnten ja sie oder Rosiel
Michael helfen. Einen letzten Blick auf die Flammen werfend und sich
überzeugend, das man im Moment wirklich nichts tun konnte, das Michael jetzt
scheinbar allein sein wollte, verschwand sie.
Auch Uriel ging an seine Arbeit zurück, allerdings mit einem nachdenklichen
Gesichtsausdruck, der zeigte, dass auch er sich Sorgen machte. Raphael blieb
zurück und versorgte die restlichen Verletzten.
-
Die Flammen wüteten um das Zimmer herum, heizten die Luft auf und ließen
Rauch aufsteigen. Im Zentrum saß Michael, vom Feuer umgeben. Es schien ihn zu
streicheln und zu trösten ohne ihn allerdings zu verletzen. Nie würde das
Feuer es wagen seinem Herrn weh zu tun.
Michael hingegen war froh, dass es so richtig heiß war. Teilweise war alles
verbrannt und sehen konnte man schon gar nichts, doch die Hitze ließ auch seien
Tränen verdunsten. Hätte er gekonnt, hätte er jetzt geweint. Vor ihm auf dem
Schreibtisch lag der Bericht eines Soldaten, der den Kampf beschrieb als der
Erzengel Michael den neuen Höllenfürsten bei offener Schlacht zur Rede
stellte. Als er das gelesen hatte, war eine Welle des Schmerzes über ihn hinweg
gerollt.
Kurz danach hatte er sich in den Flammen versteckt und Michael hatte es gerade
noch so geschafft die Untergebenen aus dem Zimmer zu jagen, damit kein Unglück
geschah, dann hatte auch er sich verkrochen. Michael war derjenige, der jetzt
trauerte und voller Bedauern an die alten Tage dachte, während der andere Teil
in ihm das Feuer der Wut in seinem Körper schürte.
Erleichtert war er als Uriel, Alexiel und vor allem Raphael wieder
verschwanden. Hätten diese sich dem Feuer genähert, so hätten sie es
irgendwann geschafft ihn hier heraus zu locken, doch er wollte jetzt nur noch
alleine sein. Er würde am Besten jetzt zurück fliegen. Langsam stand Michael
auf. Er stellte fest, dass es inzwischen finstere Nacht war und kein Engel mehr
im Amtsgebäude sich befand. Er schritt zur Tür, öffnete diese und lugte
vorsichtig hinaus. Es war anscheinend wirklich keiner da. Schnell verließ er
das Zimmer und floh durch das nächste Fenster hinaus. Es kümmerte ihn nicht,
dass die Flammen immer noch brannten. Wie ein leuchtender Feuerball am Himmel
flog er durch die Nacht zu seinem Haus.
Nur noch allein sein.
Er sah nicht, wie Rosiel aus einem der Räume ihm hinterher starrte.
-
Rosiel drehte sich vom Fenster weg, als er sah, wie Michael davon rauschte. Er
blickte quer durch den dunklen Raum hin zu seiner Schwester, die vor einem
Spiegel stand und sich abwesend die langen braunen Haare kämmte. In seinem
Blick war deutlich Zweifel zu lesen. Seine silbernen Haare vielen in langen
Wellen herunter und der anorganische Engel spielte mit einer Haarsträhne.
Rosiel dachte daran zurück, wie er nach dem Kampf gegen Gott in Setsunas
Seele aufgewacht war seine Schwester neben sich. Das war ein Erwachen gewesen.
Denn offensichtlich war es nicht mehr möglich gewesen sie beide ganz zur Ruhe
zu bringen und ihre Seelen nur zu beherbergen. Setsuna hatte also mehr oder
weniger von dem Tag an, dem er auf die Erde zurückgekehrt war, täglich mit
Rosiel und Alexiel zu tun gehabt. Denn nach so langer seit des Versiegelns und
des Krieges waren die Zwillinge nicht gewillt gewesen, sich die Chance entgehen
zu lassen die Menschen kennen zu lernen. Rosiel bedauerte Setsuna heute noch ein
wenig.
Dessen Leben war wirklich nicht leicht gewesen.
Zuerst wurde man unwissend in einen Krieg zwischen Engeln, Engeln und Dämonen
gezwängt, dann musste man die Welt retten und musste sich als Letztes auch noch
keine Chance auf ein normales Leben zu bekommen. Zu viel war geschehen, als das
Setsuna auf die Erde zurückkehren hätte können. Trotz des hässlichen Endes
hatten sie es geschafft, ihre Existenz zu dritt fortzuführen. Ihnen war ein
Leben zusammen lieber, als getrennt, auch wenn es regelmäßig Reibereien gab.
Mehr zwischen Rosiel und Alexiel, als mit Setsuna. Ihre Beziehung zueinander
schwankte stets ein wenig. Rosiel gab zu, dass Setsuna ihm ans Herz gewachsen
war, auch wenn das eine Weile gedauert hatte und er wusste das Setsuna dasselbe
über ihn dachte.
Zu Alexiel wieder herum hatte der Messias eine besondere Beziehung. Aber wen
wunderte es? Setsuna war die Inkarnation seiner Schwester und somit ihr auf eine
Art und Weise verbunden wie es kaum ein anderer nachvollziehen konnte. Es war
ähnlich wie bei ihm und Alexiel, nur auf eine etwas andere Weise –
schließlich teilten sie sich seit jeher das Zwillingsband, das schon unter
Menschen bekannt war. Bei Engel wirkte sich so eine Zwillingsgeburt auf das
ganze Leben der beiden Engel aus. Nur waren bisher nicht viele Zwillinge geboren
worden.
Dabei fiel ihm der Grund ein, warum ihn Alexiel ihn überhaupt her beordert
hatte. Der warnende Ruf seiner Schwester hatte ihn alarmiert und er war sehr
schnell aufgetaucht, trotz dessen das Alexiel sonst . Sie hatte ihm berichtet,
was passiert war. Wieder warf er einen kurzen Blick nach draußen. Der
Feuerstreifen am Himmel war inzwischen verschwunden, also war Michael bereits
Zuhause. Sollte er ihn wirklich aufsuchen?
„Alexiel, warum soll ausgerechnet ich zu Michael gehen?“, meinte Rosiel
jetzt nun nach einer ganzen Weile. Seine Stimme hallte in dem Raum wieder, weil
es so still war. Alexiel drehte sich zu ihm um, sie hatte den Ernst in seiner
Stimme gehört, auch wenn es für ein normales Wesen nicht zu hören gewesen
wäre. Sie stand auf und ihr Augen und ihr Haar schimmerten im Kerzenlicht.
„Weil nur es kannst, geliebter Rosiel“, meinte sie mit sanfter Stimme.
Rosiel mochte diesen Klang, auch wenn nur wenige außer ihm überhaupt wussten,
dass die wilde Alexiel überhaupt so reden konnte.
„Nur ich? Etwas das du nicht kannst, liebste Schwester?“, gab Rosiel
leicht spielerisch zurück. Nur selten konnte Alexiel zugeben, dass sie etwas
nicht schaffte. Doch Alexiel ging nicht darauf ein, sondern trat dicht an ihn
heran und legte ihm eine Hand auf die Wange.
„Rosiel, ich denke, die Lage ist ernster als wir alle denken. Ich als
organischer Engel spüre es schon eine ganze Weile, doch es wird immer
schlimmer, Michaels Kräfte fangen an verrückt zu spielen. Er befindet sich
nicht im Einklang mit sich selbst.“
Verwundert zog Rosiel eine Augenbraue nach oben.
„Das ist doch nichts Neues! Michael gehört zu den Mächtigsten, aber auch
zu den Seltsamsten unter uns. Er war schon immer ein Diskussionsthema des Rates
und wird es auch immer sein. Nur sein Status und seine Unentbehrlichkeit retten
ihn vor einer harten Strafe.“
Alexiel seufzte. „Ich weiß, Rosiel. Das wissen wir alle. Doch wir wollen es
nicht wahrhaben und diesmal ist etwas anders. Es liegt vielleicht daran, das
Gott endlich tot ist.“
„Was meinst du, Schwester?“
„Michael befand sich, so weit ich weiß, immer in Zwiespalt mit seinem
Bruder. Wir beide waren lange Zeit verbannt und versiegelt, deswegen können wir
es nicht genau sagen, aber ihr Verhältnis ist dem unseren sehr ähnlich.“
Sie schmiegte sich nun ganz an ihren Bruder, der sie in die Arme nahm. Rosiel
spürte, dass seien Schwester gerade von eignen düsteren Gedanken gequält
wurde und wollte ihr beistehen. Sie sprach weiter.
„Wie ich wurde Luzifer immer bevorzugt behandelt und war von Anfang mit mehr
Kraft ausgestattet als Michael. Michael hat wie du jedoch auch stets um
Aufmerksamkeit kämpfen müssen, dass aber vor allen Engeln und nicht nur vor
Gott. Auch sie teilen sich ein Band, doch sie haben nie gezeigt, dass es
existiert. Sie ignorieren ihre Gefühle und sie gehen daran zu Grunde. Keiner
kann wohl nachvollziehen, wie Michael sich gefühlt haben muss, als sein Bruder
– der Stolz des ganzen Himmels – Gott verriet und er ihn selbst aus dem
Paradies jagen musste.“
Rosiel schwieg und erneut ergriff Alexiel das Wort.
„Rosiel, ich weiß, dass du nie viel mit Michael zu schaffen hattest, aber
der Einzige, der ansatzweise wissen kann, zwischen welchen Abgründen Michael
schwebt, bist du. Bitte versuch etwas zu ändern. Ich habe Angst um das
Schicksal des Feuerengels und um das des Höllenfürsten. Wenn ich sie ansehe,
dann sie ich uns beide und denke mir, das sich es auch hätte schief gehen
können. Wenn ich Michael sehe, dann erkenne ich eure Ähnlichkeit und der
Gedanke, dass Michael vielleicht genauso hilflos ist wie du einst, lässt mich
schauern, denn wenn ihm etwas passiert, werde ich stets immer davon träumen,
dass ich dich hätte verlieren können.“
Rosiel wusste nicht viel zu antworten. Es schien seiner Schwester wirklich am
Herzen zu liegen, dass Luzifer und Michael ihr Glück fanden, genau so wie es
ihnen gelungen war. Denn Rosiel musste zugeben, dass die letzten Jahrzehnte mit
Alexiel und Setsuna die Schönsten seines bisherigen Lebens waren. Allein nur
für sie würde er mit Michael reden.
„Ich werde es versuchen, geliebte Schwester. Doch ich weiß nicht, was dabei
herauskommen wird. Ich kann Michael lediglich helfen mit seinen Gefühlen zu
Recht zu kommen, denn groß ist die Chance nicht, dass er und sein Bruder
zueinander finden. Dafür waren ihre Positionen seit jeher zu unterschiedlich
und sind es immer noch. Mal abgesehen von dem langem Hass und der verdrehten
Liebe, die zu einander hegen.“
„Danke Rosiel“
Die Zwillinge verdanken in einer Umarmung und gaben sich gegenseitig Schutz
und Trost. Schutz vor der Vergangenheit und den dunklen Alpträumen. Es kam
ihnen nicht richtig vor selbst glücklich zu sein, wenn sie genau wussten, dass
andere gerade dasselbe durchmachten wie sie einst.
Etwas später verließ Rosiel seine Schwester und flog dahin, wo er Michael
spürte. Das Flackern des Elementes Feuer war tatsächlich zu spüren, wie
Alexiel gesagt hatte. Er spürte auch, dass Setsuna bald bei Alexiel sein
würde. Gut, es war besser wenn diese jetzt nicht alleine war. Rosiel hatte in
letzter Zeit den Drang entwickelt seine Schwester beschützen zu wollen, auch
wenn diese eigentlich der Kriegsengel war. Doch sie wurde immer noch von
Schuldgefühlen heimgesucht und machte sich Vorwürfe, während er selbst
bereits sich und seiner Schwester vergeben hatte.
Doch auch er hatte kein gutes Gefühl, als er sich Michaels Anwesen näherte.
Es würde schwierig werden mit dem Feuerengel zu reden und unterschätzen durfte
er den ersten Erzengel ganz bestimmt nicht.
Morgendämmerung - Das Spiegelbild des Drachen
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Kommentar: Veränderungen vor
allem in der Formulierung und einigen Details. Der Inhalt sich nicht geändert,
aber es ist, so hoffe ich, jetzt leichter und besser zu lesen. Und es sind knapp
1500 Wörter mehr, das hat sich so ergeben.
Vielen Dank
mangacrack
xxx
::Kapitel 03 – Das Spiegelbild des Drachen::
Michael landete elegant in auf seiner Balkon, der vom Schlafzimmer aus zu
erreichen war. Mit einem Wink löste sich das Schutz Siegel, der Andere am
Eintreten hinderte und er trat durch die aufschwingenden Türen. Gleichzeitig
fingen die Fackeln an Wänden Feuer und erhellten den Raum mit ihrem Schein.
Automatisch ließ er seine Schwingen verschwinden und ein paar einzelne Federn
segelten zu Boden.
Michael schnaubte und fuhr sich durch Haare während er sich beruhigte. Das
heißt, er versuchte es. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass sich ein paar
Flammen um seine Füße schlichen. Aus einem plötzlichen Impuls heraus steckte
er seine Schuhe in Brand und innerhalb von Sekunden hatten sie sich in Asche
verwandelt. Jetzt stand er mit bloßen Füßen da und fühlte sich schon etwas
besser. Er lief über den heißen Stein, der durch seine Astralkraft erwärmt
wurde und ging zu der anderen Seite des Raumes, wo ein riesiger Spiegel stand.
Dabei musste er aufpassen nicht auf die ganzen Waffenzeitschriften zu treten,
die hier überall verstreut herum lagen. Vor dem Spiegel angekommen musterte er
sich.
Ja, der Anblick war immer noch der Gleiche.
Seit Jahrtausenden blickte ihn dieses Gesicht an, wenn er in den Spiegel sah.
Bis sich das vor Monaten geändert hatte. Er konnte es immer noch nicht glauben.
Michael knurrte als er daran dachte.
Vor einigen Monaten hatte er seinen Körper mit einem magischen Schleier
verhüllt, als er bemerkte, dass er sich zu verändern begann. Er hatte sich gar
nicht genau betrachtet oder darüber nachgedacht, sondern einfach nur seinen
Anblick verborgen. Vor allen. Auch vor sich selbst.
Zuerst hatte er gefürchtet Uriel würde etwas merken, doch nichts. Keiner
hatte ihn darauf angesprochen. Was für ein Glück. Leicht unsicher blickte er
noch einmal in den Spiegel. Er war immer noch er selbst. Sollte sich das
ändern, wenn er jetzt den Schleier löste?
Mit Herzklopfen zog er sich seine Kleidung aus. Es war ein traditionelles
Gewand, nicht zum Kämpfen geeignet, sondern eher formell. Nicht das, was er all
die Zeit getragen hatte, doch schon eher etwas, das seinen Körper verdeckte und
vor neugierigen Blicken verbarg. Am Schluss stand er nur noch in einer kurzen,
engen und schwarzen Short da. Ansonsten war er nackt.
Michael schloss seine Augen und beendete den Zauber, den er mit seiner
Feuerkraft geschaffen hatte. Er war eigentlich nicht der Typ, der sich auf diese
Art von Zauberkraft verließ, aber sie war nützlich. Vor allem, weil niemand
ahnte, dass er sie beherrschte.
Fast sofort spürte er ein Ziehen in seinem Körper. Er hustete und keuchte,
sank auf die Knie, doch er weigerte sich in den Spiegel zu sehen. Seine linke
Gesichtshälfte und Brustplatte begannen zu brennen. Da wo der Drache
eintätowiert war, ging ein unglaublicher Schmerz aus und Michael krümmte sich.
Er hustete noch einmal und diesmal spukte er Blut. Seine Sicht verschwamm und
seine Hände begannen zu zittern. Er konnte es nicht stoppen. Er war hilflos und
er hasste dieses Gefühl.
Inzwischen lag Michael bäuchlings auf dem Boden und atmete unkontrolliert. Er
war Schmerz gewöhnt, doch as hier war jenseits seiner Vorstellung. Er konnte
ihn noch nicht einmal betäuben und die Intensität trieben ihm Tränen in
Augen, die er versuchte zu unterdrücken. Voller Schmerz schrie er auf, denn nun
begann etwas in seinem Rücken zu stechen. Michael vermutete, dass es seine
Flügel waren. Er wusste, dass er im Moment hilflos war und nichts anderes
machen konnte, als abzuwarten bis die Verwandlung aufhörte, doch vielleicht
half es ihm, wenn er seine Flügel, die Quelle seiner Kraft offenbarte.
So eine Art von Schmerz hatte er noch nie erlebt und als Kriegsengel hatte er
schon reichlich Erfahrungen mit Wunden und allerlei Arten von Schmerz machen
können, doch der Zauber hatte das, was er hatte verbergen wollen, so
zurückgedrängt, dass es jetzt mit aller Macht zurück kam. Da es sich dabei um
seine eigne Astralkraft handelte, die sich nun gegen ihn wendete, konnte er auch
nichts anderes tun, als aus zu harren.
Er konnte den Prozess nicht aufhalten oder stoppen. Nur beschleunigen, um ihn
so beenden zu können. Also entfaltete er seine Schwingen.
Die Schmerzen griffen allerdings sofort auf seine Flügel über. Der Eine lag
schlaff auf dem Boden und zuckte leicht, als er den Schmerz in sich aufnahm und
begann den Prozess für Michaels Körper zu vereinfachen. Der andere Flügel
streckte sich soweit über Michaels Körper, dass die Sicht auf den rothaarigen
Engel verborgen wurde. Ein wenig erleichtert holte Michael Luft und wischte sich
das Blut aus dem Mundwinkel.
Die Kraft aufzustehen, fand er allerdings noch nicht. Seine Flügel hatten ihm
die schlimmsten Schmerzen genommen, doch er es war heftig gewesen. Der Zauber,
den er verwendet hatte, war doch anderer Natur gewesen, als zunächst geglaubt
hatte. Als er an dem Abend seiner Rückkehr vom Schlachtfeld die Veränderung
bemerkt hatte, war sein einziges Ziel gewesen, das ungeschehen zu machen. Also
hatte er es so aussehen lassen, hatte sogar daran geglaubt, doch eine Illusion,
war eine Illusion und als die Auflösung des Zaubers eintrat, war diese in sich
zusammengefallen.
Michael spürte, wie er müde wurde.
Das jetzt zuviel gewesen. Die ganze Zeit hatte dagegen angekämpft, was sich
in seinem Körper ausgebreitet hatte und es hatte ihn geschafft. Nur schwer
konnte er die Augen offen halten. Am liebsten wäre er sofort eingeschlafen,
doch er schaffte es langsam zum Bett zu kriechen.
Der Versuch, aufzustehen, ließ ihn wieder zu Boden sinken.
Er hasste seine Schwäche, doch der Brand Vorfall heute hatte an seinen Nerven
gerissen, vor allem sich selbst wieder unter Kontrolle zu bekommen, hatte ihn
fertig gemacht. Es war nicht einfach sich zurückzuhalten, nicht dem Zorn,
seiner Wut und seiner Verzweiflung nachzugeben, die immer noch in seiner Seele
zu Hause waren. Nur weil der Messias ihm wieder ein wenig Klarheit verschafft
hatte, hieß das nicht, dass diese Gefühle verschwunden waren. Der alte
Konflikt, zwischen ihm und Luzifer, war Äonen alt. So alt, dass er das Weltbild
der Menschen geschaffen hatte, heute noch in ihr alle Köpfe weiter lebte und
den er sich jetzt zu beenden sehnte!
Doch in diesem Zustand konnte er das nicht.
Michael biss die Zähne zusammen und bewegte sich zu seinem Bett.
Eine Nacht auf den Fußboden zu verbringen, war nicht unbedingt das
Angenehmste und das Erholsamste für seinen Körper. Außerdem würden morgen
Diener kommen, die sauber machen würden. Zwar durften nur einige wenige diesen
Raum betreten, doch würden sie ihn so vor finden, würden sie ihn sofort zu
Raphael bringen.
Michael atmete schwer auf als endlich beim Bett ankam und sich am Stoff
hochzog.
Wenn er gewusst hätte, dass das solche Auswirkungen haben könnte, wäre
vielleicht doch zu Raphael gegangen. Denn seltsam war diese Veränderung
sicherlich. Doch darüber nachdenken konnte er jetzt nicht mehr. Morgen, ja
morgen würde er sich darüber Gedanken machen, was die Veränderung seiner
Astralkraft bewirkt hatte und vorher es kam.
Erschöpft, wie nach einer langen und schweren Schlacht gegen ein Heer von
Dämonen, ließ er seinen Kopf ins Kissen fallen und schloss die Augen. Noch
immer schmeckte er den metallischen Geschmack des Blutes in seinem Mund, doch
das bemerkte er kaum. Zu oft hatte er das erlebt, als das er sich darüber
Sorgen machen müsste, ob sein Körper das aushielt. Physische Schmerzen war er
gewöhnt. Im Kampf verletzte man sich oft. Blut war seine Lebensquelle, erst
wenn es vom Himmel regnete, konnte er seine Sorgen, seine Vergangenheit, sein
Dasein hinter sich lassen. Der Rausch des Schlachtfeldes, wenn im Krieg immer
wieder Schwert, Glaube und Körper aufeinander prallten, dann war er das, wofür
er geschaffen worden war.
Er versuchte es nicht einmal zu leugnen, aber als ewige Zerstörung immer
weiter kämpfen, konnte auch für ihn ermüdend sein. In letzter Zeit war die
Lust weniger berauschend gewesen. Der Versuch sich einzureden, der Spaß am
Dämonen jagen würde wieder kommen, versickerte immer mehr in dem Meer von
Zweifel.
Erschöpft in Körper und Geist, schob Michael die Gedanken beiseite.
Er streckte sich in seinem gewaltigen Bett aus und fühlte, wie seine Glieder
immer schwerer wurden. Nicht einmal die Kraft, die Augen auf zu machen hätte er
jetzt noch aufbringen können.
Doch dann fühlte er die Gegenwart eines anderen Wesens am Ende des Raums.
Er ließ die Augen geschlossen.
„Herr“, hörte er seine Dienerin fragen. „Kann ich euch behilflich sein?
Wünscht ihr etwas?“
Zuerst wollte er etwas Harsches auf die Störung erwidern, doch er besann sich
eines Besseren. Er war jetzt nicht mehr in der Stimmung dazu der harten
Kriegsfürst zu sein, der sich nur so selten zur Ruhe begab, doch genau jetzt
war das der Fall.
„Nein, geh. Ich will nicht gestört werden.“
Sofort verschwand seine Dienerin wieder. Endlich hatte er Ruhe.
Ohne weiter über noch irgendetwas nachdenken zu können, gab er sich seiner
Müdigkeit hin und versank in einen tiefen Schlaf, der ihn wie ein schützender
Mantel umhüllte und alles vergessen ließ.
-
Als Rosiel sich später der Residenz des Feuerengels näherte, hielt er inne
und blieb wo er war. Von Weitem betrachtete er das Haus, der eigentlich mehr
einer Burg mit vielen Hörnern, Ecken und Kanten als einem Palast der großen
Vier ähnelte. Nachdenklich erinnerte er sich an seine letzte Begegnung mit
Michael. Mit einander gesprochen hatten sie nur, als er durch Setsunas Auge
dessen Körper in Besitz genommen hatte, um diesem bei dem Prozess von Jibril
dabei sein zu lassen.
Ihre Begegnung war so kurz gewesen, das man sie kaum beschreiben konnte. Er
hatte damals einen Subraum erzeugt, um Michaels Flugschiff lahm zu legen. Etwas
anders war auch nichts möglich gewesen, um Michael am Eintreffen in der
Gerichtshalle zu hindern. Das Uriel sich eingemischt hatte, war schon
überraschend genug, ebenso wie Raphaels Unterstützung, aber Michael wäre für
seine damaligen Pläne fatal gewesen.
Denn es mochte sich die Weltordnung verschieben und ihr Schöpfer verschwunden
sein, doch er würde niemals das erste Gesetz des Lebens missachten: Michael zu
unterschätzen. Dieser hatte Recht gehabt, als er sagte, dass die Elementare
sich besser mit dem organischen Engel verstehen würden, weil sie die
Schutzengel der Natur waren, doch ebenso wahr war seine Aussage, dass sie ihn
einfach nicht leiden konnten. Doch damit hatte Michael eigentlich nur für sich
selbst gesprochen. Er selbst und der Feuerengel waren in der Vergangenheit schon
öfter aneinander geraten.
Sei es persönlich, im Kampf oder um die Frage, wer der wahre Heerführer war.
Die Existenz seiner schwarzen Armee war Michael gehörig gegen den Strich
gegangen und weil er am Ende sich geweigert hatte, ihn zu unterstützen, hatte
er letztendlich den Kampf gegen Alexiel im zweiten großen Krieg verloren.
Aber das war Vergangenheit.
Es war nicht von Bedeutung, was damals mit ihm war, denn das war vorüber.
Nicht vorüber war allerdings Michaels Streit mit sich selbst. Alexiel hatte
keine Ahnung, wenn sie sagte, dass das Verhältnis zwischen Michael und seinem
Bruder gestört war. Als sich Luzifer in seinen Diensten befand, hatte dieser
nie eine Regung gezeigt. Unendlich kalt und böse war seine Ausstrahlung
gewesen, seine Lust zu töten immer präsent.
Herrje, Michael hatte sich aber auch eine seltsame Seele als Zwilling
ausgesucht. Oder andersherum, das konnte man nicht so genau sagen.
Rosiel blickte noch einmal auf den Ort hinunter, wo er spüren konnte, wie die
Schwingungen des Feuers ruhiger wurden. Es war besser, wenn er da jetzt nicht
auftauchen würde. Unbemerkt drehte Rosiel sich um und flog durch die Nacht
zurück. Er würde diesen schlafenden Drachen nicht wecken. Niemand sollte das,
denn das Feuer, dass er spuckte, war für jeden gefährlich, der damit in
Berührung kam.
-
Am nächsten Morgen schlug Michael langsam die Augen auf. Er versuchte sich
daran zu erinnern, was gestern passiert war, dass er mit ausgebreiteten
Schwingen auf seinem Bett lag, Blut darüber verteilt. Er gähnte und streckte
sich. Der Wind blies die dünnen Vorhänge beiseite und ließ die Sonne herein
scheinen. Ein kurzer Blick nach draußen, ließ Michael schon fast wieder
fühlen, wie seine Kraft zurück kehrte.
Der Sonnenaufgang kündigte den neuen Tag an und mit ihm stieg auch seine
Kraft, seine Verbindung zu der Verkörperung des Feuers selbst. Als er sich
stark genug fühlte, schwang er die Bettdecke zur Seite, rutschte an den Rand,
blieb aber dort noch eine Weile sitzen.
Er fühlte das Kribbeln an seinem Rücken, weil seine Schwingen immer noch
ausgebreitet waren, dennoch noch schlaff herunter hingen. Ein wenig
desorientiert fuhr er sich durch die Haare. Sein ganzer Körper fühlte sich
etwas taub an. Wie durch einen Schleier erinnerte sich an den Schmerz vom
vorherigen Abend.
Er suchte in seinen Gedanken nach der Antwort, was passiert war. Es viel ihm
nach einigem Nachdenkens wieder ein. Er hatte den Zauber gelöst, der über
seinem Körper lag. Zauber und Illusionen waren eigentlich nicht seine
persönliche Art mit Problemen umzugehen, deswegen hatte er seinen Kräften eine
Pause gönnen wollen. Es fehlte ihm die nötige Konzentration dazu etwas
derartiges lange aufrecht zu erhalten.
Doch da war noch etwas, das sich jetzt nun in sein Bewusstsein drängte. Er
sollte die Gelegenheit nutzen, um nachzusehen, ob die Aufhebung des Zaubers
irgendeinen Schaden angerichtet hatte. Langsam und noch etwas betäubt stand er
auf. Für einen Moment musste er sich am Bettpfosten festhalten, weil er sonst
wieder umgekippt wäre. Ihm hatte die Aktion vom Abend mehr Kraft gekostet als
erwartet.
Eine dunkle Vorahnung ließ Michael, aus Vorsicht vor dem was ihn
möglicherweise erwarten würde, seine Flügel in dem Zustand beibehalten.
Leicht frustriert wegen dem so unangenehmen frühen Morgen, durchquerte Michael
sein Schlafzimmer und hielt auf den großen Spiegel zu, der im Durchgang zu
seinem Baderaum hing.
Gedanklich begann er seinen Tag zu planen. Er fühlte eine gewisse Müdigkeit
in sich und Michael musste sich zusammenreißen, um nicht dem Impuls
nachzugeben, sich wieder zurück ins Bett zu legen. Doch seine Erfahrung sagte
ihm, dass er jetzt nicht weich werden, sondern sich zusammenreißen musste. In
seinem Inneren fühlte Michael, wie das Feuer seiner Seele, sein Feuer, dass er
hütete, beherbergte und bewachte, nicht so stark brannte, wie es sonst der Fall
war. Ein Grund zur Beunruhigung, denn er erlaubte es sich nur, nach schweren und
langen Auseinandersetzungen mit den Dämonen so ausgelaugt zu sein.
Sein Feuer war in seiner Seele und brannte zusammen mit seinem Willen und in
seinem Blut.
Michael trat vor den Spiegel. Nachdem er einen Blick hinein geworfen hatte,
weiteten sich seine Augen voller Unglauben.
„Nein!“
Michael starrte in den Spiegel. Ungläubig legte er seine Hände auf die
Oberfläche des Spiegels und sein Spiegelbild tat es ihm nach. Die Berührung
seiner Fingerspitzen mit der glatten Oberflächen, ließ ihn bewusst werden,
dass das kein irrealer Traum oder ein schlechter Scherz war.
Es war real.
Das Gesicht, das ihn aus dem Spiegel ansah und der Körper, der zu diesem
Gesicht gehörte, war nicht mehr dasselbe, das ihn gestern noch angesehen hatte.
Nicht mehr das, dass er seit Äonen lang mit sich herum getragen hatte. In
wenigen Sekunden blitzen vor Michaels innerem Auge die Bilder auf, die ihn seit
seiner Erkenntnis, dass er nie größer als die meisten anderen Engel werden
würde, verfolgt hatten.
Die lachenden anderen Jungengel, die ihn verspotteten, weil er kleiner war.
Die verächtlichen Blicke der Offiziere, die seine Anweisungen nicht befolgten
und das dann teuer bezahlen mussten.
Die verletzten Kommentare der Erzdämonen, wenn mal wieder das Dämonenheer
auf die Himmlischen Heerscharen traf und er sich dem Duell mit den Satanen
stellte.
Es kam Michael unwirklich vor und doch erkannte er sofort, dass er, wirklich
über Nacht, gewachsen war. Es mochten nur ein paar wenige Zentimeter sein, die
nicht einmal irgendjemand auffallen mussten, doch allein die Tatsache, dass
endlich jenes Wunder geschehen war, das er, der seit ewigen Zeiten im Körper
eines Kindes gefangen war, nun doch noch erwachsen zu werden drohte.
Michael fand keine Erklärung dafür.
Er hatte diesen Kindeskörper gehasst. Sein Geist war ständig gealtert, hatte
ihn zu einem der ganz großen Engel im Himmelreich gemacht, doch sein Körper
hatte sich geweigert dem Wunsch in seinem Inneren nachzugehen. Doch endlich, wo
er darüber hinweg war, seit der Messias ihm ein wenig Verstand eingehämmert
hatte, entschied sich sein verräterischer Körper doch noch dazu? Es war kurios
und unwirklich.
Michael fand keine Erklärung dafür.
Er betrachtete sich genauer im Spiegel. Vorher hatte er stets in dem Körper
eines dreizehnjährigen Jungen gesteckt. Sein wildes Drachen Tattoo, seine
Lederkleidung, die Waffen und die roten wüsten Haare hatten es versteckt, doch
er hatte es jeden Tag seiner Existenz gefühlt. Kleiner zu sein. Selbst Raphael
hatte nichts tun können. Und nun…?
Jetzt starrte ihm ein Gesicht entgegen, dass er nicht kannte.
Es wirkte fremd. Reif, erwachsen und erstaunt, doch auch merkwürdig gefasst.
Doch eines missfiel ihm.
Missfiel ihm ganz gewaltig und nur der Schock allein hinderte Michael daran,
es wirklich zu begreifen. Sein Gesicht hatte sich über Nacht so verändert,
dass die Ähnlichkeit mit seinem Zwillingsbruder nun wirklich zu sehen war.
Sein Blick wanderte zu seinem Drachen Tattoo, das er schon seit er dem
Zeitpunkt ersten großen Krieg hatte. Es war immer bei ihm gewesen. Seit dem
Zeitpunkt, an dem sein Bruder, Luzifel, den Himmel verraten hatte. Er selbst
weigerte sich Luzifer als den Bruder anzuerkennen, der er einmal gewesen war.
Der fremde Zwilling, der den Schöpfer vernichtet hatte, war nicht derselbe
Mann, der einst in ihren Kindertagen sein großer Bruder gewesen war.
Michael drehte sich vom Spiegel weg und dachte nach.
Seine gesamte Kraft und sein Verhalten waren immer von seinem Bruder abhängig
gewesen. Sie waren der Teil eines Ganzen. Selbst wenn er es leugnete, so stimmte
es dennoch. Er zitterte vor Wut. Wut auf Luzifer, auf den Schöpfer, die Welt
und auf sich selbst. Er musste sich zurückhalten nicht alles in diesem Raum
nieder zu brennen.
Michael drängte die Taubheit in seinem Körper zurück, die ihn bis eben
beherrscht hatte. Damit kehrte auch die Kraft zurück, die er schon vermisst
hatte. Sein Selbstvertrauen und seine Selbstsicherheit ersetzten die Zweifel,
die sein neues Spiegelbild ausgelöst hatten.
Mit neu gewonnener Entschlossenheit sah er erneut in den Spiegel. Er würde
nicht davon laufen. Schon gar nicht vor sich selbst. Auch nicht vor seinem
Bruder. Doch seine Erscheinung ließ ihn wirklich denken, dass er nicht ganz so
mutig sein konnte, wie er es sich wünschte. Denn wenn er genug Mut gehabt
hätte, dann würde er sich jetzt eingestehen, dass sein Gesicht mehr dem von
Luzifer ähnelte als früher.
Er legte seine Hand auf die Brust, da wo sein Drache über den Körper lief
und fuhr die Konturen mit seinem Finger nach. Dieser Drache war zweifelsfrei das
Andenken an den Tag, an dem er seinen Bruder für immer aus dem Himmel
verbannte. Manchmal hatte er daran gedacht, sich dieses Tattoo zu entledigen,
weil sein Anblick immer wieder ihn an Luzifer erinnerte.
Raphael könnte die Zeichnung auf seiner Haut innerhalb einer Sekunde
verschwinden lassen, wenn er ihn darum bitten würde, doch jedes Mal, wenn er
sich dazu entschloss es zu tun, wusste er im selben Moment, dass ihm der Drache
unheimlich fehlen würde, sollte er nicht mehr da sein. War einfach nicht in der
Lage der Drachen von seinem Körper zu reißen, war er doch ein Teil seiner
Seele.
Plötzlich fühlte Michael, wie der Drache unter seiner Hand pulsierte.
Zuerst starrte der Feuerengel seine Hand an, dann seinen Drachen. Es war nicht
das erste Mal. Manchmal tat der Drache das. Aber so stark war der Puls noch nie
gewesen. Und noch nie so beständig. Es war nur immer ein schwaches Ziehen
gewesen. Aber der starke Puls, fast wie das schlagende Herz in seiner Brust, war
neu.
Und es irritierte ihn.
Es musste mit Luzifer zusammenhängen. Er kannte den Ursprung des Drachen und
mit welcher Kraft der Drache in seine Haut gebrannt worden war. Was hatte sich
sein Bruder jetzt wieder ausgedacht?
Michael versuchte zu erahnen, was Luzifer planen könnte, doch nachdem der
Höllenfürst ihn als Morgenstern bezeichnet hatte, war er nicht mehr
aufgetaucht. Der Messias hatte ihn zuletzt gesehen, doch angeblich war Luzifer
in einem hellen Licht verschwunden und war seitdem nicht mehr gesehen worden!
Sicher war er nun in der Hölle. Was auch immer ihn von dem Ort des letzten
Kampfes weggeschafft hatte, es war nicht von Bedeutung.
Aber es war von Bedeutung, dass sich jetzt mit dem neuen Puls, seine
Astralkraft ein wenig geändert hatte. Nur ein wenig und sicherlich nicht viel.
Aber genug, um bemerkt zu werden. Es war wie, als wäre irgendwo eine weitere
Quelle aufgegangen, die nun neue, frische Kraft spendete.
Doch wo kam sie her?
Eigentlich konnte es ihm egal sein. Er konnte Luzifer auch so besiegen. Er
brauchte die zwei weiteren Schwingen nicht, die Luzifer besaß. Aber wenn er das
beweisen wollte, dann musste er dazu Luzifer finden. Er musste sich diesem
Problems verdammt noch einmal entledigen, damit er diesen Kampf endlich beenden
konnte.
Er hatte lange genug gezögert. Luzifers Verhalten warf ihn immer wieder aus
der Bahn. Es war ihm egal. Diesmal würde er derjenige sein, der den
Höllenfürsten zum Kampf herausfordern würde. Der ihn aus seinem Loch
hervorholen würde.
Aber dazu musste er den Fürsten der Hölle erst einmal finden, wissen was
dieser vorhatte vielleicht auch. Das erforderte genauste Planung. Es würde eine
Schlacht werden. Zwischen Himmel und Hölle, zwischen ihm und Luzifer. Denn er
konnte nicht einfach nach Sheol spazieren und Luzifer herausfordern.
Nein, er musste anders vorgehen.
Sehen im Halbdunkeln - Der verschwundene Flügel
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Kommentar: Auch dieses Kapitel wurde komplett geändert. Nachdem ich begonnen
hatte die einzelnen Kapitel durchzusehen, ist mir immer wieder ein Schauer über
den Rücken gelaufen, dass ich so etwas überhaupt ins Netz gestellt habe. In
diesem Kapitel geht es um Michaels Beziehung zu den Menschen, der Erde und zu
Luzifers zweitem Flügelpaar.
mangacrack
xxx
::Kapitel 04 - Der verschwundene Flügel::
Michael machte sich alleine auf den Weg zu Assiah, der Planten Erde.
Er war sich sicher, dass Raphael ihn trotzdem finden würde, würde dieser sich
dazu entschließen ihn zu suchen. Doch seit der Fummeldoktor das Fummeln ein
wenig einzustellen versuchte, kümmerte er sich um die Opfer des Himmelskrieges.
Der Zusammenprall der vier Schichten und die Invasion der Dämonenarmee hatte
Zahlreichen das Leben gekostet. Wieder andere waren auf ewig verstümmelt und so
sehr Raphael sich lieber vergnügt hätte, so wusste Michael, dass der Engel des
Windes bei solchen Ereignissen stets den Verletzten zu Hilfe eilte.
Denn Raphael konnte den Tod einfach nicht ertragen, geschweige den akzeptieren.
Diese Einstellung hatte ihn zum besten Heiler im ganzen Himmel gemacht. Aber sie
machte ihn auch zu einer sehr sensiblen und verletzlichen Kreatur. Verlust war
etwas, dass Raphael nicht ertrug und die Angst davor trübte sein Gemüt.
Michael stemmte seine Schwingen gegen den Wind, der ihm entgegen blies. Er hatte
sich dazu entschieden auf jegliches technisches Hilfsmittel zu verzichten und
die auf die alte Art und Weise nach Assiah zu gelangen. Indem er flog war er
nicht auszumachen, auch wenn es gewiss länger dauerte. Eigentlich war diese
Fortbewegungsweise schon lange ausgestorben. Kein Engel flog solche Strecken
noch selbst. Aber Michael kannte die Vorzüge durchaus. Man war schneller,
wendiger und die nötige Ausdauer war ihm auch in Kämpfen von Nutzen.
Er hätte natürlich auch eins der Portale benutzen können, aber die wurden
überwacht und wenn er entdeckt würde, würde man sogar sofort wissen, wo er
sich aufhielt. Nein, es war besser so. Schließlich musste er im Geheimen einige
Dinge erledigen und es war ja nicht das erste Mal, dass er sich heimlich nach
Assiah schlich.
Im Grunde war es sogar immer noch verboten, denn der Rat war noch nicht dazu
gekommen die Verfassung der Himmelsgesetze neu auszuarbeiten. Man war sich aber
immer hin darüber einig, dass es eine neue und bessere Version geben musste.
Ein Wunder, denn eigentlich dauerte so eine Entscheidung in der Regel Jahre, da
derartige Sachen einstimmig beschlossen werden mussten.
Doch Michael tröstete sich über das ungeheure vernünftige Verhalten des Rates
damit hinweg, dass die neuen Gesetze sicherlich Tausend Jahre brauchen würden
bis sie in Kraft traten. Dafür würde er schon sorgen. Schließlich musste er
sicherstellen, dass man ihn am Ende nicht noch zur Arbeit und Ratssitzungen
zwingen konnte.
Doch wenn jetzt musste er sich erstmal auf sein Vorhaben konzentrieren. Er
musste Luzifer finden, anders konnte er ihren Konflikt nicht beenden und es war
egal, ob ihr Kampf nun jetzt oder ein paar Äonen später statt fand. Es würde
dasselbe sein.
Doch im Moment war er in der Lage eine Person zu befragen, die wissen müsste,
wo sich Luzifer aufhielt. Ihr Auftauchen hatte ihn gewissermaßen überrascht,
doch die Existenz der Person war definitiv vorteilhaft. Sicher nicht nur für
Luzifer, der hatte sich dabei schon fast gedacht, sondern auch für ihn.
Ja, Kira Sakuya würde wissen, wo Luzifer war, was er tat und was er plante.
Er musste seinen Bruder finden und wissen und wissen, was vor sich ging. Sein
Körper veränderte sich nicht einfach so. Es musste einen Ursprung dafür
geben. Er konnte fühlen, wie seine Bewegungen geschmeidiger waren als sonst.
Nur wenig und allein wegen seiner langen Erfahrung als Heeresführer hatte er es
zu verdanken, dass er es überhaupt bemerkte.
Auf einmal wurde Michael aus seinen Gedanken gerissen, als Assiah unter ihm
auftauchte und in ihrer ganzen Pracht sich unter ihm erstreckte. Michael blieb
für einen Moment in der Lust hängen und genoss, die Kraft der Sonne, die durch
ihn floss und seine Flügel pulsieren ließ.
Herrlich.
Hier auf der Erde unter der Sonne fühlte er sich unbesiegbar. Hier auf der Erde
war er unbesiegbar.
Deswegen hatte man es den Elementen seit Äonen verboten Assiah zu betreten,
denn Assiah war die Konzentration all ihrer Kräfte. Alles bestand aus einem
Zusammenhang von Wind, Wasser, Luft und Feuer. Michael konnte die Lava unter der
Erde spüren, wenn er den Boden berührte und das Licht der Sonne war wie ein
Bad in unendlicher Macht.
Hier war er zu Hause.
Unter diesem Himmel war er frei.
Stets hatte er sich hierher verzogen, wenn er nachdenken oder Abstand haben
wollte. Das Verbot Assiah zu betreten hatte er noch nie beachtet. Keine
himmlische Sphäre konnte es mit dem Gefühl aufnehmen, das Assiah ihm
vermittelte.
Assiah gehörte nicht Gott oder den Engel.
Sondern ihm!
Das Feuer der Menschen, dass in ihren Seelen brannte stärkte ihn und er fühlte
sich mit jedem einzelnen von ihnen verbunden. Die Einzigen, die außer ihm noch
die uneingeschränkte Erlaubnis hatten auf Assiah zu agieren wie sie wollten,
waren Uriel, Raphael und Jibril. Doch es waren nicht sie gewesen, die die
Menschen durch die Jahrhunderte begleitet hatten.
/Menschen/, dachte Michael und sog die Astralkraft ein, die ihm entgegen
strömte, als er sich Tokyo näherte.
Er würde nicht so weit gehen zu sagen, er würde sich für sie verantwortlich
fühlen, nein. Auch wollte er sie nicht leiten, aber er war kein Idiot. Menschen
glaubten immer an irgendetwas und suchten sich eine Leitfigur, ein Vorbild. So
wie seine Soldaten es taten.
Und er war nicht Luzifer, der ohne zu zögern seine Männer im Kampf opferte.
Seine eigene Rücksichtslosigkeit im Krieg war eine Sache und auch seine
Erbarmungslosigkeit würde er nicht abstreiten. Aber er war seinen Männer treu.
Es waren SEINE Soldaten, die IHM folgten. Er war der König der Engel.
Michael landete auf einem Tower mitten in der Stadt, der sogar noch die
üblichen Wolkenkratzer überragte. Millionen von Menschen tummelten sich unter
ihm. Es würde eine Weile brauchen bis er die Schwingungen gefunden hatte, die
ihn zu Nanatsusaya führen würden.
/Entstanden aus dem Schwert des fünften Elements, der Seele Luzifers und meiner
Kraft, ist er so einzigartig wie wir Elemente. Doch er ist noch jung in gewisser
Weise. Die Trennung von meinem Bruder ist noch nicht lange her. Ansonsten wäre
es leichter ihn zu finden./
Er war der halben Seele, die sich Sakuya Kira nannte, vor nicht allzu langer
Zeit begegnet. Sie war nicht mehr als ein Geist gewesen, gebunden an die
restlichen Splitter des Blutkristalls, der nun, erneut zusammengeschmolzen, dem
Ebenbild seines Bruders als Herz fungierte. Michael hatte gezögert dem Geist
des Schwertes zu helfen, aber er hatte es getan. Mit der Aussicht eines Tages
sich mit einem weiteren reizvollen Gegner messen zu können.
Sehen im Halbdunkeln - Ein Teil des Lichts
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Kommentar: Auch überarbeitet … irgendwie jedenfalls. Nicht viel, nur die
Story wie Kira auf Michael getroffen ist. Insgesamt sind diese Kapitel (das hier
und das Nächste noch) ein Vorgriff auf den Abschnitt, der sich dann 'die
Chroniken der Finsternis' nennt...
mangacrack
::Kapitel 5 - Ein Teil des Lichts::
Kira saß auf dem Dach eines Wohnhauses und sah in den mit Sternen bedeckten
Himmel hinauf. Er lehnte an der Wand, wo dir Tür eingelassen war, die zu dem
Balkon artigen Flachdach führte. Etwas weiter vor ihm befand sich das
Geländer, wo es sehr weit in die Tiefe ging.
In Tokyo waren die Gebäude in den vergangenen Jahren immer mehr in die Höhe
gewachsen, als wollten sie den Himmel berühren. Auf einem dieser Gebäude saß
er nun und ein Schwert ruhte neben ihm an der Wand. Er war gekleidet wie früher
und sah so aus wie früher. Er hatte das Gesicht von Sakuya Kira behalten, auch
wenn er nicht mehr dessen Körper oder Seele saß.
Doch er war nicht mehr Sakuya Kira.
Auch der Name gehörte nicht ihm. Im Grunde genommen gehörte ihm gar nichts.
Der Name war nicht seiner, sein Körper war künstlich, seine Seele war ein Teil
des großen Höllenfürsten selbst. Was also war sein? Welche der Gefühle
gehörten ihm?
Das Wesen, das sich jetzt Kira nannte, seufzte. Seid er wieder erweckt worden
war, war sein Gemüt nicht mehr das Gleiche. Er war nicht mehr ruhig und
gelassen.
Er gab vor so zu sein, doch das war nicht wirklich wahr. Doch wer sollte es
schon merken? Wen gab es noch, der die Veränderung erkennen könnte?
Niemanden. Kaum einer wusste, dass er existierte. Nur eine Hand voll von Wesen
hatten je gewusst, dass es ihn überhaupt gegeben hatte und die wenigstens
ahnten auch nur, dass er immer noch existierte.
Luzifer wusste von ihm, deswegen auch die Erzdämonen. Diese konnten ihn nicht
einordnen, wussten aber, dass er dem Fürsten der Hölle nahe stand, von ihrem
äußerst ähnlichen Aussehen mal abgesehen. Deswegen hatten die Erzdämonen nur
mit still mit dem Kopf genickt, als Luzifer erklärt hatte, er würde bleiben.
Warum, wusste nur der Fürst der Hölle selbst.
Kira wagte noch nicht einmal genauer darüber nachzudenken, was die Pläne von
Luzifer beinhalteten. Ein weiterer Spielstein auf dem Schachbrett vielleicht,
dafür allein eignete er sich. Denn genau gesagt wussten nur noch Kato und
Michael, der Feuerengel von ihm.
Inwieweit die anderen Elementarengel da Mitwisser waren, wusste er nicht. Bei
Ihnen störte es ihn aber auch nicht. Laut Kato würden diese ihre Klappe
halten, wenn es sie überhaupt interessierte und Kato konnte er da mehr
vertrauen als seinen eignen schwammigen Erinnerungen, die er an die Elementare
hatte.
Kira kramte nun in seiner Brusttasche nach seinen Zigaretten. Als er die Packung
öffnete, stellte er fest, dass wieder welche fehlten. Hatte sich der Kiffer
schon wieder daran bedient?
Kira schmunzelte als er daran dachte.
Ohne den Blonden hätte er sich sicherlich von Anfang an geweigert hier auf der
Erde zu leben.
Da er Luzifer irgendwann auf die Nerven gegangen war, wobei Kato ein nicht
unwesentlichen Part dabei spielte, hatte der sie zur Erde geschickt, um die
Dämonen einzusammeln, die entkommen waren, als Kato den Schmelztiegel der
Seelen aufgestoßen hatte, um Setsuna den Weg frei zu machen.
Manche mochten dies als wichtige und ehrenvolle Aufgabe betrachten, doch Luzifer
hatte nur Kato nicht mehr sehen wollen, der es wortwörtlich geschafft hatte,
die Hölle unsicher zu machen.
Kira grinste. /Es war vielleicht keine so gute Idee Kato zu erlauben mit mir die
Hölle zu erkundigen./
Was sollte man schon erwarten? Von einem Junkie, der sich in der tiefsten Ebene
der Hölle aufführte, wie ein Kind im Freizeitpark.
Kira lachte, als an Belials Gesichtsausdruck dachte, als er und Kato in das
Reich des Hutmachers eingedrungen waren und Kato einen recht seltsamen Tempel
gefunden hatte. Ein Tempel, der alleine Luzifer gewidmet war.
Kato.
Dieser Mensch war der Einzige, der ihn aufrecht erhielt. Kira hatte gemerkt,
dass sich ihr Rollen vertauscht hatten. Nun war er selbst derjenige, der die
Hilfe brauchte und Kato war seine Stütze. Kato war das Einzige, was ihn Sakuya
Kira bleiben ließ.
Jede Minute ohne den Blonden war wie eine Qual, weil er dann nach seinem Grund
zum Leben suchte. Den diesmal hatte er keinen Körper besetzen können und somit
einen Teil die Wünsche und Sehnsüchte des Toten übernehmen können.
Kira wusste nicht, ob er Kato dafür dankbar sein konnte, dass dieser seine
Fähigkeit zu fühlen weiter ausbaute. Er reifte immer mehr zu einem Menschen
beziehungsweise zu einem ähnlichen Wesen heran. Schon früher hatten ihn die
Empfindungen der Menschen nicht mehr kalt gelassen. Deswegen war er zu einem
kalten Wesen mutiert, das sich nur auf seine Aufgabe konzentrierte.
Doch Setsuna und Kato hatten diese Mauer eingerissen. Sie hatten ihn dazu
gebracht zu fühlen. Und er war ihnen dafür dankbar. Kira schüttelte sich
kurz. Irgendetwas fühlte sich seltsam an. In ihm breitete sich Zuversicht aus.
Hoffnung.
Doch war das auch er selbst? Er merkte wie seine positiven Gefühle plötzlich
an stiegen und mehr wurden. Kira wusste, dass er zu wenig davon hatte um ein
richtiger Mensch zu sein, doch ein Engel war er auch nicht.
Irgendetwas dazwischen.
Wegen seiner Vergangenheit mischte sich zudem noch etwas dämonisches mit
hinein. Doch vorher kam dann diese Kraft, die ihn durchströmte? Auch die Welt
um ihn herum wurde irgendwie heller und freundlicher. Die Schatten der Gebäude
wirkten nicht bedrohlich, sondern beschützend. Es war als wenn jemand an einen
Regler drehte.
Kira suchte nach der Quelle dieses Vorgangs und entdeckte sie bald darauf. Er
fragte sich, wie er das nicht schon vorher hatte bemerken können. Auf dem
Geländer etwas weiter rechts mit dem Rücken zum Abgrund saß der Engel des
Feuers mit ausgebreiteten Schwingen und das Licht, das ihn umgab war so stark
und warm, dass es sogar sein Gemüt erhellte.
-
„Michael-sama!“, rief Kira überrascht. Was wollte der Engel des Feuers
hier?
Michaels Gesicht allerdings war unergründlich. Nichts war darin zu lesen, nicht
einmal Wut. Kira fand es schon etwas beängstigend. Luzifer hatte ihm ein
bisschen etwas von Michaels Verhaltensweisen erzählt, aber letztendlich hatte
er nur herausbekommen, dass der Kriegsengel unberechenbar war.
Eben jener Kriegsengel betrachtete das Wesen, dass das Gesicht seines Bruders
hatte, sehr genau. Er wirkte erschöpft. Erschöpft und müde. Wäre er einer
von seinen Soldaten würde Michael ihm befehlen sich auszuruhen, damit er im
nächsten Kampf wieder fit sein konnte, aber er wusste, dass man diesen Mann
theoretisch zu gar nichts zwingen konnte. Er hatte gesehen, was er anrichten
konnte, auch wenn er nur ein Ebenbild des Höllenfürsten war.
Sehen im Halbdunkeln - Das Erbe des Höllenfürsten
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Kommentar: Der Großteil des letzten Kapitel hat sich geändert. Hier ein wenig
der Inhalt, denke ich.
mangacrack
xxx
::Kapitel 6 - Das Erbe des Höllenfürsten::
“Michael-sama!”, rief Kira verwundert aus.
“Lass den Scheiß!”, kam es allerdings sofort zurück. “Ich mag das
nicht.”
Kira sah den Engel des Feuers genau an. Etwas war anders an ihm. Er konnte es
nicht genau sagen. Er wirkte größer. Nicht nur vom Körper her, sondern auch
von der Reife und Macht, die er ausstrahlte. Kira konnte die Astralkraft gut
genug wahrnehmen, um innerlich zu erstarren. Diese Macht! Das war nicht mehr der
aufbrausende und unbeherrschte Engel mit dem Verhalten eines Teenagers. Kira
schluckte.
“Was wollte ihr hier, Michael-sama?”, fragte Kira.
Nachdem der Engel des Feuers ihm seinen Lebenswillen zurückgegeben und
verhindert hatte, dass er als verrottete Seele irgendwo zwischen ein paar
Ghoulen endete, fühlte er tiefe Dankbarkeit für ihn, etwas das Michael gar
nicht zu gefallen schien.
Das verwunderte Kira allerdings.
Er hatte stets den Eindruck gehabt, dass der Herr der Heerscharen sonst immer
auf seinem Titel bestehen würde. Seltsamerweise schien ihm aber jene
respektvolle Haltung bei ihm auf den Geist zu gehen. Kira wusste aber nicht
warum. Über jeden hatte er Informationen von Luzifer erhalten, nur nichts hatte
er über Michael in seinen Erinnerungen finden können.
Anscheinend wollte der Herr der Hölle nicht, dass sein Abbild etwas über
seinen Zwillingsbruder erfuhr. Von diesen Erinnerungen hatte Luzifer ihm keinen
Zugang gestattet. Was ihm daran wohl so wichtig war?
Michael grummelte kurz.
Er hasste es, wenn das Wesen, das das Gesicht seines Bruders hatte ihn so
unterwürfig ansprach. Denn jedes Mal sah er seinen Bruder daran und der
Gedanke, dass sein Bruder ihn so anreden würde, machte ihn krank. Er wollte das
nicht von seinem Bruder.
Ehrlich gesagt, würde er es Luzifer auch nicht wirklich abkaufen, wenn dieser
ihn so behandeln würde, sondern eher eine List oder Spott dahinter vermuten. Er
fuhr sich durch die Haare, die ihm nächtlichen Wind wehten.
Kira schien es wirklich nicht gut zu gehen. Aber wie auch? Es war wohl wirklich
nicht einfach, das Abbild des Höllenfürsten zu sein. Oder überhaupt nur eine
Kopie.
Michael verzog das Gesicht bei dem Gedanken. Er war auf einmal darüber froh,
dass er anders aussah als sein Bruder. Dass er keine schwarzen Haare hatte.
Auch er hatte es immer gehasst mit seinem Bruder verglichen zu werden, bevor er
den Setsuna Mudo getroffen hatte. Dieser ihn hatte dazu gebracht sich
einzugestehen, dass er seinen Bruder nicht so hassen konnte, wie er davor es
immer gewollt hatte.
Jahrhunderte lang hatte er sich eingeredet Luzifer würde ihm nichts bedeuten
und das er ihn töten müsste, weil er den Himmel verraten hatte. Jetzt wusste
er, dass er seinen Bruder geliebt hatte, weil sein Hass aus Liebe entsprungen
war.
Wenn er tief genug grub, dann konnte er es immer noch fühlen. Der Wunsch bei
seinem Bruder sein zu können. Bei dem Wesen, dass ihn komplett machen würde.
Denn egal, was sein zweites Ich ihm gesagt hatte, Luzifer besaß die anderen
vier Schwingen, die ihn vollständig machen würden.
Sein Körper versuchte lediglich das Gleichgewicht wieder herzustellen, das aus
irgendeinem Grund aus der Bahn geraten war. Es war noch nicht zu Ende. Auch wenn
die Alterung, die sein Körper im Schnelldurchgang durchgemacht hatte,
kurzzeitig aufgehört hatte, so war es sicherlich erst der Auftakt zu etwas
Anderem.
Und er musste wissen zu was.
Michael sprang von der Brüstung und stand dann breitbeinig mit verschränkten
Armen vor Brust vor dem Geländer. Seine goldnen Augen funkelten Kira an.
“Ich will etwas von dir wissen, Kira.”
“Ach ja? Das wäre?”, fragte Kira jetzt schon nicht mehr so unterwürfig
zurück, sondern selbstbewusst und überlegen, wie man es früher von ihm
gewohnt war. Das passte Michael schon eher.
“Ich will wissen, was Luzifer vorhat!”
Kira riss die Augen auf.
“Was fragst du das MICH?”, rief er. “Woher soll ich das denn wissen?
Luzifer hat mich aus seiner Seele gerissen und mich in die Menschenwelt
geschickt. Bis ich endlich meine Gedanken von ihm trennen konnte, war ich nichts
weiter als ein Schatten, der sich in seinen Erinnerungen aufhielt.“
Kira hatte die ganze Zeit aufgebracht geschrien.
Es war selten für ihn, aber er war verzweifelt. Und er musste dem endlich
einmal Luft machen. Luzifer war die letzte Person über die er jetzt reden
wollte und dann kam dieser Feuerenge und … Kira versuchte sich zu beruhigen.
Doch er konnte es nicht. Warum kam Michael damit ausgerechnet zu ihm?
“Ich weiß nicht, was eurer Herr Bruder vorhat! Es ist mir auch egal. Für was
hat er mich aus meinem Schlaf gerissen? Ich war glücklich wie ich gestorben
bin. Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen. Ich bin als Sakuya Kira in
Anagura gestorben und es war gut so.“
Kiras Bitterkeit war trotz dessen, dass er versuchte sie zu unterdrücken,
heraus zu hören.
„Meine Aufgabe war erfüllt. Selbst Luzifer hatte ich es nicht übel genommen,
dass er seine Seele zurück haben wollte, nachdem mir Belial klar gemacht hatte,
wer ich war und was ich sein sollte. Er kam danach auch gut ohne mich zurecht.
WARUM HAT ER MICH ZU DIESER VERFLUCHTEN EXISTENZ VERDAMMT, VERFLUCHT NOCH
MAL?”
Nun konnte auch Kira die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er hatte noch nie in
seinem Leben geweint, doch diese Ungewissheit trieb ihn an seine Grenzen.
Irgendwann während seiner Rede war aufgesprungen und hatte Michael gepackt.
Er wollte endlich eine Antwort. Und der Einzige, der Luzifer verstehen konnte,
war sein Bruder.
Michael sah Kira mit einer Spur von Mitgefühl an. Diesem erging es ihm sehr
ähnlich. Auch er hatte nie eine Antwort auf seine Fragen erhalten. Doch anders
als bei Kira konnte er sich an niemanden wenden. Das war das Problem der hohen
Engel. Es gab keine höhere Macht, die ihr Leben lenkte. Sie waren die Macht,
die das Leben lenkte.
Langsam griff er nach Kiras Händen und lockerte deren Griff. Dann sah er Kira
in die Augen.
“Hör mir gut zu, Kira. Ich werde es nur einmal sagen.“
Damit erlangte er die Aufmerksamkeit des ehemaligen Schwertes.“
„Egal wie sehr du jetzt auch glaubst, dass dein Leben keinen Sinn hätte, es
ist nicht so. Nachdem du gestorben warst haben alle, die dich kannten, um dich
getrauert. Allen voran der Messias. Er konnte nicht einsehen, dass du weg warst.
Luzifers Verhalten hat ihn verletzt. Doch wie sehr Luzifer nach und nach seine
Motive offenbarte, er war nicht du. Du bist ein Individuum und du wirst
gebraucht!”
Michael wusste, dass es das Wichtigste war solchen verlorenen Leuten eine
Aufgabe zu geben. Für ihn war der Eintritt in die Armee seine Rettung gewesen.
Ohne das wäre er schon lange wahnsinnig geworden. Bei jedem Wesen, das sich an
seine neue Freiheit gewöhnen musste, trat früher oder später mal so eine
Phase ein.
“Ich werde gebraucht?”, fragte Kira verwirrt. “Wobei denn?”
“Ich weiß es nicht genau, aber Tatsache ist, dass Luzifer etwas plant.“
Keine Vermutung, sondern eine Feststellung. Das wussten sie beide.
„Eigentlich sollte er damit beschäftigt sein, die Hölle wieder aufzuräumen,
nachdem sie ineinander gekracht ist, als diese dummen Erzdämonen die
Verbindungspfeiler gekappt haben, aber ich denke, dass er etwas Anderes vorhat.
Ich habe zwar noch keinen Schimmer was, aber der Tatsache nach, dass er dich
erweckt hat, kann nur bedeuten, dass es so groß ist, bei dem selbst mein Bruder
befürchtet nicht unbeschadet weg zu kommen.”
“Soll dann was heißen…?”, fragte Kira, obwohl er schon eine kleine Ahnung
hatte worauf Michael hinaus wollte.
“Er möchte dich als seinen Nachfolger.”
Michael sagte das mit einem derart ernsten Gesicht, als würde er den
Weltuntergang verkünden. Kira hingegen fühlte sich verarscht. Er sah den
Feuerengel an und wollte am liebsten sich eine von Katos Drogen rein jagen um
alles zu vergessen.
“Das ist nicht wahr, oder?”, hackte Kira nach.
“Doch ich meine es ernst! Glaubst du ich würde bei so etwas Scherze
machen!”
“Nein, natürlich nicht”, murmelte Kira entschuldigend.
“Aber warum will er gerade mich als seinen Nachfolger, mal abgesehen davon,
warum er denn einen ernennen sollte. Ich bin nichts weiter als ein Geist, der
mehr als Tausend Jahre hinter einem Engel her gejagt ist. Und er hat doch seine
ganzen Erzdämonen und anderen Nachkommen.”
“Mag sein, dass das so ist”, warf Michael ein.
“Doch andererseits hat er die ganze Zeit dir seine Seele anvertraut. Du hast
mehr Kämpfe geschlagen, als jeder andere Dämon. Du weißt, wie Dämonen denken
und hast im letzten Krieg Stärke bewiesen. Außerdem regieren die Erzdämonen
nur über die Schalen der Hölle, man kann nicht einfach einen von ihnen zum
Herrscher der Hölle machen. Sie würden sich gegenseitig zerfleischen, weil
jeder von ihnen Herr der Hölle werden wollte.”
Kira nickte. Das machte durchaus Sinn. Michael ließ sich davon aber nicht
beirren, sonder fuhr fort.
“Luzifer hat dich persönlich ausgesucht. Er hat dir in der deiner Zeit als du
in der Hölle gelebt hast, wahrscheinlich alles gezeigt, was du wissen musst und
möglicherweise hat er dich sogar trainiert. Das hat er noch nie zuvor getan,
die Vermutung liegt nahe, dass du irgendwann an seine Stelle treten sollst.“
Mit gesenkter Stimme sprach Michael weiter.
„Warum sonst hätte er dich wecken sollen? Du schienst ihm der Einzige zu
sein, der in Lage dazu ist, dieses Dämonen Pack zu kontrollieren.”
Kira konnte es noch nicht wirklich fassen. Er sollte der Nachfolger der Hölle
werden?
Das klang zwar absurd, aber doch irgendwie auch logisch. Er war Luzifer
ähnlich, sehr ähnlich sogar und doch waren sie nicht gleich. Je nach dem wie
die Lage sich entwickeln würde, würde er sich als zukünftiger Herrscher
darauf berufen können wie Luzifer zu sein - um die Dämonen friedlich zu
stimmen - oder eben nicht - wenn es um den Himmel ging. Er schüttelte
ungläubig den Kopf.
“Warum zeugt er nicht einfach einen Sohn und formt diesem, wie er es haben
möchte?”
So ganz konnte Kira sich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden der Herrscher
der Hölle zu werden. Michael sah Kira lange an, ehe er sagte:
“Vielleicht sieht er in dir ja so etwas wie einen Sohn!”
Kira sah Michael an und kehrte diesem dann den Rücken zu. Vielleicht stimmte
es? Das Verhältnis könnte stimmen. Doch er beschloss darüber erstmal zu
schlafen. Das war zuviel, was er heute gehört hatte.
“Woher weißt du das eigentlich?”, wandte sich Kira noch mal an den
Feuerengel.
Michael winkte ab.
“Ich weiß viel.”
Er wollte aber nicht sagen, dass er seine Spione in den Reihen der Dämonen
hatte. Dass er die wenigen Informationen des Höllenherrschers, die er über ihn
hatte, sorgfältig studiert hatte.
Vielleicht hatte er vorgegriffen, als er Kira das erzählt hatte, aber Kira so
unvorbereitet ins kalte Wasser zu werfen wollte er auch nicht. Vor allem nicht,
wenn seine weiteren Vermutungen auch stimmen würden. Michael wusste, dass auf
den Himmel entweder ein Feind wartete, den sie zusammen mit der Hölle
bekämpfen mussten oder aber es würde Krieg zwischen Himmel und Hölle geben.
Warum sonst zog es Luzifer in Betracht zu sterben? Michael erinnerte sich daran,
was sein Bruder zu ihm gesagt hatte, ehe er aufbrach um Gott endgültig zu
töten.
“Ich habe meine eigne Rechnung zu begleichen.”
Damit hatte er Gott gemeint. Der Schöpfer, der seinem Bruder dazu beauftragt
hatte der Herr der Hölle zu werden.
“Du … und die Anderen … ihr saht in mir einen Heiligen, der ich nicht war
… wenn jemand der Kronprinz des Lichts war … warst du es, Michael.”
Damals hatte Luzifer ihn zum ersten Mal direkt angesehen … und bei seinem
Namen genannt. Michael konnte sich nicht daran erinnern, ob das schon jemals
zuvor der Fall gewesen war. Doch wenn Luzifer seine Existenz akzeptierte, warum
war er von ihn dann all die Jahrtausende über so kalt behandelt worden? Michael
wusste auf vieles keine Antworten. Und bei einigen Fragen wagte er es nicht, die
logischen Schlüsse zu ziehen, die sich ergaben.
“Ich konnte nicht anders als lächeln.”
Damit spielte er auf ihren letzten großen Kampf an, als er selbst gegen seinen
Bruder verloren hatte und dessen Ausgang er sich lange Zeit nicht eingestehen
konnte.
“Ich wusste, du würdest derjenige sein, der kommen würde, um mich zu
töten.”
Hatte sein Bruder das wirklich gewusst? Doch wahrscheinlich. Es damals das
Einzige, was er hatte tun können um seinem Bruder nahe zu sein. SO vielleicht
die Anerkennung zu bekommen, die ihm davor von ihm immer verwehrt worden war.
Doch dann kam das, was ihm der Messias klar gemacht hatte.
“Doch du brachtest es nicht fertig.”
Michael war immer noch nicht ganz über diesen Satz hinweg. Wenn er einst nicht
in der Lage war Luzifer zu töten, würde er es dann doch noch schaffen? Michael
hatte Angst vor der Antwort, was passieren würde, wenn es dann doch soweit war
und er es wieder nicht über sich brachte. Wäre Luzifer dann enttäuscht.
“Bei unserem nächsten Treffen werden wir Feinde sein. Ich freue mich schon
darauf!”
Das war das Letzte, was er von Luzifer gehört hatte, ehe er verschwand um den
Schöpfer zu töten. Er hatte ihm hinterher gerufen, doch nie eine Antwort
erhalten. Michael wollte nicht darüber nachdenken, was all diese Worte bedeuten
könnten. Vieles ergab einen Sinn, wenn er es betrachtete. Doch er hatte Angst
davor.
Weil es neu für ihn war und er nicht wusste, wie er damit umzugehen hatte.
Diese Vorahnungen verschafften ihm einen außergewöhnlichen Blick auf die
Zukunft. Luzifer hatte versprochen, dass sie sich wieder sehen würden. Diese
Versprechen würde er halten und wahrscheinlich sogar schon ziemlich bald.
Michael schlug mit Flügeln und hob sich in die Lüfte, den gedanklich
abwesenden Kira nicht weiter beachtet. Es war offensichtlich, dass er hier auch
nicht weiter kommen würde. Er flog durch die Stadt, die er schon einige Male
besucht hatte. Assiah war etwas, dass ihn faszinierte.
Dieses Feuer, das in den Menschen brannte! Jetzt fragte er sich, ob er die Erde
je wieder sehen würde. In einem Duell auf Leben und Tod konnte es nur einen
Gewinner geben, wohl aber zwei Verlierer.
Entweder er würde siegen und daran zu Grunde gehen … oder er würde sterben.
-
Kira ging langsam die Treppe hinunter, die vom Dach führte. Michaels Abflug
hatte er gar nicht richtig registriert. Er musste immer noch darüber
nachdenken, was der Feuerengel gesagt hatte. Luzifer sollte ihn als seinen Sohn
ansehen? Als würdigen Nachfolger der Hölle? Einerseits wusste Kira nicht, was
er davon halten sollte. Würden die Dämonen ihn als ihren Herrscher
akzeptieren?
Hätte er die nötige Stärke dazu? Denn Luzifers Erfahrung besaß er sicherlich
nicht, aber andererseits fühlte er sich geehrt, dass dieser ihm so etwas
zutraute. Er hatte Luzifer damals bereitwillig die Kontrolle über seinen Geist
überlassen, weil er wusste, dass dieser Setsuna viel besser beschützen würde
können als er.
Doch das Ausschlaggebende an der Sache war, was ihn wirklich dazu drängte
ernsthaft über die Angelegenheit nachzudenken, war der Fakt, dass er dann
endlich eine Aufgabe hätte. Er würde nicht mehr hilflos und in Zweifeln
abtrünnige Dämonen und Engel jagen müssen, die sich auf Assiah aufhielten. Er
wäre Jemand. Er hätte einen Namen, eine Aufgabe.
Er betrat die Wohnung, in der er zurzeit lebte.
Schon beim Eintreten sah er die blonde Gestalt, die auf dem Sofa lag.
Kira lächelte als er Kato erblickte. Dieser hatte hier doch tatsächlich auf
ihn gewartet und war dabei eingeschlafen. Er fragte sich, ob es auch zu Luzifers
Erbplan gehörte, dass er Kato erweckt hatte. Denn eins war Kira klar: er würde
nirgends ohne Kato hingehen.
Zwar stand dieser im regen Kontakt mit Uriel und kundschaftete für diesen auch
gelegentlich die Hölle aus, aber das machte ihm nichts. Kato war für ihn der
Anker zu dieser Welt! Und der Blonde hätte sicherlich nichts dagegen mit in die
Hölle zu kommen.
Jemand der so unbeschwert mit dem Herren der Hölle reden konnte, konnte auch
dort überleben. Ob Luzifer das gewusst und deswegen Kato akzeptiert hatte, als
jener vor seinen Toren stand? Dabei hatte er ihn doch eigenhändig getötet.
Kira hatte Katos Tod als letztes Ereignis mitbekommen. Danach hatte er
endgültig sich zurückgezogen und war in Luzifers Erinnerungen aufgegangen. Zu
fertig hatte es ihn gemacht Kato mit seinen eignen Händen zu töten. Einst
seine Leiche zu vergraben war ihm schon schwer gefallen, aber das hatte er nicht
verkraftet. Umso erstaunter war er gewesen, als er Kato an Luzifers Seite
gesehen hatte.
Kira schob Kato ein Stück bei Seite und legte sich dann zu ihm, nachdem er sich
die Schuhe ausgezogen hatte. Sofort wurde er von Katos dünnen Armen um
schlugen. Er genoss es. Zeitgleich beschloss Kira Luzifer so bald wie möglich
aufzusuchen. Er wollte jetzt Antworten. Auch wenn das beuten würde, diesem von
nun an ‘Vater‘ nennen zu müssen. Seltsamerweise hörte sich das gar nicht
so schlecht an, dachte Kira kurz bevor er einschlief.
Die Vorzeichen - Himmel und Erde
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Kommentar: Ich habe mit dem letzten Kapitel wohl für etwas Verwirrung gesorgt
und es wird auch noch ein bisschen so weiter gehen, aber keine Sorge … am Ende
klärt sich alles auf. Auch wenn es mir leid tut, dass ihr 3 Monate auf das
Kapitel warten musstet. Bald wird die Fanfiction ein Jahr alt. Eigentlich wollte
ich sie früher beenden, doch jetzt bin ich gerade erst bei der Hälfte
angelangt ... und Michael kommt in diesem Kapitel nicht wirklich vor.
Dafür jemand anderes.
mangacrack
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::Kapitel 7 - Himmel und Erde::
Michael war unbemerkt in den Himmel zurückgekehrt. Keiner hatte seine
Abwesenheit bemerkt. Niemand schien seine persönlichen Belange überhaupt zu
beachten.
Zumindest kam es Michael so vor, weil er sich - untypisch für ihn - in die
Arbeit regelrecht hinein stürzte. Er begann damit seine Generäle und Berater
zusammen zu rufen, ihren Problemen zuzuhören und Entscheidungen zu treffen. Er
konzentrierte sich für die nächste Zeit ganz und gar darauf den Himmel zu
stabilisieren.
Seine Armee teilte er in unterschiedliche Gruppen auf. Ein Teil schickte er zur
Überwachung an die Grenze, der andere Teil half beim Wiederaufbau. Einigen
Rekruten gefiel es nicht, dass einfache Handarbeiten erledigen sollten, doch sie
wagten es nicht sich gegen ihren Boss zu erheben. Diesen sah man nur noch mit
einem kalten und berechnenden Gesichtsausdruck, wenn man ihm begegnete. Das ewig
brennende Feuer in seinen Augen hatte sich in eine kalte Flamme verwandelt.
Schweigsam und ruhig traf man ihn an.
-
Die Engel begannen sich zu wundern, was aus ihrem Raufbold geworden war, doch
Camael sorgte dafür, dass nichts von diesen Äußerungen zu seinem Boss
vordrang.
Er bemerkte als einziger, dass den Elementar etwas beschäftigte. In Stillen
machte er sich Gedanken darüber, welche Sorgen sein Chef mit sich herum trug,
sodass er sich noch nicht einmal seinem obersten Berater anvertraute. Statt
seinen Herren unter Druck zu setzen, bereitete Camael alles für den Notfall
vor, denn er wusste, dass er im Moment nichts aus dem Engel des Feuers
herauskriegen würde. Vielleicht käme er ja von selbst auf das Thema zu
sprechen.
Doch nichts passierte.
Mit wachsender Beunruhigung beobachtete Camael die Geschehnisse.
Einerseits sonderte sich der Kriegsengel immer mehr ab, andererseits nahmen die
Unruhen an den Grenzen zu.
Monate vergingen, Camael machte die Entdeckung, dass Michael nur noch sehr
selten, wenn überhaupt alleine, auf Dämonenjagd ging. Wie er wusste, rührte
Michael sein geliebtes Flammenschwert kaum noch an, sondern verkroch sich lieber
hinter seinen riesigen Schreibtisch. Camael war einen Blick auf die riesigen
Flügeltüren, hinter denen sich das Büro des höchsten Kriegsengels befand.
Nur noch selten verließ dieser diesen Raum inzwischen, obwohl er ihn zu
Sevothtartes Zeiten wie die Pest gemieden hatte. Jahrhunderte lang hatte er ihn
nicht benutzt, sondern alle Entscheidungen vom Thronsaal aus getroffen. Jetzt
ließ er sich sogar dazu herab den Papierkram zu erledigen und auf die
schwerwiegenden Wutausbrüche zu verzichten. Seit fast einem Monat war nichts
mehr in die Luft geflogen.
Der Rat lobte dieses Verhalten nur, doch Camael wusste es besser.
Es gab einen Grund für diese Veränderung und der Grund war bedeutend genug um
den Feuerengel sämtliche Nichtigkeiten hinten anstehen zu lassen. Die Ruhe mit
der Michael seine Arbeit erledigte, kannte er nur von Momenten, die es vor einer
großen Schlacht gab. Doch gegen wen plante sein Herr vorzugehen? Die Dämonen,
welche die Grenzen belagerten, waren zwar unruhig, doch nicht eine wirkliche
Bedrohung für den Himmel.
Vor allem nicht, wenn sich der Kriegsengel irgendwann persönlich darum kümmern
würde. Camael sah erneut zur Flügeltür und entschied, dass er seine Sorgen
mit jemandem teilen musste. Vielleicht wussten alte Bekannte seines Herrn, was
mit diesem los war.
Camael stand auf verließ den Raum, der Sekretär sagend, er müsste eine
wichtige Angelegenheit regeln. Er machte sich auf in das Gerichtsgebäude des
Himmelpalastes, in der Hoffnung, dort ein paar Antworten zu erhalten.
-
Uriel lehnte sich zurück, nachdem er die unzähligen Dokumente durchgesehen und
sortiert hatte, die Camael ihm hatte zukommen lassen. Das war in der Tat
beunruhigend. Er fuhr sich durch sein Haar und starrte grübelnd auf einen
Bericht, der davon handelte, dass die Bewachung an der Grenze schon wieder
erhöht worden war und derjenige, der den Befehl in Auftrag gegeben hatte, war
kein anderer als Michael selbst gewesen.
Camael hatte ihm persönlich die Daten überreicht. Zuerst hatte Uriel sich
gewundert, warum der Berater damit zu ihm kam, doch als er dann von Michaels
Veränderung hörte, hatte er ihm versprochen sich näher damit zu
beschäftigen. Er hatte sich Gedanken darüber gemacht und war zu dem Schluss
gekommen, dass man sich durchaus um Michael sorgen musste.
/Was er nun wohl wieder vorhat?/, dachte Uriel. /Ich frage mich, was es mit
dieser Veränderung auf sich hat, die Michael durchmacht? So sehr sein neues
Pflichtbewusstsein auch lobenswert ist, so beunruhigender muss der Grund dafür
sein! Michael ist niemand, der sich leichtfertig verändert./
Uriel warf einen erneuten Blick auf die Bewegung der Himmelsarmee. Er war
versucht zu leugnen, was dort an der Grenzen geschah, doch er wusste, dass
einfach nur dumm wäre. Er durfte nicht vor der Wahrheit davonlaufen.
“Uriel?”, kam es jetzt von der Tür und der Erdengel ob den Kopf.
Alexiel stand in der Tür und fragte ihn, ob sie hereinkommen durfte. Für einen
Moment zog sich Uriels Herz krampfhaft zusammen. Seit der dritte große Krieg zu
Ende gegangen und er die Ereignisse mit Gott, Adam Kadamon und dem Messias
hautnah miterlebt hatte, hatten sich auch seine Gefühle für Alexiel geändert.
Sie bedeutete ihm immer noch sehr viel, doch er würde sie nicht damit
unglücklich machen, indem er ihr seine Gefühle aufdrängte.
Er hatte verstanden, dass sie Rosiel, ihren Zwillingsbruder, liebte und ihn nur
als einen Freund ansehen konnte. Es war schwer gewesen, doch letztendlich hatte
Uriel es geschafft darüber hinweg zu kommen, dass seine Liebe unerfüllt blieb.
°Komm ruhig hinein, Alexiel. Ich habe Neuigkeiten°, sprach er in Gedanken zu
ihr.
Seine Stimmbänder waren nach wie vor zerstört und der Stimmsimulator, wie
Sevothtarte ihn einst benutzt hatte, fühlte sich unangenehm auf der Haut an. Er
verwendete ihn nur noch zu offiziellen Anlässen, Ratssitzungen und
Gerichtsverhandlungen.
Denn der Stimmsimulator strapazierte seinen Hals, kein sehr angenehmes Gefühl.
Um genau zu sein verursachte er sogar Schmerzen. Deswegen wagte er nur in der
Öffentlichkeit den Schein.
“Was ist passiert?”, fragte jetzt Alexiel und lenkte damit Uriels
Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Problem. “Was gibt es dringendes,
sodass du mich extra herrufen lässt? Es klang ernst.”
Uriel schloss die Augen und gab ein Seufzen von sich. Er ignorierte das
unangenehme Gefühl, dass dabei von seinem Hals ausging und schob Alexiel eine
Zusammenfassung der Berichte rüber, die er von Camael erhalten hatte.
°Erinnerst du dich an unser Gespräch vor einiger Zeit? Das, in dem wo wir
über Michael gesprochen haben?°, fragte er.
“Natürlich”, antworte Alexiel. “Aber was hat das mit den Grenzen zu
tun?”
°Es scheint, als wären unsere Vermutungen wahr!°
Alexiel schien einen Moment lang zu überlegen, worauf Uriel hinaus wollte, dann
weiteten sich ihre Augen. Konnte es wirklich wahr sein? Sie warf einen zweiten
Blick auf Uriels Notizen.
“Michael plant Krieg?”, fragte sich geschockt. “Er kann doch unmöglich so
unvernünftig sein. Der Zustand des Himmels ist schrecklich. Die unteren Schalen
sind immer noch ein einziger Trümmerhaufen. Will er wirklich einen Krieg
beginnen?”
°Die Anzeichen sprechen dafür. Er hat seine Armeen zusammengerufen und schickt
sie nach und nach in die Problemzonen, um unsere Verteidigung zu stärken.
Uriel unterbrach kurz und sendete dann weiter.
°Die Dämonenarmee wird früher oder später uns sowieso angreifen, jetzt wo
wir geschwächt sind und ihr Fürst zurückgekehrt ist. Jahrhunderte lang war
dies nicht der Fall. Das werden sie sich nicht entgehen lassen, nicht wo nun
ihre größte Chance gekommen ist uns zu besiegen. Michael darf keine Schwäche
zeigen, sondern muss den Dämonen beweisen, dass der Himmel einen Krieg
verkraften kann.°
Eine ganze Weile blieb es still, ehe Uriel noch hinzufügte: °Er weiß, dass
unsere Existenz auf dem Spiel steht.°
“Das darf doch nicht wahr sein!”, rief Alexiel. “Gerade erst konnte die
Bevölkerung aufatmen, weil die letzten Aufrührer festgenommen wurden und dann
will Michael sie gleich wieder derartig belasten? Wo hat der seinen Kopf? Wir
haben uns eine Ruhepause verdient. Wenn er gegen die Dämonenarmee kämpfen
will, soll er das doch alleine tun!”
Alexiel sah Uriel wütend an, der bedauert seinen Kopf schüttelte.
Der Erdengel wusste nicht recht, wie er es dem organischen Engel beibringen
sollte. Seit der Krieg zu Ende gegangen war, hatte sie mehr und mehr Gefühle
entwickelt, hatte ihre kalte Natur hinter sich gelassen. Es war verständlich,
dass sie jetzt einmal etwas Frieden wollte, wo die Herrschaft des Schöpfers
vorbei war, doch Uriel wusste genau, dass es noch nicht zu Ende war.
Viele kämpften noch mit dem Schicksal, dass der Schöpfer ihnen auferlegt
hatte. Auch wenn das Übel verschwunden war und keinen weiteren Schaden mehr
anrichten konnte, die Wunden waren da und die Seelen zerschunden.
Er war einer der Letzten, die freiwillig für einen Krieg stimmen würden, doch
er glaubte Michaels Gründe zu verstehen. Früher - bevor in den Hades geflohen
war und dem Himmel den Rücken gekehrt hatte - hatte er viel Zeit mit Michael
verbracht. Vielleicht, weil dieser nie direkt auf ihn losgegangen war oder weil
er selbst durch die Kraft seines Elements einen beruhigenden Einfluss auf den
Kriegsengel hatte, genau wusste er es nicht. Doch was er wusste, war das Michael
stets plausibel Gründe hatte, wenn er einen Großangriff gegen die
Dämonenarmee plante.
°Es ist so, Alexiel … Ich verstehe auch, dass wir im Moment uns eigentlich
keinen Krieg leisten können, doch ich glaube, dass Michael uns wieder einmal
hereinlegen möchte.°
“Hereinlegen? Wie denn das?”, wollte Alexiel wissen.
°Michael weiß, wie weit er gehen kann und er weiß, dass es am besten wäre
selbst zu kämpfen, denn dazu reicht seine Kraft alle Mal aus, doch das würde
der Rat unter diesem Umständen niemals erlauben. Ich kenne Michael seit ich
denken kann, denn er ist wie ich ein Elementar und ich glaube Luzifer gut genug
zu kennen, um erahnen zu können, dass diese seltsamen Bewegungen, die wir seit
längerer Zeit beobachten, eher auf ein persönliches Duell hinaus laufen wird,
als auf einen wirklichen Krieg.°
“Du meinst Luzifer und Michael suchen nach einer Ausrede um mit einander
kämpfen zu können?”, fragte Alexiel ungläubig.
°Das meine ich°, bestätigte Uriel ihre Vermutung. °Niemals würden es die
Satane oder die Mitglieder des Rates zulassen möglicherweise ihren Anführer zu
verlieren. Den sowohl Luzifer als auch Michael waren stets die größte Stütze
des Himmels und der Hölle. Selbst Sevothtarte hat Michaels Erlaubnis gebraucht,
um seine Machenschaften ohne Hindernisse durchziehen zu können!°
“Das heißt Michael hat diese Intrigen unterstützt, die dieser Diktator
geplant hat?”
°Nein … ich bezweifle, dass Michael alles wusste, was Sevothtarte getrieben
hat, doch einige Dinge hat er sicherlich ignoriert, weil er wusste, dass die
Zeit einfach noch nicht reif genug für einen Umsturz war.°
Uriel machte eine kurze Pause um Luft zu holen.
°Er ist der einzige Elementar, der all die Jahrhunderte über aktiv war. Das
Gleichgewicht der Natur war gestört, weswegen das Reich der Oger untergegangen
ist. Zusätzlich ist er der Kriegsherr und Befehlshaber der himmlisch
göttlichen Armeen. Einen Diktator zu stürzen, einen neuen Himmel aufzubauen
und womöglich selbst zu regieren, weil es kein Anderer tut, war einfach nicht
in seiner Macht.°
Uriel ließ seine Worte wirken. Er selbst machte sich Vorwürfe, dass er Michael
solange im Stich gelassen und seine Aufgabe als einer der großen Vier
vernachlässigt hatte, doch die Schuldgefühle, die ihn geplagt und verfolgt
hatten, hatte erst der Messias vertreiben und seinen Kampfgeist anstacheln
können. Ganz zu schweigen von Jibril, deren Körper lange Zeit nur eine leere
Hülle gewesen war. Das war Alexiel natürlich bewusst, deswegen kam sie
natürlich genauso schnell wie er zu dem letzten Engel, der Michael hätte
helfen können.
“Was ist mit Raphael?
Uriel verzog das Gesicht, als der diesen Namen hörte. Der Windengel hatte ihm
in der letzten zeit mehr als genug Probleme bereitet.
°Raphael … der ist viel zu launisch und feige dazu, als das er über seinen
Schatten springen und etwas für Andere tun würde. All die Zeit hat er nichts
getan, sondern nur zugesehen, dass er Michael von jeglichen Spuren seines
Bruders fernzuhalten.°
Alexiel merkte natürlich sofort, dass der sonst so ausgeglichene Uriel nicht
gut auf den Windengel zu sprechen war. Doch es war ihre Aufgabe dafür zu
sorgen, dass die Elementare sich miteinander versöhnten. Da jetzt Michael aus
der Rolle viel, ausgerechnet der, der normalerweise die Elementare zusammen
hielt, musste sie eben Maßnahmen ergreifen.
“Aber er hatte ebenfalls wie du seine Probleme in der Vergangenheit”, warf
sie ein um Raphael zu verteidigen. “Außerdem hat er sich doch für diese Sara
Mudo, die Schwester des Messias eingesetzt. Ohne seine Hilfe wäre sie
vermutlich verurteilt worden!”
°Mag sein … aber gleich darauf hat er sie entführt und uns noch mehr Ärger
bereit.°
Uriel wollte das Thema abschließen und lieber zurück zu Michael kommen, doch
Alexiel schien das nicht in Ruhe lassen zu wollen. Zum ersten Mal war es richtig
unangenehm, dass sie der organische Engel war und damit eine direkte Verbindung
zu ihm und zu den anderen Elementaren hatte.
“Hör zu Uriel”, sagte Alexiel mit einer Bestimmtheit in ihrer Stimme, der
er nicht widerstehen konnte, “ich weiß, dass dir das unangenehm ist, doch du
wirst mit Raphael reden.”
°Tss … reden. Würde ich ja gerne, aber er ist derjenige, der mir ausweicht
und sich weigert meine Stimme zu heilen.°
Alexiel überging diesen Einwurf völlig.
“Außerdem wäre das eine gute Gelegenheit um ihn über Michael auszufragen,
ob der dieses Himmelfahrtskommando mit Luzifer ernst meint. Niemand kennt
Michael besser als Raphael, merke dir das. Ich werde mit Rosiel reden und
wiederkommen, wenn du das geklärt hast!”
Damit stand sie auf, drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort zu
verlieren den Raum.
Uriel sah ihr wütend nach. Natürlich wäre es besser mit Raphael in Kontakt zu
treten, doch Uriel würde nichts lieber tun als dieses Gespräch zu vermeiden.
Der Arzt war seit Urzeiten nicht gut auf ihn zu sprechen und natürlich verstand
Uriel seine Gründe. Schließlich wusste er genau, dass Raphael es ihm übel
nahm, dass er der Persona einst so viel Kontrolle über sich hatte zukommen
lassen. Trotzdem war das eine winzige Sache, die in Anbetracht der Jahrtausende,
die sie schon existierten, nur nebensächlich war. Sie hatten sich noch nie
verstanden und der Streit während des letzten Krieges hatte nicht wirklich zur
Harmonie beigetragen.
