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Anime Evolution: Krieg

Fünfte Staffel
von

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Spezialisten

1.

Vor einem halben Jahr:

Die Halle war riesig. Sie hatte keine Entsprechung auf einem beliebigen Militärstützpunkt auf der Erde oder dem Mars. Sie war schlicht und einfach gigantisch genug, um einen Kampf zwischen zwei Hawks zu zu lassen. Ironischerweise war das auch ihre Aufgabe. Sie gehörte Luna Mecha Research und stand auf dem Mond. Hier testete die populäre internationale Firma ihre Verbesserungen wie den LRAO, den Booster und die verbesserte Energieaufnahme für durch KI katalysierte Kraft. Im Moment jedoch standen keine Mechas in dieser Halle.

Dennoch war sie gut gefüllt. Auf der stadionartigen Grundfläche hatten sich mehr als fünfhundert Personen versammelt. Für jeden gab es einen Klappstuhl, aber keiner von ihnen wollte wirklich sitzen. Die Mischung dieser Versammlung war zu exklusiv und viel zu gefährlich.

Die Anwesenden hatten sich grob orientiert und sich anhand der Eigeninteressen sortiert. Es gab zwei große Blöcke, die aber von diversen Unterströmungen unterwandert waren, welche die beiden Hauptgruppen irgendwie unterminierten. Dazu kam die Herkunft der Leute, nach denen sie sich ebenfalls sortiert hatten.

Admiral Torum Acati seufzte lang und tief, als er dieses Chaos sah. Denn er war der Unglückliche, der es sortieren musste.
 

Acati, Admiral und Oberbefehlshaber der neu eingerichteten Regionaladmiralität des Naguad-Imperiums, dem Terra pro forma angehörte, warf seinen beiden Beisitzern fragende Blicke zu. Die sahen sich rechts, beziehungsweise links am Tisch um, bis insgesamt neun gestandene Offizier ratlos die Schultern hoben.

Erneut seufzte Acati. Natürlich blieb alles wieder an ihm hängen.

Er räusperte sich vernehmlich und erhob sich. Wenigstens stritten die Männer und Frauen nicht, das hätte die Situation erschwert, ihr Vorhaben von vorne herein vielleicht unmöglich gemacht.

Fünfhundert Augenpaare wandten sich ihm zu. Es hätte nicht viel gefehlt, und einer der anwesenden Offiziere hätte die ganze fünfhundert Mann starke Truppe ins Achtung gerufen.

„Meine Damen und Herren. Wir haben sie alle aus einem bestimmten Grund auf den Mond gerufen.“

Ironische Blicke aus Naguad- Anelph- und Menschenaugen trafen den Halb-Dai. So weit hatten die Zuhörer auch schon mit gedacht.

„Ich will die Katze aus dem Sack lassen, bevor die Spannung im Saal noch jemanden umbringt: Sie alle sind hier, um fortan Akira Otomo zu dienen.“

Leichte Unruhe enstand. Der eine Hauptblock setzte sich aus direkten Unterstützern des Sohns von Eikichi Otomo zusammen, der andere Block, der für das raunen verantwortlich war, hielt sich hingegen eher an Megumi Uno.

„Wem das nicht gefällt, der hat genau jetzt die Gelegenheit den Saal zu verlassen. Wer allerdings bleibt, steht unter direktem Befehl der Admiralität und ist zu striktem Stillschweigen verpflichtet. Verlassen Sie uns jetzt, oder sie stehen unter Befehl.“

Diese Worte lösten erneut Unruhe aus. Wortfetzen drangen an die Ohren der Gruppe am Tisch.

Dann aber klang ein kräftiger Bariton auf. Es war lautes, weithin schallendes Gelächter. „Machen Sie Witze, Acati? Sie haben um sich einige der interessantesten und fähigsten Soldaten versammelt, die wir alle kennen! Aris Taral! Doitsu Ataka! Sora Fioran! Daisuke Honda! Kei Takahara! Sostre Daness! Jaque Beauchamp! Jano Avergan Ryon! Egal was Sie hier veranstalten, es wird die Party des Jahrzehnts, und ich werde einen Teufel tun, hier raus zu gehen.“

Zustimmendes Gemurmel erklang. Als kurz darauf die Türen zum Saal geschlossen wurden, hatte nicht einer von ihnen den Raum verlassen.

„Also gut“, sagte Torum Acati ernst, „dann wollen wir mit der Party beginnen. Sie alle, meine Damen und Herren, Terraner wie Anelph und Naguad, wurden von uns Handverlesen, um eine vollkommen neue Einheit zu bilden. Sie werden die zukünftigen Kommandos der United Earth Mecha Force bilden. Ihr Einsatzgebiet wird alle möglichen Orte umfassen: Den Raum, die Luft, das Wasser, den Boden und wenn es sein muss sogar unter dem Boden. Sie werden die Schutzengel unseres jungen Bündnisses sein und notfalls ihr Leben geben, um es zu bewahren. Sie werden im geheimen arbeiten, kämpfen, töten, hinter den Linien, Undercover, auf Raumstationen ebenso wie auf Raumschiffen, mit Mechas, Panzern oder wenn es sein muss mit bloßen Händen.“

Torum Acati stand auf und schlug beide Handflächen auf die Tischplatte vor sich. „Sie, meine Damen und Herren sind die besten der besten der besten! Und es ist mir eine besondere Freude, dass sie sich alle dazu entschlossen haben, im Saal zu bleiben, denn auf diese Weise können wir unsere Vorstellung von dem was wir tun wollten, komplett in die Tat umsetzen. Sie alle werden das Blue Lightning-Regiment bilden. Ihre Ausrüstung wird das beste sein, was wir aufzubieten vermögen und ihre Aufträge werden die gefährlichsten sein. Vom Spionageauftrag über Sabotage bis hin zur gezielten Eliminierung einzelner Personen verlangen wir ihnen alles ab.

Die Menschen, die sie mit mir an diesem Tisch sehen, werden für das Blue Lightning-Regiment Weisungsbefugt sein, aber sie werden sich nicht in die Arbeit der Truppe einmischen. Und das bringt uns zum spaßigen Teil.“ Torum Acati lächelte hämisch. „Wir neun werden den Saal nun für vier Stunden verlassen. Wenn wir wieder herein kommen, erwarte ich, dass sie einen gemeinsamen Oberbefehlshaber haben. Ich erwarte außerdem, dass sie eine ungefähre Vorstellung davon haben, wie das Regiment gegliedert sein soll. Und ich erwarte, dass sich ein Geflecht aus Anführern entwickelt. Arbeiten sie selbst aus, wie groß die kleinste Truppe ist, nach welchen Spezialisierungen aufgeteilt werden soll und wer fähig genug ist, in welcher Umgebung wen an zu führen. Ihr Spezialisten jammert ja immer über Offiziere, die nicht vom Fach sind und unsinnige Befehle geben. Nun habt ihr Gelegenheit, euch selbst zu organisieren. Ach, und Ränge spielen ab sofort keine Rolle mehr. Alle Anwesenden sind mit sofortiger Wirkung ihrer Ränge enthoben. Alle tragen den neuen Rang eines Spezialisten. Ein neues Rangsystem gehört ebenfalls zu den Aufgaben, die ich dieser Versammlung stelle. Oh, das ist wirklich der schönste Tag meines Lebens. Vielleicht wird dies die schlagkräftigste Truppe aller Zeiten. Vielleicht aber auch nur ein guter Lacher für uns neun. Es liegt einzig und allein an ihnen. Bis nachher.“

Die anderen acht erhoben sich und verließen mit Acati den Saal. Die letzte Tür schloss sich mit der Endgültigkeit eines Sargdeckels.

Ein junger SAS-Offizier sprach aus, was in ihnen allen vorging: „Und was jetzt?“

***

Als Torum Acati und seine Begleiter wieder eintraten, wusste der Admiral noch nicht, dass ihn der Schock seines Lebens erwarten würde.

Am Tisch erwartete ihn eine Gruppe aus drei Personen, eine Frau und zwei Männer. Sie trugen die unterschiedlichsten Uniformen, aber Torum erkannte natürlich, dass die Frau eine Fioran-Einsatzuniform trug, während der Mann in der Mitte eine schwarze Uniform ohne Rangabzeichen trug, die von so ziemlich jeder Armee der Welt getragen werden konnte. Der dritte im Bunde hatte die Dienstjacke ausgezogen, aber die grauen Hosen mit den Fingerdicken orangen Litzen verrieten genug über ihn, um ihn als Anelph zu identifizieren.

„Also, was haben Sie mir zu bieten?“

Der Mann in der Mitte erhob sich. „Jason Stafford. Ehemals Army Ranger. Ich habe die Ehre, das Kommando über das Blue Lightning-Regiment inne zu haben.“

Die Frau erhob sich. „Eryn Lycast aus dem Haus Fioran. Ich habe die Ehre, dem Blue Lightning-Regiment als Stellvertretende Befehlshaberin zu dienen.“

Der dritte erhob sich. „Und ich bin der Notnagel, wenn einer von den anderen beiden nicht zu erreichen oder tot ist.“ Die Flapsigkeit aus Auftreten und Stimme verschwanden. „Len Nox Ryon, Zweiter Stellvertreter.“

Stafford räusperte sich. „Sie sehen hier das gesamte Offizierskorps vor sich.“

„Das ganze?“, fragte Aris Taral erstaunt.

„Wir haben uns dazu entschlossen, die gesamte Einheitsstruktur extrem flexibel zu halten. Wir drei stehen aus Sicherheitsgründen als Oberbefehlshaber zur Verfügung, vor allem weil es jemanden geben muss, der Diskussionen abkürzt und das letzte Wort hat. Aber die restliche Truppe wird ausschließlich anhand der Anforderungen der Aufträge zusammen gestellt. Anführer und eventuelle Unterführer werden für diese Aufträge temporär befördert und nach dem Einsatz zurück gestuft. Somit sichern wir uns nicht nur höchste Flexibilität, sondern bewahren uns auch vor einengenden starren Strukturen. Dies erfordert natürlich eine nahezu perfekte Kommunikation, deshalb ersuche ich Sie, Stabsgruppen zusammen zu stellen und den jeweiligen Gruppen im Einsatz zur Verfügung zu stellen, die den Kommunikationsbereich übernehmen. Ebenso brauchen wir eine feste Stabsgruppe für die Versorgung. Ich brauche Garantien, dass wir auch bekommen was wir anfordern. Die üblichen militärischen Spielchen über Anforderung und Tauscherei wäre der absolute Tod für eine Truppe wie das Blue Lightning-Regiment. Im Gegenzug werden wir einmal jährlich Kassensturz machen und offen legen, ob wir wirklich ausschließlich nach Bedarf angefordert haben. Meinetwegen können Sie mir Überbestände dann vom Sold abziehen.“

Torum Acati betrachtete den Mann schmunzelnd. „Ich glaube, wir haben ein Monster erschaffen.“

„Gratuliere, Doktor Frankenstein“, kam es von Sostre Daness.

Auf den fragenden Blick Acatis meinte der Daness-Erbe nur: „Eine Figur aus der terranischen Weltliteratur. Ein Mann, der Gott spielt und Leben erschaffen will. Hier scheint etwas ähnliches geschehen zu sein.“

„Geht die Geschichte gut aus, Sostre?“

„Nein, das tut sie nicht. Ich hoffe, das wird mit dieser nichts zu tun haben.“

„Das ist egal, Sostre. Das Blue Lightning-Regiment muss nicht ewig leben – nur lang genug.“

Entschlossenes Raunen von den frisch gebackenen und härtesten Kommandos dreier Reiche antwortete ihm.

