Weihe des Siegelschwerts von Ubeka ================================================================================ Capitulum X: Meskardh - Erinnerungen und Erzählungen ---------------------------------------------------- I. Die Leute sagen, wer nach Meskardh geht, suche bloß Ärger. Nicht umsonst trägt die große Wüste unweit von Seestfor den Namen Gesetzloses Land, denn hier hausen zahlreiche Völker und Kreaturen, denen man in Cardighnas stabileren Gebieten kaum begegnet. Zahlreiche autarke Nomadenvölker gehen in der Wüste ein und aus und zeigen sich wenig erkenntlich über ihre Entdeckung durch Außenstehende; irgendwo im Westen, wo die Berge Kolltbers, das all den Regen für sich beansprucht, aufragen, hausen die vielen Harpyienstämme, die sich vor Allem im Rauben und Plündern der Städte rings um das Ödland verstehen; und zu guter Letzt sind die ungekrönten Herrscher, die sich seit Jahrhunderten mit den Harpyien um das Revierrecht streiten, die Ost-Titanen - seit mehreren Jahren nicht mal mehr im Auftrag des Königreichs, sondern bloß noch in eigener Sache. "Dass diese Gegend zu Cardighna gehört, stimmt maximal auf dem Papier.", meint Alex, "Und wer schert sich schon um einen Haufen roter Dünen?" "Offensichtlich wir, sonst wären wir nicht hier.", entgegnet Sira spitz. In einen viel zu großen Mantel gewickelt schlottere ich ob der unvorstellbaren Kälte dieser Nacht. Ich dachte, das sei eine Wüste, soll es da nicht brüllend heiß sein?! Aber ich komm mir vor, als wär' ich viele Meilen westwärts in den eisigen Bergen! Ich hocke hinter Alex auf dessen Pferd, das sich mürrisch durch das Meer aus rotem Sand quält. Ich hätte ja schon jegliche Orientierung verloren, seit einiger Zeit sehe ich nicht mal mehr einen einzigen markanten Felsen irgendwo aus dem Landschaftsbild ragen. Craylo und seine beiden Dolche sind in Seestfor zurückgeblieben, was mich immer noch etwas wundert. Sira meinte, er solle auf eine gewisse Griselda und irgendeinen Rio warten, falls sie nach Seestfor fänden. Sira bewirft mich mit all diesen Namen, die ich nicht kenne und selbst Alex, der vorher auch nichts von irgendeinem heiligen Schwert wusste, ist jetzt besser informiert als ich. II. Wenige Tage vergehen, und das nur schleppend, auch wenn es für mich immer noch kaum eine ruhige Minute gibt. Zu verunsichert bin ich von dem, was passiert ist, und dem, was kommen mag. Alex lässt uns wissen, wir seien bald an der Wüstenburg angekommen, zu der wir wollen. Sira benützt die Zeit im tagsüber dann doch brüllend heißen Meskardh, um zu versuchen, mein Gedächtnis mit allerlei ausführlichen Erzählungen aufzufrischen. Doch bei mir stellt sich keine wirkliche Erleuchtung ein. Für mich sind Namen wie Cheeta, Hena oder Basgorn immer noch ferne Sagenfiguren - was aber nicht heißen soll, dass ich nicht interessiert bin! "Und dann wäre da ja noch Griselda.", erzählt Sira, "Das ist eine Hexe, die wir auf einem Bauernhof aufgelesen haben, als wir grade erst unsere Reise begonnen haben!" "Und wie ist sie so?" "Oh, sie ist eigentlich ganz nett, aber manchmal wirklich aufdringlich und sogar ein bisschen naiv." Sie hält inne. Ein schelmisches Grinsen schleicht sich in ihre Miene, was mich ganz irritiert werden lässt. "Hm, aber dich scheint das nicht gestört zu haben." Ich frage: "Und was soll das heißen?" "Oh, ich erinnere mich da an