Aber war das wirklich schon alles? Gab es noch einen Grund, warum Raphael ihn
nicht leiden konnte? Uriel musste zugeben, dass es eine schwierige Situation
war. Er konnte nicht zu Raphael gehen um mit ihm über Michael zu reden, um dann
gleich danach zu Michael zu wandern, um ihn über Raphael auszuquetschen. Die
beiden hingen doch viel zu sehr miteinander herum. Oder sollte er es trotzdem
wagen?
Uriel realisierte, dass er im Moment alles tun würde um nicht mit Raphael reden
zu müssen. Lieber würde er Michael direkt mit Fragen bombardieren, auch wenn
das eine äußerst unkluge Vorgehensweise sein würde, wenn Michael so seltsam
drauf war.
Uriel stand auf und öffnete das Fenster. Er flog zum Fenster hinaus mit dem
Entschluss sich nicht zu verstecken, sondern um wirklich zu Raphael zu fliegen.
Außerdem würde es Alexiel sowieso herausfinden, wenn er versuchen würde sich
davor zu drücken mit dem Windengel zu reden.
-
Der Wind rauschte in den Bäumen als Uriel vor dem Hospital zur Landung
ansetzte. Wäre er Michael gewesen, hätte er den direkten Weg durch die Mauer
genommen und wäre er Jibril, so würde er sich wahrscheinlich zwei Tage vorher
ankündigen, doch er entschloss sich es so wie immer zu tun. Abwarten und
reingehen.
Sanft landete Uriel auf dem Boden und ließ seine Flügel verschwinden. Während
er durch die recht gefüllten Gänge wanderte, spürte er wie ihm einige Engel
verwundert nachblickten und dann anfingen miteinander zu tuscheln. Im Himmel
hatte man sich noch immer nicht wirklich daran gewöhnt, dass die vier
Elementare plötzlich wieder aufgetaucht waren und zusammen mit Rosiel und
Alexiel den Himmel regierten.
Von den jungen Engeln wurden sie wie Legenden angesehen, Helden die gekommen
waren, um alles besser zu machen. Uriel konnte darüber nur seinen Kopf
schütteln. Er war kein Held, aber er war zu alt und zu erfahren um zu versuchen
diese Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Sie würden, egal was er tun würde,
immer loyal hinter ihm stehen.
Feriel, der Engel der Verwaltung im Gerichtshof und sein Jahre langer Vertreter,
war ein Beispiel davon. Als er sich bei Jibrils Anklage zu erkennen gegeben
hatte, hatte Feriel ohne Fragen zu stellen, ihn willkommen geheißen.
Uriel durchquerte den Krankenhauskomplex zielstrebig. Raphael zu finden war
nicht sonderlich schwer. Er musste in einem seinem Behandlungszimmer sein. Als
er dort ankam und ohne die Wartenden zu beachten das Vorzimmer betrat,
begrüßte ihn Barbiel freudig und geleitete ihn bereitwillig zu Raphaels Büro.
Dann verschwand sie wieder um ihren Vorgesetzten zu holen. Der Erdengel empfand
nichts als Respekt für den weiblichen Engel. War sie doch die Einzige, die
Raphaels Frauengeschichten überwachen konnte.
So weit er wusste, hatte sich Raphael nach dem Krieg nicht sonderlich
verändert. Seine Zeit im Kälteschlaf hatte nicht sehr lange gedauert und schon
bald danach war er vollkommen genesen gewesen. Uriel gab zu, dass Raphael ein
wenig verantwortungsbewusster geworden war, doch den Arzt, den er einst so sehr
bewundert hatte, weil er Todgeweihte und Schwerkranke gerettet hatte und niemals
müde gewesen war es immer wieder zu versuchen, der war verschwunden.
Auch die so mächtige Windmagie war im Krieg nicht sehr zum Tragen gekommen. Der
Engel der Erde erinnerte sich, wie Raphael einst ganze Scharren von Dämonen von
seinen Wirbelstürmen hatte hin fort tragen lassen. Jetzt fehlte ihm jede
frische Brise im Himmel, die nicht die Bäume zum Rauschen brachte.
Uriel warf einen Blick auf das Fenster, das verschlossen und öffnete es. Er
spürte wie der Wind durch das Zimmer flog und ein paar Blätter einer Pflanze,
die in der Ecke stand, mitnahm. Uriel warf einen Blick darauf. Die Pflanze war
zwar nicht krank, aber mit viel Liebe wurde sie nicht gerade behandelt. Sie war
klein und kämpfte um ihr Leben.
Ein Lächeln überkam Uriel. Er hob seine Hand und spendete der Pflanze soviel
Kraft, dass sie wuchs und sich sogar noch einige Knospen zeigten. Wenn Raphael
geduldig warten würde, dann würde dies eine sehr schöne Pflanze mit vielen
Blüten werden. Wer weiß? Vielleicht würde sich der Arzt sogar daran erfreuen?
Wenn er schon ihn nicht leiden konnte?
“Bist du hergekommen um meine Zimmerpflanzen zu gießen? Uriel?”, fragte nun
eine Stimme hinter ihm.
Uriel drehte sich um und blickte Raphael ins Gesicht. Der Arzt hatte sich nicht
verändert. Noch immer war er von strahlender Gestalt mit schönem Gesicht. Er
hatte den Kälteschlaf gut überstanden, doch Uriel vermisste das pulsierende
Leben, das er in Raphael immer gespürt hatte. Früher, bevor dieser sich
verändert hatte.
Damals hatte Raphael jedem eine zweite Chance gegeben, der den Abgrund des Todes
gesehen hatte. Doch jetzt? Jetzt schwebte der Engel des Windes auf einer hohen
Wolke und verstand nicht, was in der Welt vor wich ging, weil er nur das Pfeifen
des Windes in seinen Ohren wahrnahm.
“Die Pflanze verdient zumindest mehr Zuwendung als du, Raphael!”, antwortete
Uriel. Er benutzte den Stimmensimulator dazu, denn vor Raphael wollte er sich
nicht die Blöße geben, dass er seinen Hals schonen musste.
Früher hätte Raphael das ungefragt erledigt, doch heute? Nein. Uriel wollte
sich nicht vor dem Windengel lächerlich machen und um dessen Hilfe bitten. Der
schien um Uriels Konter gar nicht erfreut zu sein, sondern erwiderte nur mit
scharfer Stimme:
“Warum beehrst du mich dann mit deiner Anwesenheit, wenn du schon angeblich
etwas Besseres zu tun hast, als mit mir zu reden?”
Raphael schloss die Tür hinter sich verschränkte die Arme und reckte sein Kinn
ein wenig nach oben. Oh, er konnte diesen Riesen nicht leiden. Überhaupt nicht.
Und zu allem Überfluss erschien dieser auch noch in seinem Büro.
Uriel stutzte kurz, Hörte er da etwa so etwas wie einen Vorwurf in Raphaels
Stimme? Nein, sicherlich meinte der Engel des Windes das nicht ernst. Wie so
vieles.
“Nein, Raphael ich bin wegen ein paar wichtigen Angelegenheiten hier.”
“Und was wäre das? Wofür brauchst DU denn bitte meine Hilfe?
Mister-ich-weiß-doch-alles-Engel.”
“Dieser Engel ist nicht hier um sich von dir beleidigen zu lassen”, sagte
Uriel. “Ich will mit dir über Michael reden.”
Erstaunt riss Raphael nun die Augen auf. Damit hatte er nicht gerechnet.
Er hatte angenommen, dass Uriel wegen irgendetwas belanglosem hier war.
Einerseits hatte es ihn irgendwie gefreut zu hören, dass Uriel zu ihm gekommen
war und sich selbst auf den Weg gemacht hatte, es ihm zu sagen, doch da es
anscheinend um etwas Wichtiges ging, was Michael betraf, wollte er ihn nur über
den Feuerengel ausquetschen. Nicht das nicht weniger beunruhigend wäre, doch
ein wenig enttäuscht war er schon.
Er hatte Uriel lange nicht gesehen, im Krieg waren sie nie richtig dazu gekommen
zu reden und ihre Probleme zu besprechen und davor war der Erdengel verschollen
gewesen.
Raphael schob diese Gedanken beiseite. Uriel interessierte sich nicht dafür,
sondern nur um die Politik. Es war schon erstaunlich, dass er sich so sehr für
den Himmel einsetzte, dafür dass er so lange im Exil gelebt hatte. Doch nun
galt es erstmal zu erfahren, was Michael schon wieder angestellt hatte.
“Über Michael also. Was ist passiert?”, fragte er und Uriel begann zu
berichten.
-
Einige Zeit später hatte Uriel Raphael über die Vorgänge in Kenntnis gesetzt.
Er hatte ruhig und sachlich gesprochen um den Windengel nicht weiter zu
verärgern. Doch er hatte ihn auch nicht direkt angesehen, sondern vermieden
Raphael in Augen zu blicken.
“Was denkst du, Raphael?”, schloss Uriel seinen Bericht. “Meint es Michael
ernst?”
Raphael schwieg zuerst.
“Wie kommst du auf die Idee, dass ausgerechnet ich das weiß?”, fragte er
resigniert zurück.
“Weil du am meisten Zeit mit ihm verbracht hast in den letzten Jahrhunderten
und weil ihr immer zusammen wart. Das hab ich doch gesehen!”, gab Uriel
zurück.
“Hm”, machte Raphael.
Uriel bemerkte, dass Raphael die Sache nahe ging. Er schien zwischen zwei Dingen
hin und her zu schwanken. Die Maske saß perfekt, doch Uriel kannte Raphael
schon seit er denken konnte. Er sah ihm an, dass er verzweifelt war.
“Was ist los, Raphael?”, fragte er ruhig.
“Ich wusste, dass es eines Tages so kommen würde”, sprach er abwesend und
mehr zu sich selbst als zu Uriel. “Ich habe es immer gewusst. Seit dem Tag, an
dem er sein Duell mit Luzifer bestritt und diesen persönlich aus dem Himmel
verbannte.”
“Erzähl weiter”, sagte Uriel.
Er erinnerte sich an diese Zeit. Natürlich.
“Es ist ein unumstößlicher Fakt, dass Michael seinem Bruder immer hinter
gejagt ist. Auch wenn er damals die Schlacht gewonnen hat, so glaubte er immer,
dass er schwächer war als sein Bruder. Sein Leben lang hat er nach Luzifers
Anerkennung gestrebt. Bis vor dem letzten Krieg hat Michael Luzifer aus tiefstem
Herzen gehasst, jedoch … “
“Jedoch was?”, erkundigte sich Uriel.
“Jedoch hat sich das geändert seit er auf den Messias getroffen ist”, kam
es von Raphael leise.
Uriel sah zu Boden.
“Ja. Setsuna hat uns alle verändert. Er hat natürlich auch in Michaels Seele
gesehen.”
“Und ihn verändert!”, ergänzte Raphael bitter.
“Das gefällt dir nicht?”, fragte Uriel.
Raphael sah auf. Er sah ins Uriels Gesicht, der immer noch wie die Ruhe selbst
da saß, während in ihm ein Sturm tobte. Die gleiche Angst wie schon einst,
tobte in ihm. Er wollte nicht, dass Michael aus seinem Leben verschwand! Er
wollte nicht, dass er sich veränderte.
“NEIN, ES GEFÄLLT MIR GANZ UND GAR NICHT!”, schrie er plötzlich aus sich
heraus.
Uriel, der nicht mit einem solchen Ausbruch gerechnet hatte, musste ausweichen,
um nicht von der Luftmagie getroffen zu werden, die Raphael aussandte. Es machte
ihm nichts aus, sondern reparierte mit seiner Kraft die Risse in der Wand. Doch
Raphael war nicht fertig.
“ICH HASSE ES! MICHAEL BESUCHT MICH NICHT MEHR, ER ANTWORTET NICHT AUF MEINE
BOTEN UND LÄSST MICH NICHT EINMAL MEHR IN SEIN HAUS! ICH HABE KEINE AHNUNG, WAS
IN IHM VORGEHT! “
Raphaels Atem hatte sich beschleunigt und starrte Uriel böse an, dem das nichts
auszumachen schien. Dieser wusste nur zu gut, dass diese launischen Handlungen
Raphaels ein Teil seines Charakters war. Da es Michael betraf und der Windengel
wohl ganz einfach an Verlustängsten litt, ging Uriel nicht weiter darauf ein.
Schließlich war Michael das einzige Wesen im Himmel, dem Raphael etwas
bedeutete.
Uriel merkte, wie ihn das traurig stimmte. Er hatte mit dem Windengel Mitleid.
Er wusste, wie es war, wenn man nicht an erster Stelle dessen stand, dem man
sein Herz entgegen brachte.
“Er konzertiert sich also auf Luzifer?”
“Ja”, brachte Raphael mit viel Bitterkeit in seiner Stimme heraus. “Fragt
sich nur noch, o er das überleben wird, wenn Luzifer sich ernsthaft wehrt!”
“Du meinst, er könnte sterben?”, fragte Uriel.
“Natürlich kann er sterben! Michael ist vielleicht stark, aber wir reden hier
von Luzifer!”
Raphael hatte begonnen im Zimmer auf und ab zu gehen. Uriel hatte es ihm
bestätigt. Michael, sein Mika-Khan wollte es endlich allen beweisen. Beweisen,
dass er stärker war als sein Bruder. So war es! Er würde das sicher nicht für
den Himmel tun!
Raphaels Unruhe wurde größer. Was sollte er tun?
Warum musste Michael ausgerechnet jetzt auf den Gedanken kommen diesen Schlag zu
führen? Was war der Auslöser dafür gewesen? Hatte sich etwas im Endkampf
zugetragen, dass er nicht mitbekommen hatte? Hatte Luzifer seinen Bruder
herausgefordert, es doch endlich zu beenden?
Wie konnte Michael ihm das antun?
Vielmehr noch: Wie sollte er Michael davon abhalten?
-
Uriel sah, wie Raphael immer tiefer in seine Gedanken versank und beschloss zu
gehen. Er konnte hier nichts mehr tun. Das musste Raphael mit sich selbst
ausmachen. Das ging ihn nichts mehr an. Raphael würde mit Michael reden - oder
zumindest es versuchen - und dann seine Ergebnisse den anderen Engeln mitteilen.
Am besten sie würden eine Ratssitzung abhalten, doch ohne, dass Michael es
merkte. Wenn sie über die Dinge debattiert hatten, dann würde er den anderen
Elementar zu Rede stellen.
Plötzlich griff er sich an seinen Hals. Er tat wieder einmal höllisch weh. Die
ganze Zeit hatte er das drückende Gefühl ignoriert, doch jetzt war es wieder
ein Stück schlimmer geworden.
°Ich gehe jetzt°, sandte er Raphael seine Gedanken.
Er sah sich außer Stande jetzt noch zu reden. Vielleicht war ja Raphael
abwesend genug, um es zu bemerken.
“Ist gut”, antwortete Raphael ohne aufzusehen.
Er war schon dabei seine Blätter auf seinem Schreibtisch zu sortieren.
Anscheinend wollte er den Papierkram fertig haben, um möglichst bald mit
Michael reden zu können. Uriel sah Raphael einen Moment lang noch an, dann
drehte er sich um. Es war ja klar, dass der Windengel sich abweisend ihm
gegenüber verhielt. Er konnte ihn nicht leiden.
Wenigstens hatte er das mit seiner Stimme nicht mitbekommen.
“Uriel?”, kam es noch einmal kurz bevor er die Tür erreicht hatte.
“Ja?”, erwiderte Uriel mit Anstrengung, die er sich aber nicht anmerken
ließ.
“Wolltest du nicht noch was anderes mit mir besprechen?”, fragte Raphael
kurz angebunden.
Es schien ihm nicht sonderlich wichtig zu sein.
Uriel seufzte kurz. Er hatte noch einmal Glück gehabt. Er hatte ihn nicht auf
seinen Hals angesprochen. Aber auch nicht darauf, ob er ihm helfen konnte mit
seinen Problemen fertig zu werden. Uriel wusste, dass den Windengel das
Besprochene belastete, aber nicht darüber reden wollte. Nicht mit IHM darüber
reden wollte.
Er fühlte sich verletzt. Sie hatten vielleicht nicht immer den Besten Draht
zueinander gehabt, doch sie waren auch keine Fremden. Als Elementar hatte er
eigentlich das Recht dazu, dazu erfahren, was in seinem ’Kollegen’ vorging.
Doch selbst das schien er nicht mehr für Raphael zu sein.
“Nichts. Nichts wichtiges!”, wich er der Frage aus.
Wegen Alexiel würde er sich etwas einfallen lassen müssen. Doch er sah sich
jetzt nicht ihm Stande mit Raphael über ihre Jahrhunderte alte Beziehung zu
reden und sich dem Windengel ohne Grund offen darzulegen. Damit schritt er durch
die Tür, ohne sich zu verabschieden.
-
Als die Tür zufiel, sah Raphael auf. Erst jetzt realisierte er, dass Uriel
gegangen war. Warum hatte dieser das so wortlos getan? Er war doch sonst immer
um Diplomatie bemüht. Raphael stellte fest, als er sich die Begegnung in
Erinnerung rief, dass der Engel der Erde sich etwas seltsam verhalten hatte. Er
schien nicht ganz auf der Höhe zu sein. Nicht nur, dass das dessen Stimme
seltsam geklungen hatte, auch waren die braunen Augen dunkler als sonst gewesen.
Ein Zeichen dafür, dass Uriel in Sorge war.
Raphael lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Uriels Seelenleben ging ihm im Grunde genommen nichts an, aber das mit der
Stimme schien wirklich ein Grund zu sein, um sich damit zu beschäftigen zu
können. Ging es Uriel nicht gut? Oder funktionierte der Stimmensimulator nicht?
Vielleicht hatten sich der Hals entzündet?
Da fiel Raphael auf, dass er die Wunde an Uriels Hals noch nie gesehen hatte.
Nach Alexiels Urteil war Uriel verschwunden und hatte sich erst danach die
Stimme genommen. Nur Gerüchte hatte er darüber gehört. Als Uriel im
Justizpalast aufgetaucht war, da hatte er zuerst nur angenommen, dass es
wirklich nur Gerüchte waren. Doch wenn nicht?
Raphael wusste, dass der Hals eine empfindliche Stelle war, die von alleine nur
schwer ausheilte und stets höllische Schmerzen verursachen konnte. Für einen
Moment hielt er inne und fragte sich, warum ihn das überhaupt beschäftigte,
denn schließlich hatte Uriel ihm das verschwiegen und wollte anscheinend nicht
damit belästigt werden, doch ein inneres Gefühl sagte Raphael, dass er sich
darum kümmern sollte.
Die Vorzeichen - Die Mächte des Feuers
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Kommentar: Es tut mir Leid, dass ich solange gebraucht habe, aber von September
bis Februar lag die Fanfiction still. Mir fehlte es an Einfällen, Kreativität
und Motivation. Das hat sich jetzt geändert und ich hoffe, die Länge
entschädigt euch ein wenig. Ich warne nur kurz: es taucht ein eigener, kleiner
Nebencharakter auf, aber was es damit auf sich hat, wird noch in diesem Kapitel
aufgelöst.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und würde mich über Kommentare freuen.
mangacrack
xxx
::Kapitel 8 - Die Mächte des Feuers::
„Wer traut sich durchs Feuer zu gehen? Wer ist bereit die Flamme zu
führen?“
Raphael stand vor dem Tor und starrte auf die Inschrift, die seit Jahrhunderten
über Michaels Haus prangte. Er fragte, sich, warum sie ihm gerade jetzt wieder
ins Auge fiel. Vielleicht weil er solange nicht hier gewesen war. Immer war
Michael zu ihm gekommen und wenn es dann mal anders herum gewesen war, dann
hatte man Michael in seinem Hauptquartier der Armee angetroffen. Oft hatte er
auf dem Thron gesessen und hatte von dort aus seine Horden kontrolliert. Die
Heerscharen passten zu dem Feuerengel! Sie waren wild, ungebändigt und zollten
nur ihrem einzig wahren Herrn Respekt! Dem Feuerengel Michael-sama!
Wer Michael kannte, würde sich fragen, was die Heerscharen dazu brachte DIESEM
Engel zu gehorchen. Doch wer die Heerscharen kannte, fragte sich nicht zu
Unrecht, ob es überhaupt einem anderen Wesen gelingen würde diese Engel zu
kontrollieren! Raphael erinnerte sich an die Zeit zurück, wo er noch selbst auf
dem Schlachtfeld gekämpft hatte und zum ersten Mal mit den Mächten in Kontakt
gekommen war. Es war ein grausamer Anblick, der sich ihm geboten hatte. Ihre
Schwerter hatten sich durch die Reihen der Dämonen gemäht und gnadenlos waren
sie über jedes Wesen hergefallen, das sich ihnen in der Weg stellte.
Nicht Unrecht hatte Alexiel damit, als sie einst sagte, dass ihnen die Dämonen
lieber waren. Allerdings konnte er sich auch nur dafür verachten, dass sie die
wahre Natur der Engel so spät erkannt hatte. Sie waren blutrünstig! Engel
waren grausame und selbstsüchtige Wesen, nicht anders in der Lage zu leben! Wie
oft hatte sich seine Erkenntnis bewahrheitet? Sie versuchten es alle zu leugnen,
doch sie waren von einem Wahnsinnigen erschaffen worden. Was sollte sich dann
anders als dasselbe daraus ergeben, als nicht etwas ebenso wahnsinniges?
Erneut warf Raphael einen Blick auf die Inschrift:
„Wer traut sich durchs Feuer zu gehen? Wer ist bereit die Flamme zu
führen?“
Sie passte zu Michael.
Sie sagte deutlich, was Michael von der Welt hielt. Er musste auf sich acht
geben, wenn er da jetzt reingehen würde. Michael hasste Feiglinge! Und an
keinem anderen Ort lief man in größere Gefahr einfach niedergebrannt zu
werden. Der Bann des Feuers schützte Michael.
Am Tor schon brannte in zwei großen Schalen ein kleines Feuer und im ganzen
Haus würde man Flammen von verschiedener Farbe und Hitze antreffen! Es gab
keinen sicheren Ort für Michael. Genauso wie das Wasser Sarah einst vor
Sevothtarte geschützt hatte, stand Michael und dem Schutz des wohl
gefährlichsten Element von allen überhaupt.
Selbst er würde sich nicht rechtzeitig heilen können, würde Michael auf die
Idee kommen ihn ernsthaft verletzen zu wollen. Auch kurz nach dem ersten großen
Krieg, als Michael sich zurück zog, weil er es nicht fertig gebracht hatte
Luzifel, des Himmels größten Verräter, zu töten. Michael hätte nur
loslassen müssen und er wäre bis auf die Knochen verbrannt! Jetzt herrschte
eine ähnliche Atmosphäre. Nicht ganz so stark, nicht ganz so heiß, aber
dennoch hitzig genug, um sich Sorgen zu machen.
Der Windengel betete inständig dafür, dass Michael ihn rein lassen würde.
Seinen Thronsaal durfte er ungefragt betreten, doch unter den Elementaren galt
die Regel, dass ihre Residenzen tabu waren. Auch wenn das Michael in der Regel
nicht interessierte. Aber selbst im dritten großen Krieg, als er Sarah
entführt und mit sich genommen hatte, hatte Uriel erst um eine Versammlung der
Elementare gebeten, anstatt dem Messias einfach zu sagen, wo sich seine
Schwester aufhielt. Mit Sicherheit hätte keine Macht der Welt es fertig
gebracht dem Messias seine Schwester vor zu enthalten!
Sie hatten sich am Ende sogar geprügelt!
Der Messias war zu Recht sauer gewesen, weil seine geliebte Schwester entführt
worden war. Selbst der geduldige Uriel, der Setsuna erst die Koordinaten
verraten hatte, als er selbst bereit war Sarah herauszurücken, schien bereit
gewesen ein Erdbeben herbei zu rufen, nur damit er wieder zurück zu seinen
Sinnen fand.
Doch das hatte erst Michael fertig gebracht.
Raphael betrat nun endlich nach langen Zögern Michaels zu Hause.
Wie lange war er nicht mehr hier gewesen? Es musste Jahrtausende her sein!
Der Garten sah zwar nicht viel anders aus, aber es war auch kein Garten im
üblichen Sinne. Statt Büschen, Sträuchern, Bäumen und Pflanzen hatte Michael
eine Felsenlandschaft! Der Boden war heiß, glühte wie erhitzte Kohle und
überall waren kleine Lava Seen, die aus der Erde traten. Raphael war für einen
Moment gewillt, sich eine frische Brise zuwehen zu lassen, weil Asche Spuren in
seine Lunge gelangten, doch er ließ es bleiben.
Es wäre unhöflich gewesen hier seine Kräfte zu benutzen, nicht das Michael
was auf Höflichkeit geben würde, aber wenn er schlecht drauf war, dann konnte
er das als nonverbalen Angriff verstehen und möglicherweise auf stur schalten.
Wenn das passierte, könnte er auch sofort wieder gehen. Es würde nichts
nützen. Doch heute war es von ungemeiner Wichtigkeit, dass er es schaffte mit
Michael zu reden.
Es traute sich kein Anderer zu fragen, was Michael zu tun beabsichtigte.
Raphael seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. Die blonden
Strähnen fielen in sein Gesicht. Sein weißer Anzug, den er trug, war ein
einziger Kontrast zu der braun roten Umgebung. Selbst Michaels Residenz, das
sich über mehrere Stockwerke erstreckte und nicht wie bei ihm selbst flach
gebaut war, schien eine Zusammensetzung aus Drachenhörnen, Klauen und roten
Steinen zu sein. Raphael vermutete, das die rote Farbe an der Fassade
Dämonenblut war. Er wollte nicht wissen, wie es dahin gekommen war, aber musste
wieder einmal neidlos zugeben, dass Michael Zuhause beeindruckend war.
Doch das war nicht zu dem, was man zu sehen bekamen, wenn man in das Haus gehen
würde. Sein Haus war offen, sodass man von allen Seiten den Himmel sehen
konnte. Alles mit Glas versehen, das nach Regentagen seine Dienerinnen in den
Wahnsinn trieb, weil sie alles putzen mussten. Hier gab es keine Fenster zu
putzen! So fern Michael seine Einrichtung in den letzten Jahrhunderten nicht
verändert hatte, so war alles, was ein Eindringling vorfinden würde einen
Sichtvorhang statt einer soliden Glasscheibe.
Aus Raphaels Sicht hatte sein lieber Freund Michael in der Hinsicht nicht mehr
alle, denn in Sachen geschmackvoller Einrichtung war dessen Sinn für das
Passende und stilvolle genauso verdreht, wie sein Verhältnis zu Frauen.
Umso überraschter war er deswegen als eine Frau auf ihn zukam und sich vor ihm
verneigte.
„Ich heiße sie willkommen, Raphael-sama!“
Als sie sich wieder aufrichtete, sah Raphael, dass sie kein Engel war. Ihr
zurück gebundenes, langes rotes Haar offenbarte ihre spitzen Ohren und ihre
Haut schimmerte seltsam. Ein näherer Blick zeigte Raphael, dass es Schuppen
waren. Das Gerücht, dass Michael sich nicht von Grigori hielt und statt den in
Himmel üblichen Schwestern sich seiner sagenumwobenen Drachengestalten
bediente, schien wahr zu sein.
„Sie scheinen sehr erstaunt über mein Erscheinen zu sein, Raphael-sama!“
„Ich habe in der Tat nicht mir einer Frau in Michael Residenz gerecht, werte
Dame!“
Raphael bemühte sich höflich zu sein. Er ermahnte sich selbst, dass der
Feuerengel sein Verhalten Frauen gegenüber vielleicht an jedem Ort der Welt
eher dulden würde, als in seinem eigenen Zuhause.
Die Dienerin lächelte allerdings amüsiert.
„Ich gebe zu, dass jemand wie sie das vielleicht seltsam findet, wo
Michael-dono sonst keine Frauen in seiner Gegenwart duldet, doch bei mir und
meinen Artgenossen ist das etwas anders. Michael-dono hat uns vor Urzeiten
erschaffen. Deswegen sind wir ihm bedingungslos loyal. Er hat uns aus seinem
Feuer geboren, uns einen Körper gegeben, der mit der Hitze und dem Feuer
zurecht kommt, wie sonst kein anderes Wesen auf dieser Welt.“
Raphaels Gedanken überschlugen sich, als er das hörte. Er konnte es kaum
glauben. Seine eignen Verbündeten waren Vögel und Wesen der Luft aller Art,
doch das war etwas anderes. Er hatte sie nicht erschaffen! Zwar erkannten sie
ihn als ihren Herren an, aber der Einzige noch in einem bekannten Fall einem
Geist einen Körper gegeben hatte, war Rosiel gewesen. Doch auch der hatte einem
Grigori zu einer fester Form verholfen und nicht einem leblosen Ding Leben
eingehaucht.
Mit einer fachmännischen Miene begutachtete Raphael die Dienerin, die nun das
hintere Tor freigab und ihn herein ließ. Sicherlich wusste Michael bereits,
dass er hier war, denn ohne Erlaubnis ihres Herrn würde sie das Tor nicht
öffnen! Er war sich sicher, dass sie sofort Körper, Geist und Leben für
Michael opfern würde. Oder ihn verteidigen, sollte es nötig werden. Und er
zweifelte nicht an, dass sie das auch konnte!
Ihr Haar war rot und hinten zu einem Zopf zusammen geflochten. Ihre Haut war
schuppig, wie er zuvor schon festgestellt hatte und einen Farbton den man grob
irgendwo zwischen blau und lila einordnen musste, da er sich im Licht ständig
zu ändern schien. Auffällig war neben den beiden gebogenen Hörnern, die ihr
aus dem Kopf ragten, auch die recht kurze Kleidung. Es war keineswegs die
traditionelle Kleidung. Normalerweise trugen die Diener, egal ob hochrangig oder
einfach gestellt, lange schwarz weiße Gewänder, die der Einheit entsprachen.
Was man hier wirklich nicht sagen konnte.
Das Oberteil war kurz und hörte in der Mitte des Bauches auf und Ärmel hatte
es gar keine und der lange weite Rock, wurde durch einen modernen eher der
Praxis zu geschnittenen kurzen Hosenrock ersetzt. Bewaffnet war sie nicht,
zumindest konnte Raphael keine Waffe erkennen, allerdings glaubte er nicht, dass
das die Drachin davon abhalten ihn in Stücke zu reißen, wenn sie es für
nötig erachtete oder er auch nur einen falschen Schritt tat.
Denn sicherlich hatte sie zumindest noch eine andere Gestalt, denn er konnte auf
einen Blick sehen, dass der schon der Knochenbau nicht der menschlichen oder
engelhaften Art entsprach, die ihm sonst unterkam. Überhaupt war sie kräftiger
als die meisten Frauen, die er kannte. Sie wirkte eher wie ein Krieger für das
Schlachtfeld, als eine Dienerin für Haus und Hof.
In ihm keimte der Verdacht auf, dass sie in der Tat eigentlich eine Soldatin war
und nur eigens für die Dienste unter Michael angestellt. Ähnlich wie Barbiel
unter ihm stand. Deswegen schätzte er die Drachin als Leibwächterin Michaels
ein.
Auch sah er, dass die anderen Diener, die durch das Haus huschten durchaus zu
dem eigentlichen normalen Standard gehörten, allerdings hielten sie sich nur in
den großen offenen Gängen auf. Er wurde teils auch durch abgelegene Gänge
geführt, wo nur Fackeln Licht spendeten und alles andere von dem schwarzen
Stein verschluckt wurde. Nach näherer Begutachtung hatte Raphael erkannt, dass
es Vulkangestein war, aus dem Michaels Zuhause gemacht war. So hatte er es
zunächst angenommen, doch mehr und mehr begriff Raphael, dass es ein richtiger
Vulkan war, in dem Michael lebte.
Zwar wusste der Windengel nicht, wie sein Freund es fertig gebracht hatte einen
Vulkan in den Himmel zu schaffen, einen vermutlich aktiven noch dazu, aber das
war Wissen, das besser für immer verborgen bleib. Aber es offenbarte Raphael
auch, wie lange er nicht mehr hier gewesen war. Sie hatten sich entweder bei ihm
im Krankenhaus, bei ihm Zuhause oder im Hauptquartier der Heerscharen getroffen.
Nie bei Michael.
Aber der kleine Feuerengel brauchte das vermutlich auch.
Es war ja schließlich nicht immer so gewesen, dass er recht offen über sich
sprach. In den Hochzeiten von Sevothtartes Diktatur war Michael chronisch
schlecht gelaunt gewesen. Schlecht gelaunt im Sinne von verdammt mies drauf. Und
das für mehrere Jahrzehnte jeweils am Stück. Nicht einmal er hatte sich
getraut, den Versuch zu wagen Michael zu beruhigen. Das war einmal schief
gegangen und seit dem hatte er es gelassen. Ihm selbst hatte das weniger
ausgemacht, aber die Umgebung hatte stets sehr gelitten und ihm nur noch mehr
Arbeit gemacht, als es genützt hatte.
Im Gegensatz zu diesen Zeiten hatte Michael inzwischen zu einem sehr
friedfertigen Engel entwickelt. Zeitweilig zumindest. Der Messias hatte ganze
Arbeit geleistet.
Doch als die Drachin in menschlicher Gestalt vor einer großen und schweren
Flügeltür stehen blieb, wurde sich Raphael bewusst, dass jetzt ihm ein ganzes
Stück Arbeit bevor stand. Dieser blöde Uriel, der ihm das hier eingebrockt
hatte. Er hätte schließlich ebenfalls mit Michael reden können und es hätte
nicht halb so verdächtig gewirkt. Insgeheim schwor sich Raphael sich Uriel noch
einmal vorzuknöpfen. Der Engel der Erde hatte ihm noch so einige Fragen zu
beantworten.
Doch erstmal war jetzt das wichtiger, was ihn erwarten würde.
Zum Abschied wandte er sich noch einmal an die Drachin.
„Ist er in guter Stimmung oder muss ich mich mal wieder darauf einrichten,
mich selbst heilen zu müssen?“
Die Drachin sah ihn nun nicht mehr ganz so freundlich wie vorhin an und trat
einen Schritt auf ihn zu. Sie funkelte ihn mit ihren roten Augen an und richtete
ihren Finger auf Raphaels Brust.
„Michael-dono ist still in letzter Zeit. Es geht ihm nicht gut, das sehe ich
ihm an. Aber er redet nicht. Normalerweise mische ich mich in seine
Angelegenheiten nicht ein, denn es sind die seinen und ich gehorche seinen
Wünschen und Befehlen. Aber sein Wohl steht an oberster Stelle. Tun sie was sie
können, um ihm zu helfen, aber wenn sie ihm weh tun, Raphael-sama, dann
schwöre ich ihnen, dass sie an keinem Ort der Welt vor mir sicher sein
werden!“
Damit verschwand die Drachin in einem Feuerstoß und Raphael lächelte
amüsiert. Es gab nicht viele weibliche Wesen, die ihn bisher bedroht haben und
er musste zugeben, dass es anreizend war. Zu schade, dass Michael keine
Liebeleien mit seiner Leibwächterin dulden würde, ansonsten hätte er sich das
eben ganz sicher nicht so einfach auf sich sitzen lassen.
Er atmete noch einmal tief ein, dann stieß Raphael die schwere Flügeltür auf.
-
„Michael?“, rief er.
Es kam ihm ein Schwall von sehr heißem Dampf entgegen und kaum hatte er den
Raum betreten, lief ihm der Schweiß über das Gesicht. Die Luftfeuchtigkeit war
für Michaels Verhältnisse erstaunlich hoch, doch da dies anscheinend das
Badezimmer war, war es wohl nicht unüblich für den Feuerengel, dass das sonst
so verhasste - ihm entgegen gesetzte Element - in dem Raum seines Hauses in
einer derartigen Konzentration vorhanden war. Eigentlich hasste Michael das
Wasser. Seen, Regen, Schiffe und Meere aller Art näherte er sich nur, wenn er
nicht anders konnte. Lieber ließ er Ozeane austrocknen als in die Gefahr zu
laufen, schwimmen zu gehen, doch in seinem Heim, war das wohl etwas anders.
Und an der Temperatur des Dampfes erkannte Raphael, das wohl auch kein anders
Wesen als Michael in diesem Wasser baden konnte. Da ihm die Hitze bereits zuviel
wurde, zog er sein Jackett aus und legte seine Schuhe und Strümpfe beiseite.
Vorsichtig näherte er sich dem Zentrum des riesigen Badezimmers. Die Platten
waren aufgewärmt, heiß besser gesagt. Schließlich hielt sich Michael in
seinem privaten Domizil nicht zurück, wenn er es warm haben wollte. Zu gut
wusste Raphael, dass Michael kein Feuer entzünden musste, um die gesamte
Umgebung zum Schmoren zu bringen. Jetzt wusste, wieso Michael sich nicht den
üblichen Grigori bediente, sondern sich seine eignen Hitze resistenten
Untergebenen geschaffen hatte. Es war ganz einfach so, dass kein anderer Engel
hier drin lange hätte überleben, geschweige denn hätte arbeiten können.
Ihm selbst war die Umgebung zwar unangenehm, aber der Luftzug war nicht
vollständig unterbrochen, so dass es für reichte, um sich hier ungefährdet
drin aufhalten zu können. Aber er war auch ein Element! Einer der großen Vier!
Er traute es nicht mal einer Hand voll weiteren Engeln zu so weit zu kommen,
dass sie Michael, den großen Michael, dabei beobachteten durften, wie er
badete.
Das war ein verdammt großer Vertrauensbeweis und Raphael fragte sich womit er
das verdient hatte. Er trat an den Beckenrand und setzte sich ruhig hin. Der
Boden war nass und glitschig, aber es störte ihn nicht. Noch weniger, dass sich
seine Kleidung mit der Nässe vollzog. Stattdessen störten ihn nur ein wenig
die Gefühle, die Michaels Anblick in ihm auslösten.
Durch den dichten Dampf konnte er die Konturen nur unscharf erkennen, aber es
genügte. Michael war jemand, der ihn schon immer fasziniert hatte. In seinem
Wesen, in seiner Art und in seinem Auftreten. Nicht größer hätte seine Angst
im letzten großen Krieg sein können, als er erfuhr, dass Luzifer
zurückgekehrt war. Er hatte es bereits geahnt, als er zum ersten Mal den
Messias mit dem Schwert Nanatsusaya gesehen hatte. Vor langer Zeit hatte er nur
durch Zufall erfahren, dass Luzifer in dem Schwert gebannt worden war und als er
dann vollständig erwachte, somit sein menschliches Ich ‚Kira Sakuya‘
zurück ließ, hatte er befürchtet Michael zu verlieren.
Er hatte Angst gehabt, dass Michael gehen würde. So unerreichbar für ihn, dass
er nicht mehr der Strahl Licht für ihn sein konnte, der er war. Michael war
unbesiegbar. Unbesiegbar und stark. So viel stärker als er, dass seine Sorgen
unbegründet gewesen waren. Er war nicht dabei gewesen, als die
Entscheidungsschlacht viel und Uriel hatte ihm nur ein Teil erzählen können,
doch das reichte, um sich den Rest zusammen reimen zu können.
Deswegen wunderte es ihn.
Wenn Michael nach dem Krieg in Ordnung gewesen war, warum war er es jetzt nicht
mehr?
Was war vorgefallen? Was hatte sich so gravierend geändert, dass Michaels
gesamtes Verhalten umschlug?
Es machte ihm Angst. Diese Neuheit konnte er nicht verdauen und noch klammerte
er sich an die Hoffnung, dass es nur etwas banales war. Eine Kleinigkeit über
die Michael hinweg kommen würde.
/Ich könnte es nicht ertragen dich zu verlieren, Michael/, dachte Raphael als
er die Gestalt im Wasser betrachtete. /Ich bin noch nicht bereit dafür, ohne
dich aus zu kommen./
„Hmm, Raphael“, gab Michael, zum ersten Mal seit er den Raum betreten hatte,
einen Ton von sich. „Was machst du hier?“
„Ich wollte dich sehen“, gab Raphael eine halbwegs ehrliche Antwort von
sich. Er wollte Michael nicht belügen und seine wahren Absichten traute er sich
zu offenbaren. Aus welchen Gründen, das konnte er selbst nicht genau sagen,
obwohl er wusste, dass Michael diese Feigheit verabscheute.
„Ach“, erklang Michaels Stimme in einem spöttischen Ton. „So sehr, dass
du dich sogar dazu herab lässt, um mich hier zu besuchen? Wie nett von dir!“
Michael war wohl sauer ihn. Zu lange kannte er den Feuerengel schon, um nicht zu
wissen, dass dieser beleidigt war. Langsam wurden Michaels Konturen schärfer
und Raphael konnte ausmachen, wie er näher kam. Leicht nervös grub er seine
Finger in seine Hose.
„Aber Mika-chan, ich…“, begann Raphael, wurde aber rüde unterbrochen.
Wütend fuhr Michael dazwischen.
„Vergiss es Raphael“, zischte er zornig. „Verkauf mich nicht für dumm.
Ich weiß, wieso du hier bist, was du sagen willst und mit welchen Worten du
wieder gehen wirst. Spar dir das!“
Nun war Michael fast am Beckenrand. Sein Badezimmer war genau genommen ein
riesiger Raum, wo in den Boden ein Schwimmbecken eingelassen war. Wie tief es
war, konnte Raphael nicht genau sagen, doch da Michael jetzt mit kräftigen
Schwimmzügen auf ihn zu kam und dann sich mit einem Ruck aus dem Wasser
stemmte, sodass das Wasser heraus spritzte und Raphael an den Stellen
verbrühte, wo es seine Haut traf, nahm er an, dass er sich an der tiefen Seite
des Beckens befand.
Michael klammerte sich an den Beckenrand, legte seine Ellbogen auf dem
Steinboden ab und sag von unten direkt in Raphaels Augen. Diesem viel auf, das
Michael seine Haare sogar offen trug. Es war ein seltener Anblick, denn die
längeren Haare störten ihn beim Kämpfen. Doch Raphael wusste, dass Michael
das tat, weil er vermeiden wollte Luzifer ähnlich zu sehen. Die wirren, nassen
Haare fielen Michael strähnig ins Gesicht, doch die goldnen Augen fixierten
ihn, sodass er es nicht wagte, woanders hinzusehen.
„So, Raphael“, begann Michael noch einmal, „glaubst du ich wüsste nicht,
dass du hierher geschickt wurdest? Hab ihr darum geknobelt, wer den schweren Weg
auf sich nehmen würde, hierher zu kommen? Hast du geweint, als du den
kürzesten Strohhalm gezogen hast? Hä?“
„Nein Michael, es …“, doch schon wieder ließ ihn Michael nicht ausreden.
„Versuch nicht dich raus reden, Raphael!“, rief jetzt Michael laut. „Ich
weiß, dass Camael zu Uriel gegangen ist. Und der ist bei dir gewesen!
Allerdings nur, weil die liebe Alexiel ihn darum gebeten hat! Ich wette, er hat
dir erzählt, dass ich mir ‘seltsam‘ verhalte. Und? Bist hergekommen, um
mich zu belehren? Mir zu sagen, dass ich ein Dummkopf bin?“
Raphael wusste nicht, was er sagen sollte.
Nun kannte er den Grund, warum Michael so sauer war. Er fühlte sich betrogen.
Betrogen und hintergangen.
Schuldbewusst senkte er den Kopf.
„Ich hab mir Sorgen gemacht“, meinte er leise.
Michael zog misstrauisch die Augenbrauen hoch. Natürlich bemerkte er, dass
Raphael die Vorwürfe nicht abstritt, aber immerhin tat es ihm leid. Das sah er
dem Engel des Windes an. Doch noch hatte er ihm nicht verziehen. Deswegen
rückte er noch ein wenig näher mit seinem Körper an den Beckenrand, griff mit
einer Hand nach Raphaels Kragen und zog ihn dicht zu sich heran.
Raphael schauderte, als Michaels warmen Atem an seinem Ohr spürte und selbst
auf dessen nackten Rücken sah.
„Du bist ein Arschloch, Raphael. Ein verdammt Feiges noch dazu. Du hast nicht
die Kraft dich dagegen aufzulehnen. Obwohl du nicht hierher kommen wolltest,
hast du dich Uriels Worten gebeugt und nicht von ihm in die richtige Richtung
drehen lassen. Er musste dich wahrscheinlich nicht einmal bedrohen oder
erpressen. Er kennt dich gut genug, um zu wissen, was er tun muss, damit du aus
freien Stücken hierher kommst. Aber weißt du was?
Ich hasse es.
Ich hasse deine feige Art, die du schon seit so langer Zeit nicht abstreifen
kannst. Du verkriechst dich in deinen eignen sicheren vier Wänden und wartest
bis der Sturm vorbei ist! DU! Der früher vom Wind und von dem Himmel nie genug
kriegen konnte. Du warst es, der mich einst angestachelt hat, unbeirrbar nach
vorne zu sehen, erinnerst du dich?
Und nun sieh, was von dir übrig ist.
Nicht einmal belehren kannst du mich noch. Früher hättest du mich schon
längst zur Rede gestellt. Doch wo ist jetzt deine scharfe Zunge? Deine Worte,
die mich immer aus meinen Grübeleien und aus meiner Einsamkeit gerissen haben?
WO VERDAMMT RAPHAEL, WO?“
Die letzten Worte hatte Michael direkt in das Gesicht seines Gegenübers
geschrien und nur mühsam widerstand er dem Drang dem Windengel eine zu
Scheuern. Es war nicht das erste Mal in seinem Leben, dass er Raphael
wachrütteln musste, doch in letzter Zeit häuften sich diese Depressionen ein
wenig. In einem Nebengedanken fragte sich Michael, was wohl der Grund für diese
immer wieder kehrende Trauer und Passivität war, aber er hatte gewiss keine
Zeit sich jetzt damit auseinander zu setzten.
„Michael“, gab Raphael reuevoll von sich und Michael musste nicht hinsehen,
um zu wissen, dass der Windengel nun ein einziges Häufchen Elend war.
Leicht seufzte er und ließ den festen Griff um den Kragen ein wenig lockerer
werden, sodass er den blonden Engel wieder ansehen konnte. Es bestätigte sich.
Es tat Raphael leid. Verdammt leid sogar und Michael beschloss, dass es genug
war. Er konnte es ihm schließlich ja nicht ewig nachtragen. Außerdem war er
dieses Verhalten bereits gewöhnt. Zu lange über Raphaels Verschrobenheiten zu
brüten, war nur schlecht für die Seele. Er würde ihn ja sowieso nicht
verstehen. Das zu versuchen hatte er schon lange aufgegeben.
Raphael vergrub seine Hände in seinem Gesicht. Dies war einer der seltenen
Momente, wo er echte Scham fühlte. Er war sich der Härte bewusst, denn Michael
hatte nicht wie sonst herum geschrieen, getobt und Dinge zerstört, sondern ihm
nur ziemlich klar gesagt, was er von seinem Verhalten hielt. Nämlich nichts.
Er merkte, wie Michael langsam von ihm weg rückte und erwartete jeden Moment
hinaus geschmissen zu werden. Doch stattdessen passierte genau das Gegenteil.
Bevor er überhaupt sagen konnte, was geschehen, fühlte Michaels Arme um sich.
Erstaunt und verwundert, wollte er den Kopf heben, merkte aber, wie der an
Michaels Brust gedrückt wurde. Nicht genau wissend, was er tun sollte, und
verunsichert wegen dem Vortrag von eben, seinen eignen Schuldgefühlen und
seinen Verlustängsten, verharrte er einfach so und schloss die Augen.
„Du bist ein Dummkopf, Raphael“, hörte Michael nicht neben sich sagen.
Obwohl er nun langsam pitschnass war, weil sich die Nässe von Michaels Haut auf
ihn übertrug, nahm er es nicht wahr. Er spürte nur, die Stärke, die vom
Michaels Armen ausgingen, die ihn schützend umschlossen. Raphael wusste, das
Michaels Haut kalk weiß war und er konnte fühlen, dass sie noch genau so weich
war, wie er sie in Erinnerung hatte. Nicht oft erlaubte es ihm Michael ihn so zu
berühren und jedes Mal wurde ihm dann bewusst, wie sehr Michaels körperliches
Alter doch über seine wahre Natur hinwegtäuschte.
Die Arme waren kräftig, es würde nicht ein Gramm fett daran zu finden sein, so
wie überall an Michaels Körper. Es war alles reiner Muskel. Die Stärke, die
Michael sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende erarbeitet hatte, konnte er
in jedem einzelnen Muskel spüren. Der Griff der Arme war fest und selbst wenn
Raphael gewollt hätte, er hätte sich nicht daraus befreien können. Aber er
genoss die sanfte Berührung, diese seltene Zärtlichkeit Michaels und wünschte
sich, dass sie ewig andauern könnte.
Momente wie diese, Momente des absoluten Friedens zwischen zwei Elementen waren
sehr, sehr rar. Doch auch diesmal lag etwas zwischen ihnen. Seine verdammten
Schuldgefühle und seine Angst. Er hasste sich dafür, dass er sie nicht
abstreifen konnte. Aber sie war immer noch da. Die Angst, dass Michael ihn
abweisen, ihn zurücklassen würde.
Doch Michael kannte ihn besser als er dachte. Denn wieder sagte er:
„Du Dummkopf. Raphael du solltest doch langsam wissen, dass ich dir nie lange
böse sein kann.“
Das brachte Raphael dazu endlich wieder in Michaels Augen zu sehen. Zuvor hatte
Michael sich am Beckenrand festgehalten, doch nun hatte er sich mit einem
schnellen Schlag seiner Flügel, die gerade wieder verschwanden, aus dem Wasser
katapultiert.
„Michael!“
Raphael wusste nicht, warum sich ausgerechnet der Klang des Namens so in den
Kopf gepflanzt hatte. Es schien ihm manchmal so, als könnte er dadurch all die
Geheimnisse aufdecken, die der Feuerengel beherbergte. Zwar wusste er, dass dies
nie der Fall sein würde und das es auch nicht gut wäre, von gewissen Dingen zu
wissen, das wusste er aus eigener Erfahrung, doch es war die Faszination, die
ihn so weit trieb.
Eine Faszination, die niemals in seinem Leben nachlassen würde.
Und der Preis dafür würde für alle Zeit derselbe sein.
Aber den würde er auf sich nehmen. Den konstanten Schmerz in seiner Brust, der
für immer bei ihm bleiben würde, als Erinnerung daran, wie nah und wie fern er
Michael doch war.
Inzwischen waren sie beide aufgestanden und Raphael trat einen Schritt zurück,
um Distanz zwischen sie zu bringen. Michael benutzte inzwischen eines der
Handtücher, die bereit lagen, um sich damit abzutrocknen. Zwar wäre das für
den Feuerengel nicht unbedingt nötig gewesen, aber wahrscheinlich wollte er
nicht vollkommen unbekleidet vor Raphael stehen.
Nicht das es sonst Michael etwas ausmachen würde. Scham kannte er nicht, nur
fühlte er sich nackt und oft noch kleiner und zierlicher als er schon war und
nichts mehr verabscheute Michael. Raphael sah zu, wie Michael sich das Tuch um
den Körper schlang und das Zimmer verließ, um sich anzuziehen. Er folgte ihm,
langsam und betrachtete dabei Michaels Statur.
Er machte sich nach wie Sorgen um seinen Freund und näher würde er kaum
kommen. Vielleicht würde er ein paar Informationen als Michaels Haltung, seinem
Gang oder gar einer eventuellen Verletzung herauslesen können, was geschehen
war. Doch zu erwarten war es nicht. Michaels Schritt war bestimmend und
kräftig. Kaum ein anderer konnte durch seinen Gang so viel Kraft ausdrücken
wie er.
Die gesamte Himmelsarmee konnte eben diesen Schritt ausmachen und auch noch die
Engel in der letzten Reihe erkannten ihn. Ähnlich wie wenn Michael seine Stimme
erhob, um einen Kampf anzukündigen, eine Schlacht unter dem Getöse des
Zusammenpralls zweier Mächte zu leiten oder eine gesamte Kompanie zusammen zu
stauchen.
Nicht genau wissend, was er tun sollte und um vielleicht doch noch eine
Erklärung für Michaels Verhalten zu finden, folgte Raphael Michael bis in
dessen Ankleidezimmer, wo allerlei Arten von Kleidung hing. Meist
Lederklamotten, wie Michael sie bevorzugte, oder Anzüge im Armee Stil. Hin und
wieder sah man auch moderne Kleidung, was bewies, dass der Feuerengel sich
regelmäßig unerkannt auf die Erde schlich und sich unter Menschen mischte.
Ganz hinten in der Ecke hingen auch einige traditionelle Roben, denen höchstens
zu wirklich bedeutenden Anlässen Beachtung geschenkt wurde.
Gelangweilt sah er Michael beim Anziehen zu, aber ihm viel auf, dass dieser
scheinbar etwas suchte. Es lag zentnerweise Kleidung herum, die genau gleich
aussah, aber Michael griff sich eine Hose, die ausgerechnet ganz unten lag.
Misstrauisch sah Raphael näher hin.
Michael bemerkte es und drehte sich um, während er den Gürtel der schwarzen
Hose zu machte.
„Was glotzt du so, Raphael?“
Es lag ein seltsamer Unterton im Michaels Stimme und Raphael wusste, dass da
etwas war, das Michael ihm verschweigen wollte.
„Etwas stimmt nicht Michael!“, bemerkte Raphael ruhig und lehnte sich an den
Türrahmen, „Irgendetwas sieht anders aus…“.
„…als sonst?“, vollendete Michael den Satz mit einer bitteren Stimme.
Er drehte sich weg, sodass Raphael nur den weißen Rücken im Blick hatte,
behielt aber das Shirt, das er sich angeschickt hatte anzuziehen, noch in der
Hand. Nach einer kurzen Pause begann er zu reden.
„Weißt du Raphael … ich habe vorletzten Monat meine Stiefel verbrannt.“
„Waren sie beschädigt?“, wollte Raphael wissen.
Es war nichts neues, das Michael hin und wieder seine eigene Kleidung aus Frust
oder Ähnlichem in Brand steckte.
„Nein, alle!“
„Was meist du damit ... alle?“
Raphael stand der Mund offen. Michael hatte hunderte von Stiefeln!
„Wenn ich alle sage, dann meine ich auch ALLE“, rief Michael und drehte nun
Raphael das Gesicht zu. „Und weißt du auch wieso? Sie haben nicht mehr
gepasst! Keiner von ihnen!“
„Wie…?“, fragte Raphael ungläubig, brach aber ab, da Michael weiter
redete.
„Dann waren meine Hosen dran. Auch sie passten nicht mehr. Es folgten meine
Shirts, meine Handschuhe, meine Mäntel ... Alles eben!“
„Was hat das zu bedeuten, Mika-chan?“
„WAS DAS ZU BEDEUTEN HAT?“, schrie Michael nun aufgebracht und steckte das
Hemd in seiner Hand in Flammen. „MIKA-CHAN WÄCHST, VERDAMMT NOCH MAL!“
„Michael…“, flüsterte Raphael ungläubig, ahnend, was passiert war.
„ICH WERDE IHM IMMER ÄHNLICHER! SIEHST DU DAS NICHT?“
Raphael schwieg und sah wie Michael versuchte sich zu beruhigen.
„Meine roten Haare verstecken es, aber ich sehe es. Der Ansatz ist schon
teilweise vollkommen schwarz. Meine Haare werden dunkler. Mein eigener Körper
hat es Äonen lang geleugnet und der Drache half, aber nach all dem, kann ich
nicht mehr leugnen, dass ich es nicht sehe. Und du siehst es auch.“
Raphael sagte nichts, sondern sah Michael noch mit aufgerissenen Augen an. Dann
veränderte sich sein Ausdruck, doch Michael wusste bereits, was er sagen
wollte.
„Sag es nicht Raphael. Ich sehe es.“
„Nein“, sagte Raphael, um den Gedanken, der in der Luft hing, von sich und
vor allem von Mika-chan zu weisen.
„Versuch ‘s nicht Raphael. Ich verwandele mich in das Abbild meines
Bruders.“
„Du bist nicht wie er“, rief der Windengel dazwischen.
„Bist du dir da so sicher, Raphael?“, gab Michael leicht wehmütig zurück.
Ungläubig betrachtete er Michael. Er versuchte es zu leugnen, doch gerade ihm,
als Arzt, fiel es ins Auge. Wenn Michael es nicht erwähnt hätte, hätte er es
vielleicht übersehen, doch so musste er es zugeben. Es wäre ihm früher oder
später aufgefallen, daran führte kein Weg dran vorbei. Erwähnt hätte er es
nicht, Michael zu Liebe.
Aber es war wahr. Wenn das so weitergehen würde, wäre es in ein paar
Jahrzehnten Luzifers Reflexion. Das eben gleiche Spiegelbild.
„Dennoch bist du nicht er“, beteuerte Raphael. „Aussehen macht noch keinen
Charakter. Erinnere dich daran, wer er ist. Er hat uns alle verraten. Aus
eigener Hand fiel er, nicht weil Gott es ihm befohlen hat. An allen seinen
abscheulichen Taten, hatte er Freude. Du bist nicht wie er Michael. Du bist
nicht so … verdorben.“
Schweigen erfüllte den Raum.
„Wir sind uns ähnlicher als du glaubst, Raphie“, antwortete Michael fast
mechanisch.
„Ich bin der Engel des Krieges. Blutbäder und Gemetzel sind das wofür ich
existiere. Dahinter steckt kein höherer Plan Gottes, als er mich schuf. Es
gefällt mir einfach. Darin gehe ich auf. Zerstörung, dafür lebe ich. Daran
erfreue ich mich. Die Ratsmitglieder haben recht, wenn sie sagen, dass ich schon
lange des Mordes an Unschuldigen hätte anklagt und verurteilt werden sollen.
Und jeder, der mich je auf dem Schlachtfeld gesehen hat, kann dir das
bestätigen.“
„Du bist nicht er!“, beteuerte Raphael.
Diesmal aus Angst. Diese tiefe uralte Angst, die schon immer in ihm gewesen war.
Die nie hatte verschwinden können.
„Wir sind aus demselben Blut, Raphael. Kein Tattoo der Welt ändert das.“
„Ihr seid vollkommen verschieden“, meinte Raphael bestimmend. „Du hast ihn
besiegt. Und all die Jahre hast du nur Rache gewollt. Deswegen hast du Gefallen
am Kampf gefunden.“
Michael lachte auf. Es klang hohl.
„Gib es auf. Du, das Leben und die Wiedergeburt, wird die Entscheidungen des
Todes nie verstehen. Ich bin nun mal so“, erklärte Michael schon fast
liebevoll. „Außerdem ... Teilen wir uns sogar unsere Flügel.“
„Unmöglich“, wandte Raphael ein, glaubte einen Strohhalm gefunden zu haben.
„Ihr seid nicht wie Rosiel und Alexiel. Luzifer besitzt das zusätzliche
Flügelpaar. Dir sind die restlichen Schwingen geblieben. Es besteht keine
…“
„…Verbindung?“
Michael schüttelte den Kopf.
„So einfach ist das nicht“, verkündete er. „Sie ist nicht sichtbar. Aber
es ist UNSER Flügelpaar, auch wenn sie auf seinem Rücken sitzen. Die
Astralkraft, die daraus entspringt, gehört uns. Wir sind eins.“
„Michael.“
Raphael wusste nicht mehr, was er sagen sollte.
-
Stunden später hockte Michael allein vor einem Gemälde, das in der
Übungssäle hing, die im ganzen Haus verteilt waren, frei zu jeglicher
Benutzung. Melancholisch betrachtete er den Kampf von Engeln und Teufeln, die im
ewigen Kampf mit einander ringen würden, solange das Bild dort hingen würde.
Ohne aufzusehen oder sich zu rühren, widmete er seine Aufmerksamkeit auf einmal
der Person, die ungefragt den Raum betreten hatte.
Jeder andere wäre verbrannt, aber das hier war etwas anders.
„Saiga“
Der Name der Drachin, die Raphael am Tor empfangen und durch das Haus begleitet
hatte, trat aus dem Schatten einer Säule.
„Michael-sama“, sagte sie.
„Was willst du?“, fragte Michael ruhig, ohne eine Emotion erkennen zu geben.
„War es richtig Raphael-sama so zu behandeln?“
Es entstand eine kurze Pause, ein Zeichen, dass Michael über die Worte
nachdachte.
„Du wagst es mein Handeln in Frage zu stellen?“, antwortete er schließlich.
Es war unhöflich seinen Herren zu kritisieren und konnte bei Michael schnell
tödlich enden, doch die Saiga schien keine Angst zu zeigen, sondern stand immer
noch dort, ohne sich große Sorgen um ihr Wohlbefinden zu machen.
„Es steht mir nicht das Recht eure Worte zu bezweifeln.“
„Aber…?“
Michael hatte das unausgesprochene Wort gehört.
„Raphael-dono schien sich wirklich ehrliche Sorgen zu machen.“
Der Feuerengel seufzte.
„Ich musste ihn so behandeln“, antwortete er auf die Frage, warum er Raphael
so mies gegenüber gezeigt hatte.
„Wer weiß, was passieren wird. Er muss eine dickere Haut bekommen. Sollte es
schief gehen, darf ich ihn nicht mit in die Tiefe reißen.“
„Ich verstehe.“
Nun sah Michael die Drachin direkt an, die keine Scham zeigte und ihn
selbstverständlich offen anblickte. Doch auch das wusste Michael.
„Wirst du mit mir kommen Saiga? Trotz dessen, was uns erwarten wird?“
„Ich werde immer an eurer Seite sein, Michael-sama. Ihr habt mich erschaffen
und ich existiere nur für euch.“
„Hmm.“
Michael winkte Saiga zu sich heran, die sofort folgte und sich gehorsam schräg
hinter ihren Herren kniete. Dieser hob die Hand und berührte die geschuppte
Haut und strich behutsam darüber.
„Dann komm mit mir“, sagte Michael. „Lass uns dahin zurück kehren, wo wir
hingehören. Auf das Schlachtfeld.“
„Jawohl, Michael-sama.“
Mit diesem Worten fing Saiga in einem Licht kurz hell an zu glühen, in dem sie
vollends verschwand. Als das Glühen nachließ, schwebte ein langer blauer Dolch
aus reinen Drachenknochen in Michaels ausgestreckte Hand.
Michael steckte den Saiga, die große Fangklinge in seinen Gürtel und erhob
sich.
Leben und Sterben - Absolution
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Kommentar: Dies ist die Hintergrund Geschichte zu der Alexiel-Setsuna-Rosiel
Dreiecks Beziehung. Weil ich die Fanfiction mit Michael einige Jahre nach dem
Ende des Mangas begonnen habe, musste ich, um die früheren Ereignisse zu
erklären, einen Flashback einfügen. Ich möchte mich auch noch mal für eure
Treue bedanken. Eure wunderschönen Kommentare nach einer Wartezeit von über
einem halben Jahr haben mich echt gerührt.
Danke mangacrack
xxx
::Kapitel 09 - Absolution::
Rosiel hatte sich in Morgen Kleidung gehüllt und lief deswegen nur leicht
bekleidet in seinem Anwesen umher. Dasselbe, dass er auch schon bewohnt hatte,
nachdem er nach seiner langen Versiegelung durch seine Schwester Alexiel in den
Himmel zurückgekehrt war! Es mochten seit dem nur einige Jahre vergangen sein,
doch der Unterschied war so gewaltig, das es sich mit einem Zustand wie Himmel
und Hölle vergleichen ließ.
Dunkel gewesen war die Welt. Jetzt erstreckte sich ein Meer von Licht in seinem
Herzen. Nach diesem schrecklichen Kampf gegen den Schöpfer, war er froh gewesen
zu leben und nicht mehr unter der Degeneration seines Körpers leiden zu
müssen. Doch dann war alles besser geworden. Erst der Anstieg seines Glücks
ließ ihn nun begreifen, wie tief er davor gesunken war.
Rosiel betrat den Schlafraum, in der für gewöhnlich die Nächte verbrachte.
Er musste lächeln, als er die Gestalt in dem Bett erblickte.
Leise schlich er zum Bett und setzte sich auf die Matratze. Das Bett war riesig.
Normalerweise beherbergte es ihn und Alexiel, da er mit seiner
Zwillingsschwester so viel Zeit wie möglich verbringen wollte. Doch Alexiel war
im Moment an der Grenze und Kontrolle die Vorgänge der Armee, nachdem Michael
sich vor dem Rat für seine Vorgänge rechtfertigen musste.
Doch das war jetzt unwichtig.
Rosiel strich Setsuna, der zusammengerollt unter der leichten Decke lag, das
Haar aus dem Gesicht. Es war schon seltsam. Ausgerechnet der Mensch, dem er am
meisten angetan hatte, hatte ihm so schnell und voller Verständnis ihm
vergeben. Er beobachtete, wie Setsuna sich unter seiner Berührung regte.
„Hmm ... Rosiel?“, nuschelte der Messias verschlafen.
Rosiel beugte sich vor und zupfte die Decke ein wenig zurecht.
„Schlaf, Setsuna. Schlaf.“
Prompt schloss Setsuna wieder seine Augen.
Rosiel betrachtete den Schlafenden und dachte daran zurück, welche Wendung ihr
beider Schicksal doch genommen hatte, nachdem sie beide dachten, sich nie wieder
zu sehen.
## Flashback ##
Es waren einige Tage vergangen, seit er auf die Erde zurückgekehrt war. Es
waren Tage gewesen, in denen er festgestellt hatte, wie sehr ihn die vergangene
Zeit oben im Himmel beeinflusst hatte.
Setsuna saß auf der Bank in dem Park, wo er einst Kato getötet hatte und
starrte in den dunkler werdenden Abendhimmel. Genau daran zu erinnern, wie er
hierher gekommen war, konnte er nicht. Er war schon den ganzen Tag von Ort zu
Ort geirrt, weil er sich so rastlos fühlte. Er blinzte und versuchte das
Gefühl zu unterdrücken, dass hier etwas falsch war. Eigentlich fühlte sich
alles falsch an. Egal, wo hin er sah, jedes Mal kam eine Erinnerung in ihm hoch
und er versank darin. Setsuna zog seine Beine hoch und umschlang sie mit seinen
Armen.
Er fühlte sich einsam. Einsam und alleine.
Etwas war nicht richtig. Ganz stimmte nicht.
Vielleicht war es, dass er erst jetzt merkte, wie sehr er sich von den normalen
Menschen unterschied, jetzt wo er wusste wer und was er war. Als alles seinen
Anfang genommen hatte, war er viel zu verwirrt über die Geschehnisse gewesen,
als das er wirklich auf die Veränderung geachtet hatte. Um ehrlich zu sein,
fiel es ihm schwer sich überhaupt richtig an die Geschehnisse zu erinnern. Es
war alles so schnell gegangen und es war dann später so unwichtig geworden, was
mit der Erde war. An die Erde und an die Menschen, die hier lebten hatte er kaum
noch einen Gedanken verschwendet. Wichtig war nur gewesen, dass es denen gut
ging, die um ihn herum waren.
Er verbarg sein Gesicht in den Armen.
Wieder fühlte er die drückenden Gefühle, die er erst einmal verspürt hatte.
Die Traurigkeit und die Verzweiflung, die sich in seiner Brust breit gemacht
hatten, nachdem Kato gestorben war, kamen nun mit einer Wucht zurück, mit der
er nicht gerechnet hatte. Er hatte diesen Schmerz verdrängt, weil kurz nach
Katos Tod die Ereignisse sich überschlagen hatten. Doch nun konnte er den
Verlust nicht mehr kompensieren.
Setsuna fühlte, wie Tränen seine Wangen hinunter liefen.
Er schluchzte und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Die ganze Zeit war
er wie im Nebel gewesen, hatte nur daran festgehalten Rosiel zu töten, sich an
Gott zu rächen und dem Schmerz zu entkommen, der sich immer weiter angehäuft
hatte.
Zaphikels Ende, die Sache mit Metatron und Sevothtarte, Katos Tod, Luzifer,
Rosiels Elend und Alexiels Reue, Luzifers Kampf gegen Gott und der Verlust von
dem heiligen Einsiedlers. Setsuna wünschte sich im Moment nichts mehr als ein
einfacher Mensch zu sein, um die Intensität der Gefühle abzuschwächen, die er
empfand. Er hatte nicht gewusst, das Engel eine tiefe Verbindung zu dem schufen,
was sie liebten. Es verstärkte alles und die Bilder der vergangenen Wochen
kamen zurück.
Die Zeit verging und er schien alles noch einmal zu durchleben. In einer
rasenden Geschwindigkeit sah er alles noch einmal vor sich. Sein Verstand wurde
überflutet, der Schmerz stieg an und trieb ihn in den Wahnsinn. Einzelne
Wörter und Sätze von anderen Personen stürzten auf ihn ein, die ihm
versuchten zu sagen, was er tun sollte.
Setsuna schrie!
Es war spät am Abend und niemand war, der ihn hören konnte.
Niemand war da, der ihm helfen konnte!
Der Schmerz in seinem Kopf machte ihn wahnsinnig. Das schreckliche drückende
Gefühl an seinen Schläfen, dass er nicht verdrängen und nicht ertragen
konnte. Er musste hier weg!
Setsuna fing an zu laufen. Raus aus dem Park, die Straße runter. Immer weiter,
immer weiter. An den Leuten vorbei, welche er gar nicht wahrnahm. Der Himmel
verdunkelte sich, solange bis das erste Donnern zu hören war. Setsuna lief und
lief. Er wusste nicht wohin, nur dass er weg musste, dass er diesen Schmerz
loswerden musste.
Dann begann es zu regnen. Sehnsuchtsvoll streckte Setsuna den Kopf gen Himmel
und versuchte sich durch das kühle Nass zu beruhigen. Doch es brachte nicht
viel. Auch wenn der Himmel auf den Ruf des Organischen Engels gehört hatte, als
er sich unbewusst Erleichterung wünschte, so brachte es nicht viel. Der Regen
auf seiner Haut schwemmte nur einen kleinen Teil fort und es kam sofort neuer
Schmerz nach.
Setsuna schluchzte.
Warum?
Warum er?
Warum half ihm keiner.
Er hatte nicht mal mehr die Kraft zu schreien.
Er wollte nur noch sterben.
Wenn denn das ihm Erleichterung verschaffen und den Schmerz verschwinden lassen
würde, dann würde er das mit belieben tun. Er war schon einmal tot gewesen.
Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
Für einen Moment kam ihm Sarah in den Sinn. Doch sehr schnell verschwand ihr
Bild vor seinem Augen. Was wusste sie schon von seinem Schmerz? Sie hatte kaum
etwas vom Himmel gesehen. Er hatte erfahren, dass sie viele Erinnerungen an den
Himmel und Jibril verloren hatte und das ganze als Traum betrachtete. Doch für
ihn war es real! Sie wusste nicht, was durchgemacht hatte.
Sein Körper zitterte.
Er wurde richtig durchgeschüttelt vor Kälte, Schmerz und Trauer.
Durch den Tränenschleier versuchte Setsuna zu sehen, wo er war.
Er stand auf der Brücke!
Der Brücke, wo er damals Rosiel das erste Mal getroffen hatte.
Wieder zog sich Herz krampfhaft zusammen und seine Seele schrie!
Er wollte Frieden! Warum ließen ihn diese Bilder nicht ihn Ruhe! Warum konnte
er das nicht abstellen?
Setsuna wollte es nur noch beenden.
Er verschwendete keinen Gedanken daran, was mit ihm passieren würde, dass er
sterben würde. Er kletterte auf die Brüstung des Geländers. Ob diese Höhe
ausreichen würde, um ihn umzubringen? Setsuna starrte auf die Straße runter.
Sie war stark befahren. Er würde sterben. Durch den Aufprall oder durch ein
Auto. Es war ihm egal. Hauptsache, dieser Schmerz würde endlich enden.
Ob er dann Uriel wieder sehen würde?
Und all die anderen?
Er hoffte es.
Der Wunsch nach Frieden in seinem aufgewühlten Geist, brachte Setsuna dazu,
sich langsam fallen zu lassen. Müde schloss er die Augen. Gleich würde es
vorbei sein.
Als er von dem Geländer rutschte, fühlte er die Schwerelosigkeit, die für
einen Moment seinen Körper umfing, ehe die Schwerkraft hin nach unten zog.
Setsuna fühlte wie er mit Kopf zuerst herunter fiel. Er ahnte, dass er sofort
tot sein würde. Aber das war gut so.
Es war einfach zuviel.
Mit dem Wissen, dass es gleich zu Ende sein würde, blendete er die Geräusche
um ihn herum aus und wartete auf der Gefühl, dass er schon einmal verspürt
hatte. Er würde sterben. Er würde zurück zu Uriel und den anderen kommen.
Oder vielleicht würde er auch woanders landen.
Es war ihm egal.
Hauptsache der Schmerz in seinem Inneren würde endlich aufhören.
Gerade als Setsuna den Aufprall erwartete, geschah etwas. In müder Erwartung
bekam er es nicht richtig mit, doch er merkte, dass er immer noch in der Luft.
Alles schien still zu stehen, denn er konnte den Wind nicht auf seiner Haut
fühlen.
„Setsuna…!“, hörte er neben sich eine Stimme.
Setsuna war so müde, dass er sie nicht zuordnen konnte. Er hörte
Flügelschlagen, doch er registrierte es nicht. Alles, was er denken konnte war,
ob Uriel ihn holen kam. Bevor alles weiß um ihn herum wurde, schaffte er es ein
letztes Mal die Augen zu öffnen.
Er sah eine Gestalt vor sich, die auf ihn zu kam.
Dann war nichts mehr.
Er hörte seinen eignen Atem. Er fühlte wie sein Brustkorb sich hob und senkte.
Aber sollte das nicht anders sein?
Setsuna wusste ganz genau, wie sich diese Zwischenphasen anfühlten. Er hatte es
nun schon mehrmals mitgemacht. Man atmete nicht. Man existierte. Als Geist, als
Seele oder als Astralkörper musste man nicht atmen! Nur der Körper brauchte
Sauerstoff.
Also … warum atmete sein Körper? Warum hörte er sich atmen?
Setsuna öffnete seine Augen und er sah weiß!
Vielleicht war er doch gestorben, wunderte er sich. Wer wusste schon, was jetzt
wieder mit ihm geschehen war. Doch dann wurde es langsam klarer in seinem Kopf.
Er begann zu hören und es drangen Geräusche an sein Ohr. Aber identifizieren
konnte er es nicht. Dafür fühlte er sich zu müde.
Dennoch verlangte sein Verstand nach einer Erklärung.
„Setsuna“, hörte er jemanden seinen Namen rufen.
Der Angesprochene versuchte den Ursprung auszumachen, aber jede Bewegung
erschien seinem Körper zu viel. Erschöpft sank er tiefer ins Kissen. Kissen?
Er lag also in einem Bett. In einem sehr weichen Bett. Doch wo? In welchem
Zimmer? Oder besser gesagt: bei wem befand er sich?
Er nahm wahr, wie jemand näher ans Bett herantrat und sich an das Kopf Ende
setzte. Die Matratze bewegte sich nur ein wenig nach unten. Einige Strähnen
seines Haares wurden aus seinem Gesicht gestrichen. Zärtlich und vorsichtig,
als hätte derjenige Angst Setsuna zu verletzten, wenn er nicht vorsichtig war.
Leicht dreht er den Kopf, brauchte aber eine Weile, um wirklich zu realisieren,
wer bei ihm am Bett saß. Er blickte in Rosiels Gesicht. Ein paar blinzelte
Setsuna, er sah noch leicht verschwommen und das Licht, das durch ein nahes
Fenster herein fiel blendete ihn.
„Rosiel?“, wisperte der Junge mit den brauen Haaren leise. Seine Stimme war
rau, als hätte er sie eine Weile lang nicht benutzt. Genauso wie seine
Augenlider schwer waren und drohten, ihm wieder zu zufallen.
„Ich…“, setzte Setsuna an, aber er wusste nicht was er sagen sollte.
Er hatte die Bilder von Rosiel noch im Kopf, die ihn so lange verfolgt hatten.
Doch als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er ihn gebeten, Sarah
zurück auf die Erde zu bringen. Danach verschwammen die Ereignisse. Die
nächste klare Erinnerung war, das er sich von Kurai verabschiedet hatte.
Aber, was machte Rosiel hier?
„Shh, Setsuna“, sprach Rosiel, „du musst dich ausruhen, das ist wichtig.
Wenn du etwas brauchst, ruf einfach nach mir oder Katan, ja?“
Setsuna hätte gerne gefragt, was das alles sollte und warum Rosiel zu ihm
gekommen war, doch im Moment ließen ihn die weichen langen Finger, die ihm so
vertraut vorkamen, zurück in den Schlaf fallen.
Es folgten eine Reihe von unruhigen Stunden. Setsuna glaubte ein paar Mal
aufgewacht zu sein, doch ihm Tat der Kopf so weh, dass er hinterher nicht mehr
genau sagen konnte, was Traum und was Wirklichkeit gewesen war. Vieles sah er in
seinen Träumen.
Er durchlebte Kiras Tod, dessen Auferstehung als Luzifer und Katos Abschied noch
einmal. Die hallende Stimme des Schöpfers schall dabei in seinem Ohr und sagte
ihm ständig, das er versagt hatte, dass die Menschheit nicht gerettet hatte.
Dann verwandelte sich diese Stimme in Uriel und berichtete ihm von Alexiel.
Setsuna wusste nicht wie oft er schreiend aufschreckte, im Glauben alles noch
einmal durchlebt zu haben. Immer wieder meinte er Rosiel ausmachen zu können
oder dessen treuen Diener Katan. Tröstende Worte, eine Umarmung oder ein nasser
Lappen auf seiner Stirn, das alles verband sich mit seinen Träumen und seinen
vorherigen, einschlagenden Erlebnissen.
Als Setsuna das nächste Mal erwachte, fühlte er sich leichter. Der Schmerz in
seinem Kopf war immer noch da, aber er war nicht mehr so rasend. Es fühlte sich
an, als würde er eine Reihe schwerer Bücher auf seinem Kopf tragen, die ihn
gen Boden drückten. Seufzend rieb er sich die Stirn und setzte sich auf.
/Wo bin ich?/, dachte Setsuna und sah sich um.
Der Raum war groß und das Bett, in dem er geschlafen hatte, bequem, aber es sah
nicht so aus, als würde jemand hier schon sehr lange leben. Auf dem Nachtisch
stand eine Schüssel mit Wasser, ein Tuch lag daneben. Setsuna fasste sich an
die Stirn. Hatte man sich um ihn gekümmert? Er war das gewohnt.
Früher, bevor sich seine leiblichen Eltern hatten scheiden lassen, hatte seine
Mutter ihn immer ignoriert und sein Vater wusste kaum von seiner Existenz. Und
später im Himmel war kaum Zeit für eine Wache am Bett gewesen. Setsuna fühlte
sich seltsam gerührt.
/Aber ... ich weiß immer noch nicht, wer mich aufgelesen hat./
Verwirrt durch die letzten Ereignisse und auf der Suche nach Antworten, verließ
Setsuna nun das Bett. Erstaunt sah er, dass er nichts weiter trug als ein Hemd
und seine Shorts. Anscheinend hatte ihn auch jemand ausgezogen. Setsuna blickte
zur der einzigen Tür in diesem Raum. Er würde wohl suchen müssen, wenn er
wissen, wollte was passiert war.
Genau das konnte er nämlich nicht wirklich beantworten. Da waren Bilder in
seinem Kopf, doch er wusste nicht genau, ob sie Illusionen oder tatsächliche
Erinnerungen waren. Suchend blickte Setsuna sich um, als er die Tür aufstieß
und einen langen dunklen Flur betrat. Es grenzten einige Türen an, aber jeder
Raum, in den Setsuna hinein sah, war komplett leer. Es schien als war die
Wohnung verlassen.
Dann sah er endlich ein Licht. Zögernd schritt Setsuna darauf zu. Seine nackten
Füße glitten über den blanken Holzfußboden. Wenn er sich richtig erinnerte,
dann hatte er sich zuletzt von einer Brücke gestürzt, aber er lebte noch.
Also, was war passiert? Er hatte keine sichtbaren Verletzungen, nur den
pochenden Schmerz in seinem Hinterkopf.
Er meinte sich an ein paar Arme zu erinnern, die ihn aufgefangen hatten.
Vorsichtig lugte Setsuna in den Raum hinein, aus dem das schwache Licht kam.
Dieser Raum schien das Wohnzimmer zu sein und war auch der Einzige, der
eingerichtet war. Seidene Vorhänge vor den großen Fenstern und ein Sofa, dass
in der Mitte des Raumes stand, fielen ihm ins Auge. Setsuna ließ seinen Blick
schweifen, konnte aber niemanden entdecken.
Dann stockte er.
Doch, da auf dem Sofa war jemand. Jemand mit silbernem langem Haar und er kannte
nur einen, der solches Haar hatte. Er hätte jetzt mit vielen Leuten gerechnet,
aber sicherlich nicht mit...
„Rosiel?“, fragte Setsuna, unsicher was er davon halten sollte.
Er sah, wie Rosiels Kopf herum ruckte und ihn ansah. Zuerst wirkte er
überrascht, dann sprang er auf und war mit wenigen Schritten bei ihm und legte
seine Hände auf Setsunas Schultern.
„Setsuna? Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Rosiel. „Wie geht es
dir?“
Setsuna wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Rosiels Nähe irritierte ihn
zutiefst. Aber es war wohl auch kein Wunder. Zwischen ihrer ersten bis zu ihrer
jetzigen Begegnung war viel passiert. Das was geschehen war, konnte man nicht
einfach so vergessen oder überwinden.
Er musste nur daran, wie Rosiel Kira getötet hatte. In diesem Moment hatte er
geschworen ihn zu töten, dieses Monster mit seinen eigen Händen zu zerfetzten,
aber noch bevor alte Gefühle wieder hochkommen und Rosiel von sich stoßen
konnten, kam Setsuna das Bild in den Sinn, das er von Rosiel erhalten hatte,
nachdem sie in Etemenanki zuletzt auf einander getroffen waren.
„Ich ... ich weiß nicht genau“, antwortete er auf Rosiels Frage, weil
wirklich dessen Sorge in den Augen lesen konnte. „Es ist alles so
verschwommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was passiert ist. Da ... da war nur
Schmerz.“
Rosiel schien kurz inne zu halten, denn er lockerte den Griff um Setsunas
Schultern, dann legte er seine Hände nur noch bestimmter um sie und führte
Setsuna zum Sofa. Setsuna ließ sich an einem Ende nieder und schlang eine
Wolldecke, die Rosiel ihm anbot, um seinen Körper.
Rosiel sah Setsuna für einen Moment mit bedacht an, ehe er sich am anderen Ende
niederließ und die Beine übereinander schlug. Er seufzte aus, strich sich
einige Strähnen aus dem Gesicht und stützte seinen Arm dann auf der Lehne des
Sofas ab.
„Es ... es tut mir Leid, Setsuna.“
Erstaunt sah Setsuna Rosiel an. Wofür entschuldigte er sich?
„Nachdem ich deine Schwester zur Erde gebracht hatte und in den Himmel zurück
gekehrt war, ist mir etwas eingefallen. Ich beeilte mich so schnell wie
möglich, um noch rechtzeitig zu kommen. Gerade als du auf der Brücke standest
und dich fallen ließest, konnte ich dich noch auffangen.“
„Was...wieso?“, stammelte Setsuna.
Dann war das also wirklich passiert. Ja, dachte er. Er hatte gewollt, dass der
Schmerz aufhörte. Dabei war es ihm egal gewesen zu sterben.
„Was hat das zu bedeuten? Der Schmerz, den ich gefühlt habe...“
„Kommt daher, dass du kein Mensch mehr bist, Setsuna“, vollendete Rosiel den
Satz.
Setsuna sah den Engel mit den silbernen Haaren an, wusste nicht was er sagen
sollte. Nicht nur, dass er verwirrt über die Geschehnisse war, er konnte sich
auch nicht entscheiden, wie er Rosiel begegnen sollte. Zum ersten Mal fiel
Setsuna auf, dass Rosiel sich verändert hatte. Er wirkte älter, reifer und
erfahrener.
/Kommt das daher, dass Alexiel ihm geholfen hat?/, fragte sich Setsuna. /War er
so bevor die Degeneration seines Körper seinen Verstand angriff und ihm den
Wahnsinn übergab?/
„Aber was hat das mit diesen irrsinnigen Kopfschmerzen zu tun?“, fragte
Setsuna stattdessen, da er nicht wieder bei Rosiel alte Wunden aufreißen
wollte. Oder bei sich. „Das war ich doch vorher auch nicht.“
„Nicht ganz“, berichtigte ihn Rosiel. „Du warst ein Halbengel. Teils
Mensch, teils Engel, doch im Laufe der vergangenen Ereignisse, hat dein Körper
dein menschliches Dasein verschwinden lassen, um sich besser auf die Kämpfe,
auf die Astralmagie oder Heilungen konzentrieren zu können. So verschwand das
menschliche Erbgut aus deinen Venen. Im Himmel ist es niemandem aufgefallen,
doch hier auf der Erde macht das einen großen Unterschied.“
Setsuna sah vorsichtig an seinem Körper herunter. Er fühlte sich nicht anders.
Doch sicherlich hatte Rosiel auch dafür eine Erklärung. Aber zumindest schiene
seine Kopfschmerzen eine Ursache zu haben und kamen nicht, wie er zuerst
befürchtet hatte, aus dem Nichts.
„Die Erde ist voll von verschiedenen Energien, die überall frei in der Luft
herum schweben. Da du, technisch gesehen, ein neugeborener Engel bist, ist dein
Körper nicht nicht stark genug sich dessen zu widersetzten.“
Setsuna sah Rosiel verwirrt an.
„Ein neugeborener Engel?“, wiederholte er.
„Ja. Du besitzt zwar das Aussehen eines Jugendlichen, aber dein Körper ist
noch in der Entwicklungsphase eines Kindes. Für ihn ist es so, als würde er
von einem reinem Ort zu einem verschmutzten, dreckigen wechseln. Er braucht
Zeit, sich an die Astralkraft zu gewöhnen und besonders jetzt, wo die Kraft
deiner Flügel drastisch geschrumpft ist, fällt es dir schwer die Energien von
dir fern zu halten.“
„Echt?“
Setsuna war im Moment einfach nur verwirrt. Was sollte er jetzt damit anfangen?
Was bedeutete das jetzt? Wenn die Erde nicht gut für, sogar schädlich war. Was
sollte er jetzt tun? Wo konnte er hin?
„Shh“, hörte er plötzlich Rosiel dicht neben sich, „es wird alles wieder
gut Setsuna.“
Setsuna merkte, wie seine Lippen zitterten und seine Augen wässrig wurden. Er
schlag seine Arme um seinen Körper. Er fühlte sich hilflos. So wie als er
gesprungen war. Um so mehr verstörte ihn Rosiels Verhalten. Er konnte nicht
nachvollziehen, warum dieser jetzt sich so dicht neben ihn setzte und ihn an
sich zog. Aber Setsuna konnte auch nicht, sich dazu zwingen, Rosiel von sich zu
drücken.
Dessen Körperwärme, dessen Herzschlag, den er glaubte hören zu können und
dessen irgendwie verdammt vertraute Präsenz, die er schon seit ihrer ersten
Begegnung nicht hatte leugnen können, als ihm Rosiels Name ohne zu Zögern von
den Lippen gekommen war. Damals, in dem Zimmer dieses Mädchens.
Wie war ihr Name noch mal?
Er wusste er nicht mehr. Sie war irgendeine Schulfreundin seiner Schwester
gewesen.
Unwichtig.
Sarah.
Auf einmal kam ihm der Gedanke, was sie wohl gerade tat. Nein, sagte er sich.
Sie ist zu Hause. Er hatte sie dort abgeliefert, als die Kopfschmerzen begonnen
hatten. Danach wurde alles ein wenig unklar.
„Rosiel“, flüsterte Setsuna und legte seine rechte Hand auf Rosiels Brust.
„Keine Sorge, Setsuna“, meinte Rosiel leise. „Ich habe ein Bannfeld um
diese Wohnung gelegt und mit einer Kraft durchsetzt. Hier ist es fast so rein,
wie im Himmel. Schlaf und deine Kopfschmerzen werden bald besser werden.“
„Hm“, machte Setsuna nur. Ihm fielen schon wieder die Augen zu. Er bettete
seinen Kopf an Rosiels Schulter und driftete langsam ab. Was er ihm nicht
bewusst war, dass er Rosiels Energie um ihn herum nicht einmal bemerkt hatte.
Eine kurze Zeit später war Setsuna eingeschlafen und Katan, der fast alles aus
einer Ecke beobachtete hatte, trat hinter die Rückenlehne des Sofas und warf
einen Blick auf den schlafenden Messias und seinen Herrn hinunter.
„Was wird jetzt werden? Er kann nicht ewig in dieser Wohnung leben.“
Rosiel strich wehmütig durch Setsunas Haar.
„Ich weiß. Dies soll nicht sein Gefängnis sein. Er kann nur in den Himmel,
aber...“
„Aber was, Rosiel-sama?“, fragte Katan.
„Da ist ... noch etwas anders. Setsuna, er ... er wird sterben.“
xxx
Zwei Monate. Das ist ein neuer Rekord, was diese Fanfiction betrifft. Ich
möchte jetzt nur kurz vor warnen, denn es werden jetzt einige Kapitel ohne
Michael und die aktuelle Handlung folgen, deswegen sind sie aber nicht weniger
wichtig.
Danke
mangacrack
Leben und Sterben - Das menschliche Dasein
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Kommentar: Es freut mich, dass Setsuna so gut ankommt. Im Manga gefällt er mir
ebenfalls nur, wenn er mal nicht auf Sarah Trip ist. Deren Rolle wird natürlich
nicht einfach so unter den Tisch fallen gelassen, sondern ich versuche einen
logischen Grund mit einzubauen, weshalb Setsuna ein wenig anders fühlt und
denkt als in der Original Story.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 10 – Das menschliche Dasein::
Es schienen Wochen zu vergehen, aber bewusst war sich Setsuna dessen nicht. Zu
Anfang verbrachte er noch viel Zeit im Bett, weil die Kopfschmerzen nicht enden
wollten. Häufig fand er entweder Rosiel oder Katan in der Wohnung vor. Sehr
selten beide, aber alleine war nie, zumindest nicht für lange. Rosiel
verschwand in den Morgen und Abendstunden, tauchte aber immer noch wenigen
Stunden wieder auf.
Nach einigen Tagen fühlte sich Setsuna wieder so fit, dass er freiwillig das
Bett verließ und es sich auf dem Sofa bequem machte. Langweilig wurde es ihm
nicht, Katan brachte ihm alles, was er haben wollte, doch die meiste Zeit saß
er einfach nur da und dachte nach. Er ließ sich vieles durch den Kopf gehen.
Vorwiegend darüber, was jetzt mit seinem Leben geschehen sollte.
Denn er fand keine Antwort auf die Frage: was will ich? Es kam ihm vor als
hätte die Rückkehr zur Erde ihn betäubt. In seinem Kopf drehte sich alles und
er hatte keine Ahnung, wie er diesen Irrsinn stoppen sollte. Am liebsten würde
er sich jetzt die Decke über den Kopf ziehen und bis zu seinem Tod
durchschlafen, das wäre angenehmer als sich über Rosiel Gedanken machen zu
müssen. Denn jedes Mal, wenn Rosiel in der Nähe war, wusste Setsuna nicht, was
er mit sich anfangen sollte.