„Kommen wir zum ersten wichtigen Punkt: Das Training.“ Acati grinste wölfisch. „Ich wusste, die Geschichte würde mir noch richtig Spaß machen.“
 

2.

Viereinhalb Monate später.

Die meisten Bewegungen der geheimen Sondereinheit wurden mit Hilfe der Anelph- oder Naguad-Schiffe vollzogen, weil sie selbstständig sprungfähig waren. Die meisten terranischen Einheiten waren dies nicht und auf ein Trägerschiff angewiesen. Oder einen Pulk sprungfähiger Schiffe, sie sie quasi in den Sprung mitnahmen, ein Manöver, das den klangvollen Namen Takahara-Sprung trug.

Und so war es auch diesmal eine schnelle Fregatte der Anelph, die das kleine, zwanzigköpfige Team ins Ziel brachte. Für die Dauer der Mission war ein Anführer ausgewählt worden, der in der Lage war, einen Phoenix zu fliegen und zu benutzen. Fünf weitere Mechas, drei auf Nahkampf umgerüstete Banges, ein Eagle und ein Sparrow, vervollständigten das Bild. Dazu kamen sechzehn Infanteristen unterschiedlicher Herkunft. Einige von ihnen waren terranische SpecOps, also Soldaten die für Special Operations trainiert worden waren. Einige waren Bluthunde der Arogad oder stammten aus vergleichbaren Einheiten der anderen großen Naguad-Häuser.

Man konnte mit Fug und Recht sagen, dass hier einige der Besten zusammengezogen waren, die sich selbst nicht als KI-Meister hatten qualifizieren können, aber im Kampf gegen sie effektiv ausgebildet waren. Sie hatten auch schon erfolgreich gegen feindliche KI-Meister gekämpft, zumindest die meisten von ihnen.

Das Ziel des Einsatzkommandos war ein kleiner imperialer Stützpunkt mit einer wichtigen Kommunikationseinrichtung. Das Kaiserreich der Iovar schlief nicht, im Gegenteil. Erstaunlich schnell war es ihnen gelungen, die Hand auf die mittlerweile bei den Naguad verbreiteten neuen Überlichtschnellen Kommunikationsgeräte zu bekommen. Nun bauten die Überreste des Kaiserreichs eine eigene Kommunikationsstrecke auf, und diese Welt war ein wichtiger Knotenpunkt für die Übermittlung der Daten. Wenn sie diesen Posten eliminierten, dann brach die gerade beginnende Koordination der kaiserlichen Truppen, die sich gegen das Unvermeidliche stemmten, in sich zusammen, und sie kamen einem Frieden und sinnvolleren Verhandlungen sehr viel näher. Ohnehin war der regierende Clan bereits zerrissen und würde nur wieder zusammen finden, wenn jene, die dem toten Kaiser die Treue hielten, endlich die Unsinnigkeit ihres Widerstandes einsahen. Und das bitte bevor sich zahllose außerirdische Völker daran erinnerten, wer ihnen all die Jahrtausende Unrecht getan hatte und im Moment reichlich schwach war.

So gesehen hatte die Mission dieses Splitters des Blue Lightning Regiments eine äußerst sinnvolle Mission. Leider, eigentlich wie immer, würde sie aber damit enden, dass eine Menge Tote herum lagen. Vielleicht eigene, aber hauptsächlich ihre.
 

„Fünfzehn Minuten!“, brüllte der Anführer der Truppe in den Raum. Der junge Anelph mit Namen Zang Kyr Terar hatte sich schnell als kleines Genie auf einem Phoenix entpuppt und war damit die logische Wahl für die Koordination von Mechas und Bodentruppen geworden. Dies war bereits der vierte Einsatz dieser Art den er anführte, und es war abzusehen, dass Stafford und Ino ihn noch des Öfteren berufen würden. Man munkelte sogar, dass Terar einen der drei Offiziere ersetzen würde, sollte einer von ihnen fallen. Und das konnte ihnen jederzeit passieren. Jeden Tag und jede Stunde. Sie waren Soldaten, sie waren Spezialisten und sie riskierten jeden Tag ihr Leben, um die Leben jener anderen, die nicht kämpften, ein wenig sicherer zu machen. Es hatte irgendwie etwas von einem Menschen, der freiwillig in die Hölle ging, um vielen anderen dieses Schicksal zu ersparen.

Die wartenden Soldaten bestätigten leise und professionell. Jeder gestand dem jungen und erstaunlich effektiven Anführer zu, ein wenig nervös zu sein. So lange sich das nur in brüllen äußerte, hatte wirklich niemand etwas dagegen. Vor allem, da Terar ansonsten mehr als effektiv arbeitete. Wie gesagt, er war vielleicht der kommende große Mann im Regiment, das den Kampfnamen des unvergleichlichen Akira Otomo trug, der gerade in diesem Moment mit der AURORA in einen größeren Kampfeinsatz ging. Dabei war der Bursche erst vor kurzem aus seinem medizinischen Sarg befreit worden.

Anderson Lee schüttelte in einer Mischung aus Frustration und tiefer Bewunderung für Akira Otomo den Kopf. Konnte diesen Mann denn gar nichts aus der Ruhe bringen? Konnte ihn nichts töten? Obwohl, er war persönlich sehr dankbar dafür. Denn diesem Mann war es zu verdanken, dass er sich heute an einem Ort befand, von dem er vor drei Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Und er arbeitete in einem unglaublichen Team, das seine Grenzen der Vorstellungskraft beinahe jeden Tag zu sprengen drohte.

Langsam erhob er sich, überprüfte seine Waffe. Sie waren drei Fünf Mann-Teams, die den Auftrag hatten, in die Kommunikationsanlage einzudringen und die Hardware zu zerstören. Vorher aber hatten sie den Auftrag, einen Virus in die Kommunikation einzuspeisen. Danach wandte er sich zur Seite und überprüfte die Ausrüstung seines Nachbarn. Tykoral war zwar eine Sauerstoffwelt, aber die Mission war als Nachtangriff ausgelegt. Ein Fehler bei den Nachtsichtgeräten oder fehlerhafte Ausrüstung konnte Leben kosten. Danach überprüfte er die Ausrüstung zum Nachbar auf der anderen Seite. Währenddessen überprüfte ein Kamerad seine Ausrüstung.

Schließlich nickten ihm die anderen vier Mitglieder seines Trupps zu.

„Alpha bereit“, meldete er Terar.

„Beta bereit.“ „Gamma bereit.“

„Zehn Minuten“, erwiderte der Anelph und ließ mit keiner Regung erkennen, ob er die Klarmeldung seiner Infanterie-Unterführer überhaupt mitbekommen hatte. „Komm aktivieren!“

Jeder der Infanteristen aktivierte nun die kleine Helmkamera und das dazu gehörige Kommunikationsset, bestehend aus Ohrhörer und Kehlkopfmikrophon.

Sämtliche Daten wurden ab sofort permanent in den Phoenix von Terar gesandt. Zudem übernahm ein zusätzliches Auswertungsteam in der Fregatte die Analyse und gab notfalls Anweisungen. Terar konnte nicht überall sein.

„Mechas bemannen“, befahl er und trat an der Spitze von vier erfahrenen Piloten ab.

Lee lächelte dünn. In keiner anderen Einheit hätte man das Potential dieses schmächtigen Jungen so schnell erkannt. Nur hier, im Blue Lightning Regiment.

„Fünf Minuten!“, rief Lee nun selbst. Die anderen Unterführer nickten.

Die Fregatte würde zuerst die Mechas aus schleusen, welche die Banges-Verteidigung der Kommunikationsstation hinweg fegen würde. Danach würden sie sofort abspringen und mit Fallschirmen nahe des Zielgebiets landen. Sie würden sich über Land heran arbeiten, die Station nehmen und Kleinholz aus ihr machen.

Ihr Sprung würde zwanzig Sekunden nach dem Sprungmanöver der Mechas erfolgen.

„Und all das für Blue Lightning“, murmelte er, während er sich vor der Sprungschleuse einhakte.

Dank des Kehlkopfmikrophons hörten ihn die anderen. Zustimmendes Gemurmel klang auf und der Terraner konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Fertig machen!“ X war erreicht, die Mechas sprangen ab und waren vielleicht schon in dieser Sekunde in einem schweren Nahkampf verwickelt. Kurz darauf, nach einer kleinen Ewigkeit oder nur einem winzigen Augenblick fuhr die Schleuse vor ihnen auf. Die trainierten Männer und Frauen reagierten sofort. „GO!“

Nacheinander sprangen sie in die Tiefe.

Nun würde er wieder für Blue Lightning töten. Nicht in seinem Namen, denn die Existenz dieser wichtigen und notwendigen Militär-Einheit hätte ihm sicherlich nicht gepasst. Ihm, dem Mann, der den Rekord mit den Abschüssen hielt, und der in den letzten Jahren von sich reden gemacht hatte, weil er keinen Gegner mehr getötet hatte. Lee würde für ihn töten, auch wenn Otomo dies niemals erfahren durfte und ihn niemals honorieren würde. Aber nicht in seinem Namen. Niemals in seinem Namen.

***

Lee hatte intensive Nahkampfausbildung erhalten, hatte mit der Fremdenlegion trainiert, war mit den Gurkhas gelaufen und hatte sich bei internationalen Wettkämpfen mit Spetznatz und Seals gemessen. Damals hatte er noch zu den Besten gehört. Doch nun wusste er, dass es im riesigen Universum immer wieder bessere gab. Die Attentäter der Fioran, die Bluthunde der Taral oder auch die zähen und bestens trainierten Untergrundkämpfer der Anelph bildeten kleine Eliten für sich.

In dieser Einheit zu dienen und mit diesen Leuten zu kämpfen war das Beste, was ihm je passiert war. Und er tat das, was er am besten konnte: Töten. Eigentlich ein trauriger Gedanke und eine traurige Einstellung, aber er persönlich fand es besser, hier und jetzt ein paar wenige Iovar zu töten, als in einem halben oder ganzen Jahr ganze Heere gegeneinander zu stellen und in den Tod zu hetzen. Und solange er Akira Otomo folgte, glaubte er daran, war er kein Automat, kein simples Werkzeug, sondern ein trainierter Soldat mit einer spezifischen Aufgabe, die er mit all seiner Kraft erfüllte, um jenen zu dienen, denen auch Otomo diente. Diese Philosophie vertrug sich einwandfrei mit jener von Blue Lightning, und auch einer eher humanistischen Philosophie, wie sie in der UEMF allgemein vorherrschte. Denn immerhin war es Akira selbst, der mit über dreitausend verifizierten Kills eine einsame Bestenliste anführte. Nicht, dass ihm das jemals jemand aufs Brot geschmiert hätte. Vor allem nicht in solch einer Situation, in der ein einfacher Einsatz in ein blutiges Gemetzel verwandelt worden war. Blutig für die kopflosen Verteidiger.

„Lee, gehen Sie rein und suchen Sie die Information!“, hörte er Terar über Funk rufen.

„Bestätigt.“ Rund um ihn herum wurde geschossen und wurde gestorben. Sein Team hatte noch keine Verluste erlitten, was vielleicht auch daran lag, dass die Verteidiger sich auf die angreifenden Mechas konzentrierten.

Ihr Fehler. „Alpha Leader, hier Alpha Leader. Wir gehen rein. Wachtnest ausschalten, Eingang sprengen. Gezieltes vorgehen.“

Vier Bestätigungen trafen ein. Sekunden darauf zischte eine Panzergranate auf eine Wachstellung zu, traf sie mittig und zerstörte das automatische Geschütz, welches darin gelauert hatte. Dann huschten zwei geduckte Gestalten auf eine Bunkertür zu, ihre Waffen im Anschlag vor sich haltend. Einer lief, der andere sicherte. Sie brachten Sprengstoff an der Nahtstelle an und brachten sich schnell wieder in Sicherheit. Das Ganze hatte nur wenige Augenblicke gedauert.