solche kleinen Turteleien~. Und bei so einem kleinen Kuss im Mondschein hab ich euch auch erwischt!" Nicht bloß ich, der ungläubig "Was, echt?!" ausruft, bin mehr als überrumpelt, sondern auch Alex, welcher ausruft: "Was, die beiden sind wirklichein Pärchen?!" "Du machst doch Witze!", protestiere ich. Sira lacht. Oh nein, stimmt das wirklich?! Aber was wird Tina denn dann denken? "He, würde eine Víla denn lügen?", säuselt Sira hämisch. III. Am Horizont erhebt sich bereits eine bemerkenswert hohe Schattensäule, da wir einmal wieder unser Nachtlager im Licht des hellen Mondes aufschlagen. "Das wird sie sein, die Zitadelle. Dann können wir maximal noch eine Tagesreise entfernt sein.", stellt Alex fest. "So weit noch?!", erschrecke ich regelrecht, "Aber siehst du denn nicht, wie groß der Umriss da drüben allein schon ist?" "Du hast wohl noch nie von Sepromor gehört, oder?" Sira und Alex belächeln mich wie ein kleines Kind. Das sollen die gefälligst lassen! Ein wenig genervt bohre ich nach: "Ja, und was ist jetzt mit diesem Turm?" "Ich war zwar noch nie selbst bei der Zitadelle, aber jeder sagt, sie wäre wohl das größte Bauwerk in ganz Cardighna. Und das nur wegen des Turms am Ende der Anlage, der wohl den Durchmesser eines kleinen Dorfes hat und etliche hundert Meter in die Höhe ragt. Dieser Turm ist fast so groß wie ein Berg.", erklärt Alex mit Fingerzeig auf den schemenhaften, dunkelroten Umriss. "Heute weiß keiner mehr genau, wer diese Anlage erbaut hat und zu welchem wirklichen Zweck.", erzählt Sira noch, "Vielleicht war es ein Versuch, die Sphäre der Götter zu erreichen, oder das Bauwerk sollte als riesiger Leuchtturm im Wüstenmeer dienen. Hena und ich kennen von einem guten Bekannten sowohl unzählig viele schöne, als auch schlimme Geschichten über diese Festung und ihre vermuteten Ursprünge. Viele munkeln, das sei eigentlich ein göttlicher Gerichtshof, oder irgendsowas, wo Sünder verurteilt und hingerichtet wurden. Oder noch schlimmer, exiliert, und zwar direkt ins Totenreich!" "Und das ist doch eine wunderbare Gute-Nacht-Geschichte, nicht wahr?", scherzt Alex. "Also, haut euch auf's Ohr, morgen geht's dann zum Endspurt!" "Hoffentlich finden wir Ludwig auch.", hofft Sira. Ich zucke mit den Achseln und wickle mich mit einem unangenehmen Kribbeln im Bauch in die Decken ein, um neben dem knisternden Feuer etwas Schlaf zu finden. "Ich fühle mich wirklich betrogen." Die tiefe Stimme lässt mich vor Schreck aus dem Schlaf hochfahren. Die Decken um mich verstreut, sitze ich aufrecht im pechschwarzen Sand und wie ich sehe, sehe ich niemanden. Nicht mal Alex oder das Pferd. "Sira? Alex?", rufe ich in die Nacht. Ganz schleppend und gemächlich stehe ich auf. Außer meterhohen Sanddünnen aus Dunkelheit und dem vom brennenden Mond erleuchteten Nachthimmel kann ich nichts sehen. "Sag mir, wie du heißt." Unverwandt hallt die Stimme aus der Ferne. "Caemintus.", antworte ich verängstigt. Keine Sekunde später zerreißt die Luft, eine filigrane Stahlspitze schießt aus dem schwarzen Firmament, das in zappelnden Fetzen aufgeht. Reflexartig springe ich aus dem Weg der krummen Klinge, komme sprintbereit auf und fasse an meine Seite. Meine Hände greifen ins Leere. Ich starre sie an. Was habe ich grade versucht zu tun? Ich kann das Zerfasern des Himmels gradezu hören, ein auf- und abschwingendes Klingen