Aber es gab noch etwas anderes, dass ihn nicht in Ruhe ließ. Es war Sarah. Er
fühlte sich schuldig, weil er sich hier in der Wohnung verkroch und seine
Schwester sich vielleicht sorgen machte. Doch er wusste nicht, wie er ihr
begegnen sollte. Ratlos vergrub Setsuna seinen Kopf in seinen Händen. Sarah
hatte ihn so verständnislos angesehen, als er gefragt hatte, ob Rosiel sie
zurück gebracht hatte.
Es war ein Schock gewesen zu hören, dass alles, woran sie sich erinnerte, war
wie sie zusammen weggelaufen waren, um zusammen sein zu können. Sie hatte
gemeint, sie fühle sich unwohl darüber ihre Mutter so zurück zu lassen.
Setsuna hatte seine Schwester nur mit großen Augen ansehen können.
Sie erinnerte sich an gar nichts.
An überhaupt nichts, was im Himmel passiert war.
Nicht an Sevothtarte Entmachtung, an Raphael, Michael oder an den letzten Kampf.
/Unmöglich/, dachte Setsuna. /Unmöglich, dass sie das alles vergessen hat./
Was sollte er nur tun? Auf ewig in dieser Wohnung bleiben? Nein. Er würde
gehen, sobald er sicher sein konnte, dass die Kopfschmerzen nicht zurückkommen
würden. Zwar schien Rosiel wie ausgewechselt und verständnisvoll zu sein, aber
Setsuna wusste nicht wie ihm begegnen sollte. All das Unbehagen, dass der Engel
in ihm auslöste. Er hegte jedes Mal den Wunsch, umzudrehen und vor ihm davon zu
Laufen. Es war auch weniger Furcht, als Schuld, die er fühlte. Schuld sich
selbst gegenüber, dass er Rosiel nicht mehr hasste.
Er fühlte sich manchmal schlecht deswegen, aber er wusste, dass Rosiel nicht
mehr derselbe war. Die Zeiten, in denen er hinter ihm her war und junge,
unschuldige Mädchen dazu benutzte, um Alexiels Aufmerksamkeit zu bekommen,
waren vorbei. Dennoch. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass Rosiel sich
tatsächlich um ihm kümmerte. Wahrscheinlich ertrug er Setsuna doch nur, weil
er bei Alexiel sein wollte.
/Warum sollte es anders sein?/, fragte Setsuna.
Es kam ihm so unwirklich vor. Wieder auf Assiah zu sein. Als Uriels Suchtrupp
ihn schließlich in den Trümmern Etemenankis gefunden hatte, war er kaum bei
sich gewesen. Weil Raphael noch im Kälteschlaf lag, hatte man ihn nur bedingt
helfen könnte, aber darauf bestanden, dass er zumindest noch solange im Himmel
verweilte, bis sich seine Wunden geschlossen hatten. Als Messias hatte man ihn
freundlich behandelt, doch ihm war die Fürsorge zu viel geworden. Sie sahen in
ihm doch nur den Engel, der zuerst den Himmel in Aufruhr gebracht hatte und dann
sich als ihr aller Retter herausstellte.
Ob das bei allen so war oder einige ihn tatsächlich vermissten? Alle waren
beschäftigt gewesen, als er Kurai ihn nach Assiah gebracht hatte.
Setsuna sah auf, als die Tür klickte und Rosiel herein trat.
„Setsuna“, begrüßte ihn der anorganische Engel und durchquerte den Raum,
um Setsuna von hinten die Arme um den Körper zu legen.
Der Umarmte fand es hingegen ein wenig beängstigend, wie Rosiels Gesicht sich
so schnell aufgehellt hatte, als er ihn erblickte.
„Wie geht es dir, Setsuna?“, fragte Rosiel und sah ihn besorgt an, während
Setsuna nicht wusste, was er sagen sollte.
„Äh ... gut?“, meinte er unsicher, doch Rosiel schien ihm das nicht
sonderlich abkaufen. Der skeptische Blick sprach Bände, was er davon hielt.
Möglicherweise lag es an seinem schmächtigen Körper, der in den einfachen
Klamotten nur noch dünner wirkte. Aber jetzt schien Rosiel das Thema um
Setsunas Wohlbefinden nicht anschneiden zu wollen.
„Katan hat Essen gemacht“, sagte er stattdessen. „Möchtest du etwas?“
Setsuna starrte den anorganischen Engel an. Essen?
Sein Hungergefühl machte sich bei dieser Frage zwar bemerkbar, wurde aber von
seiner Überraschung überschattet. Es war abstrakt, dass ausgerechnet Rosiel
ihn in die Küche führte und ihm dampfendes Essen präsentierte. Mochte es sich
nur um Eintopf handeln, so erschien es für Setsuna, als hätte er nichts
köstlicheres gekostet seit ... seit Ewigkeiten. Zwischen den Kämpfen, den
Abenteuern und der Suche nach Sarah war nie viel Zeit für etwas banales wie
Essen gewesen.
Es waren Rationen verteilt worden, doch Essen? So wie jetzt, dass alle an einem
Tischen saßen und gemeinsam aßen, hatte es nicht gegeben. Auch wenn es sich
dabei um Katan und Rosiel handelte. Während Katan sein selbst gemachtes Essen
probierte und hoffte, dass es seinem Herrn ebenfalls munden würde, beäugte
Rosiel seinen Teller.
„Schmeckt es euch nicht Rosiel-sama?“
„Doch, doch“, zerstreute der Engel die Besorgnis seines Dieners. „Ich bin
es nur nicht gewohnt so zu essen.“
Als Engel brauchte er nur selten feste Nahrung und diese Art von Luxus hatte er
seit seiner Herrschaft über Atziluth nicht mehr gehabt, bevor seine Schwester
in dem Himmel einfiel und er versiegelt wurde. Dadurch, dass er Assiah in deren
Erde versiegelt worden war, hatte auch im Schlaf das Treiben unter den Menschen
mitbekommen, aber es war doch etwas anderes es zu wissen, als es wirklich selbst
zu tun.
Doch solange Setsuna sich wohl fühlte... Rosiel nahm dessen Teller und füllte
ihn gleich noch einmal auf, als er sah, dass der Messias bereits aufgegessen
hatte.
„Iss“, meinte er bestimmend. „Es tut dir gut. Es ist Gemüse und Früchte
aus der Erde. Dazu als spendende Kraft, das sollte deine Abwehrkräfte
aufbauen.“
Setsuna wusste nicht, was er antworten sollte. Er fühlte sich immer noch
unbehaglich. Doch um eine Sache kam er wohl nicht herum.
„Danke“, brachte er noch der Höflichkeit halber hervor. „Rosiel, ich ...
glaubst du ich könnte die Wohnung bald wieder verlassen?“
Ein schmerzvoller Ausdruck zog über Rosiels Gesicht. Ähnlich hatte Rosiel ihn
angesehen, wenn Setsuna ablehnt hatte Alexiel zu sein. Einen Standpunkt, den er
immer noch verteidigte. Niemals würde an Alexiel heran reichen können.
„Wieso?“, fragte nun Rosiel misstrauisch.
Setsuna zögerte kurz. Es würde Rosiel sicherlich nicht gefallen.
„Ich möchte ... müsste ein paar Dinge erledigen. Der Welt zeigen, dass ich
noch am Leben bin und so.“
Rosiel sah Setsuna an. Er konnte den Jungen nicht einsperren.
Überhaupt konnte er nicht viel tun. Also blieb ihm nur eines.
„Es ist vielleicht noch etwas zu früh“, begann er und sah Setsunas
frustrierten Blick. Er fuhr fort: „Jedoch könnte ein bisschen frische Luft
dir gut tun.“
Setsuna war erleichtert, als Rosiel ihm die Erlaubnis erteilte nach draußen zu
gehen. Es wäre schwierig geworden, wenn er dagegen gewesen wäre. Schließlich
hätte Setsuna sich in diesem Zustand nur Rosiels Wort beugen können, war er ja
nicht in der Lage sich gegen den anorganischen Engel durchzusetzen. Mal
abgesehen davon, dass Setsuna nicht mit Rosiel kämpfen wollte. Auch dann nicht,
wenn es weiterhin seine Gefangenschaft in dieser Wohnung bedeutet hätte.
„Allerdings“, warf Rosiel ein und Setsuna seufzte, er hätte doch ahnen
müssen, dass da noch etwas kommen würde, „darfst du nur unter einer
Bedingung wieder dort hinaus.“
„Welche wäre?“, wollte Setsuna wissen.
„Du nimmst mich mit.“
-
Es später Abend als sie aufbrachen. Zum Teil hatte Setsuna befürchtet, dass
die Kopfschmerzen sofort wieder zurückkehren würden, wenn er vor die Tür
trat, jedoch war da nichts anderes, als die kühle Nachtluft, die seine Sinne
aufweckte. Rosiel lief neben ihm und Katan ein paar Schritte hinter ihnen.
Setsuna wusste, dass sie auch hätten fliegen können, doch Rosiel wollte auf
jegliche Anstrengungen für Setsuna verzichten. Das ergab nun die seltsame
Situation, dass sie Seite an Seite durch die dunklen Straßen von Tokyo liefen
bis sie die naheliegenste Bahnhofsstation erreichten. Das Lösen von drei
Fahrkarten kam Setsuna lächerlich vor. Nur Rosiel schien sich darüber zu
amüsieren, der freudig das kleine Papier beäugte, als sie nebeneinander in der
Bahn saßen.
Einige Leute tuschelten über Rosiels lange Haare, die er um weniger
aufzufallen, blond erscheinen ließ. Helfen tat es dennoch nicht fiel. Rosiel
sah einfach zu überirdisch aus. Eine Frau, die ihnen gegenüber saß, errötete
heftigste als Rosiel ihre Blicke bemerkte und ihr zuwinkte. Lachen tat er dann
allerdings als der Schutzengel eines kleinen Jungen Rosiel erblickte und beinahe
in Ohnmacht fiel. Katan beruhigte Setsuna, dass der Schutzengel keinen von ihnen
erkannt, sondern nur ihre Astralkraft gespürt hatte.
Es offensichtlich, dass Rosiel sich an den Eigenheiten der Menschen erfreut. Nur
das sie ihm auf einmal banal und lästig vorkamen. Dabei hatte er er für diese
Welt gekämpft. Sollte er dann nicht mehr dafür empfinden, dass ein
zerschlagener Geschäftsmann, der scheinbar gerade seinen Job verloren hatte,
ständig vor sich hin murmelte sich umzubringen? Doch eigentlich ließ es ihn
kalt, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Der Mann tat ihm zwar leid, doch was
brachte es ihm, wenn er jetzt herüber gehen würde, um zu sagen, dass alles gut
werden würde?
Nichts.
Insgesamt fuhren sie über zwei Stunden. Rosiel hatte sich eine größere
Wohnung in einer ruhigen Gegend ausgesucht, doch dort wo Setsuna jetzt hin
wollte, mussten sie eine Weile fahren und in die Gegend zurückkehren, wo es mit
Rosiels Auferstehung angefangen hatte. Oder schon davor. Als ihn Kurai und
Arakune das erste Mal überfallen hatten, kurz nachdem der riesige
Kirchenfenster zerbrochen war.
/Es ist so ewig her. Auch wenn es auf Assiah nur ein paar Tage waren, für mich
sind mehrere Monate vergangen./
„Scheiße“, meinte Setsuna laut und blickte zu Boden.
Wie sollte er das unter einen Hut kriegen? Einfach so tun, als wäre nichts
gewesen und sein altes Leben fortsetzen? Das konnte er nicht. Dinge wie Schule
waren so unnötig geworden. Warum sollte er das tun? Die Menschen auf dieser
Welt kümmerten sich doch sowieso nur um ihre eigenen Belange. Es hatte bestimmt
niemanden gekümmert, dass er die letzte Zeit nicht dort gewesen war.
Setsuna bewegte sich zwischen Rosiel und Katan, als sie an ihrem Zielort
ankamen. Er hielt den Kopf gesenkt, denn er wollte nicht erkannt werden. Es
würde schwierig werden keinem Bekannten zu begegnen, weil er an der Schule und
in der Umgebung leicht zu erkennen war. Die Dunkelheit würde helfen ihn zu
verstecken. Das Schlimmste, was er sich jetzt vorstellen könnte, wäre jemanden
aus Kiras Gang zu treffen.
Vorsichtig warf Setsuna einen Blick hinter sich. Die Straßen waren leer.
Gut so.
Ihn schauderte es, wenn er daran dachte, was er würde sagen müssen, wenn man
ihn nach Kira-sempai fragte. Er konnte schlecht sagen, dass Kira jetzt als
Luzifer herum rannte und die Hölle unsicher machte. Er konnte doch Kiras
Kumpels nicht sagen, dass er tot war. Schon allein, weil niemand etwas von ihm
gehört hatte, seit Kira sich der Polizei gestellt hatte. Vielleicht war das
eine Lösung. Den anderen in der Schule zu sagen, dass Kira auf der Flucht vor
der Polizei war und sich verstecken musste.
Ja, das klang gut.
Dennoch ... Schule ohne Kira-sempai. Setsuna schluckte.
Es würde niemals mehr so wie früher werden.
Niemals.
Das wurde ihm schmerzlich bewusst, als er vor dem Eingang des Friedhofs stand.
Jetzt am Abend war er eigentlich geschlossen aber das würde ihn jetzt nicht
aufhalten. Er sah Rosiel bittend an. Weil seine Kräfte gesunken waren, konnte
er das Tor nicht selbst öffnen.
/Ich hasse es so schwach zu sein. Kurai hatte recht. Es ist schwerer, als ich
mit das vorgestellt hatte./
„Rosiel könntest du ...“, deutete Setsuna und wies auf das Tor.
Der schwenkte nur kurz den Arm und das Tor zum Friedhof öffnete sich. Er folgte
Setsuna, als er den düsteren Friedhof betrat. Setsunas Zustand machte ihm
Sorgen. Das Herumlaufen schwächte ihn und er war nicht einmal stark genug, um
ein einfaches Tor zu öffnen. Würde Setsuna jetzt angegriffen, wäre er
schutzlos.
/Sein Leben neigt sich dem Ende zu/, dachte Rosiel. Er konnte es fühlen. /Doch
wie soll ich ihm das bei bringen? Ich habe ihm diesen Ausgang nur gewährt, weil
es sein Letzter sein könnte./
/Sein letzter Tag auf Erden./
Setsuna irrte eine Weile auf dem dunklen Friedhof herum, ehe er das Grab
gefunden hatte, das er suchte. Als er davor stand und den Namen las, brachen ihm
die Knie weg.
Kato.
Er schluchzte auf. Katos Tod fühlte sich so real an. Auch wenn hier nur sein
Körper begraben lag, so wusste er nicht, wo er hätte sonst gehen können. Von
dem Totengeist und Uriels Körper war nichts mehr übrig geblieben.
„Wenn ich dich nur hätte retten können.“
Setsuna bohrte seine Finger in den Dreck. Auf dem Grab hatten Freunde und
Bekannte von Kato einige Gaben hingestellt. Es waren nur einmal Blumen dabei und
er vermutete, dass sie von Katos Schwester stammten. Ansonsten waren da CD
Hüllen, ein Packen brauner Tüten, in denen Kato stets seine Drogen verborgen
hatte und andere kleine Dinge.
/Sie vermissen dich, Kato. Man hat an dich gedacht./
Es war Katos größte Angst gewesen. Vergessen zu werden.
War er am Ende doch auf seine Art gegangen, so konnte Setsuna Kato nicht
loslassen. Er bereute, dass er nur so kurze Zeit mit Kato hatte zusammen sein
können. Im Leben hatten sie sich nur gestritten, geprügelt und gehasst.
Hauptsächlich wegen Kira, den jeder wollte Kiras Aufmerksamkeit für sich.
/Wenn ich doch nur.../
„Du hättest es nicht ändern können“, mischte sich nun Rosiel an, der
Setsunas Anblick nicht ertrug. „Er hat nach seinem Tod besser gelebt als
davor.“
Setsuna sah Rosiel mit großen Augen an, der seine Hände in die Taschen
gesteckt hatte und den Messias mit einem strengen Blick tadelte.
„Wie...?“
Setsuna merkte erst jetzt, dass er weinte, so wie er es getan hatte, als die
Himmelstore sich schlossen und Kato auf der anderen Seite dem Tod preisgaben.
Die Tränen brannten durch die Kälte des Abends auf seiner Haut.
„Ich habe durch meinen Zustand nicht alles mitbekommen, aber...“, setzte
Rosiel an. „Du solltest stolz auf seinen Gefährten sein. Nicht viele bringen
so etwas fertig. Ich weiß, dass er Luzifer die Stirn geboten hat.“
/Auch wenn es nur ein letzter verzweifelter Versuch war seinem alten Freund zu
folgen/, fügte Rosiel in Gedanken hinzu. Doch das konnte er Setsuna nicht
sagen.
Er hatte nach seinem Erwachen auch die Gedanken und Geschichte des Menschen Kato
gesehen, als er ihn übernommen hatte. Der Junge hatte erstaunliche
Willensstärke bewiesen, dafür, dass ihm das Leben so übel mitgespielt hatte.
/Unerwünschte Kinder ... ungeliebt und hilflos dieser Welt ausgesetzt. Da war
der Pakt mit dem Teufel besser als das, was ihn im Paradies erwartet hätte./
Er war damals erstaunt gewesen, wie tief die Beziehung zwischen dem Menschen und
Nanatsusaya ging. Ein derartiges Level von ... Verständnis war ihm so noch nie
begegnet. Auch wenn ihm weiterhin schleierhaft blieb, was Luzifer sich davon
erhofft hatte. Aber dieser Mann war sowieso ein einziges Rätsel.
„Du solltest deinem Freund nicht hinterher trauern, sondern ihn in Erinnerung
behalten“, meinte Rosiel und strich Setsuna tröstend über das Haar.
„Außerdem wird dein Freund nicht verloren gehen. Sicher wird er den Weg in
den Hades zurück finden und wiedergeboren werden.“
„Ja?“, fragte Setsuna hoffnungsvoll. „Passiert das mit Totengeistern?“
„Es müsste so sein. Etwas, dass tot ist, kann nicht noch einmal sterben.
Lediglich der Körper, den Uriel geschaffen hat, ist zu Bruch gegangen.“
Setsuna seufzte erleichtert auf. Irgendwo war Kato noch, in dem unzähligen Meer
von Sternen oben am Himmel. Sich ein wenig besser fühlend, sog er die kühle
Luft ein. Er würde Kato nicht vergessen und der Schmerz um seinen Verlust war
noch groß, doch Rosiels Worte hatten bewirkt, das er sich mutig genug fühlte,
um auch noch den letzten Schritt zu wagen.
„Rosiel, ich möchte noch ... ich möchte noch meine Schwester besuchen.“
-
Rosiel und Setsuna fühlten sich gleichermaßen unbehaglich, als sie die Wohnung
erreicht hatten, in der Sarah und ihre gemeinsame Mutter lebten. Katan kam
gerade herunter geschwebt und deutete dem Messias an, dass seine Schwester zu
Hause war.
„Soll ich dich begleiten?“, fragte Rosiel, auch wenn ihm gewiss nicht sehr
wohl dabei war. Er wollte diesem Mädchen nicht ins Gesicht blicken, wo sie doch
der Grund gewesen war, dass Alexiel nicht hatte erwachen wollen. Auch würde er
es nicht ertragen können, wenn Setsuna und sie erneut Zärtlichkeiten
austauschen würden.
Aber Setsuna schüttelte den Kopf.
„Nein, besser ich gehe alleine. Sonst lässt meine Mutter mich überhaupt
nicht hinein“, sagte er und betrat den Hauseingang. Er sah nicht, wie Rosiel
die Nase rümpfte, bei der Bezeichnung wie Setsuna die Frau nannte, die ihn
geboren hatte. Sie war nur eine von vielen und wusste nicht einmal, welche Ehre
ihr zu Teil geworden war, seine Schwester gebären zu dürfen.
Doch er würde Setsuna dort nicht ganz alleine hinein gehen lassen. Um besser
sehen zu können, flog Rosiel hinauf und landete auf einem Laternenpfahl, der
dieselbe Höhe wie die Wohnung hatte. Wenn die Frau Hand an Setsuna legen
würde, würde er es sehen und schneller in die Hölle schicken, als sie um
Vergebung bitten konnte.
/Fass ihn an und du bist tot, Erdenfrau!/, dachte Rosiel wütend.
-
„Mutter“, begrüßte Setsuna die Frau in der Tür, „dürfte ich
hereinkommen?“
Seine Mutter sah ihn unsicher an und wollte wohl nichts lieber tun, als die Tür
sofort wieder zu schlagen. Konnte sie ihrem Sohn wirklich trauen? Zuerst wollte
er Sarah verführen und lief schließlich noch mit ihr weg. Wenigstens hatte er
sie wieder sicher nach Hause gebracht, vor wenigen Tagen. Seit dem hatte sie ihn
nicht mehr gesehen und aus ihrer Sicht hätte das auch weiterhin so bleiben
können, doch Sarah hockte seit Tagen nur in ihrem Zimmer. Anscheinend hatte es
Diskrepanzen zwischen den beiden Geschwistern gegeben, welcher Art auch immer.
Doch sollte sie ihn herein lassen?
Wollte er wirklich nur mit Sarah reden?
„Mutter, ich verspreche dir, dass ich Sarah nicht anrühren werde. Du ...
kannst auch gerne ... daneben sitzen, wenn es dir recht ist. Aber ich möchte
Sarah es lieber selber sagen, dass ...“
„Dass du was?“, forderte Setsunas Mutter.
„Dass ich sie nicht mehr sehen werde.“
Nur die Aussicht auf dieses Versprechen brachte sie dazu, die Tür zu öffnen.
Dies und die Tatsache, dass ihr Sohn wirklich schlecht aussah. Auch wenn sie ihn
hasste und Angst vor ihm hatte, so war sie nicht blind. Ringe unter den Augen,
blasse Haut und der abgekämpfte Anblick. Litt ihr Sohn an einer Krankheit?
Was würde ihn sonst dazu bringen Sarah aufzugeben?
Dieser traurige Gesichtsausdruck...
„Na gut“, meinte sie zögerlich. „Aber wenn du Sarah zu nahe kommst, dann
... bringe ich dich um. Das Mädchen verdient dich nicht, verstanden?“
Setsuna nickte und trat ein.
Als er durch den Flur zu Sarahs Zimmer lief, stellte er fest, dass sein
Unbehagen ins Unermessliche wuchs. Sein Magen krampfte sich zusammen und seine
Hand war nass von dem kalten Schweiß. Zitternd drückte er die Klinke herunter.
Von der Entschlossenheit mit der er Sarah aus den Fängen Raphaels, Sandalphons
und schließlich sogar des Schöpfers befreit hatte, war nichts mehr übrig,
sondern nur noch reine kranke Angst.
Er wusste nicht wieso oder warum. Jahre hatte er damit zugebracht seine Liebe
für dieses Mädchen zu verstecken, zusammen mit seinen abnormen Kräften, die
ihn ständig verfolgten. Kira-sempai war seine einzige Stütze gewesen. Seine
Mutter hielt ihn für ein Monster, seit klein auf und sein Vater war mit seiner
Firma beschäftigt und schien seinen Sohn aus seinem Leben, aus seinem
Gedächtnis gestrichen zu haben.
So gesehen war Rosiels Auferstehung und alles was danach folgte, das Beste
gewesen, was ihm je passiert war. In diesen Monaten hatte er mehr Zuwendung
erfahren, als in den ganzen Jahren davor. Nur Kira ... nur sein Sempai hatte den
anderen Weg gewählt. Willentlich.
Doch das war jetzt unwichtig.
Jetzt musste er mit Sarah reden. Nur, dass er keine Ahnung hatte, was er sagen
sollte.
„Sarah?“, fragte Setsuna vorsichtig, als er die Tür zu ihrem Schlafzimmer
öffnete. „Sarah, bist du da?“
Es herrschte Stille im Raum, nichts regte sich. Die Vorhänge waren zugezogen
– schlief seine Schwester schon?
„Sarah, ich bin Setsuna.“
Immer noch keine Antwort. Seine Mutter nahm das als Gelegenheit ihn bei der
Schulter zu packen und nach hinten zu ziehen.
„Lass, wenn sie schläft ...“, versuchte sie ihn umzustimmen.
Aber Setsuna wusste, dass er jetzt mit Sarah reden musste. Noch einmal würde
ihn Rosiel nicht fortlassen oder seine Mutter nicht hinein. Es war, als wäre
dies die letzte Chance mit Sarah zu reden.
„Setsuna?“, kam es nun vom Bett her und plötzlich tauchte Sarah im Licht
des Flures auf, das in ihr Zimmer fiel. „Mein Bruder, bist du das?“
Sie trat hervor und stand nun im Türrahmen. Setsuna sah, dass sie schon
geschlafen hatte, denn sie trug nichts weiter als ein dünnes Nachthemd, das ihr
gerade mal bis zur Mitte ihrer Oberschenkeln reichte. Setsuna konnte den Körper
erahnen, den er kurz vor seinem letzten Tag auf Assiah, kurz vor Sarahs Tod ...
gespürt hatte.
Setsuna wünschte sich, dass diese Nacht noch irgendwelche Gefühle in ihm
auslösen wurde, doch das Feuer, das einst in seinem Herzen gebrannt hatte, war
erloschen. Dies war nicht die Frau, die sich mutig Sevothtarte und dem
Himmelsgericht gestellt hatte. Das hier war nur das kleine Mädchen, dass seine
Schwester war.
„Setsuna!“, rief Sarah freudig und warf sich ihm an den Hals. „Ich hatte
mir solche Sorgen gemacht.“
Setsuna versteifte sich, als Sarah ihn umarmte. Er hatte seltsamerweise Angst
sie zu berühren, auch wenn er nicht verstand warum. War es einfach, dass er
jetzt – laut Rosiel – ein richtiger Engel war? Oder waren es seine Gefühle?
Die Gewissheit, dass er Sarah nur als seine Schwester und nicht als seine
Geliebte sehen konnte? Schuld überkam ihn. Er hätte Sarah es nie sagen
dürfen.
Er würde sie zerstören, so wie er es schon einmal getan hatte. In einer
ähnlichen Situation. Vor allzu langer Zeit.
„Sarah, ich...“, begann Setsuna und drückte Sarah ein wenig von sich,
„...ich bin gekommen, um...“
Verdammt, was sollte er sagen?
Etwas zurecht gelegt hatte er sich nicht. Also sagte er das, was ihm gerade
einfiel.
„Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.“
Setsunas Blick wurde fest. Das war gut. Sarah würde wahrscheinlich sowieso noch
auf dieses Internat in England gehen. Dann konnte sie dort über ihren grausamen
Bruder hinweg kommen, der mit ihr gespielt und sie verführt hatte.
„Was? Setsuna, nein“, stammelte Sarah aufgebracht. „Ich will doch bei dir
bleiben! Jetzt wo wir endlich zueinander gefunden haben...“
Setsuna hörte seine Mutter hinter ihm aufkeuchen. Dann hörte er, wie sie
weglief. Vermutlich, um etwas so holen, dass Sarah bedecken würde, sodass sie
nicht mehr den lüsternen Blicken ihres dämonischen Bruders ausgeliefert war.
„Nein, Sarah. Es geht nicht“, meinte Setsuna. Er musste ihr diese Liebe
ausreden. „Ich muss fort, ich werde gehen.“
Das war das Beste, was er ihr sagen konnte. Der wer wusste schon, was Rosiel
plante. Schließlich hatte er gesagt, dass Setsuna nicht für immer aus Assiah
bleiben konnte.
„Aber Setsuna...“, wollte Sarah einwenden. „Ich liebe dich doch.“
Setsuna fasste Sarah bei den Schultern und schüttelte den Kopf.
„Das bildest du dir ein.“
Tränen füllten nun Sarahs Augen und sie presste ihre Hände an die Brust.
Aufgelöst sah sie ihn an.
„Das hießt ... ich bedeute dir nichts? Ich habe dir mein Herz geschenkt und
du wirfst das einfach so weg? Was ist geschehen? Du hast beteuert, dass du mich
lieben würdest, als ich in deinen Armen lagst. Und du hast gesagt, dass wir
für immer zusammen sein werden, als ich mich für dich auszog.“
Er konnte sie verstehen, aber es gab keinen anderen Ausweg. Zwar tat es ihm weh,
Sarah so zu verletzen, doch sie würde endlich von ihm loskommen, wenn sie
glaubte, dass er sie nur benutzen wollte.
„Setsuna...“, flehte Sarah ihren Bruder an, damit dieser ihr sagen würde,
dass es anders wäre. Nur ein schrecklicher Alptraum.
Doch anstatt auf die Rufe seiner Schwester zu reagieren, drehte sich Setsuna mit
gesenktem Kopf um. Er würde nicht mehr hierher zurückkehren. Nie wieder. Er
würde Sarah vergessen und sich vielleicht ein neues Leben aufbauen. Oder bei
Rosiel bleiben. Etwas in ihm, das er inzwischen als Alexiel identifizieren
konnte, trieb ihn dazu. Sie hatte ihn vermisst und fürchtete sie könnte ihren
Bruder verlieren, wenn sie nicht an seiner Seite blieb.
„Du MONSTER!“, rief plötzlich jemand und Setsuna sah auf.
Er war so gedankenverloren gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie seine
Mutter in die Küche gegangen war und sich ein Küchenmesser gegriffen hatte.
„Was?“
Setsuna stand wie angewurzelt da. Er konnte sich nicht rühren. Einerseits weil
ihm die Situation absurd vorkam. Seine eigne Mutter bedrohte ihn mit einem
Messer? Sie schrie ihn an.
„Du Monster, du elendes Monster! Ich hätte dich gebären dürfen. Deine
eigene Schwester zu verführen! Ich hätte dich schon viel früher töten
sollen!“
Setsuna begriff erst jetzt, was sie vorhatte und hob die Arme, aber zu spät.
Wäre er in besserer Verfassung gewesen, wäre dieser Angriff nichts gewesen.
Doch weder seine Reflexe noch seine Kräfte reagierten. Ja, nicht einmal Alexiel
schien ihn beschützen zu wollen.
So bohrte sich das Messer direkt in seine Brust und er fiel nach hinten auf den
Boden. Er sah das rote Blut spritzen und aus der Ferne hörte er jemandem seinen
Namen rufen.
xxx
Muahaha.
Ich habe Setsuna getötet. Kaum zu glauben oder? Ich hatte von Anfang an vor ihn
sterben zu lassen (Erklärung: siehe nächstes Kapitel), doch der Einfall, das
seine eigene Mutter ihn umbringen würde, kam mir erst während des Schreibens.
Es tut mir Leid, dass ich es nicht mehr vor Weihnachten geschafft habe, doch das
Abitur geht vor.
Grässlich.
Über das nächste Kapitel möchte ich eigentlich noch nichts verraten, aber es
wird uns wieder auf die himmlischen Weichen führen.
Vielen Dank für die Kommentare und die Anfeuerungen.
Bis dann. Ich versuche mich zu beeilen.
mangacrack
Leben und Sterben - Ein Ende und ein Anfang
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Kommentar: Ich hasse es Rosiel schreiben zu müssen. Er war die ganze Zeit ein
narzisstisches, selbst verliebtes Arschloch (und mochte ihn dafür), aber durch
seinen Charakterwandel ist er schwerer zu schreiben. Katan tut mir ein wenig
Leid, da er nicht zu Wort kommt, aber das würde jetzt zu weit führen. Jetzt,
nachdem ich Setsuna getötet habe, komme ich endlich zu einem Punkt, den ich
schon lange mal in Augenschein nehmen wollte. Vor allem, weil diese Begegnung im
Manga gar nicht stattfindet.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 11 - Ein Ende und ein Anfang::
„Setsuna!“
Alles verschwamm vor seinen Augen, als er zu Boden fiel. Das Messer in seiner
Brust verursachte ihm höllische Schmerzen und er konnte nichts dagegen tun. Er
hörte Sarahs Schrei und er konnte das entsetzte Gesicht seiner Mutter sehen.
Vielleicht hatte er gedacht, er würde sich wehren. Ha. Nein. Dazu war er nicht
mehr in der Lage. Ohne seine Astralkraft war er schwach und die Kopfschmerzen
setzten wieder ein. Er röchelte, weil er keine Luft bekam und an seinem Rücken
brannte es. Er fühlte sich alleine. Alexiel war nicht da.
Sie war immer da gewesen.
Doch warum ließ sie ihn jetzt alleine?
Er hörte ein Fenster zersplittern. Und er fühlte die Astralkraft, die auf
einmal den Raum erfüllte. Schwach öffnete Setsuna die Augen und sah, wie
Rosiel voller Zorn die Frau anstarrte, die er sein ganzes Leben lang Mutter
genannt hatte. Katan fiel neben ihm auf die Knie und legte Setsunas Kopf auf
seinen Schoß.
„Katan“, krächzte Setsuna leise und wimmerte als eine Bewegung ein
Bruchstück des Messers sich noch tiefer in seine Brust bohrte.
„Shh“, versuchte Katan den jungen sterbenden Engel zu beruhigen bis
Rosiel-sama über die Sünderin gerichtet hatte. „Es wird bald aufhören,
Setsuna-sama.“
Setsuna versuchte sich auf Katans Gesicht zu konzentrieren, aber mit dem
strömenden Blut, verließ ihn auch das letzte bisschen Kraft, dass ihm
geblieben war. Sein Kopf fiel zur Seite, sodass er auf Rosiels Rücken sehen
konnte, wo seine drei prächtigen Schwingen gerade aus seinem Körper hervor
brachen. Seine Mutter hatte das Messer eng an ihre Brust gepresst und zitterte.
Sie schien die Erscheinung nicht glauben zu können und das was sie sah, machte
ihr Angst.
„Engel“, stammelte sie. „Ein ... ein Engel. Ich bin gerettet. Nehmt dieses
Monster mit, dass ich gebar und erlöst meine Tochter. Gott soll über diesen
Teufel richten.“
Bei ihrem letzten Satz deutete sie auf Setsuna, dessen Blut den weißen Teppich
tief rot färbte. Rosiel hingegen schien vor Wut nach Worten zu suchen und der
einzige Grund, warum er das Erdenweib noch nicht getötet hatte, war weil er ihr
eine schlimmere Strafe zukommen lassen wollte. Reine Bösartigkeit fühlte er
für diese Kreatur. Seine Schuldgefühle, dass er für Setsunas Tod praktisch
mit verantwortlich war, stellte er hinten an.
„Sünderin“, donnerte Rosiel in der Sprache der Engel, deren Klang Mudo-san
in die Knie gehen ließ. Die Sprache der Engel in ihrer ursprünglichen Form war
nicht für menschliche Ohren gemacht. Es lag zu viel Macht dahinter.
„Sünderin. Teufelsweib“, zischte Rosiel weiter. „DU wirst diejenige sein,
die gerichtet werden wird. Auf ewig sollst du leiden für deine Tat. Dein
eigenes Kind umzubringen. Ein Engelskind noch dazu. Deine Hände in dem Blut
eines Unschuldigen zu baden!“
Zu gerne würde Rosiel eine Astralwelle loslassen, die diese Frau zerfetzt
hätte, doch er hatte anderes im Sinn. Er streckte seine Hand auf und eine
unsichtbare Macht ergriff Setsunas Mutter. Sie wurde ruckartig nach vorne
gerissen, als würden unsichtbare Fäden an ihrem Körper befestigt sein. Sie
sah wie die unheimliche Gestalt, dessen Stimme ihre Ohren bluten ließ, die Hand
schwenkte, sodass sie sich jetzt nicht ihm zuwendete, sondern von unsichtbarer
Hand in die Richtung von Sarah gedrückt wurde. Sarah selbst stand hilflos an
die Wand gepresst und hatte die Hände vor den Mund geschlagen. Noch mehr
verfiel sie in Angst, als ihre Mutter den Arm hob, in der sie das blutige Messer
hielt.
„Nein, Mutter, was tust du da?“, schrie Sarah verängstigt. „Willst du
mich auch töten, so wie meinen Bruder?“
Nun bekam es auch Setsunas Mutter mit der Angst zu tun, als sie merkte, dass sie
wirklich keine Gewalt über ihren Körper hatte. Ihre Tochter, schrie sie in
Gedanken, da sie laut nicht dazu fähig war. Gott, nicht ihre Tochter.
„Gott wird dich nicht retten. Niemand wird das“, versprach Rosiel und ließ
als das Schlechte in Setsunas Mutter emporsteigen. Zwar hob sich nun die
unsichtbare Macht, die sie bis jetzt in ihrer Gewalt gehabt hatte, aber sie
wurde durch etwas anderes ersetzt. Zunächst stand Setsunas Mutter noch
unschlüssig da. Keinen Meter von ihrer Tochter entfernt, das Messer erhoben.
„Auch du hast gesündigt“, ließ die entsetzte Seite der Mutter betreffend
der Wahrheit über die Beziehung ihrer Tochter und ... diesem Monster sagen.
„Du musst gerichtet werden. Du hast gesündigt.“
Das Mantra wiederholte sich in ihrem Kopf. Rosiel hatte eine Seite in der Mutter
hervorgebracht, zu der ein Mensch normalerweise nicht in der Lage wäre, aber
für den anorganischen Engel war es ein leichtes Gefühle zu verstärken, die
schon da waren. Die Tatsache, dass die Frau bereits kaltblütig einen Mord
begangen hatte, machte es noch einfacher die schwarz gefärbte Seele endgültig
in die Verdammnis zu schicken.
„Stirb“, sprach Rosiel mit Grabesstimme und sprach damit Sarahs Urteil.
„AH!“
Splash!
Blut spritzte erneut als Setsunas Mutter wieder und wieder auf ihre Tochter
einstach. Die entsetzten Augen des nun toten Mädchens trieben die vom
Seelenzerfall befallenen Mutter nur noch weiter.
„Sünderin. Sünderin. Sünderin. Sünderin.“
Rosiel betrachtete die wahnsinnige Frau mit Verachtung und Ekel. Ein weiterer
Schwenk ließ sie zu Sinnen kommen und über ihrer Tochter zusammenbrechen, wo
sie liegen blieb. Rosiel blickte kurz entschuldigend zu dem kleinen Mädchen
Sarah.
„Deine Zeit war abgelaufen, Kind. Geh ins Paradies und triff noch ein weiteres
Mal auf den Engel der Heilung. Doch wir brauchen das dritte Element dringender
als dich.“
Es tat ihm nur wenig Leid, das kleine Menschenmädchen getötet zu haben. Sie
hatte Jibrils Wesenszüge verloren. Das war nicht mehr die mutige Frau, die sich
trotz seiner schmutzigen Methoden gegen Sevothtarte auflehnte, sondern nur ein
kleines verängstigtes Menschenkind. Rosiel betrachtete die Sterbende noch kurz,
ehe er sich dann Setsuna zuwendete. Der Halbengel lag da, in seinem eignen Blut,
der Blick nach oben gerichtet. Rosiel glaubte nicht, dass Setsuna Katan
wahrnahm.
„Setsuna“, flüsterte Rosiel und ließ sich vorsichtig nieder.
Er ignorierte das Blut, dass über den Boden floss und seine Kleidung
durchtränkte. Rosiel griff nach Setsunas Hand, die sich bereits jetzt seltsam
kalt anfühlte. Mit seinem Daumen strich er über den Handrücken, ehe die Hand
dann an seine Lippen führte. Kälte breitete sich in Rosiel aus, er konnte
fühlen wie Setsuna starb. Es war eine Wiederholung der Ereignisse.
Auch als seine geliebte Schwester hingerichtet worden war, hatte er sie sterben
gefühlt. Er hatte ihren Schrei in seiner Seele gehört, doch er hatte Angst,
Schmerz und Erlösung nicht auseinander halten können, während er in der Erde
geruht hatte. Nachdem Alexiels letzte Schwingung verschwunden war, war er in
einen tiefen Schlaf gefallen. Weiter hatte er sich gegen ihren Bann nicht
auflehnen können und eine Welt ohne Alexiel hatte er nicht bewohnen wollen.
Trotz des Hasses der seinen Verstand vernebelt hatte.
„Ro...siel?“, krächzte Setsuna und der anorganische Engel konnte die
Verwirrung in dem Gesicht seines kleinen Bruders lesen. „Was...?“
„Es tut mir Leid, Setsuna“, entschuldigte sich Rosiel. „Ich wusste, dass
es passieren würde, aber nicht so bald.“
„Ich … sterbe...“, brachte der blonde Halbengel hervor, als würde ihm das
jetzt erst bewusst.
„Ja“, bestätige Rosiel traurig, denn er brachte es nicht über sich Setsuna
anzulügen. Katan kauerte neben ihm und machte ein schuldbewusstes Gesicht. Er
wusste, warum das hier passiert war.
„Warum...?“, röchelte Setsuna. Selbst jetzt noch merkte der Messias, dass
etwas nicht stimmte. Und er wollte wissen was. Selbst wenn sich dieses Sterben
anders anfühlte, als beim letzten Mal. Es war kälter, härter und
schmerzvoller.
„Erinnerst du dich, als ich dich vor einiger Zeit vom Selbstmord abgehalten
habe?“, fragte Rosiel.
Setsuna schaffte es ein Nicken anzudeuten.
„Du solltest schon damals sterben. Deine Zeit war abgelaufen. Einmal tot,
kommt man nicht mehr zurück. Menschen glückt das, wenn sie schwer verletzt
sind, aber ihr vorherbestimmter Todeszeitpunkt noch nicht gekommen ist.“
„Und meiner...?“, fragte Setsuna leise, schaffte es aber nicht den Satz zu
Ende zu sprechen.
„Ja“, sagte Rosiel und strich Setsuna das Blut aus dem Mundwinkel. „Ich
wollte es verhindern, deinen Tod hinaus zögern, aber man kann den Tod nicht
besiegen. Nicht einmal du oder ich.“
„Uriel...“, hauchte Setsuna und er schien erleichtert zu sein.
Er würde nicht alleine sein. Nicht komplett. Das war sein einziger Gedanke.
Dennoch klammerte sich Setsuna an Rosiels Hand, die er aber immer weniger
spüren konnte. In ihm wurde alles taub. Die Augenlider wurden schwerer und
schwerer, bis er sie nicht mehr offen halten konnte.
Aber er wollte noch nicht gehen!
Sarah. … Rosiel!
„Lass los Setsuna“, befahl Rosiel, auch wenn es ihm schwer fiel. „Geh
hinüber auf die andere Seite. Such Alexiel.“
Alexiel... Setsunas Geist begann zu schweifen.
Da war nur Dunkelheit, diese altbekannte Dunkelheit. Das letzte Mal war es nicht
so schlimm gewesen. Als er das erste Mal gestorben war, hatte er sich nicht so
schrecklich gefühlt. Jetzt griffen entsetzlich kalte Hände nach ihm, die ihn
nach unten zerrten und mit rissen. Setsuna kam sich entsetzlich verlassen vor.
Es war keiner da. Kein Adam Kadamon, der ihm wie beim letzten Mal hinüber
begleitet hatte. Da war nicht der Wunsch seine Schwester zu retten. Da war …
gar nichts. Nur der endlose Fall, von dem er wusste, dass er kein Ende haben
würde. Dieses Mal würde er wirklich sterben. Seine Kraft war aufgebraucht.
Doch immerhin waren jetzt die Schmerzen fort.
-
„Such Alexiel, Setsuna“, flüsterte Rosiel noch einmal, dieses Mal mit
Schmerz in der Stimme, den er zuvor Setsuna nicht hatte hören lassen wollen. Er
hatte nicht alleine sein wollen. Doch die Tage, die er Setsuna geschenkt hatte,
waren es hoffentlich wert gewesen. Denn sie würden sich nie wieder sehen.
Niemals.
Schließlich war Setsuna 'nur' eine Reinkarnation von Alexiel. Wenn Alexiel,
seine Schwester, erwachen würde, dann würde das Setsunas Seele nicht
überleben. Vorsichtig streichelte Rosiel Setsunas braun blondes Haar und er
fühlte, wie Katan eine Hand auf seine Schulter legte.
„Rosiel-sama?“, fragte Katan einfühlsam. Rosiel wusste, dass Katan alles
für ihn tun würde und selbst bedauerte die Situation nicht verhindert zu
haben.
„Geh und stell sicher, dass die Menschen erfahren, was diese Frau getan
hat“, sagte Rosiel. „Es wäre zu einfach sie jetzt zu töten. Sie soll im
Gefängnis verrotten bis ihr Tag kommt und dann von Enra-oh gerichtet wird.“
„Jawohl, Rosiel-sama“, sagte Katan und verschwand.
Wahrscheinlich um die Polizei zu rufen. Doch das alles war Rosiel jetzt nicht
mehr wichtig. Für einen Moment hockte er noch so da, dann hob er Setsunas
Leichnam vorsichtig auf, um ihn an einem besseren Ort zu begraben. Für die
Menschen ließ er eine von seiner Magie erschaffene Imitation zurück. Sie
würde zerfallen, sobald sich der Sargdeckel über den falschen Leichnam
schloss.
„Komm Setsuna“, sagte Rosiel und fühlte wie dessen Körper erkaltete.
„Ich bringe dich an einen besseren Ort als diesen hier.“
Dann verschwand er in einem Ball aus Licht, um dem Himmel seinen Messias zurück
zu geben.
-
Wieder flog Setsuna durch die Dunkelheit. Wie beim letzten Mal war da nur das
endlose Nichts. Er konnte nichts sehen, nichts hören und auch ansonsten nichts
wahrnehmen. Er schwebte nur vor sich hin und wartete in der Dunkelheit.
„Setsuna...“
Jemand rief seinen Namen. Setsuna drehte sich in der Dunkelheit. Wo war die
Stimme her gekommen? Beim letzten Mal hatte ihn Kato erweckt. Doch wer war es
jetzt?
„Setsuna, komm her“, rief die Stimme. „Komm her zu mir.“
Der menschliche Messias konnte nicht sagen, ob er sich wirklich bewegte, doch
auf einmal war da Licht um ihn herum. Sanftes, warmes Licht. Als er in der Licht
hinein schwebte, wurde ihm gewahr, dass er wieder eine Gestalt hatte. Hände,
Arme … Setsuna schloss seine Augen, weil es sich so gut anfühlte.
Er fühlte sich sicher.
„Setsuna“, sagte die Stimme wieder und diesmal war sie dicht neben ihm.
Und jetzt erkannte er sie. Zwar hatte er sie noch nie bewusst vernommen, sondern
nur in Gedanken, wenn ihr Bewusstsein ihn überrannte. Er öffnete die Augen ein
wenig und merkte, dass er an eine Brust gedrückt worden war. Langes, braunes
und leicht gelocktes Haar kam in sein Blickfeld, als es sich über den Busen der
Frau legte, die ihn umarmt hatte. Setsuna hob den Kopf.
„Alexiel?“, fragte er müde.
Und jetzt sah er zum ersten Mal ihr Gesicht. Richtig. Nicht nur im Spiegel, als
er in ihrem Körper gewesen war. Sie standen sich jetzt richtig gegenüber. Ihr
erstes Treffen. Sonst hatte sie eher immer in ihm geschlummert und ihn den Weg
gezeigt. Manchmal hatte er sich gewünscht, er hätte öfter auf sie gehört.
Aber er hatte ihre Gefühle nicht immer verstanden, auch wenn sie seit seiner
Geburt bei ihm war. Alexiel lächelte und strich Setsuna über den Kopf.
„Ich habe auf dich gewartet“, sagte sie. „Ich wollte dich schon solange
treffen. Doch ich wusste, es wäre erst nach deinem Tod möglich.“
„Tot?“,wiederholte Setsuna. So richtig hatte er das noch nicht begriffen.
In Alexiels Augen schimmerte Bedauern, als sie dem Jungen über das Haar strich.
„Es tut mir Leid, Setsuna. Es tut mir so Leid“, sagte Alexiel. „Ich wollte
mich zurück ziehen und dir ein sorgenfreies Leben gönnen, nach allem was du
getan hast. Doch dich traf der Fluch den Uriel einst über dich verhängte. Du
bist jung eines grausamen Todes gestorben, so wie alle Inkarnationen vor dir.“
„Deswegen also...“, murmelte Setsuna und löste sich aus der Umarmung. Ein
wenig peinlich war ihm das schon. „Aber ich hätte sowieso nicht auf der Erde
leben können“, versuchte er Alexiel die Schuldgefühle auszureden. „Rosiel
meinte, dadurch dass meine Flügel verschwunden sind, wäre die Erde wie Gift
für mich gewesen.“
Alexiel sah überrascht Setsuna an.
„Rosiel?“, fragte sie. „Rosiel war bei dir auf der Erde?“
Setsuna nickte und setzte sich hin. Sie schwebten immer noch im Nichts, da
machte es keinen Unterschied, ob man stand oder lag.
„Er hat mich daran gehindert … mich umzubringen. Als ich aus dem Himmel
zurück kehrte, setzten die Kopfschmerzen ein und ich wurde mit den
Geschehnissen nicht fertig.“
Entschuldigend sah er Alexiel an. Sie schien ihm das jedoch nicht übel zu
nehmen.
„Es ist in Ordnung, Setsuna. Du hast viel durchgemacht.“
„Ach was...“, meinte er. Aber er wollte nicht zugeben, dass einige Dinge,
doch noch auf seiner Seele lasteten.
„Nein, Setsuna“, sagte Alexiel streng. „Ich möchte dir danken. Du hast
das getan, was ich hätte tun sollen. Im Gegensatz zu mir, bist du nicht davon
gerannt.“
„Aber...“, wollte er einwenden. So viel Dank verdiente er gar nicht. „Ohne
dich wäre das nicht möglich gewesen.“
Alexiel lächelte erneut, dann sagte sie. „Haben wir gut gemacht, nicht
war?“
Setsuna grinste zurück. „Ja.“
Dann streckte Alexiel ihre Hand aus. „Komm, Uriel wartet auf uns.“
Zögerlich ergriff Setsuna Alexiels ausgestreckte Hand. Es war merkwürdig, dass
sie sich so um ihn kümmerte. Er hatte nie so richtig gewusst, wie er Alexiel
einordnen sollte. Sie war immer wie ein Schatten gewesen, der ihn verfolgte und
jeder schien sie zu kennen, nur er nicht. Aber vielleicht war jetzt ja Zeit
dazu, sie kennen zu lernen, dachte Setsuna, als er von Alexiel in den Hades
gezogen wurde.
## Flashback – Ende ##
Setsuna rollte sich unter der Decke zusammen, als Rosiel den Raum wieder
verließ. Es war noch früh, die Sonne ging gerade erst auf. Jemand, der so alt
war wie Rosiel, brauchte nicht viel Schlaf, wenn überhaupt. Doch bei ihm waren
nun mal einige menschliche Verhaltensweisen noch vorhanden. Zwar war inzwischen
wirklich einige Zeit vergangen, seit er und Alexiel den Hades – seltsamerweise
zusammen und lebendig – wieder verlassen hatten, doch es war in Ordnung so. Er
hatte Zeit gebracht, sich daran zu gewöhnen, jetzt ein Engel zu sein. Laut
Uriels Erklärung war das die Belohnung für seine Taten. Aber viel Wahl hätte
er ohnehin nicht gehabt, da sich seine Seele zu sehr verändert hatte, als das
er einfach wieder als Mensch hätte wiedergeboren werden können.
Setsuna gähnte und streckte sich.
Rosiel würde ihn bald aus den Federn scheuchen und auf den Unterricht bestehen,
den er entweder von ihm, Katan oder Alexiel bekam. Denn zur Akademie konnten sie
ihn noch nicht schicken, weil er die Sprache der Engel zwar beherrschte, sie
aber nicht schreiben konnte. Es würde noch einige Zeit dauern, bis sein Leben
als Engel so richtig losgehen konnte. Vielleicht konnte er Katan dazu
überreden, ihn zur Erde zu begleiten.
Er wollte Kato und Kira besuchen.
Das war nämlich der größte Schock gewesen, als er bei Uriel ankam. Seine
alten Freunde hatten ihren Weg auch zurück ins Reich der Toten gefunden (was
aber Luzifers Schuld zu sein schien), damit sie auf der Erde Dämonen jagen
konnten. Uriel war gerade dabei gewesen, ihnen Körper zu machen, als er mit
Alexiel erschienen war.
Himmel.
Damit hatte er so gar nicht gerechnet, doch wieder waren es Kato und Kira
gewesen, die ihn mit einigen Arschtritten davon überzeugten, dass er im Himmel
besser aufgehoben war, als bei ihnen auf der Erde. Aber sie hatten ihn
versichert, dass sie sich wiedersehen würden. Das genügte ihm für den Anfang.
Schläfrig zog sich Setsuna die Decke über den Kopf. Nicht allzu bald würde
Rosiel wieder hier herein schneien und ihn zum Aufstehen zwingen. Notfalls mit
Gewalt, das wusste Setsuna.
Familienleben eben.
xxx
So. Damit wäre auch dieser Interlude zu Ende.
Ich wollte die Begegnung zwischen Alexiel und Setsuna schreiben, da sie im Manga
nie statt findet. Alexiel ist dennoch ein wenig weich, kommt vielleicht daher,
dass sie jetzt endlich auch eine Frau sein kann und nicht nur Gefangene ist, was
sie zum Großteil ihres Lebens halt war. Setsuna hingegen reagiert so stark auf
die Bemutterung, die er erfährt, weil er selbst kaum welche erfahren hat. Sein
Vater hat sich nicht um ihn gekümmert, seine Mutter hasste ihn, selbst die
Scheidung seiner Eltern war wegen ihm. Das hat mich irgendwie Setsuna ein wenig
… anders darstellen lassen.
Das nächste Kapitel ist der letzte Teil von 'Chroniken der Finsternis' und
Michael taucht wieder auf.
mangacrack
Chroniken der Finsternis - Licht im Dunkeln
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Kommentar: Hier beginnt der Teil, der sich mit Luzifer und der Hölle
beschäftigt. Das Geschehen des Kapitels beginnt eine kurze Zeit nach Katos Tod.
Ich hoffe ihr seid zufrieden, mit der Art und Weise, wie ich ihn 'wieder
auferstehen' lasse. Inzwischen muss man sich da echt was ausdenken...
Was mit Setsuna passiert ist, nun darauf müsst ihr noch ein bisschen warten!
Danke
mangacrack
xxx
::Kapitel 12 - Licht im Dunklen::
Am Anfang war da ... nun vermutlich war es Dunkelheit. Genauer konnte er das
nicht bestimmten, denn da war einfach nichts. Es gab kein oben und kein unten,
kein rechts oder links. Auch keine Farben, Formen oder einen Raum. Da war nur
dieses Nichts um ihn herum und seine Gedanken.
Diese waren allerdings waren genauso wenig greifbar. Sie kamen und gingen,
schwebten um ihn herum und schienen ihn ärgern zu wollen. Seine Gedanken waren
so lästig wie ein Haufen Fliegen, die um seinen Kopf herum schwirrten.
Allerdings konnte er sie nicht so einfach verscheuchen, denn er hatte keine
Hand. Auch kein Bein, Arm oder Füße. Anfangs hatte ihn das verwundert. Jeder
hatte doch einen Körper, oder? Aber er glaubte sich daran zu erinnern, dass
sein Körper irgendwie anders gewesen war. Flexibel. Was das wohl zu bedeuten
hatte? Eine Weile hatte er darüber nachgedacht, dann hatte er es gelassen.
Hier gab es nichts, was passieren würde, also würde es auch keinen stören,
wenn er die Antwort erst später fand. Zeit hatte er schließlich genügend.
Allerdings war da auch diese Langweile. Er trieb im Nichts umher, wie ein Stück
Holz im Wasser. Es gab hier keine Schmerzen und auch kein Leid, das war etwas,
an das er sich eigentlich sehr gut erinnern konnte, nämlich, dass diese
lästigen Dinge oft Bestandteil des Davors gewesen waren.
Wo auch immer dieser davor war, was er nicht genau bestimmen konnte.
Und je länger er darüber nachdachte, desto mehr nervte es ihn. Es ging ihm
sogar ganz gewaltig auf den Sack, dass er keine Ahnung hatte, wo dieser hier und
jetzt war. Er zwar schon an ziemlich vielen seltsamen Orten gewesen, aber das
hier übertraf jeden Drogentrip und alles, was er sonst schon gesehen hatte.
Plötzlich stutzte er.
Woher kam das?
Drogen.
Er dachte das Wort noch einmal. Irgendwie wusste er, dass diese Drogen nicht gut
waren. Kira hatte immer gesagt, er solle das Zeug in Ruhe lassen. Kämpfen. Er
hatte gekämpft! Erinnern konnte er sich nicht, aber er war sich sicher, dass er
es diesem Kira – wer auch immer dieser Besserwisser sein mochte, der sagte
Drogen wären nicht gut für ihn – gezeigt hatte.
Aber ... er wusste immer noch nicht, was er hier sollte.
Was war passiert?
Warum konnte er nie eine Erinnerung behalten?
Und wer bei allen Drogendealern war er?
Plötzlich passierte etwas. Eine Art Bewegung ging durch ihn hindurch. Nein, es
ging viel mehr von ihm aus. Aber es war nicht schlecht gewesen. Ein Fortschritt
zu diesem seltsamen blinden Nichts. Es nervte. Es war nicht gemütlich hier. Zu
Essen gab es nichts. Geschweige denn Zigaretten.
Ja.
Da hallte, was in seinem Inneren.
Zigaretten.
Das klang gut. Er brauchte eine. Und das am besten so schnell wie möglich. Er
wollte jetzt was zu rauchen. Und wenn in diesen Nichts die Zigarette nicht zu
ihm kam, dann musste er eben zu der Zigarette kommen.
-
Auf einer anderen Ebene des Daseins, fühlte der Heilige Einsiedler in seinem
Ruhezustand eine Bewegung. Es war mehr wie ein Lufthauch, ein Kitzeln eine
Welle, die ihn leicht berührt, vielleicht auch nur gestreift hatte.
So forschte der Heilige Einsiedler nach der Ursache dafür. Auch wenn er keinen
Zugang mehr zu den zentralen Dimensionen hatte, da er restlos geschwächt und zu
dem noch eingeschlossen war, so gab es ihn noch. Sein Körper mochte versiegelt
sein, seine Kraft durch den langen ermüdenden Kampf mit dem Schöpfer Wesen
aufgebraucht, aber sein Geist war noch da. Als Wesen, dass weder positiv noch
negativ war, sondern auch als Verbindung zu der Zeit selbst, konnte man ihn
nicht einfach ausradieren.
Er mochte in der Gegenwart verschwunden sein, aber da er in der Vergangenheit
lebte, gab es ihn auch in der Zukunft noch. Nicht wie andere Dinge, war er von
den Geschehnissen der Welt abgetrennt und musste dem Lauf der Zeit folgen, nein,
er konnte durch die Zeiten reisen, ohne wirklich präsent zu sein.
Die Zeit war ein seltsames Konzept, ein Gewebe aus Fäden und einer der
unzählbaren Fäden hatte gerade geschwungen. Was mochte das gewesen sein? Hier
sollte sich nichts her verirren. Suchend nach dem bisschen Anhäufung von Sein,
das er gespürt hatte, griff er mit seinem Geist danach und fing es ein. Das
Sein war so leicht wie Feder, nichts festes und greifbares, aber der Heilige
Einsiedler erkannte, um was es sich dabei handelte.
Man mochte den Heiligen Einsiedler schon fast als erschrocken bezeichnen, als er
erkannte, das es sich hier um eine ehemalige Seele handelte. Wenn ein Lebewesen
starb, dann ging dieses in den Hades ein und wurde wieder geboren. Selbst wenn
es als Totengeist oder als Form eines Guhls endete, so waren dies nur
Zwischenstufen auf dem Weg zur Wiedergeburt.
Es gab leider allerdings Fälle in denen eine Seele auseinanderbrach oder
einging. Traurige Fälle, bei denen jedes Mal eins seiner Kinder verloren ging.
Hier hatte sich dieses Kind wohl retten können. Es war nur noch schwach da,
aber er erkannte Gefühle, verdeckte Erinnerungen und ... einen Willen.
Verwundert nahm der Heilige Einsiedler nun eine Gestalt an und besah sich das
Wesen, das auf seiner riesigen Handflüche lag. Er hatte dem Wesen seine
ehemalige Gestalt gegeben, um ihn besser identifizieren zu können.
Er war noch erstaunter, als er erkannte, dass es keine Engelsseele war, die er
da eingefangen hatte, sondern die eines Menschen. Neugierig besah der Heilige
Einsiedler sich die Erinnerungen und Gefühle, die das Wesen noch hatte. Es war
sich zwar nicht bewusst, wer es war, aber seh wohl, dass es noch existierte.
Freudig gab er noch lebenden, atmenden Seele eine Form und sein Bewusstsein
zurück. Welch freudiges Ereignis, dass dieser Mensch genug Eigensinn besessen
hatte, seinen Willen zu behalten. Interessiert beobachtete er, wie die Restseele
sich zu einem Gebilde formte. Es wurde zu einem jungen Mann, einem Menschen,
allerdings mit eigener Astralkraft, was wohl der Grund gewesen war, warum
Erinnerungen, Gefühle und Wille beieinander geblieben waren.
Da war eine Art Schutzschicht, um die Seele herum, die verhinderte, dass
wichtige Bestandteile verloren gingen. Das hieß, dass was diesen Menschen
ausmachte, war noch da. Prägende Erinnerungen, die Fähigkeit zu fühlen und
einen Willen zu haben. Neugierig betrachtete der Heilige Einsiedler, wie der
junge Mensch zum Leben erwachte. Er musste heraus finden, wer er war.
Besonders, da er anscheinend einen winzigen Teil seiner Kraft in sich trug. Ganz
schwach, als wäre der Mensch einmal mit etwas von ihm in Berührung gekommen,
das ihn bewahrt hatte.
Amüsiert, interessiert und wissbegierig begegnete der Heilige Einsiedler einem
trotzigen Willen, der ihn aus zwei sehr lebendig wirkenden Augen berührte.
-
Woha!
Was war denn das?
Zuerst war da dieses ewige weite Nichts, seine Entschlossenheit da weg zu kommen
und dann starrte er in dieses verdammt megamäßige große Gesicht. Besonders,
weil er so klein war. Er passte ja auf die Hand dieser Person.
Das störte ihn.
Er mochte es nicht, wenn er kleiner war als andere und diese auf ihn herab
sahen. Aber, so musste er sich unfreiwillig eingestehen, war das wohl jemand
besonderes. Denn wer wäre wohl sonst wohl so verrückt 'ne ganze Produktion an
Leuchttürmen zu verschlucken, sodass kleine leuchtende Partikeln um ihn herum
schwebten, die aus diesem gigantischen Körper zu kommen schienen.
Aber immerhin guckte der Typ recht freundlich. Doch er wusste nicht, was er
sagen sollte. Also entschied er sich für eine Floskel, die bei Kira auch immer
gezogen hatte. Und wenn das bei dem Teufelchen klappte, dann auch bei dem
Leuchtturmtypen.
„Hey Alter, haste mal ne Kippe?“
-
Der Heilige Einsiedler blickte die männliche Menschenseele mit einem gewissen
Maß an Verstörtheit an. Natürlich verstand er den Satz, doch normalerweise
befasste er sich nicht mit derartigen Nichtigkeiten. Oder mit dem Umstand
überhaupt verstört zu sein. Schnell schob er diese Geringfügigkeit an
verwirrendem Gefühl beiseite und überlegte sich, was wohl eine treffende
Antwort auf einen derartigen Satz wäre.
Die Wahrheit war der einfachste Weg.
„Solche Dinge gibt es an diesem Ort nicht“, antwortete der Einsiedler
geduldig.
Das schien der Menschenseele nicht zu gefallen.
„Was? Verdammt, schade. Meine letzte Zigarette ist schon ne Weile her. Aber
wenn man denkt, das ich mal wieder an irgendeinem unsinnigen Ort gelandet bin,
kein Wunder. Im Hades hatten sie auch keinen Automaten.“
Der Einsiedler versuchte die seltsame Redeweise zu entschlüsseln und so mehr
Informationen aus der Seele heraus zu bekommen. Sicher hätte er auch einfach
die Erinnerungen entnehmen können, um zu wissen, was er wollte, aber in
Anbetracht der Tatsache, dass er sehr lange keine Unterhaltung mehr führen
würde, da er sich schließlich noch immer in dieser isolierten Dimension
befand, konnte er auch den ausführlichen, wenn auch anstrengenderen Weg nehmen.
„Hades? Du bist im Hades gewesen?“
„Jep, war ja schließlich tot. Setsuna der Idiot hat mich ja getötet. Nein,
eigentlich war's ja die ultra scharfe Braut von Alexiel, um mich vor diesem
Rosiel Fuzi zu retten.“
Der Heilige Einsiedler musste nun doch mit einem etwas größerem Maß an
Verwunderung kämpfen. Anscheinend hatte der Mensch recht gute Kontakte zu
seinen drei Kindern. Das war wohl auch die Erklärung dafür, warum die
Schutzschicht für diese Seele existierte. Sie ähnelte Alexiels Astralkraft.
Doch wichtiger als das, war etwas anderes, das ihm mehr Sorgen bereitete.
„Wenn du tot warst, wie kommst du dann hierher. Eigentlich sollte eine Seele
den Hades nicht verlassen können, ohne wiedergeboren zu werden.“
Uriel war doch nicht etwa eine Seele abhanden gekommen? Das konnte der Heilige
Einsiedler nicht glauben. Uriel war zuverlässig und deswegen der Wächter und
Richter der Toten.
„Meisterchen hat mich doch selbst raus gelassen, nachdem Setsuna meine Seele
mit der seinen verbunden hat. Hat mir eine seiner Federn gegeben, oder so. Hatte
sogar drei Flügel wie er, weil ich nun das gleiche Astralzeugs hab wie er.“
Der Heilige Einsiedler war erstaunt über den Werdegang dieser Seele. Nicht nur,
dass der Mensch es irgendwie fertig gebracht hatte von Alexiel gerettet und
gereinigt zu werden, er war auch ein Gefährte Setsunas gewesen und Uriel hatte
sich persönlich um den Jungen gekümmert. Also war ein Großteil der Fragen
beantwortet. Blieb nur noch die Frage, wie diese Seele hierher gelangt war.
„Und dann?“, fragte der Einsiedler.
„Wie haben diesen Rosiel Typen gejagt. Dann ist Kira von ihm getötet worden
und der Himmel ist zusammen gekracht. Später ist Kira an Rosiel Seite wieder
aufgetaucht und hat so getan, als ob er uns nicht kennt. Hat seine 'Ich bin ein
ganz böser Teufel' Nummer abgezogen. Irgendwie sind wir uns vor dem Himmelstor
wieder begegnet. Und da...“
Er stoppte.
Er hatte die ganze Zeit geredet und je mehr dieses Riesenleuchtwesen fragte,
desto mehr Erinnerungen kamen zurück, aber an dem Punkt war irgendetwas. Bisher
war alles ziemlich weit weg gewesen, doch ihm wurde bewusst, dass da am
Himmelstor irgendwie mehr passiert sein musste.
Kira.
Kira.
Nein, nicht Kira, korrigierte er sich.
Luzifer.
Zwar war der auch nicht so schlecht, schließlich hatte er ihn so seltsam
angesehen, als ... als er ihn ... ge- ... ge-was? Eine dunkle Ahnung beschlich
ihn. Er war ... getötet worden. Die Erinnerung daran hatte er klar und deutlich
vor sich. Luzifers Finger hatten ihn durchbohrt, als er versucht hatte –
vergeblich – Luzifer zu töten.
Halt, das war auch nicht richtig.
Er hatte gewusst, dass er Luzifer nicht töten konnte. Aber er hatte ihn
trotzdem angegriffen. Warum lag ihm soviel an dem Teufel? Seine Zeit war
gekommen gewesen. Deswegen hatte er ... bei ihm sein wollen. Kiras Auftrag ...
zu Kämpfen ... erfüllen wollen.
Doch warum war er jetzt hier?
Was sollte er jetzt hier mit seinen Gefühlen? Und ohne einen Namen?
Plötzlich fiel ihm etwas ein, dass ihm kurz vor seinem Tod schon gestört hatte
und danach auch noch. Seine Gefühle, sein Dasein. Er wusste doch nicht wohin
mit sich. Da war etwas ... das er brauchte. Das zu ihm gehörte.
Deswegen ... deswegen hatte er doch ...
Der Heilige Einsiedler bemerkte, dass dem Menschen auf seiner Hand die
Erinnerungen zurückkehrten. Diesmal kümmerte er sich nicht, um etwas triviales
wie eine Unterhaltung, sondern sah sich direkt, die aufkommenden Erinnerungen
an.
Er sah, wie Kato sich von Luzifer persönlich töten ließ und dieser auch noch
Anteilnahme an dem Tod seines früher erwählten Gefährten nahm. Sogar seine
Flügel hatte der Morgenstern ausgebreitet, als er Katos Seele auf die letzte
Reise schickte.
Der Heilige Einsiedler überlegte, was zu tun war. Er hatte genug in Katos
Erinnerungen gesehen, um zu wissen, dass da noch ungeklärte Gefühle waren.
Sollte er dem ungewöhnlichen Gespann eine weitere Chance geben? Es würde sonst
Jahrhunderte bis Äonen dauern, bis Katos Geist vielleicht wieder zum Herrscher
der Hölle fand, denn sicher war das dieser Mensch nicht aufgeben würde bis er
den Morgenstern gefunden hatte.
/Luzifel, du dachtest also du könntest Kato und den Gefühlen entkommen, die er
in dir auslöst? Nein. So nicht, mein Kind des Lichts/, dachte Adam Kadamon. /Du
hast vor langer Zeit in einer Regung von Menschlichkeit heraus, dich dieser
Seele angenommen, wissend, was es dir einbringen würde, auch wenn du nichts vom
dem Eigensinn dieses Menschen wissen konntest. Aber nun musst du es auch weiter
fortführen./
Der Heilige Einsiedler lächelte, als er die perfekte Lösung gefunden hatte. Es
gab noch so viele Sachen, die gerichtet werden mussten, nachdem der Schöpfer in
seinem Wahn den Lauf der Dinge gestört hatte. Licht und Finsternis befanden
sich noch nicht an ihrem angestammten Platz.
Wer hätte gedacht, dass ein Mensch sich freiwillig und aus purer Zuneigung
heraus, sich für den Teufel entscheidet? /Luzifel, du solltest dich vorsehen.
Dein Ziel, den Schöpfer zu eliminieren, magst du erreicht haben, aber vorbei
ist es deswegen noch lange nicht./
Der Heilige Einsiedler betrachtete den Mensch namens Kato in seiner Hand und
wusste, was er zu tun hatte. Kato selbst war in Schlaf gefallen, wenn auch
unfreiwillig, aber in den Händen des Heiligen Einsiedlers sicher verwahrt,
ahnte er nicht, dass sein Pfad der Reise noch lange nicht beendet war.
Es mochte vieles sein, dass ihn diese Menschenseele retten ließ, aber selbst
Adam Kadamon glaubte nicht an Dinge wie den Zufall, wo er doch fast Äonen damit
verbracht hatte eben jene diese kleinen Zufälle zu bewirken. Der Heilige
Einsiedler lächelte. Diese Dimension hatte es mit dem Siegel des fünften
Elements ihm unmöglich gemacht von hier zu entkommen, aber er konnte dennoch
diese Seele an den Platz befördern, der ihr bestimmt war. Schade, dass er das
Spektakel nicht miterleben würde.
So schloss der Heilige Einsiedler seine Hände um die Menschenseele und als er
sie wieder öffnete war Kato verschwunden. Dann lehnte er sich zurück und fing
an über die Möglichkeiten nachzudenken. Zu schade, dass es Luzifels Gesicht
nicht sehen würde.
Wirklich. Sehr schade.
-
Tief unten in der Hölle, wo sich die schlimmsten aller Dämonen zusammen
gefunden hatten und der Schwefel gen Himmel stieg, tänzelte ein gewisser
Hutmacher durch die Gänge der Residenz seines gefürchteten Herrschers. Die
schon fast entsetzlich gute Laune, die einige höhere Dämonen von skandalös
hielten, den anderen Satanen aber inzwischen einfach nur tierisch auf den Geist
ging, hielt für den Hutmacher an, seit Luzifer in Hölle zurück gekehrt war.
Die Nachricht, dass der Schöpfer tot sei und das ihr Herrscher selbst ihn
erledigt hatte, die Existenz des Messias wurde von den Untertanten
unterschlagen, löste einen Festrausch aus.
Der erfolgreiche Einfall in den Himmel und die Verwüstung dessen, tat ihr
übriges. Doch Luzifer hielt nicht viel von den ausschweifenden Lobgesängen und
Huldigungen, die er über sich ergehen lassen musste, seit er zurück gekehrt
war. Wäre es nicht unter seiner Würde gewesen, so hätte er jetzt sicherlich
geseufzt.
Er saß in seinem Thronsaal und hatte seinen Kopf gelangweilt auf seinem Arm
abgestützt. Vor ihm war wieder irgendein Dämon, der ihm de ewige Treue
schwören wollte. Und hinter ihm noch tausend weitere. Die meisten Dämonen
hatten ganz einfach Angst seinem Zorn zu begegnen, den Luzifer hatte bei seiner
Rückkehr scharenweise Dämonen verbrannt, die in den zerstörten Schalen ihr
Dasein fristeten.
Die Restschalen waren von niederen Dämonen nahezu befallen gewesen und auch
wenn einige Stimmen es als Ermordung bezeichnet hatten, so wusste jeder, dass es
um dieses Gesindel nicht schade war. Außerdem war es nötig gewesen, um die
ineinander gekrachten Schalen des Himmels von denen der Hölle zu trennen.
Selbst die Satane waren in hektische Betriebsamkeit verfallen, als ihr Herrscher
den Befehl gab die Hölle wieder in Stand zu setzen.
Luzifer rieb sich die Stirn und machte eine Geste, die inzwischen jeder als 'der
Nächste' deuten konnte. Es war eine hässliche und nervenaufreibende Prozedur,
doch der Teufel hatte es lieber sie schworen ihm die Treue, als dass sie es
unterließen und wieder begannen Pläne gegen ihn zu schmieden. Das würde früh
genug zurückkehren, auch wenn besonders die Satane froh schienen, dass jetzt
wieder jemand da war, der die lästigen Arbeiten erledigen konnte und das
Gesindel unter Kontrolle hielt. Aber sie wagten es auch nicht wieder ihren alten
Gewohnheiten zu frönen, nachdem sie jetzt ein stechendes paar Augen im Nacken
hatten.
Astaroth hatte schweren Herzens seinen Folter und Blutorgien entsagen müssen,
Asmodeus war gezwungen gewesen seine Spielchen mit Frauen aufzugeben und sich an
die Arbeit zu machen. Luzifer war sich bewusst, dass er ihre Treue behalten
musste und ihnen nicht allzu viele Privilegien nehmen durfte, denn unangenehm
würde es tatsächlich selbst für ihn werden, wenn sie beschließen würden,
dass die Rückkehr des Herrschers nicht so verlief, wie sie sich das vorgestellt
hatten. Nicht, dass er vorhatte, sich von ihnen unter Druck setzen zu lassen,
doch für seine Pläne musste er sie mehr als nur eine Weile bei Laune halten.
Sie waren es, die im Bewusstsein der Bevölkerung vorherrschten und die Hölle
regierten, nicht der lang verloren geglaubte Stern der dunklen Nacht. Luzifer
mahnte sich an, dass Zeit vergehen musste bis er wieder vollen Zugriff auf die
Hölle hatte und jeder ihn wieder als das sah, was er auch war.
Der gefallene Engel des Lichts, der sich gegen die Ordnung der Welt gestellt
hatte.
/Es weiß zum Glück keiner wie günstig die Lage wäre, mich stürzen zu
wollen. Auch wenn sie mir selbst nie etwas anhaben könnten, so wäre es fatal
nun, wo ich mein Ziel erreicht hatte, die Regenschaft über die Hölle zu
verlieren./
Die Wahrheit jedoch … die Hölle bedeutete ihm nichts. Sein ewiger Kampf gegen
den Schöpfer war mehr ein persönlicher Feldzug gewesen, nicht etwas, dass ihm
das Schicksal auferlegt hatte.
/Sie huldigen mir, wie sie einst Gott huldigten. Dieser elenden Maschine mit
nicht mehr zusammengehalten als ein paar Kabeln./
Letztendlich war es einfach gewesen.
Sicher würde dieser Kampf in die Geschichte eingehen, doch alle Erzählungen
würden nie dem gerecht werden, wie es wirklich war. Zu gern hätte er es
alleine getan, sein Feldzug gegen Gott, aber es war nun mal eine Tatsache, die
er hatte erkennen müssen, dass er eine zweite Figur brauchte, um Gott zu
entmachten.
/Sein größter Fehler war es, sich selbst in eine Maschine zu verwandeln. Als
allgöttliche Macht hätte ich es schwerer gehabt. Welch angenehme Überraschung
war das doch, nicht mehr die selbstherrliche Lichtkugel vorzufinden, sondern nur
diesen Schrotthaufen./
Tiefe Befriedigung empfand Luzifer, als er daran dachte und der Saal wurde einer
Aura der Bösartigkeit durchtränkt. Dunkle Schatten wurden noch länger, als
die Fackeln höher loderten und die Dämonen erschauderten, als sie sich zu
Boden warfen. Sie konnte es alle fühlen.
Die überwältigende dunkle Präsens ihrer Herrschers der seinem Sieg frönte.
Denn ein Sieg war es. Wenn auch der Himmel ebenfalls leider nicht ganz leer
ausgegangen war. Trotzdem war es der Beginn eines neuen Zeitalters.
Gott vernichtet.
Die Ordnung der Welt umgestürzt.
Jetzt gab es nur noch einen an oberster Stelle.
Von dem Paar Licht gegen die Dunkelheit, war Luzifer übrig geblieben.
„Tut mir Leid, alter Mann“, richtete Luzifer seinen letzten Gruß an den
Schöpfer, bevor er sich auf seinem Thron zurück lehnte, „aber diesen Kampf
… habe ich gewonnen!“
Chroniken der Finsternis - Der Bau des Teufels
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Kommentar: Uh … weiter geht’s mit den Chroniken der Finsternis. Ich hoffe
die weiteren Kapitel schreiben sich genauso gut, wie der Rest bisher. Auch wenn
Luzifer ein harter Brocken ist.
Eine gute Nachricht ist: mein Abitur ist jetzt vorbei und ich denke es ist ganz
gut verlaufen. Heißt ich habe wieder mehr Zeit, aber noch schlechte Nachricht
für euch: ich gehe Anfang Juli für 11 Monate nach Neuseeland.
Selbstverständlich werde ich meinen Laptop mitnehmen und auch weiter schreiben,
aber ich werde mich anfangs dort erst einmal einfinden müssen. Besonders wenn
das mit den Internet Verbindungen nicht so klappt! *grr*
mangacrack
xxx
::Kapitel 13 - Der Bau des Teufels::
Kato starrte das Gemäuer an, dass sich vor ihm erhob. Er hatte bisher einiges
gesehen, was den Himmel betraf und eigentlich sollte ihn schon gar nichts mehr
wundern, doch er musste neidlos zugeben, dass sich Kira da ein verdammt nettes
Schlösschen hin gebaut hatte.
Dämonen Statuen in allen Variationen prangten auf den Zinnen der Festung und
Kato war sich nicht sicher, ob diese Kreaturen wirklich aus Stein waren. Sie
wirkten viel zu echt und Kato entschied, dass es wahrscheinlicher war, dass
Luzi-chan diese Dämonen versteinert hatte, als das hier wirklich ein Bildhauer
am Werk gewesen war.
„Fuck verdammt“, fluchte Kato, als er feststellte, dass er in seine
Ursprungsform zurück gekehrt war, seit dieses himmlisch, teuflische Abenteuer
begonnen hatte. Er war wieder ein Geist. Durchscheinend und kaum sichtbar, wenn
er mal hinzufügen durfte.
/Stimmt ja, bin ja nicht im Hades.../
Wäre ja auch zu schön gewesen. Dann hätte er Uriel besuchen gehen können.
Jetzt war er ein kleiner Geist in mitten der Hölle gefangen und er hatte keine
Ahnung, wie er hierher gekommen war. Das Letzte, woran er sich genau erinnerte,
war wie Kira ihn niedergeschlagen hatte, ehe der Himmel zusammen gekracht war.
Danach folgten eine Reihe von Bildern, die in seinem Kopf herumschwirrten, wobei
er aber nicht so recht sagen konnte, ob sie real waren.
Die einzige Episode, die noch ziemlich deutlich war, war als er Kira gegenüber
stand und dieser ihn nieder gestreckt hatte. Als Kato hatte begreifen müssen,
dass sein Kumpel tatsächlich der Fürst der Hölle war.
„Ich hab schon immer gewusst, dass er anders ist...“, murmelte Kato vor sich
ihn.
So recht wusste er nicht, was er tun sollte. Wenn er sich nicht ganz irrte, dann
war er am Himmelstor gestorben. Schon wieder. Doch warum stand er jetzt vor
Luzifers Höllenloch? Vor ihm erstreckte sich ein breiter See, in dessen Mitte
sich die Satansfestung erhob, doch Kato wollte nicht ausprobieren, was sie da im
Wasser befand. Wirklich nicht. Diese grünliche Farbe kam ihm suspekt vor.
Scheiße verdammt, er konnte doch nicht hier stehen bleiben. Das wäre ein
Schicksal, dass selbst er nicht verdient hatte und da er schon direkt davor
stand, konnte er auch Luzifer besuchen gehen. Als Geist konnte ihm außerhalb
des Hades kaum einer was tun. Nur Uriels Sense könnte ihn in Stücke schneiden,
aber sein Meisterchen war ja meilenweit weg. Wenn man den Himmel und die Hölle
in Meilen berechnen könnte.
Kato wusste das nicht so genau.
„Jahu“, rief Kato aus und begann in eine Richtung, um den See zu schlendern.
Irgendwann musste er ja einen Übergang finden, denn schwimmen würde er gewiss
nicht. Geist hin oder her.
„Hoffentlich hat Kira was zu rauchen“, schimpfte Kato. „Soviel Feuer und
keine Kippe, eine Schande ist das.“
-
Irgendwann hatte Kato tatsächlich einen Übergang gefunden. Eine Zugbrücke im
traditionelle mittelalterlichen Stil. Allerdings so groß wie die Golden Gate
Bridge, also bestand Zweifel, ob sich das Ding überhaupt bewegen ließ.
Zumindest nicht, wenn so ein reger Verkehr darauf herrschte.
Kato betrachtete das rege Treiben von Dämonen, die alle in die Festung wollten
und schon am Toreingang der Brücke abgewiesen wurden. Irgendwie ähnelten sie
ein bisschen von den Japperlappen, die früher immer sich bei Kira Geld hatten
leihen wollten. Und rigoros raus geschmissen worden waren.
Doch er würde da rein kommen. Er war auch schon an Kiras Dachrinne hoch
geklettert und im ersten Stock über den Balkon eingestiegen. Ha! Wenn er mit 15
lächerlichen Jahren bei Kira einbrechen konnte, dann würde er doch in diese
verdammte Dämonenburg kommen!
„Kira, pass auf ich KOMME!“, trällerte Kato vor sich hin und schritt auf
die Brücke zu.
Er wusste, dass er nicht mehr die praktische Gesichtsveränderung verwenden
konnte, da sein Körper ja hinüber war, doch ihm würde schon etwas einfallen.
Aber tatsächlich musste er das gar nicht. Denn es bemerkte ihn keiner.
Vielleicht weil er nur ein dummer Geist war, nicht mehr als ein kleiner Fetzen
Energie, der durch die Luft flog.
Nun, fliegen vielleicht nicht. Das konnte er nicht. Nicht seit er keinen Körper
mehr hatte, denn mit Setsunas Flügeln hatte das sehr wohl geklappt, nachdem
sein Meister ihm gezeigt hatte wie. Zwar nicht so professionell und elegant wie
ein Engel, aber immerhin. Doch wie sollte ein Mensch bitte schön fliegen?
Menschen waren nicht zum Fliegen gemacht worden.War aber schon cool gewesen es
zu können. Dafür, fand Kato jetzt heraus, dass er wieder durch Dinge hindurch
gehen konnte. Sehr praktisch.
Allerdings wünschte er sich, dass die Bilder in seinem Kopf mehr Sinn machen
sollten. Jetzt wurde sein Kopf langsam wieder klar und er erinnerte sich nun an
mehr, als an das, was passiert war, nachdem ihm der Himmel – wortwörtlich –
auf den Kopf gefallen war. Kira war gestorben, getötet von dem Sackgesicht von
Rosiel. Kira hatte ihm sein verdammtes Schwert in den Magen gerammt, den Griff
zumindest, hatte sich bei ihm bedankt. Irgendwie jedenfalls, so hatte es sich
wenigstens angehört.
Was danach folgte, wusste er nun wirklich nicht mehr. Er hatte nicht gewusst wer
er war und hatte die Gestalt dieses Engels angenommen. Hässliche Fratze, wie
Kato im Nachhinein fand. Aber was dann folgte, wusste er noch sehr gut. Es war
Uriel gewesen, der ihn erkannt hatte. Uriel, der ihm geholfen hatte. In seinem
Inneren krampfte sich immer noch etwas zusammen, wenn er an Uriel dachte. Er
wusste nicht, was Uriel dazu verleitet hatte, ihn in den Umgang mit der
Astralkraft einzuweisen.
Er nannte ihn Meisterchen, weil er nicht wusste, wie er es über sich bringen
sollte, Uriels Blick stand zu halten, sollte er ihn wirklich einmal mit
'Meister' anreden. Kato hatte von Anfang an Angst gehabt, dass Uriel die Sache
zu erst nehmen oder in ihn zu viel Hoffnungen stecken würde. Kato nämlich
hatte nämlich nie daran gezweifelt, dass er das ganze Ding mit der Astralkraft
nie begreifen, geschweige denn beherrschen würde. So hatte er einfach nur
Uriels Gehilfen gespielt, wie er früher Aufgaben für Kira erledigt hatte. Nur,
dass er jetzt nicht mehr mit Drogen dealte. Himmel, er würde ja, aber Geister
ließen sich so schlecht berauschen.
Und Uriels Herzensgüte war es gewesen, die ihn hatte gewähren lassen, als er
sagte, dass er mit wollte, um mit Luzifer abzurechnen. Denn daran erinnerte sich
Kato jetzt ebenfalls. An die kalten, verdammten schwarzen Löcher, wo früher
Kiras Augen gewesen waren.
Aber am Ende hatte er recht behalten, dachte sich Kato. Luzifer hatte reagiert,
als er Kato seine Klauen in den Magen rammte. Er hätte ihn sofort töten oder
mit einem Gedanken zerfetzten können. Aber er hatte ihn 'nur' getötet. Im
Grunde war der Schmerz nichts gewesen, weil sein Auffassungsvermögen zu der
Zeit wirklich weniger als Null gewesen war.
/Aber../, dachte Kato, als er durch einen besonders hässlichen Dämonen
durchschritt, /Was hat es zu bedeuten. Ich habe Kira im Licht des Meteors
gesehen, obwohl er schon hinter den Himmelstoren war. Und Luzifer hat mich so
seltsam angesehen … als ich fiel./
Es war Yoji gewesen, der sich einmal darüber gewundert hatte, warum es
ausgerechnet Kato war, der Kira am besten verstand. Schließlich gingen Menschen
Kato bestenfalls, normalerweise wenigstens, am Arsch vorbei. Während Kira der
starke, beliebte Kerl war, mit dem sich keiner anlegen wollte. Keiner außer
ihm, wenn man es genau nahm. Nur er hatte es gewagt 'Schnauze Sakuya' zu
schreien, wenn er schlecht drauf war.
Und Kira hatte es ihm jedes Mal wieder durchgehen lassen.
In Anbetracht dessen das Kira der Teufel war, in jedem erdenklichen Sinne,
dachte Kato, war es schon seltsam.
„Kira, du verfluchter Scheißkerl“, meinte Kato, als er über die ewig lange
Brücke weiter stampfte, dabei jeglichen Kreaturen ausweichend, um Zeit zu
schinden.
-
Irgendwann, nach elend langer Zeit, hatte Kato dann den gewaltigen Vorhof
erreicht, in dem Sich allerlei hässliche Gestalten tummelten. Grüne kleine
Zwerge mit gelben Glubschaugen oder Riesen, die auf alles traten, was ihnen
nicht auswich. Kato dachte, dass es kein Wunder war, dass Luzifer alle immer so
verächtlich ansah. Schön waren diese Gestalten nun wirklich nicht.
Doch dadurch ließen sich jene leichter ausmachen, die etwas zu sagen hatten. Je
mächtiger die Dämonen waren, desto menschenähnlicher wurden sie. Eine bizarre
Welt. Denn je mächtiger Menschen wurden, desto eher ähnelten sie einem Teufel.
Kato stand auf dem Platz des Vorhofes und begriff, dass es noch ein weiter Weg
zur eigentlichen Hochburg war. Denn dieser Ort hier war eine eigene Stadt. Die
Stadt der Dämonen. Was würde das Stoff für Fantasy Romane geben. Ein
mickriger Mensch in der Stadt der Dämonen, weil er den Teufel besuchen wollte.
Gerade wollte sich Kato auf die Hauptstraße wenden, die in langen Schlaufen
nach ganz oben zu führen schien, da stieg ein sehr menschlich aussehender
Dämon, allerdings mit Hörnern, auf einen großen Sockel und erhob seine
Stimme.
„Alle anwesenden Dämonen, die noch keine Audienz bei unserem Herrscher
Luzifer vorgemerkt haben, werden auf der Stelle umkehren“, kündigte der
Dämon jetzt an. „Lord Luzifer wird niemanden mehr empfangen, er hat besseres
zu tun, als euch Schleimkriechern beim brabbeln zu zuhören.“
Was? Kato dachte, er hörte wohl nicht recht. Alle anderen anscheinend auch,
denn Gebrüll erhob sich. Doch der Dämon ließ nicht mit sich verhandeln. Er
schwang plötzlich eine lange Peitsche aus Feuer, die sämtliche Dämonen
zerfetzte, die es traf.
„Das war keine Bitte“, schrie er, „Sondern ein Befehl des Lords. Und nun
verschwindet, wenn euch etwas an euren jämmerlichen Leben lieb ist.“
Scheinbar hatte die Menge begriffen und machte sich daran, wieder zu
verschwinden. Langsam natürlich, denn es strömten noch immer weitere Dämonen
zur Burg. Kato beschloss zu verschwinden und folgte dem Dämon, der jetzt von
dem Sockel gesprungen war und in einem Seiteneingang verschwand. Die schwere
Tür, die vor ihm zuviel, kümmerte ihn nicht, sondern er ignorierte einfach
ihre Existenz. Kurz verschwamm seine Sicht, als er durch das Holz trat, dass
seine Seele streifte, ehe er hinter sich ließ.
Dann erblickte er den Dämon, der hinter einer Ecke verschwand und hüpfte
hinter her. Ha, er war kein Dämon und aufhalten konnte ihn sowieso keiner. Wie
schön es doch sein konnte, zu den Toten zu gehören.