„Zünden“, befahl Lee kalt.

Eine Explosion untermalte den Mecha-Angriff noch zusätzlich, dann fiel die schwere Tür, ihres Rahmens beraubt, nach innen.

Sofort stürmten die anderen beiden Teammitglieder heran, warfen Handgranaten in die Öffnung und sicherten.

Lee erhob sich, winkte den beiden Sprengstoffspezialisten. Die drei näherten sich ebenfalls der Tür auf einer Route, von der aus sie nicht von innen eingesehen werden konnten. Was automatisch den Beschuss verhinderte.

„Schneller. Wir haben uns hier etwas übernommen. Die Hauptgarnison ist aufmerksam geworden. Sie haben zehn Minuten, Lee, danach Rückzug zum Sammelpunkt.“

„Wir werden da sein, Terar“, antwortete Anderson Lee.

Sie gingen vor wie im Bilderbuch. Zwei Soldaten gingen voran, zwei Kameraden sicherten sie. Lee als fünfter Mann folgte, sah ab und an nach hinten und betrachtete all das, was seinen Kameraden entging. Und das war nicht viel. Ein kurzer Feuerstoß vorne, und eine Hand winkte sie weiter.

Kurz darauf erreichten sie die Bunkerzentrale. Auch hier wieder das gleiche Spiel. Sprengstoff, ein Knall, jemand warf Handgranaten.

Lee hoffte nur bei sich, dass sie sich dadurch nicht die Chance verbauten, einen der Rechner anzuzapfen, um an die Information zu kommen. Als er in die vor Nebel wallende Zentrale trat, empfingen ihn nur Tote und Verletzte, die nicht mehr zu Widerstand fähig waren.

Anderson Lee lächelte verächtlich. Genau gegen diese Art Angriff sollten diese Iovar eigentlich trainiert sein. Sie hatten kläglich versagt. „Sichern“, befahl er. Zwei Soldaten sicherten die Tür, die anderen gingen umher und räumten auf. Die Verwundeten wurden ihrer Waffen entledigt und die Toten wurden kontrolliert, ob sie auch wirklich tot waren.

Lee wandte sich seinem Spezialgebiet zu: Einen Iovar-Rechner zu hacken und seinen Inhalt runter zu laden. Es gelang ihm relativ schnell und war durchaus im Rahmen der Vorgabe durch Terar.

„Bravo! Charly! Zurück! Zurück! Alpha, Sie sind auf sich gestellt! Wir ziehen den Feind seitlich fort!“, klang Terars Stimme auf.

Lee runzelte nicht einmal die Stirn. Es war Teil der Missionsparameter gewesen, dass ein starker Verstärkungsverband zu früh eintreffen konnte. Aber das konnte ihn nicht erschüttern. Er war bereits beim Download. „Verstanden.“

Nachdem die Dateien auf seinem Datenträger geladen waren, brach er sofort ab und jagte mehrere Schüsse in die Anlage, um wenigstens einen Teil seiner Spuren zu verwischen. Anschließend befahl er den Abmarsch. Ihnen standen nun fünf lange, entbehrungsreiche Tage bevor, um den einhundert Kilometer entfernten Ausweichtreffpunkt zu erreichen. Und das bei möglichem Feindkontakt. Die Fregatte würde nicht auf sie warten, und der Feind würde jede Blöße ausnutzen. Aber wer mochte es schon leicht?

***

Vier Tage und achtzehn Stunden später traf ein ausgelaugter, müder Fünfer-Trupp am Treffpunkt ein und wurde dort von den eigenen Leuten empfangen. Nachdem ihre Identität verifiziert worden war, eskortierten die Spezialisten ihre Kameraden zur wartenden Fregatte. Dort übergab Lee den Datenträger, den er wie seinen Augapfel gehütet hatte. Und obwohl ihm vor Erschöpfung fast die Augen zufielen, bestand er darauf, bei der Auswertung dabei zu sein.

„Informieren Sie so schnell wie möglich General Ino“, sagte Terar schließlich. „Wir konnten den Knotenpunkt ausschalten. Und wir haben die Information, die wir befürchtet haben. Dem Kaiser der Iovar ist die Flucht gelungen, bevor sein Palast zerstört wurde.“

Lee unterdrückte ein Gähnen. Das versprach weitere, interessante Einsätze für das Blue Lightning-Regiment.
 

3.

Gegenwart:

Ein kluger Mann hatte mal Krieg als eine lange Zeit der Untätigkeit und Langeweile, unterbrochen von Momenten des Wahnsinns und den tödlichen Schreckens definiert, und ich fand wirklich, dass er damit Recht hatte. Kaum das die AURORA mit ihrer Begleitflotte aus dem Sprung gekommen war, hatten wir einen Verband Strafer der Götter geortet. Zum Glück weit von uns entfernt, zum Glück nicht in die Richtung, in die wir triangulierten, um das Sonnensystem verlassen zu können. Und zum Glück ließen sie die hiesige Iovar-Siedlung in Ruhe, was Bände darüber sprach, welche Prioritäten die weißen Schiffe der Götter mittlerweile setzten. Aber sie hatten sich redlich bemüht, uns einzuholen, und mit den Möglichkeiten der Götter bedeutete dies, dass sie beinahe auf Schussweite heran gekommen waren. So dreist, das von uns benutzte Wurmloch ebenfalls zu verwenden waren sie dann doch nicht gewesen, und das hatte uns eine Möglichkeit gegeben, die Maschinenschiffe der Götter ein wenig... Nun, zu irritieren. Durch unsere KI-Meister verstärkt hatten wir das Ziel des Tunnels über die sonst üblichen knapp dreißig Lichtjahre hinaus geweitet und sprangen nun fast vierzig. Eine bessere Methode, die Götter eine Zeitlang unsere Spur verlieren zu lassen gab es nicht. Dadurch dauerte der Flug zwar eine Woche länger als geplant, übersprang aber zwei Sonnensysteme, von denen eines unser Ziel gewesen wäre. Und in dem eventuell bereits ein paar Strafer auf uns lauerten. Wir waren zuversichtlich, dass unser kleiner Streich die Robotschiffe irritierte, denn die Fähigkeit für derart weite Sprünge hatten wir nach dem Zwischenfall im Andea Twin-System nie wieder präsentiert. Damals war ein Riesenplanet mit der zehnfachen Masse des Jupiters zwischen seinen beiden Muttersonnen regelrecht zerrissen worden und hatte dabei einen einer Nova nicht unähnlichen Effekt ausgelöst. Seine verlorene Materie war zu ultraheißem Plasma umgewandelt worden und hatte sich wie bei einer Druckwelle im System verteilt. Wir hatten damals mit Hilfe unserer KI-Meister den Sprung ins nächste System forciert, lange bevor es eigentlich möglich war, weil wir noch nicht den Rand der Schwerkraftsenke erreicht hatten – und die Druckwelle hatte uns durch unser Fluchtwurmloch getrieben wie den Sektkorken aus dem Flaschenhals.

Aber das war Vergangenheit. Und eigentlich auch Allgemeinwissen, sowohl bei uns, als auch bei den Naguad und den Anelph. Aber ich gestand den Göttern zu, dass sie wohl leichte Probleme hatten, sich in die Datennetze dieser Völker einzuklinken.

Für mich und für alle anderen bedeutete dies vor allem eins: Einen Wurmlochsprung und selige Ruhe. Ruhe, die von den Menschen in Fushida City genutzt wurde, um die vielfältige Kultur zu würdigen. Oder, banal ausgedrückt, es wurde mal wieder gefeiert, dass die Schwarte krachte.
 

Mit Zuckerwatte in der einen Hand und einem Hot Dog in der anderen schlenderte ich über das Straßenfest. Nicht nur das Japanische Viertel verstand etwas davon, eine große Party aufzuziehen. Auch die Deutschen konnten überraschen mit Schaubuden, diversen ungesunden Leckereien, Jahrmarktsattraktionen vom Karussell bis zur Looping-Bahn... Mit einem Wort, ich war beeindruckt, was Mutters Volk auf die Beine zu stellen vermochte. Besonders interessant fand ich in dem Zusammenhang, dass sie sowohl französische Crêpes als auch italienische Pizza und türkischen Kebab anboten. Für mich ein Beweis für das Multikulturelle Selbstverständnis einer Nation. Ich wünschte mir, alle Völker wären so unbefangen und bereitwillig, neue Impulse aufzunehmen. So dachte ich zumindest, bis ich tatsächlich einen Stand entdeckte, an dem Crash-Eis mit Aufgüssen aus verschiedenen Geschmacksrichtungen verkauft wurde. Eine typische japanische Speise. Aber immer noch besser, als wenn sich die Verkäufer an Sushi vergangen hätten.

Natürlich begleitete Yoshi mich, wie bei allen solchen Gelegenheiten. Das hatte nichts mit unserer Freundschaft zu tun, es war eher ein Überlebensinstinkt. Die Frauen waren shoppen, und wir bildeten eine Zweckgemeinschaft, eine Bruderschaft des amüsierens, um nicht mitgeschleppt zu werden. Denn ehrlich gesagt war Lady Death vielleicht die beste Mecha-Pilotin in diesem Teil des Universums, aber Megumi Uno war eine typische „Kannst du mal diese fünf Einkaufstüten tragen?“-Frau. Dem entging ich, indem ich mit Yoshi abhing. Für ihn und meine Schwester galt das gleiche, und so waren alle zufrieden. Megumi, Yohko und die anderen weiblichen Mitglieder konnten in Ruhe stöbern und einkaufen, und ich schlenderte mit Yoshi gemütlich über das Fest. Es gab Ausnahmen, nicht so gut trainierte Exemplare der Gattung Mann, die den Damen als Packesel dienten... Deren Schuld. Ich hatte versucht, Kei und Doitsu zu warnen. Aber vielleicht hatten sie einfach zu sehr auf den guten Willen ihrer Mädchen vertraut und vergessen, dass darin das Problem lag: Sie waren auch Mädchen.

Aber es war eine legitime militärische Regel, manchmal eine Einheit zu opfern, um eine andere zu retten. Mehr hatten Yoshi und ich nicht gemacht. Ein böses Erwachen für die Freunde.

Andere würden diese schmerzhafte Erfahrung erst noch machen müssen. Ich dachte da speziell an meinen besonderen Freund Tetsu, den Kommandeur der AURORA. Er würde schon bald merken was es bedeutete, zu nahe bei Sakura zu leben... Oder Michi. Der arme Bengel ahnte noch nicht, was ihm da bevor stand.