von hohlem, leisen Rauschen, dann ein Splittern wie von Glas und ein Prasseln. "Der Körper behält, was der Geist vergisst." Ich blicke starr den bärtigen Mann in Weste und Hemd an, der vor mir mit dem gebogenen Schwert aufgetaucht ist. Sein Haar ist dunkel, die Nase spitz und das Kinn lang. "Ein echter Kämpfer beherrscht auch nach Jahren noch die Reflexe, die er einst unter seinen Lehrern erlernt hat." Spannung liegt in der Luft. "Wer seid Ihr?!", will ich heftig atmend von dem dunkelhaarigen Muskelprotz wissen. Unter seinem geschwungenen Schnurrbart sind die Mundwinkel weit nach unten gerutscht. "Was brächte es, wenn ich dir meinen Namen noch verraten würde? Du weißt inzwischen noch weniger über mich als bei unserer letzten Begegnung, Maljus." Er führt einen weiteren Streich aus, auch diesem entkomme ich mit einem waghalsigen Sprung und einer kurzen Rolle. Ich rapple mich auf. Ich werde aus diesem Menschen nicht schlau! Noch so einer, der mir wie aus einem vorherigen Leben vorkommt. "Also kannten wir uns?" "Man könnte es so sagen.", erwidert der Mann mit dem Spitzbart kühl, "Wir sind uns mehrere Male begegnet, seitdem du dich aus deinem Versteck im Wald begeben hast." "Nachdem ich dieses Welsdorf verlassen habe, etwa?" "Ganz genau, Maljus. Man könnte denken, du erinnerst dich wieder. Ich fürchte, der Name 'Forsiano' wird dir dennoch nicht geläufig sein, oder?" Eine flüssige Bewegung und eine Stichattacke folgen, aber zum dritten Mal weiche ich der dünnen Klinge aus. Währenddessen rufe ich: "Den Namen hab ich nie gehört! Nicht mal von Sira und die hat mir erzählt, was angeblich auf meinen Reisen passiert ist! Du musst ein Hochstapler sein! Wo hast du Alex und Sira hingebracht?!" "Mach dir nicht um die Gedanken, die nicht in Gefahr sind, Junge!", mahnt dieser Forsiano mich, "Und bleib lieber aufmerksam!" Als hätten seine Worte etwas ausgelöst, ertönen hinter mir Schritte. Ich muss mich fallen lassen, damit das Sensenblatt mich nicht trifft. Ein grotesk bleiches Mädchen mit violetten Haaren starrt mich aus ihren weißen, orange eingerahmten Augen an. Gleich darauf zerfließt die Erscheinung schon wieder, bis nur noch die Augen reglos in der Luft stehen. "Wo siehst du hin, Spitzohr?!", brüllt ein lockenhaariger Bursche, der sich mit bloßen Fäusten auf mich wirft. Er fällt in den Sand, da ich entkomme, und rappelt sich wütend auf, startet aber keinen zweiten Versuch, mich zu schlagen. Schon löst er sich in dunkle Wolken auf, sein Blick aber hängt in der Luft. "Erkennst du sie nicht, Maljus, die Feinde deiner Vergangenheit?!" Forsiano klingt wie ein unheilverkündender Weiser und hat die Arme weit ausgebreitet. "Was soll das alles?! Wer bist du - wasbist du?!" Aus dem Sand springen plötzlich drei sich bewegende Skelette, allesamt mit gezogenen Kurzschwertern bewaffnet. Kein Streich geht ins Schwarze, nur einmal habe ich kurz das Gefühl, gestreift worden zu sein. Schon verharren die Wiedergänger in ihrer Haltung und rühren sich nicht mehr. "Ich bin hier, um dich zu warnen, Junge. Du hast es mit vielen Übeln bereits aufgenommen, aber was dir bevorsteht, ist schlimmer als alles andere. Vor Allem, wenn du nicht mehr weißt, wie du deine alten Gegner besiegt hast!" "Wovon redest du, verdammt?!", schreie ich. Ich bin schon gefasst, dass jeden Moment die nächste Kreatur versucht, mir den