-
Ähnliches dachte sich Luzifer ebenfalls, als er die Auflistung der letzten
Beschlüsse sah, die die Erzdämonen gefasst hatten, ehe sie auf die glorreiche
Idee kamen die Verbindungspfeiler zum Himmel zu kappen. Idioten. Es würde
Jahrhundert dauern bis sie die Schalen auseinander gerupft hatten. Grauenhaft.
Im Moment kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Michaels Armee, da
auch sie noch dabei waren ihre Toten zu bergen. Ihm waren die toten Dämonen
zwar recht egal, doch es war ideal, um näher an den Himmel heran zu kommen. Der
dritte Krieg war noch nicht vorüber. Er hatte gerade erst begonnen, auch wenn
der Zeitpunkt dafür äußerst ungünstig war. Das Universum hatte sich noch
nicht davon erholt, dass das Schöpfer verschwunden war und er das große Kreuz
erzwungen hatte. Es würde Jahrhunderte dauern bis sich alles wieder
normalisiert hatte. Wenn überhaupt.
Bis dahin konnten die seltsamsten Dinge passieren.
„Ihh, wie hässlich“, vernahm er im nächsten Moment eine Stimme und wollte
schon ziemlich wütend fragen, wer um alles in der Welt ihn in seinen privaten
Räumen störte. Nach so langer Zeit in einem Schwert eingesperrt, durfte sich
auch ein Höllenfürst mal den Luxus eines Bettes gönnen. Allerdings
erschreckte ihn der nächste Satz … im Zusammenhang mit der Stimme.
„Teufel hin oder her, so etwas stellt man sich nicht ins Schlafzimmer.“
Luzifer fuhr von seinem Bett auf, dass in einem Raum stand, wo eigentlich kein
Wesen dieses oder eines anderen Universums herein kommen konnte. Deswegen rang
er sich einen erstaunten Blick ab, als er eine Gestalt durch die schwere
schwarze Tür wandern sah. Durchsichtig und im Schein seiner Kerzen, die im
Zimmer brannten, noch schwerer zu sehen, stand es dann da. Das Wesen, was
Luzifer – Herr der Hölle, Träger der Vier Schwingen und Satan selbst – bei
allen Mächten niemals hier unten erwartet hätte.
Sein Gehirn spukte den Namen aus, obwohl Luzifer sich fragte, warum er sich ihn
überhaupt gemerkt hatte.
„Kato...“
Jener sah auf, offenbar glücklich hin zu sehen. So glücklich, wie ein Geist
ein konnte.
„Kira“, sagte das Menschlein und grinste glücklich. „Nette Bude ist
das.“
Sein Gespür sagte Luzifer, dass unruhige Zeiten anbrechen würden.
...das glaube ich dir!, hörte Luzifer jetzt außerdem noch eine bekannte, recht
hämisch klingende Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn einfach nicht mehr in
Ruhe lassen wollte.
Luzifer kämpfte für einen Moment damit, wem er jetzt seine Aufmerksamkeit
schenken sollte. Kato, der ihn angesprungen hatte und ihn wie einen glücklichen
Welpen auf Speed umarmte oder der nervigen Stimme, die einst Sakuya Kira gehört
hatte. Oder besser gesagt: Nanatsusaya.
/Kira.../, grollte Luzifer zurück. Er hatte sich entschieden ihn so zu nennen,
nachdem der Geist einfach nicht mehr verschwinden wollte, seit er zu Katos
'Tod', der sehr temporär zu sein schien, sich von seiner Seele abgespalten
hatte. Zuerst hatte er gedacht, es wäre nur eine Projektion der Erinnerungen
gewesen, die er als Sakuya Kira gehabt hatte, doch leider verschwand diese
Projektion nicht mehr.
Der logische Teil in ihm wusste auch warum. Wenn man etwas einen eigenen Namen
gab, zusammen mit der Fähigkeit zu fühlen, zu denken und zu handeln, dann
ließ sich etwas derartiges nicht mehr zurück nehmen. So entstanden Seelen.
Theoretisch hätte er sich Sakuya Kiras frische Seele wieder einverleiben
können, doch das hatte schon beim ersten Mal nicht funktioniert.
Überlass mir deinen Körper, sagte Sakuya Kira jetzt und Luzifer hörte das
Grinsen. Und er nahm die Gefühle wahr, die von der Seele ausgingen. Freude,
Kato zu sehen, Erleichterung, dass dessen Seele nicht zerstört war und
Sadismus, weil er Luzifer ärgern konnte. Dann musst du dich nicht mit Kato
herumschlagen. Hast doch sowieso keine Ahnung von Gefühlen.
Der letzte Satz tat mehr mehr, als Luzifer sich es eingestehen wollte. Doch er
ignorierte das. Er hatte nämlich wirklich keine Ahnung von Gefühlen der
Menschen oder anderen Wesen. Und üblicherweise störte ihn das auch nicht, weil
es A keiner wusste, B ihn sowieso keiner darauf ansprechen würde und er C
Gefühle weder brauchte noch vermisste. Doch Kira war nur mal ein Teil seiner
selbst, wenn er auch eine andere Entwicklung durchmacht hatte.
Für einen Moment überlegte Luzifer, ob er Kiras Angebot wirklich annehmen
sollte, dann dachte er sich, dass Kato eigentlich sowieso gekommen war, um Kira
zu sehen. Auch wenn er keinen Unterschied zwischen ihm, Luzifer, und seinem
alten Freund zu machen schien.
/Also gut/, schnaubte Luzifer und zog sich zurück.
Die Veränderungen waren nicht gravierend, als Kira an Luzifers Stelle trat. Die
Augen wurden braun, die Haare ein wenig länger und der Gesichtsausdruck
sanfter. Dennoch war es nur schwer erkennbar, da Kira immer noch die gleichen
Klamotten wie Luzifer trug. Überhaupt wirkte der ganze Körper, wie ein Anzug,
den er sich übergestreift hatte. So gesehen war die Flügel, die er unter seine
Haut spüren konnte, am unangenehmsten, da sie ihm jedes Mal irgendwie schwer
und fehl am Platz vorkamen. Eine Last, die nicht auf seinen Rücken gehörte,
selbst wenn er sie nicht ausgebreitet hatte.
„Kato...“, sagte Kira jetzt und erwiderte sie Umarmung irgendwie.
Kato hob bei der vertrauten Stimme, welche NICHT Luzifer gehörte, den Kopf.
„Luzi...Kira?“, fragte der Blonde leicht geschockt.
Er hatte viel erwartet. Von Luzifer in Stücke gerissen zu werden, in Flammen
aufzugehen oder einfach nur wie eine lästige Fliege ignoriert zu werden. Aber
… Kira? Wo kam der jetzt her? Denn Kato war sich trotz allem sicher, dass eben
noch Luzifer, der Herr der Hölle, und nicht sein alter Straßenkumpel vor ihm
gestanden hatte.
„Äh, ja … irgendwie schon“, beantwortete Kira die unausgesprochene Frage
seines Freundes.
WACK!
„Uff...“
Im nächsten Moment hielt sich Kira seinen schmerzenden Bauch, weil Kato ihm die
Faust hinein rammt hatte.
„Das hattest du dir verdient, du Idiot“, schimpfte Kato sogleich. „Wenn
Setsuna solche seltsamen Dinger, wie 'ich bin ein wieder geborener Engel und
muss die Welt retten' abzieht, dann ist das nichts verwunderliches, aber der
TEUFEL? Hallo, hackt's bei dir, Junge? Man könnte meinen, du hättest du zuviel
geraucht.“
„Kato...“, meinte Kira kläglich, wurde aber von dem keifenden Junkie
ignoriert. „Hör zu, ich...“
„Nix da mit 'hör zu' … mit so 'ner Bombe aufzuwarten! Seele des Teufels.
HA! Und mich immer belehren, dass ich die Finger von schmutzigen Geschäften
lassen soll...“
Kira lächelte nur schwach. Da war er wer wusste schon wie alt, hatte mehr
erlebt, als je ein anderer Mensch und dann wurde er von einem depressiven Junkie
belehrt, der noch nicht einmal zwei Jahrzehnte hinter sich hatte. Trotzdem
konnte er sich im Moment nichts schöneres vorstellen, als der Triade von Kato
zu lauschen, der inzwischen bei den Seltsamkeiten des Himmels und der Engel
angekommen war. Wie schwer es doch gewesen wäre, der einzige Mensch unter
lauter Geflügel zu sein, und so.
„...dann diese Tunte von Rosiel, wahnsinnig. Wie konntest du dich nur von
so'ner Schlampe töten lassen? Der ist doch mehr mehr Donnie Darko als Engel.
Hoffentlich hat Setsuna den kalt gemacht, ich meine...“
/Aufhören!/, grollte Luzifer. /Das kann der meinetwegen dir erzählen, aber
meine armen Ohren!/
Du bist doch genauso froh ihn zu sehen, wie ich Luzifer, meinte Kira. Außerdem
solltest du ihn reden lassen, dann hört er am schnellsten wieder auf. Sonst
wird er es immer wieder probieren und dich belästigen...
Es war ein letztes Schnauben zu hören, ehe Luzifer sich zurück zog.
Wahrscheinlich irgendwohin, wo er wirklich seine Ruhe hatte. Kira war das egal.
Luzifer konnte – dank seiner Fähigkeiten – jederzeit wieder stofflich
werden oder seinen Körper zurück erobern. Er nicht, deswegen würde er die
Zeit genießen in der er gestaltlich und kein Hauch von Echo war.
„Komm Kato“, sagte er. „Ich zeig dir die Hölle.“
„Au ja! Lass uns um die Häuser ziehen und Wichser erschrecken. Wie in den
alten Zeiten. So groß können die Unterschiede zur Erde auch nicht sein.“
Und so zogen Teufels Sohn und Menschengeist los, um die Hölle unsicher zu
machen.
xxx
Hi Leute...
ich weiß, es gibt so gut wie keine Entschuldigung, dass ich euch so lange hab
warten lassen. Trotz dessen meiner Umstände hier. Der eigentliche Grund für
mein Verspäten ist, dass ich hier nur eingeschränkten Zugang zum Internet mit
meinem eigenen Laptop habe. Heißt, dass dieses oder jenes Kapitel ne Weile
rumgammelt, bis es hochgeladen wird.
Ach ja, ich habe widerstanden Kato und Kira auf Luzifers Bett heißen Sex haben
zu lassen. War zwar verlockend, aber … ich wollte nur sachte angedeutetes
ShonenAi und kein Yaoi. Also … denkt euch das bitte. Außerdem hätte Luzifer
mich dann in Stücke gerissen^^...
mangacrack
Chroniken der Finsternis - Im Reich des Todes
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Kommentar: WTF? Nach nicht mal zwei Wochen ein weiteres Kapitel? Keine Ahnung
was passiert ist, dass es so schnell ging. Himmel, fuck. Das bin ich nicht
gewöhnt. Werde ich krank? Nein, wahrscheinlich hat mich mein schlechtes
Gewissen dazu angestiftet, weil ich nichts über die neue Mika-chan Fanfiktion
verraten will.
Das wird’s sein.
Und: ich bin mir bewusst, dass Kato ein Geist ist, aber Uriel ist nun mal der
Engel des Todes, also kann er auch Geister berühren, als hätten sie Körper.
Oder? Da die Antwort nicht so wirklich im Manga steht und ich den auch nicht zur
Hand habe, belassen wir es einfach so.
mangacrack
xxx
::Kapitel 14 - Im Reich des Todes::
„JETZT REICHT'S!“, donnerte Luzifer. „IHR HABT MEINE GEDULD ZU GENÜGE
STRAPAZIERT!“
Mehrere Dämonen duckten sich, als eine Astralwelle über sie hinweg fegte. Die
anwesenden Erzdämonen bemühten sich, sich nicht zu rühren oder die Miene zu
verziehen. Solange der Herr der Hölle in dieser Stimmung war, tat man besser
daran nicht seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Deswegen dankten alle
Anwesenden, egal wie gemein, hässlich oder verschlagen sie auch sein mochten,
dass es jemand anderes war, der gerade mit dem Zorn des Höllenfürsten
konfrontiert wurde.
„IHR SCHEINT EUCH NICHT BEWUSST ZU SEIN, WO IHR HIER SEID! DAS IST KEIN
VERDAMMTER FREIZEITPARK!“
Nicht wenige Dämonen erschauderten, als Luzifers Zorn erneut über sie herein
brach. Oder besser gesagt über die beiden Übeltäter, in deren Haut jetzt
niemand stecken mochte.
Der Eine war Luzifers Sohn persönlich. Zumindest hatte er diesen Titel
erhalten, da er mit Luzifer zusammen aufgetaucht war, nachdem jener nach seinem
Sieg über Gott in die Hölle zurück gekehrt war. Er war nicht ganz so mächtig
wie Luzifer, stand aber über den Erzdämonen. Hatte jedoch keinen eigenen
Körper, konnte aber von anderen Wesen Besitz ergreifen, waren sie denn
schwächer als er. Und das schienen nahezu alle zu sein, denn er hatte seine
Fähigkeit erst kürzlich dazu benutzt, Belial dazu zwingen ihre Liebe auf eine
sehr kitschige Art dem Herrscher zu gestehen.
Wäre es nur das gewesen, dann hätte Luzifer vielleicht lediglich seinen Kopf
geschüttelt und gebeten, dass man ihn in Ruhe ließe. Aber die andere Person,
die heute neben Luzifers Sohn auf der Anklagebank saß, war eindeutig die
seltsamste Gestalt, die man je in der Hölle erblickt hatte. Zuerst hatten es
viele Dämonen für einen Scherz gehalten, dass Luzifer persönlich sich mit
einem Menschen ab gab. Noch dazu mit einem Geist. Jedoch hatten bald alle zu
spüren bekommen, dass die Pläne und Launen des Menschen weitaus gemeiner,
teuflischer und grässlicher waren, was ein Dämon sich je hätte ausdenken
können.
Deswegen waren Nanatsusaya alias Kira Sakuya, keiner wusste, wie ein Sohn
Luzifers zu so einem Rufnamen kam, und Kato – den Namen traute sich inzwischen
keiner mehr laut auszusprechen – zum gefürchtetsten Duo in der ganzen
Unterwelt geworden.
Ihr geliebter Herrscher ertrug die Katastrophen mit einer Geduld, wie sie keiner
vermutet hätte. Er hatte seinen neu angestrichenen Thron (Regenbogenfarben) mit
einem 'grauenhaft' kommentiert und sich dann darauf gesetzt. Er hatte lediglich
eine Augenbraue gehoben, als einer seiner Diener ratlos fragte, wo er denn
'Pizza Extra Large mit viel Käse' her bekommen könnte, da die jungen Herren,
wie Kato und Kira nur noch genannt wurden, sie bestellt hätten. Selbst als ein
Bote von der Erde eine ganzen Haufen Gras gebracht hatte, hatte er nicht
großartig reagiert. Vermutlich weil ihm schleierhaft war wie ein Geist Gras
rauchen wollte.
Nun jedoch waren die jungen Herren wohl zu weit gegangen.
Sehr verständlich, wie einige fanden, denn es hatte sich auf einmal eine
Botschaft in der Unterwelt verbreitet, dass der Herrscher eine neue Frau suche.
Sie solle nackt vor ihm erscheinen und beweisen, dass sie ihm gute sexuelle
Dienste leisten könnte. Prompt wurde der Herrscher der Hölle von allerhand
Frauen umlagert, wobei auch Männer darunter waren, und wollten einfach nicht
mehr gehen.
Es hatte eine Weile gebraucht bis Luzifer die Übeltäter gefunden hatte,
schließlich er hatte die Frauen (und Männer) loswerden müssen, die ihn
verfolgten, da sie nicht darüber aufgeklärt worden waren, da der Herrscher
eben nicht 'zu haben' war. Entdeckt hatte Luzifer die jungen Herren dann
zwischen den wartenden (nackten) Frauen, wo sie in ihrer Geistform deren Körper
kommentierten und die beste Stripshow ihres untoten Lebens hatten.
„Was habt ihr also zu eurer Verteidigung zu sagen?“, grollte Luzifer
gepresst.
Er besah sich die beiden Übeltäter, welche er zwecks ihrer mangelnden
körperlichen Form in einem Pentagramm eingefangen hatte, sodass Kira und Kato
sich keinen Schritt rühren konnten. Selbst in dieser Lage schienen sie sich
eher darüber zu ärgern, dass sie stehen mussten, als das sie sich über ihre
Strafe oder Luzifers Laune Sorgen machten.
„Äh … uns ist langweilig?“, sprach jetzt Kato gelassen, als wäre es
selbstverständlich. „Hier unten gibt es ja nichts zu tun.“
Kira war intelligent genug, nichts zu sagen. Jedoch schien er es ähnlich zu
sehen.
„Das ist auch der einzige Grund, warum ich eure Seelen nicht hier und jetzt
vernichte. Ihr zwei seid unterbeschäftigt und lasst euch allen möglichen
Scheiß einfallen.“
Keiner außer Luzifer wusste, dass er ihre Seelen nicht vernichten konnte. Er
hatte es probiert. Doch Kato wurde immer noch durch Alexiels Feder beschützt,
schien außerdem noch von woanders Energie her zu bekommen, während Kira leider
immer noch ein Teil seiner selbst war und im Laufe der Zeit dafür gesorgt
hatte, dass Luzifer ihn nicht einfach so wieder unterdrücken konnte. Da schien
Kato ebenfalls ein Antrieb zu sein. Luzifer wusste nämlich, dass Nanatsusaya
sofort alle Schuld auf sich nehmen würde, denn Kato war einfach nicht in der
Lage irgendetwas anderes zu tun, als die Pläne auszuhecken.
Ohne Körper ging das einfach nicht.
„Glaubt allerdings ja nicht, das ich euch ohne Strafe davon kommen lasse“,
sprach Luzifer und schnippte mit den Finger, sodass das Pentagramm mit Kira und
Kato verschwand und er sich selbst in einer dunklen Wolke auflöste.
Es blieb eine Schar von geschockten Dämonen zurück, die nun allesamt wirklich
nicht wissen wollten, an welchen Ort der Grausamkeit Luzifer nun die armen
Teufel hinbringen würde. Allerdings fragten sie sich auch, was seit dem Tod
Gottes aus ihrer Hölle geworden war.
-
Kato und Kira hatten beide scharf die Luft eingezogen, als sie mit Luzifer
verschwanden. Wer wusste schon, wo sie wieder aufwachen würden. Als die
Dunkelheit wieder verschwand, lösten sich sogar die magischen Siegel mit denen
Luzifer sie schließlich eingefangen hatte. Ein Unterfangen, was selbst für den
Träger der Vier Schwingen nicht einfach gewesen war, da Kato und Kira den
Vorteil hatten Geister und damit nicht stofflich zu sein. Die Hetzjagd hatte ihn
das ein oder andere Mal dazu gezwungen vor einer Wand halt zu machen, durch
welche die beiden Übeltäter lachend verschwunden waren.
Am Ende war jene - fast erfolglose – Hetzjagd das gewesen, was ihn so wütend
gemacht hatte. Frustrierend konnten sie sein, die zwei Teufel. Sie hatten
eindeutig zu viel Energie und das musste sich jetzt schnell ändern, dachte
Luzifer.
„Kacke, wo sind wir denn nun?“, fragte Kato und sah sich um.
Sie waren offenbar nicht mehr in der Hölle. Es fehlte die konstante Wärme, die
selbst als Geist zu spüren war. Außerdem fehlten die konstanten Geräusche der
beschäftigten Dämonen in Luzifers Burg. Hier war es still.
Vollkommen still.
Kato richtete sich auf, eben so wie Kira. Irgendwie kam ihm dieser Ort bekannt
vor. Vor ihm erblickte er Luzifer, der ihm den Rücken zu gewandt und den Kopf
gehoben hatte. Kato folgte dem Blick.
Und erstarrte.
„Heilige Scheiße!“, rief er. „Enra-oh?“
„Wer bitte?“, fragte Kira neben ihm. „Muss ich den Typ kennen oder warum
redet Luzifer mit ihm?“
Kato trat einen Schritt zu Kira heran, der ebenso wie er selbst, ein Geist war.
So wie immer, wenn er gerade keinen Körper besetzt hatte. Er lehnte sich zu ihm
und meinte dann leise, weil er nicht wollte, dass der alte Enra auf ihn
aufmerksam wurde.
„Wir sind im Hades, das Reich der Toten“, erklärte er und Kato fand es
lustig Kira mal etwas erklären zu können. In der Regel war er der Dumme, den
Kira belehren musste. „Das da oben ist Enra-Oh, König wie er sich nennt. Er
herrscht hier und richtet über die Menschenseelen, die hier täglich ein und
aus gehen.“
Kato war stolz auf sich. Genau zugehört hatte er Uriel bei seinen Erklärungen
nicht immer, aber das hatte er behalten.
„Er ist ein Arschloch“, grollte Kato an Kira gewandt. „Er hat mich rein
gelegt, als Setsuna hier ankam. Wollte, dass ich Setsuna töte, aber wir sind
bei Uriel gelandet. Der hat uns gesagt, wie wir Enra dazu benutzen können, um
Setsuna den Ausgang zu öffnen.“
„Ihr macht ja sogar noch im Reich der Toten Unfug“, kommentierte Kira
grinsend.
Kato zuckte nur mit den Schultern.
„Ich hoffe, Luzi-chan lässt uns nicht hier mit dem Alten allein. Damals habe
ich den Schmelztiegel mit den Seelen aufgestoßen. Enra dürfte nicht gut auf
mich zu sprechen sein. Am Ende muss ich die eigenhändig wieder einfangen.“
„Ist vielleicht sogar seine Absicht“, mutmaßte Kira, der etwas derartiges
Luzifer durchaus zutraute.
„Oh bitte, bloß nicht“, jammerte Kato und wollte schon fort fahren als Enra
Stimme herunter hallte.
„KOMMT GAR NICHT IN FRAGE, LUZIFER“, donnerte der König der Töten. „ICH
WERDE URIEL NICHT RUFEN, NUR WEIL DU DEINE KINDER NICHT UNTER KONTROLLE
HAST!“
Kato und Kira sahen sich gegenseitig an. Dann wandten sie ihren Blick zu Enra
und dem Herrn der Hölle. Während Enra äußerst wütend schien, schien Luzifer
eher gelangweilt als davon beeindruckt.
„Ich rate dir es zu tun, Enra“, meinte Luzifer teilnahmslos. „Du weißt
genau, dass ich dir mehr Ärger machen kann, als irgendjemand sonst. Ich könnte
meine Erzdämonen zur Erde schicken oder dir hier ein paar Dämonen Seelen hier
lassen. Du wirst am Ende doch tun, was ich will.“
Enra schien weise genug zu sein, um Luzifers Aussage ernst zu nehmen. Er grollte
und tobte, dennoch konnte Kato bald genug einen der Tenku Boten entdecken, die
den Kontakt zwischen dem Totenreich und Uriel herstellten, wenn der gerade nicht
im Hades war.
Aus der Wand, wo Enra-Ohs Kopf hervorragte, trat eine geflügelte, recht
hübsche Frau. Sie breitete ihre Flügel aus und hatte wohl ihre Anweisungen
bereits erhalten, denn sie stieß sich ab und flog über die Köpfe der drei
Anwesenden hinweg.
„Hübsch“, meinte Kira, als er die großen, nicht wirklich bedeckten Brüste
sah.
Kato knurrte und schenkte Kira einen bösen Blick.
„Lass dich nicht einlullen. Das ist nur eine Illusion. Tenku sind im Grunde
verdammt hässliche Kreaturen mit großen Schnäbeln. Sie verstecken es nur und
fressen sogar häufig Leichen von Engeln, wenn sie welche finden. Außerdem sind
sie Enra-Oh hörig. Selbst Uriel benutzt sie nur, wenn er keine andere Wahl
hat.“
„Ihh“, meinte Kira nur. „Kann ja dann echt hässlich werden im Bett. Stell
dir vor du wisst ne Braut küssen und dann hat die so ein Ding im Gesicht.“
„Kira“, fauchte Kato wütend, weil er nicht ernst genommen wurde. Da wusste
er schon mal was und was dann? Dann machte Kira es lächerlich. „Ich küss dir
gleich was ganz anderes.“
Kira lachte nur und verstummte erst, als Luzifer sich zu ihnen umdrehte.
„Was?“, fragte er.
Luzifer warf den zwei Teufeln nur einen missbilligenden Blick zu, doch Enra-Oh
grollte.
„VERSCHWINDET VON HIER. HIER WIRD URIEL SOWIESO NICHT AUFTAUCHEN. UND NEHMT
DEN BLONDEN BLO? MIT, DER MACHT NUR ÄRGER.“
Luzifer schenkte dem König der Toten an der Wand keinen Blick mehr, sondern
ging nur voran. Als er sich auf Kira und Kato zu bewegte, erinnerten die zwei
sich daran, dass Luzifer vor ein paar Minuten noch sehr wütend ausgesehen
hatte. Sie blieben stocksteif stehen und wagten nicht einmal zu atmen (was sie
als Geister sowieso nicht nötig hatten), da Luzifers dunkelgraue sie fixierten.
„Kato...“, meinte Luzifer nach einer Weile langsam.
„Äh...ja?“, fragte der unsicher. Würde er jetzt sterben? Diesmal richtig?
Ade du schöne Welt.
„Bring uns zum Weltenbaum.“
„Hä?“
Kato verstand nicht so recht.
„Bring uns zum Weltenbaum“, wiederholte sich Luzifer mit einem Seufzen.
„Uriel wird dort warten und du kennst dich im Hades besser aus als wir.“
„Klar, ihr seid ja schließlich noch nie hier gewesen...“, meinte Kato
hämisch. „Wisst ja gar nicht, was für ein geiles Gefühl es sein kann zu
sterben.“
Luzifer schüttelte nur den Kopf und deutete Kato voran zu gehen. Er musste die
beiden Gestalten unbedingt loswerden. Eine Weile länger würde er sie noch
ertragen können. Zwar kannte er den Weg zum Weltenbaum wirklich nicht, aber
wenn er geflogen wäre, dann hätte er ihn nach einer Weile sehr wohl gefunden.
Er war schließlich nicht irgendwer, aber Kato und Kira konnten nicht fliegen.
Nicht in dieser Gestalt.
Langsam folgte er den beiden, die sich – trotz ihres ungewissen Schicksals –
schon wieder von dem Schrecken erholt hatten, womöglich pulverisiert zu werden.
Doch da dies jetzt unwahrscheinlich schien, kam die gute Laune (und damit der
Unsinn) sehr schnell zurück. Doch sie hielten es locker, denn ihre
Gesprächsthemen drehten sich um die nackten Frauen, die sie hatten begutachten
dürfen.
„Also ich weiß ja nicht Kira“, meinte Kato gerade. „Eine Frau mit drei
Brüsten...“
„Sie ist ein Dämon, was erwartest du?“, fragte Kira lässig zurück, die
Hände in den Hosentaschen vergraben. „Die war immerhin besser, als die mit
den Hörnern auf den langen Kopf. Stell dir mal vor die bläst die einen.“
„Himmel, da wird man ja aufgespießt, sobald die den Kopf senkt!“, entfuhr
es Kato.
Luzifer entfuhr nur ein weiteres Seufzen. Bald würde es besser werden. Sollten
sich andere, um deren Einfälle kümmern. Waren das jetzt nur sie selbst oder
kam das, weil sie die letzten Jahre auf Assiah verbracht hatten? Wenn ja, war
die Jugend von heute schlimmer als Luzifer es erwartet hätte.
/Bald bin ich sie los/, dachte der Träger der vier Schwingen. /Ich muss nur
Uriel überzeugen./
Und das ohne Gewalt, leider. Drohungen würden hier nicht viel nützen, denn
zwar hatte er genug Macht um den Hades zu betreten und wieder zu entkommen, aber
dennoch war er lebendig und dies war zu dem Uriels Reich. Sich hier mit dem
Wächter der Erde und dem Engel des Todes anzulegen, war etwas, das nicht einmal
Luzifer wagen würde. Überhaupt wäre wohl niemand so verrückt.
/Außer Michael vielleicht. Der würde das fertig bringen./
-
Auf dem Weg wurden sie immerhin nicht von Ghoulen belästigt, stellte Kato
zufrieden fest. Lag wohl an Luzifers dunkler Aura, dass sie ihnen nicht zu nahe
kamen. Inzwischen konnte er sich gegen sie wehren, doch störend wäre es sehr
wohl gewesen. Gerade jetzt, wenn er Uriel wieder sehen würde.
/Was Meisterchen, wohl für ein Gesicht machen wird?/, fragte sich Kato, als der
Wald sich lichtete und der Weltenbaum in Sicht kam.
Er war noch immer so riesig wie zuvor und der Astralsee lag genau so wie zuvor
still und scheinbar friedlich da. Dennoch wusste Kato, um seine Gefahren.
„Wie kommen wir jetzt darüber?“, fragte Kira. „Schwimmen?“
Kato schüttelte den Kopf.
„Das wäre nicht klug. Wir müssen auf Uriel warten, damit er den Baum bittet
für uns eine Wurzel zu heben. Nur so können wir rüber laufen.“
„Das heißt wir müssen hier warten bis Uriel auftaucht?“, fragte Kira und
als Kato nickte, fügte er hinzu: „Wie lange?“
„Nicht allzu sehr“, antwortete eine tiefe Stimme anstelle von Kato und neben
Kira materialisierte sich Uriel.
Der sprang zuvor ein Stück zurück, als plötzlich sogar jemand neben ihm
stand, der sogar noch größer war als er. Passierte nicht häufig, besonders
wenn es sich dabei nicht um irgendeine dämonische Abart handelte. Aber er
erkannte auf den ersten Blick, dass es Uriel war. Er hatte ihn in Luzifer
Erinnerungen und auch in denen von Setsuna gesehen, als der wiederbelebt worden
war.
Das lange schwarze Haar, die dunkle Haut und die braunen Flügel. Ja, das war
Uriel.
Der Erdengel schien sie alle zu mustern, besonders Luzifer. Er schien nicht
gerade darüber erbaut zu sein, in seinem Reich den Herrn der Hölle
vorzufinden. Dazu noch herbestellt, wie ein Untergebener. Scharf sah Uriel
Luzifer an und der nächsten Sekunde hielt er seine Sense in der Hand.
„Was willst du hier Luzifer?“, fragte Uriel fast gepresst. „Du tauchst
hier auf und zwingst Enra-Oh dazu mich zu rufen, als wäre die Hölle los.“
„Im Grunde genommen ist das sogar so“, meinte Luzifer fast normal und machte
keine Anstalten zu kämpfen, obwohl ihn die Sense wirklich verletzten könnte.
Dann deutete Luzifer mit dem Daumen auf Kira und Kato, die sich schnell zur
Seite bewegt hatten. Geister oder nicht, bei einem Kampf bei zwei derart
gefährlichen Gestalten sollte man lieber vorsichtig sein.
„Ich will die da“ - das 'die klang' mehr als nur abfällig - „hier
abliefern. Sie machen in der Hölle nur Ärger und sie fallen eher in deinen
Zuständigkeitsbereich.“
Zum ersten Mal schenkte Uriel den zwei Geistern Beachtung. Der eine war eine
Kopie von Luzifer, nur ein wenig menschlicher. Und das andere … Uriel stockte.
„Kato?“, rief er überrascht.
Mit zwei schnellen Schritten hatte er die Distanz zwischen ihnen überbrückt
und ihn bei den Schultern gepackt. Kato starrte zu Uriel hinauf. Er konnte den
Blick nicht deuten. War Uriel etwa nicht erfreut ihn zu sehen. Gerade wollte er
etwas sagen, da wurde er in eine feste Umarmung gezogen. Kato wurde gegen Uriels
Brust gedrückt und er fühlte, wie die großen starken Hände über seinen
Rücken strichen.
„Mei...ster?“, stammelte Kato vorsichtig in Uriels Kleidung hinein und
irgendwie erwiderten seine Arme die Geste Uriels von selbst, sodass er sich an
dem großen Engel festhielt.
„Ich bin so froh, dass es dir gut geht“, flüsterte Uriel zu Kato, der die
Augen aufriss.
Seine letzte Begegnung mit Uriel hatte im Streit geendet, weil Kato lieber mit
in den Kampf ziehen, als in den Hades zurück kehren wollte, weil sein Körper
nach und nach hinüber war. Tief drinnen hatte er Angst gehabt, dass Uriel ihm
das übel nahm oder gar ihn hasste.
„Uriel“, brach es aus Kato hervor.
Er hatte nicht damit gerechnet. Auch hatte er keine Ahnung, was er jetzt tun
sollte. So viel Fürsorge und Aufmerksamkeit hatte er in seinem gesamten Leben
nicht von seiner Familie erhalten. Aber er hatte doch schon früher
festgestellt, dass Uriel einfach nur der Beste war.
„Heißt das...“, begann Kato und sah zu Uriel auf, „du bist nicht
sauer?“
Uriels Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er schien für einen Moment
zu überlegen, warum er sauer sein sollte, dann begriff er. Lächelnd
schüttelte er den Kopf und legte Kato beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Nein, Kato“, sagte der Erdengel. „Ich bin nicht sauer. Du wolltest das
tun, obwohl du dachtest, dass es dein Tod wäre. Ich habe diese Entscheidung
respektiert, obwohl die Möglichkeit bestand, dass ich dich nie wieder sehen
werde.“
Erleichtert schlich sich ein Grinsen auf Katos Gesicht.
„Geil, gibt’s jetzt was zu futtern?“, fragte er.
„So schnell noch nicht“, donnerte Uriel. „Denn ich will schließlich noch
erklärt haben, was der da“, Sense zeigte Luzifer, „und das da“, Sense
schwenkte zu Kira, „bei mir zu suchen haben.“
Kato war schon Uriel nach hinten geschoben worden, um aus dem Weg zu sein,
sollte es zum Kampf kommen. Der Blick des Blonden wanderte von dem Erdengel zu
dem Höllenfürsten und entschied, dass er sich besser schleunigst verdrücken
sollte.
Das war einfach nur merkwürdig.
xxx
Hm, bemerkt man Nasedas Einfluss?
Ich denke schon. Egal, ich habe diese FF in meinem Blut, so oft habe ich sie
gelesen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn sämtliche Kira-Kato-Uriel Szenen
ein wenig unengelhaft sind. Hab's nicht geschafft die nötige Dramatik mit
einfließen zu lassen, weswegen eine große Portion Humor mit drin ist.
Das nächste Kapitel wird zwischen Nummer 9 und 10 eingefügt, da ich der
Frustration halber vor ein paar Monaten den letzten Teil von 'Leben und Sterben'
übersprungen habe. Zur Erinnerung: Setsuna liegt im Sterben.
mangacrack
Chroniken der Finsternis - Des Teufels Herz
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Kommentar: Dies ist jetzt der letzte Teil von 'Chroniken der Finsternis', wenn
auch ein wenig anders, als ich ihn geplant hatte. Dadurch, dass Setsuna das
Schicksal von Kato und Kira im letzten Teil von 'Leben und Sterben' voraus
genommen hat, wollte ich nicht auch noch das im Detail aufführen. Deswegen die
kleine Plan Änderung. Zeitlich gesehen, spielen die Interlude allerdings noch
bevor Michael entdeckt, dass er gewachsen ist.
Nur damit keine Verwirrungen auftreten.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 15 - Des Teufels Herz::
„Luzifer scheint uns wirklich zu hassen“, ächzte Kato. „Selbst die Hölle
war nicht so schlimm wie das hier.“
Kira stimmte Kato aus vollem Herzen zu. Es war wirklich grausam. Luzifer hatte
sie wortwörtlich in die Wüste geschickt.
Die Sonne brannte auf ihre Köpfe hinab und auf dem Metall des Jeeps, in dem sie
fuhren, hätte man Würstchen braten können. Nur leider hatten sie keine. Kira
trat erneut auf der Gaspedal und donnerte über die Sanddünen dahin. Die
Sonnenbrille, die er sich aufgesetzt hatte, verhinderte, dass er geblendet
wurde. So würde er weniger schnell müde werden. Denn so gerne er auch eine
Pause gemacht hätte, sie mussten das nächste Dorf noch vor Einbruch der Nacht
erreichen. Sie hatten schon gemerkt, dass es nachts hier arschkalt wurde.
Außerdem konnten sie schneller nach Hause zurück, je eher sie den dummen
Dämon getötet hatten, der sich in einer Kirche eingeschlossen befand, welche
vor Jahrtausenden unter dem Sand begraben worden war. Ausgerechnet den sollten
sie töten beziehungsweise zu Luzifer zurück bringen.
Grässlich.
„Du kannst mich auch mal fahren lassen“, schlug Kato gerade vor und Kira sah
seinen Freund nur kurz an, ehe er sich an die Stirn tippte.
„Es muss uns schon der Himmel auf den Kopf fallen, damit ich dich ans Steuer
lasse“, sagte Kira.
Sie mochten zwar irgendwie tot und doch lebendig sein, anerkannt als
persönliche Helfer von Lord Luzifer selbst und dank Uriels Hilfe so gut wie
unsterblich, aber unter keinen Umständen würde er Kato ans Steuer lassen.
„Ey, man“, beschwerte sich Kato und strich seine Haare zurück. „Ich bin
genauso alt wie du und ich KANN Auto fahren. Außerdem sind hier ja noch nicht
einmal Straßen.“
„Du bist erst seit ein paar Monaten unsterblich“, meinte Kira streng. „Ich
bin es schon seit ein paar Jahrhunderten. Also behaupte nicht, wir wären gleich
alt, auch wenn das äußerlich so erscheinen mag. Und JA, ich weiß, dass du
Auto fahren kannst, aber bei unserem Glück setzt du das Auto an den ersten
Baum, den du finden kannst.“
„Baum?“, hackte Kato nach. „Meine Fresse wir sind in der Wüste, man. Hier
hat's keine Bäume.“
„Gerade eben“, gab Kira gleichgültig zurück und legte noch einmal einen
Zahn zu. Der Fahrtwind war das Einzige, was ein wenig kühlte. Seit Kato und er
wieder so etwas wie menschenähnliche Körper hatten, waren auch einige der
nachteiligen Eigenschaften zurück gekehrt, wie Hunger, Durst oder
Hitzeempfinden. Aber das war immerhin noch besser, als Körperlos die Hölle zu
durchstreifen.
Neben ihm ächzte Kato nur und sich ließ zurück in den Sitz fallen.
-
Sie hatten das Dorf, dass an einer Oase lag, doch tatsächlich noch erreicht.
Überraschte hatte sie die Größe des Dorfes. Es war eine kleine Stadt, weil
hier anscheinend öfter Leute durchkamen. Ein Handelstützpunkt seit Urzeiten,
wie es schien. Kira hätte es nicht mehr egal sein können und lehnte sich an
das Geländer der Vorterrasse des Motel, in dem sie unter gekommen waren, genoss
die Kühle der hereinbrechenden Nacht. Er nippte an seinem Kaffee und starrte in
die Wüste hinaus. Die weiten Sanddünen hatten sie hinter sich gelassen, jetzt
war mehr Stein und Geröll zu sehen, wo immer er auch hinblickte. Am Horizont
erhoben sich die Berge.
Die Landschaft sah schon fast gespenstisch aus. Kira erinnerte sich, dass eines
von Alexiels Leben in ähnlicher Umgebung stattgefunden hatte. In der Wüste zur
Trockenzeit, als junge Frau, die kaum Rechte und einen qualvollen Tod erlitten
hatte. Er war damals ein Krieger gewesen. Ein Beduine, wenn er sich recht
erinnerte. Doch das war schon so lange her.
„Irgendetwas stimmt da draußen nicht“, sagte jetzt jemand neben ihm.
Kira blickte zur Seite und sah in Katos Gesicht. Anscheinend hatte er geduscht,
denn die Haare waren nass und hingen ungebändigt herab. Das blonde Haar wirkte
in einer Gegend wie dieser fremdartig, denn Kato hatte sich geweigert sich ein
neues Gesicht zu zulegen, auch wenn ihnen ein wenig zu viel Aufmerksamkeit
verschaffte. Nun nahm Kato ihm den Kaffeebecher aus der Hand und trank den Rest
des Gebräus. Essen und Trinken mussten sie eigentlich nicht mehr, aber sie
taten es trotzdem nach Lust und Laune. Nur mussten sie darauf achten, dass sie
nicht zuviel davon nahmen, weil sie sonst zu menschlich werden könnten. Uriel
hatte erklärt, dass ihre Körper sich nicht an Nahrung gewöhnen durfte. Dinge
wie Hunger, Durst, Kälte und Hitze waren Dinge, die ihnen ihr Verstand
größtenteils vorgaukelte, aber für sie nur zu einem geringen Teil real waren.
„Ich weiß“, antwortete Kira nun und griff abwesend nach seinem Schwert.
„Ich fühle es auch, auch wenn es noch ein ganzes Stück ist. Der Dämon ist
mächtig und vergiftet diese Gegend.“
„Und wir sollen ihn töten“, grummelte Kato. „Kann Luzifer nicht besser
auf seine Leute achten?“
Konnte er vermutlich, dachte Kira. Aber er war nun mal für einige Zeit
verhindert - versiegelt in ein Schwert - gewesen und einige Dämonen hatten sich
das zu Nutze gemacht. Sie sahen nicht ein, warum sie dem Befehl des Fürsten
nach so langer Zeit noch folgen sollten. Als Zeichen, dass Luzifer noch genauso
stark wie früher war, musste er dafür sorgen, dass Deserteure bestraft wurden.
„Er muss beweisen, dass es noch mächtige Leute gibt, die hinter ihm
stehen“, erklärte Kira seinem Freund, der sich immer noch nicht die Mühe
gemacht hatte, sich für die politische Vorgänge der Hölle zu interessieren.
„Deswegen schickt er uns. Geht er selber, wirkt es nur, als würde er
versuchen gewaltsam die Hölle zu übernehmen.“
„Kann er doch, warum macht er es nicht?“, fragte Kato irritiert. „Ist ja
nicht so, als wenn ihn einer daran hindern könnte.“
„Das nicht, aber wenn Luzifer es nicht schafft die Hölle zu einigen und sie
zu regieren, könnte das Krieg geben. Wenn die Engel sich nicht einig sind, ist
das eine Sache“, sagte Kira. „Aber Engel würde ja auch nicht auf die Erde
stürmen und soviel Chaos wie möglich anrichten, nur weil es jemanden gibt, dem
sie nicht folgen wollen.“
Kato schnaubte.
„Großartig. Heißt aber nicht, dass wir deswegen besser dran sind.“
„Nein.“
Aber mit Strafe von Seitens Luzifer war zu rechnen gewesen. Warum sonst hätte
er sie sprichwörtlich in die Wüste geschickt? Einen gewissen Grund musste es
ja haben. Hoffte er jedenfalls.
-
Einige Tage später allerdings war sich Kira dem mysteriösen Grund Luzifers
nicht mehr so sicher.
„KACKE“, hörte er Kato rufen, gleich nachdem der Dämon mit einer
Energiewelle auf den Blonden gezielt hatte.
Die verdammte Kirche hatten sie recht einfach gefunden, die dunklen Wellen des
Dämons waren nicht zu verfehlen gewesen, was ihnen zumindest die Suche erspart
hatte. Leider war es schwerer gewesen Informationen über den Dämon zu
bekommen, der sich in der Kirche eingeschlossen hatte, sobald ihm gewahr wurde,
dass Luzifer Leute geschickt hatte, die ihn töten sollten. Jetzt war der Dämon
zum Angriff über gegangen, da er realisiert hatte, dass die Handlanger keine
Erzdämonen, sondern nur Menschen waren.
„Ihr Würmer“, donnerte der Dämon gerade und begann sie mit großen Steinen
zu bombardieren. „Glaubt ihr wirklich, dass ihr mich töten könnt? Mich? Der,
schon ein Dämon war bevor ihr verdammten Menschen Assiah bevölkerten? Eure
Rasse wird untergehen und ICH werde dem nachhelfen!“
Kira biss sich auf Lippen, um den Dämon nicht zu korrigieren, dass sie eben
keine Menschen waren. Glauben konnte er das ruhig, es verschaffte ihnen einen
klaren Vorteil. Nur leider konzentrierte sich der Dämon auf Kato und nicht auf
ihn. Dabei hatten sie ausgemacht, dass Kato den Dämon aus der Ferne ausschalten
sollte, damit Kira ihm den Kopf absäbeln konnte. Denn zum Glück hatte Kato
Uriels Todesmagie nicht verlernt und selbst die einfachen Tricks waren schon
nützlich.
Doch dazu musste der Dämon mit IHM, Kira, das Duell bestreiten, nicht mit Kato.
„Verdammt“, fluchte Kira und duckte sich, als ein Gesteinsbrocken aus dem
Gewölbe der Kirche stürzte und ihn beinahe unter sich begrub. Lange würde das
alte Gebäude, das noch aus der Zeit der Heiligen Kriege stammen musste, nicht
mehr halten.
Er begann sich von hinten an den Dämon anzuschleichen, um Katos ach so tollen
Masterplan auszuführen. 'Das Herz raus reißen, den Kopf abschlagen und dann
die Leiche verbrennen', hatte der Blonde gesagt. 'Irgendetwas davon muss ja
funktionieren. Hat's in Filmen ja auch immer.' Leider hatte Kira keinen besseren
Plan gehabt, sodass sie sich damit zufrieden geben mussten.
Jetzt wünschte sich Kira, dass nicht Katos Devise 'reingehen, Dämon töten,
rausgehen' gefolgt wären. So schnell wollte Kira nicht wissen, was passierte,
sollte er sterben. Trotz der irren Heilungsrate, die ihre Körper hier unten auf
der Erde hatten, da die Kraft der Elemente hier tausend Mal stärker war, als im
Himmel, im Hades und der Hölle zusammen. Eigentlich hatten sie nichts zu
befürchten, aber bei ihrem Glück...
Doch Kira zwang sich, sich auf den hässlichen, gehörnter Dämon zu
konzentrieren, der normalerweise kein Problem wäre, hätte er nicht tausend
Jahre Energie gesammelt, die nun auszubrechen drohte. Nun war er nah genug.
„Sterbt!“, schrie der Dämon, aber inzwischen mit Panik in der Stimme, weil
die zwei Gestalten – von denen einer aussah wie Luzifer selbst – immer
näher kamen.
Kira erkannte, dass das ihre letzte Chance war den Dämon zu töten, bevor sich
die gesamte Energie auf einen Schlag entladen würde. Er sprang hoch,
überschlug sich und trennte mit einer gezielten Schlag den Kopf des Dämons von
seinem Hals. Gleichzeitig, so sah er, hatte Kato sein eigenes Schwert geworfen,
dass er von Uriel erhalten hatte, sodass nun Herz und Kopf gleichzeitig
vernichtet worden waren. Blut spritzte und Kira war nicht schnell genug, um dem
Schwall zu entgehen, der sich über ihn ergoss.
Zuckend viel der Körper des Dämons vorne über.
„Igitt“, meinte Kira nur, als er sein Schwert zurück in die Scheide
steckte.
Kato kam gerade auf ihn zu und zog seine Waffe aus dem Körper des Dämons
heraus. Netterweise ließ sich Katos Schwert als Taschenmesser tarnen, sodass
sie in dieser Hinsicht ein Problem weniger hatten. Die meisten Menschen hatten
schon ein Problem damit, dass er Nanatsusaya nicht zurück lassen konnte und es
fast überall mit hin schleppte.
„Du siehst vielleicht aus“, meinte Kato, als er jetzt näher trat und mit
seinem Fuß den Dämon anstupste, um sicher zu gehen, dass der auch wirklich tot
war.
Kira warf Kato nur einen bösen Blick zu. „Lass uns gehen, ich will
duschen.“
„Klar, hast du Feuer?“
„Hä?“, fragte Kira. „Willst du jetzt eine rauchen? Dafür ist der Ort ein
wenig unpassend.“
Kato rollte nur mit den Augen. „Nein, ich will den da“, sagte er und zeigte
auf den Dämon, „nur verbrennen, um sicher zu gehen, dass er uns keinen Ärger
mehr machen wird.“
Kira griff in seine Hosentasche und zog eine Schachtel Streichhölzer hervor.
Doch leider... „Oh, alle zerbrochen. Muss vorhin mal drauf gefallen sein.“
„Na toll und was jetzt. Ich werde bestimmt nicht zum Auto und zurück latschen
nur um dieses Ding hier zu verbrennen.“
„Gut, dann gehe ich.“
„Spinnst du? Willst du mich mit dem alleine zurück lassen?“
„Und was dann? Willst du zwei Stöcke solange aneinander reiben, bis sie Feuer
fangen?“
„Warum denn nicht?“
Kira grollte. Großartig. Wirklich.
„Vielleicht kann ich aushelfen?“, erklang auf einmal eine Stimme von oben
und Kira wie Kato zogen erschrocken ihre Schwerter. Eigentlich waren sie alleine
gewesen. Doch beide erstarrten simultan, als sie sahen wer genau oben auf einem
Balken im Gewölbe der alten Kirche saß und äußerst amüsiert schien.
„Michael!“, riefen die Söhne Luzifers.
Der Fürst der Lichts grinste nur und hob dann die Hand um ihnen zu zuwinken.
„Hi!“
-
Kira und Kato wussten beide nicht was die davon halten sollten. Sie befanden
sich mehrere Meter unter der Erde, in einer tausend Jahre alten Kirche, irgendwo
in der Wüste, hatten gerade einen Dämon getötet und über ihnen thronte der
Fürst des Lichts.
„Äh...“, brachte Kato hervor. „Auch hi?“
Er kannte Michael wenigstens ein bisschen besser als Kira, welcher Michael
persönlich nie richtig kennen gelernt hatte. Nur aus Erinnerungen von Luzifer
und die eine Begegnung, als Setsuna in Alexiels Körper auf de Erde mit ihm
gekämpft hatte. Sie zuckten zusammen, als Michael sich abstieß und langsam
herunter schwebte. Argwöhnisch sah er sie an, als er schließlich direkt vor
ihnen landete.
„Das ist wirklich interessant. Da will man auf Dämonenjagd gehen, schleicht
sich sogar aus dem Himmel und bevor man etwas zu tun bekommt, ruinieren einen
Totengeist und ein Schwert meinen Spaß.“
Kato nicht behaupten, dass er nicht nervös war. Er hatte Michaels Temperament
zu Genüge kennen gelernt und wenn er auch nur ein bisschen wie sein Bruder war,
dann war es wahrscheinlich, dass sie jetzt tief in der Scheiße steckten.
„Aber ihr habt mir eine viel zu schöne Vorstellung geboten, als dass ich euch
deswegen böse sein könnte“, sagte Michael dann nach einem Moment und klopfte
Kira auf die Schulter.
Der atmete schnaufend aus. Jetzt noch gegen Michael antreten zu müssen, wäre
hässlich geworden.
„Das habt ihr für das erste Mal sogar richtig gut gemacht“, meinte Michael
und nickte wohlwollend. Dann schnippte er mit den Fingern und der Dämon ging in
Flammen auf. „ Eure Zusammenarbeit war perfekt, nur ihr solltet nicht so
rücksichtsvoll mit Dämonen wie diesen sein. Das könnte irgendwann ins Auge
gehen.“
Kira starrte den rothaarigen Engel an, der sie behandelte, als wären sie
Kollegen, die sich auf der Arbeit über den Weg gelaufen waren.
„...danke“, meinte Kira dann schließlich, weil er sich Glück nicht
herausfordern wollte.
„Keine Ursache“, meinte Michael fröhlich und griff nun nach seinem Schwert.
„Aber jetzt solltet ihr eure Ärsche hier raus bewegen. Die Kirche ist zu
verunreinigt, als das man sie stehen lassen kann und ein bisschen körperliche
Aktivität für heute muss sein. Also raus hier, wenn ihr nicht erschlagen
werden wollt.“
Das ließen sich Kira und Kato nicht zwei Mal sagen. Sie rannten so schnell es
ging zum Ausgang, weil Michael bereits begonnen hatte mit seinem Schwert in der
Kirche zu randalieren. Hinter ihnen hörte sie, wie bereits ein Teil des
Dachstuhls herunter kam. Als sie das Tor passiert hatten und das Auto
erreichten, sprang Kira herein und ließ den Motor an. Er wollte in sicherer
Entfernung sein, wenn Michael die Kirche im Erdboden versinken ließ.
Das Donnern hinter ihnen, ignorierten sie beide, bis Kato irgendwann meinte:
„Glaubst du es war Zufall?“
„Was?“, fragte Kira und nahm jetzt ein wenig den Fuß vom Gas.
„Das Michael ausgerechnet da war, wenn wir es waren. Er hätte überall seinen
können, aber stattdessen...“
Kira zuckte mit den Schultern.
„Die Aura des Dämons war nicht zu über spüren. Vielleicht hat man ihm im
Himmel Bescheid gegeben, dass ein versiegelter Dämon dabei ist auszubrechen.
Wir waren eben nur schneller.“
„Ja, ist wahrscheinlicher, als...“, sagte Kato, brach jedoch ab.
„Als was?“, hackte Kira nach.
Kato wedelte mit der Hand. „Nichts. Nur ein dummer Gedanke.“
„Wenn du meinst“, antwortete Kira und steuerte das Auto zurück zu dem Dorf.
Am Horizont begann die Sonne aufzugehen, sodass keine Menschenseele es bemerkte,
als in einer Feuerball eine alte Kirche in Flammen aufging und zu Staub
verbrannte.
-
/War das jetzt wirklich real?/, fragte sich Kira später, als sie zurück in dem
Motel waren. Kato schlief bereits und pennte in ihren Bett, aber er konnte nicht
schlafen. Er war müde genug, aber dennoch wollte der Schlaf nicht einsetzen,
egal wie oft er die Augen schloss. Deswegen saß er jetzt wieder draußen auf
der Terrasse und beobachtete den Sonnenaufgang.
Der Kampf gegen den Dämon war eine Sache, aber Michaels Auftauchen. Kira musste
Kato recht geben, dass es seltsam war, doch es war nur Zufall.
/Ja, nichts weiter als ein Zufall./
„Kleine Jungs sollten um diese Zeit schlafen“, sagte Michael, der plötzlich
wie aus dem Nichts neben ihm auftauchte. „Besonders wenn sie anstrengende
Kämpfe mit hässlichen Dämonen hinter sich haben.“
Diesmal erschreckte sich Kira nicht. Dafür er war zu müde. Außerdem hatte er
halb damit er gerechnet, dass Michael noch einmal auftauchen würde.
„Was willst du?“, meinte er mürrisch.
„Nachsehen, ob es euch zwei jungen Teufeln gut geht“, sagte Michael ernst.
Er stand neben Kira und hatte sich offenbar teleportiert. Hier auf Assiah
konnten hochrangige Engel das und als Element fiel es Michael sicherlich nicht
sonderlich schwer ein wenig Energie der Erde dafür zu gebrauchen.
„Warum gehst du davon aus, dass wir Teufel sind?“, fragte Kira und schloss
die Augen, weil er so müde war. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ihm die
Aussage vielleicht alarmiert, doch nun hatte er nicht mehr die Kraft um sich
darauf zu konzentrieren.
„Weil Luzifer euch hierher geschickt hat, oder etwa nicht?“ Da Kira nur
geistesabwesend hm-te, sprach Michael weiter. „Gut. Genau genommen ist Kato
ein Totengeist und du ein Schwert, aber dein Freund hat immerhin eine Seele.“
„Worauf willst du hinaus?“, meinte Kira schlaff, weil er jetzt so müde war,
dass er hier und jetzt hätte einschlafen können. Seine Augen konnte er nicht
mehr öffnen, vielleicht sollte er besser hier draußen schlafen?
„Gar nichts“, meinte Michael leise, als er sah wie das halbe Dasein namens
Nanatsusaya in den Schlaf glitt. Nach wenigen Momenten hob sich dann der
Brustkorb des Dunkelhaarigen regelmäßig. Er war im Sitzen eingeschlafen.
Michael schüttelte den Kopf und musste sein Lächeln verbergen. Er hockte sich
hin und presste seine Hand auf Kiras Brust, griff nach dessen Energie und
schmolz dessen mit ein wenig von seiner zusammen. Als er fertig war, schlug
genug von seinem Feuer ins Kiras neuem Herzen, um darauf mit der Zeit eine
eigenständige Seele entwickeln zu können.
„Ihr seid witzig“, meinte Michael, als er zufrieden auf Kira unter sah.
„Es wäre schade, wenn sich das so schnell ändern würde, nur weil Luzifer
nicht richtig auf euch acht gibt. Außerdem wird es ihn ärgern, wenn er merkt,
dass er euch, insbesondere dich, nicht mehr los wird. Durch dein neues Herz wird
er dich nicht mehr verschlingen könnten.“
Er schwieg kurz, dann lachte Michael: „Glückwunsch zur neuen Existenz.“
Darauf drehte Michael sich um und lief dem Sonnenaufgang entgegen. Nach ein paar
Schritten flimmerte die Luft, um ihn herum und der Bruder des Höllenfürsten
verbarg sich in den Strahlen der Sonne. Irgendwann blickte er noch einmal
zurück, als er seine Hände in den Taschen vergrub, und für einen Moment die
tief schlafende Gestalt betrachtete, die wie sein Bruder aussah. Dann drehte
Michael sich um und setzte seinen Weg fort.
„Kinder!“
xxx
Wooohoo! Endlich zu Ende. Denn dies war jetzt der letzte Teil von 'Chroniken der
Finsternis'. Weniger Andeutungen, als ich es haben wollte, doch dass Michael
Kira ins Bett bringt, führt dann wohl ein bisschen zu weit, dachte ich mir.
Stellt es euch vor...
Harhar … Michael ist zurück.
Doch was meint ihr: war das Treffen Zufall oder nicht...?
mangacrack
Wort und Wind - Das Schweigen der Toten
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Kommentar: So, nun kehren wir wieder richtig in den Himmel zurück. Bevor es
richtig losgeht, muss ich noch einen Punkt abarbeiten, weil ich zuvor schon so
halb erwähnt habe. Aber keine Sorge Michael wird mit dabei sein, auch wenn es
nicht UM ihn geht. Aber das hindert ihn ja nicht daran sich einzumischen. Oh,
und um nur noch mal daran zu erinnern: Kapitel "Acht" war 'Mächte des Feuers'
... nur falls sich jemand wundert, warum da unten plötzlich neun steht! Es
liegen eben noch die Interlude dazwischen.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 16 - Das Schweigen der Toten::
Uriel saß in seinem Büro und rieb sich den Hals, ehe er zu einem Glas Wasser
griff. Sein Hals schmerzte immer häufiger und er war sich sicher, dass es mit
den Stimmbändern zu tun hatte, die er einst selbst zerstört hatte. Sie hatten
über die Jahre über immer mal wieder weh getan, aber nie so geschmerzt wie
jetzt. Uriel betrachtete den Stimmensimulator, den verwendete seit er wieder im
Himmel war. Er gab zu, dass er scheuerte, doch er wollte sich nicht Blöße
geben und jemandem zeigen, dass es ihm schwer fiel das Ding weiterhin zu
benutzen.
Ganz einfach weil alles früher oder später drauf hinaus lief, dass Raphael es
sehen würde. Und das wollte er jetzt nun gar nicht.
Uriel grollte und widmete sich wieder seinen Papieren. Es gab viel zu tun, denn
alle Verurteilungen, die Sevothtarte getroffen hatte, besah man nun mit Skepsis
und zweifelte, ob wirklich alle das Schicksal verdient hatten, dass sie erhalten
hatten. Also war es jetzt seine Aufgabe alle Akten neu durch zu gehen. Seine
Mitarbeiter beschäftigten sich mit den normalen Fällen, die der
Gerichtsvollzieher geleitet und unterschrieben hatte. Er hatte die leidliche
Aufgabe alle Papiere durch zu gehen, wo Sevothtarte seine Macht missbraucht und
heimlich seine Unterschrift drunter gesetzt hatte, sodass keiner Fragen würde.
Bei einigen Gefangenen konnten sie sicherlich Nachsicht wallten lassen, weil es
entweder Rebellen oder unschuldige Zivilisten waren, die dem weißen Diktator
ein Dorn im Auge gewesen waren, doch für jene, die getötet worden waren oder
denen man die Flügel abgehackt hatte, konnten sie nicht mehr viel tun. Denn ein
Ghoul war ein Ghoul und es brauchte seine Zeit bis aus ihnen wieder normale
Seelen wurden. Im Groben und Ganzen: ein Haufen Arbeit also. Auch bezweifelte
Uriel, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wäre er geblieben. Doch
vielleicht hätte er Zaphikel sein Schicksal ersparen können?
°Nein°, sagte Uriel zu sich selbst. °Über solche Dinge denkt man besser gar
nicht erst nach...°
Was geschehen war, war geschehen. Besser er konzentrierte sich auf die
Gegenwart, die bereitete ihm genug Probleme. Unruhen im ganzen Himmelreich, eine
unorganisierte Hölle, die sich nicht sicher war, ob sie ihren Fürsten zurück
wollte und schließlich noch … Michael. Der Engel, von dem keiner wusste, was
er plante. Nicht einmal Raphael, wobei sich die Lage wieder soweit verbessert
hatte, dass die beiden wieder miteinander redeten. Auch wenn Uriel bezweifelte,
dass sie sich ausgesprochen hatten.
Raphael konnte sehr verschlossen sein, wenn es darum ging über Dinge zu reden.
Es war ihm wahrscheinlich lieber, die Dinge nonverbal zu erledigen. Darauf zu
hoffen, dass die Dinge sich von selbst einrenkten, weil Worte alles zerstören
könnten. Aber wer wäre er, das er über Raphael richten würde? Es bräuchte
nur einen Satz, um Raphael zu bitten sich den Hals wenigstens einmal anzusehen,
trotzdem tat er es nicht. Doch warum nicht? Aus Stolz vielleicht? Uriel hätte
es gerne geglaubt, doch ihm war bewusst, das es die Angst vor der Zurückweisung
war.
Schließlich hasste Raphael ihn noch immer und da sie im Moment recht normal
miteinander umgingen, wenn sie sich begegneten – was nicht sonderlich häufig
war – wollte er das nicht aufs Spiel setzten. Michaels Verhalten gab ihnen
einen Gesprächsthema, sodass sie irgendwann nicht zwangsläufig auf die Dinge
stießen, die wieder den Hass zwischen ihnen schüren würde. Sie vertraten nun
mal beide gewisse Ansichten, von denen sie beide wussten – nicht nur glaubten
– dass sie wahr und richtig waren. Nur die Überzeugung eines Anderen zu
akzeptieren war nicht gerade die Stärke der Elemente. Sie würden immer das
bleiben, was sie seit Anbeginn gewesen waren.
„Feriel“, rief Uriel laut nach seinem Vertreter und benutzte dafür seinen
Stimmensimulator.
Sofort kam der Engel herein gehuscht, der das Büro nebenan hatte, damit sie
sich bei Unstimmigkeiten schnell absprechen konnten.
„Ja, Uriel-sama?“, fragte Feriel, nachdem er sich verbeugt hatte.
„Bitte schick nach Michael“, ordnete Uriel an und ignorierte Feriels
Zusammenzucken, „In meinem jetzigen Fall geht es um einen seiner Soldaten und
es geht schneller, wenn er mir berichtet, was los ist, als wenn ich die Akten
dazu raus suchen muss.“
„Jawohl, Uriel-sama. Doch...“, kurz zögerte Feriel, ehe er fragte,
„...was soll ich tun, wenn Michael-sama sich weigert?“
Uriel zuckte nur mit den Schultern.
„Sag ihm, dass er sonst einen Berg Papierkram von mir bekommt, an dem er
ersticken wird, wenn er nicht bald hier auftaucht.“
Als er Feriels von Angst erfülltes Gesicht sah, winkte Uriel beruhigend ab.
„Keine Sorge, er wird kommen. Vielleicht nicht sofort, aber das ist in
Ordnung. Doch es gibt immer noch nichts, was Michael mehr mehr hasst, als sich
um unwichtigen Papierkram vergangener Jahrhunderte zu kümmern.“
Feriel verneigte sich zum Abschied, sah aber immer noch etwas nervös aus. Ihm
war es nicht ganz geheuer Michael bei was auch immer stören zu müssen. Damit
hastete der Engel aus dem Zimmer seines Vorgesetzten, doch wären seine Gedanken
nicht bei der Tatsache gewesen, dass er mit Michael persönlich reden musste,
dann wäre ihm vermutlich aufgefallen, dass der Engel der Erde sich den Kopf
hielt und mit zitteriger Hand nach dem Wasserglas griff.
-
Uriel ächzte und versuchte das schwindlige Gefühl in den Griff zu bekommen,
dass ihn auf einmal erfasst hatte. Er strich sich die Haare aus der Stirn und
fasste sich an den Kopf. War es seine Einbildung oder fühlte er sich warm an?
Nein, es war sicherlich nur die Wärme in dem Zimmer. Am besten er stand auf und
öffnete das Fenster. Das Unterfangen erwies sich jedoch als schwieriger, als er
gedacht hatte, denn kaum hatte er sich aus dem Sessel erhoben, schon kehrte der
Schwindel zurück.
/Verdammt/, fluchte Uriel. /Ich werde doch jetzt nicht.../
Die paar Schritte bis zum Fenster wirkten wie eine gefährliche Ewigkeit und als
es Uriel endlich schaffte, die Fenster aufzureißen, zog er tief die Luft ein.
Nur um dann röchelnd zusammen zu brechen und sich an den Hals zu fassen! Etwas
drückte auf seine Brust und machte ihm das atmen schwer.
Uriel hustete und japste, um seinen Hals frei zu bekommen, doch er befürchtete,
dass es nicht so einfach gehen würde. Anstatt abzuklingen, wurde es immer
schlimmer. Schnell zog Uriel seinen Kragen herunter, um wenigstens das Gefühl
zu haben, mehr Luft zu bekommen, doch das Ergebnis war erbärmlich. Es war nicht
viel, nur gerade genug, um nicht zu ersticken.
/Ruhe, ich muss Ruhe bewahren/, ermahnte sich Uriel. /Es bringt jetzt nichts, in
Panik zu geraten./
Uriel zwang sich dazu so kontrolliert und regelmäßig wie möglich zu atmen.
Trotzdem vibrierte seine Brust jedes Mal, wenn seine Lungen sich weiteten und
unterließ einen stechenden Schmerz in seinen Seiten. Als der Husten zurück
kam, wurde es nicht wirklich besser, aber diesmal war Uriel vorbereitet und
stand den Anfall irgendwie durch bis er wieder zu Ende war. Allerdings zitterten
seine Hände danach, so stark, dass Uriel dachte sie schüttelten jedes Gefühl
heraus, dass er in ihnen hatte. Ein hässliches Kribbeln erfasste sie und Uriel
fragte sich, ob sie eingeschlafen waren. Es fühlte sich genauso an, genauso
grässlich und jede Bewegung begann weh zu tun.
Uriel probierte die Hand zur Faust zu ballen, aber er hatte kaum Kontrolle über
seine Hände. Wie lange würde es dauern, bis es sich auf seinen gesamten
Körper ausbreiten würde?
/Ich muss hier raus/, dachte der Erdengel nun leicht panisch. Er begann zu
begreifen, dass das nichts kurzfristiges war. Es würde nicht einfach so
verschwinden. Mit kleinen Schritten bewegte er sich vom Fenster weg und auf die
Tür zu. Es waren eigentlich nur ein paar Meter, doch auf einmal kam ihm die
Distanz so riesig vor, dass ihm der Gedanke kam, dass er es niemals schaffen
würde. Schon als er seinen Schreibtisch erreicht hatte, musste er sich
abstützen. Uriel griff nach der Kante des Tisches wie ein Verdurstender nach
einem Glas Wasser. Warum war er so kurzatmig?
/Luft!/, dachte er verzweifelt. /Ich kriege keine Luft!/
Und diesmal wurde es nicht wieder besser. Es brachte nichts, dass er versuchte
ruhig und tief einzuatmen.
/Was passiert hier? Was ist der Grund, dass...?/
Uriel stürzte auf die Knie, als er sich nicht länger auf den Beinen halten
konnte. Er griff sich an den Hals und fummelte an seiner Kleidung. Er brauchte
Luft! Ein Ratschen sagte ihm, dass er sein Hemd zerrissen hatte, doch das war
jetzt egal. Seine tauben Finger bekamen seinen Hals zu fassen und selbst in
seinem Zustand konnte er fühlen, dass er heiß war. So heiß, dass er brannte!
Uriel hustete und diesmal erbrach Blut auf den Teppich.
/Hilfe! Was...?/
Als seine Finger über seine alte Narbe strichen, kam Uriel die Erkenntnis woher
der Anfall und der Luftmangel kommen konnte. Seine alte Wunde! Er hatte sich
schließlich mit eigenen Händen seine Stimmbänder herausgerissen. Seine
Fingernägel hatten sich nach Alexiels Verurteilung tief in sein Fleisch
gebohrt, weil er sich selbst und seine Fähigkeit nicht länger ertragen konnte.
So wie jetzt, hatte das Blut über seine Finger geronnen und der Schmerz war
immer größer geworden. Es wurde schwarz um Uriel herum und er konnte nicht
einmal mehr sagen, ob es der Schmerz war, der ihn fast erblinden ließ oder ob
er wegen Luftmangels in Ohnmacht glitt.
/Ich hätte doch zu Raphael gehen sollen/, dachte Uriel, als er sich nicht mehr
aufrecht halten konnte und seitwärts zu Boden fiel. /Doch bis mich jemand
findet, wird es zu spät sein!/
-
Michael trampelte den Gang entlang, so wütend, dass seine schweren Stiefel
selbst auf dem dicken Teppich noch ein deutliches Geräusch hinterließen,
obwohl der normalerweise alles verschluckte. Feriel, Uriels Assistent, war
hinter ihm, mit einem großen Sicherheitsabstand und das sicherlich zu Recht!
Wie konnte Uriel es wagen ihn zu sich zu ordern, wie einen dummen Erzengel? Er
war ein Element, verdammt. Niemand, fuck, niemand bestellte ihn zu sich! Der
einzige Grund, warum er wirklich zu Uriel ging, um ihm sein Büro abzufackeln
zusammen mit seinem so hoch wohl geehrten Papierkram!
„Dieser Mistkerl“, fluchte der Feuerengel und riss die Tür zu dem Vorraum
auf hinter dem Uriels Büro lag. „Dieser verfickte Mistkerl!“
Er war heute morgen schon mit schlechter Laune aufgestanden und dann wagte es
Uriel ihn zu sich zu bestellen, als er die erste Flasche Korn des Tages köpfen
wollte! Er hatte seit mehreren Tagen oder gar Wochen keinen Alkohol mehr
getrunken, die letzte Dämonenjagd war auch schon Ewigkeiten her und neben dem
ganzen anderen Scheiß – wie Raphi's Eindringen in seine Privatsphäre - jetzt
auch noch das!
„Der kann jetzt was erleben!“, knurrte Michael und ging in Angriffsstellung,
als er auf die Bürotür zu stapfte.
„Michael-sama“, rief nun Feriel von weiter hinten. „Bitte klopfen sie
vorher an!“
Klopfen? Michael würde Uriel ein Klopfen geben!
Verdammt wütend trat Michael einmal kräftig gegen die dicke Holztür und das
sogar so heftig, dass sie ohne weiteres Zutun aufsprang.
„URIEL, DU VERDAMMTER DRECKSSACK VON EINEM MÄNNLICHEN MOHRHUHN“, schrie
Michael, kaum das er den Raum betreten hatte, „WIE KANNST DU ES
WAGEN...hu?“
Michael blickte auf die große Gestalt am Boden. Zuerst sah er nur lange
schwarze Haare, die das Gesicht verdeckten, doch sein Gehirn erkannte die Person
auch so. Mit einem Satz war Michael neben Uriel auf den Knien gelandet und
drehte ihn auf den Rücken.
„Uriel?“, rief er, um zu testen ob der Erdengel ansprechbar war.
„Uriel?“
Er blickte in das schmerzverzerrte Gesicht und ein Teil von ihm konnte einfach
nicht glauben, was hier geschah. Was war mit Uriel passiert? Michael ging in
seinem Kopf die Möglichkeiten durch. War er angriffen worden? Das Fenster stand
offen! Doch ein prüfender Blick nach draußen sagte ihm, dass da nichts war!
Was also … Michael Blick fiel auf Uriels Hände, die an dem Hals des Erdengels
lagen.
„Scheiße“, fluchte Michael und hielt zwei Finger an die Kehle seines alten
Freundes.
/Komm schon/, dachte er. /Komm schon, Uriel.../
Er hatte schon so oft erlebt, dass Soldaten den ersehnten Puls des Lebens nicht
mehr hatten, doch Uriel konnte nicht tot sein! Das hätte er doch gefühlt,
besonders bei der Nähe. Michael schloss die Augen und konzentrierte sich.
Bomb ... bomb … … Bomb …
Erleichterung machte sich in Michael breit, als er den schwachen Herzschlag
spürte.
„Uriel-sama?“, rief nun Feriel hinter ihm. „Was ist mit ihm?“, richtete
der Stellvertreter Uriels die Frage an Michael. „Soll ich Hilfe rufen?“
Michael deutete Feriel still zu sein, der Angst erfüllt auf den Erdengel
starrte. Er lag so leblos da und … bei den Mächten des Himmels! Er atmete
nicht! Michael musterte Uriel und entschied dann. Er hatte keine Zeit zu
verlieren. Mit einer starken Astralwelle sprengte Michael kurzerhand die Wand
vor ihm.
„Michael-sama, was tun sie da?“, rief Feriel, als ihm die Bruchstücke der
Mauer um die Ohren flogen und er durch seine Arme sah, die zu seinem Schutz vor
das Gesicht gehoben hatte, wie der Feuerengel Anstalten machte, seinen
Vorgesetzten hoch zu heben. „Wir müssen einen Arzt rufen!“
„Dazu ist jetzt keine Zeit!“, schrie Michael zurück und kämpfte sich in
die Höhe, Uriel auf seinen Armen tragend.
Der Erdengel war zwar groß und schwer, doch Michael wusste, dass er es schaffen
konnte. Seine Feuerwaffen waren ähnlich unhandlich und er vertraute diesen
Quacksalbern nicht, die als erstes hier sein würden. Als er stand, beschwor er
alle körperliche Kraft die er hatte und breitete seine Flügel aus.
„Michael-sama“, rief Feriel wieder, der dachte, dass Michael unter Uriels
Last zusammen brechen würde.
„Geben sie Raphael Bescheid, dass ich ihm mit Uriel bringe“, orderte Michael
an. „Ansonsten schafft er es nicht. Als Element kann er einige Minuten unter
Sauerstoffmangel überleben, das würden die Mächte in ihm nicht anders
zulassen. Doch wenn wir warten bis Raphael hier ist, ist es zu spät!“
Mit diesem Worten stieß Michael sich ab und flog zum Fenster hinaus. Er fühlte
wie Uriels Last ihn drohte nach unten zu drücken, aber er erwischte den
richtigen Aufwind, den er brauchte. Zum Glück befand sich Raphaels Klinik in
derselben Schale, ansonsten könnte es selbst für ihn eng werden. Michael
fluchte, als er mit den Flügel schlug und seine Geschwindigkeit beschleunigte.
Er hatte bereits unendliche viele Soldaten nach einer Schlacht auf diese Art und
Weise transportiert, doch es war etwas anderes, wenn einem ein verdammt alter
Freund gegen die Brust lehnte. Und das mit einem ausgerissenen Hemd, wo Michael
eine sehr hässliche Narbe sehen konnte.
/Wo hat er die her?/, fragte er sich, als er einen Bogen flog, um im Wind zu
bleiben. /Hat er dadurch seine Stimme verloren?/
Er war kein Arzt so wie Raphael, aber er hatte genügend Kämpfe miterlebt, um
zu wissen, dass eine derartige Wunde am Hals eher der Schlachtung von Tieren
ähnelte, die man langsam ausbluten ließ. Doch immerhin schienen die
Halsschlagadern noch in Ordnung zu sein. Dennoch machte ihm das Blut in Uriels
Mundwinkeln und auf seinem Hemd Sorgen. Waren es die Stimmbänder? Oder der
Kehlkopf?
„Scheiße“, fluchte Michael. „Stirb mir hier nicht weg, Uriel!“
Langsam, unendlich langsam nach Michaels Auffassung, kam das Krankenhaus in
Sicht. Michael hielt sich nicht damit auf, auf dem Vorplatz landen, er schwebte
einfach über die ersten Gebäude hinweg und landete direkt im Hof. Mit seinen
Augen hielt er Ausschau nach Raphael, denn mit Sicherheit hatte er entweder
bereits den Anruf von Feriel erhalten oder er hatte seine Sorge durch ihre
Verbindung gespürt. Michael atmete erleichtert auf, als er sah wie Raphael,
dicht gefolgt von Barbiel und einer Armada von anderen Ärzten und Helfern, auf
den Hof rannte. Michael setzte auf dem Asphalt des Hofes auf und stöhnte
leicht, als er sich wieder aufrichtete, um Uriel Raphael entgegen zu tragen, der
ein sehr entsetztes Gesicht machte. Offenbar hatte er nicht gewusst, dass es
sich um Uriel handelte, den Michael bringen würde.
„Was ist passiert“, fragte Raphael in einem fachmännischen Ton.
„Er atmet nicht und hat offenbar Blut gespuckt“, antwortete Michael mit
derselben Stimme, wie er seine Truppen befehligte. „Ich habe ihn her getragen,
weil er es ansonsten nicht geschafft hätte. Seine Lebensenergie scheint
blockiert. Es ist entweder die Halswunde oder eine geistige Angstreaktion auf
die Atemnot, die er vorher gehabt hatte. Ich und Feriel haben ihn
zusammengebrochen in seinem Büro gefunden.“
Raphael nickte und half Michael Uriel auf eine Rollbahre zu hieven. Doch von
allen Anwesenden war er vielleicht der Einzige, der nicht allzu überrascht
über Michaels körperliche Stärke schien.
„Danke“, sagte er und rauschte dann mit den Ärzten davon.
Michael ging ihnen langsam hinterher. Er begriff erst jetzt richtig, was
vorgefallen war und dass Uriel um sein Leben kämpfte. Das hatte er fühlen
können. Das Feuer in seinem Geist, das in jedem lebendigen Wesen steckte, war
da gewesen, doch etwas – irgendetwas – drückte Uriel immer wieder zurück
in den dunklen Abgrund. Michael ließ sich auf der Bank nieder, die an der Wand
gegenüber des Operationssaals angebracht war und atmete tief ein und aus, als
er sich zurück lehnte. Er konnte nur hoffen, dass Raphael seine Schwierigkeiten
mit Uriel solange beiseite schieben konnte, bis der geheilt war. Zwar zweifelte
er nicht an der Professionalität des Arztes in Raphi, aber sie Elemente waren
stets sehr sensibel gegenüber.
Unterschwellig mochte vielleicht das Problem zwischen Raphael und Uriel – was
auch immer es war – ein Hindernis zu Uriels Genesung sein.
/Reiß dich ja zusammen, Raphael/, sagte Michael zu dem Arzt in Gedanken. Er zog
die Beine auf die Bank und stützte sein Kinn auf seine über kreuzten Arme, die
nun auf seinen Knien ruhten. /Wehe du lässt zu, dass Uriel etwas passiert!/
Es war zwar nicht so, dass er wählen könnte, selbst wenn er es müsste, doch
Fakt war, dass Uriel ihm genauso wichtig war, wie Raphi selbst. Weil er als
Feuer Wind und Erde zugleich brauchte. Und wenn er ehrlich war … er hatte
Uriel die vergangenen Jahrhunderte verdammt vermisst, auch wenn er das nie
jemandem gegenüber zugeben würde. Raphi war sein Freund, der
ich-bin-jeden-Tag-für-dich-da-Kumpel, doch Uriel … war der an den er sich
anlehnen konnte, wenn er genug hatte. Jemand, der deswegen nicht gleich ein
riesigen Fass aufmachen würde. Uriel würde es nur still schweigend akzeptieren
und dann heimlich nachfeuern.
/Holz und Feuer.../, dachte Michael. /Schweigen und Feuer. Stille und Feuer./
Er war normalerweise niemand, der das Schweigen mochte – weil Feuer stets
knisterte - doch Uriel war irgendwie stets der Inbegriff dessen gewesen.
Seltsamerweise störte ihn es nicht, wenn es still war, solange Uriel das
Schweigen symbolisierte. Es war ein anderes Schweigen, als das, dass jetzt in
dem leeren Gang vor dem OP Saal herrschte. Die weißen Lampen an der Decke
schienen zu flackern, doch vielleicht war es auch einfach nur seine Einbildung.
Plötzlich war für Michael alles, was er vorgehabt hatte, nicht mehr so
wichtig.
Jetzt zählte nur noch Uriel, der auf der anderen Seite der Tür gegen das
Schweigen des Todes kämpfte.
--- - --- - --- - --- - --- - --- - --- - ---
Zwei Tage *hust* … zwei Tage habe ich für dieses Kapitel gebraucht. Zwei Tage
im Abstand von zwei Monaten. Großartig. Irgendwie ist es deprimierend. Aber
immerhin war Michael zum Großteil des Kapitels anwesend. Danke fürs Lesen.
Lasst mir doch 'nen Kommentar da.
Was denkt ihr, wird mit Uriel passieren?
mangacrack
Wort und Wind - Das Blut meiner Bestie
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Kommentar: Glaubt ihr wirklich, dass ihr Uriel umbringen könnte? Ich denke
nicht, dass ich das könnte. Dann würde Kato mit mir schimpfen *zu viel 'Hinter
Gittern! Bishis im Knast gelesen hat* … allerdings ist die Gefahr noch nicht
ausgestanden. Mal sehen, wie lang dieses Kapitel wird, ich muss schließlich 'ne
Menge hier rein kriegen. Die Elemente müssen sich wieder einkriegen. Schuld an
der ganzen Episode ist übrigens die Szene, wo Uriel zu Setsuna sagt, dass
Raphael ihn hasst und seine Wunde wahrscheinlich aus Prinzip nicht heilen
würde. Ich fand das interessant, also wurde es mit aufgenommen. Auch wenn es
die Geschichte, um etwa drei Kapitel länger gemacht hat.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 17 – Das Blut meiner Bestie::
Lange Zeit gab es für Michael nur der Schlag deines Herzens und das Summen der
roten Lampe über der Tür des Operationssaals. Minute um Minute blieb sie
geschlossen und nichts passierte. Vielleicht verhöhnte die Tür ihn auch, sagte
ihm, dass er nichts tun konnte, außer da zu sitzen.
Michael grollte und zog die Beine an, sodass er seine Ellbogen auf seine Knie
legen konnte. Es war eine kauernde Haltung, die eigentlich vermied, weil sie ihn
noch kleiner als üblich machte, doch so konnte er am besten nachdenken. Seine
Nase drückte gegen das Fleisch seines nackten Unterarms und wieder einmal
bemerkte Michael, dass dieser komplett Haarlos war. Weiß wie Marmor, glatt wie
poliertes Metall und weich durch die Hitze, die sich darunter verbarg. Gereizt
ließ Michael seinen Nacken knacken, als er seinen Hals hin und her bewegte. Es
war kein guter Zeitpunkt darüber nachzudenken, ob der mangelnde Haarwuchs an
seinem Körper der Hitze seines Feuers oder seiner Jugend zu verdanken waren.
Fest bohrten sich Michaels Hände in seine Schultern und er hielt sich an, nicht
mit seinen Zähnen in sein Fleisch zu beißen. Uriels unbekannter Zustand war
noch nicht genug nein, warum musste auch noch Luzifer ihn so rastlos machen. In
Uriels Fall hatte er nicht das medizinische Wissen um ihm zu helfen, doch er
konnte sich auf Raphael verlassen. Raphael würde Uriel nicht unter seinen
Händen sterben lassen. Doch bei Luzifer konnte ihm keiner helfen.
Doch er musste es zu Ende bringen. Er musste einen Schritt nach vorne tun.
Diesen Zustand zwischen Abwarten und Zweifel hielt er nicht länger aus.
Altbekannter Ärger wallte in Michael auf und drohte durch die Oberfläche zu
brechen. Es war eine rote, gewaltige Feuerbrunst ihn ihm, die er nur mühsam
herunter kämpfen konnte. Sie wollte heraus und er konnte sie kaum eindämmen,
weil der Großteil von ihm dem Drang einfach nachgeben wollte. Weil es einfacher
war. Weil er das Feuer fühle und verstand. Es war die wilde Bestie in ihm. Die
Bestie, die nach Blut schrie und das aus so vielen Gründen. Sie ernährte sich
von Wut, Zweifel, Hass, Angst, Ärger, Freude … und sie war immer hungrig. Sie
fraß alles, was sie bekommen konnte und wuchs in seinem Inneren heran. Doch
auch, wenn er sie loslassen würde, sie befreite, würde sie nicht verschwinden.
Sie war das Feuer, dass was seine Augen so gefährlich färbte.
Michael seufzte und legte seine Stirn auf seinen Armen ab. Auf ein Mal fühlte
er sich müde. Es war nicht nur die Sorge, um Uriel, die seinen Verstand besetzt
hatte, sondern auch der tägliche Kampf gegen das Feuer, den bewusst führte
seit er den Messias kennen gelernt hatte. Jener Messias, der ihn darauf
hingewiesen hatte, dass er sich nicht wie ein Kind verhalten sollte. Jener
Messias, der seine Welt komplett verdreht hatte.
Statt das Feuer hinter sich zu haben, es in seinem Rücken zu fühlen und es
hervor zu holen, wenn es ihm danach verlangte, stand er nun davor. War gezwungen
sich das anzusehen, was er war. Was in ihm brannte.
Es war falsch zu sagen, dass er Angst vor sich selbst hatte. Er fürchtete sich
nicht vor dem Feuer, egal wie heiß oder hoch es auch sein mochte. Er war das
Feuer. Er hatte nicht vor sich selbst Angst.
Nein, das Einzige, das er fürchtete war, dass eines Tages zu weit gehen
könnte.
Dass er Raphael, Jibril und Uriel mit in dem Abgrund reißen würde, der ihn
erwartete. Tag für Tag kämpfte er gegen die Dunkelheit. Und Jahrzehnt für
Jahrzehnt wurde im immer mehr bewusst, dass er Teil davon wurde. Teil von dem,
was er bekämpfte. Irgendwo fragte sich Michael, ob er in seinem Inneren bereits
ein Teufel war. Würde Asche haften bleiben, wären seine Flügel schon lange
schwarz. Oder rot, im Falle von dem Blut derer, die er getötet und ihr Adern
aufgeschlitzt hatte.
„Wenn einer der Fürst des Lichts war, dann warst du es Michael“, hatte
Luzifer gesagt.
Doch hatte Luzifer recht?
Michael kannte seinen Bruder besser als sich selbst. Er wusste, dass Luzifer
freiwillig gefallen war und nicht, weil Gott es ihm befohlen hatte. Hätte
Luzifer gewollt, hätte er in den Himmel zurück kehren können. Er hätte
wieder der Fürst des Lichts werden können, der einst gewesen war.
Doch Luzifer wollte nicht.
Michael vergrub sein Gesicht in seinen Armen.
Luzifer wollte nicht das Licht sein. Weil er diese Position genauso fürchtete,
wie er selbst.
„Ihr habt in mir einen Heiligen gesehen, der nicht war“, hatte Luzifer
gesagt.
Natürlich war Luzifer kein Heiliger. Ganz gewiss nicht war.
Aber warum sollte er dann einer sein?
„Ich bin doch keiner“, murmelte Michael erschlagen. „Ich bin auch kein
Heiliger, Nii-san. Wieso willst du dann, dass ich das werde, was du nicht
ertragen konntest zu sein?“
„Michael?“, fragte jemand vorsichtig.
Der Feuerengel schloss die Augen und atmete scharf ein. Wer wagte es jetzt ihn
zu stören?
Missmutig öffnete er ein Auge und erblickte Jibril.
Sie stand einige Meter von der Bank entfernt auf der er hockte, die Hände an
die Brust gelegt. Sie wirkte zögerlich. Eine Seltenheit bei ihr, denn Jibril
war alles andere als unsicher. Selten blieb sie stehen, weil sie Zweifel hatte.
Immer wusste sie, was der richtige Weg war.
Jetzt wirkte sie hilflos.
Ein wenig wie ihre Inkarnation Sarah Mudo, die Schwester des Messias.
Michael atmete ein Mal tief ein und aus. Dann legte er den Kopf schief und
öffnete auch das zweite Auge.
„Was ist?“, fragte er unfreundlicher, als er es eigentlich geplant hatte.
„Ich habe das von Uriel gehört. Ist es...?“
Jibril beendete die Frage nicht. Doch es zeigte Michael immerhin, warum sie so
verstört war. Jibril konnte mit vielem fertig werden. Sie konnte mit Zuversicht
und Hoffnung durch die Slums der unteren Schalen schreiten und dennoch nicht den
Mut verlieren. Wenn sie versprach, dass alles gut werden würde, dann glaubte
man ihr das. Doch sobald es, um jene ging, die ihr am nächsten standen, wusste
sie nicht mehr, was sie tun sollte.
Wenn zwei ihrer Freunde ernsthaft aneinander gerieten, hielt sie sich lieber
raus, als Streit zu schlichten, wie sie es sonst immer tat.
Weil sie Angst hatte, dass es ihre Einmischung war, die zum Untergang der
Freundschaft beitragen könnte.
Michael grunzte und deutete auf die geschlossene Tür vor ihm.
„Er ist immer noch da drin“, sagte er und deutete Jibril sich zu setzten.
„Raphael ist bei ihm.“
Langsam setzte sich Jibril in Bewegung. Für einen Moment sah sie so aus, als
wollte sie die Tür in Stücke reißen und Raphael assistieren, doch sie besann
sich. Ebenso wie Michael wusste sie wohl, dass die Kraft der Elemente nicht
immer half. Raphael hätte sie schon längst gerufen, wenn er ihre Hilfe
benötigt hätte.
Michael seufzte und ließ seinen Kopf wieder auf seine Arme sinken.
Warten war noch nie seine Stärke gewesen.
Gerade wollte er wieder in stilles Nachdenken verfallen, als Jibril ihn erneut
ansprach.
„Was ist eigentlich passiert?“, fragte sie.
Michael wollte sie an herrschen, dass das jetzt unwichtig sei, weil das sowieso
nichts ändern würde. Doch sie sah so verzweifelt aus, dass er ihre Bitte nicht
ausschlagen konnte.
„Ich habe in seinem Büro gefunden“, berichtete Michael. „Feriel hat mich
geholt. Wegen irgendwelcher Dokumente. Als ich die Tür aufgemacht habe, hat er
einfach da gelegen.“
Jibril sah ihn mit ihren blauen Augen so hoffnungslos an, dass Michael wusste,
dass er ihr alles erzählen musste. Es hatte ihr schon immer mehr geholfen alles
zu wissen, anstatt im Dunklen zu bleiben, so wie es es vorzog. Sie unterschieden
sich so sehr in solchen Dingen.
„Es war Blut überall“, meinte Michael ein wenig monoton weiter. „Auf dem
Fußboden, auf seinem Hemd und an seinem Mund. Er konnte nicht atmen. Ich hab'
ihn hoch gehoben und hab' zu Raphael gebracht. Es war nicht knapp, aber hätte
ich gewartet bis ein anständiger Arzt da gewesen wäre, wäre es vermutlich zu
spät gewesen.“
Er hörte Jibril Schweigen, als sie die Informationen verarbeitete. Hörte sie
tief ein und ausatmen, als könnte sie dadurch ihre Sorgen und Ängste gehen
lassen. Sie nannte es Atemtechniken. Bei ihm hatte das nie funktioniert,
außerdem war ihm das zu Jedi-mäßig und das passte schon so gar nicht zu ihm.