„Wenn man vom Teufel spricht...“, murmelte ich amüsiert und stieß Yoshi in die Seite. „Schau mal. Tag und Nacht im Kimono.“

Kurz musterte mein bester Freund das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren in ihrem weißen Kirschblütenkimono, danach den weißhaarigen Jungen im eher schmucklosen dunkelblauen Kimono. „Ich komme mir gerade etwas unjapanisch vor, so in Bermudas und Polohemd, wenn ich die so sehe.“

Ich grinste leicht. „Unjapanisch. Was du für Wörter kennst. Vergiss nicht, dass du halber Deutscher bist.“

„Vergiss du nicht, dass du zur Hälfte Naguad bist“, konterte er. „Was tragt ihr eigentlich zu Festen so?“

„Keine Ahnung. Ich war immer nur bei Gelegenheiten, wo sie ganz formell das getragen haben, was bei ihnen als Geschäftsanzug gilt, oder wenn sie Cosplay mit UEMF-Uniformen betrieben haben.“

„Cosplay mit UEMF-Uniformen? Ich erinnere mich dunkel, auf Nag Prime stellenweise zu Tode entsetzt gewesen zu sein“, murmelte Yoshi. Er hob die Hand. „Michi! Akari-chan!“

Die beiden fuhren zusammen, als seine Stimme aufklang. Ich sah belustigt, wie sich ihre Hände lösten. Ja, die zwei waren mittlerweile so eng miteinander, dass man ein Brecheisen benötigt hätte, um sie wieder zu trennen. Mein Lächeln erstarb, als ich mich zu fragen begann, wie weit die zwei schon gegangen waren. Ich hatte meinen ersten Sex immerhin erst mit achtzehn gehabt, und für eine Frau galt mindestens das doppelte Alter und... Okay, da ging wohl der große Bruder mit mir durch. Mühsam zwängte ich diese Gedanken in die große, verbotene Kiste in meinem Unterbewusstsein zurück. Die würde ich erst öffnen dürfen, wenn Michi es wirklich versaut hatte. Und ehrlich gesagt wusste ich dann noch nicht, ob ich nicht eher ihm beistehen sollte, immerhin mochte ich den Kleinen, der mich einst hatte töten wollen, mittlerweile wie einen kleinen Bruder.

„Akira-oniichan!“ Akari setzte ein falsches Lächeln auf und kam auf uns zu. Zögernd folgte Michi ihr. Zögernd? Normalerweise hatte er keine solche Angst vor mir. Geschweige denn Yoshi. Was hatte der Bursche verbrochen?

Michi stockte im Schritt, er musste meine Miene gesehen haben. Und das machte mich erst Recht misstrauisch. Was ihn dazu brachte, noch langsamer zu gehen. War ich wirklich so schrecklich? Oder war sein Gewissen so schlecht?

„Dieser blassrosa Lippenstift steht dir, Akari-chan“, sagte ich freundlich und strich meiner kleinen Adoptiv-Schwester, die vor gar nicht langer Zeit noch ein Oni gewesen war, über den Kopf. Sie quittierte das mit einem beinahe kindlichen Lächeln, das leicht darüber hinweg täuschte, dass sie bereits siebzehn war, und die achtzehn schon am Horizont sehen konnte.

„Dir steht er übrigens auch ziemlich gut, Micchan. Aber ich empfehle für dich doch eher einen dunkleren Ton.“

Michi erschrak furchtbar, trat einen Schritt zurück und stolperte. Die beiden hatten offensichtlich rumgeknutscht. Einerseits erleichterte mich das, andererseits ließ das meine kleinste Schwester noch weiter von mir fort driften, mehr oder weniger. Aber ich war ja keiner dieser Besitz ergreifenden, dominanten und furchtbar engstirnigen großen Brüder. Lächelnd bot ich Michi Torah die Hand und zog ihn hoch.

Dies war eine Sache, die ich den Rest meines Lebens bereuen würde, als eine Blume aus seinem Blut auf seiner Brust aufging und seine Augen sich ungläubig nach oben drehten. Ich hatte ihn beim hoch heben direkt in die Schussrichtung eines Snipers gezogen.

***

Zwei Stunden nach dem Zwischenfall am deutschen Fest erwachte Michi Torah aus einem tiefen Traumlosen Schlaf. „Was ist passiert?“, fragte er mit rauer Stimme. Kurz darauf umarmte ihn etwas weiches, Vertrautes. „Micchan, du lebst!“ Heiseres Schluchzen erfüllte die Luft und warme Tränen durchnetzten sein Haar. Er öffnete die Augen und erkannte Akari, die beinahe auf ihm lag und dabei Rotz und Wasser heulte. „Micchan, ich bin so froh. Ich bin so froh.“

„Was ist denn passiert? Ich weiß nur noch... Wie alles so hell wurde.“

„Das kann ich dir wohl am besten erklären“, sagte Yoshi Futabe ernst. „Da draußen war ein Sniper, der Akira töten sollte. Eigentlich war er dazu da, ihn zu beschützen, aber ein KI-Agent hatte ihn übernommen. Akira und die anderen jagen und stellen ihn gerade.“

„Verstehe. Hat er stattdessen mich getroffen?“

„Das hat er. Und er hat dich getötet“, klang eine weitere Stimme auf.

Irritiert sah Michi zur Seite und erkannte eine blonde Frau in UEMF-Uniform, die ihn mit ernster Miene musterte. „Sprich: Ein Mensch, vielleicht sogar ein KI-Meister wäre getötet worden. Du aber wurdest von deiner Dai-Hälfte gerettet.“ Sie hielt ein Foto hoch. Es stellte einen stark blutenden Tiger dar, der auf einem Krankenbett lag. „Du hast deine Fähigkeit der absoluten Körperkontrolle genutzt und dich in diese KI-Rüstung gehüllt. Sie hat verhindert, dass du wirklich gestorben bist. Und sie hat dich vor Akari gerettet.“

„Gerettet? Vor Akari? Was soll dieser Unsinn? Autsch!“

„Liegen bleiben, Michi“, befahl die Frau ernst. „Du wurdest von einem halben Dutzend der besten KI-Meister der AURORA behandelt, aber du bist nicht gesund. Du musst hier mindestens noch eine Woche liegen.“

„In Ordnung. Aber was soll dieser Quatsch über Akari?“

Yoshi seufzte schwer. „Lass mich das bitte übernehmen, Cynthia-baachan.“

Die Miene der Blondine verzog sich zu einem unwilligen, bösen Gesicht. „Hast du mich Baachan genannt, Yoshi-kun?“

„Cynthia-chan?“

„Schon besser“, säuselte sie. „Auch als fünftausend Jahre alte Dämonin bin ich nicht wirklich alt genug, um alte Tante genannt zu werden. Merk dir das.“

Yoshi nickte hastig. Aber er fand seine Mitte schnell wieder. „Akari hat...“

„Es tut mir so Leid. Micchan, es tut mir so Leid“, hauchte Akari aufgelöst.

„Nun halt doch endlich mal die Luft an!“, blaffte Yoshi wütend. „Es ist ja nichts passiert, als du deine eigenen Dai-Kräfte entfaltet hast!“

Ängstlich vergrub sie ihr Gesicht neben Michis Kopf auf dem Bett.

„Was?“ Ungläubig sah Michi seine Freundin an.

„Ihr seid beide Dai“, fuhr Yoshi fort. „Halb-Dai, wohlgemerkt. Wobei fest steht, dass ein Elternteil Dai war, der andere jedoch ein Mensch. Bei dir und Juichiro Tora war das anzunehmen, Michi, aber bei dir ist das doch eine Überraschung, Akari.

Jedenfalls hat sie ihre gesamten Kräfte auf einen Schlag entfesselt als sie dachte, du wärst gestorben, Michi, und damit hätte sie beinahe Fushida City ausgelöscht. Aber Akira ist immer noch wesentlich stärker als sie, und hätte ich nicht deine Vitalwerte stabilisieren müssen, hätte ich ihm dabei geholfen. Wäre nicht nötig gewesen, aber dann würde nicht Akaris Sold in Zukunft für Straßenreparaturen drauf gehen.“

„Ich sagte doch, es tut mir Leid“, murmelte sie.

„Jedenfalls macht vieles jetzt Sinn“, meldete sich die blonde UEMF-Offizierin zu Wort. „Die Geschichte, du seist ein Oni, der zum Menschen geworden ist, die Tatsache, dass Tora dich vergiftet und für deine Verfluchung gesorgt haben soll... Kein Wunder, das er dich interessant fand. Immerhin hat er eine Halb-Dai in dir erkannt. Nein, eigentlich eine Viertel-Dai, denn deine Mutter war die Halb-Dai. Natürlich konntest du damals nicht an Gift sterben. Und natürlich hast du in deinem Grab die Flüche der Witwen gehört. Damals hast du den Schritt zur Dai gemacht, und nur deshalb konnte dein Vater dich in diesen engen Schrein sperren. Sicherlich war auch er es, der dir eingeredet hat, ein versiegelter Oni zu sein. Ich wünschte, ich wäre damals da gewesen. Ich hätte so vieles ändern können, verhindern können. So aber hat dein Vater das einzig Richtige getan.“

Vor den Augen der anderen verwandelte sich die Offizierin in eine Löwengestalt mit Frauenkopf, bekannt als die klassische Sphinx. Dieser Eindruck währte aber nur Sekunden, dann stand bereits wieder die uniformierte Frau vor ihnen. „Ich bin Dai-Sphinx-sama. Eine der großen Dämonenkönige unter Dai-Kuzo. Und ich bin deine Großmutter, Akari-chan.“

Erschrocken sah die junge Frau auf. „Was?“

„Glaub es ruhig. Traurig, das wir das nicht früher herausgefunden haben. Das mit dem Dai-Blut und so“, murmelte Yoshi. „Aber mein Opa hat bestätigt, das ihr zwei eng verwandt seid. Es erklärt auch deine Macht und deine Fähigkeiten als Slayer. Es erklärt, warum ihr beide so mächtig seid.“

„Vielleicht etwas zu mächtig. Aber da das nun geklärt ist, werde ich euch beide in den Wegen der Dai unterweisen“, fügte Cynthia hinzu. Sie streckte eine Hand aus, die sie Michi auf die Stirn legte. Die andere reichte sie Akari. „Das heißt, wenn ihr mir vertraut.“

Einen Augenblick zögerte sie, dann ergriff Akari die Hand. „Du erinnerst mich an Akira“, sagte sie zögerlich.

„Einer meiner Nachfahren ist ein Vorfahre von Eikichi. Ihr seid also verwandt, um ein paar tausend Ecken“, sagte sie freundlich. „Akira muss das von Anfang an gespürt haben, sonst würde er dich nicht so sehr lieben.“

In den Augen des Onis standen plötzlich wieder Tränen. „Und ich enttäusche ihn so.“

„Niemand ist enttäuscht. Und ich habe endlich eine Spur meiner verschollenen Tochter gefunden. Besser noch, ich habe einen Beweis gefunden, das sie gelebt hat.“ Cynthia zog Akari um das Bett herum und dann an ihre Brust. Niemand, der die beiden sah, hätte auch nur eine Sekunde am Wahrheitsgehalt ihrer Worte gezweifelt.

Michi warf Yoshi einen unsicheren Blick zu.

Der KI-Meister winkte ab. „Frag nicht. Hake nicht nach. Denk nicht mal dran. Es klärt sich alles die nächsten Tage.“

„Alle dreitausend Fragen?“, spottete der junge Halb-Dai.

„Vielleicht zweitausend“, murmelte Yoshi. Der Tag bot einige Überraschungen bisher, und er war noch lange nicht um. Da würde bestimmt noch was kommen. Und er würde Recht behalten.

***

Eine gute Hetzjagd bestand aus zwei Teilen. Erstens, man durfte den Kontakt zur Beute nicht verlieren. Zweitens, man musste den Weg bestimmen, den sie ging.

In meinem Fall war es ein Sniper, ein Scharfschütze des zivilen paramilitärischen SWAT-Teams, das wir auf der AURORA etabliert hatten. Mir war klar, dass der junge Mann, ein Sergeant vom LAPD, der sich quasi ein Bein ausgerissen hatte, um auf dieses Schiff kommen zu können, nicht der Täter war, sondern genauso ein Opfer wie Michi und Akari. Wir hatten es mit einem KI-Agenten zu tun, und das machte alles doppelt so schwer. Wir mussten nicht nur den Attentäter stellen, sondern auch den jungen Sergeant retten. Die beste Methode um dies zu erreichen war ihn zu hetzen und ihn glauben zu lassen, er könnte immer noch entkommen.