Kopf abzutrennen. Wie gerufen taucht da eine orangehaarige Dame mit welligem Haar auf, die mit der flachen Hand auf meinen Nacken zielt. Knapp entkomme ich der Frau, die sich in eine beigefarbene Nietenrüstung mit goldenen Akzenten und ein blaues Kleid gehüllt hat. Auf ihrem Kopf ruht ein Barett mit einer goldenen Anstecknadel, die ein großes G formt. Sie ist gut gebaut und athletisch, aber aus ihren braunen Augen spricht viel weniger der Kampfgeist. Kaum habe ich sie kurz erfasst, löst sich alles bis auf ihre Augen auch schon auf. Forsiano ergreift wieder das Wort, seine Stimme fegt durch den Sand wie Donner: "Maljus, ich habe ihn gesehen! Einen mächtigen Dämonen, den dein Feind Dyonix aus dem Totenreich beschworen hat." "Etwa diesen Prometheus?!" "Nein, nicht den Umgedrehten König selber." Forsianos Stimme schwillt ab auf ein windgleiches Flüstern. "Sondern seinen Gefolgsmann Geras, den Blutfänger." "Wer ist das?" Forsiano ignoriert meine Frage komplett: "Maljus! Finde zurück zu deiner alten Selbst und entkomme Geras' kalten Klauen des Todes!" "Woher weißt du all diese Dinge, Forsiano?! Nun spuck's schon aus!" "Falls wir uns wiedersehen, wirst du alles erfahren, Maljus. Bleib am Leben…" Er verdampft. Und dann explodiert das Firmament erneut, gibt einen blutenden Himmel frei, die Wüste geht in flammendem Rot auf. Ehe ich mich versehe, steckt da ein Katar in meiner Brust. Und der Maskierte unter dem Helm starrt mich aus seinen dunklen Augen an. "… und enttäusche mich bloß nicht noch einmal." IV. Wenige Tage vor dieser ereignisreichen Nacht, am Nachmittag, irrten zwei ganz andere durch das große Seestfor. Nachdem sie bereits zahlreiche der vielbesuchten Tavernen abgeklappert hatten, schlauchte ihre Suche langsam wirklich und beiden stand die schleichende Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. "Meisterin, ich glaube wirklich nicht, dass es Sinn hat, so nach ihm zu suchen.", erlaubte Rio sich zu sagen. "Aber was sollen wir denn sonst machen?! Ohne Maljus und Sira sind wir aufgeschmissen! Und ohne das Schwert sind sie es!", wehrte sich Selet heftig gegen die Vorwürfe. In ein schützendes Tuch gewickelt, wurde das werdende Siegelschwert fest von ihr umklammert, während Rio Maljus' Pferd an den Zügeln durch die Stadt zog. In dem Pulk aus traditionell gekleideten Cardighnern, modebewussten in terfschen Gewandungen wie dem Kimono oder dem Hakama, sowie lauter fahrenden Händlern aus den Nördlichen Gefilden jenseits von Meskardh, die bunt gestreifte Abayas trugen, fielen sie kaum auf. Auch der in ein paar zu große Lumpen gekleidete Bursche von vielleicht elf Jahren oder zwölf Jahren tat es nicht, der sich ihnen plötzlich näherte und ganz aufgeregt war. Er rief: "Heda! Wartet, ihr zwei! Ihr da, die Hexe und der Dunkelelf!" Sie wandten sich überrascht herum. Der Lockenschopf des kleinen Jungen wehte wie Aschewolken um seinen Kopf, während er sich geschickt durch die Menge manövrierte. Er war ganz außer Atem, als er bei ihnen angekommen war. "Was willst du?" Rios Stimme klang kalt wie Eis. Der Junge ließ sich davon aber nicht beirren. "Seid ihr zufällig die Bekannten von Herrn Craylo? Die suche ich nämlich!" Selets Herz machte einen richtigen Sprung und sie wurde ganz aufgeregt: "Craylo sucht uns?" "Ja, ich sollte nach einer silberhaarigen Hexe und einem schwarzhaarigen