„Michael?“, fragte Jibril wieder.
Innerlich sackte Michael in sich zusammen. Er wusste, was jetzt kommen würde.
Fast wünschte er sich, dass er kalt genug wäre Jibril ignorieren zu können,
doch er wusste, dass er das nicht fertig bringen würde. Irgendwo war sie doch
seine Schwester. Seine Einzige. Die, die manchmal versuchte über sein Leben zu
bestimmen, aber es stets nur gut meinte. Die, die jetzt trotz all der Kälte,
die hin und wieder zeigte, nur eine Frau war, die gesagt bekommen wollte, dass
alles wieder gut werden würde.
„Ja?“, fragte er und sah sie an.
„Was denkt du wieso...?“
Da war es.
Das verhasste Wort.
Wieso?
Michael musste nicht wieso. Diese Frage blieb so oft unbeantwortet. Vieles
würde unbeantwortet bleiben. Und dennoch konnten sie nicht aufhören danach zu
streben.
„Ich weiß es nicht“, meinte er und fuhr sich durch das Haar. „Uriel war
solange verschwunden und dann hat er doch mit uns gekämpft. Vielleicht ging es
ihm von Anfang an nicht gut und hat sich vorwärts gequält, wofür er jetzt den
Preis bezahlt.“
„Wieso hat er denn nichts gesagt?“, rief Jibril aus. „Wir hätten ihm doch
helfen können!“
Michael blickte Jibril verwundert an und fragte sich, ob sie das ernst meinte.
Sie redeten hier von Uriel! Mister
Ich-bin-ein-starker-Baum-mir-macht-kein-Sturm-was-aus!
Der Feuerengel unterließ es Jibril darauf hinzuweisen, dass manchmal … hin
und wieder der Stolz vielleicht größer war., als der Wunsch nach Hilfe. Oder
die Angst vor Zurückweisung, in Uriels Fall vielleicht.
„Ich meine“, sprach Jibril auf ein Mal weiter. Oder hatte sie ihn gar nicht
beachtet, sondern war in eine Art Schimpftriade versunken. „Wenn er krank war,
hätte er doch zu Raphael gehen können!“
Letzteres wohl, erkannte Michael, schnaubte dann aber bei dem Gedanken wie Uriel
Raphael um Hilfe bat.
Nein, das funktionierte nicht.
Michael unterließ es Jibril, welche einfach fortfuhr ohne auf den Feuerengel zu
achten, darauf hinzuweisen, dass gerade Uriel und Raphael nicht miteinander
konnten. Ihre Beziehung war genauso vertrackt wie seine und Jibrils. Himmel und
Erde statt Feuer und Wasser. Wobei es den kleinen Unterschied hatte, dass Uriel
und Raphael sich im Ernstfall aufeinander verlassen konnten. Bei ihm und Jibril
klappte das keineswegs.
Der Tod und das Leben arbeiteten eben enger miteinander zusammen als Zerstörung
und Erschaffung.
„Tss“, machte Michael nur abfällig.
Hier war wieder der Grund warum keiner der vier Elemente es mochte, dass sie
zusammen kamen. Fanden sie sich alle ein, kamen viel zu schnell ernsthafte
Themen an die Oberfläche, die sie alle, aber auch wirklich alle vermeiden
wollten.
„Es ist unglaublich, wie Männer manchmal...“
Jibril schimpfte immer noch. Zumindest bis Alexiel um die Ecke trat.
Michael stöhnte entsetzt.
Das Schlimme ab einem gewissen Rang war, das absolut nichts geheim blieb.
Immerhin war Rosiel und der Messias nicht hier. Die ganze Bande hätte er jetzt
nicht ertragen.
„Alexiel“, rief Jibril freudig aus und Michael beobachtete, wie sie
aufsprang und den organischen Engel innig umarmte.
„Jibril“, sagte nun Alexiel, „ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte,
als das mit Uriel gehört habe.“
„Danke, das bedeutet mir viel.“
„Keine Ursache. Uriel ist schließlich auch mein Freund.“
Michael beobachtete die beiden Frauen (Frauen!) misstrauisch. Er war jetzt
eindeutig in der Unterzahl. Jibril alleine war schon schwer genug zu ertragen,
doch Alexiel gleich mit dazu? Er und der weibliche Kriegsengel hatte nie
irgendwie eine tiefere Beziehung miteinander gehabt und bei ihre letzte
Begegnung hatte er sein Feuerschwert in ihren Magen gerammt. Zwar war Raphael
immer noch der Meinung, dass sie ihn verprügelt hätte, wäre er nicht da
zwischen gegangen, doch Michael glaubte nicht daran.
Stärker als Luzifer war Alexiel nicht und Michael würde niemals gegen
irgendwen anderen je verlieren.
Alexiel hatte nun Jibril losgelassen und sah ihn seltsam an.
„Hallo Michael“, sagte sie.
Misstrauisch verengte Michael seine Augen. Stark oder nicht, er traute dem Weib
nicht.
Setsuna war ja noch halbwegs in Ordnung, doch Alexiel? Nein, zu unberechenbar.
Das bewies jetzt schon ihre letzte Wandlung vom Kriegsengel zur Friedenstaube.
Wer sollte das bitte schön glauben? Er hatte gesehen, was sie angerichtet
hatte, als sie beim letzten Mal in den Himmel eingefallen war. Sollte er jetzt
einfach so tun, als würde er sie als Vorgesetzte akzeptieren?
Nein, gewiss nicht.
„Alexiel“, meinte er mit einem Nicken.
Mehr würde sie nicht von ihm bekommen. Doch das schien ihr zu reichen, auch
wenn Alexiel ihn noch ein wenig seltsam ansah, ehe sie sich wieder zu Jibril
wandte.
Michael stand auf und beschloss sich einen Kaffee zu holen. Oder irgendetwas zu
Trinken, damit er etwas zu tun hatte und nicht noch von den beiden Weibern
irgendwie eingespannt wurde. Und Kaffee war wohl das einzig Starke, was er hier
im Krankenhaus bekommen würde. Auch wenn ihm jetzt hochprozentiger,
vorzugsweise leicht entzündbarer Alkohol lieber gewesen wäre, doch Michael
bezweifelte, dass sie so etwas hier im Krankenhaus verkauften.
Er bog in einen etwas volleren Gang ein und entdeckte einen Kaffeeautomaten, der
einsame und alleine in einer Ecke stand. Nach einigen Versuchen erkannte Michael
auch wieso. Das Ding funktionierte nicht. Ihm entfuhr ein böses Grollen.
Kaffee war zwar kein Alkohol, aber immerhin besser als nichts.
„Äh … Michael-sama?“, sprach ihn ein Krankenhaus Angestellter an.
„Ja?“, grollte Michael missmutig zurück und trat noch ein Mal gegen den
Kaffeeautomaten.
„Ich könnte ihnen Kaffee bringen, wenn sie welchen wünschen“, bot ihm der
Pfleger (oder was auch immer der Kerl war) an.
„Ja, ich wünsche“, sagte Michael und beobachtete zufrieden, wie der Kerl
sich davon machte, um Kaffee zu holen.
„Weichei“, kommentierte er noch hinterher.
Aus seiner Sicht war jeder Mann, der den Dienst in der Armee vermied, in dem er
Sanitäter wurde und dann nicht Arzt wurde, ein Weichei. Denn nur Ärzte durften
auf dem Schlachtfeld Verwundete versorgen. Pfleger blieben am Rand oder
transportierten die Leichtverwundeten zurück.
„Bitte sehr, Michael-sama“, sagte das Weichei schließlich, als es mit der
dampfenden Kaffeetasse zurück kam. „Kann ich sonst noch was für sie tun?“
/Sorgen sie dafür, dass Raphael endlich fertig wird/, dachte Michael.
„Nein“, sagte er und machte sich auf den Weg zurück.
Manchmal hatte es doch seine Vorteile so verdammt bekannt und hochrangig zu
sein. Aber irgendwas gutes musste ja aus diesem schrecklichen Ratssitzungen ja
heraus kommen. Verstimmt, weil er wahrscheinlich noch eine ganze lange Weile
hier herum sitzen würde müssen, trank Michael die Kaffeetasse mit drei
Schlucken halb leer. Wollig bemerkte er, dass die heiße Brühe sich seine Kehle
hinunter brannte.
Ja, so hatte er den Kaffee gern.
Jeder andere wäre vermutlich mit Verbrennungen eingeliefert worden, aber
heißer Kaffee hatte ihm noch nie etwas ausgemacht. Auch wenn sich Raphael
ständig darüber aufregte, dass er sich nicht gesund ernährte. Doch sein Essen
bestand nun mal oft aus Alkohol und Fleisch. Beides in rauen Mengen, versteht
sich.
„Michael“, erlangte jetzt Jibril seine Aufmerksamkeit.
„Hm?“, machte er und packte die Tasse ein wenig fester.
Was war denn nun? Sie hatte doch Alexiel als weibliche Unterstützung. Wollte
sie sich nun auch noch an seinem Arm festhalten.
„Ja, was ist?“, fragte er missmutig.
„Uriel, er...“, begann Jibril.
Plötzlich sah Michael auf. Er blickte Jibril an, dann wanderten seine Augen zu
der Tür rechts neben ihm. Der verdammten Tür, die die ganze Zeit geschlossen
gewesen war, war jetzt … offen?
„Was ist passiert?“, bellte Michael im Kommandoton. „Wo ist Uriel?“
Denn Raum hinter der Tür war leer. Michael verfluchte sich selbst. Das war man
nur ein paar Minuten weg, um Kaffee zu holen und schon ging die Welt unter, wenn
man nicht daneben stand.
„Er...sie haben ihn weggebracht!“
„Weggebracht?“, donnerte Michael. „In seinem Zustand darf er nicht bewegt
werden! Und überhaupt wohin...“
Auf ein Mal stockte Michael. War Uriel etwa … nein. Das konnte nicht sein,
sagte sich Michael. Das hätte er bemerkt. Oder? Michael hielt sich die Stirn
und ratterte seine Möglichkeiten durch. Er war nicht halb so sensibel wie
Jibril /Luzifer sei dank!/, doch das hätte er bemerkte. Bevor Michael
allerdings das Krankenhaus auseinander nehmen konnte, meldete sich Jibril wieder
zu Worten.
„Sie haben es geschafft“, flüsterte sie.
„Bitte?“, wollte Michael wissen.
„Sie haben es geschafft“, wiederholte Jibril und wischte sich Tränen aus
den Augen. „Er ist außer Gefahr. Sie haben ihn jetzt an einen ruhigeren Ort
gebracht, damit er sich erholen kann.“
„UND DAS SAGST DU MIR ERST JETZT?“, brüllte Michael.
Irgendwo sagte ihm eine Stimme, dass es nicht fair war Jibril wie seine (wie es
überzeugt war) inkompetenten Offiziere zu behandeln, doch das kümmerte ihn
jetzt nicht. Konnte das Weib nicht einfach sagen, was passiert war?
„Tut mir Leid“, meinte Jibril. „Alexiel ist mitgegangen. Ich bin zurück
geblieben, um es dir zu sagen, damit du dir keine Sorgen machst, wenn du zurück
kommst und uns nicht vorfindest.“
Sorgen?
Michael schnaubte. Er hätte das Krankenhaus auseinander genommen, wenn er
zurück gekommen wäre und niemand wäre da gewesen. Er zwang sich zur Ruhe.
„Wo sind sie jetzt?“
„Wer?“
„Uriel“, meinte Michael gepresst, um nicht doch auszurasten.
Er hatte vergessen, dass Jibril nicht immer ganz Krisen fest war und sie
regelmäßig Kommunikationsprobleme miteinander hatten.
„Äh...keine Ahnung“, gestand Jibril.
Uh...Michael schwankte kurz und stürzte dann den Rest des Kaffees herunter, ehe
er die Tasse an die Wand warf. Es wäre hilfreich gewesen, hätte er es gewusst,
doch er er würde Raphael auch ohne Wegbeschreibung finden. Und wo Raphael war,
würde auch Uriel sein. Das hoffte Michael zumindest, um Raphaels Willen.
„Komm jetzt“, herrschte er Jibril an, ehe er sich umdrehte und nach der
Verbindung zwischen ihm und Raphael suchte. „Sie sind im obersten
Stockwerk.“
Sein Mantel wehte als Michael sich durch die Krankenhausgänge arbeitete. Jene,
die ihn sahen, wichen vernünftigerweise aus, denn sie sahen die goldenen,
funkelnden Augen. Die Gedanken von vorher waren vergessen. Michael registrierte
kaum Jibril, die ihm nach folgte.
Alles, was er wusste, dass das Feuer wieder hinter ihm brannte. Dort, wo es hin
gehörte. Und es nur noch darauf wartete, losgelassen zu werden.
xxx
Ich habe wieder nicht alles hinein bekommen O.o Egal. Dann eben noch ein Kapitel
mehr. Ich nehme jegliche Art von Kommentar oder Kritik mit Freuden entgegen.
mangacrack
Wort und Wind - Die Zerstreuung des Windes
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Kommentar: Dieses Kapitel arbeitet
mit dem Inhalt, der eigentlich noch in das letzte Kapitel sollte. Hat aber nicht
gepasst, deswegen wurde dieses Kapitel noch geschaffen. Juchu. War zwar nicht
geplant, aber was soll's? Die Verspätung tut mir auch Leid, doch jetzt wo ich
zurück bin, musste ich mich erstmal wieder in Deutschland zurecht finden. Und
außerdem beim Schreibprogramm in Ordnung bringen.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 18 – Die Zerstreuung des Windes::
Teil des Winds zu sein hieß auch ein gutes Gehör zu haben. Manchmal hatte
das seine Vorteile. Man nahm kleine Dinge war, die Anderen entgingen. Doch jetzt
verwünschte Raphael diese Gabe, denn Uriels Herzschlag klang ihm eine Trommel
in seinen Ohren. Eine einsame Trommel, die jemand langsam und unaufhörlich
schlug. Es fiel Raphael schwer den Herzschlag auszublenden, nachdem er sich so
sehr während der Operation darauf konzentriert hatte. Mit einem Seufzen zog
sich Raphael endlich die Handschuhe aus und lehnte sich gegen das zweite Bett,
das neben dem von Uriel stand. Der Erdengel ruhte immer noch, Raphael wagte zu
hoffen, dass es Schlaf und keine Bewusstlosigkeit war, in der sich Uriel befand.
Raphael fuhr sich durch die Haare und bemerkte, dass sie immer noch zusammen
gebunden waren, so wie es für Operationen vorgeschrieben war. Er zog an dem
Gummi, sodass seine Haare wieder offen über seine Schultern fielen. Seine
Finger als Kamm benutzend fuhr er durch die goldenen Strähnen und blickte
während dessen zu Uriel.
Der lag unbeweglich in dem Krankenhausbett. Das weiße Bettzeug und die helle
Einrichtung in dem Zimmer war ein starker Kontrast zu Uriels dunkler Haut und
dem seidigen schwarzen Haar, das den Kopf umrahmte. Während der Operation war
es ihnen mehrmals im Weg gewesen, sodass Barbiel schließlich das Haar zu einem
Zopf hatte flechten müssen. Jetzt entschied er sich dazu, es selbst wieder zu
öffnen. Langsam, fast behutsam griff er nach dem langem Zopf und strich über
das schwarze, seidige Haar, ehe er begann die Verflechtungen zu lösen. Eine
Weile lang stand er neben dem Bett, ehe sich irgendwann darauf setzte, um es
bequemer zu haben.
Denn ob er es jetzt zugeben wollte oder nicht, die Operation hatte ihn
geschlaucht, mehr als jede andere zuvor vielleicht in seinem langem Leben.
Während er sich mit dem Haar beschäftigte und dem Schlag des Herzens sowie dem
tiefen Atem Uriels lauschte, dachte Raphael daran, dass er sich nicht so unwohl
gefühlt hatte, als sie ein Mal Michael halb tot auf seinem Operationstisch
abgelegt hatten.
Urg, dachte Raphael, das gehört auch nicht zu meinen angenehmsten
Erinnerungen.
Wie konnte es auch?
Damals hatte Michael als Letzter (als Letzter!) das Schlachtfeld verlassen und
das obwohl er nicht gerade leicht verwundet worden war. Mit seiner üblichen Art
hatte Michael es viel zu gut überspielen können, dass er verletzt war und man
hatte es erst bemerkt, als Michael auf der Brücke seines Luftschiffes wegen des
ganzen Blutverlustes ohnmächtig geworden war. Es war das einzige Mal in der
Geschichte des Himmels gewesen, dass ein Kampfschiff der Klasse S vor seinem
Büro gelandet war, um einen Kranken abzuliefern. Aber selbst damals war die
Situation nicht zu bedrängt gewesen wie heute.
Michael hatte er schon öfter versorgt als alle seine anderen Patienten
zusammen, weil Michael es ganz einfach nicht mochte, wenn Fremde an ihm herum
tatschten. Also kam er zu ihm, wenn der Feuerengel meinte, er hätte eine Wunde
die es wert wäre, versorgt zu werden. Oft war Raphael dann mehrere Stunden
damit beschäftigt auch die ganzen anderen Blessuren zu heilen, die Michael sich
zugezogen hatte. Denn kaum jemand wagte es Michael Befehle zu erteilen, selbst
sein Stab von Generälen wagte das nicht und sei es nur, um ihn zu einem Arzt zu
beordern. Genug Verstand, um sich hin und wieder auszuruhen, schien Michael
allerdings auch nicht zu besitzen.
Genauso wenig wie Uriel.
Raphael schnaubte und hielt sich an dem Ärger fest, um das Entsetzten an die
Erinnerung von der Wunde zu überspielen, die er hatte erblicken müssen, als
das Hemd geöffnet und den hohen Kragen beiseite geschoben hatte. Es wäre nur
halb so schlimm gewesen, wenn es nicht Uriel gewesen wäre und wenn er nicht
gewusst hätte, wie die Wunde zu Stande gekommen war, doch er hatte nur einen
einzigen Blick darauf werfen müssen, um zu erkennen, dass der verdammte
Erdengel seine Kehle wirklich mit seinen eignen Händen zerstört hatte. Mit
seinen Fingernägeln, um genau zu sein. Nicht nur, dass es in Raphael dabei ein
grauenhaftes Bild projizierte, wie es geschehen war, er bekam auch eine leider
auch durch die Behandlung eine viel zu genaue Vorstellung davon wie weh es getan
haben musste.
Was für einen Schmerz Uriel gefühlt haben musste, als sich seine schwarzen
Fingernägel in seinem Selbsthass durch die Haut bohrten, sich immer tiefer
gruben, um schließlich die Stimmbänder heraus zu reißen. Denn genau das hatte
Uriel getan, es hatte ihm vielleicht nicht gereicht seine Stimmbänder bloß zu
zerstören aus Angst sie könnten heilen und sich wieder zusammenfügen, er
hatte sie wirklich und wahrhaftig sich aus seinem Körper gerissen.
Es fehlten gut 3cm.
Raphael wusste das, weil er sie eigenhändig hatte wieder neu nachwachsen
lassen müssen. Das alleine wäre nicht so ermüdend gewesen, doch um überhaupt
erst zu diesem Punkt zu kommen, war es nötig gewesen die vernarbten Muskeln,
Stimmorgane und vor allem auch die Atemwege wieder frei zu bekommen. Durch die
Selbstverstümmelung waren sie ineinander gewachsen und Raphael fragte sich
ernsthaft, wie Uriel all die Jahrhunderte überlebt hatte. War es im Hades
vielleicht nicht nötig zu atmen, selbst wenn man nicht tot war? Anders konnte
er es sich nicht erklären, dass Uriel nicht schon wenigen Wochen nach seiner
Tat erstickt war.
Hat er sich so sehr dafür gehasst?, fragte sich Raphael, der die tiefe von
Uriels Gefühlen einfach nicht begreifen konnte. Wie konnte ihm Alexiel so
wichtig sein, dass er sich so etwas nur antut?
Der Gedanke hatte etwas von dem Akt mit einem spitzen Bleistift durch ein
gespanntes Papier zu stechen. Man tat es nicht ein Mal absichtlich, doch das
Papier bekam dennoch ein Loch. Ärger stieg in Raphael auf während seine Finger
durch Uriels schwarzes Haar glitten. Der rationale Teil von ihm wusste, das
Uriel sich das selbst zu gefügt hatte und trotzdem wollte er jetzt nichts
lieber tun, als Alexiel mit seiner Windmagie in Stücke reißen. Sie war
diejenige, die ihn abgelehnt hatte und auch wenn sie damals vielleicht die
Kontrolle über die Situation gehabt hatte, so war sie am Ende doch dafür
verantwortlich, dass Uriel so viel Schmerz hatte erleiden müssen.
Heiße Wut brannte durch seine Venen und Raphael japste nach Luft. Fühlte
sich so Michael, wenn er fern jeglichen Verstandes schien und diesen glühenden
Ausdruck in seinen Augen bekam? Diese schiere Gewalt, die durch seinen Körper
tobte, ließ Raphael denken, dass er wieder ganz am Anfang war, als ihm sein
Element noch Angst machte, weil Luft kein Ende kannte. Ein Brüllen klang in
seinen Ohren und es überraschte Raphael, dass es er selbst war, der er
verursachte. Es war kein Klang zu hören für niemandem außer ihm, doch die
Luftschichten rieben aneinander, um sich in Bewegung zu setzen und den
organischen Engel erdrücken, welcher – wie Raphael begriff – ja noch
draußen vor der Tür stand.
Alexiel...
Sie mochte nur ein Katalysator für seine eigene Wut sein, dass es er es nicht
früher bemerkt hatte, aber hier argumentierte nun wieder seine rationale Seite,
dass Uriel dennoch Gerechtigkeit verdiente. Uriel hatte Alexiel einen Ausweg
angeboten und die hatte diese Güte mit einer Wucht ausgeschlagen, sodass sie
auf indirektem Wege diese Verletzung verursacht hatte. Raphael verschränkte die
Arme vor der Brust und gab sich dem rauschenden Takt der Luftströmungen hin.
Alexiel wartete bloß draußen vor der Tür. Alles was er tun musste, war die
Wand wegzusprengen und so wütend wie er war, würde er noch nicht ein Mal dazu
einen Finger bewegen müssen. Es wäre so einfach Alexiel jetzt auseinander zu
reißen...
Alles was er tun musste, was loslassen. Die Luft in dem Krankenzimmer tobte
wie eine Horde wilder Hunde und ihr Gebell feuerte Raphael nur noch an. Es wäre
die perfekte Art seinen Unmut der Welt kundzutun. Er musste Alexiel ja nicht
dauerhaft beschädigen. Lediglich ihr einen Teil des Schmerzes zurückgeben, das
würde ihm ausreichen.
„Jetzt hör mir mal gut zu, Alexiel“, erklang nun eine wütende Stimme an
Raphaels Ohr, welche dieser als Michaels erkannte. Sie riss ihn zurück in die
Realität und seine gewalttätigen Gedanken verschwanden. Vielleicht, weil
Michaels nächste Worte genug waren, um den ernst der Lage zu begreifen, der
sich vor der Tür abspielte.
„Es ist mir scheißegal, was du für besser oder gar für richtig hältst.
Es kümmert mich nicht, aber ich warne dich: entweder du gehst jetzt beiseite
und lässt mich zu Uriel oder du STIRBST! Eine andere Wahl hast du nicht.“
Michaels Worte waren genauso klar und deutlich, als würde er neben Raphael
stehen. Es befand sich erstaunlich viel Kraft in dieser Lunge, welche sogar so
viel Macht über den Sauerstoff darin hatte, das ein Gedanke ausreichte, um die
Luftmassen zu erhitzen und anzuzünden. Eben das brachte Raphael wieder auf den
Boden der Tatsachen zurück. Es war offensichtlich, das Michael nicht vorhatte
in irgendeiner Form geduldig zu sein. Im Moment stand bloß eine Tür aus Holz,
eine Wand aus Stein und Alexiel zwischen Michael und dem Ziel seiner Wünsche.
Wenn Michael glaubte, das Alexiel ihn hindern wollte, dann würde er seinen
weg sich notfalls erkämpfen und so gerne Raphael gesehen hätte, wie Alexiel
ihren verdammten Stolz von Michael den Rachen herunter gewürgt bekam, so wollte
er das sein Krankenhaus ganz blieb. Schon allein, weil Uriel Ruhe brauchte und
zwei kämpfte Kriegsengel vor seinem Fenster sich nicht gut machen würden. Zwar
bezweifelte Raphael nicht eine Sekunde, das Michael mit Alexiel den Boden
wischen würde, besonders wenn er so wütend war, wie seine Stimmlage es
ankündigte, doch riskieren wollte er es nicht.
Nicht heute, nicht jetzt.
Also erhob sich Raphael mit einem Seufzen von Uriels Bett und öffnete die
Tür, bevor der Flur zur Kriegszone wurde.
Der Anblick, der sich ihm bot, verwunderte Raphael nicht sonderlich, aber er
war definitiv zu müde, um sich darüber aufzuregen. Alexiel stand rechts neben
ihm, die Arme vor der Brust verschränkt und schien keinen Zentimeter weichen zu
wollen. Michael grollte und knurrte wie ein wildes Tier, da er sich sogar leicht
zusammen gekrümmt hatte, wirkte er noch bedrohlicher. Der Feuerengel hatte
diesen Effekt, wenn er nicht versuchte seine Größe mit seinem Gegner zu
messen. Zwar überragte Alexiel Michael um fast anderthalb Köpfe, doch Raphael
sah mit einem Blick, dass die Gefahr nicht von der erwachsenen Frau neben ihm
ausging, sondern von dem eher halbwüchsigen Jungen vor ihm.
Jibril stand ein wenig hilflos ein paar Schritte weiter weg und schien nicht
zu wissen, ob sie sich raus halten oder doch besser eingreifen sollte.
„Was soll dieser Radau?“, fragte Raphael harsch in seiner Ärzte
ich-habe-hier-das-Sagen Stimme.
Prompt landeten alle Blicke bei ihm.
„Raphael“, begann der organische Engel, wurde allerdings sofort
unterbrochen.
„...-san“, korrigierte Raphael und kramte seine Zigaretten aus seiner
Tasche.
„Raphael-san“, sprach Alexiel mit Ärger in der Stimme. Offensichtlich war
sie über die brüske Korrektur pikiert. „Michael stört die Ruhe des
Krankenhauses.“
„Ich weiß“, meinte der blonde Engel und schob sich eine seiner Kippen in
den Mund. „Doch um gleich alle Unklarheiten zu beseitigen: er hat das Recht
dieses Zimmer zu betreten, mehr noch als sie.“
Zufrieden beobachtete Raphael, wie Alexiel die Lippen schürzte. Sie war
immerhin gut genug, um zu bemerken, wie die Elemente zur Zeit auf sie
einwirkten. Mit zwei aggressiven Elementarengeln in der nächsten Nähe, deren
Ärger auf sie gerichtet war und einem Dritten, der offenbar auch leichte, wenn
auch eher passive, Wut verspürte, wusste Alexiel, das ihr besser geraten war
den Wink mit dem Zaunpfahl anzunehmen. Sie war hier eindeutig nicht erwünscht
und zu klug, um auf Regeln der Hierarchie zu bestehen.
„Ich werde wieder kommen, wenn Uriel Besucher empfangen darf“, kündigte
Alexiel an und verschwand dann mit schnellen Schritten, als sie ohne sich noch
weiter zu verabschieden, den Gang hinunter lief. Wohlgemerkt nahm sie die Seite,
bei der Seite nicht an Jibril und vor allem Michael vorbei musste.
Raphael wartete bis Alexiel verschwunden war und winkte dann die beiden
Wartenden zu sich.
„Kommt“, sagte er und gab den Weg ins Zimmer frei.
„Na endlich“, grollte Michael und stampfte an Raphael vorbei.
Seine schweren Stiefel hallten auf dem Boden wieder und trotz der Wut, die ihm
immer noch ins Gesicht geschrieben stand, war er noch freundlich genug, um
Raphael mit einem Schnippen seines Fingers die Zigarette anzuzünden. Jibril
folgte zögerlich.
Nachdem sie die Schwelle überschritten hatte und Raphael die Tür hinter hier
schloss, fragte sie: „Wie geht es ihm?“
Für einen Moment fragte sich Raphael, ob Jibril nun Michael meinte, doch für
den Moment erklärte er das für Unsinn. Jetzt ging es hier um Uriel, auch wenn
der Tonfall doppeldeutig genug gewesen war, um Raphael zu sagen, dass Jibril
sich nicht nur um den Erdengel Sorgen machte. Vielleicht sogar weniger um Uriel,
als um Michael, denn er wusste, das sie ihm vertraute und darauf baute, dass er
Uriel wieder zusammen geflickt hatte.
Zumindest die physischen Wunden, dachte Raphael, als er an seiner Zigarette
zog. Die Emotionalen allerdings...
Raphaels Blick wanderte zu der anderen Seite des Raums, wo Michael vorsichtig
über Uriels Stirn strich und einige beruhigende Worte murmelte, so wie er es
bei einigen Soldaten tat, wenn er nach einer Schlacht durch die Lazarette
wanderte und scheinbar zufällig und wahllos sich um die Verwundeten kümmerte.
Ein Blick zu Jibril sagte ihm, das sie diese Nuance nicht gesehen hatte, obwohl
sie auf der anderen Seite des Bettes stand. Raphael selbst war positiv
überrascht gewesen, als er sie das erste Mal gesehen hatte und bisher hatte
Michael noch nicht realisiert, dass jemand anderes außer er sie kannte. Die
behutsame, sanfte Seite.
Im Zusammenhang mit dem Gesichtsausdruck eines Anführers und nicht mit dem
eines besorgten Freundes.
Es verwirrte Raphael, wie Michael manchmal jemand sein konnte, der willentlich
alle Verantwortung auf sich nahm und sich anschließend bei sterbenden Soldaten
entschuldigte, weil er sie im Stich gelassen hatte. Sicher, niemals kam Michael
dies so über die Lippen, ganz zu schweigen von dem Fakt, das er meist zu leise
sprach, um von irgendjemand gehört zu werden, aber die Tatsache war da. In
solchen Momenten schien die Luft um Michael herum ein wenig zu flimmern und
dessen Gestalt an Tiefe zu gewinnen. Raphael wusste, dass es physikalisch
unmöglich war, dass ein Lebewesen größer war, als es vorgab zu sein, doch bei
Michael würde es ihn nicht wundern, wenn dem doch so wäre.
Die meiste Zeit über war Michael der Feuerengel, den Raphael kannte.
Laut. Barsch. Leicht reizbar.
Aber … da war war auch eine seltene Seite, die Raphael, wie er sich
eingestand, nicht kannte, weil er sich auch nicht einmal sicher war, ob sie
überhaupt existierte.
Die ruhige, leise und geduldige Seite.
Das war jetzt der Anblick, der sich Raphael bot. Das Rot von Michaels Haar
erschien ihm weniger intensiv als sonst und das, obwohl das Licht der Sonne von
draußen zum Fenster hinein schien. In der Regel sah Michael so aus, als würde
er in Flammen stehen, doch jetzt wirkte es so, als wäre dieses Feuer genug
herunter gekämpft worden, um die wahre Gestalt im Inneren der Flammen zu
offenbaren.
Raphael lächelte sanft, nur kurz allerdings und wendete dann seine Augen ab.
Das war nicht für seine Augen bestimmt. Michael tat das jetzt für Uriel,
nicht für ihn.
Es mochte keine unausgesprochene Regel sein, aber Tatsache war trotzdem, das
keiner von ihnen je die Astralgestalt der anderen Elemente gesehen hatte. Es war
ihnen nicht verboten worden oder ähnliches, doch keiner würde je auf den
Gedanken kommen, dies zu tun. Nicht gegenüber einem anderen Element. Raphael
senkte den Kopf, um zu verhindern, dass Jibril und Michael womöglich seine
Gedanken mitbekamen. Er stand an dem Fußende von Uriels Bett und starrte
verloren auf die Bettdecke.
Wissenschaftler theoretisierten, dass der Anblick eines Elements auf deren
Astralgestalt dem am nächsten kommen könnten, was die Menschen Wahrheit
nannten. Weil es nichts reineres und natürlicheres gab als das. Die
Verkörperung der Natur in einem lebenden und denkenden Wesen, losgesagt von den
Bindungen des fleischlichen Körpers. Einige sagten, dieser Anblick käme einer
Offenbarung gleich, welche zu heilig wäre, um sie zu suchen. Wieder andere
meinten, es wäre zu intim und begruben des Thema schnell.
Der Rauch seiner Kippe stieg langsam auf und verflüchtigte sich, als Raphael
ihn aus seinem Mund blies. Im Grunde war es nicht wichtig. Es würde ja auch nie
dazu kommen. Hoffentlich, denn vermutlich würde es sämtliche bestehenden
Gesetze der Physik brechen.
„Hey Raphie, ich glaube er wacht auf“, hörte Raphael Michael verblüfft
sagen und zum zweiten Mal an diesem Tag holte er ihn aus ungesunden Gedanken auf
den Boden der Tatsachen zurück.
„Was?“, meinte Raphael erschreckt und beeilte sich an Michaels Seite zu
gelangen. „Wie kann das sein? Ich meine, das Betäubungsmittel sollte noch bis
morgen früh anhalten.“
„Stoffwechsel?“, warf Michael ein und beugte sich näher an Uriel heran.
Es war keine Besorgnis in seinem Gesicht zu lesen und während Raphael
spürte, dass Uriels Körper noch lange nicht wieder im besten Zustand war, so
wusste er aus Erfahrung, dass Michael bei derartigen Dingen meistens Recht
hatte. Instinkt vermutlich, der dem Feuerengel sagte, dass er sich um Uriel
keine Sorgen zu machen brauchte.
„Bei Erde und Bäumen ist aber eher der Gegensatz der Fall“, argumentierte
Raphael zurück, während er Uriel untersuchte, der in der Tat Anzeichen des
Aufwachens zeigte. „Die Langsamkeit der Erde müsste den Stoffwechsel
eigentlich hinaus ziehen.“
„Bei Pflanzen dauert es aber nicht solange, weil ihr Organismus kleiner
ist“, warf nun Jibril ein.
„Auch wieder wahr“, sagte Michael und kratzte sich am Kopf.
Trotz seiner Besorgnis, die ihm sichtlich anzusehen war, trat er einen Schritt
zurück, um Raphael Platz zu machen. Ans Fenster gelehnt beobachtete er genau,
wie Raphael seine Hand an Uriels Stirn legte. Seltsamerweise kam Raphael sich
dadurch geprüft vor. Jibril hatte ihre Aufmerksamkeit ganz auf Uriel gerichtet,
doch Michael hatte seine auf ihn gerichtet. Das merkte Raphael an dem Prickeln
in seinem Nacken, das ihm sagte, dass Michael ihn ansah und nicht wie zu
erwarten Uriel.
Was führte Michael jetzt wieder im Schilde?
Als Raphael die Luftpartikel um sich herum in Bewegung brachte und mit ihnen
Uriels körperlichen Zustand kontrollierte, nahm sich Raphael vor, Michael
ähnlich zu durchleuchten, wenn er die Gelegenheit dazu bekam. Schon allein, um
der Ursache von dessen Wachstum auf den Grund zu gehen, denn entgegen seiner
Erwartungen hatte Michael ihn nicht deswegen aufgesucht. Über die Phase der
Verleugnung war Michael inzwischen hinaus, dessen war Raphael sich sicher, doch
wie weit war Michael damit, dass er seinem Bruder ähnlicher wurde? Selbst für
ihn, Raphael, war das nicht leicht, aber er hoffte darauf, dass es noch
Jahrhunderte dauern würde, bis sich die Veränderung deutlich bemerkbar machte.
Doch für jemanden wie Michael, der Veränderung hasste und sie erst
akzeptierte, wenn man ihn mit der Nase darauf stieß, musste es schwierig sein.
Besonders, da die Ereignisse, um den Schöpfer und Luzifer noch nicht lange
zurück lagen.
Es hilft nicht, das ich nicht dabei war, dachte Raphael. Sondern bloß Uriel.
Es war interessant, wie Dinge plötzlich umschwenken und dann doch wieder
einen Kreis bilden konnten. Es war Uriel gewesen, der an Michaels Seite
gekämpft hatte, der mitgeholfen hatte Adam Kadamons Körper zu versiegeln.
Natürlich hatte er soviel Informationen zusammen getragen wie er konnte nachdem
er erwacht war, doch der Fakt änderte sich nicht, dass er das Wichtigste
verpasst hatte. Er war nicht dabei gewesen, als Luzifer eine Art Abkommen mit
Michael geschlossen hatte. Zumindest fühlte es sich so an. Es war noch nicht
vorbei, die Sache zwischen Michael und Luzifer war noch nicht ausgestanden und
die Einzigen, die wussten was gesagt worden war, waren Michael, die Prinzessin
der Oger Kurai und … Uriel.
Mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen beendete Raphael die Untersuchen und
beschloss seine Gedanken über Michael hinten anzuschieben. Das war jetzt
wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Uriel verlangte nun nach seiner
kompletten ärztlichen Aufmerksamkeit und allzu viel konnte Michael in der
kurzen Zeit, wo er mal nicht seine beiden Augen auf ihm hatte, auch nicht
anstellen.
„Was ist jetzt?“, knurrte Michael ungeduldig und Raphael hörte das Tappen
des Fußes auf dem Kachelboden.
„Es geht ihm gut“, sagte Raphael mit einem kurzen Blick zu Michael.
Er wusste, das Michael unruhig war. Dies war keine Situation in der der
Feuerengel etwas tun konnte und diese Hilflosigkeit störte ihn ganz gewaltig.
Deswegen wäre Michael auch der Letzte, den Raphael benachrichtigen würde,
wäre denn wirklich etwas. Ein wütender Michael war in der Regel schon schlimm
genug, ein besorgter Michael war einfach nur unerträglich.
„Die Narkose hat jetzt nachgelassen und Uriel dürfte tatsächlich bald
wieder erwachen, doch erwartet nicht, dass er lange ansprechbar ist. Die
Operation war Kräfte zerrend, auch für ihn. Er wird eine ganze Weile zwischen
Schlaf, Traum und Realität hin und her schwanken.“
Jibril sah erleichtert aus und schien sich damit zufrieden zu geben. Sie
ergriff wieder Uriels Hand und Raphael konnte fühlten, dass sie ihre Kräfte
des Wassers dazu benutzte, um Uriel zu stärken. Bei Wasser und Erde ging das am
besten, deswegen sagte Raphael nichts, auch wenn es ihn störte, das jemand in
seine Behandlung eingriff. Nur Michael schien noch nicht ganz zufrieden zu sein.
„Stellen wir Wachen auf?“, fragte er.
„Bitte?“, hackte Raphael nach. „Das war doch kein Anschlag auf Uriels
Leben, nicht von außerhalb.“
„Das weiß ich auch“, schimpfte Michael zurück und kreuzte die Arme vor
der Brust. „Aber das heißt nicht, dass nicht jemand Uriels geschwächten
Zustand ausnutzen könnte. Ich finde einer von uns sollte stets bei ihm sein und
solange wir nicht wissen, wie viel er mitbekommt sollten wir ihm auch nicht das
Gefühl geben, das er alleine gelassen wird.“
Die goldenen Augen blitzten unnachgiebig unter den roten Strähnen hervor, die
Michael ins Gesicht fielen. Raphael wusste, dass er Michael nicht würde
umstimmen können. Notfalls würde Michael hier ganz alleine Stellung beziehen
und aus seinem Krankenhaus eine Festung machen.
„Gut“, meinte er. „Ich bin einverstanden. Allerdings sollten wir dann
Alexiel mit einbeziehen. Oder den Messias.“
„Grr!“
Das Knurren kam tief aus Michaels Kehle und sagte eigentlich alles darüber
aus, was er von dieser Frau hielt.
„Hör zu, Mika“, meinte Raphael vorsichtig. „Ich weiß, dass du sie
nicht magst und mir gefällt das eigentlich auch nicht, denn sie ist der Grund,
warum Uriel hier liegt, aber dennoch ist der organische Engel. Es kann Uriels
Genesung nur helfen, wenn sie hin und wieder bei ihm ist. Sie trägt einen Teil
aller vier Elemente in sich, nicht nur eines, so wie bei uns.“
Michaels Gesicht hatte sich verzogen, er sah aus, als hätte er auf eine
Zitrone gebissen, dennoch nickte er dann mit dem Kopf.
„Okay“, antwortete Michael. „Solange ich ihr nicht begegne, ist mir das
egal. Doch sollte sie Uriel verletzten...“
...würde er sie zu Asche verbrennen. So viel war Raphael klar.
„Ich sorge dafür, dass du sie nicht siehst“, versprach er.
Er war zwar im Moment auch nicht sonderlich gut auf Alexiel zu sprechen, doch
für Uriels Genesung, die Körperliche wie auch die Mentale, war es wichtig,
dass Alexiel präsent war. Sie sollte sich ansehen, was sie angerichtet hatte
und was auch immer Uriel mit Alexiel schließlich bereden würde, es würde ihm
gut tun.
Und ihm selbst wahrscheinlich auch, gestand sich Raphael ein. Er konnte nicht
leugnen, dass da eine Kluft zwischen ihm und Uriel war. Am deutlichsten war es
gewesen, als er nach Uriels Atemwegen geistig gegriffen hatte, um sie für eine
Zeit an sich zu binden und dem Erdengel so Schmerzen zu ersparen, doch es hatte
nicht funktioniert. Sie hatten ihn künstlich am Leben erhalten müssen, mit
Geräten. Die Abscheu vor diesen Dingern, die in der Medizin leider viel zu
häufig verwendet wurden, war nur noch von dem Schock zu übertreffen gewesen,
der er bekommen hatte, als Uriel ihn ablehnt hatte.
Nicht bewusst, vielleicht, doch etwas in Uriel hatte sich ihm entzogen. War es
Hass, Abscheu oder doch etwas anderes gewesen?
Raphael gab zu, das Uriel und er sich lange nicht richtig verstanden hatten,
doch vertraute er ihn etwa so wenig? Mit ein bisschen mehr Basis hätte Raphael
die Verletzungen weitaus einfacher heilen können. Stattdessen hatte er den
langen und sehr beschwerlichen Weg nehmen müssen und wenn sich dieses
Verhältnis zwischen ihnen nicht besserte, könnte sich die Rehabilitation lange
hinziehen. Raphael wagte sich gar nicht auszumalen, was passieren würde, wenn
Uriel einen Rückfall bekam. Was ihn zu der Frage brachte, warum Uriel ihm
nichts von seiner Verletzung am Hals gesagt hatte.
Er hätte doch wissen müssen, das er es ohne weiter zu Fragen behandelt
hätte. Vielleicht nicht ohne Uriel für seine Dummheit zu schelten, aber
dennoch.
Ein Geräusch hinter ihm, riss Raphael auf seinen Gedanken. Er drehte sich um
und erblickte Michael, wie dieser gerade das Fenster öffnete und auf die
Fensterbank kletterte.
„Michael?“, fragte Jibril und kam damit Raphael zuvor. „Was tust du
da?“
Michael, der schon halb auf dem Fenstersims saß, drehte seinen Kopf und
blickte Jibril seltsam an.
„Nicht jeder hat den Luxus hier den ganzen Tag sitzen zu können“, meinte
er. „Ich habe zu tun, die Armee leitet sich nicht ohne mich.“
„Aber...“, wandte Jibril ein. „Was ist mit Uriel? Du warst doch
derjenige, der die Wache vorgeschlagen hat.“
„Natürlich beteilige ich mich daran“, fauchte Michael herrisch und ließ
seine Flügel erscheinen, was Raphael zwang einen Schritt Beiseite zu treten, um
von ihnen nicht umgehauen zu werden. „Doch ich werde die Nächte übernehmen
müssen. Zur Zeit gibt es viel zu tun und wenn ich nicht aufpasse, versauen
meine Männer die wichtigsten Teile der Pläne immer. Und ich habe eigentlich
keine Lust den Himmel zwei Mal aufzubauen, nur weil es jemand nicht richtig
gemacht hat.“
Das schien Jibril zu genügen, doch Raphael hob verwundert eine Augenbraue.
Sicherlich half die Armee beim Aufbau des Himmels, doch seit wann hatte Michael
da so ein genaues Auge darauf? Er tat doch sonst auch nicht mehr, als auf seinem
Thron zu sitzen und vor sich hin zu brüten.
„Bis dann“, meinte Michael zum Abschied und sprang dann aus dem Fenster,
um sich von dem Wind davon tragen zu lassen.
Für einen Moment war Raphael geneigt zu kontrollieren, ob Michael sich
wirklich in Richtung Armeestützpunkt aufmachte, doch dann ließ er es. Vor
Ewigkeiten hatte er versprechen müssen, dass er ihm nicht hinterher spionieren
würde und Michaels Vertrauen war Raphael wichtig. Auch wenn er hin und wieder
seine Schlupflöcher ausnutzte. Luzifer und dessen Versiegelung in das Schwert
Nanatsusaya war eines davon gewesen.
„Er verhält sich seltsam in letzter Zeit“, merkte Raphael an und sah in
die Richtung, in die Michael gerade verschwunden war.
„Findest du?“, meinte Jibril, „Ich denke, dass er jetzt endlich
erwachsen wird. Ich meine, er hat seinen irrationalen Hass auf Luzifer endlich
hinter sich gelassen, kümmert sich um den Himmel und alles. Ist das wirklich so
eigenartig?“
Am liebsten hätte Raphael mit ja geantwortet, doch er wollte jetzt keinen
Streit vom Zaun brechen. Nicht hier und jetzt und vor allem nicht vor Uriels
Nase. Also behielt er seine Meinung und seine Verdächtigungen für sich.
„Passt du auf ihn auf?“, fragte Raphael und nickte in Richtung Uriel.
„Ich brauche jetzt erst mal eine Pause.“
„Ja, natürlich. Iss etwas, schlafe ein wenig und ruhe dich aus“, sagte
Jibril. „Ich gebe Barbiel Bescheid, wenn etwas sein sollte.“
Für einen Moment war Raphael geneigt darauf zu bestehen, dass sie ihm
Bescheid geben sollten, doch dann ließ er es. Barbiel war kompetent und wusste,
wann sie ihn rufen musste.
„Gut“, meinte Raphael und ging dann zur Tür. „Wir sehen uns.“
Jibril nickte zum Abschied, ehe sie sich wieder Uriel widmete.
Raphael lief den Gang des Krankenhauses hinunter und schloss, das es
ausreichte, wenn er heute in der kleinen Wohnung schlafen würde, die hier an
sein Büro angeschlossen war. Es wäre zu weit, um jetzt nach Hause zu fliegen
und richtig ruhen würde er sowieso nicht können, solange Uriel noch hier war.
Es war zwar alles in Ordnung, aber dennoch hatte er so ein Gefühl, dass ihm
etwas entging. Etwas wichtiges. Allerdings nicht bedeutend gefährlich, weswegen
Raphael es auf die Ereignisse des heutigen Tages schob.
„Es wird schon nichts sein“, murmelte er zu sich selbst. „Alles bloß
Paranoia.“
Dann dachte Raphael nicht mehr daran und bewegte sich im Halbschlaf zu seinem
Bett, während rechts von ihm der Himmel sich rot färbte, da die Sonne sich zu
senken begann.
xxx
Wieder nicht alles hinein bekommen. Für Rechtschreibfehler entschuldige ich
mich, bitte weist mich darauf hin, wenn ihr welche findet. Ansonsten gibt es
nicht mehr viel zu sagen, außer dass ich wieder in Deutschland bin, es genieße
einen Schreibtisch zu haben und an dem Ende von dieser FF arbeite. Welche doch
drei Kapitel länger wird als geplant, mindestens. Zu dem Alexiel vs Michael
Aspekt: ich würde schon sagen, dass Michael gewinnen würde, auch wenn wir dies
im Manga leider nie so richtig erfahren haben. Ihren Kampf haben sie nie
beendet, doch wenn es hart auf hart kommt, würde ich sagen, dass Michael als
Sieger aus diesem Kampf hervor geht. Doch offensichtlich ist niemand sonderlich
scharf darauf, dies heraus zu finden.
Danke fürs Lesen
mangacrack
Wort und Wind - Am Anfang war das Wort
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Kommentar: Endlich bin ich bei dem Kapitel angelangt, das auch wirklich diesen
Namen trägt. Zweimal hat sich ein anderes dazwischen gemogelt, doch was soll's?
Ich kann mich halt nicht kurz fassen, also verflucht meine Ausführlichkeit.
Außerdem müssen noch einige Hints mit hinein, damit beim nächsten Kapitel es
endlich losgehen kann. Doch zuerst zurück zu Uriel und Raphael. Auch sollte ich
vielleicht noch sagen, dass ich gerade dabei bin mir den Manga online
durchzulesen. Auf Englisch kommen noch einige nette Details zum Vorschein, die
durch die deutsche Übersetzung verloren gegangen sind. Ich kann nur empfehlen
sich diese andere Deutung/Interpretation auch mal anzusehen.
mangacrack
xxx
::Kapitel 19 – Am Anfang war das Wort::
Die übliche Annahme war häufig, dass die Erde ruhig und unbeweglich blieb.
Vielen entgingen die Bewegungen und die Laute, die die Erde machte. Sie waren im
Boden zu fühlen. Langsam, aber stetig schoben sich die Erdplatten
gegeneinander, ließen Berge wachsen oder Städte aneinander vorbei ziehen, wenn
sie denn solange überlebten. Die Erde war ständig in Bewegung, nur tat sie es
langsam und von den meisten unbemerkt. Von den Meisten wie gesagt. Doch Uriel
konnte es hören, das tiefe Grummeln der Erde, wenn es mit der Lava in seinem
Inneren kämpfte. Nur auf der Erdoberfläche war sanftes Leben möglich und
selbst da herrschte ein beständiger Kampf um das Überleben. Die Tier- und
Pflanzenwelt war ein beständiger Kreis aus Leben, Tod und Geburt, der in aller
Stille das Rad der Ewigkeit voran trieb. Unzählige Male hatte sich das schon
ereignet. Die Geburt von Landschaften, Rassen und Leben, ehe sie wieder
untergingen. Auch dies war schon öfter geschehen, als er zählen konnte und
eigentlich gab es nichts, was diesen Kreislauf des Lebens stören konnte.
Nichts, außer das Wort.
Uriel wusste, dass es keine schrecklichere und machtvollere Waffe gab als das
Wort. Die Fähigkeit Gedanken zu formulieren, sie auszusprechen und Folgen wie
Konsequenzen daran zu binden, war eine gefährliche Gabe, die aber jedem Engel,
jedem Dämon und auch jedem Menschen gegeben worden war. Nicht jeder wusste dies
zu gebrauchen, doch intelligente Wesen konnten nur durch Worte allein Welten
zerstören, Leben retten oder das Schicksal wenden. Nicht zum ersten Mal fragte
sich Uriel, ob Gott sich bewusst gewesen war, das er seinen Untergang
besiegelte, als er einigen seiner Schöpfungen die Fähigkeit gab zu sprechen.
Sprache in Zusammenhang mit Denken, einem klaren Verstand und vielleicht auch
noch einfühlsamem Empfindungsvermögen war im Endeffekt das, was Gott, das
theoretisch mächtigste Wesen unter ihnen, zu Fall gebracht hatte.
Dabei war Gott nur das älteste Wesen gewesen. Nicht das Intelligenteste.
In letzter Zeit hatte Uriel genug Zeit gehabt um über Gottes Fehler
nachzudenken und er konnte sich nicht so ganz entscheiden, welcher davon der
Größte war.
Vielleicht ihnen allen, Engeln wie Dämonen und Menschen, freies Reden zu
überlassen, sofern den jemand in der Lage dazu war, Worte richtig zu
gebrauchen. Dies war es gewesen, was den Messias so besonders gemacht hatte.
Seine Gabe Wesen zu verbinden. Dies hatte sie befreit, nicht die Tatsache, dass
er eine unbefleckte Seele gewesen war, wie Alexiel es geglaubt hatte. Es war
auch nicht die in ihm ruhende Macht gewesen, denn wäre dies der einzige Faktor,
hätte Luzifer niemals Hilfe gebraucht.
/Es ist wohl das Einzige, was er nicht kann/, sinnierte Uriel. /Mit Worten
umzugehen, war noch nie seine Stärke gewesen und sein Bruder ist auch nicht
besser./
Manchmal fragte sich Uriel, wie es dazu kam, dass weder Michael noch Luzifer
wirklich der Kommunikation fähig waren. Keiner von ihnen gebrauchte Worte
sonderlich häufig, auch wenn Michael hin und wieder herumschrie, bis kein Stein
auf dem anderen blieb. Sie kämpften stets in aller Stille und beschworen ihre
Kräfte stumm. Dabei sollten gerade sie wissen, dass das Wort mächtig war.
Nicht nur es wie eine Waffe zu verwenden, um Herzen zu durchbohren und Samen der
Schmerzes in der Seele zu hinterlassen, sondern auch um Dinge permanent zu
halten. Viel Sinn ergab es nicht, das musste Uriel zu geben, doch er konnte
nicht anders als sich darüber wundern, seit die Wahrheit ans Licht gekommen
war.
Wenn Luzifer immer gewusst hatte, was für ein Tyrann der Schöpfer gewesen war,
wieso hatte er nichts gesagt und stattdessen versucht im Alleingang den Vater
auszuschalten? Als wäre ihm nicht in den Sinn gekommen das Wort darüber zu
verbreiten. Nicht ein Mal die Dämonen hatten davon gewusst, ihr Hass auf Gott
beruhte allein auf Trotz, Selbstsucht oder Tragödie. Nicht auf Handlungen mit
dem Wissen dahinter, dass sie alle in die Irre geführt worden waren. Es mochte
Haarspalterei sein, doch Uriel ließ es nicht in Ruhe. Es war, als würde unter
ihm ein Vulkan erwachen und versuchen seinen Weg an die Oberfläche zu suchen.
Irgendetwas war da noch, aber es war mehr eine Ahnung, als irgendetwas
eindeutiges.
Aber wer konnte es ihm verübeln, wenn er im mit Schmerzmitteln versetzten
Halbschlaf über derartige Dinge nachdachte?
/Ich könnte besser nachdenken, wenn ich richtig wach wäre/, dachte Uriel und
versuchte sich daran zu erinnern, wie das ging, das Aufwachen.
Erde konnte tief und lange schlafen, sodass man sie oft wachrütteln musste,
weil sie es von alleine nicht tat. Aber trotz dessen, dass er ein Element war
und das Ruhen auf Grund seiner Natur so stark ausgeprägt war, erinnerte sich
sein Körper daran wie man den Befehl des Aufwachens befolgte.
Mit einem tiefen Einatmen schlug Uriel die Augen auf...
-
...und sah im ersten Augenblick einmal gar nichts!
Wo auch immer er sich befand, es war dunkel. Uriel hob langsam den Arm, der sich
ausgesprochen schwer anfühlte und strich sich die Haarsträhnen aus dem
Gesicht, während er mit seinen Fingern über die Haut fuhr. Seine Bewegungen
waren so träge wie seine Gedanken und Uriel brauchte eine ganze Weile um zu
begreifen, dass er in einem Bett lag. Es war lange her seit er geschlafen hatte,
also was tat er hier? Müde blinzelte Uriel. Seine Augenlider waren schwer und
die Dunkelheit um ihn herum, die verhinderte, dass er etwas erkannte, war wie
eine Verführung wieder die Augen zu schließen und erneut einzuschlafen.
Allerdings war da ein Schimmern, das Uriel den Kopf wenden ließ. Es war
schwächlich warm, als wäre es sonst eigentlich heiß und nun gedämpft worden.
Uriel fühlte das Licht mehr, als das er es sah, doch deutlich genug war es.
Zwar war keine spezifische Lichtquelle vorhanden, doch die Ursache war
eindeutig. Es war Michael, der Gedanken verloren auf dem Sims hockte und zum
geöffneten Fenster hinaus starrte. Seine Gesichtszüge waren ernst, ernster als
Uriel es von ihm gewöhnt war.
„Hm“, gab Uriel einen leisen, genussvollen Laut von sich, als eine Welle der
Wärme ihn berührte.
Es war fast greifbares Licht, leicht rötlich in der Dunkelheit schimmernd und
als Wächter der Erde zog es Uriel dahin, so wie jede Pflanze sich in Richtung
Licht reckte und die Erde sich um die Sonne drehte.
/Das tut gut/, dachte Uriel und gab sich einen Moment der Wonne hin. /Ich weiß
nicht, wann ich mich das letzte Mal so wohl gefühlt habe.../
Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er einfach wieder nur sein konnte,
ohne das etwas zog oder jemand an ihm zerrte. Der Wächter der Erde zu sein war
eines, aber er war auch der Tod. Die dunkle Seite, die nie ruhte und sich
irgendwann den Tribute holte, den das Leben verlangte. So wie er die Erde und
der Nährstoff war, war er auch das Ende und die Reise ins Ungewisse. Michael
war üblich die Erinnerung an all das. Er nahm die Nährstoffe, verbrannte das
Holz und beendete das Leben von Engeln, Dämonen und Menschen gleichermaßen, um
sie zu ihm zu schicken. Manchmal jedoch, an einem stillen Punkt wie diesem,
konnte er das Feuer auf der anderen Seite bewundern und sich daran erinnern,
dass es Licht war. Nicht die Heilung, die versuchte ihn auszutricksen und ihm
seine Kinder zu nehmen, sondern das Sein, das unbarmherzig und rücksichtslos
darum kämpfte um am Leben zu bleiben, weiter zu gehen an einen Ort, der kein
Ende hatte.
„Du bist aufgewacht“, sprach Michael und seine Stimme schnitt durch die
Stille.
Der Klang seiner Worte glitt über Uriel hinweg wie der erste Sonnenstrahl des
Tages. Rot, warm und noch nicht so gleißend, dass man den Blick abwenden
musste, weil sonst das Licht zu intensiv für die Augen wurde.
Uriel hörte, wie Michael von der Fensterbank glitt, um sich neben sein Bett zu
stellen. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und wirkte aus den
Erdengel größer als sonst. Es mochte an den freien Beinen liegen, die bloß in
kurzen Hosen und schweren Stiefeln steckten und der Tatsache, dass er flach auf
einem Bett lag, aber dennoch schien Michael ihn zu überragen. In dem seltsamen
Licht, das im Zimmer herrschte, sah der Feuerengel aus wie Figur vor einem
Sonnenaufgang, die mit dem Feuerball zu verschmelzen schien.
°Was...?°, fragte Uriel, °ist passiert?°
Michael starrte ihn für einen Moment an, ehe er sagte: „Dein Hals...du wärst
fast erstickt, frag mich nicht nach den verdammten medizinischen Details, das
ist Raphaels Sache, doch da wir dich rechtzeitig gefunden haben, sollte jetzt
alles in Ordnung sein.“
°Danke°, gab Uriel zurück und führte seine Hand zu seinem Hals, nur um einen
Verband zu entdecken.
Das war Raphaels Arbeit. Er hatte ihn behandelt, geheilt sogar, wenn er richtig
lag. Wirklich bei Bewusstsein war er nicht gewesen, aber da er zwischen Leben
und Tod gehangen hatte, hatte sein Verstand nicht wirklich abschalten können,
schließlich war er beides. Der Tod, der lebte.
„Ich geh' jetzt mal diesen verdammten Arzt holen“, meinte Michael und
deutete mit dem Daumen zur Tür. „Hab' ihm versprochen, dass ich ihn rufe,
solltest du aufwachen. Er wird sich deinen Hals noch ein Mal ansehen wollen.“
Damit drehte Michael sich um und wollte durch die Tür verschwinden, doch Uriel
packte mit einer schnellen Bewegung seine Hand und hielt sie fest. Unsicher
blickte er zu Michael auf.
°Michael...hasst Raphael mich?°
Verstörte Verwunderung machte sich auf Michaels Gesicht breit, als er sich aus
Uriels Griff befreite und dem anderen Engel in die Seite knuffte.
„Sag mal geht’s dir noch gut?“, fragte er. „Raphael war außer sich vor
Angst, als die OP vorbei war und er gegriffen hat, wie knapp es hätte werden
können. Er wird dir zwar einen Vortrag halten, warum du nicht schon lange zu
ihm gekommen bist, aber hassen? Krieg mal einen Sinn für die Realität,
Junge!“
Das war das Letzte, was Michael sagte, als er Kopf schüttelnd den Raum verließ
und dabei etwas von sentimentalen Idioten vor sich hin murmelte. Uriel sah ihm
nach bis die Tür sich schloss. Dann lehnte er sich zurück und ließ den Kopf
zurück ins Kissen sinken.
/Es ist es wahr, was Michael gesagt hat?/, fragte sich Uriel. /Ich dachte immer,
dass Raphael mich hasst. Dass er mich und meine Gewaltausbrüche verachten
würde, hinzukommend zu dem Fakt, dass er mich nicht ausstehen kann, weil ich
der Tod bin./
Aber Michael würde nicht lügen. Seine Worte waren deutlich gewesen und wenn er
ihn schon als Idioten beschimpfte, dann schien er sich über seine Annahme
gleich drei Mal aufzuregen. Uriel kannte den Ton in der Stimme, Michael benutzte
ihn nicht allzu oft, doch üblicherweise bekam man ihn zu hören, wenn der
Feuerengel die anderen Elemente ermahnte, sich nicht ständig wegen allen
möglichen Kleinigkeiten aufzuregen. Manchmal war es nicht einfach die Mahnung
als solche zu erkennen, denn meist war sie mit Michaels launenhaften
Stimmungsschwankungen verbunden, aber sie waren da.
Ob Raphael auch schon seine Predigt bekommen hatte?
Uriel fiel es schwer zu glauben, dass Michael einseitig Hiebe verteilte, wenn er
dachte, dass zwei Streitende sie verdienten. Wahrscheinlich würde ihn auch
gleich mit Raphael alleine lassen und ihnen beiden einen grausamen Tod androhen,
wenn sie es nicht schafften ihre Differenzen beizulegen. Offensichtlich bleib
ihm diesmal keine andere Wahl, als mit Raphael zu reden und da Raphael Michael
ebenso gut kannte wie Uriel, wusste wahrscheinlich auch er, dass er keine andere
Wahl hatte.
/Das wird immerhin funktionieren/, dachte Uriel. /Alexiels Versuch hat ja so gut
wie gar nichts gebracht./
Genauso wenig wie der daraus entstandene Versuch Raphaels aus Michael etwas
heraus zu bekommen. Der Feuerengel schwieg wie ein Grab und Uriel bezweifelte,
dass sich daran etwas ändern würde.
Nervös wartete er darauf, dass Michael mit Raphael zurück kehren würde.
-
Michael war froh, dass es noch so früh am Morgen war. Das hieß, das
Krankenhaus war leer und er konnte Raphael aus den Federn schmeißen. Der Arzt
hielt nämlich nichts davon mit dem Sonnenaufgang aufzustehen, so wie Michael es
tat. Nun, wenn man es genau nahm, dann hatte er sowieso alles andere als einen
geregelten Schlafrhythmus. Er holte sich seine Ruhe, wenn er sie bekam, doch
meist war gar keine Zeit dazu. Nicht während diesen unruhigen Zeiten.
Dumpf klangen seine abgewetzten Stiefel auf dem Boden, als Michael Raphaels
Büro erreichte, wo neben dran eine kleine Wohnung eingerichtet war. Zufrieden
stellte Michael fest, dass die Tür offen war, also trat er einfach ein. Das
Büro war dunkel und verwaist, aber Michael spürte Raphael durch ihre
Verbindung. Er schien zu schlafen, was Michael irgendwie doch als ein Wunder
empfand. Er hatte Uriel nicht belogen, als er ihm gesagt hatte, dass Raphael vor
Angst kaum gerade stehen konnte. Jibril war es vielleicht nicht aufgefallen,
doch Michael kannte Raphael zu lange. Sogar wenn die Verbindung zwischen ihnen
nicht gewesen wäre, wären die Zeichen überdeutlich gewesen.
Zeichen, die auch jetzt noch nicht verschwunden waren, erkannte Michael als er
leise Raphaels Schlafzimmer betrat und für einen Moment lang in der Tür stehen
blieb. Es war dunkel, sodass er Raphaels schlafende Gestalt nur mäßig mit
seinen Augen erkennen konnte. Doch wenn er sich konzentrierte, sah er die Hitze
in Raphaels Körper, die Wärme, die er ausstrahlte. Gelborange pulsierte das
Bild der Wärmewellen vor Michaels Augen im Takt von Raphaels Herz. Sein Blick
fiel zu dem geöffneten Fenster, wo langsam ein roter Schimmer am Horizont zu
erkennen war. Die Sonne würde bald aufgehen, doch er musste Raphael schon jetzt
wecken. Wind wehte herein, weil Raphael stets ein Fenster offen ließ, egal was
für ein Wetter draußen herrschte. Er hatte ihn schon oft für bescheuert
erklärt, dass Raphael es lieber herein regnen ließ, als es zu schließen. Im
Gegensatz dazu bekam er dann zu hören an dem Wunsch nach Erstickung zu leiden,
wenn er darauf bestand lieber zu gebraten zu werden als irgendeine Art von
Kälte herein zu lassen.
Sie beschimpften sich dann gegenseitig als Frischluftfanatiker und Frostbeule.
Meistens während Michael sich mit seinem Absinth vergnügte, Raphael versuchte
ihm die Flasche wegzunehmen und es schließlich aufgab, weil plötzlich all
seine Zigaretten zu Asche verbrannten, ohne das er sie geraucht hatte.
„Das haben wir in letzter Zeit nicht allzu oft gemacht“, murmelte Michael
ein wenig nostalgisch vor sich hin. „Aber wie auch, Zeit hatten wir ja kaum
welche. Zuerst Sevie, dann der Messias, dein Kälteschlaf und jetzt das hier.“
Michael sah, wie Raphael sich nun von einer Seite auf die Andere drehte. Er
hatte sich nicht ein Mal die Zeit genommen sich sein Jackett auszuziehen. Dabei
war die Operation von Uriel bereits ein paar Tage her. Dennoch war Raphael nicht
ein einziges Mal zu Hause gewesen, sondern wachte wie ein Geier über Uriel.
Fast im 30 Minuten Takt kam er im Krankenzimmer herein geschneit. Wenn Jibril da
war, wurde sie geduldet und Raphael dehnte seine Kontrolle auf ein Mal die
Stunde aus. Erst wenn er da war und Wache hielt, gestattete es sich Raphael ein
wenig Ruhe. Vor ein paar Stunden hatte Michael neben dem Windengel gesessen und
überwachen müssen, dass er sein erbärmliches Mahl auch ja auf aß.
Denn Jagd machte hungrig.
Hätte er im Moment nicht so viel zu tun und wäre Uriel nicht gerade Zentrum
des Geschehens, hätte Michael es amüsant gefunden, wie Raphael Alexiel immer
wieder aus seinem Krankenhaus jagte. Es war fast wie zwei Vögel, die einen
Balztanz, um ihre Beute aufführten, in dem versuchten sie sich gegenseitig die
Augen auszuhacken. Jibril hatte die leidliche Aufgabe bekommen Friedensstifterin
zu spielen. Vor drei Tagen war sie noch geduldig mit ihnen umgegangen, vor zwei
Tagen war sie resolut gewesen und gestern war ihr der Kragen geplatzt, sodass
sie Raphael am Kragen zurück ins Krankenhaus geschleift hatte, während Rosiel
sich die Furie namens Alexiel gekümmert hatte. Wahrscheinlich musste Uriel ein
Machtwort sprechen, damit die Reibereien endlich aufhörten
/Gebrauchen kann ich das ja eigentlich so gar nicht/, dachte Michael ein wenig
verstimmt. /Doch das Schöne ist, dass sie so zu abgelenkt sind, um mir
nachzustellen./
Manchmal fragte er sich, ob sie ihn für komplett bescheuert hielten.
Glaubten sie echt, er merkte nicht, wie sie versuchten ihm nach zu schnüffeln?
Zugegeben, sie taten es erfolglos, denn er hatte einfach mehr Erfahrung, aber
dennoch. Auf die Nerven war es ihm in der letzten Zeit sehr wohl gegangen.
/Ich muss langsam handeln. Die Zeit wird knapp/, sagte sich Michael und nahm
dies als Zeichen, um sich von dem Türrahmen abzustoßen, an den er sich
während seiner Überlegungen gelehnt hatte.
Seine Hände hatten sich in seine Hosentaschen vergraben und ohne sich darum zu
kümmern, sie heraus zu nehmen, begnügte Michael sich damit recht unsanft gegen
den Posten des Bettes zu kicken. Raphael grunzte und trat mit einem Bein
schläfrig aus. Es war offensichtlich, dass er noch weiter schlafen wollte.
„Beweg' dich in die Senkrechte, Raphi“, schimpfte Michael. „Du wirst
gebraucht!“
Zuerst geschah gar nichts und für einen Moment schien es, als würde Raphael
einfach weiter schlafen, sodass Michael schon in Erwägung einfach dessen Bett
in Brand zu stecken, als Raphael plötzlich wie gebissen in die Höhe schnellte.
„Ist etwas mit Uriel?“, schoss es aus ihm heraus und fiel praktisch aus dem
Bett als er aufstand, um Michael am Kragen zu packen. „Ist ihm etwas
passiert?“
„Nein, man“, fauchte Michael und schüttelte die Hände des panischen Arztes
ab. „Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass er aufgewacht ist.“
„Himmel sei dank“, rief Raphael aus und schlüpfte in seine Schuhe, um in
den Gang zu hechten.
Michael folgte ihm grummelnd.
„Mach mal halblang“, murrte er. „Er läuft dir schon nicht weg. Das bringt
er noch nicht fertig.“
„Wer ist denn gerade bei ihm?“, fragte Raphael, als er mehr den Flur
hinunter flog, als lief.
„Sehe ich aus, als könnte ich mich zwei-teilen?“, meinte Michael bissig.
„Du hast ihn allein gelassen?“, schrie Raphael schon fast.
Ehe er wirklich dann den Abflug machte, packte Michael Raphael grob am Arm. Er
hielt ihn eisern, seine Nägel gruben sich durch den Stoff in den Arm und
Michael zog Raphael zu sich herunter, um ihm fest in die Augen zu blicken.
„Komm mal wieder runter“, herrschte Michael seinen Freund an. „Du bist
komplett durch den Wind. Hätte ich vielleicht die Schwester rufen und einen
Aufstand im Krankenhaus auslösen sollen? Du wolltest doch, dass Uriel seine
Ruhe hat und nicht belästigt wird. Außerdem habe ich fast acht Stunden auf
diesem Fenstersims gehockt, sodass ich mir doch mal bitte die Beine vertreten
darf.“
Raphael blickte Michael an, blinzelte, ehe er seine Fassung wieder gewann.
„Tut mir Leid, Michael“, sagte er. „Ich hätte meine Besorgnis nicht an
dir auslassen sollen.“
„Verdammt richtig“, antwortete Michael barsch, nickte aber dann schließlich
Raphael zu. „Aber jetzt komm, ich habe keine Lust ewig hier herum zu stehen.
Im Gegensatz zu dir habe ich letzte Nacht keinen Schlaf bekommen.“
„Okay“, lenkte Raphael ein, um ein wenig gemächlicher als vorher weiter zu
gehen. „Aber du holst den doch nach, oder?“
„Ja ja, werde ich“, gab Michael zurück und winkte ab.
/Sobald ich die Zeit dafür finde/, fügte er in Gedanken hinzu und folgte
Raphael, als dieser die letzten Meter zu Uriels Tür zurück legte.
Abwesend rieb sich Michael seinen steifen Nacken.
-
Raphael nahm einen tiefen Atemzug, als er die Hand nach der Türklinke
ausstreckte. Er pausierte mit Absicht nicht, ansonsten hätte er vielleicht
nicht mehr den Mut dazu gefunden und da Michael dicht hinter ihm war, könnte
das eng werden. Es wäre schwierig dem sowieso schon gereizten Feuerengel ein
Gefühl zu erklären, das er schon aus Prinzip nicht verstand. Für Michael gab
es zwar nicht nur Feinde und Freunde, aber es fiel dem Feuerengel schwer
Gefühle dazwischen einzuordnen.
Luzifer war der beste Beweis dafür.
Für Äonen hatte es nichts anderes als blanken Hass gegeben, wie sollte Michael
da verstehen, dass sich mit Uriel immer auf einer Linie von Abneigung und
Zuneigung bewegt hatte, gepaart mit Verständnis und zugleich einer ganzen Reihe
von verschiedener Perspektiven.
Es war nicht das Angenehmste gewesen, nach der Operation zu merken, dass die
kurzzeitige Synchronisation ihrer Astralkraft Auswirkungen hatte. Fast hatte er
befürchtet, dass ein ähnlicher Bund entstehen könnte, wie er und Michael ihn
hatten, doch es war bei Gefühlseindrücken in seinen Träumen geblieben. Da
keine hinzu gekommen waren, auch nicht jetzt, nachdem Uriel erwacht war, nahm
Raphael an, dass es eine einmalige Sache gewesen war. Aber Ausschlag gebend
genug, um einen guten Eindruck von Uriels Seelenwelt zu bekommen. Deswegen hatte
er die letzten Tage nicht richtig essen oder schlafen können.
Wie ein Schatten verfolgte es ihn, den er nicht loswurde, dass Uriel
tatsächlich der Überzeugung war, er würde ihn hassen.
Im Sinne von Abscheu oder Verachtung.
/Wie konnte er das nur annehmen?/, schrie ein Teil in ihm.
Doch der andere Teil kannte die Antwort. Kalt hatte er sich Uriel gegenüber
gegeben, besonders im zweiten Krieg. Sie hatten ihre Diskrepanzen, die sie
entweder in der Erde verscharrten oder ignorierten. Als sie das letzte Mal
miteinander geredet hatten, war das vor Alexiels Verhandlung gewesen, wo sie
verurteilt werden sollte. Es war bei der medizinischen Untersuchung gewesen, die
Raphael hatte vornehmen müssen, um zu bestimmen, ob Alexiel verhandlungsfähig
war. Zu dem Zeitpunkt war Uriel wie ein riesiger schwarzen Schatten gewesen, der
über ihnen lauerte, um sie ins Verderben zu stürzen.
Er hatte wie der Tod selbst ausgesehen.
Die schwarzen Haare, die seinen Rücken hinab fielen, die dunkle Aura, die von
kalter Wut und begrabener Verzweiflung durchtränkt gewesen war sowie die
glanzlosen tiefen Augen, die Raphael durchbohrten, als er an sie zurück dachte.
Seine Träume hatten diese Erinnerungen geweckt und zum ersten Mal fragte er
sich, was er damals hätte tun können. Die Halswunde zeugte von dem Selbsthass
den Uriel gefühlt haben mochte und er hatte nichts dagegen getan.
Streitigkeiten hin oder her, sie lebten schon so lange. Sie waren schon so lange
Hüter der Elemente, dass es ihm nicht hätte gleichgültig sein dürfen.
Vielleicht war es deswegen die Strafe, dass er jetzt Schweiß nass und sehr weit
entfernt von seiner sonstigen Ruhe Uriels Krankenzimmer betrat. Diese
stürmischen Gefühle war er nicht gewöhnt, sie verwirrten ihn. Alles schien
sich im Kreis zu drehen und nicht anzuhalten. Es war eine Bewegung, als wenn er
wegen Michael in Aufruhr war. Dort erschien es ihm stets, als würde er nach ihm
greifen und nie zu fassen bekommen. Als würde er nicht länger stofflich sein
und durch Michael hindurch gleiten, jedes Mal wenn er ihn berühren wollte.
Michael entzog ihm seine Kraft, in vielerlei Hinsicht, aber Raphael konnte nicht
damit aufhören.
Er konnte nicht damit aufhören, auch wenn das Feuer die Luft fraß,
unaufhörlich und bis in alle Ewigkeit.
Manchmal fragte sich Raphael, warum er von Michael so verdammt abhängig war,
sollte es doch eher andersherum der Fall sein. Das Feuer brauchte die Luft zum
Überleben, doch Michael wankte nie, egal ob Raphael selbst sich längst
losgelöst von allen Dingen fühlte.
°Raphael°, rief ihn eine tiefe Stimme und der Windengel fand langsam in die
Realität zurück.
Er stand im Türrahmen, die Hand an der Klinke und blickte jetzt zu dem Insassen
des Bettes, das ihm direkt gegenüber stand. Uriel hatte sich offenbar nicht mit
dem Gedanken zufrieden gegeben ruhig liegen zu bleiben und hatte sich
stattdessen in eine sitzende Postion gekämpft. Er lehnte sich an das Kissen in
seinem Rücken, hatte die Hände auf der Bettdecke abgelegt und die schwarzen,
langen Haare schimmerten in dem künstlichen Licht, das vom Flur aus herein
fiel.
„Uriel“, bracht es aus Raphael erleichtert hervor.
Mit schnellen Schritten legte er die Distanz zwischen ihm und Uriel zurück. Es
erschien ihm wie eine Ewigkeit in er eine weite Reise bewältigte und nichts von
der Umgebung sah, weil er den Blick bloß auf sein Ziel gerichtet hatte. Es
endete abrupt, als Raphael mit seiner Hüfte an die Bettkante stieß und er nur
noch Zentimeter von Uriel entfernt war. Welcher eine Ruhe ausstrahlte, die
Raphael verblüffte. Der Erdengel wirkte wie ein Berg, ruhig und unbeweglich.
Nicht einmal sein Haar bewegte sich im Wind, der sanft durch das offene Fenster
herein wehte.
„Du bist aufgewacht“, sprach Raphael mit leicht schwankender Stimme.
Es schien ihm gut zu gehen. Uriels Atmung war ruhig und gleichmäßig, Raphael
hörte das rhythmische Schlagen des großen Herzen, dem er von ein paar Tagen so
nahe gewesen war, weil sie Uriels Brust hatten aufschneiden müssen. Raphael
hasste es auf die Methoden der Menschen zurück greifen zu müssen, doch bei
Uriel war ihm keine andere Wahl geblieben. Hoffentlich nahm er es ihm nicht
übel, dass er seinen Körper geöffnet hatte. Viele Engel fanden den Gedanken
abstoßend.
°Ja°, antwortete Uriel, °dank dir, wie ich gehört habe.°
Raphael war sich nicht sicher, was er sagen sollte. Sollte er abwinken, dass es
selbstverständlich war? Nun, das war es, aber er wollte gegenüber Uriel nicht
arrogant wirken. Diese Kälte hatte schon einmal ihre Beziehung zerstört.
„Du benutzt immer noch die Übermittlung deiner Gedanken zur
Verständigung“, sagte Raphael.
Er versuchte ein Thema zu finden über das sich leichter reden ließ, als ihre
Gefühle. Denn auch Uriel schien seine Worte mit bedacht zu wählen, vorsichtig
zu sein, um diese Möglichkeit für einen Neuanfang nicht zu verschwenden.
„Bereitet dir dein Hals Schwierigkeiten?“
Uriel zögerte für einen Moment.
°Beim Atmen und Schlucken habe ich keine Probleme°, antwortete der Erdengel.
°Aber ich habe bisher noch nicht versucht zu reden, weil ich mir nicht sicher
war, ob das jetzt schon klug ist, so kurz nach der Operation. Ich wollte deine
Anweisungen abwarten.°
War das ein Hinweis darauf, dass Uriel sich Raphaels ärztlicher Behandlung
unterordnete? Keinen Streit suchte? Eigentlich sollte er froh darüber sein,
doch etwas gefiel ihm an der Wortwahl nicht. Uriel war nicht irgendein
unwilliger Patient, der gegen seine Anweisungen verstoßen hatte.
Anweisung...
Das klang zu sehr nach Befehl. Raphael wollte Uriels nichts befehlen. Er mochte
dessen sture Art, das gerade voranschreiten, die Unbeirrbarkeit.
„Nun“, begann Raphael, „mein Rat ist, dass du deine Stimme noch schonen
solltest. Du hast sie lange nicht benutzt und deine Stimmbänder müssen sich
erst wieder an die Belastung gewöhnen. Ich würde es schön finden, wenn du ab
und zu zur Überprüfung kämst, dass alles in Ordnung ist. So ließe sich ein
erneutes… Desaster wie dieses vermeiden.“
Es war ein Angebot.
Noch war es zu früh, um die seelischen Wunden mit Jod zu behandeln, aber
vorsichtig abtupfen und reinigen konnte man sie vielleicht. Raphael hoffte, dass
Uriel darauf eingehen würde. Er wollte ihre Freundschaft wiederherstellen und
es wäre sehr viel leichter Uriel um Verzeihung für sein Versagen zu bitten,
wenn nicht so eine schwierige Stille zwischen ihnen herrschte.
Uriel sah schweigend zu ihm auf, blickte in seine Augen und rührte sich nicht.
Raphael war sich nicht klar, ob er etwas suchte, doch es lag immerhin keine
Ablehnung in seinem Blick.
°Ich...würde es begrüßen°, antwortete Uriel schließlich langsam. Die
Gedankenstimme war jetzt weniger durchdringend, eher sanfter. °Es war mein
eigenes Verschulden es erst soweit kommen zu lassen. Ich hätte dich früher
aufsuchen sollen.°
Etwas in Raphael schnaubte arrogant und sagte ja, doch er drängte diesen Teil
zurück. So hätte er früher reagiert. Bevor er Sarah Mudo traf, bevor Barbiel
ihr Leben für ihn riskiert hatte. Jetzt hatte er zwar immer noch Angst, doch er
konnte sich nicht länger vor Bindungen verstecken, die ihm etwas bedeuteten.
Die letzten Tage hatten ihm gezeigt, dass er es sich niemals verzeihen könnte,
würde Uriel etwas passieren. Er wollte ihn und ihre Freundschaft behalten.
Raphael legte seine Hand auf Uriels Schulter. Es war der erste körperliche
Kontakt zwischen ihnen, wenn man von der Operation absah. Es war Jahrhunderte
her seit Himmel und Erde sich berührt hatten, doch als Uriel seine größere,
braun gebrannte Hand über die seine legte, fühlte es sich richtig an. Besser
als vorher und irgendwo in Raphael kam ein Sturm zur Ruhe.
„Ich würde ich gerne noch ein paar Tage zur Beobachtung hier halten“,
meinte Raphael leise und ein wenig erstickt.
Er fühlte sich wie ein Vogel nach einem langen Flug, der endlich einen Baum
gefunden hatte, auf dem er sich niederlassen konnte, um seine Flügel
auszuruhen. Irgendwann würde er sicherlich weiterfliegen, doch zunächst wollte
der Vogel bloß ein wenig Ruhe im Schutz des Baumes.
°Ich habe nichts dagegen°, antwortete Uriel. °Ich vertraue deinem Urteil.°
Näher würden sie wohl jetzt nicht an Bekundungen heran kommen. Das brauchte
seine Zeit, aber Raphael dachte schon, dass er den letzten Satz richtig
interpretierte, in dem er annahm, dass sich das Wort Vertrauen nicht nur auf
seine ärztliche Fachkenntnis bezog, sondern vielleicht auch auf ihn selbst.
„Gut“, sagte Raphael. „Ich werde dir jetzt etwas zu Essen bringen lassen.
Danach solltest du versuchen noch ein wenig zur Ruhe zu kommen.“
Raphael schritt zur Tür und stellte fest, dass es am Horizont merklich heller
geworden war. Die Sonne würde bald aufgehen und sein Tag anbrechen. Einige
Dinge musste er noch erledigen bevor Alexiel von Uriels Erwachen Wind bekam und
sich dann nicht mehr abwimmeln ließ. Denn leider galt die Regel 'nur
Familienmitglieder' bei Engeln nicht und solange Uriel Besuch empfangen konnte,
durfte er Alexiel zumindest kurze Visiten nicht verweigern. Auch wenn er es
gerne gewollt hätte.
Aber er hatte das Gefühl, dass diese Sache des Ursprungs nur Alexiel und Uriel
etwas anging. Vielleicht würde es ausreichen, dass Alexiel sah, dass sie für
Uriels Verletzung verantwortlich war. Er würde es ihr ein wenig unter die Nase
reiben, sicherlich. Wenn Alexiel sich selbst Vorwürfe machte, könnte das als
Rache vielleicht reichen. Musste es wahrscheinlich auch, denn Uriel würde
niemals zu lassen, dass man Alexiel verletzte, selbst wenn er versuchen würde
neutral gegenüber beiden Parteien zu bleiben. Denn verstecken würden sie den
Konflikt nicht können, dafür war Uriel zu umsichtig und zu intelligent.
Solange Michael außen vor blieb, würde es wohl bei angespannten Gesprächen
bleiben und nicht zu einem vierten großen Krieg ausarten.
Gerade wollte Raphael sich darüber wundern, dass er gar nicht wusste, wo
Michael plötzlich war, da rief ihn Uriel noch einmal zurück.
°Raphael°, sprach Uriel noch ein Mal und der Windengel drehte sich um.
Es lag nichts angespanntes in Uriels Zügen, wirkte sogar lockerer und
zufriedener als vorhin, wo er den Raum betreten hatte. Raphael war froh
darüber, wollte schon bloß nicken und dann verschwinden, als ihn etwas
aufhielt.
„Danke“, sagte Uriel und benutzte zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder
seine Stimme.
Sie war sanft und leise, eindeutig noch nicht ganz wiederhergestellt, aber sie
war da. Die Stimme, die wie ein Anker im Wind war und ihn am Boden halten
konnte, wenn er innerlich mal wieder abhebte. Es war nicht Michaels Bestreben
andere zu kontrollieren, er ließ ihnen immer die freie Wahl, weil er nichts von
Beschränkungen hielt, aber manchmal musste man auf den Boden der Tatsachen
zurück gebracht werden. Raphael war sich nicht bewusst gewesen, wie tief Uriels
Stimme in ihn eindringen konnte, doch nun beruhige sie Wirbel mit einer
Leichtigkeit, die schon so lange seine Begleiter gewesen waren. Es war fast als
würden zwei warme starke Hände nach ihm ausgestreckt werden und ihn halten,
trotz dessen, dass er so flüchtig und flüssig in seiner Natur war.
„Ja“, antwortete Raphael auf die unterschwellige Botschaft, die in Uriels
Stimme mitgeklungen hatte.
Sein eigenes Ja war genug, er musste das Ich dich auch nicht aussprechen. Er
drehte sich weg, um den Raum endgültig zu verlassen, doch Raphael hatte nicht
gut genug auf seine Züge geachtet, um das Lächeln zu verbergen, dass seine
Lippen zierte. Das Lächeln das sagte: Ich bin bald wieder zurück.
Zum ersten Mal seit langer Zeit empfand Raphael wieder so etwas wie zentrierte
Ruhe. Er hatte seine Balance wieder gefunden, zumindest für jetzt.
Erste Sonnenstrahlen brachen durch die Flurfenster, als Raphael sich auf die
Suche nach Barbiel machte. Michael und dessen plötzliches Verschwinden hatte er
vollkommen vergessen.
-
„Es scheint ja funktioniert zu haben“, murmelte Michael und drehte sich weg.
Er hatte sie nicht wirklich beobachtet, dafür hatte er zu weit weg gestanden,
aber selbst von der anderen Seite des Hofes aus, konnte er fühlen wie sich
Raphaels Energie veränderte und zur Ruhe kam. Uriels war nicht ganz so deutlich
zu lesen, aber Michael sah und verstand genug um zu wissen, dass es auch ihm gut
ging. Das hieß, dass immerhin kein zweiter Versuch nötig war. Die Beiden
würden sich wieder zusammen raufen. Nicht ohne Schwierigkeiten, aber sie
würden es schaffen. Noch ein Mal würden sie einander nicht verlieren.
Michael drehte sich um und machte sich daran, dass Krankenhaus zu verlassen.
Rotes Licht lag auf den weißen Wänden und am Himmel stieg die Sonne langsam
höher. Innerlich fühlte Michael das bekannte Ziehen in der Magengegend. Er war
das Feuer, die Sonne war ein Teil von ihm, doch in letzter Zeit war etwas
anders. Es war stärker als sonst, nun fühlte er die Kraft der Sonne direkt
unter seiner Haut brennen. Sie lenkte ihn, rief ihn, wollte das er etwas tat und
konnte nicht anders als gehorchen. Die Sonne war ein Teil von ihm, das hieß, es
war seine eigene Stimme die ihn rief und mit jedem neuen Sonnenaufgang fühlte
er, wie es näher rückte. Etwas. Michael konnte sich dem nicht entziehen, es
ging nicht. Es ließ ihm keine Wahl, auch wenn ein Teil von ihm sehr wohl sagte,
dass es gefährlich war.
In seiner Tasche fühlte er sein Telefon vibrieren und Michael fischte es
heraus, während es den Komplex des Krankenhauses verließ. Das Display zeigte
ihm an, dass es 5:24 Uhr morgens war und er musste keinen Blick auf den Kontakt
werfen, um zu wissen, wer ihn angerufen hatte.
„Ja?“, fragte Michael in einem recht normalen Tonfall.
Es waren zwar nicht viele Engel unterwegs, doch Aufmerksamkeit konnte er jetzt
nicht gebrauchen.
„Es ist alles vorbereitet“, hörte er die bekannte Stimme seines besten
Mannes für Nachrichten und Informationen. „Soll ich Camael-sama Bescheid
geben?“
„Tu das“, ordnete Michael an und Zufriedenheit breitete sich in ihm aus.
Wenn Thorongiel ihn anrief, hieß das, dass sie alle nur noch auf seine
Bestätigung warteten.
„Fangt bereits an“, sprach Michael weiter. „Ich stoße bald zu euch.
Camael hat das Kommando bis ich auftauche. Sag ihm, dass sich weiterhin alle
bedeckt halten sollen.“
„Verstanden“, sagte Thorongiel, einer von Michaels besten Männern und
trennte die Verbindung.
Michael ließ das Telefon zurück in seine Tasche gleiten und fuhr sich mit
seinen Fingern durch das Haar. Er würde jetzt zuerst schlafen, etwas essen und
dann sich auf den Weg machen. Er hatte alles vorbereitet, doch ein paar Dinge
musste er noch erledigen. Ausschlaggebend mochten sie vielleicht erst später
sein, doch das Wichtigste war, dass Raphael nichts merkte.
Je länger er ihm auf den Leim ging, desto größer war sein Vorsprung.
Michael verschwand zwischen den Gebäuden der Stadt, entschlossen seinen Weg zu
Fuß zurück zu legen. Ein wenig weit mochte es sein, aber so war es am
unauffälligsten. Das war besser so. Denn es hatte begonnen.
xxx
Endlich fertig. Ich habe ewig gebraucht bis ich endlich an diesem Punkt
angelangt bin. Wurde aber auch Zeit. Schließlich beginnt jetzt der letzte Akt
(über den ich keine Fragen beantworten werde). Ich hoffe die Raphael/Uriel
Geschichte habe ich zu euer Zufriedenheit bewältigt. Persönlich finde ich,
dass sie mir gut gelungen ist. Auch wenn man ein wenig darauf achten muss, was
gesagt und was im Vergleich (auch in Bezug auf Michael) vielleicht nichts gesagt
wird. Dies ist eines der längsten Kapitel dieser Geschichte, mal sehen, ob das
so bleiben wird. Der Engel, mit dem Michael am Ende spricht, ist ein OMC und hat
mit Absicht einen Namen bekommen. Stammen tut er aus der Enzyklopädie von
Mittelerde. Es ist einer der vielen Namen von Aragorn und wurde bloß
engelsmäßig angepasst.
mangacrack
P.S. Die Formatierung in diesem Kapitel hat mich umgebracht. Dafür hat es mir
viel Freude bereitet, neue Steckbriefe zu erstellen. Sind die Neuen besser als
die Alten?