Ich selbst beteiligte mich an der Treibjagd, und ich hatte nicht vor, jemand anderem den Vortritt zu lassen, wenn der Zugriff befohlen wollte. Ich wollte das nicht nur, weil der Bastard eigentlich auf mich gezielt hatte, oder weil er den Freund meiner Schwester, meinen einzigen Schüler beinahe getötet hätte. Das alleine war schon Grund genug, die Sache persönlich zu nehmen. Aber ich wollte dieser Technik, das eigene KI in einen fremden Körper zu verpflanzen, ein für allemal einen Riegel vorschieben, und dabei vielleicht auch erfahren, wohin der Core damals Corinne Vaslot entführt hatte, die KI-Agentin, die zu uns übergelaufen war. Man hatte ihren Körper vor ihren Augen entführt, und ihr war gerade so der Rücksprung gelungen. Sie war eine Freundin geworden, und Freunde ließ ich nie im Stich. Also hatte ich mich relativ spät noch eingeschaltet, nachdem die hervorragende Polizei, unterstützt durch Doitsus Yakuza, den Attentäter bereits aufgestöbert hatte.
 

In meiner linken Hand ruhte mein Katana. Ein Erbstück aus einer Zeit, in der die Dämonen noch weitaus zahlreicher gewesen waren, und eine ganz formidable Waffe, die mein eigenes KI bereitwillig aufnahm, um eine noch tödlichere Waffe zu werden. Mit ihr würde mir alles gelingen.

Kurz schweiften meine Gedanken zurück zu dem Moment, als Michi die Augen verdreht, vor mir zu Boden gesackt, und Überschlagblitze seines KIs über seinen Körper gehuscht waren... Und Akari neben ihm in Entsetzen und Hysterie ausgebrochen war. Noch immer sah ich sie vor mir, schreiend, weinend, umgeben von einer Aureole, die jener ähnelte, die ich einst im Kampf gegen Torum Acati emissiert hatte, und mit der wir beide uns durch mehrere hundert Meter Gestein gefressen hatten. Auch ihre Aura hatte begonnen molekulare Bindungen zu lösen und die Materie unter ihren Füßen zu vernichten, während ihre Aura sich mehr und mehr aufgepumpt hatte.

Mir war keine andere Wahl geblieben, als meine eigene Schwester mit einem gezielten KI-Stoß zu betäuben, bevor sie in ihrem Schock die ersten Menschen in ihrer Umgebung unwissentlich verletzt hätte. Dann hatte ich sie wie ein totes Bündel Stroh in meinen Armen gehalten, und mir war erst bewusst geworden, was der Oni eingetauscht hatte, als er von Dai-Kuzo wieder zum Menschen gemacht worden war. Dieser schmale, leichte Körper war so zerbrechlich gewesen, so zart und so leicht zu verletzen, dass es mich geschaudert hatte. Mehr denn je hatte ich ihre Existenz und ihr Glück beschützen wollen, mehr als ohnehin schon.

Nachdem man mir Akari abgenommen hatte, und Michi, der sich mittlerweile in eine KI-Rüstung versetzt hatte, versorgt worden war, hatte ich mich nach einem kleinen Umweg auf die Jagd gemacht. Ich wusste Yoshi bei ihnen, mehr Garantien für ihre Sicherheiten brauchte ich nicht.
 

Der Mann war schnell, präzise, gut trainiert und hatte sich schon lange seiner Dienstkleidung und seiner Waffen entledigt. Dennoch war er uns nicht entkommen, und gezielte Straßensperren und auffällig eingesetzte Zivilfahnder trieben ihn mehr und mehr in die Richtung, in die wir ihn haben wollten. Nachdem einer unserer KI-Meister seine Aura erfasst hatte, gab es für ihn kein Versteck mehr.

Der Ort des Zugriffs war ein kleiner Park, den wir in aller Eile geräumt und mit unseren Agenten durchsetzt hatten. Somit konnten keine unbeteiligten Bewohner Fushidas in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich selbst kam relativ spät in den Park, war ich doch einer von denen, die permanent die Position der Beute kontrolliert hatten. Aber den Zugriff wollte ich selbst durchführen.

Also setzte ich mich mitten im Park auf eine Bank und wartete.

Es dauerte nicht lange, bis der Mann aus L.A. ebenfalls in den Park kam.

Als er weit genug auf den Wegen ausgeschritten war, gab ich das Zeichen, und die Ausgänge wurden von Streifenwagen besetzt, die Agenten zogen ihre Waffen und bedrohten den Scharfschützen, und ein Sauerstoffdistributor, einer der gigantischen Zeppeline innerhalb der AURORA, senkte sich über der Szene herab und gestattete eigenen Scharfschützen, Ziel zu nehmen.

Ich erhob mich und ging zu dem Mann herüber. „Du bist gescheitert“, sagte ich ernst. „Jetzt ist die beste Zeit, um aufzugeben. Wir versprechen dir dich nicht auszulöschen. Eine weitere Flucht ist sinnlos, wir kennen jetzt dein KI-Muster.“

Der Mann sah sich verzweifelt um, dann ruhte sein Blick auf mir. Je näher ich kam, desto zufriedener wurde er. Der Halunke plante etwas, und ehrlich gesagt war mir das gerade sehr willkommen. Ich würde mich überraschen lassen.

„Kam dir das folgen meines KI-Musters nicht viel zu leicht vor, Otomo?“, raunte er, als wir uns fast erreicht hatten.

Ich ersparte es mir den Überraschten zu spielen, zu versuchen fortzulaufen oder eine sonstige Dummheit zu machen. Stattdessen lächelte ich dünn, die Rechte auf dem Griff meines Katanas und sagte: „Gib dein Bestes!“

„Dafür bin ich hier!“ Übergangslos hüllte uns eine Lichtexplosion ein.
 

„Dies ist eine höhere Ebene, die dem Geist vorbehalten ist, Otomo“, sagte der Attentäter mit einer gewissen Vorfreude in der Stimme. „Nur sehr gut ausgebildete Krieger können sie erschaffen und stabilisieren. Sie hat nichts mit KI zu tun, sondern ist ein Ausdruck höchster geistiger Disziplin. Wahre Meister trainieren und kämpfen fast nur auf dieser Ebene... Und manchmal... Manchmal töten sie auch auf dieser Ebene.“

Ich musterte den anderen. Kleiner, etwas dicker und eindeutig asiatisch war sein Erscheinungsbild, was mich wohl zu Recht vermuten ließ, dass ich diesmal den KI-Agenten vor mir hatte.

„Ich kenne diese Ebene. Ich habe früher oft hier trainiert“, sagte ich sinnierend. „Hier habe ich so manche Schlacht geschlagen.“

„Gut, damit mussten wir rechnen. Deshalb ist diese Welt modifiziert. Hier gibt es nichts stärkeres als mich, und ich werde dich vernichten! Ist dein Geist verloren, wird dein Körper schon bald nachfolgen!“

Langsam ging der Agent auf mich zu.

„Bevor du mich tötest, gestatte mir eine Frage. Du hattest nie wirklich vor, auf mich zu schießen, oder?“

Der andere lachte. „Nein, natürlich nicht. Zuerst hatte ich das Mädchen im Visier, aber dann dachte ich, wenn ich den Jungen erschieße, während du ihm beim aufstehen hilfst, dann wirst du dich eher selbst an der Jagd beteiligen und mich persönlich hetzen. Damit ich dich dort habe, wo ich dich haben will.“

„Nächste Frage“, sagte ich ohne eine Miene zu verziehen. „Warum willst du mich töten?“

„Ich werde dafür bezahlt.“ Wieder trat er einen Schritt näher.

„Ist das alles? Ich kann dir weit mehr zahlen. Mir gehören mehrere Planeten und Monde.“

„Nun, es geht mir nicht ausschließlich ums Geld. Ich sehe in dir und deinesgleichen eine, hm, Krankheit. Ihr KI-Meister mit euren monströsen Fähigkeiten seid wie ein schlechtes Gen, das sich in die Menschheit eingeschlichen hat, und nun droht es auf alle Menschen überzugreifen. Wir können das nicht tolerieren. Wie gefährlich ihr KI-Meister seid hat man doch gesehen, als das Mädchen ausgetickt ist. Sie ist ein Monster, und ich werde mir die Zeit nehmen, auch sie bei passender Gelegenheit zu töten. Aber egal. Du bist da wo ich dich haben will, Otomo. Mehr wollte ich nicht erreichen.“

Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. „Dieses Monster ist meine Schwester! Alleine deshalb hättest du schon Strafe verdient. Aber da du auch noch ein mieser kleiner Rassist bist, werde ich mich nicht zurück halten.“

„Hallo? Otomo, hast du mir nicht zugehört? In dieser Sphäre bin ich das stärkste Wesen! Ich allein! Du kannst hier nichts machen, nur sterben!“ Mein Gegner begann von innen heraus zu glühen. „Und genau das werde ich mir nun aus nächster Nähe ansehen.“

Ein Lichtblitz ging von ihm aus, erfasste mich und schleuderte mich Meterweit davon. Mühsam rappelte ich mich wieder auf. „Was war das?“

„Nenne es einen Virus. Er wurde speziell entwickelt, um dein KI zu vernichten. Und damit auch dich, Otomo. Du musst nur einmal davon zu schmecken kriegen und bist bereits verloren. Also, ab jetzt läuft deine Uhr ab. Und ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, ob ich dir beim langsamen Sterben zuschauen sollte, oder ob ich dir noch weitere qualvolle Dosen verabreichen sollte. Beides hat seinen Reiz für mich.“

„Warum greifst du mich überhaupt an? Wir haben Frieden mit dem Legat.“ Mühsam kam ich wieder auf die Beine. Alle Gliedmaßen fühlten sich an als wären sie mit Blei ausgefüllt.

„Oh, der Legat. Ich bitte dich. Diese Versager-Organisation, die zu deinem Schoßhund geworden ist, hat mir nichts mehr zu sagen. Aber es gibt andere, mächtige Menschen, die den Naguad-Bastard auch gerne tot sehen würden. Ich habe viele einflussreiche Gönner. Ja, auf der Erde denken viele Menschen, dass du Monstrosität endlich verschwinden solltest. Und ich führe ihren Willen aus.“

Ich lächelte kalt. „Idiot.“

Eine weitere Welle erfasste mich, trieb mich mehrere Meter nach hinten. Aber diesmal fiel ich nicht.

„Vergiss nicht mit wem du sprichst, Otomo! Ich bin dein Tod!“

„Nein, Dummkopf! Ich bin der deine!“ Langsam legte ich beide Hände zusammen, auf die gleiche Art, auf die ich mein Katana hielt. Ebenso langsam entstand die Waffe aus Licht, aus Wärme und meinem Willen.

„Das ist unmöglich! Du kannst keine Waffe herbeirufen! Dies ist meine Welt!“

„Das mag sein. Aber ich trainiere in diesen Dimensionen schon seit sieben Jahren. Sie haben keine Geheimnisse mehr vor mir. Hier oder in der Realität, es ist für mich dasselbe.“ Ich lächelte dünn. „Und übrigens, deinen Virus kannst du dir in die Haare schmieren. Ohne KI keine Wirkung, und ich habe, seit ich hier bin, mein KI komplett gelöscht.“ Langsam hob ich die leuchtende Waffe über meinen Kopf. Dann machte ich einen Schritt auf meinen Gegner zu.