Dunkelelfen in Rüstung Ausschau halten, hat er gesagt!" "Was könnte der bloß von uns wollen?", wunderte Rio sich stirnrunzelnd, der den Magier nicht besonders mochte. Er und seine Dolche waren ihm zu lebhaft und aufbrausend. "Bitte bring uns gleich zu ihm!", bat Griselda, die einen Hoffnungsschimmer witterte. Was für ein glücklicher Zufall, dass die beiden Exorzisten hier waren! Vielleicht ist Maljus ja bei ihnen?, überlegte sie. "Nichts leichter als das!", versprach der Junge. "Ach übrigens, ich heiße Alfred!" V. Von Alfred waren sie ins Gasthaus gebracht worden. Craylo saß bereits im Schankraum an einem Tisch in Wandnähe. Direkt hinter ihm hing ein großes Gemälde, dessen metallener Rahmen fast die Deckenbalken berührte. Sowohl der Magier, als auch die Hexe waren mehr als erleichtert, als sie sich gegenseitig erkannten. Flugs setzten sich Rio, Alfred und Selet zu Craylo. Dorac begrüßte sie gleich: "Wie schön, euch wiederzusehen! Siehst du Carod, die Wette hast du verloren! Du schuldest mir was!" Carod erwiderte nur ein mies gelauntes Knurren. Selet kicherte darüber, dass auch dem sprachgeübten Meckerdolch mal die Laune verhagelt wurde. "Gut gemacht, Junge!", lobte Craylo Alfred und drückte ihm zwei Silbermünzen und ein paar Bronzemünzen in die Hand, die der ärmlich aussehende Bursche mit glänzenden Augen anstarrte. Überglücklich rief er: "Herr Craylo, Ihr seid ein herzensguter Mann! Ich danke Euch von ganzem Herzen und hoff', dass Mors's Euch vergelt'!" "Nicht der Rede wert, du hast uns wirklich geholfen, Alfred! Wenn du willst, darfst du noch etwas bleiben und dir was bestellen, das geht auf mich!", bot Craylo dem Jungen an. Dann guckte er wieder Selet und ihren Shikigami an. Schnell beherrschte wieder der Ernst seine Mimik und Stimmlage. "Ich wette, ihr seid hier, weil ihr Maljus sucht." "Ja, aber woher weißt du das?!" "Nun… es gab da eine Begegnung: Wir haben Maljus getroffen. Aber bevor ich euch das erzähle, würde ich zu gerne wissen, wie er überhaupt hierher gekommen ist. Ohne euch, meine ich!" "Viel haben wir nicht herausbekommen.", gab Selet beschämten Blickes zu, "Und wir sind selber noch ganz verwirrt." Sie erzählte Craylo, wie Maljus und Sira eines Morgens verschwunden waren, die Hexe und ihr Diener ganz Klemensbürgen abgesucht hatten und am Abend dank Jallom einen Custos ausfindig gemacht hatten, der bei ein paar Bieren zugegeben hatte, für einen riesigen Trupp fahrender Spielleute das Tor nachts geöffnet zu haben. Er hatte glücklicherweise auch gewusst, dass sie nach Seestfor unterwegs gewesen waren. "Maljus kann eigentlich nur bei dieser Gelegenheit unbemerkt entkommen sein, denn sonst hat niemand ihn gesehen. Natürlich sind wir postwendend hierher." Die Prinzessin stieß einen erleichterten Seufzer aus. Ihre einzige Spur hatte sich als Volltreffer erwiesen, das nahm ihr einiges an Gewicht von den Schultern. "Wir waren auch bei diesem elenden Gauklerpack, aber die haben sich quer gestellt!", schimpfte Rio. "Ich hätte diesem Zwerg die Hand abschlagen sollen, als er Euch packen wollte, Meisterin…" "Das muss dieser Dirk gewesen sein.", leuchtete Craylo ein, der anschließend berichtete, wie er Maljus und Sira gefunden hatte, um sie zu Alex zu bringen. Sobald er geendet hatte, ächzte er mitleidig: "Man, hat er vielleicht Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen…" Alfred