Grenzen des Himmels - Das Rot des Untergangs
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Kommentar: Dies sollte eigentlich Kapitel 21 sein, doch irgendwie hat es nicht
ganz gepasst. Das passiert nun mal, wenn ein Charakter sich selbstständig
macht. Dabei war das Kapitel, dass eigentlich an dieser Stelle stehen sollte,
schon halb fertig. Nun merke ich, dass es sich erneut verschiebt. Irgendwie
mogeln sich ständig immer neue Kapitel dazwischen. Ich hoffe das stört euch
nicht. Als Feier für das Erscheinen des 20. Kapitels, werden nun erst einmal
ein paar Fragen beantwortet...
mangacrack
xxx
::Kapitel 20 – Das Rot des Untergangs::
Der Himmel war von einem scheinenden Rot bedeckt und es ärgerte Michael. Selten
waren die Ebenen so klar zu sehen wie an diesem Abend, selbst bis auf Assiah
konnte man herunter blicken. Doch nun, wo er einmal ein wenig Wolken oder
ähnliche Substanzen brauchte, die die Sicht erschwerten, musste man ihm den
schönsten und klarsten Sonnenuntergang bescheren, den man sich nur wünschen
konnte. Michael knurrte ein wenig und überlegte, wie er seinen Plan trotzdem
durchziehen konnte. Am besten wäre es, alles ein paar Stunden zu verschieben,
damit sie bei Nacht den Himmel verlassen konnten.
Es gefiel ihm nicht es hinterrücks tun zu müssen, doch leider konnte er es
sich nicht leisten, sich nicht darum zu scheren. Zu Sevothtartes Zeiten hätte
kein Engel einem Schlachtschiff nachgesehen, höchstens jene die für den grauen
Diktator spionierten, aber zur Zeit war die Stimmung angespannt. Die
Bevölkerung wollte Ruhe und Frieden. Sie wähnten sich jetzt in Sicherheit,
weil Sevothtarte aus dem Bild und Gott gleich ganz verschwunden war. Eigentlich
vermutete Michael sogar, dass es die meisten Engel überhaupt nicht kümmerte,
was nun passierte, sie sahen dies nur als Chance sich bei kleinsten Kleinigkeit
zu beschweren, weil sie ahnten, dass der Rat der Hohen Engel alles tun würde,
um sich bei dem Volk gut zu stimmen.
Und das hieß keine gefährlichen Kämpfe. Am liebsten wollte man der
Bevölkerung gar nicht erzählen, dass es an den Grenzen schlimm aussah. Es
existierte keine Barriere zwischen dem Himmel und dem Grenzland der Hölle, es
war Freiland und da die sechs zerstörten Schalen immer noch wild ineinander
wucherten gab es viel zu tun. Im Grunde war die Selbstmordattacke verheerender
für den Himmel gewesen, als der Tod Gottes. Denn Gott hatte sich schon lange
nicht mehr um sie gekümmert, die Orientierung an dem Wesen, dass sie erschaffen
hatte, hatte stark nachgelassen in den letzten Jahrhunderten. Nicht, dass
Michael dem hinterher trauerte, jetzt zwang ihn wenigstens niemand mehr dazu in
diesen verdammten Gottesdienst zu gehen.
Aber das Kämpfen wollten sie ihm verbieten.
Der Hohe Rat der Engel hatte ihm doch glatt gesagt, dass die Bevölkerung nicht
noch einen Schlag erleiden dürfte, das sie sich alle jetzt keinen Krieg leisten
konnten … Michael könnte sich immer noch Haare raufen, wenn er sich die
Erklärung des Vorsitzenden in Erinnerung rief. Quacksalber.
Michael schimpfte leise vor sich hin, während er in dem offenen Hanger auf
einer großen Ladekiste lungerte und zusah, wie die Piloten ihre Kampfkreuzer
startklar machten. Nun, sie hatten ihm verboten die Bevölkerung damit mit
hinein zu ziehen. Keine Einberufung der Reservisten oder Neuanwerbungen für
eifrige Jungengel, aber die Männer, die unter ihm arbeiteten, davon hatten sie
nichts gesagt. Und da sich ein Großteil seiner Leute bereits im Grenzland
befand musste er nur noch die Ausrüstung dort hinschaffen.
Hinterhältig grinste Michael.
Sie hatten ihm die Flugschiffe des Himmels nicht zur Verfügung stellen wollen.
Sollten sie ruhig. Er war darauf nicht angewiesen. Vor einiger Zeit hatte dies
sowieso noch alles Sevothtarte gehört und den Teufel hätte er getan, als bei
dem um Waffen und Flugmaschinen zu bitten. Also musste er ein bisschen graben.
Michael grinste erneut und warf einen tiefen Blick in den Hangar hinein. Alles
arbeitete geschäftig, doch nicht wenige wunderten sich über das große, große
Loch im Boden. Ein oder zwei Soldaten war es bereits passiert, dass sie hinein
gefallen waren, um dann recht verblüfft wieder hinaus zu fliegen. Er wusste,
dass kaum einer eine Ahnung von dem doppelten Boden unter der Militäranlage
gehabt hatte, aber er fragte sich, wie man nur so dumm sein konnte. Hatten seine
Männer ehrlich geglaubt, dass er zusah, wie Sevothtarte seinen Arsch im Himmel
breit machte ohne sich darauf vorzubereiten? Er ließ sich doch seine Armee
nicht wegnehmen.
Denn die gehört ihm.
Das waren seine Männer, seine Kampfflugschiffe, seine Entscheidungen und sein
Krieg. Seit dem Tag an dem er die Heerführung übernommen hatte, nicht lange
nach dem ersten großen Krieg. Eigentlich hatte er damals gar nicht vorgehabt
diesen Haufen anzuführen und hatte den Posten nur angenommen, weil Luzifer
sonst jeden fähigen Mann umgebracht hatte, doch danach hatten die Generäle
alleine ja nichts auf die Reihe bekommen. Also hatte er die Himmlischen
Heerscharen für sich beansprucht und keiner hatte sich beschwert. Keiner hatte
es gewagt, sich zu beschweren.
Weil sie alle wussten, dass Michael der Beste war.
Weil kein Anderer den Job haben wollte.
Weil kein Anderer den Job machen konnte.
Wer, außer der Engel des Feuers, hätte die Ausdauer und den Willen dazu?
/Und jetzt.../, dachte Michael und lehnte sich zurück, um durch die geöffneten
Türen des Hangar raus zu dem blutroten Himmel zu sehen, der sich langsam
verdunkelte. /...jetzt habe ich nichts anderes mehr./
Es war ihm nicht sofort aufgefallen. Erst als er mit den Vorbereitungen begonnen
hatte, war ihm bewusst geworden, wie natürlich ihm das von der Hand ging. Auch
erschien es ihm, dass er seit langer Zeit sogar zuerst darüber nachdachte, was
er tat bevor er die Befehle gab. Das er ein wenig weiter dachte, als er es zuvor
getan hatte. Doch dies hatte eine Veränderung hervor gerufen, wie er hatte
feststellen müssen. Früher war er blind in die Flammen gesprungen,
rücksichtslos was kommen möge, aber mit dem sicheren Wissen, dass danach etwas
kam.
Hier, heute war er sich dessen nicht mehr so sicher.
Es war nur ein kleiner Gedanke, eine leise Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte,
dass er vorsichtig sein sollte. Dass er dieses Mal besser sicher gehen sollte.
Das war ein Punkt, der ihn leicht unsicher machte.
Normalerweise wusste er, wie das Ende einer Schlacht in seinen groben Zügen
aussah. Nicht durch komplizierte Szenarien, welche die Generäle auf großen
Tischen erstellten oder durch saubere Pläne, die er in seinem erstellte, wie es
Luzifel einst vor so langer Zeit getan hatte. Nein, er bloß voraus und sah die
dunklen Flecken vor seinem inneren Auge. Rot, schwarz und weiß dominierten dann
sein geistiges Blickfeld. Schwarz stand für den Tod, rot für die Verwundeten
und weiß als innerer Kern für jene, die immer noch kämpften. Purer Instinkt,
wie die Menschen es nennen würden.
In harten Zeiten hatte es manchmal lange gedauert bis er wieder andere Farben
sah, als Variationen von diesen, die ihm sonst zeigten, wo das Feuer war und wo
nicht. Es waren keine Visionen - feste Bilder von Geschehnissen die sein
würden, waren eher Jibrils Sache – sondern eher eine Art abtasten, was sich
richtig anfühlte. Es waren nur kurze Sekunden, eine Art Gefühl, das ihm sagte,
wo er lang gehen musste, doch dieses mal … verstand er nicht, was dieses
Gefühl ihm sagen wollte. Schloss er die Augen war alles weiß.
Alles.
Wie als wenn man in die Sonne blickte und geblendet wurde. Es irritierte
Michael, denn er lebte schon lange genug, um zu wissen, dass sein Element ihm
gerade vorenthielt, was kommen würde. Es schickte ihn komplett ahnungslos in
die Zukunft. Üblicherweise war er nicht so abgeschnitten von dem was sein
würde, deswegen irritierte es ihn. Jetzt hatte er nur sich selbst und seine
Kräfte … und zuviel Zeit zum Nachdenken. Und Nachdenken war schlecht, denn
Feuer handelte und dachte nicht. Es kämpfte und in einem Kampf war es tödlich
stehen zu bleiben um nachzudenken.
Es warf ihn schlichtweg aus der Bahn, noch dazu seit er die Veränderungen an
sich bemerkt hatte. Der Fakt allein, dass er gewachsen war, war verstörend
genug. Hinzu kam die Tatsache (inzwischen war es eine Tatsache und keine
Vermutung mehr!), dass seine Astralkraft angestiegen war. Nur leicht, aber
deutlich genug, um sich zu fragen wo das her kam. Zuerst hatte er vermutet aus
seinen Flügeln oder Luzifers, weil sie sich – nicht wie es eigentlich sein
sollte – ja kein Flügelpaar teilten, aber egal was er auch probiert hatte, er
fand einfach keine Erklärung.
Keine vernünftige. Keine die Sinn machte.
/Wenn die Astralkräfte eines Engels ihren höchsten Punkt erreicht haben, hört
er auf zu altern/, rezitierte Michael in seinen Gedächtnis aus einem alten
Buch.
Diesen Satz, hatte er in der Vergangenheit so oft gelesen, um einen Weg darum
herum zu finden. Er hatte den Körper des Halbwüchsigen gehasst, der er war und
selbst die Anzeichen des Wachsens, die er jetzt zeigte, machten ihn noch nicht
zu einem Erwachsenen. Es könnte Äonen dauern bis es geschah, doch die Frage
nach dem Warum blieb. Das Beste, was Michael sich zusammenreimen konnte, war,
dass er innerlich hatte Kind bleiben wollen, um in der Zeit zu verweilen in der
Luzifel und er noch einander verstanden hatten. In denen nichts zwischen ihnen
stand oder eine Prophezeiung ihr Leben bestimmte. Hieß auf der Kehrseite
allerdings, dass er sich jetzt unbewusst damit abgefunden haben musste, dass
Luzifer und er immer Feinde bleiben würden.
/Aber macht das Sinn?/, fragte sich Michael und raufte sich still die Haare.
/Habe ich das wirklich und es nur noch nicht akzeptiert? Wo aber doch ein Teil
von mir immer noch Luzifer hinterherjagen will, um die Bestätigung zu bekommen,
dass er mich nie um meiner Selbstwillen gehasst hat?/
Kalter Wind wehte von draußen herein und Michael beobachtete seine Leute aus
den Augenwinkeln. Es tat gut sich daran zu erinnern, dass es nicht nur er gegen
den Rest der Dämonen war. So viele Leute standen hinter ihm, sahen ihm zu auf,
dass es ihn hin wieder immer noch verwirrte. Trotz der Tatsache, dass er sich
daran gewöhnt hatte. Eben aus jenem Grund, saß er jetzt hier, in Mitten des
Geschehens, ohne jedoch wirklich gesehen zu werden.
All die hellen Feuer in Geiste der Engel um ihn herum waren eine Warnung, dass
er jetzt nicht wieder geradewegs einen Komplex entwickeln sollte. Die Ablehnung
Luzifers und seine ablehnenden Reaktionen auf ihre Verwandtschaft war so etwas
gewesen und Michael hatte das Gefühl, dass er genau darauf wieder zusteuerte.
Doch das, was ihn beunruhigte war, das er möglicherweise würde wählen
müssen. Wählen, wie er Luzifer zukünftig gegenübertreten wollte. Und er war
nicht gut darin, wenn es darum ging zu wählen. Er war es gewohnt, die einzige
Möglichkeit, die er hatte, zu nehmen und das Beste daraus zu machen.
Jetzt durch den Tod Gottes, das Ende von Sevothtartes Herrschaft und das
Erscheinen des Messias deutete alles auf einen Neubeginn hin und alles in seiner
Seele widersetzte sich dessen. Nicht, dass er zu den alten Zuständen zurück
wollte, danke schön, dafür hatte ihn Sevothtarte zu oft zu sehr genervt, aber
um ihn herum begannen die Engel das neue Zeitalter, wie einige es bereits
nannten, vom Zaun zu brechen. So etwas ging in den seltensten Fällen gut, die
Zeit nachdem Fall Luzifers sollte das beweisen haben. Und nichts, was man
erschuf oder baute, war ohne Fehler.
Michael wusste das vielleicht am besten, denn er wusste, dass Fehler dazu
gehörten.
Das Feuer tat weh, wenn man es versuchte anzufassen. Sein Licht konnte einen
blind machen, wenn man zu lange hinein sah. Wasser konnte gefrieren oder
jemanden ertränken, Luft war nicht fest und blieb selten an einem Ort, egal wie
sehr man es sich wünschte und Erde war unbeweglich und verharrte meist viel zu
lang.
Doch das gehörte einfach dazu, so waren die Dinge eben, nur versuchten Menschen
wie Engel meist Dinge ohne Fehler zu erschaffen und begingen damit den Größten
von allen.
/Ich frage mich, warum mich das so beschäftigt/, dachte Michael, kam aber nicht
dazu weiter darüber nachzudenken, weil ein schweres Ruckeln ihn aus seinen
Gedanken riss.
Er blickte verwirrt um sich und sah, dass drei Soldaten gerade dabei waren den
Container auf dem er oben drauf saß, in eines der Frachtschiffe zu
transportieren.
„Hey“, beschwerte sich Michael und blickt über den Rand der übergroßen
Kiste, um die Soldaten anzuschnauzen, „Wollt ihr mich gleich mit verladen?“
„Entschuldigen sie vielmals Boss“, sprach einer der Engel hastig. „Wir
haben sie nicht gesehen!“
Bevor Michael sich über die Andeutung aufregen konnte, ob der denn zu klein sei
um gesehen zu werden, mischte sich ein weiterer Engel ein, der mit grimmiger
Zufriedenheit auf sie zugestapft kam. Er trug eine lockere Uniform, auf seiner
Brust prangte das Zeichen, was ihn als Besatzungsmitglied von Michaels privaten
Schlachtkreuzer auszeichnete und unter seinen schwarzen Haarsträhnen blitzten
seine Augen auf.
„Hier sind sie, Kapitän“, sprach der Engel und grinste. „Haben sie
geglaubt sie könnten mir ewig entgehen?“
Michael verzog das Gesicht. Er hätte die Klappe halten sollen. Nun hatte er
doch glatt durch seine Überlegungen vergessen, warum er sich versteckt hatte.
Geschlagen, weil der Jäger seine Beute gefunden hatte und nicht mehr loslassen
würde, schwang Michael seine Beine über den Rand des Containers und blickte
auf Thorongiel herunter.
„Nein“, antwortete er ehrlich, „Aber ich habe es zumindest versucht.
Außerdem bezweifle ich, dass du nicht doch wusstest, wo ich bin.“
„Was lässt sie das denken, Kapitän?“, fragte Thorongiel und legte den Kopf
in den Nacken, um seinen Kommandanten besser ansehen zu können.
Der schnaubte nur und sprang schließlich mit einem Satz von dem Container und
winkte den drei Soldaten fortzufahren. Er tippte Thorongiel auf die Brust und
meinte dann: „Du bist mein bester Kommunikator. Wenn ich Informationen
brauche, komme ich zu dir.“
„Das heißt auch nicht, dass ich alles weiß“, erwiderte Thorongiel und
packte seinen Kommandanten an seinem Mantel, um ihn zu dem Startplatz zu ziehen,
von wo sie aufbrechen würden.
„Was du nicht weißt, ist nie passiert“, antwortete Michael trocken und
wehrte sich nicht gegen die Behandlung. Thorongiel war zwar kein General der
Armee, die berichteten Camael, wohl aber einer seiner besten Männer. „So
heißt es zumindest über dich.“
Thorongiel lachte kurz auf und ließ seinen Kommandanten los, als er merkte,
dass dieser ihm freiwillig folgte. Ihn und seinen Boss verband eine Art
freundschaftliches Verhältnis, besonders da sie recht viel miteinander zu tun
hatten, denn Thorongiel sammelte Informationen und war auch verantwortlich für
die korrekte Weitergabe von Befehlen, aber um das leibliche Wohl des Bosses
kümmerte sich in der Regel Camael. Nicht, dass er es nicht machen wollte, doch
dem Berater machte es am wenigsten etwas aus sich notfalls auch einem
stinkwütenden Boss zu nähern, da die Hälfte seiner Körperteile sowieso
künstlich war.
Aber Camael war an der Grenze und befehligte da die bereits anwesenden Truppen.
Kein Zufall, wie Thorongiel glauben wollte, denn es war auch Camael, der am
besten darin war zu erraten was der Boss vorhatte oder wirklich beabsichtigte.
Er selbst hatte Übung, doch war lange nicht so gut darin abzuschätzen, ob sich
Michael-sama mal wieder kopfüber in Gefahr begab und man ihn davon abhalten
musste.
/Ich kann nur hoffen, dass jemand früh genug merkt, was der Boss vorhat/,
dachte Thorongiel.
Denn auch wenn der Einsatz der Kampfschiffe in Reserve vollkommen berichtigt
war, so sagte ihm die Erfahrung, dass das nicht alles war. An der Grenze sah es
zwar schlimm aus und seine Kundschafter sagten ihm, dass es noch schlimmer
werden würde, aber Michael-samas Verhalten war zu ruhig und zu kontrolliert. Er
plante größeres, sodass er noch nicht in die ungeduldige Vorfreude auf eine
Schlacht verfallen war. Das hatte seinen Grund und Thorongiel nahm dies stets
als Grund zur Sorge.
„Wann brechen wir auf?“, erkundigte sich Thorongiel und machte sich bereit
den Befehl an alle Einheiten codiert durchzugeben.
„In 27 Minuten ist Sonnenuntergang“, sagte Michael mit einem Blick zum
Himmel. „Ich will, dass alle Schiffe in spätestens einer Stunde in der Luft
sind, denn sollten wir noch länger warten können die Tarnung der Schiffe durch
das Abendrot vergessen.“
Thorongiel nickte.
Sie hatten es getestet, weil viele Soldaten es nicht geglaubt hatten, aber es
war wahr. Das Metall mit dem die Ersatz-Flugkreuzer gebaut waren, reflektierten
das Licht der Sonne und schufen während der Abenddämmerung die beste Tarnung,
sodass sie fast unsichtbar den Himmel verlassen konnten.
Thorongiel ging im Inneren die Liste durch, ob er noch etwas vergessen hatte,
ehe er seinen Boss mit guten Gewissen gehen lassen konnte. Er hatte Michael-sama
Fleisch an Bord bringen lassen, damit er das auch ja essen würde. Während des
Fluges war genug Zeit und er bezweifelt, dass sein Boss selbst daran gedacht
hatte. Denn der Nachteil der Feuerkräfte war, dass sie nicht Kraft oder
Energie, sondern Nahrung kosteten. Vor und nach großen Schlachten war ihr Boss
ständig am Futtern, um Nährstoffe wieder aufzunehmen, die er verbrannt hatte.
Fleisch, egal in welcher Form, wurde da vorgezogen, weil man entsprechende
Nahrungsquellen bloß töten und rösten musste. Denn war Michael-sama jemand,
der Essen als Notwendigkeit und nicht als Chance auf Ruhe und Gemütlichkeit
betrachtete. Ganz zu schweigen von der lästigen Angewohnheit, dass sein Boss
hin und wieder einfach mal vergaß zu essen. Gab ja schließlich so viel
wichtigeres als das.
Fatal, denn sofort machte sich das nicht bei einem Element oder einem Engel
seines Status bemerkbar. Es wurde meist erst kritisch, wenn die Reserven
aufgebraucht waren und sein Boss ausgerechnet dann in einen Kampf auf Leben und
Tod geriet.
/Hatten wir alles schon und ich bezweifele, dass wir diesmal wieder soviel
Glück haben/, dachte Thorongiel missmutig.
Denn sein Boss hatte vielleicht alles, aber sicherlich kein Glück. Weswegen sie
immerhin von sich behaupten konnten, alle vergangene Schlachten mit Ausdauer,
Verstand und Intelligenz gewonnen zu haben und nicht, dass es etwa Glück war.
Deswegen waren Pläne und Vorbereitungen wichtig. Sie hatten abgesprochen, dass
Michael an der Spitze vor fliegen würde und die Flotte nachkam. Das hätte im
Ernstfall gleich zweimal den psychologischen Aufbaueffekt, dass Verstärkung
kam. Einmal der Anführer der Himmlischen Heerscharen selbst und dann eine ganze
Flotte hinterher. Auch würde dies ihrem Kommandanten ein wenig Zeit zur
Erholung geben, sollten die Dinge ernst werden.
„Haben sie sonst noch irgendwelche Befehle, Kapitän?“, fragte Thorongiel,
ehe er sich aufmachen würde, um die Vorgänge auf dem Flugfeld zu überwachen.
Michael hingegen schickte sich gerade an die Rampe zu der Öffnung seines
Schlachtschiffes, der Flaming Hell, hochzusteigen. In der Mitte blieb er stehen,
drehte sich um und sah auf Thorongiel herunter. Es lag ein sehr ernster Ausdruck
in den goldenen Augen, die durch die Haare nur schwer zu sehen waren, denn der
Wind trieb die roten Strähnen immer wieder ins Gesicht seines Bosses, der aber
noch keine Anstalten machte, seine Schutzbrille aufzusetzen.
„Um ehrlich zu sein“, sagte Michael, „Ja. Da ist noch etwas. Du könntest
mir einen Gefallen tun.“
Einen Gefallen?
Thorongiel hob eine Augenbraue. Diese Art des Ausdrucks war selten, denn es
bedeutete, dass Michael ihm es nicht befehlen wollte. Stünden sie jetzt auf dem
Schlachtfeld würde er sich Gedanken darum machen, ob es eine Art
Selbstmordauftrag war, um den sein Boss ihn nicht bitten wollte, denn derartige
Missionen kamen (ziemlich wörtlich zitiert) überhaupt erst gar nicht in die
Tüte. Denn Michael hasste Selbstmordkommandos, sodass er selbst immer zu sah
auf der gefährlichsten Mission dabei zu sein, damit eben dies nicht geschah.
„Ich schicke meine Männer nicht wissentlich in den sicheren Tod!“, hatte er
in einer Ratssitzung vor langer Zeit geschrien und danach mit Sevothtarte den
Boden gewischt, weil dieser gewagt hatte einen derartigen Vorschlag zu machen.
Seitdem war jeder froh gewesen, wenn Michael lieber fern blieb, wenn sich die
Hohen Engel trafen.
Aber im Grunde … war es für ihn bedeutungslos.
„Michael-sama“, sagte Thorongiel in einem festen, fast leicht beleidigtem
Ton und verneigte sich, während er zugleich seinen Kommunikator an die Brust
presste, „Bittet mich nicht. Befehlt!“
„Ah“, machte Michael, dessen Gesicht Thorongiel durch seine Haltung nicht
sehen konnte, „Ich wollte deine Loyalität nicht anzweifeln, doch betreffend
dessen, dass du Raphael hinhalten solltest, wenn er irgendwann hier aufkreuzt,
erschien es mir besser es als Gefallen und nicht als Befehl zu formulieren.“
Thorongiel richtete sich wieder auf, um seinen Boss einen fragenden Blick zu
zuwerfen.
„Raphael-sama?“, wunderte er sich. „Woher wisst ihr das so genau?
Schließlich haben wir doch alles getan, um diese Operation geheim zu
halten.“
Da befand sich noch nicht etwa ein Leck in seinem Nachrichtendienst? Er wusste,
dass Beraterin Barbiel gut war, aber eigentlich hatte er darauf geachtet, dass
alle ihre Informanten sich in Wolken verfliegen würden, wie man so schön
sagte.
„Keine Sorge“, beruhigte ihn Michael, der ihn wohl daran hindern wollte,
jede Feder nach dem Verräter umzudrehen. „Es hat ihm niemand etwas gesagt,
doch Raphael wird es wissen, dafür kennt er mich zu gut. Doch wenn ich es
richtig mache, erfährt er es zu spät.“
Der letzte Satz hatte nach Thorongiels Geschmack ein wenig zu weich und sanft
geklungen, als das er in die Kategorie 'sich gegenseitig nervenden Elementen'
gehörte, aber das hieß auch, dass es privat war und Thorongiel hatte sich
einst geschworen, dass er niemals in dem Privatleben seines Bosses
herumschnüffeln würde. Engel wie Raphael fielen damit in einen Grenzbereich,
den er nur mit Erlaubnis betreten würde und dies war hier nicht der Fall.
„Zu spät für was?“, hackte Thorongiel sicherheitshalber nach.
„Zu spät um mich davon abzuhalten seiner Ansicht nach eine Riesendummheit zu
begehen!“, erklärte Michael und winkte ab.
Thorongiel nickte zustimmend.
Ihm waren die Streitereien des Windengels und seines Bosses bekannt, in denen es
hauptsächlich darum ging Wörter wie 'Gefahr' und 'Verletzung' zu definieren.
Ähnlich wie der Satz „Es geht mir gut“ den Heiler regelmäßig zur nächst
höheren Schale flattern ließ, wenn es jemandem gelang den Boss bei
Raphael-sama vorbei zu bringen, ohne dass dieser vorher entwischte.
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach Thorongiel und trat ein paar
Schritte zurück, als die Motoren der Flaming Hell angeworfen wurden und das
Schlachtschiff langsam vom Boden abhob.
„Sieh nur zu, dass der alte Fummler dich nicht zerfetzt“, schrie Michael
über den nun tosenden Wind hinweg. Der Feuerengel stand an der geöffneten
Klappe und stemmte sich gegen die Wand, um Thorongiel letzte Anweisungen zu
zubrüllen. „Dein Leben ist eine mir mehr wert als eine ersparte
Belehrung.“
„Verstanden Boss“, schrie Thorongiel über das Flugfeld hinweg zurück und
salutierte.
Dann sah er zu, wie Michael-sama in dem Inneren des Schiffes verschwand, sich
die Klappe schloss und die Flaming Hell davon flog.
„Geben sie auf sich acht, Michael-sama“, meinte Thorongiel noch, als er dem
Kreuzer nachsah.
Dies laut seinem Boss zu sagen hatte er sich noch nie getraut und er hatte schon
einige Situationen wie diese gehabt. Viel Übung und viele verpasste
Möglichkeiten, um seinen Boss daran zu erinnern, dass er gebraucht wurde und
doch bitte geistig gesund und in einem Stück zurück kommen sollte. Aber
inzwischen dachte Thorongiel, dass es womöglich ein schlechtes Zeichen wäre,
wenn er es denn tatsächlich einmal zu jemand anderen als sich selbst sagte.
Es würde schon nichts passieren.
„Noch neunzehn Minuten bis zum Sonnenuntergang“, sagte Thorongiel mit einem
Blick auf die dunkelrote Sonne und erkannte, dass es langsam knapp wurde.
Mit einem energischen Gesichtsausdruck schnappte er sich seinen Kommunikator und
haute auf die Knöpfe. Mit Sicherheit hatte Brigadier General Rigo immer noch
wie ein verkanntes Huhn um Einheit A6 schwirrte.
„Dem werde ich Beine machen“, knurrte Thorongiel und überquerte das
Flugfeld, wo immer mehr Kampfkreuzer sich in die Luft erhoben. „Der Kapitän
ist jetzt in den Händen von Pyrrha, das muss reichen. Ich muss zusehen, dass
ich ein wenig Ordnung in diesen Geflügelhaufen bekomme. Sonst gibt es bald
Hähnchenbrustfilet mit Dämoneninnereien für Camael.“
Der Boss hasste es, wenn Schlachten nicht pünktlich anfingen.
-
Das sanfte Brummen der Motoren war Michael so vertraut, dass er sich automatisch
entspannte, als sich die Klappe schloss. Ähnlich wie das Knistern eines Feuers
gehörte das Geräusch der Flaming Hell einfach dazu, wenn sich ablenken und auf
andere Gedanken kommen wollte. Auf dem Weg in eine Schlacht war zu nichts zu
gebrauchen, zumindest wenn es um das Abwarten ging bis er eingreifen konnte. Das
war auch jetzt nicht anders und man hatte irgendwann festgestellt, dass der Boss
einfacher zu ertragen war, wenn er nicht auf der Kommandobrücke stand und die
Crew wie eine Motte das Licht umkreiste.
Dennoch war Michaels erster Weg dort hin. Er war keiner dieser Generäle, die
sich zu einer Schlacht kutschieren lassen würde, sich dann dort an den Rand
stellten, um am Ende siegreich sich nach Hause fliegen zu lassen. Niemals würde
er einer von denen sein. Entschlossen lief Michael den Gang hinunter und war
froh, dass die Flaming Hell trotz ihrer Größe bloß von zwölf Mann geführt
werden konnte. Die Crew war sein Team, das Einzige auf das er gewillt war sich
in Notfällen zu verlassen. Thorongiel gehörte mehr oder weniger auch dazu, nur
befand er sich selten mit an Bord. Meistens blieb er im Himmel zurück und
fütterte sie mit neuen Informationen oder verwischte Spuren.
/Irgendwas muss ich mir einfallen lassen/, dachte Michael. /Das er Raphael für
mich hinhalten wird, ist eigentlich mehr als ich von ihm verlangen kann./
Doch er hatte nur den schwarzhaarigen Engel darum bitten können, denn allein
Thorongiel war intelligent genug irgendwann den Mund aufzumachen, wenn Raphaels
Geduld sich dem Ende neigte. Nur befördern konnte er Thorongiel nicht, das
hatte der seit jeher abgelehnt, um weiterhin uneingeschränkt auf sein
Informationsnetz zugreifen zu können. Thor war das Gehirn, der Verstand, der es
manchmal schwer gegen die hier anwesende Crew hatte, bei der eher die
„starrsinnige Treue bis ans Ende von Sheol“ Devise herrschte. Nicht, dass er
das verwerflich finden würde, aber sie würden ihn auch wirklich überallhin
folgen. Manchmal wunderte es immer noch, warum sie ausgerechnet ihm treu waren.
Dem Engel der fast jede erdenkliche Sünde begangen hatte seit er Heerführer
worden war, aber wagen zu fragen tat Michael es nicht. Einmal weil er Angst vor
den Antworten hatte und zum Anderen, weil sie ihn vermutlich ans Kreuz nageln
würden, würde er einen Gedanken des Zweifels äußern.
Ein wenig Einfluss seinerseits war nach all den Jahrhunderten der Gemeinschaft
nicht mehr zu leugnen. Die Hälfte von der Crew hatte ein kurzes Temperament und
die andere Hälfte eine ähnlich schwierige Vergangenheit wie er. Aber er konnte
sich auf sie verlassen. Jedem von ihnen würde er blind einen seiner Flügel
anvertrauen, wenn es nötig wäre.
„Kapitän“, grüßte ihn der Kommandant der Schiffes als er in das Cockpit
trat und sich auf einem der Computerarmaturen abstützte.
„Wie sieht es aus, Pyrrha?“, fragte Michael und musterte den Engel, der
eigentlich das Sagen auf diesem Kreuzer hatte.
Pyrrha würde fast unter die Kategorie 'Unscheinbar' fallen, wenn man nicht
genauer hinsah. Unter Michaels Männern wirkte Pyrrha nahezu normal. Keine
sichtbaren Tattoos, eine komplette Uniform und recht wenig auffälliges
Verhalten. Unter den restlichen Engeln stach Pyrrha dann allerdings doch heraus.
Sein passives aggressives Verhalten, der Fakt, dass er sich unter Sevothtarte
nie dem Willen der Masse gebeugt hatte … Michael fand, dass Pyrrha in gewisser
Weise ihm selbst ähnelte, so wie fast alle der Crew in der einen oder der
anderen Art. Nur fraß Pyrrha vieles in sich herein und machte seinem Ärger
weniger häufig Luft, als Michael es gerne gehabt hätte.
/Gesteh' es dir ein Michael/, sagte der Feuerengel zu sich selbst, als er
Pyrrhas Gesicht in der Spiegelung der Frontscheibe studierte, da der Rest durch
die braunen Haare verdeckt wurden. /Du würdest für jeden Einzelnen von ihnen
kämpfen wie um die Federn deiner Flügel!/
„Wir werden fast vier Standard Stunden brauchen, Kapitän“, informierte ihn
Pyrrha. „Sie sollten sich hinlegen und schlafen, denn wie ich sie kenne haben
sie das seit ein paar Nächten nicht mehr gemacht.“
Michael überlegte, ob er protestieren sollte, allerdings wäre es am Ende
sinnlos. Wahrscheinlich hatte irgendjemand der Crew ihn überwacht und dem
Kommandanten gesteckt, dass er letzte Nacht bei Uriel gewesen war und nicht
wirklich viel Schlaf bekommen hatte.
„Gut“, lenkte Michael ein und kürzte damit die gesamte Diskussion um etwa
eine halbe Stunde. „Ich pack' mich eine Weile hin, aber sollte irgendetwas
sein, möchte informiert werden. Ist dem nicht der Fall, weckt mich eine halbe
Stunde bevor wir eintreffen.“
„Verstanden Kapitän“, meinte Pyrrha und drehte sich um, um Michael zu
zuwinken. „Schlafen sie gut.“
„Ja ja“, grummelte Michael und verschwand durch dieselbe Tür, durch die er
gekommen war, nur um dann abzubiegen und sich in die Kapitänskajüte
zurückzuziehen.
Zischend schloss sich die Tür hinter ihm und Michael warf seinen Mantel auf
sein Feuerschwert, dass er bereits vor ein paar Stunden an Bord gebracht hatte.
Daneben lag auf dem winzigen Tisch aufgestapelt das Essen, für das
wahrscheinlich Thorongiel verantwortlich war. Viel wichtiger war ihm aber das
kleine Paket, das ebenfalls auf dem Tisch lag.
Seufzend griff Michael danach und schmiss sich eine Fleischkeule in den Mund,
während er das Paket aufriss. Es war versiegelt und dauerte deswegen eine
Weile. Selbst Thorongiel hatte das Ding nur transportieren können, weil er es
erlaubt hatte. War ja immerhin seine Astralkraft mit dem der Inhalt geschützt
worden war. Irgendwann hatte er dann den Karton entfernt, die Siegel abgerissen
und das schwarze Tuch beiseite gelegt, das als Sichtschutz diente und hielt nun
eine kleine durchsichtige Schachtel in den Händen. Er tickte dagegen und
stellte zufrieden fest, dass das Glas immer noch vollkommen ganz war. Nun,
sollte es auch, denn es war Glas das aus Vulkansand gefertigt worden war und nur
seine Feuerkräfte konnten den geschlossenen Behälter öffnen, ohne den Inhalt
dabei zu zerstören.
Behutsam legte Michael seine rechte Hand auf das Glas und konzentrierte sich.
Langsam wurde das Glas warm und nahm den rötlichen Farbton an, den es bei
seiner Herstellung gehabt hatte. Schließlich wurde es weich und gab für
Michael den weg frei, um seine Hand durch das nun flüssige Glas zu stecken und
den Inhalt heraus zu holen.
Oder besser gesagt: einen Teil davon.
Es lagen eine Handvoll Federn in dem Behälter. Einige Schwarze und eine Weiße.
Vorsichtig fischte Michael nach zwei der schwarzen Federn, darauf bedacht die
Weiße nicht zu berühren. Zufrieden lächelte Michael, als er seine Hand wieder
heraus zog und die zwei Federn zwischen den Fingern hielt. Das Glas erkaltete
prompt und erstarrte, sodass bald seine ursprüngliche Form wieder hergestellt
war. Michael warf einen Blick auf den Glasbehälter und zwang sich bei dem
Anblick der weißen Feder, die durch die übriggebliebenen Schwarzen hindurch
schien, nicht nostalgisch zu werden. Er war froh, dass er die weiße Feder nicht
brauchte, doch Zeit dazu sie sich anzusehen hatte er sie auch nicht. Im
Gegenteil, sie musste wieder in Sicherheit gebracht werden.
Michael griff nach dem schwarzen Tuch, in dem der rechteckige Glasbehälter
zuvor eingewickelt gewesen war, und legte es darüber. Er war der einzige, der
ein Recht auf diesen Anblick hatte. Materieller Besitz bedeutete ihm
normalerweise nichts, denn alles verbrannte irgendwann einmal zu Asche, aber
dies war etwas anderes. Von diesem Schatz konnte er sich nicht trennen, auch
wenn er häufig gerne vergaß, dass er ihn überhaupt in seinem Besitz hatte.
Erst vor einiger Zeit war es ihm wieder eingefallen - als er bei Nanatsusaya
eine seiner Federn zu dessen Herz gemacht hatte um genau zu sein – doch nun
brauchte er es. Ohne diesen Besitz hätte er das, was er vorhatte, vielleicht
gar nicht erst in Erwägung gezogen, doch nun wo die Gelegenheit sich ihm bot,
konnte er sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.
„Saiga“, forderte Michael und befahl die Drachin zu sich, die sich im
nächsten Moment neben ihm materialisierte. Bis eben war sie bloß der Dolch
gewesen, der sie üblicherweise war, außer ihr Herr brauchte ihre Dienste
anders.
Sie ging auf die Knie und verneigte sich.
„Ihr habt gerufen, Michael-sama?“, fragte sie.
„Du musst das hier an einen sicheren Ort bringen“, sagte er und reichte ihr
den im schwarzen Tuch eingewickelten Behälter. „Hinter den losen Stein
innerhalb des Kamins meines Schlafgemachs.“
Das Feuer brannte immer in diesem Kamin und keiner war so verrückt, um dort
hinein zu fassen.
„Soll ich es bewachen?“, fragte Saiga, als sie den Behälter entgegennahm
und gegen ihre Brust drückte.
„Nein“, antwortete Michael. „Das ist nötig. Komm so schnell wie du kannst
wieder zurück, ich würde nicht ohne dich in eine Schlacht ziehen wollen.“
„Danke, Michael-sama“, sagte Saiga.
Sie nickte dann und verschwand in einer Flamme, um sich aus der Flaming Hell
hinaus zu teleportieren und zurück in den Himmel zu fliegen. Da sie ein Drache
war, war sie die Einzige, die diese Strecke locker zurücklegen konnte. Das
Annehmbare war, dass sie dabei weder würde gesehen werden, noch dass es sie
Energie kostete, denn Saiga war nicht wirklich am Leben. Er hatte ihr bloß
welches eingehaucht.
„Nun aber zurück zu dem, weswegen ich den Aufwand überhaupt mache...“,
sagte Michael und hob die beiden schwarzen Feder vor seine Nase. „Ich habe
nicht umsonst dafür gesorgt, dass ich jetzt weder beobachtet, beschattet noch
gestört werde.“
Michael ließ sich im Schneidersitz auf den Fußboden der Kabine fallen und zog
noch eine dritte und eine vierte Feder hervor, die er in seiner Hosentasche
aufbewahrt hatte. Sie sahen anders aus, als die beiden Schwarzen. Die eine
weiße Feder war länglich und hatte gerade, scharf geschnittene Kanten. Die
Andere wirkte eher ein wenig zerzaust, als schön, doch dafür war sie heller.
Sogar konnte man sagen, dass sie zu strahlen schien.
Michael reihte die Federn nebeneinander auf und beschwor in der rechten Hand
schließlich ein Feuer. Zögernd blickte er zunächst noch auf die graue,
längliche Feder, aber je länger er mit seinem Blick darauf verweilte, desto
sicherer wurde er, dass er es tun musste. Tief atmete Michael durch und schloss
dann die Augen, um die nötige Astralkraft zu sammeln.
„Es tut mir Leid, Raphael...“, flüsterte Michael als das Feuer in seiner
Hand größer wurde.
xxx
Kein ganzer Monat und doch schon ein Kapitel? Ich weiß auch nicht, was mit mir
los ist. Lang vermutlich an Michael und seiner Crew. Leider wird er im Manga
immer nur von Schwächlingen begleitet, weswegen ich mir gedacht habe, dass ein
Engel wie Michael sicherlich auch so etwas wie ein Sonderkommando/Privatteam
hat, das nicht gleich vor Schreck davon läuft, wenn der Boss mal wütend ist.
Allzu viel Platz habe ich für diese Truppe leider nicht, vielleicht mach ich
mal 'ne Kurzgeschichte draus, um näher darauf einzugehen.
Ansonsten werde ich mir jetzt anhören, was für Theorien ihr ausknobelt, was
Michael nun wieder vorhat.
mangacrack
Grenzen des Himmels - Frei von allen Ketten
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Kommentar: Das ist jetzt der dritte Anlauf für dieses Kapitel. Die erste
Version ist schon uralt und passte am Ende nicht mehr mit den neusten Kapiteln
zusammen. Die zweite Version war neuer besser, aber aus einem falschen
Blickwinkel, der den falschen Ton anschlug. Die aktuelle Version, die ihr jetzt
zu lesen bekommt, ist die Beste bisher … vielleicht poste ich die anderen
Beiden noch ein meinem Weblog auf Animexx, damit ihr sie lesen könnt, falls es
euch interessiert. Öfter als der Anfang hat nur der Titel des Kapitels
gewechselt. Da ich im letzten Kapitel es nicht beschrieben habe und das Name
wohl ein wenig schwer zu lesen ist, weise ich hier noch mal auf die
Betonung/Aussprache des Namens 'Thorongiel' hin. Da der Name von Tolkin kommt,
gehe ich hier nach seinen Vorgaben: der Anfang wie das englische stimmlose 'th'
, die Betonung liegt auf dem 'rOn' (gerolltes r), der zweiten Silbe. Ich hoffe,
ich konnte einige Unklarheiten beseitigen.
mangacrack
xxx
::Kapitel 21 – Frei von allen Ketten::
Rot.
Rot.
Alles, um ihn herum war rot.
Es war rot und es zerrte an ihm, zog ihm seine Kraft heraus und es schmerzte. Es
schmerzte so sehr, dass Raphael kaum etwas sah. Er war sich nicht sicher, ob
sein Geist in seinem Körper war, aber es trieb ihm trotzdem Tränen in die
Augen. Da war etwas, dass ihm sein Herz bei lebendigem Leibe heraus riss. Etwas,
dass versuchte es zu packen, seine Krallen hinein zu schlagen, Ketten darum zu
schlingen bis Blut floss.
Nein, versuchte Raphael zu rufen. Nein, lass los.
Doch er hatte keine Stimme. Kein Klang verließ seine Kehle, weil es seine Seele
war, die man gepackt hatte. Verzweifelt versuchte Raphael dem Griff entkommen,
doch er kam nicht weg. Da waren Wände, die ihn gefangen hielten, unerbittlich
und grausam. Raphael versuchte sich selbst gewahr zu werden, wo er war und was
passierte, doch der Schmerz machte es ihm schwierig klar zu denken. Er wollte
sich bewegen, seine Hände benutzten, doch etwas hielt sie fest. Etwas hatte sie
durchbohrt, nicht das Fleisch, nein, denn das Fleisch war nicht hier, aber sein
Geist. Etwas fesselte seinen Geist und seine verschwommene Sicht zeigte ihm
schwarze Fesseln an seinen Handgelenken, die seine Arme hinaufkrochen und ihren
Anker in seinen Handfläche hatten. Was es genau war, konnte Raphael nicht
bestimmen, doch es hielt ihn an Ort und Stelle. Ganz zu schweigen davon, dass
sie eisig kalt waren.
Sehr gegenteilig zu seiner Umgebung, denn Raphael fühlte die Hitze, die an
seiner Wange leckte. Einen Körper hatte er nicht, so konnte er auch nicht
schwitzen, aber die Hitze zog die Luft aus ihm heraus und fraß sie auf. Weiter,
weiter und immer mehr, damit sie existieren konnte.
Michael, erkannte Raphael.
Was auch immer passiert war, Michael war ein Teil davon. Um ihn herum war Feuer,
auch wenn er die Flammen nicht sehen konnte, aber die Umgebung war nach wie vor
rot und hinter dem Vorhang dessen verwischte alles. Raphael bedauerte, dass er
nicht rufen oder schreien konnte, aber vielleicht würde Michael ihn trotzdem
hören. Die Verbindung vom Feuer zu seinem Hüter musste nicht konstant in einer
Linie verlaufen, es konnte springen und durch die Flammen reisen bis die
Nachricht seinen Herrn erreichte. Einen Vorteil gegenüber Wind, Wasser und
Erde, deren Weg immer verbunden war und mit Kreuzungen wie Abbiegungen genommen
werden musste. Feuer wurde geboren, verteilte, trennte und verband sich wieder.
Es umschloss alles, so wie auch ihn jetzt.
Ist das eine Falle?, fragte sich Raphael.
Er konnte sich nicht erinnern, wo er als letztes gewesen war und leider war
Michael nicht der Einzige, der das Feuer benutzten konnte. Es gab noch andere
Elemente, kleiner und schwächer, aber nicht so gebunden wie sie. Jene konnten
sich freier bewegen als sie, aber keiner von den kleineren Feuerelementen wäre
stark genug, um ihn gefangen zu halten. Die Erschaffung der Menschheit hatte
für sie auch Nachteile gehabt. Zwar waren sie die großen Vier, die Hüter der
Natur, aber es gab für sie auch keinen Platz mehr. Als Engel, die sie nun waren
sie hielten das Gleichgewicht in einer Art, die keine Veränderung zu ließ,
weil Menschen anfällig waren. Geworden waren. Anfällig für die rohe Gewalt
der Natur, der die Menschen versuchten zu entkommen, weil sie sie fürchteten.
Nur war er jetzt alles andere als Furcht einflößend. Er war, zumindest sein
Geist, gefangen, an einem Ort, den er nicht sehen konnte, abgeschnitten von
seinem Element und er hatte keine Ahnung wie er hierher gekommen war! Trotz der
Einschränkungen zum Schutz für die Engel im Himmel, dürfte keiner dazu in der
Lage sein ihn ohne langwieriges Planen, Verrat und das Erwischen eines richtigen
Moments ihn einfach so gefangen zu nehmen. Nicht einmal sein Bewusstsein.
Außer … Raphael stockte und versuchte mehr in den Rot zu sehen, das ihn
umgab. Es waren Flammen, es war Feuer, dass ihn umgab. Michaels Feuer, wie er
jetzt begriff und Raphael fragte sich, warum er das nicht sofort erkannt hatte.
Michaels Feuer, seine Signatur war ihm so vertraut, dass es nicht Ewigkeiten
hätte brauchen müssen, um ihn zu erkennen. Es war nicht nur eine Kopie von
Michaels Flammen, die ihn umgaben, es war Michael selbst. Raphael konnte ihn
nicht sehen, aber war sich sicher. Die Art, wie die Flammen um ihn herum tanzten
und ihm Luft zum Brennen entzogen, war ihn bekannt. Seit jeher brauchte Feuer
Luft zum Brennen und Raphael hatte Michael dies betreffend immer vertraut. Sie
hingen zu eng zusammen, als das sie es sich leisten konnten, dem Anderen etwas
an zu tun.
Warum tut es dann so weh?, fragte sich Raphael, als eine neue Hitzewelle über
ihn hereinbrach, die Flammen ein Stück näher kamen und die schwarzen, kalten
Fesseln sich verstärkten. Michael würde nie absichtlich die Luft, die er
braucht von mir direkt beziehen, weil er weiß, wie schmerzhaft es für mich
ist, wenn er sie direkt und dicht in meiner Nähe verbrennt.
Denn Atem war Leben und das Leben so nah an ihm zu verbrennen, es zu zerstören
und auf zu brauchen, verursachte Schmerzen. Tief in drinnen in seiner Brust...
… so wie jene, die er jetzt fühlte!
Michael!, versuchte Raphael zu rufen. Verdammt, was tust du da?
Raphael zweifelte nicht, dass Michael einen guten Grund für sein Handeln hatte,
aber er würde ihn doch bitte gerne erfahren. Wenn Michael Kraft aus ihn bezog,
so direkt, dann hatte er entweder etwas Dummes vor oder war verletzt. Schwer
verletzt. Blind griff Raphael nach der Verbindung, um Michael zu erreichen. Er
wusste, dass der Feuerengel in der Nähe war, vielleicht war ihm nicht bewusst,
dass Raphael hier irgendwo gefangen hing und direkt betroffen war, doch wenn
hinbekam, dass mit einander kommunizieren konnten...
Wo auch immer du bist Mika-chan, sag es mir nur und ich werde holen kommen,
sandte Raphael. Hier bin hier, du bist bist nicht allein. Halt durch, halte …
Doch anstatt auf eine Art Resonanz zu treffen, kamen seine Worte zurück, wie
ein Echo, dass eine Bergwand getroffen hatte. Oder das Ende einer Straße, wo
alles, was über den Rand glitt ins bodenlose Leere stürzte.
Michael?, fragte Raphael, um sicher zu gehen, dass es nicht das war, was er
vermutete. Michael?
Doch es kam keine Antwort, es würde keine Antwort kommen, denn die Verbindung
… die Verbindung zwischen ihnen, zwischen ihm und Michael war tot. Gerissen,
in der Mitte durchgeschnitten und jetzt brachen die Enden ab, zogen sich zu
ihrem Besitzer zurück.
Nein!
Raphael wehrte sich dagegen, aber er hatte keine Chance. Die Fesseln hielten ihn
an Ort und Stelle, sodass er zusehen musste, wie das Konstrukt ihrer Verbindung
zusammenbrach und ihre Energien sich voneinander lösten. Nun, da er es wusste,
wusste er auch besser, warum seine Brust so weh tat. Michael holte sich den Teil
zurück, der in ihm gewesen war und gab gleichzeitig Raphaels eigene Kraft auf.
Wie es auf Michael wirken würde, wusste Raphael nicht, aber er würde gleich
von dem Rückschlag getroffen werden, da er Michael nicht mehr passiv Energie
spenden musste. Als der Bund entstand, war dies ein Nebeneffekt gewesen, einer
den Raphael nie gestört hatte.
Michael brauchte weiß Gott manchmal alle Hilfe, die er kriegen konnte, aber
warum verzichtete er darauf? Warum zerstörte er diese Verbindung zwischen
ihnen?
Als das Rot der sengenden Flammen langsam verschwand und durch einen
herannahenden Tornado von klarer Luft und scharfem Wind ersetzt wurde und mit
einem letzten Ruck die letzten Spuren von Michael aus Raphaels Körper gerissen
wurden, tat die symbolische Zurückweisung mit dem Ende ihrer Verbindung weitaus
mehr weh, als die Macht, die sich gewaltsam ihren Weg zurück in seinen Körper
suchte. Bevor Raphael noch ein Wort an Michael richten konnte, irgendetwas zu
ihm sagen konnte, zersprangen die schwarzen Fesseln und der vollen Macht des
Windes und ihr Träger wurde fortgerissen. Raus, raus in den Himmel, die roten
Flammen zurück lassend, die sich immer weiter entfernten, egal wie sehr Raphael
seine Hand danach ausstreckte.
Das Letzte, was Raphael wahrnahm, ehe die Bewusstlosigkeit ihn von dem
stechenden Schmerz erlöste, waren Michaels goldene Augen, die von seinem roten
Haar fast verdeckt wurden und ihm traurig nachsahen.
Michael..., flüsterte Raphael durch die Ruinen ihres einstigen Bündnisses, bei
dem sich nun auch die letzten Bruchstücke in Luft auflösten.
Wieso...?
Das Wort lang noch in Raphaels Innerem nach, als er schließlich in tiefe,
schwarze Leere stürzte, aber der Windengel wusste, dass Michael ihm nie wieder
antworten würde.
-
Es war stickig, eng und Michael hatte das übergroße Bedürfnis diesem Raum,
dieser Grabkammer einer Freundschaft zu entfliehen, aber seine Glieder fühlten
sich zu schwer an, als das es ihm bereits jetzt gelingen wollte. In seinem
Inneren fühlte er das Feuer brennen, das neu entfacht war und danach schrie
benutzt zu werden, aber im Moment sah er nur den Haufen Asche, der einst
Raphaels Feder gewesen war.
Die beiden schwarzen Federn lagen unbeschädigt da, wo sie zuvor die Enden der
Windfeder an die Erde gefesselt hatten. Es langte Michael danach sie aufzuheben
und zu zerfetzten, weil ohne sie das Ritual nicht möglich gewesen wäre, aber
er wusste, dass er es nicht über das Herz bringen würde die Flügelfedern
seines Bruders zu vernichten. Selbst, wenn es neuere gewesen wären, nach seiner
Wiedergeburt und nicht Federn von jenem Tag, als sich alles geändert hatte.
Also sammelte Michael sie vorsichtig auf und blickte auf sie hinunter. Die zwei
Federn wogen schwer in seiner Hand und wirkten seltsam beruhigend auf sein
heulendes Gemüt, das ihm sagte, dass heute er der Verräter war und nicht
Luzifer.
„Es ging nicht anders, Raphael“, sprach Michael die Worte aus, die er seinem
Freund nie würde ins Gesicht sagen können.
Leicht zitternd umschlossen kalte Finger die Federn, die seiner rechten Hand
lagen.
-
Das schwere Gefühl von Verlust schlug auf ihn ein, noch bevor er die Augen
aufmachte. Unter ihm fühlte Raphael den kalten Kachelboden und ein scharfer
Luftzug wehte durch den Raum. Das Rauschen des Windes klang Ohrenbetäubend und
für eine Weile blieb Raphael einfach nur so liegen, bis er sich sicher sein
konnte, dass sein Gleichgewichtssinn nicht gestört war. Irgendwo hörte er Glas
knirschen, als Stiefel hastig darüber hinweg liefen und neben ihm zum Stehen
kamen. Das dumpfe Geräusch der Knie, die neben ihn auf den Boden sanken, hallte
in seinem Kopf wieder.
„Raphael?“, fragte ihn jemand und fühlte seine Wange.
Es waren kühle Finger und darunter nahm Raphael einen starken, kräftigen
Herzschlag war. Dumpf, tief und langsam, aber ruhig und beständig. Rein nach
dem Klang müsste der Schlag des Herzens eigentlich zu einem sehr, sehr großen
Tier gehören, einem Dinosaurier vielleicht, doch es war eindeutig eine Person
mit sanften Finger, vorsichtigen Händen, die ihn hochzogen und gegen eine
breite Brust pressten. Die Welt schwankte und dies, obwohl Raphael die Augen
nicht einmal aufgemacht hatte, doch jemand hatte ihn ein wenig aufgerichtet und
sich hinter ihn gesetzt. Nun wurde von starken, kräftigen Armen umschlungen,
die ihn gegen einen warmen Körper pressten.
Wärme...
Ein ersticktes Wimmern entwich Raphaels Kehle und er drehte sich ein wenig, um
sein Gesicht gegen die Brust der anderen Person zu pressen. Es war nicht
dasselbe, wie es ihm gerade genommen worden war, doch die Körperwärme reichte
aus, um ihn für den Moment über den Verlust von dem Kontakt zu Michaels Feuer
hinweg zu helfen.
„Raphael“, rief ihn jemand mit weicher Stimme. „Raphael, schlag die Augen
auf.“
Es war keine flehende Bitte oder ein harscher Befehl, sondern ein Hinweis auf
das, was er als nächstes zu tun hatte. Zwar gefiel Raphael die Vorstellung
nicht seine Lider aufzuschlagen, um sich der Welt und ihren Grausamkeiten zu
stellen, aber dies war eine Anleitung, ein Konzept, dem er folgen konnte. So
vieles beruhte auf Bauplänen und wiederkehrenden Verfahren, die Medizin war
nichts weiter als ein Rezept das man bei dem delikaten Gerüst des lebendigen
Körpers Schritt für Schritt anwenden musste, damit nichts schief ging. Da er
sein Leben lang mit Prozeduren, Eingriffen und Vorgehensweisen gearbeitet hatte,
öffnete er seine Augen, auch wenn es ihm alles andere als gefiel.
Aber mache Dinge waren eben unangenehm und Raphael zerstreuter Verstand wusste,
dass er nicht hier liegen bleiben konnte.
Also öffnete er seinen Augen und war froh, dass er als erstes dunkle Kleidung
erblickte. Die Farben beruhigten seinen aufgebrachten Geist, der noch nicht
richtig begriffen hatte, wo er war oder was passiert war. Sich von dem grellen
Licht und den grauen Umgebung abwendend, grub Raphael sein Gesicht tiefer in die
Brust des Engels vor ihm, der nun einfühlsam über sein Haar fuhr.
Raphael wusste auch ohne genaueres Hinsehen wer es war und irgendwo begrüßte
er es, dass ihn nicht jemand anderes gefunden hatte.
„Uriel“, murmelte Raphael undeutlich und ließ entkräftet seinen Kopf
sinken.
Er wollte noch irgendetwas hinzufügen, etwas sagen, das sein Verhalten
erklären würde, aber Raphael wusste nicht, wie er es formulieren sollte.
„Du musst nichts sagen, Raphael“, deutete ihm Uriel und ließ seine Hand auf
Raphaels Rücken liegen. „Ruh dich aus, bis du dich ein bisschen besser
fühlst.“
/Uriel.../, dachte Raphael nur, weil er nicht die Kraft hatte, seinen Dank
auszusprechen.
Doch er musste es nicht, denn Uriels starke Hände verließen seinen Körper
nicht, erinnerten ihn daran wo er war und wer er war, als Raphael seinen Geist
schweifen ließ. Seine Seele verlor sich in den unzähligen Bahnen seiner
Gedanken und den Stimmen, die der Wind ihm zutrug. In der Dunkelheit seines
Geistes fühlte Raphael wie sich die Fäden langsam lösten und frei im Wind
wehten, nur an Punkt noch festgebunden, an dem Uriels Hände ihn berührten.
Vorsichtig, aus verbliebener Angst, dass er sich komplett losbinden, fortwehen
und damit schwinden könnte, testete Raphael zunächst noch die Stärke, die
Uriels Rückhalt ihm bot, doch während er im Geiste die Erde zwischen seinen
Fingern fühlte, kehrte eine lang vermisste Ruhe zu ihm zurück.
Anstatt in Gedanken fortzufliegen, um dem Knistern des heißen Feuers zu
entkommen, dass ihn auffraß, konnte er nun seine Fingerspitzen in Dreck und
Stein vergraben und dennoch den Wind über sich hören. Raphael wusste, dass er
nicht wirklich mit dem Gesicht nach unten im Gras lag und die ewige Tiefe des
Erdbodens an seiner Haut wahrnahm, aber Uriels Nähe bewirkte das Gleiche. Die
Abwesenheit mochte ihm nicht geschadet haben in den letzten Jahrhunderten, aber
Raphael empfand es als eine immense Erleichterung als sich Gravitation und
Schwerelosigkeit zurück in ein natürliches Verhältnis arrangierten, wo für
einen Moment Feuer und Licht unwichtig wurde.
Für einen Moment war Raphael komplett frei von dem Zog des Feuers, das die Luft
fraß, um zu überleben und am Ende bloß schwarzen Rauch und Asche
zurückließ.
/Erde stellt keine Ansprüche an die Luft/, dachte Raphael. /Selbst Pflanzen
nehmen CO2 nur, um dafür Sauerstoff zurückzugeben. Sie sind das Gegengewicht
zu dem ständigen Ziehen von Wasser und Feuer./
Die Gedanken, der akute Prozess des Nachdenkens brachte Raphael dazu wieder
zurück zu kehren. Sich zu sammeln und seine Gedanken dazu zu bringen Form
anzunehmen, anstatt wie Luftpartikel sich voneinander zu lösen und im Wind
verstreut zu werden. Dennoch waren es am Ende die Anzahl von Uriels Atemstöße
und die mitgezählten Schläge seines Herzens, die Raphael letztendlich sagten,
dass bloß Minuten und nicht Jahrhunderte vergangen waren seit er die Realität
für eine Zeit hinter sich gelassen hatte.
Allerdings brauchte Raphael noch eine Weile bis er komplett die Luftwelten und
ihre Perspektiven hinter sich gelassen und die Gravitation als erste Ausrichtung
der Realität wieder akzeptiert hatte. Der Fluss der Zeit kam als nächstes und
das brachte auch die Ahnung, dass er nicht allzu lange hier herum liegen konnte.
Je länger er nichts tat, desto kleiner wurde die Chance, dass er Michael
rechtzeitig erreichen würde. Seine Sinne, die dritte Ausrichtung der Realität,
sagten ihm, dass es eng werden würde und je mehr er wartete, desto weniger
Chancen würde er haben.
Verbissen kämpften sich Raphael nach oben und neben seinem angeschlagenen
Körper, der lieber liegen bleiben und sich ausruhen wollte, machte es Uriels
Anwesenheit nicht einfacher. Dieselbe Anziehungskraft, die ihm eben noch
geholfen hatte, sich in den Wirbel zu selbst zu finden, den Michaels Handlungen
verursacht hatten, verlangsamte ihn nun, doch ihm blieb keine andere Wahl, als
die Schwere abzuschütteln. Uriel hatte zum Glück genügend Verstand, um ihn
loszulassen. Raphael war ihm dafür genauso dankbar, dass er ihn nicht weiter
festhalten wollte, wie für die Tatsache, dass er zuvor nicht gesagt hatte, dass
alles wieder gut werden würde. Von leeren Versprechungen hielt er nichts und
Uriel wusste es besser, als ihm welche zu machen.
Der Nachteil davon ein unsterblicher Engel zu sein, als Hüter eines der
Elemente, die seit dem Anbeginn von Assiah existierten, war das man es
inzwischen besser wusste, als sich Illusionen oder falsche Hoffnungen zu machen.
Besonders nicht, wenn man nicht alle Fakten kannte. Nicht alle wichtigen Fakten.
Raphael sah um sich, sobald er wieder aufrecht stand. Sie befanden sich in
seinem Büro und es sah ähnlich aus, als wenn Michael es mal wieder herunter
gebrannt hätte. Sein Blick zu dem Luftschacht bestätigte das. Von dort rief
Michael immer die herein strömende Luft, um sein Feuer zu erzeugen, wenn nicht
gerade ein Fenster offen stand, doch bei ihm war es nicht anders. Es war weitaus
einfacher Dinge zu benutzten, die sich bereits in Bewegung befanden, als welche
die noch still standen.
„Es wird eine Weile brauchen, um das aufzuräumen“, murmelte Raphael.
Er war schon fast froh, dass er sich Barbiels Standpauke dazu jetzt nicht
anhören musste. Aber wenn er mit seinen Ahnungen richtig lag, dann würde ihm
der Wiederaufbau seines Büros wie eine Erholung vorkommen, wenn alles vorbei
war.
„Was wirst du jetzt tun?“, fragte Uriel hinter ihm und das Rascheln der
Kleidung sagte Raphael, dass er ebenfalls aufgestanden sein musste.
Wie schon zuvor fiel ihm Uriels Wortwahl auf. Anstatt zu fragen, was er vor
hatte, wollte er lediglich wissen, was er zu tun gedachte. Entweder er nahm an,
dass Raphael ihn sowieso nicht in die Hintergründe einweihen würde oder aus
Taktgefühl nicht fragte. Gegeben ihrer schwierigen Beziehung bis vor ein paar
Tagen, vermutete Raphael den ersten Fall. Uriel kannte ihn als distanzierten
Engel mit einer scharfen Zunge, trotz des Fakts, dass sie sich schon seit Äonen
kannten. Raphael schwankte ein wenig zwischen seinem alten Verhalten und seinem
Vorhaben Uriel nicht mehr so kalt zu behandeln.
Schließlich brachte er es fertig, Uriel von seinen kürzlichen Erlebnissen zu
erzählen. Dessen rücksichtsvolles Schweigen bestärkte ihn nur darin.
„Ich muss Michael finden“, sagte Raphael und blickte Uriel über seine
Schulter hinweg in die Augen. „Es ist mir egal, was dazu nötig ist, ich kann
es nicht einfach auf mich beruhen lassen, dass...“
Hier stockte Raphaels Entschlossenheit kurz, denn es auszusprechen war eindeutig
schwerer, als geistig zuzugeben.
„..., dass er die Verbindung getrennt hat?“, beendete Uriel den Satz und
Raphael nickte als Antwort nur.
Der Schmerz von Michael derart zurückgewiesen geworden zu sein, legte sich wie
ein Stück Eis über seine Brust und machte ihm das Atmen schwer.
„Du hast es bemerkt?“, fragte Raphael mehr rhetorisch, als aus Wissensdrang
heraus.
„Wie konnte ich nicht?“, gab Uriel zurück. „Dein Schrei habe ich durch
das gesamte Krankenhaus hinweg gehört. Er klang grauenvoll in meinen Ohren,
sodass ich nicht anders konnte, als herzu eilen. Als ich kam, hast du bereits am
Boden gelegen, aber ich musste dennoch ein paar Wände zu meinem Schutz wachsen
lassen, als dich der Rückschlag traf.“
Ein schweres Seufzen entwich Raphael. Uriel hatte in einem anderen
Gebäudekomplex sein Zimmer gehabt und war schon so weit genesen, dass er nur
noch ein paar Nächte hier bleiben hatte sollen. Wenn er es schon gehört hatte,
bestand kein Zweifel, dass auch Jibril davon wusste. Immerhin schien sein
Hilferuf sich auf eine gewisse geistige Frequenz beschränkt zu haben, ansonsten
würde er nun kaum in der Lage sein seine Stimme zu benutzen.
„Gab es bei dir Auswirkungen?“, fragte Raphael, teils aus Sorge teils in der
Hoffnung ein paar unbekannte Variablen in der großen Rechnung zu bestimmen.
„Nicht direkt. Ich habe den Ruck gespürt, als euer Bund sich entzweite, aber
ich denke nicht, dass das Konsequenzen auf unsere Kräfte haben wird. Michael
wird auch weiterhin Erde wie Luft verbrennen und schwach gegen Wasser sein. Ich
bezweifele, dass dies überhaupt einen Effekt auf seine Stärke haben wird.“
„Warum sollte er es sonst tun?“, konterte Raphael Uriels Theorie. „Das
Michael etwas im Schilde führt wissen wir schon lange und das er gegen Luzifer
kämpfen will, ist nicht schwer zu erraten. Du warst sogar derjenige von uns,
der dabei war, als sie sich in Etemenanki wiedergesehen haben und schworen,
ihren Kampf fortzuführen. Wenn es ihn nicht stärker macht, warum sollte
Michael dann auf die Verbindung verzichten? Sie erlaubt ihm einen direkten
Zugang zu den Luftschichten.“
„Wenn du damit andeuten willst, dass Michael zu abgebrüht und rücksichtslos
ist, um darauf zu achten wie viel Einfluss er auf die Luft hat und ob dich das
kratzt, dann stimme ich dir zu. Michael kennt keine Zurückhaltung, was Krieg
betrifft, allerdings...“, Uriel machte eine bedeutungsvolle Pause,
„...könnte er es getan haben, um dich zu schützen.“
„Mich zu schützen?“, rief Raphael aufgebracht aus. „Wozu? Glaubt er
wirklich, dass ich nicht auf mich selbst aufpassen kann? Wir sind lange darüber
hinaus, dass wir an den Fähigkeiten der anderen Elemente zweifeln. In der
Vergangenheit haben wir uns oft genug bewiesen, wie unsterblich wir sind.“
Es war Erfahrung und Stolz, was da aus Raphaels Mund kam, doch Uriel ließ sich
nicht irritieren.
„Niemand zweifelt an deinen Fähigkeiten, Raphael“, meinte Uriel und packte
Raphael an den Schultern. „Michael am allerwenigsten.“
„WAS SOLL DAS DANN, BEI ALL DEN MÄCHTEN DES WINDES?“, donnerte Raphael.
Uriel atmete tief durch, um seine Fassung zu behalten. Er war zwar von ruhiger
Natur, aber Raphael gehörte zu den wenigen Personen, die ihn schmerzhaft
schnell irritieren und laut werden lassen konnten. Doch im Angesicht der Dinge
und vor allem nach dem, was Michael getan hatte, sollte er es übersehen, dass
Raphael einen sehr kurzen und sehr lockeren Geduldsfaden hatte.
„Diese Verbindung zwischen euch“, setzte Uriel an, „funktioniert die auch
in beide Richtungen? Oder fütterst du ihn damit nur mit Luft, wenn Michael
Hilfe braucht?“
„...in beide Richtungen“, meinte Raphael nach einer Weile und blinzelte,
offensichtlich verwirrt. „Du meinst, er hat sie getrennt, weil er glaubte,
dass etwas ihn beeinflussen könnte?“
Uriel ließ Raphael los und zuckte dann mit den Schultern.
„Wir wissen nicht, was Michael vorhat. Für mich erscheint es nur
folgerichtig, dass Michael es, was auch immer es auch ist, alleine durchziehen
möchte. Ruft man sich in sein Verhalten in letzter Zeit in Erinnerung, finde
ich die Tatsache, dass er Vorsichtsmaßnahmen ergreift eher beängstigend als
lobenswert.“
Raphael entschied, dass Uriel zwar taktvoll war, wenn er es sein wollte, aber
leider genauso jeden vor sich hingemurmelten Satz wie die Verkündung der
sicheren Apokalypse klingen lassen konnte. Manchmal hasste er es, dass er
ständig vergaß, dass der Engel der Erde auch die Gabe der Worte besaß. Egal
ob geschrieben, gesprochen oder der Sprache betreffend, Uriel wusste einfach wie
man sich ausdrückte. Im Gegensatz zu ihm musste Uriel nicht Wahrheit und Lüge
mit einander vermischen, weil er die Grenzen nicht so eng sah und mit wachem
Verstand um Formulierungen den richtigen Klang zu verleihen, nein das hatte er
nicht nötig. Für Uriel war die Sache mit der Wahrheit nur eine Sache der
Perspektive.
Auf Grund des Mangels der richtigen Antwort sagte Raphael: „Gut. Gut, ich
verstehe, dass Michael irgendetwas bezwecken will, doch ich werde mich nicht
einfach still seinen Plänen fügen. Ich will Antworten und wenn er glaubt, ich
kann mich nicht verteidigen, dann werde ich das Gegenteil beweisen.“
„Hm“, machte Uriel nur und nickte dabei.
Doch Raphael wusste, dass dies keine Zustimmung war, sondern eher die stille
Frage, ob Raphael dies für eine gute Idee hielt.
„Ja, ich halte es für eine gute Idee“, erwiderte Raphael und wandte sich
nun zur Tür, dem Chaos um ihn herum nicht einen zweiten Blick schenkend. „
Rücksichtslosigkeit ist nun mal kein Talent, auch wenn Michael da anders denkt.
Ich bin der Einzige, der ihn im ernsten Notfall behandeln kann, weswegen ich ihm
verdammt noch mal folgen werde, bevor er in seinem Zustand von vollkommener
Unzurechnungsfähigkeit entscheidet, dass er die ihm verbleibenden kümmerlichen
Reste seiner Überlebensinstinkte komplett verlassen sollten.“
„Hm“, machte Uriel nur erneut und folgte Raphael.
Er schien gegen den Plan, Michael zu folgen, nicht protestieren zu wollen, aber
Raphael konnte in dem Hm die hochgezogene Augenbraue hören und den amüsierten
Gesichtsausdruck nahezu sehen, auch wenn der Erdengel hinter ihm lief. Raphael
kannte Uriel ganz einfach zu gut, um genau zu wissen, dass er fand, dass
Raphaels Entscheidungsfreudigkeit mit Michaels Rücksichtslosigkeit seiner
Meinung nach gleichauf waren.
„Wenn du es so viel besser weißt, willst du mich dann nicht aufhalten?“,
meinte Raphael bissig, als Uriel zu ihm aufschloss und in der Tat amüsiert war,
auch wenn kein Gesichtsmuskel darauf hindeutete.
Aber Raphael hörte es in der Stimme Uriels, als dieser süffisant sagte: „Du
und Michael, ihr seit beide viel zu stur, als das für irgendjemanden in eurem
Umfeld gesund wäre. Glaubst du wirklich, ich würde dich da aufhalten
wollen?“
„Was soll das denn jetzt heißen?“, fauchte Raphael, doch Uriel grinste als
Antwort nur kurz.
Als Raphael den Gang hinunter lief, um Michael zu folgen, stellte er fest, dass
er die Wortgeplänkel mit Uriel vermisst hatte. Nicht nur den Erdengel selbst,
sondern auch der Klang von dessen Stimme. So ausreichend die Übertragung von
Gedanken auch war, sie konnte keine unterschwelligen Botschaften übermitteln.
Nicht das hämische 'Ich weiß, dass du weißt, dass ich recht habe' oder das
warnende 'Du bekommst ernsthafte Probleme mit mir, wenn du versuchst außerhalb
meiner Sichtweite zu gelangen' und schon gar nicht das erinnernde 'Es ist
Michael, von dem wir hier reden. Seine Chancen stehen höher, wenn du dir keine
Sorgen machst'.
Es war beruhigend Uriel an seiner Seite zu wissen, denn so konnte sich Raphael
ablenken. Ablenken von dem Fakt, dass es ihm alles andere als gut ging, dass er
sich ernsthafte Sorgen um Michael machte und dass diese Sache viel zu seltsam
begonnen hatte, als das sie ein gutes Ende nehmen konnte.
Doch es besänftigte ihn, dass der Wind ihm nach wie vor an seiner Kleidung
zerrte, als sie hinaus traten und fast sang, als er durch seine Flügel fuhr.
Raphael hatte sich dagegen entschieden irgendein Gefährt oder ein Flugzeug zu
benutzten, um zu Michael zu gelangen, denn das wäre bloß aufgespürt worden.
Ein Standarttransport war zu langsam und sein eigenes Flugschiff würde seine
Anwesenheit geradezu heraus schreien. Gut dann, dass er der Engel der Lüfte war
und den Wind kontrollierte.
„Sollen wir?“, fragte Uriel mit ausgebreiteten Schwingen und wartete aus
Raphaels Startzeichen.
Er wusste, dass er weniger selbst fliegen würde, sondern besser Raphael das
dirigieren überließ. Durch seinen Status als Engel der Erde war er schwerer
und langsamer als Raphael, er könnte niemals dieselbe Geschwindigkeit beim
Fliegen erreichen und seine Anwesenheit verzögerte ihre Ankunft, aber Uriel
vertraute darauf, dass Raphael trotz seiner leichten Desorientierung noch
wusste, dass sie Michael nur gemeinsam wieder zur Vernunft bringen konnten.
Besonders wenn Worte nicht reichten und sie ihn niederzwingen mussten. Michael
hatte hin und wieder die Tendenz wie ein Waldbrand im Sommer außer Kontrolle zu
geraten.
„Ja“, antwortete Raphael öffnete seine Schwingen ebenfalls.
Still konzentrierte er sich darauf die richtige Thermik zu finden, als sie sich
in die Luft erhoben und stellte fest, dass es leichter ging als früher und er
mehr Kontrolle über den Wind hatte, als noch vor 24 Stunden.
/Also hat die Trennung der Verbindung doch Auswirkungen gehabt. Ich war mich
nicht bewusst, dass Michael so viel meiner Kontrolle beeinflussen konnte./
Es war logisch, sicherlich. Feuer fraß die Luft, um zu existieren und wenn
Michael von ihm selbst nahm, dann behinderte das ihn selbst. Aber es war ihm nie
bewusst gewesen, um wie viel Michael ihn beraubt hatte. Er fühlte sich
leichter, stärker, freier … und im Moment litt er noch unter den Nachwirkung
von Michaels Handlungen. Wenn der Rauch sich aus seinen Lungen verzog und er
wieder richtig atmen konnte, dann könnte er selbst Verletzungen wie Barbiels
durch Sandalphon heilen ohne in einen Kälteschlaf zu fallen.
Dennoch … es war kalt in seiner Brust. Die Luft um ihn herum war feucht und
unangenehm, Wolken kreuzten mehrfach ihren Weg und es roch nach Regen.
/Sicher … Michaels Abwesenheit gibt Wasser die Möglichkeit nachzurücken/,
erkannte Raphael.
„Was ist eigentlich mit Jibril?“, fragte er Uriel, als der Wind sie über
die vierte Schale hinweg trug.
Es wunderte ihn, dass sie nicht schon längst aufgetaucht war. Als Uriel bei ihm
eingeliefert worden war, war sie ja schließlich auch sofort zur Stelle gewesen.
„Ich habe ihr gesagt, dass sie im Himmel bleiben soll“, antwortete Uriel.
„Alle vier Elemente an einem Ort können Störungen verursachen, da wir uns
mehr oder weniger gegenseitig behindern würden. Außerdem können wir nicht
einfach verschwinden und den Himmel unbewacht lassen. Die Dämonen sind in der
letzten Zeit zu häufig bei uns eingefallen, als wir das noch einmal riskieren
könnten.“
Raphael nickte.
Vielleicht war es wirklich besser, wenn Jibril nicht mitkam. Er und Uriel
konnten zusammenarbeiten, sie waren Gegensätze, die sich vereinen ließen. Bei
Feuer und Wasser war das nicht der Fall. Jibril würde Michael nur zusätzlich
reizen, besonderes wenn es heftig werden würde und ihr Hang Konflikte
gewaltfrei zu lösen, nur noch mehr Schaden anrichtete. Zwar war mit Jibril
nicht zu Spaßen, wenn sie erst einmal wütend war, doch sie besaß nicht die
Entschlossenheit es zu auch wirklich Ende zu bringen, sollte es nötig sein.
/Sie könnte niemals den richtigen Moment zum Einschreiten abwarten. Für sie
wäre es, als wenn sie eine Desaster in Zeitlupe betrachten müsste/, dachte
Raphael, als ihm der kalte Wind ins Gesicht blies. /Wir wissen nicht, wie das
Ganze enden wird. Sie könnte sich das nicht ansehen, wenn Michael und Luzifer
erneut aufeinander losgehen./
Denn das war der einzige Grund, warum Michael dieses Theater überhaupt wohl
veranstaltete. Die Verbindung zwischen ihnen zu trennen war weniger aus dem
Grund geschehen, dass Michael ihn beschützten wollte, sondern weil Luzifer
seinen Bruder gerufen hatte und Michael sich nun von allen Ketten trennte, die
versuchten ihn daran zu hindern.
-
Thorongiel ließ seinen Blick über den leeren Hangar schweifen. Außer ihm
befand sich kaum noch jemand hier. Jene, die noch zu tun hatten, waren mit
aufräumen beschäftigt, doch die meisten waren auf dem Weg zur Grenze. Es
fühlte sich seltsam an, alles zu räumen, doch der Kommandant hatte diesen
Befehl nicht ohne Grund gegeben. Außerdem waren es am Ende nur Wände. Wände
ließen sich neu errichten und Häuser wieder aufbauen. Wichtig war, dass sie
überlebten.
Was sie nicht würden, wenn die Dinge so weiter gingen wie bisher.
Thorongiel rief die Daten der verschlüsselten Akte auf, die das Wissen
enthielt, das er gesammelt hatte und das eindeutig ihre Lage bewies. Der Beweis
war da, die Anzeichen unumstößlich. Sein Kapitän würde etwas tun müssen,
das hatte schon festgestanden, als er ihm die Daten präsentiert hatte und die
Handlungen seines Kapitäns zeigten, dass Schritte eingeleitet worden waren,
doch Thorongiel befürchtete, dass, wenn Michael-sama das Unmögliche
tatsächlich vollbrachte, er keinen Kapitän mehr haben würde.
/Hätte ich Pyrrha warnen sollen?/, fragte sich Thorongiel und wandte den Kopf,
als er Schritte hörte, die sich ihm näherten. /Allerdings hätte er mich dann
einen Kopf kürzer gemacht.../
Pyrrha hatte es nicht gerne, wenn man seine Autorität und seine Fähigkeiten in
Frage stellte und aus irgendeinem (Thorongiel absolut nicht verständlichen)
Grund sah Pyrrha ihn als Inkarnation eines Rebellen. Lag vermutlich daran, dass
Pyrrha es hasste, dass Thorongiel ihm nie alles verzählte, egal wie sehr und
wie oft er es verlangte. Der Einzige, bei dem Thorongiel diesen Befehl nachkam,
war ihr Michael-sama … und der hatte dies bisher nie verlangt. Trotz des
Wissen, dass Thorongiel sonst nur das preisgab, was er für nötig hielt.
/Pyrrha würde es als Verrat sehen …, dass ich dem Kapitän nicht alles
erzähle, aber es sind des Kapitäns eigene Worte, dass ich schweigen soll, wenn
ich es für richtig halte/, dachte Thorongiel und schloss die Akte wieder, als
er bemerkte, dass zwei Engel sich ihm näherten, die hier absolut nicht her
gehörten. /Denn Wissen kann gefährlich sein./
Pyrrha steckte seinen Kommunikator weg, allerdings nicht ohne ihn auszuschalten,
um zu verhindern, dass die beiden Engel an die Informationen gelangten, falls
sie den Nerv besaßen ihn tatsächlich zu absuchen. Doch Rosiels Männern traute
er fast alles zu, denn jene hatten sich, im Gegensatz zu ihrem Herrn, nicht
wirklich geändert.
„Wie kann ich ihnen helfen?“, fragte Thorongiel und hoffte, dass die beiden
bewaffneten Engel in weiß nicht wirklich nach ihm suchten. Allerdings war das
relativ unwahrscheinlich, wenn sie ihn bisher hierher verfolgt hatten.
„Macht Thorongiel? Wir müssen sie bitten mit uns mitzukommen“, sprach einer
der beiden Engel und das Abzeichen auf seiner Brust verriet Thorongiel, dass er
wirklich in ernsthaften Schwierigkeiten steckte, „Rosiel-sama verlangt nach
ihnen.“
xxx
Ich kann kaum glauben, dass ich endlich fertig bin! So oft habe ich an dem
Konzept gesessen und es geändert. Dabei war dies das Kapitel, dass ich schon so
lange als 'halb fertig' abgestempelt hatte. Doch egal. Änderungen waren nötig
und Änderungen wurden vorgenommen.
Gut so, denn ich freue mich darauf weiter zu schreiben.
Mal sehen, ob ich Raphael weiterhin so leiden lassen, hehe. Dazu und zu der
getrennten Verbindung: die englische Übersetzung deutet an (anders als die
Deutsche), dass sie Sache mit dem Bund nicht ganz freiwillig oder gar
beabsichtigt war. Das Einzige, was der deutsche Manga durchblicken lässt, ist
Michaels Aussage (zu Setsuna/Alexiel) „Durch den verdammten Bund kenne ich ihn
besser, als mir lieb ist.“
Das ist eine zu schöne Gegebenheit, als das ein Autor wie ich sie nicht
ausnutzten kann.
Oh UND (!) ich weise darauf hin, dass diese Fanfiction am Montag dem 4. Oktober
vier Jahre alt wird. Ich glaube es fast nicht. Ich bin fast so soweit laut
„Hilfe“ zu schreien … oder „Oh mein Gott...“ oder so etwas. Egal,
dieser Jahrestag bestärkt nur darin, dass ich diese Fanfiction beenden möchte.
Hoffentlich noch bevor ich zu Jahr 5 komme.
mangacrack
Grenzen des Himmels - So tilge ich meine Schuld
-----------------------------------------------
Kommentar: Kaum zu glauben, dass ich mal wieder in ein paar Stunden das zu
Stande bringe, was ich fast vier Monate nicht geschafft habe. Könnte an der
Aussicht auf Semesterferien liegen. Oder an diesem Kapitel und dessen
schwieriger Inhalt. Dennoch wünsche ich euch nun viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 22 – So tilge ich meine Schuld::
Die breiten Handschellen scheuerten unangenehm, deswegen hatte Thorongiel es
inzwischen aufgegeben, seine Gelenke zu bewegen, um ein wenig Freiraum zu
gewinnen. Leider verhinderte dies auch, dass er die Wachen überwältigen und
vielleicht fliehen konnte. Ohne Handschellen wäre dies machbar gewesen, er war
nicht umsonst Michael-samas Agent für Nachrichten, aber gefesselt hatte er
keine Chance. Deswegen blieb ihm keine andere Wahl, als sich von beiden Engeln
zunächst noch durch bekannte Gänge führen zu lassen und dies war vielleicht
das Demütigenste an der ganzen Sache. Man hatte ihn auf der Basis festgenommen,
die seinem Kommandanten gehörte. Dieses Eindringen, dieses widerrechtliche
Eindringen und die Fesseln, die seine Hände auf den Rücken zwangen, die grobe
arrogante Behandlung der beiden Engel … all das war gleich zwei Mal schwerer
zu ertragen, weil es praktisch in seinem Zuhause geschah. Auf feindlichem
Territorium erwischt und verhört zu werden war eine Sache, doch an einem Ort
wie diesem, der nur Michael und seinen Männern gehörte, wo sie Zuflucht vor
Sevothtartes Behandlungen gefunden hatten … es ließ ihn kalte, bahnbrechende
Wut fühlen, wie Thorongiel sie schon lange nicht mehr empfunden hatte.
Aber mit angelernter eiserner Selbstbeherrschung zwang er sich zur Ruhe. Nichts
konnte in einer Situation wie dieser gefährlicher sein als Wut. Wut in einem
Spiel wie diesem zu empfinden, konnte einem alles ruinieren.
Das wusste Thorongiel aus bitterer Erfahrung.
So hielt er den Blick gesenkt und beobachtete seine beiden Begleiter aus den
Augenwinkeln. Sie waren groß, breit gebaut und wirkten als hätten sie mehr
Muskeln, als Verstand. Sie trugen scharfe Waffen in ihren Holstern und bewegten
sich mit einer Koordination, die ihm sagte, dass sie diese Prozedur gewöhnt
waren. Sie führten nur Befehle aus und würden diese niemals in Frage stellen,
ganz gleich dass diese von Rosiel kamen. Denn die pur weißen Uniformen sagten
Thorongiel, dass dies einst Männer gewesen waren, die unter Sevothtarte gedient
hatten. Das Abzeichen auf ihrer Brust war nun ein anderes, doch Angewohnheiten
lügen nicht. Es waren nicht die Art von Rosiels sonstigen Handlangern.
Sevothtartes Mittel hatten auf Angst, Einschüchterung und Gewalt beruht, etwas
was man den zwei Engeln absolut ansah. Sie gehörten nicht in Rosiels Repertoire
der Mittel für Manipulationen. Thorongiel war dabei gewesen, als der
Anorganische Engel in den Himmel zurück kehrte und Sevothtartes Sturz war
Beispiel genug gewesen, wie der einstige Herrscher von Atziluth arbeitete.
Nämlich mit Verführung, Versprechungen und falscher Hoffnung, die am Ende alle
zu blanker Grausamkeit führten.
Thorongiel glaubte nicht, dass Rosiel sich wirklich geändert hatte seit er mit
Alexiel und dem Messias in Himmel erschienen war und zu bleiben gedachte. Leider
hatte Thorongiel noch keinen Gegenbeweis gefunden, doch er war der grundlegenden
Überzeugung, dass sich gewisse Dinge einfach nicht änderten. Nicht ändern
konnten. Menschen nicht und Engel noch viel weniger. Schon gar nicht, wenn sie
so alt waren. Möglicherweise hatten Alexiel und der Messias einen Einfluss auf
Rosiel und hielten in vor Ausschweifungen zurück, doch der Messias war ein
Nephilim, teil Engel teil Mensch, hatte demnach von vorne herein eine andere
Sicht auf die Dinge und auch Alexiel war nicht besser, wenn man Thorongiel
fragen würde. Den Großteil ihres Lebens hatte sie eingeschlossen in Eden
verbracht, ohne die Möglichkeit die Regeln einer Gesellschaft zu lernen, die
sich mit menschlichen Maßstäben nicht erfassen ließ und für ihren Bruder
aber so vertraut war wie kaum etwas anderes.
Nicht die Beste aller Kombinationen.
Besonders nicht, wenn der Himmel einem geladenen Pulverfass glich, weil er
schlicht weg zu voll mit mächtigen Leuten war. Sevothtartes Herrschaft mochte
zwar kalt und hart gewesen, aber dennoch war der Mann in der Lage gewesen, den
Himmel zusammen zu halten und unter sich zu vereinen. Selbst die Amnia Mundi war
innerhalb ihrer Grenzen geblieben und hatte sich nicht auf das Tauziehen
eingelassen, das nun herrschte. Auch Rosiel in seiner wahnsinnigsten Stunde
hatte bloß versucht Sevothtarte von seinem Thron zu stürzen und ihn zu
besetzten, nicht ihn zu teilen, damit jeder darauf Platz hatte.
Unpraktisch, Thorongiel Meinung nach. Gefährlich gar, wenn man das beibehalten
wollte und nicht gleichzeitig ein paar Maßnahmen ergriff.
„Zügig weitergehen“, grummelte nun einer der beiden Engel neben Thorongiel
und stieß unsanft gegen dessen Schulter. „Man lässt Rosiel-sama nicht
warten.“
Thorongiel sagte nichts dazu und registrierte nur für sich, dass er mit seiner
Einschätzung von dem Anorganischen Engel wohl richtig liegen musste, wenn diese
beiden Schläger neben ihm den Befehl Rosiels so einfach akzeptierten. Es wäre
interessant zu erfahren, wie genau sich der Anorganische Engel sich die
Überreste von Sevothtartes Machtstrukturen angeeignet hatte. Allzu viel konnte
nicht dabei sein, das wusste er. Schließlich hatte Michael von sich aus und mit
einem ziemlich eindeutigen Befehl veranlasst, welche Männer, Gebäude und
Dokumente sofort aus der Welt zu schaffen waren.
Mit Sicherheit wusste Thorongiel auch, dass sein Kommandant nicht jede freie
Sekunde neben Raphael-samas Bett verbracht hatte, als jener im Kälteschlaf lag.
Er war nur oft genug da gewesen, um zu überspielen, dass er in der Zeit von
Anarchie und Chaos mächtig aufgeräumt hatte. Er maßte sich gar nicht an,
alles über die Aktionen seines Bosses zu wissen, doch wilde Funke in seinen
Augen zusammen mit der grimmigen Entschlossenheit war Erklärung genug gewesen,
warum der Himmel so schnell in halbwegs geordnete Bahnen zurück gefunden hatte.
Oder warum Michael tatsächlich seelenruhig auf Raphaels Erwachen hatte warten
können, kaum das Rosiel auftauchte und Strukturen aufzustellen und zu festigen
begann bis er auf nach Assiah aufbrach, um den Messias und seine Schwester
aufzusuchen.