„Moment, warte! Warte! Das geht so nicht! Da läuft etwas falsch, wirklich falsch!“

„Findest du? Ich denke, im Moment läuft alles verdammt richtig!“ Mit zwei schnellen Schritten in meinem bevorzugten Kendo-Stil war ich heran. Ich ließ die Waffe herab sausen und brüllte: „MEN!“ Dann trieb ich die gleißende Klinge durch seine Erscheinung. Für einen winzigen Augenblick bot sie mir tatsächlich etwas Widerstand.

***

„Akira. Geht es dir gut?“

Ich sah auf. Megumi stand neben mir, hatte sich besorgt vorgebeugt. Mit einem kurzen Griff hatte ich sie umfasst und auf meinen Schoß gezogen. „A-akira! Was machst du denn?“

Ich legte mein Gesicht auf ihre Schulter und war unfähig zu sprechen. Lediglich ein paar Tränen flossen von meinem Gesicht auf ihre Schulter.

Sie umarmte mich mit beiden Händen, drückte meinen Kopf sanft an sich. „War es so schlimm?“

Ich nickte nur und genoss ihre tröstende Nähe und ihre zarten Hände, die liebevoll mein Gesicht liebkosten.

„Michi war nur ein Mittel zum Zweck, oder? Er wollte dich, und er wollte dich ganz in seiner Nähe haben“, stellte sie fest. Mein Mädchen hatte schon immer eine gute Kombinationsgabe gehabt.

Wieder nickte ich. Und diesmal begann ich mit krächzender Stimme zu sprechen. „M-megumi, sind... Sind wir Monster?“

„Monster?“, echote sie. „Hat der KI-Agent dir das gesagt?“ Sanft hob sie meinen Kopf an und sah mir in die Augen. „Du bist kein Monster. Und auch wir KI-Meister sind keine Monster. Wir sind das was wir sind. Menschen.“ Sie legte kurz den Kopf schräg. „Okay, ich bin eine Naguad, aber du weißt was ich im Prinzip meine.“

Gegen meinen Willen musste ich leise lachen. Der Blick in ihre Augen war wundervoll. Er erinnerte mich an all das, was ich immer hatte haben wollen, und befürchtet hatte nie zu erlangen. Und nun war es mir so nahe, so wundervoll nahe.

„Akira, damals, als die Kronosier die Erde angegriffen haben, lange bevor wir unser KI haben nutzen können, was waren wir da? Wir, die einzigen Mecha-Piloten der Menschheit?“

„Wir waren Soldaten.“

„Effektive und tödliche Soldaten. Solange wir in unseren Hawks saßen waren wir Waffen. Aber sobald wir aus dem Cockpit gekommen waren, da... Waren wir wieder wir selbst.“

„Das kannst du nicht vergleichen. Als KI-Meister verfügst du immer über deine Fähigkeiten“, murmelte ich.

„Aber du setzt sie nicht permanent ein. Und die meisten KI-Meister sind auch nicht so dumm wie wir und werden Soldat“, tadelte sie. „Ich möchte dir ein Beispiel aus der Geschichte Japans erzählen.“

„Du weißt, ich sehe mich schon lange nicht mehr als Japaner. Ich weiß wo meine Wurzeln liegen, und ich verehre sowohl mein deutsches, als auch mein naguadsches und mein japanisches Erbe, aber mittlerweile bin ich längst Erdenbürger geworden. Ein Terraner.“

Sie zog einen Schmollmund. „Darf ich meine Geschichte erzählen?“

Gegen diese Mimik gab es keinen Konter. „Gerne.“

„Weißt du, als die ersten Schusswaffen in Europa auftauchten, da kamen sie auch auf verschlungenen Wegen nach Japan. Die hiesigen Schmiedemeister kopierten diese neue Waffe recht schnell, adaptierten sie, verbesserten sie und produzierten sie teilweise noch besser als die Schmiede in Europa, welche die Waffe erfunden hatten. Aber mit einem Gewehr konnte jedermann einen Samurai töten, obwohl dieser vielleicht zehn Jahre, zwanzig Jahre oder noch länger mit seinem Schwert trainiert hatte. Einen Pfeil konnte ein Samurai zerschlagen, aber eine Kugel? Es gibt Gerüchte über einige wenige, denen dies gelungen war, aber die hießen alle nicht Akira Otomo. Was also passierte? Die Schwertmeister verlangten vom Shogun zu handeln, und binnen weniger Jahre verschwanden die Gewehre wieder aus Japan, bis zum Zeitpunkt der Meijin-Restauration. Dann kamen sie wieder ins Land, und die Ära der Samurai wäre fast zu Ende gewesen.“

Ihr Blick wurde ernst. „Was denkst du, was du bist, Akira? Ein Samurai zur damaligen Zeit war eine schreckliche Waffe, aber ein Gewehr war schrecklicher, weil es auf Entfernungen töten konnte, die für einen Samurai an einen Albtraum grenzten, und für viele auch ein Albtraum wurde. Ein Gewehr war furchtbar und leicht zu bedienen und konnte Verderben und Tod über Männer bringen, die mit ihren Waffen seit Jahrzehnten hart trainiert hatten. Aber der Samurai hatte seine Schwerter, und das Gewehr hatte jemanden, der es bediente, damit zielte und es abschoss. Man sagte damals, ein Samurai legte seine Schwerter nur zum schlafen und zum baden ab. Man sagt aber auch heute noch, ein guter Soldat lässt sich nicht von seinem Gewehr trennen. Verstehst du was ich dir sagen will? Eine Waffe ist nur, was auch von jemanden als Waffe eingesetzt wird. Ein Schwert wird nur gefährlich, wenn es gezogen ist. Ein Gewehr ist nur dann tödlich, wenn du auf der falschen Seite der Mündung bist. Und ein KI-Meister ist nur gefährlich, wenn er seine Fähigkeiten einsetzt, was leider vorkommt, wenn er verletzt wurde. Akari wurde verletzt, schwer verletzt, als sie glaubte, Michi würde vor ihren Augen sterben. Also aktivierte sie ihr KI. Das macht sie nicht zum Monster. Aber sicher zum Neidobjekt für viele Frauen, die sich insgeheim wünschen, in so einem Fall ihrer Verzweiflung ebenso Luft machen zu können. Ich, du, Mako, wir sind keine Monster. Glaubst du vielleicht, in dem Fall wäre die AURORA mit verstärkter Begleitflotte aufgebrochen, um dich zu suchen? Glaubst du, die Anelph und Naguad hätten Kontingente gestellt, um uns zu unterstützen? Sicherlich nicht.“ Sie lächelte mich auf eine Art an, die jeden Widerstand, wäre er denn noch vorhanden gewesen, weg geschmolzen hätte wie Butter in der Mittagssonne und beugte sich vor, um meine Lippen zu küssen. „Geht es wieder, Schatz?“

Bedächtig schüttelte ich den Kopf.

„Akari und Michi geht es gut. Michi ist außer Lebensgefahr, und Akari ist überglücklich. Ist es das?“

Wieder schüttelte ich den Kopf. Dann griff ich an meine Seite und zog das Katana hervor. Das hieß, nicht das Katana, nur den Griff.

„Moment Mal, war da nicht sonst immer eine Klinge dran?“, fragte Megumi argwöhnisch.

„Ein Nebeneffekt meiner Schlacht mit dem KI-Agenten“, murmelte ich betrübt.

„Du solltest Eikichi die nächsten fünfzig Jahre besser nicht unter die Augen treten.“

„Das Gefühl habe ich auch. Ich habe das Familienschwert zerstört.“

Allerdings lag der Ärger mit Vater in der Zukunft. Die Gegenwart hatte eine Megumi zu bieten, die auf meinem Schoß saß, und deshalb konnte ich den Teil meines Lebens weit von mir schieben. Vorerst.
 

4.

Gegenwart:

„Sir, wir haben zu reden.“

Makoto Ino, seines Zeichens General und zuständig für sämtliche Armee-Einheiten – was die auf dem Riesenschiff stationierten Daishis, Hawks und Banges einschloss – nickte nur, als der große Mann mit der Uniform eines UEMF-Captains im den Weg versperrte. Einige Mitarbeiter der Poseidon-Flottenzentrale sahen auf, aber als sie den Mann erkannten, gingen sie wieder ihrer Arbeit nach. Er war bekannt, und wenngleich kaum einer wusste, was er genau tat, so hatte er doch permanent Besuchsrecht bei einigen der ranghöchsten Offizieren der AURORA. Makoto Ino war einer davon.

Einladend öffnete der junge General die Tür zu seinem Büro. „Also“, sagte Mako, nachdem er sich hinter seinem Schreibtisch niedergelassen hatte, „was kann ich für Sie tun, Jason?“

Captain Stafford, ehemals Army Ranger, räusperte sich leicht, um seine Stimmbänder frei zu bekommen. „Der Scharfschütze, der auf Commander Otomo geschossen hat, war einer unserer Leute.“

Makoto schluckte trocken. Der Zwischenfall war noch keine fünf Stunden her, die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, und dieses wichtige Detail bisher noch nicht zu ihm vorgedrungen. Andererseits waren Belange des Blue Lightning-Regiments Stabsangelegenheit, genauer gesagt Chefsache, und über den Einsatz der Soldaten entschieden ausschließlich Stafford, Lycast und Ryon, die Offiziere der Truppe.

„Interessant an der Geschichte ist, das ein KI-Meister ihn im Turnus vor gut drei Wochen überprüft hat und dabei die Anwesenheit eines zweiten KIs nicht festgestellt hat. Sie wissen, dass wir speziell unsere Einheit permanent mit solchen Tests sauber halten.“

Makoto nickte. Als die Statuten der Spezialeinheit festgeschrieben worden waren, hatten die Mitglieder nicht nur Wert auf absolute Selbstständigkeit gelegt, sondern auch auf Sicherheit. Dazu gehörte, die Infiltration der Truppe zu verhindern, und einer der bekannten Wege war ein KI-Agent. Selbstredend war die Truppe darauf vorbereitet.

„Das heißt, irgendwo in diesen drei Wochen gibt es einen Termin, zu dem der junge Mann... Wie nennen die Eierköpfe das, wenn ein fremdes KI in einen Körper implantiert wird... Gekapert wurde?“

Stafford schüttelte ernst den Kopf. „Nein, Sir. Die Mission des Snipers wurde erst vor wenigen Stunden entschieden. Wie Sie wissen, übernimmt das Blue Lightning-Regiment teilweise den Personenschutz für Akira Otomo, indem es die Einheiten, die zu seinem Schutz abgestellt sind, infiltriert. Der Befehl, der den jungen Mann auf eines der Dächer von Fushida gebracht hat, war noch nicht einmal trocken, als er auf Michi Torah geschossen hat. Drei Wochen sind schon ein relativ sicherer Hinweis, aber weniger als vierundzwanzig Stunden sind schon ein Beweis: Das KI wurde dem Sniper an Bord der AURORA implantiert. Bevor Sie fragen, körperlich geht es ihm gut und er ist auf dem Weg der Genesung. Aber geistig... Er hat es nicht verkraftet, mit welcher Leichtigkeit er überwältigt wurde, und das es sein Körper war, der auf Blue Lightning geschossen hat.“

„Was geschieht mit ihm?“

„Wir werden ihn die nächsten Tage mehrfach sondieren, um sicher zu gehen, dass vom KI-Agenten nichts in ihm geblieben ist, nachdem er den Kampf mit Akira Otomo verloren hat. Danach wandert er für fünfzehn Tage in den Bau.“

Makoto hob fragend die Augenbrauen.