meldete sich plötzlich wieder zu Wort: "Das klingt ja richtig gemein! Wer auch immer daran schuld ist, dass euer Freund sich nicht mehr erinnert, hätte es verdient, von den Königsrittern persönlich bestraft zu werden!" "Die Königsritter…?", fragte Rio. Der kleine Alfred zeigte auf das Gemälde über Craylo. Eingeschlossen von einem teuren Metallrahmen voller Schnörkel und Rosenblüten waren darauf acht Ritter in voller Montur abgebildet, die alle ihre Schwerter, erhoben und ihre Wappen auf den Schilden prangen hatten. Von allen Seiten des Bildes ragten die Männer dem Mittelpunkt, Cardighnas schwarzstängliger Rose, entgegen, sodass ihre sich kreuzenden Klingen ein großes Herz beschrieben. Nicht nur die Kunstfertigkeit des Bildes war bemerkenswert, auch die Schwerter der Ritter waren ein Augenfang, denn alle Hefte leuchteten vor roter Farbe, muteten an wie aus lupenreinem Edelstein gefertigt. "Acht Familien, vereint im Herzen des Königs, so heißt es!", begann Alfred aufgeregt zu erzählen, "Die Königsritter waren früher die engsten Vertrauten seiner Majestät neben dem Premierminister." "Diese Geschichte kenne ich!", sprach Selet, "Zaméter von Ardsted, die Tochter von König Alsomas, war einst der Erzfeind der Ungesühnten Armee und sollte ständig geraubt oder ermordet werden, weil sie halbgöttischen Blutes gewesen sein soll." "Ja, genau!" Alfred kam richtig in Fahrt und setzte die Geschichte selber fort. "Darum hat König Alsomas die fähigsten acht Ritterfamilien aus Cardighna ausgewählt, um seine Tochter beschützen zu lassen. Und sie sollen die Ungesühnte Armee in Grund und Boden gestampft haben. Und deswegen hat der König sie als seine obersten Generäle und engsten Vertrauten verpflichtet!" Selet schmunzelte über Alfreds kindliche Begeisterung. Sie lachte: "Du weißt ja eine ganze Menge über die Königsritter! Das hätte ich gar nicht von dir erwartet!" "Das liegt daran, dass meine Familie selbst zu den Königsrittern gehört hat!" Rio verzog nicht mal annähernd seine Steinmiene. Das machten Craylo und Selet aber tausend mal wett. Der Magier hauchte fassungslos: "Dubist ein Nachfahre der Königsritter?!" "Sir Alfred, der Hüter von Recht und Ordnung auf Seeforts Straßen." Alfred zog eine beleidigte Schnute und Dorac zischte allerhand Flüche gegen Carod. Der kleine Junge rief: "Lacht nicht, es ist wirklich so!" "Aber du siehst so heruntergekommen aus.", sagte ihm Rio auf den Kopf zu, "Wie könntest du ein Rittersohn sein?" "Meine Eltern sind tot, aber meine Mutter hat mir immer gesagt, dass Papa ein Ritter war! Und dazu brauche ich auch kein Schwert, um es zu beweisen! Wenn es sein muss, stelle ich die Ehre der Königsritter alleine wieder her, wenn ich groß bin!" Er stand abrupt auf und rannte wutroten Kopfes nach draußen. Selet rief und lief ihm hinterher, doch schon war der Junge weggerannt und im Gewimmel der Straßen verschwunden, so flink, wie er erschienen war. VI. Es war nur ein Traum… man, ich habe vielleicht Bammel gehabt. Kaum hat mich dieser maskierte Kerl durchbohrt, bin ich wirklich aufgewacht. Und dann waren sie auch wieder da, Sira, Alex und der Gaul, auf dessen Rücken ich nun seit einigen Stunden wieder hocke. Diesmal ist der Tag schneller vergangen, als mir lieb ist. Ich fühle mich nicht bereit dafür, die Zitadelle von Sepromor zu erreichen. Liegt es an Forsianos