Bei Rosiels Rückkehr war Michael schon wieder dazu übergegangen, sich über
den schlafenden Raphael lustig zu machen und Barbiel Unterricht zu erteilen, wie
man die Zügel am besten in der Hand behielt, wenn es um launische Windengel
ging. Der richtige Umgang mit Raphael-sama war aus seiner Sicht genauso wichtig
wie die geheimen Missionen, die Michael-sama oft befehligte. Es gab
Einsatzteams, die ständig unterwegs waren, trotz dessen das es eigentlich
nichts zu tun gab. Pyrrha und seine Leute waren so eine Gruppe.
In der Regel konnten er und Pyrrha sich auf Grund ihrer unterschiedlichen
Aufgabenbereiche nicht ausstehen, doch im Moment würde Thorongiel viel dafür
geben nicht in das Transportschiff geschleppt zu werden, das nun vor ihm auf dem
komplett leeren Platz auftauchte. Die offene Laderampe wirkte wie ein
Höllenschlund, wo dahinter das unaussprechliche Grauen wartete und es machte
seine ernste Lage mit einem Schlag sehr viel realer.
Ich kann nicht..., dachte Thorongiel. Ich darf mich nicht gefangen nehmen
lassen.
Es war mehr eine instinktive Reaktion auf den vertraute Anblick eines
Transportmittels, das ihn weg bringen und nicht eher wieder entlassen würde,
ehe er nicht alle Informationen preisgegeben hatte, die er besaß. Oder
vielleicht gar niemals. Der kalte Schweiß, der über seine Hände rann, war
ebenso vertraut, wie das letzte Aufbäumen seines Widerstandes, der ihn seine
Astralkraft in seine Handgelenke schicken ließ. Es war keine rationale
Reaktion, denn die Handschellen waren mit Siegeln versehen, welche die
Astralkraft erfolgreich daran hinderten die Fingerspitzen zu erreichen. Damit
staute sich die Astralkraft und entlud sich in einer heftigen Explosion, die
Thorongiel, nach vorne taumeln ließ. Sein Schmerzensschrei, ja der Schmerz an
sich, ging in der Erkenntnis unter, dass seine Hände wieder von seinem Rücken
nehmen konnte.
„Hey, was...“, rief die erste Wache, als Thorongiel nach der Waffe griff,
die an seiner Hüfte hing.
Seine Eigene hatten sie ihm abgenommen, als sie ihn überraschten und so schnell
überwältigen, dass es ihnen gelang, ihn überhaupt zu fesseln. Dieser Fehler
sah er sich jetzt zu korrigieren.
„Achtung“, schrie der andere Wachmann und griff ebenfalls nach seiner
Kanone, doch er konnte Thorongiel nicht mehr daran hindern abzufeuern. Mit einen
Ächzen ging die erste Wache zu Boden und Blut breitete sich auf dem Asphalt
aus.
Thorongiel drehte sich geschwind um, um auch den zweiten Wachmann aufzuschalten.
Allerdings war dieser eine kleine Sekunde schneller und hatte auch nicht mit
geschädigten Handgelenk zu kämpfen. Somit durchzuckte ihn zuerst ein erster,
dann ein zweiter heftiger Schmerz, als der Wachmann feuerte und Thorongiel
getroffen zu Boden ging. Hart schlug er mit Kopf auf dem Asphalt auf, woraus
Thorongiel das Bewusstsein verlor.
Das Letzte was er sah, wie zwei schwere Stiefel auf ihn zu rannten und die
betreffende Person im den Lauf der Waffe vor das Gesicht hielt, ehe alles dunkel
wurde.
-
Er erwachte auf einem kalten Fußboden. Sein Gesicht war auf den Kachelboden
gepresst und sein Körper fühlte sich an, als ob in das Herz eines Kraftwerkes
gegriffen hätte. Ihm war heiß und er war angespannt, sein Körper zuckte und
seine inneren Organe wie seine Flügel krampften in regelmäßigen Abständen
während sein Kopf wie wahnsinnig summte. Seine Wange war nass und er roch
Metall, da er das Gefühl der der Flüssigkeit von seinem Rücken bis zu seinem
Ohr zurückverfolgen konnte, suggerierte das es sich eher um Blut als um Wasser
handelte.
„Ahh“, drang eine freudige Stimme an sein Ohr, „offenbar ist unser
Besucher wieder aufgewacht.“
Thorongiel kniff die Augen zusammen und versuchte zu erfassen wie surreal das
hier war. Es gelang ihm nicht wirklich, denn das schwammige Gefühl in seinem
Kopf wurde nicht besser und die helle Stimme, die er trotz der geringen
Erfahrung mit ihm, Rosiel zuordnen konnte. Persönlich war er ihm nie begegnet,
dafür hatte er stets gesorgt, aber das silberne Haar, das sich nun in sein
Blickfeld schob, war unverkennbar.
Leicht hob er den Kopf, um besser sich seine Umgebung ansehen zu können, doch
er wurde von einer Hand bestimmt wieder nach unten gepresst. Rosiel war es
nicht, jener kniete schräg vor ihm und blickte ihn auffordernd an. Probeweise
testete Thorongiel, ob er gefesselt war, doch immerhin dies hatten sie ihm
erspart. Aber mit Rosiel und einer vermutlich sehr kompetenten Wache im Raum war
dies nicht sonderlich befreiend. Wahrscheinlich hatte man aus seinem letzten
Versuch gelernt und wollte keine Risiken eingehen.
Nicht, dass ich derzeit in der Verfassung wäre große Ausbruchsversuche zu
starten, stellte Thorongiel für sich selbst fest. Seine Handgelenke ließen
sich nur schwer bewegen und waren seiner Erfahrung nach gebrochen, seine Hüfte
und sein linker Oberschenkel brannten wie Feuer, man die Geschosse der Wache,
die ihn niedergestreckt hatte, dem Anschein nach nicht entfernt, um ihm die
Flucht zu erschweren.
Es zeigte sich also doch, dass Wesen sich vielleicht oder eben auch nicht
änderten, bewährte Methoden allerdings niemals.
Rosiel griff nun an seinem Haarschopf und zwang ihn in einem für seinen Nacken
unbequemen Winkel nach oben zu blicken. Das alterlose Gesicht verschwamm vor
seinen Augen, so sehr, dass er nicht einmal die Augen des Anorganischen Engels
klar erkennen konnte.
„Ich sollte mich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die ich
bereite“, sprach Rosiel und studierte sein Gesicht, „doch meine Lage ist
ernst und ich brauche dringend Informationen. Es hätte einfach sein können,
wenn du dich nicht so sehr gewehrt hättest, aber als Michaels Nachrichtenagent
hast du wohl am ehesten das Wissen, das ein wenig Licht ins Dunkle bringen kann.
Es ist ja nicht so, als ob man klare Äußerung in einem Laden um die Ecke
erwerben kann.“
Es war vielleicht nicht das Schlechteste, dass er gerade nicht klar denken
konnte, denn es gab Thorongiel Zeit sich einen Schlachtplan zurecht zu legen.
Alles zu leugnen und den Unwissenden zu spielen, würde ihm nichts nützen.
Besonders nicht, wenn Rosiel die abfliegenden Kampfschiffe bemerkt hatte. Um
seinen Kommandant zu schützen konnte er nicht mehr tun, als einen vagen Umriss
der Geschehnisse zu geben und ein paar Ablenkungen mit einzubauen. Mit ein paar
offenen Enden würde Rosiel die Fäden selber knüpfen, allerdings nicht korrekt
und es würde ihm Zeit kosten seinen Fehler zu bemerken. Wertvolle Zeit, wenn er
Glück hatte.
„Ich ... sollte mich wohl ... geehrt fühlen?“, fragte Thorongiel hustend
und musste seine schleppende Stimme nicht einmal vortäuschen. „Oder mir eher
… Sorgen machen?“
Rosiel hob fragend seine Augenbrauen. Er hatte mit keiner Kooperation gerechnet,
vor allem nicht so schnell, doch gleich was für eine Taktik der Engel benutzten
würde, er verbarg seine Intelligenz nicht, wie es bisher viele seiner Befragten
getan hatten.
„Ich habe nicht vor dir etwas zu tun“, sagte Rosiel und setzte sich bequemer
hin, allerdings nicht ohne Thorongiel aus den Augen zu lassen. „Wenn ich dich
töte, besteht die Gefahr, dass ich wertvolle Informationen verliere, die nur du
besitzt. Dein Boss tendiert nicht dazu sich mit Kleinigkeiten aufzuhalten,
sondern das anderen in seinem Lager zu überlassen. Unter anderem also dir.“
„Was wollen sie von Michael-sama?“, fragte Thorongiel nun ein wenig fester
und bestimmter.
Es brachte nichts seine Loyalität seinem Kommandanten über zu verbergen,
überhaupt nicht. Außerdem war er stolz darauf und Rosiel wusste wohl von
seiner Geschichte und seiner Vergangenheit, schließlich hatte er zugegeben,
dass er ihn mit Absicht ausgewählt hatte. Nur wollte Rosiel etwas spezifisches
von seinen Kommandanten oder ging es hier um reine Politik?
„Von Michael will ich eigentlich nichts, seine Gründe könnten mir nicht
gleichgültiger sein“, gab Rosiel zu. „Aber ich habe meiner Schwester
versprochen ein Auge auf ihn zu haben. Sie macht sich Sorgen, völlig zu
unrecht, wenn man mich fragt, denn Michael ist zu sehr Zwilling seines Bruders,
als das ihm etwas zustoßen könnte, aber was tut man nicht für die Familie?
Also nur zur Beruhigung der Nerven meiner lieben Alexiel: was hat Michael vor?
Und denke ja nicht, ich hätte diese fliegenden Schlachtschiffe nicht
gesehen...“
Thorongiels Mundwinkel zuckten kurz in Unmut, als Rosiel seine Haare losließ
und er seinen Kopf wieder auf den kühlen Boden legen konnte. Schweigen brachte
nichts und weiteres hinauszögern wohl auch nicht. Rosiels scharfer Verstand war
über die Dynamiken besser informiert, als er gedacht hatte. Da Thorongiel jetzt
wusste, dass Rosiel absolut keine Ahnung von dem eigentlichen Grund der
Vorgänge hatte, machte es ihn in seinen Augen nur noch gefährlicher.
Vielleicht entging ihm als Anorganischer Engel weniger, als er selbst vermutet
hatte und sei es nur, weil die Veränderungen im Gefüge der Welt bemerken
konnte. Nicht alle Engel, die es konnten, machten davon Gebrauch, aber Rosiel
… nun überraschen würde es Thorongiel nicht, wenn Rosiel nach wie vor Zugang
dazu hatte.
Schließlich hatte er fast ein ganzes Zeitalter über Atziluth geherrscht.
„Pangaea“, gab Thorongiel schließlich das Schlüsselwort heraus. „Wir
haben eine himmlische Version des Pangaea!“
Thorongiel sackte in wenig in sich zusammen. Nicht, weil er Zeit schinden
wollte, um zu sehen, was Rosiel dieses Wort sagte, sondern weil er gerade seinen
Kommandanten verraten hatte. Michael würde ihm das zwar nicht vorhalten,
sondern ihn dafür eher rügen, dass er überhaupt Verletzungen riskiert hatte,
aber für ihn selbst war es trotzdem Verrat. Der Fakt, dass er keine andere Wahl
gehabt hatte, als vor Rosiel den Mund aufzumachen, machte es nur mäßig
ertragbar.
„Pangaea?“ wiederholte Rosiel. „Was ist das?“
Er wollte nicht antworten, doch in der gezischten Frage schwang Ungeduld mit.
Doch nun kam Hilfe von unerwarteter Seite. Der dritte und gleichzeitig letzte
Engel im Raum, der ihm seit unbestimmter Zeit zu Boden drückte, indem er eine
Hand auf die Stelle zwischen seinen Schulterblättern drückte, dort wo die
Flügel wären, meldete sich zu Wort.
„Pangaea nennen die Wissenschaftler den letzten Urkontinent Assiahs,
Rosiel-sama“, sprach eine halbwegs bekannte Stimme hinter ihm, „Seine
Existenz und sein Verschwinden gelten als der Durchbruch des irdischen Lebens.
Zu diesem Zeitpunkt ballten sich die Kräfte, die heute im Heiligen Buch als die
Schöpfung beschrieben werden. Welche Rolle euer Vater nun wirklich innehatte
lässt sich nicht bestimmen, denn es geschah selbst vor euer Zeit, wenn ich
richtig liege.“
„Interessant“, meinte Rosiel langgezogen. „Das sagt mir aber nicht, was es
mit unserer jetzigen Situation zu tun hat. Wieso sollte Michael selbst seine
Reserven auspacken und Ärger mit dem Rat riskieren, nur für verdammt großes
Stück Land?“
Die Versuchung jetzt einfach liegen zu bleiben, war verlockend, doch früher
oder später würde Rosiel seine Aufmerksamkeit ja doch wieder auf ihn richten.
Also ignorierte Thorongiel die Schmerzen in seinem Körper und die Benommenheit
in seinem Kopf.
„Pangaea“, meinte Thorongiel leise, weil er wegen seiner Schmerzen nicht
mehr lauter sprechen konnte, aber die Aufmerksamkeit von Rosiel und Katan hatte
er dennoch, „hat das Leben auf der Erde wie wir es heute kennen erst
ermöglicht. Pangaeas Existenz hat eine Ordnung geschaffen auf der sich bis
heute fast alles aufbaut. Das Problem … jedoch … hängt eben dieser Ordnung
zusammen!“
„Weiter“, meinte Rosiel herrisch.
„Es … bis heute … bewegen sich die Kontinente auf Erde“, rezitierte
Thorongiel das schwer Angelernte. Er hatte ewig gebraucht, um die Ursache zu
finden, gerade weil sie so grundlegend und offensichtlich war. „Sie gleiten
voneinander fort … und wachsen wieder zusammen. Irgendwann … wird es wieder
einen Superkontinent auf Assiah geben. Man hatte angenommen, dass dieser …
Zeitpunkt … der Tag des letzten Gerichts sein würde, wie er im … Heiligen
Buch beschrieben wird.“
„Aber?“, wollte Rosiel wissen tappte mit seinem Schuh ungeduldig auf den
Boden. „Mit dem Ende des Schöpfers ist der Tag des letzten Gerichts doch wohl
hinfällig.“
Thorongiel versuchte sich zusammenzureißen, obwohl es ihm immer schwerer viel
wach zu bleiben und normal zu atmen.
„Dies schon“, erwiderte Thorongiel, „Aber die Kontinente bewegen sich
trotzdem aufeinander zu. Das ist nicht an Himmlische Pläne gebunden. Es wird
irgendwann eine neue Ordnung geben, wenn sich die Alte auflöst, aber das ist
nur … Veränderung. Man geht nicht davon aus, dass es schädlich oder gar
tödlich für uns wäre.“
„Wo liegt dann das Problem?“, fragte Rosiel säuerlich.
„Die Kontinente der Erde … es sind genau … sieben Stück“, erklärte
Thorongiel mit schwerer Stimme.
Rosiel wie Katan erkannten das dies mehr war, als bloß eine geologische
Geschichtsstunde. Irgendetwas steckte dahinter und es schien nicht gut zu sein,
wenn man bedachte, dass irgendwo hinter der vierten Schale sich nun Michaels
gesamte Armee befand. Rosiel verzog bei diesem Gedanken das Gesicht, aber mehr
weil er zu ahnen begann, dass seine Schwester vielleicht doch Recht gehabt hatte
und nicht, weil ihn Michaels Pläne kümmerten.
„Sieben Kontinente“, wiederholte Thorongiel, „Sieben Kontinente, die
jeweils eine Schale der Hölle … und des Himmels repräsentieren. Fügt man
zum Beispiel die oberste Schale der Hölle mit der niedrigsten Schale des
Himmels zusammen … bekommt man ... einen irdischen Kontinent. Es sind
Gegenstücke, welche das Gleichgewicht der zwei Seiten auf der Erde
gewährleisten und dafür sorgen, dass keine der beiden Seiten auf Assiah die
Vorherrschaft übernehmen kann.“
Für einen Moment herrschte Stille und Thorongiel leckte sich müde über seine
trockenen Lippen. Ehe noch Rosiel erneut auffahren konnte, was dies nun
bedeutete, meldete sich Katan zu Wort.
„Aber … sind die Schalen nicht ineinander gekracht?“, fragte er vorsichtig
und versuchte die neuen Informationen mit ihrer derzeitigen Situation im Himmel
in Verbindung zu bringen.
Nun hielt Rosiel inne und starrte zuerst Katan, dann den lädierten Engel zu
seinen Füßen an. Die Schalen waren in der Tat ineinander gekracht, sie trieben
wegen die fehlenden Verbindungspfeiler im leeren Raum und stießen hin und
wieder einander. Das verursachte kleinere Störungen, doch da sie nicht wirklich
Kontakt herstellten, sondern bloß den Übergang von Himmel zu Hölle einfacher
machten, hatte man sich nicht groß darum gekümmert, da man die Existenz der
Schalen nicht als gefährdet ansah. Und die Dämonen hatten sich zurückgezogen,
als ihr Herrscher den Thron in der Hölle erneut erklommen hatte.
Bedachte er jetzt aber die eben gehörte Erklärung in Anbetracht der seltsamen
Vorgänge …
„Die Himmlische Schalen drohen sich mit denen der Hölle zu vereinigen?“,
summierte Rosiel das Problem auf eine einzige Frage.
Das würde vieles erklären. Selbst das Aufgebot an Streitmächten am Rande des
Himmels und warum Michael trotz der gescheiterten Invasion der Dämonen während
der Apokalypse sich verhielt, als müsste er bald durch Eiswasser schwimmen. Die
Aussicht bald Dämonen – oder schlimmer: seinen Bruder – praktisch in seinem
Vorgarten zu haben ohne sie wieder vertreiben zu können, gefiel ihm sicher
nicht.
Erneut packte er Thorongiel und zwang ihn ihm in die Augen zu sehen.
„Antworte!“
Ein Husten erklang und schließlich brach das „Ja“ aus dem Mund des
entführten Engels hervor.
„Aber denkt bloß nicht, dass ich … wüsste, was mein Kommandant vorhat“,
fuhr Thorongiel gleich fort. „Ich weiß es nicht. Es gibt noch einige
unbekannte Faktoren, die verlangen, dass mein Boss sich das selbst vor Ort
ansehen muss. Luzifers Wiederauferstehung und die Erzwingung des großen Kreuzes
zum Beispiel. Wir sind weit von einer Lösung des Problems entfernt.“
Das brachte Rosiel dazu zurück zu zucken und Thorongiel loszulassen. Er war es
gewesen, der Luzifers Wiedergeburt beschleunigt und die Öffnung der Himmelstore
angeordnet hatte. Damals war es der beste, wenn auch der rücksichtsloseste und
brutalste Weg gewesen seine Ziele zu erreichen. Eine andere Wahl hatte er zu dem
Zeitpunkt nicht gehabt, aber er war nicht dumm genug, um zu glauben, dass es
sich vielleicht positiv auf ihrer jetzige Lage auswirken würde. Eher war es der
Fall das beide Ereignisse, insbesondere die Erzwingung des großen Kreuzes, das
Wuchern und das Zusammenwachsen der Schalen nur noch beschleunigt hatten. Das es
niemandem aufgefallen war, niemandem außer Michael wie es schien, war auch
möglich, denn kaum jemand in den untersten Schalen hatte überlebt als der
Zusammenstoß erfolgte.
Es lebte auch jetzt niemand dort - und Engel waren in der Regel ignorant, wenn
es nicht gerade ihr näheres Umfeld betraf.
Man hatte auch nicht wirklich geplant, dass dort so schnell wieder jemand leben
sollte, die Anzahl der Engel und der Dämonen hatte im letzten Krieg drastisch
abgenommen, sodass man sich zurückziehen und die Wunden lecken wollte. Ein
Grund, warum man Michael so argwöhnisch beobachtet hatte, denn ein neuen Krieg
konnte man sich kaum leisten.
Und jetzt dies.
„Verdammt. Das sieht schlecht aus.“, murmelte Rosiel leise und stand auf.
Energisch lief er zur Tür und deutete Katan ihm zu folgen.
„Katan, Planänderung“, befehligte Rosiel. „Wir geben meiner Schwester
Bescheid, dass wir Kurs auf die Grenze nehmen. Ich will mir das mit eignen Augen
ansehen, sage ihr, dass sie darauf achten soll, dass erstens Setsuna nichts
unternimmt und zweitens der Rat nicht irgendetwas Dummes tut. Zwar bezweifle
ich, dass Michael irgendjemanden eingeweiht hat, aber eine Panik in der
Bevölkerung wäre nun das Schlimmste überhaupt.“
„Jawohl, Rosiel-sama“, antwortete Katan. „Wünschen sie, dass ich unseren
Gefangenen behandele? So macht er es nicht mehr lange und er könnte uns im
Austausch gegen Informationen von Michael-sama noch von Nutzen sein.“
Rosiel wendete den Kopf und betrachtete den am Boden liegenden Engel. Die Wache
hatte zwar nicht mit Patronen, sondern mit Kugel aus Astralenergie geschossen,
aber das hieß nicht, dass sie weniger tödlich sein konnten.
„Meinetwegen“, sagte Rosiel. „Druckmittel sollte man nicht leichtfertig
wegwerfen.“
Damit verschwand Rosiel, um den Piloten zu informieren. Krachend viel hinter ihm
die schwere Tür ins Schloss.
-
Für einen Moment lang herrschte Stille im Raum und Katan änderte nervös seine
Position. Er wagte es nicht die Hand von dem Rücken Thorongiels zu nehmen, denn
die Drohung sich an den Flügeln des anderen Engels zu vergreifen, war die
einzige Waffe, die er im Moment vielleicht hatte. Vor Rosiel-sama hatte er sich
nichts anmerken lassen wollen, jedoch ... dieser Gefangene war vertrauter als es
ihm im Moment passte.
„Plagt dich dein schlechtes Gewissen, Katan?“, fragte Thorongiel giftig und
richtete nun seinen Blick auf seinen Wächter. „Denn es warst doch
schließlich du, der Rosiel verklickert hat, wer in Michaels Nähe die neusten
und wichtigsten Informationen besitzt.“
„Es war nicht meine Absicht, dass es soweit kommt“, sagte Katan
schuldbewusst, nahm aber jedoch nun seine Hand von Thorongiels Rücken.
Der rollte sich sofort von ihm weg, allerdings nicht ohne sein schmerzvolles
Ächzen verbergen zu können. Erst als er aufrecht an der nächsten Wand saß,
blickte er ihn wieder an. In Katans Kopf überschlugen sich seine Gedanken. Er
wusste, was Thorongiel einfordern würde und er konnte es ihm nicht einmal
verweigern. Selbst, wenn Rosiel-sama bei weniger Verstand wäre als jetzt und
für Erklärungen schwerer zugänglich, so würde er es tun.
Ihm blieb gar keine andere Wahl.
„Du wirst mich hier herauslassen, Katan“, kündigte Thorongiel mit einer
gewissen Sicherheit in der Stimme an, die so gar nicht seiner Posistion
entsprach. Doch man merkte eben unter wem der Engel all die Jahre gearbeitet
hatte. „Du bist mir noch einen Gefallen schuldig und ich weiß, dass du keiner
jener Engel bist, die ihre Schulden nicht begleichen.“
Katan seufzte erschlagen und richtete sich auf.
Auch wenn Rosiel es als Verrat deuten würde, so würde er Thorongiels Forderung
nachkommen müssen. Ihm blieb gar keine andere Wahl.
-
Er hatte gerade die Piloten über die Flugroutenänderung in Kenntnis gesetzt,
als Rosiel auffiel, dass Katan immer noch aufgetaucht war, um sich mit Alexiel
in Verbindung zu setzen. Verwirrt blickte er in den Gang, wo er eigentlich
erwartete, das Katan jeden Moment daraus auftauchte.
„Rosiel-sama, da sind seltsame Vorgänge in Sektor Zwei“, informierte ihn
der Kopilot. „Jemand hat die Notfallluke geöffnet.“
Alarmiert rannte Rosiel den Gang hinunter und verfluchte sich selbst für seine
Gedankenlosigkeit. Er hatte Katan mit einem von Michaels Männern alleine
gelassen! Zwar hatte dessen Akte, zumindest das Wenige, was davon anscheinend
echt war, nicht die Annahme zugelassen, dass er ein großer Kämpfer war, aber
bei Michaels Männern wusste man das nie so genau. Sie hatten den Ruf äußerst
widerstandsfähig zu sein und nur wenige seiner Leute hatten überhaupt auf
Katans Aufforderung reagiert, dass man Thorongiel zur Befragung abholen sollte.
Offenbar fürchteten sich auch Sevothtartes abgerichtete und treu ergebene
Männer vor dem Kommando der Himmelsarmee.
„Katan?“, rief Rosiel besorgt, als er um die Ecke lief und eine große
Gestalt erkannte, die an der offenen Notfalltür stand. „Bist du verletzt?“
Immerhin hatte Thorongiel ohne zu Zögern eine Wache erschossen und die Zweite
schwer verletzt.
„Katan!“
„Nein, Rosiel-sama“, antwortete Katan seinem Herrn und drückte nun die Luke
wieder zu, um den Druck in der Kabine wieder auszugleichen. „Ich bin nicht
verletzt.“
Erleichtert atmete Rosiel auf. Er hatte Katan schon einmal verloren, das wollte
er nicht wiederholen. Doch gut sah sein Sohn dennoch nicht aus. Schuldbewusst
blickte Katan ihn an.
„Aber ich habe den Gefangenen gehen lassen.“
Misstrauisch zog Rosiel die Augenbrauen zusammen.
„Wieso? Hat er dich dazu gezwungen?“
Auch dies konnte er sich gut vorstellen. Katan war im Kampf erfahren, doch
Michael und seinen Männern sagte man eine Rücksichtslosigkeit und eine
Gewaltbereitschaft nach, die Katan nicht schlichtweg nicht besaß.
„Nicht ... direkt“, meinte Katan zögerlich. Offenbar war ihm die Sache mehr
als nur unangenehm, aber Rosiel ahnte, dass es für dieses Verhalten einen Grund
gab. Einen guten Grund.
„Komm mit. Das musst du mir genauer erklären“, meinte Rosiel und zog Katan
zurück in den privaten Bereich, wo er ihm deutete sich zu setzten ehe er sich
selbst in einen der Sessel niederließ.
Erwartungsvoll sah Rosiel Katan an und schlug die Beine übereinander.
„Also?“, fragte Rosiel.
Katan rutschte ein wenig auf seinem Sitzplatz hin und her.
„Ich ... habe eine Schuld beglichen. Einst habe ich ihn um einen Gefallen
gebeten, den Thorongiel nun eingefordert hat.“
„So?“, machte Rosiel leicht verärgert. „Deine Ehre hin oder her, musste
das ausgerechnet hier und jetzt sein? Was war wichtig genug, dass es dir
angemessen erschien ihn jetzt gehen zu lassen und ihm zur Flucht zu
verhelfen?“
Für einen Moment sagte Katan nicht, sondern senkte nur den Kopf, um Rosiels
Blick auszuweichen. Schließlich meine er leise: „Man nennt ihn nicht umsonst
den Engel, dem nichts entgeht und der alles weiß. Ich hatte Schwierigkeiten
alles für ihre Befreiung zusammen zu bekommen, noch dazu es unbemerkt zu tun.
Eure Befreiung an sich war eine Sache, aber Alexiel-samas Bann war lediglich
sehr groß, doch nicht sonderlich kompliziert, dem konnte ich mit ein wenig
Kraft und Übung entgegenwirken. Trotzdem kam ich nicht an der Barriere vorbei
die Assiah umgab und jeden Engel daran hinderte die Erde zu betreten.“
Erstaunt hatte Rosiel die Augen aufgerissen und sich sprachlos Katans Erklärung
angehört. Er hatte nie darüber nachgedacht, wie es ihm gelungen war, ihn aus
der kalten Erde zu befreien. Nach seinem Erwachen war er viel zu sehr auf
Alexiel, oder besser gesagt Setsuna, konzentriert gewesen.
„Willst du mir damit sagen, ...“, begann Rosiel.
„Ohne Thorongiel wäre ich nie an den Grenzwachen vorbei gekommen, welche die
Wege und Tore nach Assiah bewachen. Sevothtarte war sehr genau mit diesem
Abschnitt des Himmels, er wollte auf keinen Umständen, dass die Rebellen
fliehen und womöglich auf Assiah Kraft sammeln können. Oder gar Verbündete
finden.“
„Und dann bist du zu Michael gegangen?“, regte sich Rosiel auf.
Michael, und sei es auch nur indirekt, um eine Gefallen zu bitten, konnte einen
teuer zu stehen kommen. Denn er stand nicht im Ruf seine Schuldern zu vergessen.
Entweder man bekam das was man wollte geschenkt oder man bezahlte bitter und
teuer dafür. Aber Katan sein Handel vorwerfen konnte er dennoch nicht. Nicht
nur, weil es mit seiner Befreiung zusammenhing, sondern weil Michael vielleicht
die einzige Option gewesen war.
„Thorongiel war meine einzige Wahl“, gestand Katan zerknirscht. „Ich
wusste, dass er spätestens bei eurer Rückkehr eins und eins würde
zusammenzählen können, aber er war der Einzige, der mich ohne Aufsehen zu
erregen über die Grenze bringen konnte.“
„Hat er dich persönlich hinüber geschmuggelt?“, erkundigte sich Rosiel.
Politische Gefallen waren bei Michael und seinen Leuten etwas anders, als wenn
man sich aktiv in Gefahr begab. Wobei es hieß, dass sie für ersteres mehr
forderten als für letzteres. Wieder eine Verhaltensweise, die eindeutig
Michaels Stempel trug.
Katan verneinte aber zu Rosiels Erleichterung.
„Er hat mir nur gesagt, wie ich unbemerkt hinüber komme. Die Gefahr der
Entdeckung bestand noch immer, solange ich mich zwischen den Sphären bewegte,
aber er hat den Mund gehalten.“
„Zumindest Sevothtarte gegenüber“, sagte Rosiel abwesend und erntete dafür
nun von Katan einen verwirrten Blick.
„Rosiel-sama?“, äußerte er sich vorsichtig, „Was meint ihr damit?“
Rosiel lehnte sich zurück und blickte gedankenverloren in den dunklen Himmel
hinaus.
„Thorongiel hat in der Tat wie versprochen Sevothtarte gegenüber nichts
gesagt, aber seinen Boss wird er informiert haben. Denn wenn ich es jetzt
bedenke, war es schon mehr als Zufall, dass sowohl er als auch Zaphikel anwesend
waren, als Adam Kadamon die Zeit stehen ließ.“
Katan blinzelte.
„Waren sie das?“
Von der Prinzessin Kurai und ihrem Gefolge hatte er gewusst, schließlich hatten
sie zuvor Alexiel-samas Körper gestohlen, aber er hatte sich nie darüber
Gedanken gemacht, dass auch Michael auf der Erde gewesen sein könnte.
Unbehaglich fühlte er sich, als er zu Rosiel-sama blickte, doch
erstaunlicherweise wirkte sein Herr weniger verärgert, sondern zuversichtlich
und beruhigt. Als wäre ihm aufgeklärte Zufälle wichtiger als der entkommene
Gefangene.
„Michael war auf der Erde“, erklärte Rosiel während er sich erinnerte.
„Zaphikel habe ich durch Setsunas Augen gesehen und im Nachhinein meine ich
auch Michael wahrgenommen zu haben. Er hat mich nur lediglich nicht
interessiert, aber gleich zwei verschiedene Parteien von Engeln – du und
Zaphikel mit seinem Schüler – auf Assiah während der Anorganische Engel
befreit wird und Alexiels Erwachen bevorsteht?“
Katan erntete für diese rhetorische Frage ein Kopfschütteln.
„Das hätte sich Michael nie und nimmer entgehen lassen. Und falls ich dich
erinnern darf: er hat recht lange im Schatten herumgelungert und er hätte sich
die Sache vermutlich bis zum Ende von der Seitenlinie angesehen, wäre nicht das
Schwert Nanatsusaya mit dem Gesicht seines Bruders im Himmel aufgetaucht!“
„Wäre Michael-sama euer Erscheinen im Himmel und die Folgen dessen denn
komplett egal gewesen?“, erkundigte sich Katan.
Er verstand nicht, hatte Michael nur eingegriffen und sich Alexiel
angeschlossen, weil es um seinen Bruder ging? Gehörte er nicht auch zu
denjenigen, die für Recht und Freiheit eintraten?
Rosiel zwirbelte gedankenverloren an seinen Haaren.
„Egal wohl nicht, aber er hat Sevothtarte immer auf Distanz gehalten. So
erfolgreich, dass dieser nur Ai-puppen zu ihm schickte und keine lebendigen
Engel. Auch mit dem freien Zugang auf die Datenbanken, den ich nach Sevothtartes
Sturz besaß, habe ich nichts verwertbares gefunden, womit ich hätte Michael
ködern oder zu etwas zwingen können.“
Leicht senkte er die Stimme, um sicherzustellen, dass niemand außer Katan den
nächsten Satz hören würde.
„Selbst ich habe es letztendlich nicht gewagt, ihm persönlich zu begegnen.
Bei Jibirls Verhandlung habe ich Setsunas Körper benutzt, um mit ihm zu reden.
Später habe ich ihn ignoriert, weil ich Luzifer an meiner Seite wusste. Damit
war sicher, dass er mich nicht beachten würde.“
Katan blickte entsetzt auf Rosiel, der gerade zugegeben hatte, dass er einer
Konfrontation mit Michael ausgewichen war. Sicher war eine Auseinandersetzung
mit dem Feuerengel niemals das Klügste, aber warum die Andeutung, dass selbst
der Anorganische Engel Luzifer brauchte, um gegen ihn bestehen zu können. Sein
Rosiel-sama galt als weitaus mächtiger als einer der Elemente.
„Unterschätze Michael niemals“, warnte nun sein Vater scharf.
Katan erkannte es deutlich, hier sprach die Person, die ihn liebte und nicht
wollte, dass er zu Schaden kam. Aber eine derartige Rüge wegen Michael?
Rosiel hielt es ihm vor Augen.
„Ich halte dich nicht für dumm genug, dich mit einem wütenden Michael
anzulegen, das traue ich nur Setsuna und Raphael zu, aber ich muss dir gestehen,
dass ich höchstens nur mit Alexiel gemeinsam einen Kampf gegen ihn wagen
würde. Doch selbst das hieße nicht, dass wir gewinnen würden, immerhin war es
angeblich Michael, der Alexiel nach meiner Versieglung bezwang und es somit dem
Himmel ermöglichte sie vor Gericht zu stellen.“
Für einen Moment atmete Rosiel tief durch, um die düsteren Erinnerungen an
diese Zeit zu verbannen, ehe er weiter sprach.
„Was man auch immer über ihn sagt, Michael ist und bleibt der Zwilling
Luzifers. Du warst noch nicht geboren, als Luzifer fiel, deswegen kannst du auch
nicht wissen, dass es Michael war, der es fertig brachte in kürzester Zeit die
Führung der Armee zu übernehmen, den Himmel im Chaos der Rebellion zu ordnen
und dem bis dahin mächtigsten Engel die Stirn zu bieten.“
Rosiel bohrte nun seine Nägel in die Armlehnen seines Sessels und beugte sich
ein bisschen vor, als er weiter sprach.
„Ich selbst war damals noch in Atziluth unter dem wachsamen Auge von meinem
Vater, aber er hat mich zusehen und beobachten lassen, außerdem waren die
Dienstmädchen damals schon Plaudertaschen. Und wenn auch nur ein Bruchteil der
Erzählungen wahr ist, was damals auf den Schlachtfelder zwischen Luzifer und
Michael stattfand, dann hat niemand außer ihnen das unbeschadet überlebt.“
Durch die Erinnerungen und die neusten Entwicklungen aufgebracht, lehnte sich
Rosiel wieder zurück und begann vor sich hin zu brüten. Katan erkannte, dass
er nicht mehr erwünscht war, doch er würde dich die Warnung zu Herzen nehmen.
Schon allein, weil Rosiel wirklich sich vor vor Michael zu fürchten schien.
Nun, dachte Katan, wenn ich an Luzifer zurück denke, dann würde mich das nicht
wundern. Zumindest wenn es wahr ist und die Brüder sich doch ähnlicher sind,
als ich bisher angenommen habe.
Er ging zur Tür, um nun endlich Alexiel zu verständigen, denn dies hatte er
noch immer nicht erledigt. Bevor er aber hinaus trat, fragte er noch: „Was tun
wir Thorongiel, Rosiel-sama? Soll ich Gegenmaßen veranlassen, sodass man ihn
wieder einfangen soll?“
„Nein“, bestimmte sein Herr abwesend und wedelte wegwerfend mit der Hand.
„Entweder er ist durch die Winde und seine Verletzungen tot auf den Erdboden
gestürzt, für uns demnach keine Gefahr mehr, oder er ist in der Tat einer von
Michaels Schützlingen und beißt sich durch. In dem Fall finden wir ihn nie,
also lass ihn sein. Er ist jetzt auf sich gestellt und wer es vorzieht in
Freiheit zu sterben, soll er doch.“
„Sehr wohl“, bestätigte Katan und verschwand.
Er wusste selbst, dass er für Thorongiel nichts mehr tun konnte, zumal diesem
es wichtiger gewesen war, hier heraus zu kommen, als seine Wunden behandeln zu
lassen.
-
Rosiel seufzte, als Katan die Tür schloss.
Er war nun auch nicht viel schlauer als vorher und wäre sein Versprechen
Alexiel gegenüber nicht gewesen, wäre er sofort umgedreht. Aus seiner Sicht
brachte es nicht, sich in die Angelegenheiten von Michael einzumischen, selbst
wenn dabei die verdammte Ordnung des Himmels auf dem Spiel stand. Lieber würde
er die untersten Schalen an die Dämonen abtreten, als sich zwischen Michael und
seine Ziele zu stellen.
Denn er hatte ihrer zeitweiligen Zusammenarbeit wegen genug Zeit mit Luzifer
verbracht, um zu wissen, dass man dieses Gespann in Ruhe lassen sollte. Gesagt
hatte es der Höllenfürst nie, aber in den dunklen Augen hatte das Versprechen
eines sehr schrecklichen Schicksals gelegen, sollte er Michael je anrühren.
Seltsamerweise konnte er das sogar verstehen. Ginge es um seine Schwester,
würde nicht anders reagieren, aber aus seiner Sicht lag in den Seelen der
beiden Brüder eine Macht mit der man sich besser nicht anlegen sollte.
Und solange Alexiel, Setsuna und Katan in Sicherheit waren, würde er auch
nichts weiter tun, als zu zusehen, wie das Licht und die Dunkelheit erneut
gegeneinander in den Krieg zogen.
xxx
Bin ich nicht nett? Solange her und dann liefere ich euch so viele
Informationen. Ich finde das zumindest sehr freundlich von mir. Gerade zu
großzügig. Doch mal sehen, wie das aufgenommen wird. Immerhin bewegen wir uns
unaufhörlich auf den Gipfel der Dinge zu.
mangacrack
Grenzen des Himmels - Tief in der Stille der Nacht
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Kommentar: Weil ich mir des konkreten Inhalts nicht sicher war, hat mich dieses
Kapitel Schweiß, Blut und Wasser gekostet. Von meinen Nerven wollen mir am
besten gar nicht reden. Und letztendlich kam mir „Die, die aus dem Himmel
kamen“ dazwischen. Dafür ist diese Fanfiction immerhin jetzt abgeschlossen.
Zur besseren Visualisierung möchte anmerken, dass das grobe Layout der
Kommandobrücke Star Trek nachempfunden wurde. Frühe Beeinflussung und der
Fakt, dass jeder etwas damit anfangen kann. Änderungen habe ich mit
selbstverständlich vorbehalten.
mangacrack
xxx
::Kapitel 22 – Tief in der Stille der Nacht::
Der Wind schlug ihm bereits ins Gesicht, als Katan die Notfallluke öffnete.
Schwer musste sich Thorongiel dem Druck entgegen stemmen, um nicht zurück in
das Flugschiff gedrückt zu werden, aber er biss die Zähne zusammen und trat an
die Kante heran. Für einen Moment blickte er nach unten, wo in dem Licht der
späten Dämmerung das Land tief unter ihnen dahin fegte. Die wenigen Dörfer,
die in dieser Gegend die Sphäre besiedelten, sahen so winzig aus, dass
Thorongiel sich bewusst wurde, wie viel Raum wirklich zwischen ihm und dem
Erdboden war.
Eine Distanz, die beständig größer wurde, weil der Pilot an Geschwindigkeit
zulegte. Er musste sich nicht extra ausrechnen, dass sie bald die Grenze der
Sphäre erreichen würden und er musste es vermieden in die Energieströme zu
geraten. Innerhalb der Sphären konnte ihm nicht viel passieren, aber es gab
Gründe, warum Sevothtarte so einfach den Flugverkehr nach Assiah hatte
überwachen können. Flugschiffe fielen auf und kaum einer war so verrückt es
eigenständig zu probieren. Nur wenige Engel konnten hoffen, dass ihre
Flugkünste ausreichten, um heil durch die Zwischenwelten und wieder zurück zu
gelangen und er gehörte eindeutig nicht dazu. Zwar war er trainierter als
andere Engel, doch er war nicht alt genug, um zu der Generation zu gehören für
die das Fliegen durch physikalisch instabile Mitwelten normal gewesen war.
Katan, der sein Zögern bemerkte, fragte: „Wäre damit meine Schuld
beglichen?“
Thorongiel drehte sich zu dem vertrauten Engel um, dem er in den letzten
Jahrhunderten mehrmals über den Weg gelaufen war, als es darum ging Sevothtarte
auszutricksen. Sie hatten beide stets gewusst, dass sie an den Orten, wo sie
sich begegneten, nichts verloren hatten, doch so etwas wie Sympathie hatte sich
dennoch nie eingestellt. Ein Feind blieb ein Feind, auch wenn man ihn
respektierte und daran hatte sich nie etwas geändert.
„Ich denke nicht, dass wir beide noch einmal dazu kommen werden, irgendeine
Schuld von dem Anderen einzufordern, Katan“, sagte Thorongiel und sprang nun
endgültig, bevor Rosiel merken würde, dass sein Gefangener entkommen war.
Denn das Schicksal, das ihn bei einem gescheiterten Fluchtversuch erwartete,
würde schlimmer sein, als mit schweren Verletzungen aus einem fliegenden
Flugschiff zu springen, dass dabei war die äußeren Hemisphären einzutreten.
-
Katan blickte Thorongiel hinterher, als dieser wirklich aus dem Flugzeug sprang.
Er betrachtete es als schlichtweg wahnsinnig, doch er konnte nicht sagen, dass
er den Engel irgendwie verstand. Schon früh hatte er feststellen müssen, dass
Thorongiel kein Freund oder ein Verbündeter werden konnte. Aus seiner Sicht war
der Engel seinem Kommandanten sehr viel ähnlicher, als der sich das eingestehen
wollte. Er selbst wagte es von sich zu behaupten, dass er weniger Züge seines
Vaters übernommen hatte, als Thorongiel Wesensarten von Michael, doch ganz
gleich welch vermindertes Verständnis er für deren Methoden und Auffassungen
haben mochte, er wusste was Loyalität war.
Gerade weil sie lange Zeit ein und dieselben Feinde ihr Eigen nennen konnten.
Ob sich das nun ändern wird?, fragte sich Katan, ehe er hörte wie schnelle
Schritte den Gang hinunter hechteten.
„Katan?“, hörte er seinen Vater rufen, doch seinen Gedanken hingen noch bei
Thorongiel. „Bist du verletzt?“
Thorongiels Worte hatten sicher geklungen und der Engel stand nicht in dem Ruf
sich zu irren. Ohne ihn wäre es schließlich niemals möglich gewesen seinen
Rosiel-sama zu befreien.
„Katan!“, wurde er an geherrscht und Katan schreckte auf.
„Nein, Rosiel-sama“, antworte er immer noch ein abwesend. „Ich bin nicht
verletzt.“
Dennoch hieß das nicht, dass er sich besonders wohl fühlte.
-
Das Blut pulsierte mit jedem Schlag seines Herzens und schlug heftig gegen die
Wände seiner Adern. Thorongiel konzentrierte sich darauf, damit ihm in der
ungewohnten Höhe nicht die Luft wegblieb und er ohnmächtig wurde. Die
Schwärze drohte ohnehin schon ihn zu überfallen wie versteckt lauernde
Dämonen der Hölle. Ähnlich wie deren Ketten rasselte sein Atem, sodass
Thorongiel fest seine Handfläche seiner Rechten auf die linke Seite seiner
Rippen presste, um sich selbst vormachen zu können, dass es half den Schmerz zu
lindern.
Eisig brannte seine Haut, weil die Kälte der höheren Gefilde durch die zu
dünne Schicht seiner Kleidung drang. Es war nicht sicher so hoch zu fliegen,
aber er hatte eine günstige Thermik erwischt, die seine Flügel schonte. Die
Schusswunde schmerzte heftig und beständig sickerte das Blut in den Stoff
seiner Hose, aber die Erinnerung an Katans Hand auf seinem Rücken war
zweifellos unangenehmer. Im Gegensatz zu dem traditionellen Vorgehen, so wie es
Sevothtarte gerne hatte verwenden lassen, hatte Katan seine Finger nicht
wirklich in die anfälligen Muskeln gebohrt, die nur schwer heilten, wenn man
wusste wie man sie richtig verletzten musste, damit man nie wieder würde
fliegen können. Aber selbst das Verwenden von scharfen Klingen wäre nicht so
bedrängend wie das Gefühl von fremden ungebetenen Fingern in den
Rückenregion.
Mit einem Schaudern schlug Thorongiel einmal kräftig mit seinen Schwingen, um
sich davon zu überzeugen, dass mit ihnen alles in Ordnung war und das ekelhafte
Gefühl abzuschütteln, das ihn überfallen und nicht mehr loslassen wollte,
seit er auf den kalten Boden des Flugschiffes gepresst worden war. Diese Art der
Bedrängung war immer bedrohlich und seit dem Großen Krieg betrachtete man es
im Allgemeinen als Nötigung ohne explizite Aufforderung den oberen Rücken auch
nur zu berühren. Ein Schulterklopfen konnte unter Umständen intimer sein als
Sex. Nur unter guten Freunden oder Liebenden musste man daher nicht auf seinen
Rücken achten. Denn Sevothtarte hatte sich die alte Angst zu Nutze gemacht, die
jedem Engel angeboren war, aber seit mit den Krieg geschürt und verstärkt
worden war, da besonders in diesen Zeiten Verräter nicht mit den Tod, sondern
mit dem Flügelschlag bestraft wurden.
Wir waren niemals sicher, erinnerte sich Thorongiel und ein alter Schrecken
kroch wieder aus seinem Versteck hervor. Es gab immer jene, die verschwanden und
nie wiederkehrten. Ob sie nun in Einzelteile zerlegt, betäubt und erforscht
oder einfach nur getötet wurden, niemand war ausdauernd genug Sevothtarte auf
Dauer dauerhaft zu entwischen.
Es hatte nur jene gegeben, die ihr offen ihre Grenzen zogen und jeden töteten,
der sich ohne Befugnis hinüber wagte. Ausnahmslos jeden, sei er nun jung, alt,
dämonischer oder engelhafter Herkunft.
Thorongiel unterdrückte das Zittern der Muskeln in seinen Flügeln und das
Gefühl von Übelkeit in seinem Magen. Sevothtarte war tot, auch wenn der weiße
Diktator ein noch viel zu gnädiges Ende gefunden hatte. Er hatte die Leiche
gesehen und egal was Layla angetan worden war, dies war keine Ausrede für die
tiefe, grausame Angst, die nun in nahezu jedem Engel wohnte und den Himmel
wahrlich zu dem passenden Wohnort für einen wahnsinnigen Gott gemacht hatte.
Doch obgleich die Gefahr gebannt worden war, so gab es für ihn nur einen
sicheren Hafen, zu dem er fliegen und seine Flügel ausruhen konnte.
Eine mondlose Nacht umgab ihn und nur die Sterne des Alls leuchteten schwach,
als Thorongiel getrieben von diesen Gedanken unaufhörlich mit seinen Flügeln
schlug und auf dem Wind an den Grenzen des Himmels stetig näher kam. Bald
schwebte er an der Küstengleichen Kante der vierten Schale entlang, nur das
unter ihm nicht Wasser, sondern sich das Meer der Dunkelheit ausbreitete.
Unendlich schien es in die Tiefe zu gehen, selbst das Licht der entlegenen
Sonnen verblasste im Anblick des düsteren Nichts, das die Hölle umgab und den
Schlund verbarg, der mehr einem offenen Krater eines aufgerissenen Planeten
glich, als einem Wohnort. Hin und wieder wirkte die Hölle wie ein Versprechen,
wie eine Zuflucht für jeden, der dem Terror des Himmels entkommen wollte, aber
der Schein trug immer.
Die Obhut der Hölle hatte ihren Preis, außerdem gab es für ihn nur einen Ort,
wo er Schutz finden und leben konnte. Ganz gleich ob dieser Ort nun direkt
zwischen Himmel und Hölle lag. Aber sein Weg würde ihn trotz jeglicher
Bedenken und Aussichten immer wieder dort hinführen.
Knochenweiß schimmerten Thorongiels Flügel, als er die ersten Scheinwerfer von
Michaels Heereskreuzern in der Ferne auftauchen sah.
-
An einem anderen Ort zog sich Jibril die Kapuze ihres Umgangs tiefer ins
Gesicht. Die Nacht half ihr sich ungesehen durch die Straßen zu bewegen, aber
sie wollte es verhindern gesehen und erkannt zu werden. Hier im Zentrum des
Himmels, wo sich wichtige Gebäude wie Bäume in einer Allee aneinander reihten,
patrouillierten Wachen in regelmäßigen Abständen, besonders da die
Erinnerungen an die Invasion der Dämonen noch präsent in den Köpfen der
Bevölkerung war. Also musste sie darauf achten die Zeitfenster abzupassen, in
der sich Lücken in der Bewachung der Paläste auftaten, die auch in
Nachtstunden wie diesen noch hell angestrahlt wurden und ihr die Fortbewegung
erschwerten.
Freilich hatte ihr niemand verboten sich durch das Regierungszentrum zu bewegen,
aber durch die im ganzen Himmel übertragene Verhandlung würde man auf ihr
Auftauchen an Orten außerhalb ihre Zuständigkeit automatisch mit Interesse
reagieren. Nicht einmal aus Bösartigkeit, viele rechneten es ihr immer noch
hoch an, dass sie sich trotz fehlender Erinnerungen und
Verteidigungsmöglichkeiten gegen Sevothtarte aufgelehnt hatte, aber es
bedeutete Aufmerksamkeit, die sie derzeit nicht wünschte. Sie hatte sich schon
früh an den Medienrummel gewöhnt, der ihr als Hoher Engel und einziger
weiblicher Elementar zuteil kam, aber hin und wieder musste auch sie sich
verstecken und Abwege gehen.
Besonders wenn es um Vorsichtsmaßnahmen ging, bei denen ihre Gefährten still
erwarteten, dass sie existierten. Die Gerichtsbarkeit des Himmels war ihre
Aufgabe, genauso wie Uriel, Raphael und Michael die ihren hatten. Doch im
Gegensatz zu ihnen, war sie in den letzten Jahrhunderten nicht anwesend gewesen,
um auch nur die grundlegendsten Dinge zu gewährleisten.
Das musste sich nun ändern und Jibril wurde innerlich getrieben von dem Drang
ihre Schuld wieder gut zu machen. Denn Sevothtartes Existenz war ihre Schuld. Er
hatte sie überlistet, als sie sich damals gegen seine Politik gestellt hatte
und das hätte nicht passieren dürfen. Keiner der drei Anderen war in der
Himmelspolitik bewandert, nicht so wie sie, die darauf zu achten hatte, das die
Ränge der Hohen Engel frei von Korruption bleiben und davon hatte sich unter
Sevothtarte nur allzu viel angesammelt.
Entschieden beschleunigte Jibril ihren Schritt.
Uriel war geheilt und er hatte ihr zugesichert, dass er sein Amt als Justiziar
wieder aufnehmen würde. Ganz gleich, was noch passieren würde, sie musste sich
nun auf das Zusammentragen der Anklagepunkte und der betreffenden Beweise
konzentrieren. Sie war de Engel der Verkündung und laut würde ihre Stimme
erschallen, wenn sie die Schandtaten des Himmels verlesen würde, um die Opfer
der grausam verwaltenden Willkürlichkeit an die Oberfläche des Ozeans zu
zerren, dessen reines Wasser man ihrer Abwesenheit mit Blut ersetzt hatte.
Das musste sie ändern.
Allerdings würde ein sichtbarer Erfolg noch lange auf sich warten müssen, denn
der Schmutz war tief in den Boden eingedrungen und sie musste von dem Himmel
retten, was sich noch zu retten ließ, in Anbetracht dessen, dass Michael die
Veränderung unaufhörlich vor sich her trieb. Wenn auch sie bezweifelte das er
wusste, was genau die Veränderung war und wo sie ihn hinführen würde.
-
„Es ist nicht nötig, dass wir rasten Uriel“, sprach Raphael, doch er wurde
von Uriel zurück gegen den Stamm des Baumes gedrückt unter dem sie Schutz
gefunden hatten.
„Doch, das ist es“, erwiderte der Engel der Erde und blickte sich prüfend
um. „Zum Einen hat dieser Flug dir mehr abverlangt, als du es zugeben
möchtest und wir haben noch sehr weit zu fliegen, zum Anderen sind die Grenzen
des Himmels lange nicht mehr so sicher, wie sie es einmal waren.“
Er bohrte das Ende seiner Sense in die Erde und errichtete einen Bann, der
gerade stark genug war, um die schwächeren Totengeister fernzuhalten, ohne
allerdings die Stärkeren auf sie aufmerksam zu machen. Als Engel des Todes
wirkte er für die Geister der Toten wie ein Leuchtfeuer in der Nacht, denn er
war das Portal zur ewigen Ruhe und die Hoffnung auf den ersehnten Seelenfrieden,
den sich die Rastlosen so herbei sehnten. Auf Grund der vergangenen Kämpfe
streiften leider noch weitaus mehr Seelen der Toten umher, als es sicher gewesen
wäre.
Raphaels irritiertem Blick begegnete Uriel mit meisterlicher Gelassenheit.
„Als die Satane die Verbindungspfeiler kappten, starben sehr, sehr viele
Engel. Genauso wie Dämonen. Selbst im Hades habe ich die Erschütterung
gespürt und wäre Enra-Oh nicht gewesen, hätte der Hades vielleicht nicht
gehalten, der theoretisch im Mittelpunkt von Himmel, Hölle und Assiah liegt,
damit jedes Lebewesen, das verstirbt, denselben Weg zurücklegen muss und
niemand einen Vorteil hat. Ganz gleich, was er im Leben getan hat oder wer er
war.“
„Die Gerechtigkeit des Todes“, meinte Raphael trocken, sah in die weite
Nacht hinaus und fuhr mit seinen Fingern durch das vom Wind zerzaustes Haar.
Er wollte eigentlich nicht über das nachdenken, was in seiner Natur lag zu
bekämpfen, aber es bestand die Chance, dass er dadurch sich von dem ablenken
konnte, was ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte.
„Keine Gerechtigkeit“, widersprach Uriel und blickte auf Raphael herunter.
Er schien zwischen Mitleid und Bedauern zu schwanken. „Es gibt nur den Tod und
jene, die bereit sind sich ihm zu überlassen.“
Abwesend fragte sich Raphael, ob Uriel ihm damit etwas sagen wollte. Es klang
als wäre dahinter eine tiefere Botschaft versteckt, die entschlüsseln sollte,
aber bei Weitem nicht begriff.
Wie sollte er auch, wenn alle seine Gedanken nur um Michael kreisten?
Seit sie in die Lüfte gestiegen waren, wurde ihre Weg und die Thermik um sie
herum davon bestimmt, in wie weit es ihm gelang von Michael Abstand zu nehmen
und nicht über die verstörende Leere in seiner Brust nachzudenken. Sein
Verstand sagte ihm, dass der zerstörte Bund zwischen ihm und Michael nichts
war, was seine Gesundheit in irgendeiner Weise beeinträchtigen würde. Dennoch
fühlte es sich an, als würde er haltlos und alleine durch den Himmel fallen,
nur darauf wartend, dass er verbrennen würde, wenn er in die Luftschichten der
Atmosphäre eindrang. Sowie die zahllosen kleinen Meteoriten, deren einziger
Existenzgrund zu Grunde ging, wenn sie in das Kraftfeld der Erdplaneten
gerieten. Sie verpufften und endeten als kalte, bedeutungslose Steine.
Es schien alles bedeutungslos zu sein, da alles irgendwann einmal verging.
„Du solltest schlafen, Raphael“, sprach Uriel sanft zu ihm.
„Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin“, antwortete Raphael ehrlich.
Er hatte Angst, was seine Träume ihm zeigen würden. Oder das er nicht mehr
würde vergessen können, was sie ihm sagen wollten.
„Du wirst“, meinte Uriel sicher. „Auch Vögel sind nur frei, weil sie
immer einen Ast finden, auf dem sie sich ausruhen können.“
„Hn...“, machte Raphael leicht schnaubend, schloss aber die Augen und
ignorierte das Gefühl von weichen, dunklen Feder auf seiner Haut, als Uriel
seinen Flügel um ihn legte.
„Komm mir jetzt nicht mit altchinesischen Sprichwörtern“, murmelte er,
allerdings bereits leicht schlaftrunken.
„Wenn sie aber doch der Wahrheit entsprechen“, hörte er Uriels amüsierte
Antwort.
Raphael wusste genau, dass sie beide jetzt an die Jahrhunderte dachten, in denen
sie auf Erden wandelten. Getarnt als Menschen hatten sie sich unter die
Bevölkerung gemischt und hatten ihnen die Wichtigkeit des Gleichgewichts in der
Natur und die Lehre der vier Elemente beigebracht. Es war eine der Zeiten
gewesen, die für den weiteren Zusammenhalt der Großen Vier gesorgt hatten.
Damals hatten sie das alle gebraucht, denn nach Luzifers Fall hatte sich alles
geändert.
Damals hatten sie verzweifelt aneinander Halt gesucht, um das Gefühl von
Vertrautheit zu behalten.
Zwischen hatte sich das Rad der Zeit bereits zwei volle Male gedreht und es
hatte sich erneut alles verschoben. Luzifels Fall hatte ihnen einst den Boden
unter den Füßen weggerissen, doch nun war es als blickte man durch
gesprungenes Glas.
Alles wirkte falsch und verzerrt.
Daran würde auch der ferne Morgen nichts ändern.
-
Saiga faltete ihre ledernen Flügel zusammen, als sie mit ihren nackten Füßen
auf dem sengenden, erhitzten Fußboden aufsetzte. Die Krallen bohrten sich in
den Stein, als sie Halt suchte, da es nicht in ihrer Natur lag zu derartig
eigenständig zu handeln. Sie war es gewohnt, gepackt und geführt zu werden.
Doch ihr Meister hatte ihr befohlen die Federn des großen Drachen dort zu
verstecken, wo man sie am allerwenigsten suchen würde. Im Herzen der
Himmlischen Gefilde, wo die geflügelten Wesen wohnten, die ihren eigenen Volk
so fremd waren.
Allein Michael-sama und seinem Bruder zollte man Respekt, wobei viele Drachen
keinen Unterschied zwischen dem Einen und dem Anderen machten. Das machte man
bei Drachen nicht, die aus ein und demselben Ei geschlüpft waren.
Engel – so hatte ihr Meister es ihr erklärt – nannten dieses Vorkommen eine
Zwillingsgeburt. Eine Wortschöpfung, die sie niemals verstanden hatte, denn es
steckte der Wortstamm zwei darin und jeder Drache wusste, dass aus einem Ei auch
nur eine Seele entstehen konnte, ganz gleich wie viele Identitäten oder
Gestalten diese Seele auch annehmen würde.
Aber es handelte sich hierbei um Engel und deren Handlungsweisen hatte ihr Volk
noch nie verstanden.
Sie schritt ungesehen durch die vertrauten Gänge der Höhle ihres Meisters, das
nur in einigen Bereichen aussah wie die Behausung der anderen Engel. Es war ein
Zeichen von Weisheit, dass Michael-sama in seinen privaten Gemächern mehr auf
den natürlichen, rustikalen Baustil zurückgriff, wie ihn auch die Drachen
bevorzugten und nicht den verschnörkelten, nutzlosen Schand, was man im Himmel
als schön und angemessen bezeichnete.
Nicht aus Zufall ließen jegliche Kreaturen, die keine Verbindung zum Himmel
hatten, diesen auch wohlweislich in Ruhe. Keiner verstand das Handeln der Engel,
selbst Jade – der Drache der Weissagung – stand in dem Ruf ihre
Schwierigkeiten damit zu haben, es in Worte zu fassen, was die Engel als
nächsten Schritt planten und ob sie eine Gefahr für den Drachenmeister
darstellte. In der Regel galt, dass man Engel am besten in Ruhe ließ, da es
sinnlos war, gegen sie vorzugehen. Ihre Wege waren widersprüchlich, ihr Handeln
launisch und beschrieben damit fast alle grundlegenden Gesetze der Natur.
Und mit der Natur legte man sich nicht unbedacht an, ganz gleich ob sie die
Gestalt eines Engels annahm.
Saiga schob daher langsam den wichtigsten Besitz ihres Meisters in das geheime
Fach, das er ihr genannt hatte. Das Feuer, das in dem Kamin beständig brannte,
leckte an ihren Armen und Beinen, doch ihr machte das nichts aus, es wärmte
ihre Schuppen nur. Als sie zurück trat und sicherstellte, dass alles wie sonst
aussah, überkam sie der Instinkt, dass sie hierbleiben sollte. Es war der nicht
dasselbe Prickeln von Gefahr das sie erfasste, wenn sich etwas näherte, das sie
nicht sehen konnte, sondern eher eine Vorahnung. Wie der Schatten eines Tieres,
das man nur für den Moment erhaschten konnte, wenn das Mondlicht es zuließ.
Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen nun zurück zu treten, ihre Flügel
auszubreiten und so schnell wie möglich zu ihrem Meister zurück zu kehren,
damit sie ihm in dem kommenden Kampf beistehen konnte. Aber das Prasseln des
Feuers warnte sie. Sie durfte nicht. Es wäre besser hier zu bleiben, damit
Michael auch in den Himmel zurückkehren würde.
Angst kannte sie nicht, nicht für sich selbst oder ihre eigene Existenz, aber
sie kannte die Empfindung Sorge um dessen, den sie geschworen hatte zu
beschützen und zu verteidigen. Als man ihren Dolch geformt, gegossen und
geschmiedet hatte, war ihr Geist hinein geflossen, getrieben von Mächten, die
sie selbst nicht verstand, aber sie kannte nur diesen Befehl. Es war ihre
Aufgabe den zu schützen, der sich Michael nannte und wenn sie jetzt
zurückkehrte, könnte sie versagen.
Aber es stand im Widerspruch zu allem, wofür sie bisher existiert hatte. Sie
ging sogar soweit es als Leben zu bezeichnen, denn sie wurde geboren, als ihr
Meister sie zum ersten Mal in seine Hände nahm, sie mit dem Blut eines anderen
Lebewesens tränkte, um sich selbst zu schützen und ihr ihren Namen gab. Ihr
Meister hatte ihr angeboten sich frei zu bewegen und zu gehen wohin auch immer
sie wollte, als sie zum ersten Mal die Gestalt auf zwei Beinen annahm, so
merkwürdig sich das auch anfühlte. Sie wusste, dass man dieses Konzept, den
freien Willen nannte, aber es hatte sie stets verwirrt, dass es einen
Unterschied machen sollte, wenn sie sich freiwillig dazu entschied ihrem Meister
zu dienen oder es bloß tat, weil man es ihr befohlen hatte.
Bis jetzt.
In diesem Moment befahl ihr die Stimme aus dem Feuers hier zu bleiben, sie
selbst allerdings konnte es nicht. Ihr Platz war an der Hüfte oder in dem
Stiefel ihres Meisters, ganz gleich, was es bedeutete. Sie würde zu dem Herrn
des Feuers zurückkehren und nicht nur, weil er ihr es befohlen hatte.
Wenn dies das Konzept des freien Willens war, dann hieß das, dass es ihre
Entscheidung war. Sie konnte die Stimmen und Warnungen ignorieren, die sie zur
Ordnung rufen wollten. Die ihr sagen wollten, dass sie hier zu bleiben hatte.
Außerdem gab es keinen Hinweis darauf, wer versuchte sie zu warnen, daher
musste sie von vorneherein annehmen, dass jemand versuchte sie von dem richtigen
Weg abzubringen, um Michael-sama zu schaden.
Saiga schüttelte irritiert den Kopf und breitete ihre Schwingen wieder aus. Aus
einem Impuls und ihrer neu gewonnenen Entscheidung heraus, nahm sie die Federn
des Zwillings wieder aus dem Versteck heraus und schwang sich in die Nacht.
Lederne Flügel schlugen kräftig, die sie in den Himmel trugen, ungesehen von
seinen Bewohnern. Es mochte keinen Sinn ergeben und den Segen derer, denen sie
ihr Bewusstsein und ihre Intelligenz zu verdanken hatte, hatte sie auch nicht,
aber sie wusste, dass es richtig war.
-
Die Luft war eng und drückend auf der Brücke der Flaming Hell und die Motoren
arbeiteten heftig, um durch die Energieströme zu kommen, die sich ihnen
entgegensetzten.
Pyrrha hatte ein scharfes Auge auf die Anzeigen vor sich, doch soweit war alles
im sicheren Bereich, daher lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und rief die
Routenkarte auf, um den Kurs wenn nötig korrigieren zu können. Der Pilot
würde seine Unterstützung wohl nicht brauchen, aber sie befanden sich jetzt
nun mal kurz vor dem Ziel und zugleich auch auf dem gefährlichsten Abschnitt
der Strecke.
Als sie bei der Basis gestartet waren, hatten sie durch die gesetzlich
vorgegebenen und gesicherten Hohlbahnen leicht in den Leerraum eintreten
können. Abschnitten des Himmels, den kleineren Welten und Meteoriten
auszuweichen war eine leichte Aufgabe, die zu der Ausbildung eines jedes Piloten
dazu gehörte, doch nun mussten sie in verkehrter Richtung wieder an die Grenze
der vierten Schale heran fliegen. Der Schutzschild des Himmels mochte durch die
Erschütterungen gebrochen worden sein, aber das Gerüst war noch vorhanden und
man arbeitete bereits wieder an der Wiederherstellung des Walls, der sie von der
Hölle trennte. Anlass war die Tatsache, dass die Soldaten der Armee dringend
eine Pause brauchten und die Kraftreserven langsam zu Ende gingen, die Dämonen
jedoch scheinbar nicht schnell müde wurden.
Bisher auch noch keine größere Entscheidung gefallen, welche wenig Ruhe
gebracht hätte, denn seit der Invasion war die Lage angespannt geblieben, ohne
dass sich eine Besserung in Aussicht stellte.
Es mochte daran liegen, dass die Hölle ihnen zwar wie sonst auch zahlenmäßig
überlegen war, aber auch nicht über genügend eigenständig denkende Wesen
verfügte, um sich diesen Vorteil zu Nutze zu machen. So griffen immer wieder
nur vereinzelte Gruppen an, aber auch die kleineren Angriffe rieben an den
Nerven. Besonders, da es kein Ende zu nehmen schien und Siege auf ihrer Seite
kaum zur Kenntnis genommen wurden. Selbst die niederen Kreaturen, deren Verstand
kaum dem eines wilden Tieres gleich kam, attackierten ihre Barrieren mit
unverminderter Heftigkeit und inzwischen konnte man die anhaltende Moral unter
den Dämonen nur noch der Rückkehr ihres Fürsten zu geschrieben werden.
Offensichtlich waren die Anwesenheit des Morgensterns nach wie vor noch Anlass
genug, um selbst den Selbsterhaltungstrieb des feigsten Dämon mit blinder
Ergebenheit zu ersetzen.
Für Luzifer würden die Bewohner der Hölle alles tun, sei es aus Bewunderung
oder Furcht und Pyrrha wusste noch sehr gut wie berauschend es sein konnte im
Glanz des Sternes zu stehen und zu glauben, dass man selbst in der Lage wäre
den gesamten Himmel mit der ein paar Ideenfolgen kontrollieren zu können, weil
man glaubte, dass Grenzen und Gesetze nur für Andere galten.
Ein Irrtum für den bisher noch jeder hat bezahlen müssen, dachte Pyrrha
dunkel. Selbst Luzifer.
Zumindest hoffte er das.
Ein Zischen schräg hinter ihm kündigte an, dass sich die Tür zu Brücke
öffnete. Gleichzeitig blickten alle Anwesenden auf, weil es sich eigentlich nur
um einen handeln konnte. Michael deutete seinen Männer jedoch sofort wieder an
die Arbeit zu sehen.
„Es gibt nichts zu sehen und man wendet bei einem Kehr-Manöver unter diesen
Bedingungen die Augen nicht vom Schirm“, bellte er, worauf die Crew sofort
wieder die Blicke senkte.
Den Raum durchquerte Michael mit wenigen Schritten, um sich hinter Pyrrha zu
stellen und die Ellbogen auf die Rückenlehne des Sessels zu legen. Dann warf er
einen prüfenden Blick auf die schimmernde Projektion des Hologramms, die vor
ihnen schwebte und die reinkommenden Nachrichten der anderen Offiziere enthielt.
„Gibt es Neuigkeiten betreffend unserer Verteidigung?“, fragte Michael
direkt und Pyrrha versuchte sich davon abzulenken, dass ihm direkt über die
Schulter gesehen wurde.
„In den letzten Stunden hat sich nicht viel geändert“, berichtete er und
tippte die Projektion an, um sie besser sichtbar zu machen. „Aber die
Situation verschlechtert sich dennoch zusehends, daher wird dringend eine
Lösung benötigt. Da die meisten unserer Schiffe ihre Energie aus den
Sonnenstrahlen gewinnen, die von der Ozonschicht zurück geworfen werden,
sollten wir in dieser Hinsicht eigentlich nicht mit Schwierigkeiten rechnen
müssen.“
„Aber die allgemeine Versorgung der Schilde und Gebäude nimmt nach wie vor
ab?“, erkundigte sich Michael.
„Jawohl“, antwortete Pyrrha. „Auch wenn sich nicht bestimmen lässt wieso.
Es kommt zu Ausfällen, die Werte der Messgeräte schwanken ständig und konnten
bisher noch keine Ursache ausmachen. Sollte dies so weiter gehen, wird uns von
den Wissenschaftlern gesagt, werden wir nicht nur die Wiederherstellung des
Schutzschildes vergessen können, dann müsste man ebenfalls damit rechnen, dass
andere Quellen unzuverlässig werden. Abgesehen von dem Offensichtlichen, dass
wir dann irgendwann ohne Strom dastehen könnten.“
Sein Kommandant massierte sich den Schädel, als müsste er seine Gedanken
ordnen. Pyrrha bemerkte, dass Michael-sama nicht unbedingt so aussah, als hätte
er die letzten Stunden geschlafen, aber bisher hatte er seine Grenzen immer
einschätzen können. Außerdem war keine stressfreie Aufgabe einen Großteil
der Armee an den Rand des Himmels zu verlagern, ohne das die Bevölkerung und
der Hohe Rat etwas bemerkte. Letzteren schätzte er zwar nicht besonders, aber
eine universell geltende Bescheinigung für „Ich darf das“ zu haben, war
immer nützlich. Das verhinderte, dass man von fremdem Behörden oder Kontrollen
belästigt wurde, welche im schlimmsten Fall einer anderen politischen Fraktion
angehörten.
Allerdings er konnte durchaus verstehen, dass Michael-sama nicht bekannt geben
wollte, die vierte Schale von außen nach innen ihre Stromversorgung verlor.
Bisher konnte darüber Stillschweigen bewahrt werden, aber es war dennoch ein
Thema mit dem man sich besser jetzt beschäftigte, ehe doch etwas durchsickerte
und eine Panik ausbrach.
„Besteht denn genügend Energie, um die Versorgung bis um die fünfte Schale
zu garantieren und den Schutzwall wenigstens bis dorthin zu errichten?“,
fragte Michael mit leichter Genervtheit in der Stimme.
Pyrrha schüttelte den Kopf und rief ein Diagramm der aktuellen Stromversorgung
auf.
„Negativ, Sir. Zumindest nicht, wozu ich Wissen oder Zugang hätte. Der große
Schutzwall, der bei dem Selbstmordangriff der Dämonen zu Bruch ging, ist so
konzipiert, dass er den ganzen Himmel umgibt und nur nach kompletter Aktivierung
verkleinert werden kann. Ob die einzelnen Schalen an sich noch zusätzliche
eigenständige Verteidigungssysteme in dieser Richtung haben, kann ich nicht
sagen. Das übersteigt meine Sicherheitsstufe.“
Nun grollte es hinter ihm bedrohlich.
„Der Hohe Rat hat die Möglichkeit bei Bedarf einen Bann um die obersten
Schalen zu legen, der von dem Schutzwall komplett unabhängig ist“, meinte
Michael verärgert. „Gott hat mit Atziluth schließlich auch nichts anderes
getan, doch so einfach funktioniert das dann zum Glück doch nicht, denn der
Bannwall für Notfälle ist so alt, dass es bestimmter Maßnahmen bedarf, um ihm
zu hochzufahren.“
Er wandte sich kurz um und die goldenen Augen blickend böse auf den
Großbildschirm vor ihnen, wo die Scheinwerfer die Warnlichter der
Klippengebiete erhellten und ihnen die Richtung vorgaben, währen die Anzeigen
langsam darauf hinwiesen, dass sie die nächste Basis erreichten.
Da Michael-sama wohl die Unterhaltung für beendet hielt und schweigend hinter
ihm stand, um nachdenklich ins Leere zu starren, wies Pyrrha seinen Piloten an,
sich auf den Landeanflug vorzubereiten. Persönlich verstand er nicht sonderlich
viel von dem Aufbau des Energieschildes, aber dessen Fehlen machte sich
bemerkbar. Sie mussten häufiger, öfter und härter kämpfen, da die Dämonen
derzeit ungehindert in den Himmel eindringen konnten. Das hielt nun schon an
seit die Schalen ineinander gekracht waren, aber derzeit gab es keine Anzeichen
dafür, dass sich das so schnell wieder ändern würde.
-
Michael warf sich jetzt in den leeren Stuhl neben Pyrrha als die Aufforderung
ertönte, dass die Landung bevorstand und man sich gut festhalten sollte. Auf
dem Schirm vor ihnen konnte man gut die Lichter des halbfertigen Stützpunktes
sehen, den man nach dem Rückzug der Dämonen in die Hölle dort aus dem Boden
gestampft hatte. Dies war das neue Hauptquartier, das schnell zur neuen Hochburg
ihres Militärs geworden war. Kein Dämon würde es ja einnehmen und bis auf
vereinzelt wahnsinnige Dämonen, war es bisher noch nicht einmal angegriffen
worden. Jene hatte man zur Demoralisierung der Dämonenbrut wieder laufen
lassen, damit Gerüchte zu Geschichten und zu Legenden heranwachsen konnten. Man
wusste schließlich nie, wann es mal nützlich sein konnte einen schlechten Ruf
zu haben.
Währen die Flaming Hell eine Schneise flog, um die Landebahn anzufliegen zeigte
ihm ein Blick nach schräg unten durch das Fenster die Andeutung der dritten
Schale, die gespenstisch still sich hinter dem Horizont des Nachthimmels
versteckte. Vor noch nicht all zu langer Zeit war dies zwar ein raues, aber
dafür mit Leben erfülltes Gebiet gewesen. Jetzt war die dritte Schale
weitestgehend zur Verteidigungszone mutiert, denn wer den Zusammenstoß
überlebt hatte, war entweder in die höheren Lagen geflohen oder war umgebracht
worden, als die Dämonen einfielen. Jetzt bestand die dritte Schale nur noch aus
verwaister Zivilisation, Wildnis und den Festungen, die er dort hatte errichten
lassen. Schließlich war die dritte Schale inzwischen alles andere als sicher,
denn nicht alle Dämonen hatten sich in die Hölle zurückgezogen, als die
Invasion ihr Ende fand.
Manche waren einfach dort geblieben und versteckten sich jetzt einzeln oder in
kleinen Gruppen in den Überresten der Städte, die man hatten räumen müssen.
Seine eigenen Männer hatte er alle in Sicherheit bringen können, als ihnen die
Hölle auf den Kopf gefallen war. Durch die fehlenden Verbindungspfeiler, deren
Aufgabe gewesen war, die Schalen auseinander zu drücken, hatte sich vieles
verschoben, wenn nicht gar alles.
Kein Wunder, dass es dann zu Stromausfällen kam.
Michael zog seine Füße auf den Sessel, sodass sich seine Stiefel in das Leder
bohrten und er seine Hände auf seinen Knien ablegen konnte. Es mochte keine
angemessene Haltung für einen Kommandanten der Armee dessen Flaggschiff gerade
zur Landung an einem Militärstützpunkt ansetzte, aber er konnte so besser
nachdenken. Außerdem war wegen seinem Befehl alle Waffen zum neuen
Hauptquartier zu bringen zu viel Betrieb, als das man bei seiner Ankunft einen
allzu großen Aufstand machen konnte. Transporter landeten im Minutentakt,
mussten entladen und wieder aufgetankt werden, damit sie ohne Verspätung
abheben und als Ablenkung für die Umsiedlung der Kampfjäger dienen konnten.
Der Umzug war keine Kleinigkeit gewesen, aber wenn sie ihn abschließen konnten,
bevor jemand etwas davon mitbekam, dann würde man sie hier auch nicht so
schnell wieder vertreiben können. Nicht einmal seine eigenen Soldaten wussten,
dass dieser Stützpunkt permanent werden sollte. Die Meisten glaubten entweder
sie würden die dritte Schale bald wieder zu ihrem Heim machen können oder aber
in die Fünfte zurückkehren. Es waren genau die zwei Lager, die aus den
Anhängern der Elitegruppen und den einfacheren Soldaten bestanden. Beide
Fraktionen waren teil seiner Armee und auf beide konnte er sich in Schlachten
absolut verlassen, aber auch hier gab es Rangabstufungen und keiner wollte über
die Aussicht nachdenken im Alltag zusammenleben zu müssen.
Dass sie keine Wahl hatten, würde er ihnen aber gewiss nicht sagen.
Sobald das Hauptquartier zu mehr als nur einem kargen Stützpunkt geworden war,
würden sich jene mit normalen Bedürfnissen aufhören zu beschweren und seine
Generäle würden ohnehin meckern, ganz gleich was er tat oder wo sie
stationiert waren.
Als die Motoren röhrten und das Fahrwerk ausgefahren wurde, kam Michael der
einzige strittige Punkt in den Sinn, der ihm noch Bauchschmerzen bereitete.
Die Politik war zu weit weg.
Zwar hatte es den Vorteil, dass sie ihn dann nicht mehr mit Kleinigkeiten
belästigen würden, aber es würde auch die Gefahr beherbergen, dass der Hohe
Rat sich wieder Dinge ausdachte, die er absolut nicht gebrauchen konnte. Zu den
meisten Sitzungen ging er ohnehin nicht, aber er hatte dennoch gerne ein Auge
auf die machtgierigen Aufstreber, die ständig auf der Suche nach Einfluss und
Druckmittel waren.
Nicht, dass es mich interessieren würde, wenn die Herren und Damen Hohe Engel
meinen, sie müssten mich mal wieder herausfordern, aber wir unsere Freiheit mit
der abgeschiedenen Lage erkaufen müssen, dachte Michael und lehnte sich in den
Sessel zurück, als der Kreuzer rumpelte und auf dem Asphaltboden der Landebahn
aufsetzte.
Um sie herum leuchteten die Lampen an den Seiten der Flugbahnen, die ihnen den
Weg vorgaben und eine Stimme aus dem Lautsprecher wies den Piloten an welchen
Lagerplatz sie zu benutzten hatten.
„Gehen wir heute noch einmal in die Luft, Kommandant?“, richtete der Pilot
die Frage an seinen Kapitän und Michael gleichzeitig.
Michael schüttelte den Kopf.
„Ich gewiss nicht“, sagte er. „Man wird mich gleich verschleppen und erst
nach einer ausreichenden Führung wieder entlassen, nur um mich dann mit
Problemen zu überhäufen, die ich gefälligst sofort zu lösen habe.“
Die Aussicht war für Michael nicht sonderlich erbauend, doch das würde er
über sich ergehen lassen müssen und solange man keine prunkvolle Staatsaffäre
daraus machte, würde er damit zurecht kommen.
Mit der Aussage zufrieden richtete der Pilot seinen Blick auf Pyrrha, denn nur
weil ihr Kommandant keine weiteren Flüge geplant hatte, hieß das nicht, dass
ihr Schiff nicht irgendwo eingeteilt worden war.
Pyrrha zog kurz die Augenbrauen zusammen und überlegte.
„Unsere Patrouille beginnt erst morgen, um Null-Neunhundert, doch auf Grund
der neuen Umgebung ist das Briefing für Null-Sechshundertdreißig anberaumt
worden. In Anbetracht der nicht nachlassenden Bedrohung der Dämonen müssen wir
den Stützpunkt und das Umland kennen.“
Der Pilot nickte und wandte sich wieder dem Pult zu. Allerdings schien ihn noch
etwas zu beschäftigen, denn er fragte verwirrt: „Über den Grundriss des
Stützpunktes Bescheid zu wissen, ist eine verständliche Voraussetzung, doch
wir befinden uns immer noch in denselben Himmlischen Gefilden wie bisher auch.
Warum sollte sich dann etwas am Umland geändert haben?“
„Die Dämonen haben Zerstörung und Verwüstung hinterlassen“, erinnerte
Pyrrha seinen Piloten. „Daher haben sich sicherlich einige Bedingungen
geändert und neue Gefahrenzonen gebildet. Außerdem werden die Regionen
zwischen den Schalen besonders gerne als Angriffspunkte benutzt. So haben sie
uns währen der Invasion überrascht, daher müssen wir dafür sorgen, dass dies
nicht noch einmal geschieht und gerade die Flaming Hell ist wie dafür
geschaffen Grenzbereiche anzufliegen.“
Michael bemerkte wie Pyrrha bei dem letzten Teil des Satzes kurz stolperte, aber
sich nicht anmerken ließ, er beinahe eine der wenigen Regeln gebrochen hatte,
welche die Besatzung überhaupt hatte. Daher hielt er dem mahnenden Blick stand,
den er von Nanadel zugeworfen bekamen, ehe der Pilot der Flaming Hell dann den
Jäger in den Hangar manövrierte. Auch das Schnauben Pyrrhas überging Michael,
als sei nichts geschehen, zwar hatte ihm die Crew wie alle anderen seiner
Soldaten Loyalität geschworen, aber er respektierte ihren Wunsch, dass sie
nicht gerne daran erinnert werden wollten, dass sie ein wenig anders waren als
der Rest.
Erst als sich die Laderampe öffnete und die gespannte Stimmung anhielt,
vermerkte sich Michael in seinem Kopf, dass seine Männer Zeit brauchen würden
sich an die Veränderung zu gewöhnen. Die Besatzung der Flaming Hell war gewiss
nicht die Einzige, denen der Umzug zu den zusätzlichen Veränderungen in der
letzten Zeit ein wenig zu plötzlich kam.
Der Stillstand der Erde war für viele ein Aufrütteln gewesen, denn danach
waren Ereignisse wie die Ankunft des Messias, Jibrils Verhandlung, Sevothtartes
Ende und die Invasion der Dämonen Schlag auf Schlag gefolgt.
Doch es ist bei Weitem noch nicht vorbei, dachte Michael, als die Flaming Hell
umrundete und auf den erhellten Nebenausgang zuhielt, wo Camael ihn bereits
erwartete. Ich brauche Antworten und kann es mir nicht leisten zurück zu
blicken.
In seinem Gesicht spürte er die Wärme der abkühlenden Motoren.
xxx
Das lasse ich zum Großteil jetzt mal so stehen, Erklärungen würden den Sinn
und Zweck dieses Kapitels zunichte machen. Aber ihr dürft weiterhin Indizien
sammeln und herum rätseln. Der den Meisten wahrscheinlich unbekannte Begriff
„Null-Einhundert“ ist ein Ausdruck des Militärs zur Zeitangabe. Kommt
daher, dass auch 9 Uhr Morgens, 0900 wird, wenn man den Doppelpunkt dazwischen
weglässt. Zwecks der besseren Verständlichkeit haben Engel dieselben
Stundenabgaben wie Menschen, wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass dort
Tage wie Jahre länger sind als bei uns. Genauso wie sicherlich der Tag- und
Nachtwechseln nicht in einem pünktlichen 12-Stunden Takt erfolgt.
Wem die „Energie direkt aus der Sonne zu gewinnen“ – Theorie zu
unwahrscheinlich erscheint, dem möge gesagt sein, dass die Menschheit bereits
daran arbeitet. Zwar nur halbwegs erfolgreich (man bekommt die gebündelte
Energie nicht wirklich auf unseren Planeten hinunter), aber man arbeitet daran.
Ich sage das deshalb, weil es noch einmal auftauchen wird.
mangacrack
Grenzen des Himmels - Die Soldaten der Armee
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Kommentar: Man sollte nicht meinen, dass ich auch arbeiten kann, wenn ich noch
keinen eindeutigen Titel für das Kapitel habe. Fakt ist aber, es schreibt mit
sich besser, wenn ich ihn schon kenne. Selbst wenn er sich noch drei Mal
ändert, ich ziehe es vor die Überschrift sehen zu können, die den Inhalt
andeutet. Ansonsten sitze ich nervös vor dem Laptop und warte auf eine
Eingebung. Bei mir war es Freitagnachmittag der Fall und selten habe ich ein
Kapitel so schnell fertig gestellt. Als letztes sollte ich noch vor der
monströsen Länge dieses Kapitels warnen, denn ich habe mir das Ziel gesetzt
nicht über die '40 Kapitel' Marke zu kommen und das werde ich einhalten, koste
es was es wolle. Sei es drum, dass die Kapitel dann noch länger werden.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 24 – Die Soldaten der Armee::
Michael stopfte seine kalten Hände tief in die Taschen seines Ledermantels als
er den künstlich erleuchteten Gang hinunter stapfte, Camael dicht hinter ihm.
Die letzten drei Stunden hatte er damit zugebracht zwischen Maschinen,
Flugkreuzern und Lagerhallen hin und her zu laufen, um sich ein Bild von dem
Stützpunkt zu machen. Zwar kannte er die Pläne, er hatte geholfen sie zu
entwerfen, aber es machte einen großen Unterschied das Konzept bloß als
flackerndes Hologramm zu kennen oder sich wirklich zwischen den Gebäuden bewegt
zu haben. Denn selbst noch so eine hochwertige dreidimensionale Animation konnte
essentielle Dinge wie das schlechte Wetter, den peitschenden Wind oder bissige
Kälte nicht simulieren. Die perfide Planung eines perfekten Stützpunktes
enthielt nicht die kühleren Temperaturverhältnisse oder die kargen, grauen
Wände der Lagerhallen, die lediglich von schwachen Scheinwerfern angestrahlt
wurden, hinter deren Lichtkegeln man die Umrisse von Soldaten ausmachen konnte,
die mit Argusaugen die Vorgänge bewachten und darauf achteten, dass sich kein
Dämon zwischen ihre Reihen schlich.
Es beruhigte Michael ungemein, dass die Leute ihre Gewohnheiten nicht aufgaben,
obwohl sie in eine andere und angeblich sicherere Umgebung geworfen worden
waren. Sie trauten dem Frieden nicht und an jedem Soldaten, an dem er vorbei
gelaufen war, hatte eine Schusswaffe im Hohlster gesteckt, bereit mit einem
Angriff gezogen und abgefeuert zu werden.
Sie sind vielleicht nicht ganz so zerschlagen, wie Pyrrha es angenommen hat,
dachte Michael. Vom Krieg ermüdete Männer sehen anders aus.
Den Meisten hatte er den Unmut über das arge Wetter angesehen, die vergangenen
Stützpunkte waren immer in warmen Gebieten gewesen. Aber die extremen
Bedingungen, die hier am Rande der Schale herrschten, schreckten sie nicht ab.
Eher im Gegenteil, es machte sie kampflustig, erhärtete ihrem Mut und erhöhte
ihre Ausdauer. Es war die neue Umgebung, die sie wachsam bleiben ließ und
vielleicht hinterließen die Dämonenangriffe daher einen nachhaltigeren
Eindruck, als man sie von vor dem Krieg in Erinnerung hatte. Aber es hatte seit
dem Stillstand der Erde keine Berichte mehr über Dämonenschwärme gegeben, die
tobend, brüllend, rasend über die Inlandsgebiete der Engel hinweggefegt waren,
daher weigerte er sich vorzeitig den Alarmzustand auszurufen.
Der Kontrollgang hatte den Klumpen aus Beunruhigung in seinem Magen nur noch
weiter verschwinden lassen, der ihn kurzzeitig beschäftigt hatte. Seine
Eindrücke von dem Stützpunkt entsprachen so ziemlich dem, was er sich erhofft
hatte vorzufinden und Michael erinnerte sich, dass es sogar noch mit seinen
Vorstellungen übereinstimmte, als er vor Ewigkeiten den Plan auf dem Papier
entworfen hatte.
Selbst das kalte Wetter hatte ich mit einberechnet, erinnerte sich Michael.
Damals hatte er vor einer offenen Feuerstelle gesessen und mit einem Grafitstift
den Grundriss in die weiche, getrocknete Haut seines Abendessens geritzt. Mit
Absicht hatte er da an einen kalten, ungemütlichen Ort gedacht. Einen, den man
mit Herz verteidigen musste, damit er warm und heimlich wurde. Stark und
unbeweglich, anders als die offenen Zeltlager eine Schale unter ihnen.
Rückblickend fragte sich Michael in welcher Stimmung er gewesen sein musste,
als er sich diese unwirtschaftliche Gegend als Zufluchtsort ausgesucht hatte.
Denn hinter den sorgsam verputzten Wänden konnte er den kalten harten Stein
fühlen, nur berührt von dem Regen von draußen und dem Wasser, das aus dem
Berg kam.
Frisches Wasser direkt aus der Quelle und ein geeigneter Ort für die Errichtung
von mehr als nur einer Schmiede, zählte Michael die Vorteile auf, die ihn
letztendlich überzeugt hatten. Denn Trinkwasser war in den unteren Schalen
selten gewesen, besonders wenn man wie er auf sauberes Wasser bestand. Rein,
klar und vor allem nicht durch die offiziellen Verteilungsanlagen der Regierung
geflossen.
„Kaum zu glauben, dass Dämonen für etwas Nutze sein können“, murmelte
Michael vor sich hin.
„Boss?“, fragte Camael und Michael war für einen Moment über dessen
Anwesenheit überrascht.
Er hatte sich durch die letzten Ereignisse so sehr an den Luxus der Alleingänge
gewöhnt, dass er Camaels Aufgabe und den Grund für sein Dasein ganz vergessen
hatte.