„Weil es ihm nach dem Anschlag nicht gelungen ist zu entkommen“, erklärte Stafford mit einem dünnen Grinsen.

„Das erinnert mich an einen alten englischen Fernsehfilm, der in Indien spielt. Dort schoss ein indischer Soldat versehentlich auf einen englischen Prediger. Er bekam siebzehn Tage Strafe. Zwei, weil er auf einen Zivilisten geschossen hatte, und fünfzehn, weil er nicht getroffen hatte.“

„Ich sehe, wir verstehen uns“, erwiderte Stafford mit einem sehr dünnen Lächeln. „Aber es ist in erster Linie ein psychologischer Trick. Er konnte letztendlich Blue Lightning nicht entkommen. Wenn das in sein Bewusstsein gesickert ist, wird er auch wieder gesund da oben.“

„Verstehe. Das heißt also, wir müssten die AURORA eigentlich von oben bis unten komplett durchsuchen, oder? Es gibt hier irgendeine Maschine, die es mit KI geschulten Attentätern erlaubt, in fremde Körper zu wechseln, und dieses Ding müssen wir finden. Und die leblosen Körper zählen, um zu wissen, wie viele neue KI-Agenten wir jetzt an Bord haben.“

„Das ist richtig, Sir. Ich habe bereits Einheiten bilden lassen, welche die Industriekomplexe, die alte Gray Zone und wenig frequentierte Regionen der AURORA untersuchen. Wenn das zu keinem Erfolg führt, werden wir die Appartements in den Innenwänden des Schiffs zwangsdurchsuchen. Sie sind nicht weit entfernt von Hangars und Maschinenparks. Es ist relativ unauffällig, komplexe technische Apparaturen zu ihnen zu schaffen. Weitaus weniger auffällig, als mit komplexem Gerät durch Fushida City oder eine der kleinen Ortschaften zu fahren.“

„Genehmigt. Vergewissern Sie sich der Hilfe der Polizei. Ich werde Aris Taral bitten, dass er Sie mit einer Abteilung Bluthunde unterstützt. Sollte es wirklich soweit kommen, dass wir Fushida City durchkämmen müssen, werde ich Doitsu Ataka um Amtshilfe bitten. Er und seine Yakuza kennen die Stadt besser als jeder andere.“

„Dafür danke ich Ihnen, General.“

Makoto runzelte die Stirn. „Es kommt ein Aber, oder?“

Stafford grinste leicht. „Zwei Aber, Sir. Das erste ist, dass ein Mitglied des Blue Lightning-Regiments gekapert wurde. Wir können nicht wissen, wie viel Wissen über uns weitergegeben wurde. Zumindest unsere Existenz dürfte dem Gegner nun bekannt sein.“

„Und das zweite Aber?“

Stafford griff in seine Uniformjacke und zog ein Papier hervor. Er platzierte es vor Makoto auf dem Schreibtisch. „Lesen Sie.“

Der junge General öffnete das Papier und begann es zu lesen. Spätestens nach der zweiten Zeile wurde er bleich. „...sind KI-Meister eine öffentliche Gefahr und ein Risiko für Jedermann. Ihre Fähigkeiten gefährden die öffentliche Sicherheit und die Leben unserer Schutzbefohlenen. Akira Otomo, der Anführer dieser Clique überflüssiger Mutanten... WAS, BITTE?“

„Sie werfen sie von den Dächern der größeren Städte und lassen sie in die Stadt wehen. Alles relativ schnell und unauffällig. Die wenigen Male, bei denen Überwachungskameras Aufnahmen machen konnten, sind nicht besonders gut auswertbar. Das sind, wenn schon keine Profis, so zumindest doch gut ausgebildete Leute.“ Stafford räusperte sich. „Wir müssen klären, in wessen Zuständigkeit dieser Fall fällt: Polizei, weil eine Persönlichkeit des Öffentlichen Lebens verunglimpft wird, Militär, weil ein indirekter Angriff auf unseren Oberbefehlshaber erfolgt, oder die Stadtreinigung, weil jemand die Straßen Fushida Citys gleich doppelt mit Dreck verunreinigt.“

„Gut formuliert“, brummte Makoto. Er tippte kurz auf der in seinen Schreibtisch eingelassenen Tastatur herum. „Wussten Sie, dass die AURORA drei Klimazonen mit eigenem Wetterbericht hat? Wir haben einmal das Serenity-Meer, über dem die größte Verdunstung geschieht, dann den Großraum Stadt, der die meiste Abwärme produziert, und schließlich noch die Felder, Wälder und kleineren Ortschaften. Und wissen Sie, was der Wetterbericht heute für die Stadt vorhersagt?“

„Ich bin sicher, Sie werden es mir gleich sagen, Sir.“

Makoto grinste breit. „Dauerregen. Schwerer, dicker und lang anhaltender Dauerregen. Er kommt nicht oft vor, aber wenn die Luft stark genug mit Wasserdampf gesättigt wurde und diese Luft dann von der Warmluft über Fushida bis an den holographischen Himmel gezogen wird, kühlt sich der Wasserdampf ab, die Mikrotröpfchen verbinden sich und regnen ab. Genau das ist hier der Fall. Dieses Phänomen tritt mit ziemlicher Regelmäßigkeit alle zwanzig Tage auf. Ein Indiz dafür, dass es entweder unsere Flugpostverteiler nicht interessiert, oder sie es nicht wissen, beziehungsweise noch nicht bemerkt haben, das es regelmäßig stattfindet. Sie wissen, was das bedeutet?“

Stafford nickte und erhob sich. „Wir werden unser Hauptaugenmerk auf Neuankömmlinge richten, die für die zweite Mission der AURORA an Bord gekommen sind.“

„Sie sind ein guter Mann, Stafford.“

„Das Kompliment kann ich zurückgeben, General.“

„Danke.“ Makoto lächelte zufrieden. Auch er war für ehrliches Lob empfänglich. „Schnappen Sie die Burschen.“

Der ehemalige Army Ranger salutierte stramm. „Das werde ich, Sir!“

***

Ein wenig irritiert starrte Torum Acati auf das frische Graffitti an der Außenwand der Regionalen Flottenzentrale. Mit ihm taten dies drei weitere hohe Offiziere und ein paar Zivilisten, unter ihnen Juichiro Tora.

„Wie lange steht das da schon?“, fragte Tora amüsiert.

„Keine Ahnung. Der letzte Kontrollgang liegt jedenfalls erst drei Stunden zurück. Länger kann es noch nicht sein. Außer, die Wachen haben mehr als ein Auge zugedrückt. Überhaupt scheint es ein Insiderjob zu sein, denn dieser Bereich liegt im toten Winkel der Außenkameras“, sagte Acati ernst. „Allerdings würde ich das nicht unbedingt als Problem bezeichnen, im Gegenteil. Man hat seit der Erschaffung der Daimon schon fünfmal versucht, mich zu, hm, retten.“

„Retten?“ Tora runzelte die Stirn. „Retten vor wem?“

„Vor dem Legat. Die Menschen auf dem Mars gehen davon aus, dass die gemeinsame Erklärung von UEMF und Legat eine Fälschung ist, und das in Wirklichkeit das Legat die Zügel fest in der Hand hält. Sie halten gerade hier auf dem Mars eine wirkliche Zusammenarbeit der beiden Gremien für unmöglich. Im Gegenteil, es gibt Untergrundbewegungen, die versuchen die alte Ordnung wieder her zu stellen.“

„Sie wollen also sagen, diese Menschen, Anelph, Kronosier und Naguad glauben nicht daran, dass sie wirklich frei sind und das dieser ganze Putsch nur ein riesiges Schauspiel für die Götter war, um unsere vermeintliche Vernichtung zu verkaufen?“ Tora lachte laut auf. „Super. Ich kann mich noch dran erinnern, wie die Legaten hier die absolute Macht hatten, zudem das letzte Wort und dass sich die Menschen hier angstvoll jedem Kommando gebeugt hatten. Es war eine strenge Hierarchie mit klar abgegrenzten Rechten und Pflichten, die sich durch die Stufe definierten, auf der man stand. Und die meisten standen sehr weit unten und hätten niemals daran gedacht, aufzubegehren. Das heute so etwas möglich ist, das ist für mich ein kleines Wunder.“

„Ein kleines Wunder, das Sie den Kopf kosten kann, Tora, wenn jemand auf die Idee kommt, Sie zu töten“, brummte Acati.

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein, Admiral. Ich habe hier schon überlebt, als schon damals der eine oder andere Legat versucht hat, mich auszuschalten.“ Er deutete auf das Graffiti. „Also, was machen wir damit?“

„Hm. Ich würde sagen, wir lassen es stehen und bringen darunter eine Tafel an, die auf den Zeitpunkt und die Umstände dieser Tat hinweist. Als historisches Beispiel.“

Tora sah den Admiral erstaunt an. „Das meinen Sie ernst, oder?“

„Todernst“, bestätigte Acati. Er machte eine einladende Handbewegung. „Sie sehen, der Mars ist nicht mehr ganz das, was Sie verlassen haben. Willkommen im Flottenhauptquartier, Legat Tora. Hier geht es lang.“

„Gibt es denn auch Begrüßungskaffee?“, fragte der Dai mit quengelndem Ton in der Stimme. Manchmal liebte er die Menschen wirklich, wenn sie ihm nicht gerade tödlich auf die Nerven gingen. Im Moment liebte er sie, für dieses simple Graffiti, das nur aus zwei Worten bestand: Akira lives. Es sagte genug über die Menschen auf dem Mars aus.
 

„Seit knapp einem Monat leben wir unter dem Schutz der Daimon“, sagte Acati, während er dankbar den Kaffee von der Ordonnanz entgegen nahm. „Wir haben die Übernahme von Erde, Mars und Mond inszeniert, um den Liberty-Virus unauffällig ausbreiten zu können. Zweck des Manövers war es, die Erde, den Mars und den Mond davor zu bewahren, durch eine Überreaktion der Götter vernichtet zu werden, bevor wir zu wirklicher Gegenwehr bereit sind. Seither sind alle drei Daimon über Wurmlöcher miteinander verbunden. Es gibt auch Kontakt zur Außenwelt über so genannte Schleusenstraßen, über die der Schiffsverkehr fließt, den wir weiterhin mit den Naguad unterhalten, aber wir sind in der Lage, diese jederzeit dicht zu machen, falls sich die Götter zu sehr für uns interessieren. In der Tat hält sich ein Strafer permanent auf der Höhe der Jupiterbahn auf.“

„Das ist, wenn ich mich recht entsinne, der Rand der Schwerkraftsenke der Sonne, oder? Also der ideale Ort, um in ein anderes Sonnensystem zu springen.“

„Das ist korrekt“, bestätigte der Admiral. „Wir sind die Götter nicht losgeworden, aber das war von vorne herein auch nicht das Ziel.“

„Das Ziel erscheint mir ein wenig schwammig zu sein. Gut, gut, wir befinden uns nun innerhalb der Daimon, die vom KI der in ihr befindlichen Menschen aufrecht erhalten wird. Aber genau jenes KI wird ab einer bestimmten Frist in einem Maße regelrecht abgesaugt werden, dass es zu Todesfällen kommen kann, ja kommen wird. Wo also liegt der große Vorteil darin, sich zu verstecken, frage ich mich.“

„Hm. Sie erinnern sich an den Probeschuss? Der, den die KI-Meister über der amerikanischen Küste abgewehrt haben? Die Außenflotte unter Admiral Bhansali hat kurz vor dem Aufbau der Daimons im Alpha Centauri-System einen Aufmarsch von zehn Strafern beobachtet. Zu dem Zeitpunkt und ohne die AURORA wären diese Schiffe in der Lage gewesen, alle drei Planeten zu vernichten. Mit allem, was sich darauf befindet.“

„Und wenn unsere Zeit in den Daimons abgelaufen ist, soll es besser werden? Bedenken Sie, dass es die ersten Toten auf Mars und Mond geben wird. Deren Daimons sind zwar kleiner, aber die Bevölkerungszahlen sind extrem gering. Hier wird gestorben werden, um etwas aufrecht zu erhalten, was eines Tages ohnehin zusammenbricht. Wo also liegt der Vorteil dabei?“

„Sie kennen die Antworten, Tora“, mahnte Acati ernst.