Worten? An seiner Warnung vor Geras, dem Umgedrehten Mann? Oder bin ich bloß nicht vorbereitet, womöglich zu erfahren, dass mein bisheriges Leben tatsächlich eine Lüge war und ich wirklich kein Musikant, sondern ein Prophezeiter bin? All die schönen Erinnerungen an Dirk und seine Leute, ich werde sie einfach verlieren, oder? Wie werde ich den anderen ins Gesicht blicken können, wenn ich weiß, dass sie mir bloß etwas vorgespielt haben? "Du siehst mal wieder nachdenklich aus, Maljus.", spricht Sira mich auf einmal an. Sanftmütig mustert sie mich und beginnt, zu grinsen. "So erkenne ich dich schon eher wieder." "… Sind die Gaukler schlechte Leute?" "Wieso fragst du denn sowas?" "Ich meine, ob ich ihnen etwas vorwerfen kann, wenn ich wieder… 'ich selbst' bin. Kann ich sie dann dafür verurteilen, dass sie mich so freundlich aufgenommen und wie einen der ihren behandelt haben?" "Wir wissen nicht, was genau die Gaukler damit zu tun haben. Aber Maljus, bitte behalte im Kopf, dass dieser Dirk mich eingesperrt hat! Er hat um alles in der Welt verhindern wollen, dass ich mit dir rede. Hätte ich an unserem letzten Tag in Klemensbürgen nicht in deiner Tasche übernachtet, wäre ich vielleicht nie da gewesen, um mit dir zu reden. Was ich sagen will… sie waren mindestens Mitwisser bei deiner Entführung, also haben sie auch Mitschuld." Wieder versinke ich in tiefes Schweigen. Es ist nicht das, was ich mir erhofft habe. Aber wenn Sira Recht behält und ich mich an alles erinnern werde, werde ich ihr danken müssen. Und genauso Craylo und Alex und wohl sogar diesen beiden Dolchen Dorac und Carod. Vorausgesetzt, dass unser Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird - und wir nicht diesem Geras in die Hände fallen. Spät abends, da die Luft schlagartig abkühlt und die Aaswölfe in der Ferne heulen, kommen wir an. Mir fehlen die Worte, um die Imposanz von Sepromor zu beschreiben. Gänzlich aus rotem Sandstein erbaut verschmelzen die letzten Sanddünen mit der langen Treppe, die zu der burgenhaften Front des Bauwerkes führt. Zwei massive Türme, trotz Löcher im Mauerwerk und müde gähnenden Fenstern einem Bergfried ebenbürtig, begrenzen das langgezogene Vorderhaus auf dem erhöhten Plateau. Hinter den Zinnen und Erkern kann man knapp noch das Ende des spitz zulaufenden Kathedralendachs erkennen, auf dessen äußeren Stützsäulen hoch aufragende Zierspitzen aus Gold hocken. Und hinter alledem, immer noch von der abnehmenden Sichtweite schleierhaft und wabernd dargestellt, erhebt sich der unfassbare Hauptturm der Zitadelle, ein Monstrum, das in seinem Durchmesser fast der Breite der Vorderfront entspricht, aber in seiner Höhe diese vielfach übersteigt. Zitadelle ist eine Untertreibung - hier findet nicht bloß eine kleine StadtPlatz! "Nun, Kleiner, biste bereit, in diesem Koloss nach einem braunhaarigen Kerl in schwarzen Sachen und mit einem leuchtenden Schwert zu suchen?", fragt Alex mich ernsten Blickes. "Wenn ich mir Gewissheit verschaffen will… dann habe ich keine andere Wahl.", erwidere ich entschlossen. Jetzt bin ich auf alles gefasst! Ich fühle mich, als könne nichts mich aufhalten! "Das ist die richtige Einstellung!", lacht Alex und gibt mir einen leichten Stoß, ehe ich durch den Schlund von Eingangstor ins Innere von Sepromor hinabsteige. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)