„Ich habe nur darüber nachgedacht, dass ich bei Gelegenheit mal bei den
Satanen bedanken muss“, meinte Michael zu Camael, sah ihn allerdings nicht an,
als er mit ihm redete. „Die Verbindungspfeiler zu kappen hat uns zwar jede
Menge Ärger gemacht, aber allein dafür, dass es den Großteil der Wasserwerke
dahin gerafft hat, die unter der Kontrolle des Hohen Rates standen, müsste ich
ihnen einen Geschenkkorb zukommen lassen.“
Michael konnte hören, wie sich Camaels Stirn missbilligend zusammenzog.
„Der Einfall der Dämonen war verheerend, das Zusammenkrachen der Platten
beinahe fatal“, sprach Camael in einem Michael sehr bekannten Tonfall,
„Viele Angehörige der Bevölkerung sind dabei gestorben, es ist nicht
angebracht Schadenfreude über den Verlust von Ressourcen zu empfinden.“
Der Feuerengel schnaubte und unterdrückte das uralte und ihm wohlbekannte
Bedürfnis Camael in das Reich des ewigen Friedens zu schicken. Der andere Engel
war nämlich alles, nur nicht sein Bodyguard. Er war ein Aufpasser, der einst
von ihm feindlich gesinnten Generälen gestellt worden war und an den er sich
nach und nach gewöhnt hatte. Außerdem war es ihm lieber, wenn er die Spione in
seinen Reihen kannte, nur hatten sich Camaels Empfänger der Berichte über den
Zwillingsbruder des Heerführers, der sie einst alle verraten alle, im Laufe der
Jahrhunderte geändert. Nur die Rolle war dieselbe geblieben und bis auf wenige
Instanzen konnte es ihm nicht gleichgültiger sein, wer ihn wie im Auge behalten
wollte.
Nur in Momenten wie diesen hasste er Camael aus ganzem Herzen.
Denn Camael war ein Soldat, der für das Wohl des Volkes kämpfte und einfach
nicht in seinen Schädel bekam, dass es politische Fraktionen gab, die anders
darüber dachten. Michael kannte mindestens drei Generäle, die ihren Nutzen aus
dem verseuchten Wasser der unteren Schalen gezogen hatten und trotzdem noch als
respektierte Kriegshelden galten, weil sie lange genug erfolgreich Dämonen
bekämpft hatten. Michael wollte wirklich nicht wissen, was diese Generäle
getan hatten, um ihre Erfolgsquote so hoch zu halten.
Camael wird niemals verstehen, dass diejenigen, die bei der Kollision ums Leben
gekommen sind, so einen weitaus gnädigeren Tod erhalten haben, als Sevothtarte
ihnen mit de Exklusivrechten über das saubere Wasser zugestanden hätte, dachte
Michael bitter. Denn das was die unteren Schichten trinken, ist nicht mehr als
bessere Chemie.
Selbst die Dämonen in der Hölle hatten saubereres Trinkwasser und deren
Flüsse füllten sich in regelmäßigen Abständen mit Blut. Doch wie sollte er
Camael das begreiflich machen, wenn er es nach all der Zeit nicht selbst
erkannte hatte? Ihm waren die schweren Schritte hinter ihm vertraut und im Kampf
hatte er sich immer auf Camael verlassen können, genauso wie darauf, dass er
seinen Befehlen gehorchen würde. Camael hatte keinen zweiten Herrn und wem er
im Austausch für neue Transplantationen ein wenig von des Feuerengels
Abenteuern berichtete, war das nicht seine Angelegenheit. Er war nicht für
dessen Entscheidungen verantwortlich, besonders nicht wenn sie mit Camaels
verdrehtem Sinn für Pflicht und Ehre zu tun hatten.
Ausgebildet zu einer Zeit als Loyalität bei jedem Atemzug hinterfragt wurde und
geboren mit dem Unglück all diese Kriege überlebt zu haben, rief sich Michael
in Erinnerung. Wenn Camael nicht so fähig und bedingungslos ergeben gewesen
wäre, so wäre der Fakt allein, dass er bereits unter Luzifer in der Armee
gedient hatte, ein Grund gewesen ihn zu töten. Er gehörte zu denen, die das
Glück hatten damals einem der Kommandanten anzugehören, welche die Rebellion
bis auf das Tiefste verurteilt haben. Und nicht, weil mein Bruder zum Ungehorsam
und zur Sünde aufrief, sondern weil sie die Auswirkungen verurteilten, die
vornehmlich jene betraf, die nicht kämpfen wollten.
Unschuldige Dritte, gefangen in einem Krieg zwischen Gott und seinem
rebellischen Sohn. Eine Beschreibung, die ihm Laufe der Zeit auch auf ihn
zutraf. Oder besser gesagt: eine Beschreibung, die schon immer auf ihn
zugetroffen hatte, denn es gab keine Gnade für jene, die seinen Flammen zu Nahe
kamen. Ein Punkt, der Camael ebenfalls missfiel, allerdings nie etwas dagegen
unternommen hatte.
Bis er Uriel von seinem auffälligen Verhalten unterrichtet hatte, das hatte er
nicht vergessen. Genauso wenig, wie es Raphael in sein Zuhause und zu der
Erkenntnis geführt hatte, dass das Universum mit seinen Veränderungen vor
niemandem halt machte, nicht einmal vor ihm.
Ich könnte Camael die Schuld dafür geben, dass ich gegen Raphael habe
Maßnahmen ergreifen müssen, dachte Michael als er am Ende des Ganges
angekommen war und die Tür zur Kommandozentrale aufstieß. Aber es wäre nur
eine Ausrede und ich schulde es Raphael zumindest, dass ich diese Entscheidung
allein und nicht unter Einfluss getroffen habe. Auch wenn er dies wahrscheinlich
vorziehen würde, um sein Gewissen zu beruhigen.
Trotzdem würde es für Camael für oder später Konsequenzen haben, denn schon
jetzt vertraute er ihm nicht mehr so wie früher. Er konnte dem alten Soldaten
kein Fehlverhalten nachweisen, aber das hieß nicht, dass Camael noch fit genug
für den Dienst in der Armee war. Er wäre nicht der Einzige, für den die
Enthüllung über Sevothtarte, Rosiel und Gott zu viel gewesen wäre.
Michael zog an der schweren gegen Feuer geschützten Tür und betrat den
halbdunklen Raum, der mehr von leuchtenden Monitoren als von Glühbirnen erhellt
wurde, wofür er mehr als nur dankbar war. Glühbirnen waren billig, künstlich
und leblos. Sie hatten nichts von dem Gefühl, dass ein offenes Feuer, Kerzen
oder Fackeln verursachten, aber in Anbetracht der vielen empfindlichen Geräte
hatte er leider nicht viel Wahl. Dämonen gaben nicht viel auf Technologie,
selbst die Satane bevorzugten alte Zaubersprüche und Rituale, je älter und
verbotener desto besser. Ob dies nun an ihrer Vorliebe für das Blut der Opfer
war oder sie schon aus Prinzip sich gegen alles auflehnten, was mit dem Himmel
assoziiert werden konnte, war nicht zu bestimmen. Aber es verschaffte seiner
Armee den Vorteil, dass sie ungehindert auf die Satelliten zugreifen konnten,
welche die Schalen des Himmels umkreisten.
Es mochten nach der Kollision der Schalen nicht mehr viele übrig sein und
Kontakt zu dem größten Krisengebiet hatten sie auch nicht, aber durch
Sevothtartes Tod hatte dessen politische Fraktion viel an Einfluss verloren und
damit nicht mehr genug gegen ihn in der Hand, um ihn daran zu hindern sich in
die noch verwendbaren Raumsonden zu hacken. Aber das Beste war immer noch das
die Dämonen wohl einfach nicht wussten, was für einen strategischen Vorteil es
ihnen bieten könnte, sollten sie zerstören werden.
Nun ich werde mich bestimmt nicht beschweren und es ihnen damit direkt ins
Gesicht sagen, dachte Michael und gähnte ausgiebig.
Die Luft in diesem Raum war bei weitem nicht die Gesündeste, da der Raum weit
unter der Erde lag und daher die nötigen Fenster fehlten. Selbst die
Luftschächte waren gerade mal so groß, dass man nicht ersticken würde,
verbrachte man längere Zeit hier drin. Nicht einmal er würde auf die suizidale
Idee kommen zu versuchen hier seine Feuerkräfte zu benutzten.
In einem Anflug von Paranoia vermutete er, dass ein paar höherrangige Offiziere
darauf bestanden hatten, einen Ort zu erschaffen, an dem er sie nicht verletzten
konnte.
Als ob ich dafür das Feuer bräuchte. Das Messer in meinem Stiefel täte es
auch, dachte Michael verächtlich, als er seinen Blick durch den Raum schweifen
ließ. Sein Schwert für die leidliche Aufgabe zu benutzen sich inkompetenter
Untergebener zu entledigen wäre wahrlich übertrieben gewesen. Sevothtartes
Spitzel, lästige Bürokraten und lernunwillige Fanatiker wurden schlichtweg
erschossen. Oder gingen unterwegs verloren, das passierte leicht wenn man
Männer zu ihm schickte, die entweder nicht kämpfen konnten oder sich weigerten
Befehle zu befolgen. Lediglich die unverbesserlichen Idealisten ließ er am
Leben, denn deren einziger Charakterfehler war Ignoranz und die war – dankt
den Mächten – absolut heilbar, obwohl man häufig ein bisschen Gewalt
anwenden musste.
Selbst wenn nicht wären sie mir lieber als die Engel, die nur von Reinheit und
Schönheit der Himmlischen Rasse besessen sind, dachte Michael. Eher lasse ich
blutrünstige Monster in meinen Reihen kämpfen, vor denen sich selbst die
Dämonen fürchten, als das ich diesen verrotteten Seelen eine Waffe in die Hand
drücke.
Dieses Mal schien er Glück gehabt zu haben, unter den anwesenden Offizieren
befand sich niemand, dem er dies hätte vorwerfen können, denn hin und wieder
verirrte sich doch eine dieser kranken Seelen von der Hauptstadt in den
Kommandostand der Armee. Besonders jetzt, wo noch viel zum Wiederaufbau getan
werden musste und der Rat ihm de facto auch diese Aufgabe übertragen hatte.
Zumindest solange es Soldaten, Gütertransport oder Rettungsarbeiten ging und
ihm die Truppen wieder entzogen werden konnten. Ansonsten gab man sich damit
zufrieden, dass er sich von der einfachen Bevölkerung fernhielt.
„Michael-sama“, grüßten ihn die Kommandanten und salutierten, als sie ihn
entdeckten.
Michael sah in die Runde.
„Gleich fünf von euch?“, fragte er verwundert und misstrauisch zugleich.
„Ist ein Staatsstreich geplant oder warum seid ihr nicht draußen und
beaufsichtigt die Ladevorgänge?“
Offizier Temul, der Beauftragte für die innere Sicherheit dieser Anlage,
hustete und tippte zur Antwort auf eine Taste des großen Tisches, um den die
Kommandanten alle herumstanden. Ein Summen ertönte und vor Michael erhob sich
ein Hologramm das von dem Bildschirm projiziert wurde, der in den Tisch
eingelassen war und eine Reihe von verschlüsselten Nachrichten erschien.
„Wir haben Nachricht aus Raquia erhalten, Boss“, antwortete Offizier Temul.
„Es wurden Daten gestohlen.“
„Was für welche? Und von wo?“, zischte Michael. „Hat sich jemand in die
Server gehackt?“
Es ging leider nie ganz ohne Dokumentation von Plänen, Daten oder
militärischen Operationen, auch wenn Michael gerne darauf verzichtet hätte.
Aber nur wenige wussten, wo man seine virtuelle Schatzkammer zu suchen hatte und
nur er kannte komplette Liste der Namen, die darauf Zugang hatten.
Kurz schweiften seine Gedanken zu Thorongiel.
Wehe, dem ist etwas passiert, dachte Michael mit einem unguten Gefühl im Magen.
Sobald ich eine freie Minute habe, muss ich ihn kontaktieren und überprüfen,
ob mit ihm alles in Ordnung ist. Und ihn notfalls darum bitten sich auf die Jagd
nach dem Eindringling und den nötigen Daten zu machen.
Die Kommandeure schluckten und mieden seinen Blick.
„Niemand hat Zugriff auf die Datenbanken erhalten“, erklärte Offizier
Temul. „Die Informationen wurden direkt aus dem Archiv gestohlen und keiner
kann sagen, was in der Akte enthalten war, die verschwunden ist.“
„Direkt in das Archiv...“, wiederholte Michael. „Aber wer wäre denn so
waghalsig...?“
Gedankenverloren trommelte Michael mit seinen Fingern auf dem Tisch herum.
„Du!“, bellte er im nächsten Moment einen der Engel an, die am anderen Ende
des Raumes die Raumsonden durch riesige Schaltpulte überwachten. „Überprüfe
mir sofort, ob es irgendeinen Zugriff auf unsere Daten gegeben, der nicht
autorisiert war.“
„Ja, Sir!“, antwortete der Engel und begann hektisch auf die Tasten seines
Computers zu tippen.
„Melde mir auch jeglichen Zugriff, der auf die Server erfolgt ist und die
Sicherheitsstufe der zweiten Triade übersteigt!“
„Jawohl, Sir!“
Ein unangenehmes Schweigen trat ein, als jeder darauf wartete, was die Antwort
sein würde. Die Offiziere scharten mit den Füßen, die restlichen Engel an den
Konsolen taten geschäftig und aus den Augenwinkeln sah Michael, wie Camael eine
aufrechtere Haltung annahm. Jeder rechnete wohl mit einem unangenehmen
Zwischenfall, sollte es eine Lücke in der Sicherheit gegeben haben. Wüssten
sie um die Daten, die selbst Michael feuchte Finger bekommen ließ, würden sie
ihm sogar zustimmen, dass ein Ausbruch seines Temperamentes angebracht wäre.
Doch abgesehen davon, dass seine Männer bald schon wieder früh genug sterben
würden, ohne das er dabei nachhalf, konnte er sich dadurch beruhigen, dass es
betreffend Pangaea nie einen offiziellen Befehl gegeben hatte. Es gab lediglich
die gesammelten Daten von Thorongiel Recherche und selbst dort musste man schon
wissen, wonach man suchte, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Schließlich meldete sich der Engel wieder zu Wort, den Michael mit der
Überprüfung beauftragt hatte.
„Michael-sama, ich melde keine unautorisierten Zugriffe auf unsere Daten,
keine Angriffe auf die Sicherheitsserver und Datenübertragungen über der Stufe
der zweiten Triade hat es in den letzten 24 Stunden auch nicht gegeben.“
„Gut“, meinte Michael grimmig, aber beruhigt. „Weitermachen.“
Er wandte sich wieder den Offizieren zu, welche immer noch stramm um den Tisch
herum standen und in den letzten Minuten keinen Muskel gerührt hatten.
„Also“, kündigte Michael an, „da unsere Sicherheit nicht direkt
beeinträchtigt wurde, können wir davon ausgehen, dass nichts Wichtiges an
Unbefugte gelangt ist. Dennoch würde ich gerne wissen, ob es mehr Informationen
zu der Akte gibt, die aus dem Archiv verschwunden ist, denn nur ein Hochrangiger
Engel wäre dazu fähig, ungesehen in ein Gebäude einzubrechen, das strenger
bewacht wird als der Garten Eden!“
„Viel konnten wir nicht darüber in Erfahrung bringen“, sprach Temul. „Die
Akte wurde komplett entfernt, die Virtuelle so wie die Ausdrucke, die davon
vorhanden waren. Da sie verschlüsselt und versiegelt war, lässt sich auch
nicht sagen, was sie enthielt.“
„Wie ist man das Fehlen bemerkt?“
„Weil selbst der Eintrag im Inhaltsverzeichnis und jeglicher Suchmaschinen
verschwunden ist. Wo einst die Akte war, ist jetzt nur eine breite
Datenlücke.“
„Und keiner weiß, was die Akte enthielt? Nicht einmal, aus welchem Bereich
die Akte entfernt wurde?“
Das wäre nichts ungewöhnliches, denn in den Archiven wurden Informationen
nicht unbedingt übersichtlich sortiert.
„Alles, was man herausbekommen konnte, war das die Akte den Namen einer Rune
trug“, sprach ein anderer Offizier. „Die Rekonstruktion hat folgendes
ergeben...“
Vor Michael schimmerte das Hologramm und eine alte Rune in Enochian erschien.
Sie war ein wenig undeutlich und die Archivare hatten deutlich keine Ahnung von
dem Wort gehabt, dass sie hatten wiederherstellen wollen. Er studierte die Rune
eine Weile und nickte dann.
„Macht das weg“, sprach er und ließ die Rune mit einem Knopfdruck
verschwinden. „Das geht uns nichts an.“
„Aber Boss“, erwiderte Offizier Temul. „Wir müssen herausbekommen was in
dieser Akte stand und wer sie entwendet hat. Selbst wenn keine Informationen
entwendet wurden, die uns schaden könnten, so gibt es keine Garantie für das
nächste Mal. Die Lage in der Bevölkerung beruhigt sich gerade erst wieder,
wenn nun Dinge das Tageslicht erreichen, die den neuen Rat ins Wanken bringen,
verlieren wir das Vertrauen womöglich komplett.“
Michael unterdrückte den Drang mit den Augen zu rollen. Offenbar war Camael
nicht der Einzige, der sich zu sehr an das Schweigen der Bevölkerung gewöhnt
hatte. Rebellionen und Widerstandskämpfer waren solange willkommen, wie sie
sich gegen Sevothtarte oder Rosiel gerichtet hatten, aber der Gedanke, das man
sich auch gegen die Armee selbst richten könnte, behagte wohl vielen nicht, die
nun ihren Posten gefährdet sahen.
Fehlendes Vertrauen in das Militär, erkannte Michael und notierte sich das
gedanklich. Zwar bezweifelte er, dass es in der Bevölkerung je soweit kommen
würde, aber es wäre eine gute Lektion für kurzsichtige Offiziere. Sollten sie
ruhig eine Weile glauben, dass einer kleinen Rebellengruppe es gelungen war,
brisante Daten aus dem Archiv zu entwenden. Er musste ihnen ja nicht sagen, dass
er die Rune trotz der schlechten Rekonstruktion erkannt hatte.
Ruga...
Michael grinste, aber so leicht, dass es keiner der Offiziere sah.
Die Rune stammte aus dem Alphabet des Wassers und war zugleich der Name eines
hochrangigen Engels, der einst einer von Jibrils Verbündeten gewesen war und
sein Leben gelassen hatte, als Sevothtarte begann seine Macht im Hohen Rat mit
Gewalt zu festigen.
Witzig, dass ich gerade erst vorhin mit Camael über die Wasserwerke gesprochen
habe, dachte Michael. Würde ich an göttliche Vorhersehung glauben, könnte man
das als Zeichen von Oben betrachten.
Aber Jahwe war tot und Seraphita hatte sicherlich andere Dinge im Sinn, aber an
einen einfachen Zufall, glaubte Michael schon lange nicht mehr. Außerdem kam es
noch andere Kräfte in diesem Universum, doch hier würde es auf seine
Verwandtschaft mit dem anderen Element schieben.
Schließlich war es Lord Ruga, der auf Jibrils bitten hin die Wasserwerke gebaut
hat, erinnerte sich Michael. Nur sind die nach dessen Tod und Jibrils Niederlage
gegen Sevothtarte in die Hände des Hohen Rates gefallen.
Das Jibril jetzt diese Akte wieder ausgrub, würde er als den ersten Schlag
einer Frau auf dem Pfad der Vergeltung betrachten. Und als stille Ankündigung,
dass Jibril sich aus seinen Angelegenheiten raus halten würde, wenn sie dafür
freie Hand in der Neugestaltung des Rates bekam. Anders wusste er Jibrils
Botschaft nicht zu deuten. Würde er auch nicht und wenn sie damit Probleme
damit hatte, sollte sie vorbei kommen und sich beschweren.
„So Themenwechsel!“, sagte Michael und schlug mit seiner flachen Hand auf
den Tisch. „Wir haben wichtigere Dinge zu erledigen.“
„Ja, Boss“, murmelten seine Offiziere und sprachen ihn nicht offen darauf
an, dass er Temuls Rede komplett ignoriert hatte.
Michael bemerkte bloß, dass dies schon das zweite Mal an diesem Tag war und ob
er sich darüber Gedanken machen sollte, dass die Männer seine näheren
Umgebung offenbar alle Idioten waren.
-
Die Berichte durchzugehen und die Kommandanten der einzelnen Abteilungen alle
auf einen Stand zu bringen, war eine langwierige und elendige Aufgabe. Michael
hasste sie grundsätzlich und weigerte sich in den nächsten Stunden einen Stuhl
auch nur anzusehen, weil ihn sonst viel zu schnell die Ungeduld wieder gepackt
hätte. Außerdem ließen sich solche Sitzungen leichter durchstehen, wenn er
das Gefühl hatte, dass er nicht so ein Weichei war die Offiziere, die sich
irgendwann dankbar hingesetzt oder sich über einen Videokanal dazu geschaltet
hatten.
Aber selbst solche Besprechungen neigten sich irgendwann einem Ende entgegen und
Michael war froh, als immer mehr Themen abgearbeitet worden waren und die fünf
Offiziere, die sich mit ihm Raum befunden hatten, um ihre Entlassung baten. Er
nickte und deutete ihnen sich zurück zu ziehen. Die meisten Aufgaben waren
verteilt, die Unklarheiten beseitigt und die offenen Fragen beantwortet.
Jetzt blieb ihm nur noch eines zu tun.
Michael wartete bis auch der letzte Offizier verschwunden war, dann trat er aus
der unterirdischen Kommandozentrale heraus und schlug einen anderen Weg ein als
den, den er gekommen war.
„Michael-sama?“, erkundigte sich Camael und Michael stöhnte leicht.
Den hatte er ja komplett vergessen und er hasste den besorgten ‚Sie sollten
sich ein wenig Ruhe gönnen’ Tonfall.
„Überwache die restlichen Ladevorgänge, wenn du etwas zu tun haben
willst“, meinte Michael abwesend. „Ich habe nur noch ein paar Kleinigkeiten
zu erledigen. Wir sehen uns, nachdem ich mindestens fünf Stunden geschlafen
habe.“
„Zu Befehl, Boss“, antwortete Camael und bog an einer Kreuzungen ab, die
nach draußen führten.
Er sah ihm hinterher, um sicher zu stellen, dass Camael ihm nicht folgen würde.
Es war ein bitteres Gefühl, dass er Camael nicht mehr vertrauen konnte, aber es
war leider nur allzu deutlich, dass durch den Messias auch hier die Streu vom
Weizen getrennt worden war. Der Unterschied zwischen denen, die bereit waren
sich den Veränderungen anzupassen und jenen, die sich mit aller Macht dagegen
widersetzten, wurde immer größer.
Die Armee, wie sich jetzt ist, ist viel zu groß, erkannte Michael und öffnete
die Tür zum nächsten Treppenhaus. Mir Sevothtartes Weiße Garde zu
unterstellen, war ein Fehler und sei es nur für die Aufräumarbeiten. Wenn sie
nicht bald von alleine gehen, werde ich gnadenlos Abteilungen von meiner
Soldliste nehmen müssen.
Eher riskierte er es, dass sich die arbeitslosen Soldaten einem fragwürdigen
privaten Sicherheitsdienst unterstellten, als das er die Himmlische Armee zu
groß werden ließ. Während er die Stufen in den obersten Stock hinauf stieg,
erinnerte sich Michael daran, dass dies schon einmal der Fall gewesen war.
Nämlich zu Zeiten von Luzifels Fall.
Michael unterdrückte den kalten Schauer, der ihn erfassen wollte und nahm zur
Antwort gleich zwei Stufen auf einmal.
Ab einer gewissen Größe ließ sich eine derartige Institution einfach nicht
mehr kontrollieren und verlor schließlich ihre Effizienz. Sevothtarte hatte
schließlich auch nicht solange regiert, weil er versuchte hatte den gesamten
Himmel zu kontrollieren. Er hatte sich stets auf einige wichtige Knotenpunkte
konzentriert hatte.
Diesmal nicht, beschloss Michael störrisch und trat aus dem Treppenhaus heraus,
nicht mit mir.
Zufrieden bemerkte er, dass er auch wirklich da angekommen war, wo er hingewollt
hatte. Es gab nichts Schlimmeres als sich auf seinem eigenen Stützpunkt zu
verlaufen. Das die Meisten alle gleich aussahen, half auch nicht. Im Gegenteil,
man konnte nie sicher sein hinter welcher Tür ein verräterischer Engel oder
fragwürdiges Labor lauerte. Auch hier würde es nicht lange dauern bis in einem
Bereich ein großes Schild mit der Aufschrift ZUTRITT VERBOTEN hängen würde.
Allerdings nicht in diesem Stockwerk, hier brauchte es keine Ermahnungen, um den
einfachen Soldaten zu suggerieren, dass dies hier die gehobene Klasse war. Die
großen weiten Fenster, die einen guten Überblick auf den Hof unter ihm
erlaubten, gehörten zu dem typischen Standard, den sich die höheren Offiziere
für ihre Unterkünfte leisteten. Nicht mehr lange und in den Gängen würden
große Gemälde von über idealisierten Engel hängen, welche die makellose
Schönheit als oberstes Gebot anpriesen.
Michael fühlte kurz nach seinem Tattoo, um in einem Anflug von Furcht zu
überprüfen, ob der Drache nach da war, wo er hingehörte. All der Prunk, der
in Raquia alltäglich war und sich auch hier wieder ausbreiten würde, erinnerte
ihn stets daran, was vielleicht aus ihm geworden wäre, hätte sein Körper
nicht mittendrin aufgehört zu wachsen. Neben dem Offensichtlichen, dass er wie
sein Bruder ausgesehen hätte. Doch selbst Luzifer entsprach nicht dem Standard,
wie die Engel ihn gerne hatten. Zu groß, zu blass und noch eine Reihe von
anderen Dingen, die ihn zu Luzifer machten.
Das Einheitsideal der Engel. Immer auf der Suche nach dem perfekten Gen.
Tss...daran wird auch der Tod Gottes nichts ändern.
Ein Summen erklang in seinen Ohren und Michael sah, wie vor seinen Augen sich
eine der Türen öffnete und ihn offensichtlich darum bat, einzutreten. Kurz
blickte in die Zimmerdecke des Gangs und entdeckte die subtil versteckten
Überwachungskameras. Es sagte ihm eigentlich schon alles was er über den Engel
wissen musste, den er jetzt aufsuchte. Der war sicherlich noch keine ganze 72
Stunden hier und schon funktionierte die Überwachung tadellos.
Gut zu wissen, dachte Michael und hielt auf die Tür zu.
Er vergrub seine Hände in den Taschen seines Mantels und setzte ein bewusst
gleichgültiges Gesicht auf. Kaum war er hindurch getreten, schloss sich die
Tür schon wieder automatisch. Michael war aber zufrieden damit zu entdecken,
dass er nicht in irgendein Wohnraum oder ein Büro mit einem gigantischen
Holzschreibtisch geführt worden war, sondern tatsächlich in die überirdische
Kommandozentrale des Stützpunktes, die den besten Ausblick auf den Innenhof und
den Flugplatz bot. Jetzt, so spät in der Nacht und während alle, die nicht die
ausdrückliche Erlaubnis hatten fernzubleiben, halfen die Transporter zu
entladen, war die Brücke dunkel und leer. Leer bis auf den hoch gewachsenen
Engel, der gegen ein Schaltpult gelehnt hatte und mit vor der Brust gekreuzten
Armen in den Nachthimmel hinaus blickte.
„Michael-sama“, sagte er und wandte den Kopf, um ihm zuzunicken. „Es ist
lange her seit wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen.“
Mit wenigen Schritten hatte Michael den Raum durchquert und streckte sein Hand
aus.
„General Neesonel!“, grüßte Michael, als der andere Engel die Hand ergriff
und sie in typischer Kriegernatur allerdings am Handgelenk umfasste. „Ich
entsinne mich, es muss im Zweiten Großen Krieg gewesen sein. Sie haben mir
damals geholfen die einfallenden Dämonenscharen in Schach zu halten.“
„Das war das Mindeste, was ich tun konnte, nachdem Sie damit beschäftigt
waren einen wüteten Kriegsengel aus der Luft zu holen.“
Michael nickte tatkräftig. Aus den meisten Köpfen war verschwunden, wie viel
Schaden Alexiel einst angerichtet hatte, aber nicht alle hatten vergessen, was
es sie letztendlich gekostet hatte, um den Zweiten Großen Krieg endlich zu
beenden. Neesonel war einer von ihnen und Michael hatte die Empfehlung zu seiner
Beförderung mit Freuden unterschrieben. Sie mochten nicht in denselben
Fraktionen beschäftigt sein, weil Neesonel eine Luftflotte kommandierte und in
einem ganz anderen Sektor stationiert war, aber immerhin konnte man sich auf ihn
verlassen.
„Dann wird es Sie vielleicht nicht allzu sehr ärgern, dass ich Sie um einen
weiteren Gefallen bitten muss“, meinte Michael ehrlich und ließ sich auf
einem der freien Stühle nieder, um sich zumindest für ein paar Minuten Ruhe zu
gönnen.
General Neesonel sah ihn eindringlich an.
„Beim letzten Mal haben Sie mich zu einem absolut wahnsinnigen Manöver
überredet, dem ich nur zugestimmt habe, weil ich nichts zu verlieren hatte. Wie
sich herausstellte, was es ein entscheidender Zug, um den Krieg zu beenden und
der Durchbruch in meiner Karriere. Es wäre dumm von mir ihr Angebot
auszuschlagen ohne es gehört zu haben“, erklärte Neesonel und wartete
darauf, dass Michael das Wort ergriff.
Er wusste nur, dass es wichtig sein musste, wenn er extra vorher von dem
Feuerengel selbst kontaktiert und gebeten wurde an einer Besprechung per
Videokonferenz teilnehmen, die auf seinem eignen neuen Stützpunkt stattfand.
Aber bei dem verbissenen Gesichtsausdruck konnte er sich gut vorstellen warum.
„Ich habe diesen Stützpunkt extra als neue Basis errichten lassen“,
erklärte der Engel mit den goldenen Augen schließlich, die selbst im Dunkeln
unheimlich klar und deutlich zu sehen waren. „Nicht nur, weil die
Himmelspolitik früher oder später wieso den Kurs wieder übernehmen wollen
wird, sondern auch weil ich jemanden Zuverlässigen an einer strategisch
günstigen Stelle brauche, der ganz Yetzirah neu vermessen wird.“
Neesonel musste zugeben, dass er mit vielen, aber nicht damit gerechnet hatte.
„Ganz Yetzirah?“, wiederholte er. „Alle der drei unteren Schalen des
Himmels?“
Das wäre eine gigantische Aufgabe, die Zeit und Geduld erforderte. Ebenso wie
Ressourcen. Neue Geräte, Operationen für nur die besten Männer und eine ganze
Flotte von Flugkreuzern, wenn man das bewerkstelligen wollte.
Denn die drei unteren Schalen waren nicht mehr vermessen worden, seit Luzifel
selbst es erste Amtshandlung als Heerführer es angeordnet hatte. Schließlich
war der Himmel riesig und die drei Kriege hatten einiges an der Landschaft
verändert. Außerdem hatte es seine Gründe, dass der Hohe Rat die offiziellen
Karten so simpel wie möglich hielt, weil er nicht wollte, dass kluge Köpfe auf
abgesperrte und geheime Gebiete stießen oder ahnungslose Zivilisten in Regionen
gerieten, die von dunkler Magie oder alten Schlachtfeldern übersät waren.
Er diente in der Armee schon fast ein ganzes Jahrtausend und hatte noch nie eine
vollständige Karte des Himmels gesehen.
Was man ihn gerade angeboten wurde, war eine einmalige Chance.
Auf Ruhm, Macht, Ehre und einen Platz in der Geschichte, selbst wenn er es nicht
schaffte bis zum Ende des Projekts zu überleben. Wenn es ihm allein gelang die
dritte Schale zu vermessen, würde er der Ansprechpartner dafür sein, wo man
die neuen Städte ansiedeln sollte, denn die alten waren spätestens mit der
Invasion der Dämonen komplett zerstört und unbewohnbar geworden. Neesonel rief
sich zur Ordnung und schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken
fassen zu können. Dabei bemerkte er wie von seinem Besucher eingehend studiert
wurde. Der Kommandant der Mächte hing fast in dem Stuhl auf den er sich gesetzt
hatte und wirkte so gar nicht, als hätte er gerade das Angebot für den Traum
eines jeden Engels in der Armee ausgeteilt.
Vielleicht weil Lord Michael zu der Handvoll von Hohen Engel gehörte, die je
eine gesamte Karte des Himmels gesehen hatten, eine Kopie davon besaßen oder
einfach bloß alt genug waren, um jeden Winkel bereits einmal gesehen zu haben.
Nicht zu vergessen, dass er in dem Ruf stand selbst die Hölle besser zu kennen
als seinen eigenen Vorgarten.
Und ich habe mich gewundert, warum ich an diesen entlegenen Ort versetzt wurde,
dachte Neesonel schaudernd. Zum Glück sind die Tage vorbei in denen ich mich
mit dem Engel des Feuers angelegt hätte, nur weil ich dachte, ich wüsste es
besser als er.
„Michael-sama“, meinte General Neesonel so gefasst wie möglich, aber seine
Stimme klang dennoch ein wenig heiser. „Was wollt ihr im Gegenzug dafür
haben?“
„Oh“, sagte der Kommandant der Himmlischen Armee achselzuckend. „Nicht
viel. Eure Verschwiegenheit zum einen. Ich will weder, dass mein Name eines
Tages in eurer Biographie auftaucht, noch dass der Rat in der nächsten Zeit
Wind davon bekommt, dass ich hier meine Schiffe unterstelle.“
Neesonel nickte. Das ließe sich einrichten. Zum Einen waren Beziehungen zum
Engel des Feuers immer ein zweischneidiges Schwert und zum Anderen würde er
selbst Rosiels Männern einen Platz zum Schlafen gewähren, wenn sie auf der
Flucht vor den Bürokraten des Hohen Rates waren.
„Sonst noch etwas?“, fragte Neesonel misstrauisch.
Die Idee allein war mehr wert, als je in Worte zu fassen war. Vielleicht wäre
das Problem der veralteten Karten früher oder später sowieso zum Thema
geworden, aber es anzusprechen, Lösungen zu präsentieren und dem Rat sagen zu
können, dass man schon halb fertig war, sicherte praktisch seinen Lebensabend.
Nie wieder müsste er sich bei der Verteilung von Missionen vor einem adligen
Engel praktisch in den Staub werfen, um an einen guten Auftrag zu gelangen.
Was Michael im Gegenzug dafür haben wollte, klang mager. Sehr mager.
Doch der Feuerengel grinste nur zufrieden, als hätte gerade er den Fang des
Jahrhunderts gemacht und nicht andersherum.
„Ignoriert einfach meine Existenz. Ich werde hin und wieder kommen und gehen
wie es mir beliebt, aber das ist für eure neue Mission wieder interessant noch
hinderlich. Im Gegenteil, eher räumen wir für euch ein paar Dämonen
beiseite.“
„Gut“, willigte Neesonel ein. „Wir sind im Geschäft.“
Sie besiegelten ihr Abkommen per Handschlag und beide wussten, dass sie sich auf
das Wort des anderen verlassen konnten. Als Michael aufstand, um seiner Wege zu
gehen, fiel Neesonel noch etwas ein.
„Haben Sie einen Rat, wo ich am besten mit der Vermessung anfangen sollte?“,
fragte er. „Yetzirah ist groß.“
Michael sah zu ihm und zog dann nachdenklich die Augenbrauen zusammen.
„In der dritten Schale. Konzentrieren sie sich erst einmal darauf, General.
Shamayin wird noch Jahrhunderte von Dämonen bevölkert sein und auch Chuvce ist
alles andere als sicher. Hinzukommend sollten sie Landungen vermeiden und
zunächst alles aus der Luft und einer sicheren Entfernungen vermessen.“
„Vielen Dank“, sagte der General und salutierte zum Abschied, während
Michael sich bereits zum Gehen wandte.
Als sich der Kommandant der Himmlischen Armeen jedoch umdrehte und ihn über die
Schulter hinweg ansah, meinte General Neesonel ein siegessicheres Lächeln sehen
zu können, aber in der Dunkelheit tat er es als Sinnestäuschung ab.
„Oh nein, General. Ich habe zu danken“, wurde ihm geantwortet. „Ich
wünsche ihnen eine Gute Nacht und viel Erfolg.“
Damit sah General Neesonel zu, wie der Feuerengel aus seinem Blickfeld
verschwand und das mit einem viel zu sicheren und festen Schritt für jemanden,
der gerade ihm gerade goldene Kühe für einen Apfel verkauft und eine gesamte
Armee umgesiedelt hatte. Eigentlich sollte er keine Bedenken haben, aber er
wurde dennoch das Gefühl nicht los, dass er gerade einen Vertrag mit dem Teufel
abgeschlossen hatte.
Keine gute Assoziation, sagte sich der General, wenn man bedenkt wer Lord
Michaels Bruder ist.
-
Michael konnte sich das zufriedene Grinsen nicht verkneifen, als nach dem
nächstbesten Ausgang suchte und zurück über den Stützpunkt zurück zur
Flaming Hell schlenderte. Fast war er geneigt seinen Geschichtsschutz bis über
die Nase zu ziehen, damit es keiner sah, aber in dieser Dunkelheit war es schwer
überhaupt etwas zu erkennen und inzwischen geisterten weitaus weniger Soldaten
herum als noch vor ein paar Stunden. Es wurde Zeit, dass auch er endlich einen
Schlafplatz fand und zumindest für eine Weile sich um nichts und niemand
Gedanken machen musste. Die letzte Nacht von ungestörtem Schlaf hatte er an dem
Tag gehabt, als er Uriel auf dem Boden seines Büros gefunden hatte.
Immerhin scheint der jetzt endlich wieder gesund zu sein, dachte Michael. Das
heißt er kann sich um Raphael kümmern.
Verbissen kaute Michael auf seiner Unterlippe herum, als er über den Hof
schlenderte, der schwach beleuchtet war und nur wenig Licht bot, um den
herumstehenden Geräten zu entgehen. Die Freude bei General Neesonel so
erfolgreich gewesen zu sein, hatte nicht lange vorgehalten. Es war ja doch nur
ein weiterer Hacken auf der Liste und es war noch nicht genug Zeit vergangen, um
das frisch geschmiedete Eisen als abgekühlt zu bezeichnen. Trotzdem war es ein
Erfolg und mit etwas Geduld ging seine Rechnung sogar auf.
Geduld, genau das was bei mir immer rasch zu Neige geht.
Das schleichende Gefühl der Unruhe kehrte bereits jetzt zurück und der Drang
sich nicht schlafen zu legen, sondern sich allein in die Nacht zu schwingen und
auf die Jagd zu gehen, war verlockend. Deswegen sah Michael zu, dass der Hangar
erreichte, wo die Flaming Hell untergebracht war und suchte sich einen
Schlafplatz, wo er zwangsläufig jemanden stören würde, täte er etwas anderes
außer zu schlafen. Der Aufenthaltsraum des Schlachtschiffes war gerade der
richtige Ort dafür. Groß genug, um ein bisschen Komfort für lange Flüge zu
bieten und zentral genug, um keine wirkliche Privatsphäre zu haben.
Irgendjemand der Besatzung würde schon der Meinung sein, dass es besser wäre
ihn dort liegen und pennen zu lassen anstatt dem ersten Hilferufs eines
verzweifelten Offiziers nachzukommen.
Michael stolperte gedankenverloren durch die Gänge und wäre beinahe über den
Engel gefallen, der am Fußboden des einzig bewohnbaren Raumes des Schiffes saß
und gelangweilt seine Waffe putzte.
„Beniguma“, grollte Michael flüsternd und unterdrückte einen Fluch. „Was
machst du hier, ich dachte Pyrrha hätte euch befohlen zu schlafen?“
Der Engel, von der Gestalt her kleiner als Michael selbst und mit dem Gesicht
eines Kindes, lächelte ihn verzerrt an.
„Ich hab kein Auge zugekriegt“, sagte Beniguma und strich das lange braune
Haar zurück. „Kann ich nie, wenn ich nicht genügend Dampf ablassen kann am
Tag davor und die letzte Dämonenjagd is‘ schon ‘ne ganze Weile her.“
Anklagend blickte Beniguma zu Michael auf und der Ausdruck in dessen Augen
passte wahrhaftig nicht zu dem Kindergesicht, das ihn ansah.
„Wann machen wir die Nächste, Michael?“
Der Kommandant schnaubte und wollte am liebsten barsch erwidern, dass er dafür
absolut keine Zeit hatte, aber als er den Ledermantel von seinen Schultern
streifte rief sich in Erinnerung, dass dies Beniguma war. Der einzige Engel in
der Armee, der jünger war als er selbst. Jünger aussah als er selbst,
berichtige sich Michael. Denn Beniguma war eines der überlebenden Experimente,
die der Rat viel zu oft durchgeführt hatte, wenn es eine so genannte
‚interessante Anomalie’ entdeckte und es war schwer Beniguma etwas anderes
als einzigartig zu bezeichnen.
Gefangen in dem Körper eines Kindes mit dessen Natur und nicht einmal alt
genug, um ein Geschlecht zu besitzen, denn Engel wurden androgyn geboren.
Michael warf sich auf das Sofa, das nicht unweit von Benigumas Sitzplatz stand
und ließ geradewegs so fallen, dass seine Füße über die Lehne hingen und er
seinen Ledermantel als Kissen benutzen konnte. Er bedeckte seine Augen mit
seinem Unterarm und antwortete nach einer Weile, denn Beniguma war nicht Camael
oder Offizier Temul.
„Bald Beniguma“, sagte er. „Sobald ich wieder mehr Zeit habe.“
Das Schmollen, das er als Antwort bekam, hörte er laut und deutlich und es
wunderte ihn fast, dass kein Anderer davon wach wurde.
„Beniguma“, sagte Michael und ließ sich zu der Anstrengung herab, trotz der
Müdigkeit, die jetzt seinen Körper in Anspruch nahm, nun da er lag, noch
einmal die Augen zu öffnen und den jungen Engel scharf anzusehen. „Was
bekommt ein Soldat der Armee für seine Dienste?“
„Sold“, kam die Kindesstimme aus dem Dunkeln und sie klang leicht beschämt,
wohl weil Beniguma wusste, wohin die Unterhaltung führen würde. „Mal mehr,
mal weniger, kommt auf den General an, der ihn bezahlt.“
„Und was habe ich dir und den Anderen versprochen, als ihr euch in meine
Reihen aufgenommen habe?“
Für einen Moment herrschte Schweigen, ehe Beniguma auf Michaels Frage
antwortete und sich wie der Feuerengel selbst an das Ereignis erinnerte, das
bereits vor so vielen Jahrhunderten stattgefunden hatte.
„Ich garantiere euch sauberes Trinkwasser, wenn auch ihr es euch vielleicht
selbst holen müsst“, zitierte Beniguma Michaels Worte, als würde er sie
direkt von einem Zettel ablesen, dabei starrte er nur auf die Waffe in seinem
Schoß. „Ich garantiere euch volle Mägen und dass ihr niemals Hunger leidet,
wenn auch ich vielleicht von euch verlange, dass ihr euer Essen selbst erjagen
müsst. Könnt ihr das nicht, bringe ich es euch bei.“
Benigumas Stimme stockte bei dem letzten Satz und Michael erinnerte sich, dass
er ewig gebraucht hatte bis er den Krieger im Kindeskörper soweit hatte
irgendetwas anderes zu essen, als frisches und vor allem selbst erlegtes
Fleisch.
„Und ich garantiere euch einen Unterschlupf, einen warmen Platz am Feuer in
den eisigen Nächten und Tagen des Himmels, auch wenn ich von euch verlangen
werde, dass ihr den schlafenden Mann neben euch verteidigt“, vollendete
Beniguma, die Rede von dem Tag als er seinen Treueeid geleistet hatte.
Danach war Stille und Michael schloss seine Augen wieder. Es war eine Lektion,
an die er seine Leute nicht gerne erinnerte, Beniguma am allerwenigsten. Aber
seine Stimmung war mies und Beniguma als erstes Opfer ihm über den Weg
gelaufen. Es war eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt um Dankbarkeit
einzufordern, doch die letzte Zeit war nicht nur für seine Männer
nervenaufreibend gewesen.
„Beniguma“, nuschelte Michael und wedelte mit einer Hand, um noch einmal
dessen Aufmerksamkeit zu erregen.
Er erwartete, dass Beniguma ihm zuhörte oder ein Laut von sich gab, dass er ihn
verstanden hatte, aber nicht, dass das halbe Engelskind gleich auf ihn zukam und
seinen Kopf über die Rückenlehne streckte, um ihn von oben herab anzusehen.
„Ja, Michael“, sagte Beniguma ruhig.
„Wir gehen bald wieder auf Dämonenjagd“, meinte Michael ohne die Augen zu
öffnen oder sich davon stören zu lassen, dass Beniguma ihn nicht aus den Augen
ließ.
„Versprochen?“, kam die Frage leise.
„Versprochen!“, versprochen antwortete Michael kaum noch hörbar, ehe er in
den Schlaf glitt.
Das halbe Engelskind hingegen stand noch eine Weile über seinem schlafenden
Kommandanten, ehe es an seinen Posten neben der Tür zurückkehrte und das
Putzen seiner Waffe wieder aufnahm.
xxx
Jaha, ich habe selten so viel Spaß bei einem Kapitel gehabt, wie bei diesem
hier. Es könnte an Michael oder dem feststehenden Plot für die nächsten
Kapitel liegen. Auf jeden Fall endet hier der Abschnitt „Grenzen des
Himmels“ und es geht weiter mit *Trommelwirbel* ... „Heimatland“
mangacrack
P.S. Laut Rechung von Animexx habe ich mit diesem Kapitel die 100.000 Wortgrenze
überschritten. Seltsamerweise sind es auf FF.de bereits 10.000 Wörter mehr XD
...
Heimatland - Das Licht des Morgens
----------------------------------
Kommentar: Dies war wieder eines der Kapitel, die mich ausgelacht haben, weil
ich anfangs dachte, dass sie einfach zu schreiben wären. Funktionierte zuerst
ja auch bis ich mal wieder an den Punkt kam, wo ich den Hintergrund der FF mit
den Vorgängen verknüpfen, über die man im Alltag über nicht nachdenkt.
Addiert man noch engstirnige Charaktere hinzu, bei denen man sowieso nichts
anderes tun kann, als ihnen nachzulaufen, wenn sie einem davonrennen.
Viel Spaß beim Lesen
mangacrack
xxx
::Kapitel 25 – Das Licht des Morgens::
Die Blätter des riesigen Baumes rauschten im Wind und flüsterten leise zu
Uriel, der auf einem hohen gebogenen Ast Platz genommen hatte. Mit überkreuzten
Beinen saß er im Geäst und hielt die Augen geschlossen, um in Ruhe meditieren
zu können. Mit jedem Atemzug füllten sich seine Lungen und hoben seinen
Brustkorb so gleichmäßig, das die sachten Bewegungen seines schwarzen Haars
abstrakt und im Vergleich dazu unnatürlich wirkten. Auch weil es immer wieder
drohte sich im Blätterdach des Baumes zu verfangen, die Strähnen jedoch stets
wie Seide an dem rauen Holz abglitten. Gleichwohl formte Uriel mit seiner
Anwesenheit ein Bild, das trotz seiner Fremdartigkeit Einklang ausdrückte.
Befreit atmete Uriel weiter den Sauerstoff aus, der sich schon seit viel zu
langer Zeit in seiner Lunge angesammelt hatte. Es war eine Wohltat, allein
seinen Rhythmus auf Kohlenstoffdioxid aufbauen zu können, denn es ließ ihn
ruhiger und entspannter werden. Das Gas CO2 war in seiner Substanz schwer,
dunkel und reichhaltig, lange nicht so scharf und angreifend wie die Luft, die
normale Lebewesen atmeten.
Ich hatte vergessen wie gut das tut, dachte Uriel, als er weiter den Kohlenstoff
in sich aufnahm.
Mit der mutwilligen Vernichtung seiner Stimmbänder hatte er auch seine
Luftröhre verletzt, dessen Folge die Schäden in seiner Lunge gewesen waren,
die ihn erst vor kurzem an den Rand des Todes gebracht hatten. Eine unangenehme
Entwicklung, die Raphael zum Glück verhindert hatte, denn zwar fürchtete Uriel
den Tod nicht, aber es hätte seine Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt.
Enra-Oh hätte sichergestellt, dass er trotz seines Status – oder auch gerade
deswegen - den Hades nicht wieder verlassen würde. Zumindest nicht lebendig und
auch wenn dies seine Existenz nicht beenden würde, so war ein fehlender Körper
grundsätzlich immer hinderlich. Er hätte sich lediglich mit seinem Geist durch
die Ebenen bewegen können, was grundsätzlich fehlende Eindrücke bedeutet
hätte, die ihm nur lebendiges Fleisch geben könnte.
Daher ist es besser, wenn ich mit beiden Füßen in der Erde versinke, aber mein
Kopf und mein Oberkörper noch oben herausragen.
Es war schließlich Teil seiner Existenz den Tod zu atmen.
Rein aus Protest und ganz einfach, weil er dazu in der Lage war, saugte Uriel
mit dem nächsten Atemzug so viel Kohlenstoffdioxid auf, wie er konnte. Es
spendete ihm Kraft und trieb die Pflanzen um ihn herum an dasselbe zu tun. Für
sie war es Teil ihrer Natur und zum Ausgleich gaben sie Sauerstoff ab, der von
den anderen Wesen gebraucht wurde, um am Leben zu bleiben, aber es verwurzelte
auch den Tod tief in den Fugen der Welt. Schließlich fraßen andere Lebewesen
Pflanzen, nur um von selbst gefressen zu werden, damit sie jemand Weiteren
ernähren konnten. Am Ende starben jedoch immer alle drei: die Pflanze, der
Pflanzenfresser und das Raubtier.
Sie starben, verendeten, verwesten und machten Platz für neues Leben. Eifriges,
neugieriges und ehrgeiziges Leben, das sich an die Oberfläche kämpfte, um
immer näher und weiter an das Licht zu gelangen und ganz gleich wie oft es
einem Stärkeren zum Opfer viel, es rückte immer jemand nach. Es war ein
endloser, grausamer Wettbewerb, den niemand entfliehen konnte.
Niemand.
-
Mit einem leisen, aber entsetzten Aufschrei protestierte Kato gegen die
Bewegung, die ihn wachgerüttelt hatte. Müde und noch nicht bereit jetzt
aufzustehen, vergrub er sein Gesicht tiefer in den Bettbezug seines Kissens.
Zwar kratzte er unheimlich auf der Haut und die braungelbe Farbe war für die
Augen kaum zu ertragen, aber da er in der nächsten Zeit nicht vorhatte sie zu
öffnen, konnte ihm das herzlich egal sein. Stattdessen würde er weiterschlafen
und die Geräusche ignorieren, die ihn davon abhielten, wieder den Schlaf der
Vergessenen zu genießen. Ein erneutes Wackeln der Matratze und ein unsanfter
Tritt in seine Seite, ließ ihn allerdings dann doch auffahren.
Garstig und alles andere als begeistert riss er sein Gesicht aus dem Kissen, um
Kira einen bösen Blick zu zuwerfen, der gerade versuchte über ihn hinweg zu
steigen.
„Hast du’s bald mal?“, fragte Kato angepisst und sah unter den blonden
Strähnen hervor, die ihm wegen des unruhigen Schlafes vor die Stirn gefallen
waren.
„Sofort“, flüsterte Kira und beendete seinen Akt über Katos ausgestreckten
Körper zu klettern.
Als seine nackten Füße den Lehmboden berührten, drehte sich Kira zu ihm um
anstatt wie geplant aufzustehen. Entschuldigend sah er zu Kato und stupste ihn
an, um zu suggerieren, dass er sich wieder hinlegen sollte.
„Tut mir Leid“, sagte er leise, „Ich wollte dich nicht wecken. Du kannst
ruhig weiterschlafen, ich bin gleich wieder da.“
Grummelnd streckte sich Kato kurz, ehe er sich wieder ins Kissen fallen ließ.
„Es war deine Idee an der Wand zu schlafen“, murmelte Kato griesgrämig und
schloss die Augen so halb.
Doch weil er jetzt auf dem Rücken lag und die Arme unter seinen Kopf gestopft
hatte, konnte er jetzt Kira besser sehen, da das schummrige Licht von draußen
direkt auf sein Gesicht fiel. Es wirkte zu angespannt für nur einen einfachen
Tritt nach draußen, um sich zu erleichtern
„Ja, ich weiß“, meinte Kira gedämpft und ließ seinen Blick über das
provisorische Bett schweifen, dass sie sich geteilt hatten. „Aber du bist nun
einmal ziemlich sicher tot und ich bin es irgendwie nicht. Daher kriege ich den
Platz an der Wand.“
Er richtete sich nun auf, um sich zu dem Ausgang der kleinen Lehmbude zu
bewegen, wobei dies nicht mehr als ein Teppich war, den man vor dem rechteckigen
Durchgang in der Wand angebracht hatte. Das von handgewebte hässliche Stück
Stoff wurde zur Seite gedrückt, sodass Kira aus der kleinen Ein-Zimmer-Hütte
treten konnte, die im besten Fall die Größe einer geräumigen Besenkammer
hatte.
Mehr hatte man in dieser Gegend auch nicht zu erwarten, das wusste Kira als er
sich draußen wie gewohnt umsah. Sie waren weit ab von jeglicher Zivilisation
und die Baracken, in denen Kato und er Unterschlupf gefunden hatten, waren die
Behausung von herumziehenden Nomaden, die mehr für ihr Leben nicht brauchten
und sich auch sonst nicht weiter um die Belange der Welt kümmerten. Sie gingen
nur dorthin, wo ihr Vieh Futter fand und ignorierten alles Andere außer die
Natur um sie herum.
Dabei war es ausgerechnet jene, die ihn aus dem Bett getrieben hatte. Während
er den roten Streifen am östlichen Horizont betrachtete, wo zwischen den
Hügeln der weiten Ebene die Sonne aufging, musste er an die Geräusche denken,
die ihn wach gehalten hatten. Seien es die hungrigen Käfer in der Wand, die
geschäftigen Ameisen unter der Erde oder das Schreien eines Vogels auf dem Dach
gewesen, er hatte sie nicht ausblenden können. Sie alle lebten und bewegten
sich, immer auf der Suche nach Futter und im Schutz der Dunkelheit, weil auch
andere Gefahren auf sie lauerten. Größere Jäger, wie das Tier das auf der
Suche nach Beute an der Felswand entlang geschlichen war und einen kleineren
Vogel erlegt hatte, der für einen Moment unachtsam gewesen war.
Kira rieb sich die Schläfen als er zum Jeep lief, um sich aus dem
Wasserkanister einen großen Schluck zu trinken zu gönnen. Als er die Tropfen
von seinem Mundwinkel wischte, dachte er daran, dass es in ihm kein Entsetzten
hervorgerufen hatte, als die Raubkatze mit ihrem kräftigen Kiefer die dünnen
Vogelknochen zerbrach und solange zudrückte, bis sie dem Vogel die Luft aus der
Lunge gequetscht hatte. Schließlich hatte er die Raubkatze auf leisen Sohlen
davon schleichen hören, ihre Beute im Maul, um sie an einem sicheren Ort zu
verspeisen und den nagenden Hunger zu stillen. Er hatte keinen Ekel empfunden,
als er die Schmatzgeräusche vernommen und in seinem Geist gesehen hatte, wie
die Raubkatze mit ihrer rauen Zunge den Vogel von seinen Federn befreite, damit
sie besser an das rohe Fleisch kam. Für die Menschen der Moderne war dies
brutal. Sie kaufen vorgefertigtes Fleisch im Supermarkt, dass in Plastik
verpackt war und blickten schon weg, wenn sie beim Metzger ein totes Schwein von
der Decke hängen sahen.
Als Kira den Wasserkanister zurück auf die Ladefläche des heruntergekommenen
Autos stellte, konnte der dem Drang nicht widerstehen, als seine eigene Hand
anzusehen. Sie hatte getötet. Menschen, Tiere und Einiges, was man nicht so
genau definieren konnte. Zählten Engel auch dazu oder waren sie eine eigene
Kategorie? In den frühen Jahren, in denen er Alexiel verfolgt und ihre
Schutzengel getötet hatte, war sie ihm alle bloß im Weg gewesen, aber in
seinen Erinnerungen unterschieden sich Engel von allen anderen nichtmenschlichen
Wesen, denen er je begegnet war. Viele von ihnen hatte er getötet, ohne zu
Zögern und ohne Reue, aber Engel – besonders die Schutzengel – hatten nur
ihre Mission gekannt. Es war gleich gewesen, ob sie ihm unterlegen waren, sie
waren immer wieder auf ihn losgegangen und hatten sich von oben auf ihn herab
gestürzt. Nur um wie ihr Blut auf die Erde zu fallen, wenn er
Verteidigungstechniken angewandt hatte von denen er jetzt wusste, dass sie aus
Luzifers Gedächtnis stammten.
Jetzt fragte er sich, was sie dazu getrieben hatte. Die Schutzengel waren gute
Kämpfer, aber am Ende bloß beauftragte Soldaten gewesen, die nichts für
Alexiel empfunden hatten. Nichts außer Hass und Verachtung vielleicht, denn
Bilder aus dem Zweiten Großen Krieg zeigten ihm, dass Alexiel damals im Himmel
viel Schaden angerichtet hatte. Es war also höchstens Genugtuung gewesen,
welche die Schutzengel auf ihrem Posten gehalten hatte. Der Wunsch, den
Organischen Engel bestraft zu sehen.
Kira verkreuzte die Arme vor der Brust, als er sich nachdenklich gegen das
rostige Auto lehnte. Das Gefühl der Lebendigkeit um ihn herum hatte ihn auf
diesen Gedankengang gebracht, aber dennoch verstand er nicht, wieso es ihn nach
all der Zeit noch beschäftigte. Warum wieder und dann ausgerechnet jetzt?
Verwirrung. Ich fühle Verwirrung, erkannte Kira. Doch wieso? Ich habe damit
abgeschlossen, dass Setsuna mein Freund war. Nicht nur eine Person namens
Alexiel, deren Kraft Luzifer benötigt hatte, um seinen Feldzug gegen den
Schöpfer zu beenden.
Luzifer hatte Alexiel gebraucht, dies war ihm klar. Auch das Setsuna dies als
Liebe fehl interpretiert hatte. Aber das war nur Setsuna in seiner
hoffnungsvollen Art gewesen, seine Weigerung sich unterkriegen zu lassen.
Wieso macht es mich dann wütend?, fragte sich Kira. Woher kommt dieser Ärger?
Ja, Ärger. Das traf es.
Es war dasselbe Gefühl, das ihn jetzt aus Irritation gegen die Blechwand treten
ließ, das ihm meldete, dass er Hunger hatte und etwas essen sollte, und es war
dasselbe Gefühl, das verursachte, dass er jetzt nichts gegen einen Kampf
einzuwenden hätte. Ein weiterer Dämon wie der aus der unheiligen Kirche von
vor ein paar Tagen oder ein Schutzengel wie aus seinen Erinnerungen, es wäre
ihm gleich. Hauptsache er würde diesen Reiz los, der unter seine Haut kroch und
es in seinen Fingerspitzen kribbeln ließ.
Mit einem Schnauben stieß sich Kira von der Ladefläche des Jeeps ab und fuhr
sich durch die zerzausten dunkeln Haare, die dennoch irgendwie von dem Zopf
gebändigt wurden, den er sich den Abend zuvor gemacht hatte. Hätte er die
Gelegenheit gehabt, hätte er sich jetzt wohl unter die Dusche gestellt, aber
hier in dieser Einöde gab es bloß Brunnen und außerdem würde ihm hinterher
noch nur bewusster werden, dass sich der Ärger, den er so klar und deutlich
wahrnahm wie seine Augen das Morgenrot am Horizont, nicht mit Wasser zu
beseitigen war. Der würde sich nicht herunterschrubben lassen, wie der Staub
der Wüste, der sich auf seine Haut gelegt hatte.
Unsanft ruckte Kira an der Fahrertür des Jeeps, denn er wusste, dass im
Innenraum noch etwas zu Essen liegen musste. Vielleicht würde sich seine
Stimmung etwas aufheitern, wenn der Hunger verschwand. Aber allein der Blick auf
das trockene Brot, das er zwischen den Sitzen fand, ließ ihn das Gesicht
verziehen. Appetitlich sah das nicht aus, doch mehr war derzeit nicht da. Also
pflanzte sich Kira mit dem Stück Brot und einigen übrig gebliebenen Früchten
auf die breite Motorhaube. Während er verbissen auf der Frucht herumkaute, von
der nicht einmal ganz sicher war, wie sie hieß, stellte er fest, dass das Essen
nur das Knurren seines Magens vertrieb.
Nicht den Hunger, den er eigentlich verspürte und wohl mit seinem
unterschwelligen Ärger zusammenhängen musste.
Also war es Ärger über und Hunger nach etwas.
Verärgert blies Kira die Luft aus seinen Lungen und zog die Beine heran, sodass
seine immer noch nackten Füße auf der Motorhaube Platz fanden. Inzwischen fing
die Felswand, an der ihre Lehmhütte stand, die ersten goldenen Strahlen der
Sonne auf, die begann sich über den Rand der Hügelkette in der Ferne zu
schieben. Ihr Licht veränderte die Umgebung von der rauen begrenzten Nachtwelt,
in die unbegrenzte unbarmherzige Wüste des Tages. Die Temperaturen würden
wieder den Schweiß aus ihren Körpern treiben, aber dennoch empfand er
Erleichterung über das Licht der Sonne, denn sie vertrieb die Geräusche der
Tiere, die ihn nachts wach hielten.
Unaufhörlich trieb es sie weiter, Hunger, Durst oder auf der Suche nach Schutz
vor anderen Raubtieren. Aber vornehmlich war es der Hunger, der ihn ablenkte.
Der Hunger der Tiere, das Sterben der Schwächeren und die Befriedigung, wenn
der Hunger für zumindest kurze Zeit verschwand.
Es ist wie ein Geräusch in meinem Kopf, das nicht verschwinden will. Lieber
werde ich blind, weil ich zu viel in die Sonne geblickt habe, als das ich mich
weiterhin durch diesen pressenden Druck wahnsinnig machen lasse, beschloss Kira.
Um der Nacht zu entkommen, müsste er in dem Licht der Sonne bleiben. Zwar
brannte die auf seiner Haut, ließ die Luft vor seinen Augen flimmern und ließ
die Zunge am trockenen Gaumen kleben, jedoch konnte dagegen etwas tun. In der
Nacht war er den Leben unzähliger kleiner Kreaturen ausgesetzt, deren schiere
Anzahl es verhinderte, dass er etwas unternehmen konnte. Also würde er die
Vibration in seinem Hinterkopf einfach ertragen müssen.
„Oder einen Weg finden sie ganz und gar loszuwerden“, murmelte Kira und
lehnte sich zurück, sodass sein Kopf auf der Windschutzscheibe des Jeeps lag.
Darum, dass der Untergrund auf dem er lag von den Winden der Wüste zugeweht war
und er nicht mehr trug als die Kleidung von letzter Nacht, scherte er sich
nicht. Goldener Sand und dreckige Erde störte ihn nicht, wenn die Sonne dafür
die wispernden Stimmen in seinem Kopf verstummen ließ.
„Ist das deine Definition von ‚Bin gleich wieder da?'’“, fragte eine
genervte Stimme und als Kira den Kopf wandte, brauchte es eine Sekunde bis er im
Licht der Morgensonne Kato ausmachen konnte.
Mit den Händen vor der Brust überkreuzt, stand er neben dem Jeep und starrte
ihn böse an. Zuerst nahm Kira an, dass dessen leichte Bekleidung der Grund
dafür war, bis ihm wieder in den Sinn kam, dass Kato die Temperaturen nicht so
wahrnahm wie er selbst. Ob dies damit zu tun hatte, dass er tot war oder Kato
die Angewohnheit aus seinen Junkie Zeiten äußere Einflüsse einfach zu
ignorieren, einfach beibehalten hatte, konnte er nicht sagen, allerdings
erinnerte ihn das daran, dass es die Menschen in seinem Umfeld gewesen waren,
die Kato zu seinen Handlungen trieben, gleich welcher Natur sie waren.
Er ist wegen mir hier, dachte Kira und stützte sich auf die Ellbogen. Um
nachzusehen, wo ich bleibe.
Nicht, dass es ihn überraschen sollte, doch tat es das trotzdem irgendwie.
Vielleicht weil es weniger Sorge um Kira war, die Kato hatte aufstehen lassen,
als das ihn vermutlich der leere Platz an seiner Seite im Bett gestört hatte.
Merkwürdig für jemanden, für den Wärme und Kälte eigentlich bedeutungslos
war.
Außer es geht ihm nicht um Körperwärme, mutmaßte Kira, als Kato grollend
neben ihn auf die Motorhaube hopste, weil er keine Antwort bekommen hatte.
Sondern um ... Gesellschaft?
Es war die logische Schlussfolgerung, aber Kira kapierte nicht wieso genau Kato
ihm folgte wie die Gezeiten dem Stand des Mondes. Das war schon so gewesen,
bevor der gesamte Wahnsinn begonnen hatte und er noch zusammen mit Luzifer an
das Amulettsiegel gebunden gewesen war. Es war gleich, ob er ältere Schüler
davon abhielt Setsuna zu vermöbeln oder ob dessen toten Körper bewachte, Kato
tauchte immer auf als wäre er gerade falsch abgebogen und hätte etwas
gefunden, dass ihn zwar verwunderte, aber nicht überraschte. Wenn er darüber
nachdachte, war selbst Luzifer die Gestalt vertraut gewesen, als sie am Horizont
auftauchte und ihn angriff, um Setsuna zu verdeutlichen, dass der Höllenfürst
nicht derselbe Senpai war, den er so bewunderte.
Aber während Setsuna davon abgelenkt war, dass sein Senpai selbst vor dem
Töten von Engelskindern nicht zurückschreckte, wenn es bedeutete jemanden wie
Sandalphon in Schach zu halten, hatte Kato nicht mal gezuckt. Trotz dessen, dass
Luzifer ihn bei ihrer letzten Begegnung verstümmelt hatte und Kato dazu zwang
sich seinen eigenen Arm abzuschneiden, um ihn durch dieses Etwas von Materie zu
ersetzten.
Leicht verlagerte er sein Gewicht, damit er mit seiner rechten Hand nach dem Arm
von Kato greifen konnte, der ihm am nächsten war. Als sich seine eigenen Finger
um dessen Handgelenk schlossen, um sich zu vergewissern, dass es keine metallene
Attrappe war, die ein halbwüchsiger Engelsmechaniker in den Körper von Kato
gebohrt hatte, drehte der seinen Kopf zu Kira herum. Merkwürdig ruhig blickte
er ihn von oben herab an, weil sich Kato - anders als er selbst – nicht auf
die dreckige Windschutzscheibe gelegt hatte. Die sonst viel zu blonden Haare
ergänzten sich nun mit Morgenlicht der Sonne und so hell, dass es Kira schwer
viel sich daran zu erinnern, ob sie je dunkel gewesen waren. Theoretisch wusste
er, dass die Haare einst in pünktlichen Abständen gefärbt wurden, oft hatte
er den Plastikhandschuhen hinter Kato gestanden und ihm geholfen die Farbe in
den Strähnen zu verteilen, damit kein brauner Fleck übrig blieb. Kato hatte
seine natürliche Haarfarbe gehasst, weil es die Gleiche wie von seiner Mutter,
seiner Schwester und seinem Stiefvater war. Erst nachdem Fund des Fotos mit
seinem leiblichen Vater und eigentlichen Grund für sein beschissenes
ungeliebtes Leben, hatte Kato einen Weg gefunden sich zu rächen und seit diesem
Zeitpunkt hatte er Kira ihn nie wieder mit braunen Haaren gesehen.
Selbst nach seinem Tod nicht.
„Benutzt du dir die angelernten Eigenschaften von Meister Uriel dazu, um deine
Haare blond zu halten?“, fragte Kira laut, obgleich er eigentlich nicht
vorgehabt hatte diesen Gedankengang auszusprechen.
Aber er hatte in all der Zeit seit sie sich wieder begegnet waren, nicht ein
einziges Haarfärbemittel in Katos Händen gewesen. Nicht, dass die Hölle diese
in Geschäften um die Ecke vertreiben würde, aber selbst als Kato noch keinen
Körper hatte und nur als Seele Luzifer den letzten Nerv geraubt hatte, waren
sie blond gewesen. Unnatürlich blond, es war dasselbe hellgelb der billigen
Marke, die Kato zu seinen Lebzeiten immer verwendet hatte. Bedeutete dies, dass
sein Freund immer noch nicht über seine inneren Probleme mit seinem Vater
hinweg war oder waren Katos Haare stets in dieser hellblonden Farbe geblieben,
weil er das so gewollt hatte?
Huh. Aber würde das nicht, ...
„Sag mal hat dich heute Nacht was gebissen oder was ist mit dir los?“,
zeterte Kato los und fuchtelte mit seiner rechten Hand in der Luft herum, weil
Kira die linke immer noch mit seinen Finger umschlossen hatte. „Seit wann
interessiert du dich für Kosmetik? Oder für meine Haare? Hast du sonst nichts
Besseres zu tun, als ...“
Das leise Lachen konnte Kira nicht zurück halten, als es sich aus seiner Brust
löste und er den Kopf in den Nacken legte, um es entweichen zu lassen. Es war
so einfach sich diesem Gefühl der Losgelöstheit hinzugeben, dass es ihn halb
wunderte, warum Kato sich immer noch aufregte. Kannte er es nicht, dass man sich
so sehr an die Last auf seinen Schultern gewöhnen konnte, dass das Fehlen
derselben eine völlige fremde Empfindung war?
Noch nie hatte sich Kira so leicht gefühlt.
Das war auch eine Erkenntnis, die nur langsam in seinem Geist haften blieb, weil
er den Grund für die Leichtigkeit, dessen Symbol Katos Stimme in seinem Ohr zu
sein schien, nur allmählich begriff.
Ich bin frei, dachte Kira.
Heiterkeit breitete sich in seinem Brustkorb aus und er ließ seinem Blick mit
einer neuen Sicht über die Savanne streifen. Die Weite erschreckte ihn nicht
mehr, so wie sie es in der letzten Nacht getan hatte, weil er das Ende nicht
kannte und nicht wusste, was ihn hinter dem Vorhang der Dunkelheit erwartete.
Gefangenschaft war nichts neues für ihn, zu lange hatte er in und als
Nanatsusaya verbracht, aber er hatte die Freiheit nicht einmal erkannt, als man
sie ihm geschenkt hatte.
Er hatte die Freiheit nur für eine weitere Illusion gehalten.
Neben ihm war Katos Stimme verstummt, aber die raue Haut unter den Fingern
seiner rechten Hand, war eine Erinnerung, dass Kato sich kein Stück bewegt oder
Anstalten gemacht hatte, sich aus seinem Griff zu befreien. Er hockte mit
angezogenen Beinen auf der Motorhaube und betrachtete ihn, wie Kira aus den
Augenwinkeln sehen konnte. Wirklich Aufmerksamkeit schenken konnte er aber
gerade nur der Welt um ihn herum. Der freien Welt, um ihn herum. Eine Welt, die
sich nicht um seine Probleme scherte und nur zurück schlagen würde, wenn sie
sich genervt fühlte. Ob Kira sie liebte oder hasste, war ihr dabei
gleichgültig.
Kein Wunder, dass ich nicht begriffen habe, was mein Problem war, dachte Kira
und erinnerte sich an die Verwirrung und den seltsamen Hunger, die ihn erst aus
dem Bett getrieben hatten. Ich bin solange geführt und benutzt worden, dass ich
vergessen hatte, dass es auch anders sein kann.
Nun kannte er auch den Grund, warum er vor Luzifer keine Furcht hatte. Als sie
sich einen Körper teilten und der Fürst endlich die Kontrolle über sein
Bewusstsein zurück hatte, hatte er deutlich gemacht, dass er die Hilfe anderer
nicht brauchte. Niemals würde er die Meisterschaft des Schwertes ausbeuten, so
wie es Alexiel getan hatte.
Ich bin frei, dachte Kira wiederholt, um die letzten Fesseln zu sprengen, die
ihm auferlegt worden waren. Ich bin frei Alexiel zu hassen, ohne das sie es mir
verbieten kann.
-
Die Delle in der Motorhaube auf die Kato sich vorhin leider gesetzt hatte,
drückte unangenehm in seinen Hintern und kein Hin- und Herrutschen konnte das
Gefühl vertreiben. Seine einzige Möglichkeit der harten Kante zu entkommen
wäre entweder von dem Jeep herunter zu springen oder näher an Kira heran zu
rücken, der immer noch mit einem fremdartigen Gesichtsausdruck abwechselnd Kato
und die aufgehende Sonne betrachtete. Es dünkte Kato etwas zu sagen, aber ihm
fehlte der Anlass dazu. Inzwischen war es ein bisschen spät Kira darauf
hinzuweisen, dass er seinen Arm loslassen sollte, außerdem war die
Körperwärme, die Kira ausstrahlte und praktisch direkt in Katos tote
Lebensadern pumpte äußerst angenehm und aufweckend. Mehr sogar als das Licht
der Sonne, der sich Kira entgegen zu recken schien.
Da es ihm dabei mit jedem Atemzug besser zu gehen schien, beschloss Kato seine
Klappe zu halten. Man sah nicht jeden Tag, wie sich Sorgenfalten glätteten. Die
warmen Finger über seiner Hand drückten jedes Mal leicht zu, wenn Kira
vorsichtig die Luft aus seiner Lunge ließ und an Seelenlast verlor. Kato konnte
fühlen wie der Brocken von Kiras Schultern geschoben wurde und in die Tiefe
fiel, um irgendwo auf verlorenen Boden aufzuschlagen. Jetzt würde sich jemand
anderes damit belästigen müssen, fand Kato, denn ihm gefiel der entspannte
Gesichtsausdruck von Kira. So faul und ausgestreckt, wie er da lag, erinnerte es
Kato an die Tage, die sie zusammen verbracht und an denen Kira vergessen konnte,
dass es Setsuna Mudo überhaupt gab. Jetzt kannte Kato den Grund, warum der
immer auf den Bengel hatte aufpassen müssen, anstatt mit ihm faul in der Sonne
herum zu hängen oder aus zulosen, welche andere Schulgang sie diesmal
zusammenschlagen würden. Doch das hinderte ihn daran sich darüber zu freuen,
dass Kira endlich anderes im Kopf hatte, als Engelskram.
Damals wie heute tat es seiner Seele gut. Vor seinem Tod waren es stets jene
Tage gewesen, an denen er ohne Stoff ausgekommen war. Die hatte er jetzt kaum
noch nötig, aber immerhin kannte er den Unterschied zwischen den guten und den
schlechten Tagen. Kira schien das hin und wieder zu vergessen. Jetzt, wo Kira
sich streckte und gähnte wie ein verschlafener Löwe in der Mittagssonne,
konnte Kato sich sicher sein, dass es wahrhafter Genuss war, der ihn antrieb und
nicht der halb obligatorische Zwang, der ihn zu jeder Frau hatte ja sagen
lassen, die ihm ein bisschen Amüsement versprach.
„Hey Kato“, sprach Kira ihn an, als er den Ellbogen einknickte auf den er
sich die längste Zeit gestützt hatte und schloss die Augen, allerdings nicht
ohne sein Gesicht wie ein in die Jahre gekommener Sportlehrer in die Sonne zu
halten.
„Ja?“, fragte Kato zurück und versuchte nicht darüber nachzudenken, dass
Kira sich immer noch an ihm festhielt und überlegte stattdessen, was dessen
fremder Geist nun wieder ausspucken würde. Man sollte meinen, dass es Kato war,
den die merkwürdigen Vorgänge der Menschheit beschäftigten und nicht Kira,
aber das Kato derjenige war, der die Dummheiten tat, musste er nicht noch extra
erklärt bekommen.
„Wieso sieht es bei halbnackten Frauen immer so einfach und gemütlich aus,
wenn sie sich auf Motorhauben räkeln und ich stattdessen bloß Rückenschmerzen
bekomme?“
Kato schnaubte. Hatte er nicht Recht gehabt? Aber das glaubte ihm ja kaum
jemand. Kira, der Vernünftige. Ha, ha und ha.
Ich habe schon immer gewusst, dass er anders ist, dachte Kato befriedigt. Es ist
schön zu wissen, dass ich Recht hatte.
„Dir haben die fehlenden Stunden Schlaf auf den Verstand geschlagen?“,
lachte Kato. „Diese Frauen räkeln sich in der Regel auf schicken getunten
Sportwagen. Was sagt dir das über deine Rückenschmerzen?“
„Das ich keine Frau bin?“
Kira löste seine Finger von Katos Hand, um auf sein ausgeblichenes Tshirt zu
deuten.
„Das dies kein Sportwagen ist, mein Freund“, korrigierte Kato mit einem
Grinsen. „Sondern eine alte Rostlaube, die mehr Sand im Getriebe hat, als die
Wüste um uns herum.“
„Wir werden nun mal nicht bezahlt. Da habe ich einfach die nächste Karre
genommen, die danach aussah, als ob sie dieser Reise hier standhalten würde“,
meinte Kira mit einem Achselzucken und richtete sich umständlich auf bis er wie
Kato auf der Kante hockte.
„Jetzt sag nicht, du hast sie geklaut?“, fragte Kato neugierig.
Weniger, weil er es missbilligte, als das er die Tat vollkommen gut hieß. Was
waren schon materielle Besitztümer? Man musste sich halt zu helfen wissen und
man wurde nicht jeden Tag vom Teufel persönlich von der Innenstadt Tokios in
die Sahara verpflanzt, wo ziemlich schnell wurde, dass Grenzen und Gesetze nur
auf dem Papier existierten. Kira hatte in der Vergangenheit eher immer wie der
Typ gewirkt, der ein Pass beantragen würde, als einfach ein Auto zu klauen und
davon zu brettern.
Dem breiten Grinsen nach zu urteilen, das ihm zugeworfen wurde, sollte Kato sich
besser in Erinnerung rufen, dass Kira für jeden klugen Spruch auch mindestens
genauso viel Unsinn begangen hatte, der das wieder ausglich. Zwar war Kira weder
dumm noch unbesonnen, aber er bestimmte auch mehr nach Lust und Laune, ob er die
Zigaretten von dem Laden an der Ecke bezahlte oder doch lieber mitgehen ließ.
Sein wissendes Lächeln und seine Intelligenz, brachten die Leute dazu ihn zu
unterschätzen. Einem ungebildeten Tropf wie Kato traute man niedere
Beweggründe eher zu.
Niedere Beweggründe, tss ... das klingt wie Uriels übliche Gründe für
Todesursachen, wenn er Papierkram erledigt. Das kleine weiße Kästchen in der
Ecke, das man auszufüllen hat, erinnerte sich Kato an die Zeit, die er bei
seinem Meister im Hades verbracht hatte.
Wobei Zeit nicht wirklich der richtige Ausdruck war. Es gab keinen Tages- und
Nachtwechsel, sondern nur Dämmerlicht, weil das Totenreich so abgeschirmt war,
dass selbst die Auswirkungen der ältesten Macht der Welt kaum zu bemerken
waren. Ganz anders als hier, wo es Kato irritierte, dass es so schnell dunkel
und wieder hell wurde. Wie sollte man denn bei dem Tempo mithalten?
Es mochte daran liegen, dass er gefühlte Ewigkeiten mit seinem Meister
verbracht hatte und selbst der Unterricht und die Turbolenzen in der Außenwelt
zweitrangig geworden waren. War er ehrlich zu sich selbst, dann hatte er Setsuna
geholfen, weil er ihm etwas geschuldet hatte. Ähnlich wie Uriel selbst war er
aus eigenem Antrieb in Anagura aufgetaucht, um den leblosen Körper zu stehlen.
Mehr noch, das Treffen mit den anderen Erzengeln, dass Uriel provoziert hatte,
war eine Handlung gewesen, sich selbst etwas zu beweisen. Setsuna war nur der
Antrieb dafür, aber nicht der Grund. Nicht Setsuna war der Grund, warum er vor
den Toren des Himmels sein Ende gefunden hatte.
Automatisch wanderte Katos Blick zu Kira herüber, dessen Gesichtsausdruck
natürlich gerade jetzt seinem Ebenbild viel mehr glich als sonst, weil er in
Gedanken versunken war. Keine Regung zeigte sich in der Miene, sodass die
Ähnlichkeit mit Luzifer durch dessen Poren siebte, wie Wasser durch ein
Fischernetz. Trotzdem sah Kato den Unterschied, auch wenn er nicht begriff,
warum viele Dämonen das nicht fertig brachten. Kiras Haar war braun, nicht
schwarz und seine Haut auch lange nicht so blass.
Vielleicht bringen sie es ja nicht fertig, weil sie sich nicht auf die
Unterschiede konzentrieren, sondern auf die Ähnlichkeit, mutmaßte Kato. Es
gibt bestimmt nicht viele Wesen in den Welten, die behaupten können wie Luzifer
zu sein.
Seine Gedanken schweiften ab zu all den Dingen, denen er bereits begegnet war,
um sie mit Luzifer zu vergleichen. Hin und wieder konnte er Vergleiche
anstellen, so wie zum Beispiel der Schatten seines Meisters mit der Schwärze
gleichkam, die den Teufel umgab, aber Kato wollte niemand einfallen, der ein
wirkliches Gleichheitszeichen in Bezug auf Luzifer verdient hätte. Niemand war
so unnahbar und gleichsam so einnehmend, dass man bis nach Sheol folgte.
Zuzüglich zu dem Wissen, dass man vermutlich in sein Verderben rannte.
„Dabei bin ich ja auch nicht besser“, murmelte Kato kaum hörbar zu sich
selbst. „Den eigenen Arm habe ich mir abgerissen, um mein Schwert in seine
Eingeweide rammen zu können.“
Trotz des Wissens, dass er keine Chance gegen den Teufel hatte. Zwei Mal gegen
eine Wand zu rennen hatte ihm nicht gereicht, er musste auch drittes Mal dem
Höllendrachen nur mit einem Schwert entgegentreten, dass ihn nicht verletzten
konnte, nur um eine Rechnung zu begleichen. Nicht wegen Setsuna war er dort
gewesen, nicht wegen dem noblem Grund einem eingesperrten Engel zu helfen,
sondern nur um Luzifer eine Reinzuhauen. Nur, damit er sich sicher sein konnte,
dass es seine eigene Entscheidung gewesen war, den ruhigen dämmrigen Hades zu
verlassen und es sich lohnte, sich dem absoluten Licht der Sonne und der
unendlichen Finsternis der Nacht auszusetzen.
„Hat es das jetzt?“, brummte Kato vor sich hin. „Jetzt sitze ich wieder
hier...“
... mitten in der Wüste, wo sich die pralle Sonne über den Horizont schob und
langsam ihre rote Farbe verlor, weil der Morgen vorüber ging und es bald Mittag
werden würde. Nur das Kira und er immer noch untätig auf dieser Motorhaube
saßen und nichts mit sich anzufangen wussten. Es zwang sie ja keiner
aufzustehen und weiter zu fahren. Den Antrieb dazu mussten sie schon selbst
finden, aber ob sie jetzt hier sitzen blieben oder nicht.
Andererseits hatte Kira sich über Rückenschmerzen beklagt und sich deswegen
aufgesetzt. Saß der etwa nur hier, weil Kato sich nicht rührte? Sah so aus,
denn Kira betrachtete ihn vielsagend. Wohl, weil er zu ergründen versuchte,
warum Katos Gedanken bei geklauten Autos einfach abschweiften.
„Fertig mit den Selbstgesprächen?“, fragte Kira und sah jetzt weitaus
wacher aus als vorhin, wo Kato sich zu ihm gesetzt hatte.
„Jep“, antwortete er selbst mit einem Nicken und ging nicht näher darauf
ein, was ihn abgelenkt hatte.
Auch Kira musste nicht alles wissen, das tat er ohnehin schon zu genüge.
„Brechen wir dann auf?“, setzte Kato noch nach. „Jetzt wo du dein
kümmerliches Frühstück aufgemümmelt hast und bei dem Licht an Schlaf nicht
mehr zu denken ist...“
„Gern“, meinte Kira und sprang endlich von der Motorhaube. „Wir sollten
sehen, dass wir zur Straße zurück finden, denn ich bin diese Konserven langsam
Leid. Außerdem ist querfeldein durch die Wüste zu fahren, nicht ganz so mein
Ding.“
Während Kato ebenfalls vom Wagen glitt und Kira hinterher stampfte, der leicht
das Gesicht verzog, weil er immer noch barfüßig war, konnte er es nicht lassen
seinen Freund ein bisschen aufzuziehen.
„Wieso hast du Angst vor der großen weiten Wüste, du Stadtmensch?“, neckte
Kato, der aus dem Hades und aus dem Himmel die fehlende Zivilisation eher
gewöhnt war als Kira. Zumindest war Kato dieser Ansicht, schließlich war es
ein bisschen schwierig zu sagen, inwiefern Luzifer Einfluss auf dessen
Erinnerungen genommen hatte.
„Nicht vor der Wüste“, bemerkte Kira.
Er duckte sich, um sich an dem Teppich vor dem Lehmbude vorbei und durch die
schmale Tür zu drücken, wo seine restlichen Kleider noch drin lagen. Mit einem
Handgriff griff er seine zerfledderte Hose und stieg hinein, als Kato neben ihm
in die Hocke ging und ihre wenigen Schlafsachen zusammensuchte, die sie
besaßen.
Zugleich sah er ihn abwartend an und Kira beendete seinen Satz mit einer
eindringlichen Betonung, indessen er seinen Gürtel schloss und seine Socken
hervorzog, die er sich in seine Schuhe gestopft hatte.
„Nur vor der Orientierungslosigkeit, die uns ohne Karte erwarten kann“,
sprach er seine Bedenken aus.
Mit Interesse verfolgte er wie Kato beim zusammenrollen der Decke innehielt und
von unten zu ihm herauf schaute. Ganz konnte er den Blick nicht deuten, aber es
lag mehr darin als nur ein flapsiger Kommentar über ihr nächstes Reiseziel.
Doch da Kato nichts von sich gab, sondern bloß damit fortfuhr ihre Spuren in
ihrer nächtlichen Unterschlupf zu beseitigen, fuhr Kira fort: „Man kann
schließlich nie sagen, wo die Wüste einen wieder ausspuckt. Glaube mir, ich
habe Erfahrung damit.“
„Echt?“, wollte Kato aus einer Mischung von Neugierde und Unglaube wissen,
„Wann wurdest du denn das letzte Mal in die Wüste geschickt?“
Mit einem leichten Grollen überging Kira Katos absichtliche Formulierung des
Satzes, als er sich auf die Matratze niederließ, um sich seine Schuhe
anzuziehen und zuzubinden.
„Lass mich nachdenken, das muss circa 1187 nach Christus gewesen sein, als
Sultan Saladin gerade Jerusalem erobert hatte und wir quer durch die Wüste
fliehen mussten“, erinnerte sich Kira an eine von Alexiels zahlreiche
Wiedergeburten. „Nicht, dass es das letzte Mal war. Sie war besessen von Gott
und dieser Stadt. Ihre Seele hatte praktisch Jahrhunderte dort verbracht, weil
sie sich weigerte zu gehen. Das fand erst ein Ende, als die Kinderkreuzzüge um
1212 ihr das endgültig austrieben.“
Kira unterbrach seine Rede, als ihm auffiel, wie Kato ihn mit offenem Mund
anstarrte.
„Oh“, meinte er leise, „das hatte ich vergessen.“
„Was vergessen?“, fragte Kato erstaunlich ruhig und schaffte es den
entsetzten Gesichtsausdruck wieder zu verdrängen. „Mir zu sagen, dass du dich
an alle Inkarnationen vor Setsuna erinnerst? Ich dachte, das erledigt sich, wenn
du einen neuen Körper übernimmst.“
Kira zuckte mit den Schultern und widmete sich seinem zweiten Schuh, damit er
Katos bohrendem Blick entgehen konnte. Es wäre ihm fast lieber gewesen, wenn
die Reaktion weniger ruhig und gelassen gewesen wäre. Aber es hatte nun einmal
Auswirkungen, wenn der Engel der Erde selbst die Erziehung einer jungen Seele
übernahm. Selbst wenn das noch nicht erklärte, warum Kato wusste, wer Sultan
Saladin war.
Das würde er noch herauskriegen, aber nicht jetzt.
„Erinnern ist das falsche Wort“, erklärte Kira. „Ich habe nur nicht
bewusst daran gedacht. Es war eine andere Zeit und ich habe weder das Wissen
noch die Erfahrung gebraucht, die ich dort gesammelt habe.“
„Hm...“, machte Kato und das Geräusch ließ Kira aufsehen.
Die braunen Augen starrten ihn eindringlich an, als würden sie tiefer in Kira
blicken, als ihm das lieb war. Von der menschlichen Geschichte zu erzählen, war
eine Sache. Sich in Erinnerung zu rufen, wie lange er Alexiels Waffe gewesen
war, eine Andere. Er hatte Jahrhunderte lang Juden, Christen, Moslems und Engel
getötet, weil dort einer der astralen Punkte lag, welche die Glaubenskämpfe
nur noch verstärkten, da sie die Vorgänge von Himmel und Hölle
widerspiegelten.
Ähnlich wie er hinter Katos Augen den Tod sehen konnte. Es fehlte ein
bestimmter Schimmer, den die Lebenden besaßen, einfach weil sie nicht wussten,
was sie nach ihrem Ableben erwartete. Selbst Geister, Echos und die Seelen von
Verstorbenen hatten nicht den einnehmenden dunklen Glanz, der von Katos Aura
ausging. Möglicherweise, weil Kato das Totenreich nie wirklich verließ,
sondern es immer mit sich herumtrug, wo immer er auch hinging.
Uriel, erkannte Kira. Er ist der schwarze Schatten, den Katos Flügel werfen.
Nicht, dass er sie sehen musste, um das zu wissen. Es reichte die Ahnung und das
Spiel von Licht und Schatten an der Wand, das die Sonne verursachte.
„Gehen wir jetzt?“, fragte Kira Katos standhaftem Blick ausweichend, als er
aus dem Augenwinkel sah, dass sie das Meiste eingepackt hatte.
„Jederzeit“, erwiderte Kato und richtete sich auf.
Dann verließ er die Lehmhütte mit dem Bündel ihrer Sachen in der Hand, um sie
auf die Ladefläche ihres Jeeps zu werfen.
Kira hingegen fragte sich, was gerade in Kato vorgegangen war, das er zu
verstehen verpasst hatte.
xxx
Ja ha! Viel zu spät mal wieder und ich bin noch lange nicht da, wo ich sein
wollte, aber solange sich keiner über meine Ausführlichkeit beschwert, geruhe
ich jetzt hier zu unterbrechen, da ich das gesamte Wochenende nichts anderes
getan habe, als an diesem Kapitel arbeiten. Kira und Kato sind eine willkommene
Abwechslung. Charaktere, die ich wirklich vermisst habe.
mangacrack
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