„Sicherlich. Aber ich will Ihren Standpunkt kennenlernen.“

Torum Acati seufzte ernst. „Gut, gut. Erst einmal sind wir zu sehr ins Interesse der Strafer gerückt. Wir haben sie auf ein System aufmerksam gemacht, das höchst wahrscheinlich die Urheimat aller Daina und Daima ist. Sie haben es ohnehin sporadisch überwacht und teilweise - über den Core – versucht zu infiltrieren. Doch solange alle hier still gehalten haben, gab es keinen Grund für die Götter, die eigene Vernichtung zu riskieren, indem sie diese Welt angriffen. Als wir aber die offene Macht unserer AO-Meister – Verzeihung, Macht der Gewohnheit – unserer KI-Meister gezeigt haben, waren sie bereit, dieses Risiko einzugehen. Sie wurden wach gerüttelt, möchte ich sagen. Das erklärt auch den Angriff auf Iotan und den dortigen Kaiserpalast. Unser erster großer Vorteil war eindeutig, dass wir für eine gewisse Zeit unangreifbar wurden. Wir nutzen diese Zeit, wir, und auch die AURORA, wie man an der ADAMAS und ihrer Besatzung sehen kann. Auch der Besuch der BATARIK von der Iilak-Föderation ist ein Zeichen unserer Vorbereitungen. Wir sammeln unsere Kräfte für den entscheidenden Schlag. Und der wird wohl hier in diesem Sonnensystem stattfinden.“ Acati nahm sich eine volle Kaffeetasse und deutete an, dass sich auch der Magier bedienen sollte. „Sorgen macht mir in diesem Zusammenhang, ob die Konvois von den Naguad, den Anelph und hoffentlich vom Core und den Iovar es bis zu uns schaffen. Einzeln sind sie unglaublich angreifbar durch Götterschiffe. Erst in der Masse sind sie ernsthafte Gegner für Strafer und Beobachter. Habe ich die Ziele soweit richtig interpretiert?“

Tora lächelte, und dabei hatte er große Ähnlichkeit mit einem Zähne fletschenden Tiger. „Ganz gut, ganz gut. Aber es gibt da ein paar Informationen, die Sie noch nicht haben. Ich wollte zuerst wissen, was Sie wissen. Das macht es leichter, meine Informationen zu, hm, dosieren. Was denken Sie, werden wir wirklich am Ende der acht Monate tun, in der die Daimons aufgebaut sein dürfen, ohne Menschenleben auszulöschen? Wobei wir schon jetzt bei jedem einzelnen Todesfall kritisch hinterfragen müssen, warum er oder sie starb?“

„Ich denke, wir warten auf die AURORA und stellen die Götter dann in offener Feldschlacht. Das erscheint mir die viel versprechenste Methode zu sein. Zusammen mit der ADAMAS haben wir dann auch eine reelle Chance.“

„Eine etwas unfaire Chance, wenn die Gegenseite Robotschiffe einsetzt, während wir Leib und Leben unserer Leute riskieren. Nicht einmal die Raider der Core-Zivilisation können das wirklich kompensieren“, wandte Tora ein. „Nein, wir warten nicht nur auf Akira. Er wird der Schlüssel unserer Abwehr sein. Das ist eine Erkenntnis, die ich schmerzvoll auf mich nehmen musste. Aber wir sind in der Lage, unsere Chancen noch zu verbessern. Was wir auch tun müssen, denn letztendlich kann niemand sagen, wie viele Strafer die Götter aufbieten werden. Wir wissen nicht, wie viele Schiffe sie in den letzten zwanzigtausend Jahren wirklich gebaut haben, wie sie gewartet wurden und wie lange sie brauchen, um sie zur Erde zu schaffen. Wir haben absolut keine Ahnung. Vielleicht werden wir nicht nur eine Schlacht kämpfen, sondern zwei, vier, acht, sechzehn, oder gar unendlich viele Schlachten. Und dafür müssen wir die Ausgangslage erheblich verbessern.“

Tora nickte in Richtung des großen Bildschirms, der sich in diesem Konferenzraum befand, und er aktivierte sich ohne einen Fingerzeig von ihm. „Was Sie jetzt sehen, passiert live.“ Tora sah kurz auf seine Armbanduhr. „Ich glaube, wir sind sogar etwas spät dran.“

Ein Eiland war darauf zu sehen. An sich nichts spektakuläres, aber der Sprecher sprach von einem Wunder ohne Gleichen und versprach eine Wiederholung der Bilder, welche die Welt verändern würden.

Zuerst wechselte das Bild auf eine Karte der Pazifik-Region, einem Bereich südlich von Hawaii und östlich von Midway, einer Region, die sechstausend Meter Wassertiefe aufwies. Dann wechselte das Bild auf eine Live-Aufnahme, die eben diese Fläche auf dem Pazifik zeigte, eine endlose Wasserwüste. Plötzlich aber begann die Luft zu flimmern, Wasser schäumte und bäumte sich meterhoch auf, und wieder flimmerte die Luft, zeigte verschwommene Umrisse eines kleinen Kontinents. Satellitenaufnahmen verdeutlichten die Dimensionen dieses Dings, das gerade aus dem Nichts entstand. Schließlich und endlich ruhte ein kleiner Kontinent im Wasser des Pazifiks, der vielleicht ein Viertel der Größe Australiens hatte.

Wieder war der Sprecher zu hören, und diesmal drehte Acati lauter. „Es ist vollbracht! Die ursprüngliche Daimon wurde abgebaut! Damit ist die Welt der Dai für uns ebenso zugänglich wie es die Menschenwelt für die Dai sein wird! Doch das ist erst der Anfang, denn nun wird die Erde eingebunden sein in der Suche nach menschlichem Personal für die Kommandoschiffe DAI, AO und LEMURIA sowie ihre jeweils acht Trabantenschiffe.“ Juichiro Tora räusperte sich. „Es sind, wenn Sie so wollen, Ausbildungsschiffe. Die Daima und Daina sowie ihre Dai werden uns weitere überlebende Schiffe aus dem großen Krieg bringen, und das eröffnet uns die Chance, unsere Leute nicht verheizen zu müssen. Das hat den Dai damals im Krieg das Genick gebrochen.“

„Verständlich. Aber sollen wir wirklich Leute ausbilden, ohne zu wissen, wie viele Schiffe wir erhalten können?“

„Es gibt da noch ein kleines Geheimnis, Admiral. Aber das wird nicht ohne zwingende Not gelüftet“, erklärte Tora mit einem dünnen Lächeln. „Merkwürdig. Noch vor einem Jahr war ich der größte Feind von Kuzo. Und jetzt bin ich ihr wichtigster Mann. Wieder einmal.“

„Sie stehen nicht auf der falschen Seite, Tora“, mahnte Acati.

„Das stand ich vorher auch nicht“, erwiderte der Dai verärgert.

„Ansichtssache. Geben Sie mir einen Tipp, was dieses Geheimnis betrifft?“

„Nein, leider nicht.“

„Ich ahnte es“, seufzte Acati. „Was ist mit Amerika? Es scheint, als würde sich dort ein effektiver Widerstand gegen den Legat formieren. Wie werden Sie vorgehen? Ich weiß, Sie halten das Land weiterhin besetzt, weil es gegen die UEMF intrigiert hat, und um die Weltlage ruhiger zu halten, aber das wird nicht auf ewig klappen. Im Gegenteil. Es schlägt irgendwann auf die UEMF und den Legat zurück.“

„Der Legat kann das vertragen. Aber was die UEMF angeht, gebe ich Ihnen Recht, Admiral. Wir arbeiten an einer Lösung, mit der wir alle leben können. Amerikaner, Kronosier und UEMF. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir schlicht und einfach alle Rebellen vernichtet. Hm, nein, das war gelogen. Ich bewundere ihren Chuzpe, aber ich frage mich, wo der war, als Wilson alle geradewegs in die Hölle und gegen die UEMF geführt hat.“

„Ein Kurs zu dem er durch das Legat verführt wurde“, erwiderte Acati.

„Den Weg wäre er auch ohne uns gegangen. Nur vielleicht nicht so schnell. Sehen Sie es so, wir haben ihm die Maske vom Gesicht gerissen, bevor er uns wirklich schaden konnte.“

Tora deutete auf den Bildschirm, der nun Nahaufnahmen von Atalantis zeigte, dem gerade wieder entstandenen Kontinent. „Im Moment haben wir mehr als genügend Ärger, wie Sie sehen. Aber wir werden uns um Nordamerika kümmern. Auf einem sinnvollen Weg, der nicht automatisch Blutvergießen bedeutet.“

„Aber zufällig vielleicht?“

Tora starrte den größeren Naguad böse an. „Zeigen Sie mir einen Plan, der nicht nur ohne Blutvergießen auskommt, sondern auch den Kontakt mit der Realität überlebt, und ich nehme ihn sehr gerne an!“

„Schon gut, Tiger. Fahren Sie Ihre Krallen wieder ein. Die Nachricht kam an. Wie also sieht die Lösung aus? Sie muss schnell gehen, bevor es zum ersten Blutvergießen zwischen Air Force und dem Legat kommt.“

„Und genau deshalb bin ich hier. Kann ich mir Ihren Kriegsheld haben? Ich brauche jemanden, der nach dem Wunschtraum jedes kleinen Mädchens auf der Erde riecht, der den Nestgeruch unseres großen Superhelden Akira Otomo am Leib hat, der ihm mit Rat und Tat als treuer Verbündeter zur Seite stand, in allen Zeiten. Wissen Sie, die Menschen schreien nicht nur hier nach ihm, auch in Amerika.“

„Es klingt nach Heiland-Verehrung, oder?“

Tora machte eine abwehrende Geste. „Es ist wohl eher so, dass die Leute eine Menge von ihm erwarten, weil sie wissen, dass er es leisten kann. Also, borgen Sie mir den einzigen Gefährten von Akira Otomo, der noch im Sol-System ist?“

„Zu welchem Zweck soll ich Ihnen Admiral Richards, hm, ausleihen?“

Tora lächelte wieder wie ein Tiger, nur diesmal wie ein satter, zufriedener. „Es ist nichts Schlimmes. Ich will, dass er die Regierungsgewalt übernimmt und Neuwahlen organisiert. Ist das für ihn möglich?“

„Das müssen Sie ihn schon selbst fragen. Sein Büro ist in diesem Flur.“

„Dann werde ich gleich mal rüber gehen“, sagte der Dai und erhob sich.

„Tora“, hielte Acati ihn zurück. „Er wird sich nicht benutzen lassen.“

„Keine Sorge, ich gebe ihm nur das Ziel vor“, beschwichtigte der Magier.

„Tora“, hielt Acati ihn erneut auf. „Er wird vielen nicht willkommen sein.“

„Ich habe meine Leute, die auf ihn achten können“, widersprach Tora.

„Ein Einwand noch. Haben Sie die algerische Legats-Agentin gefunden, die vor den Augen meiner besten Leute entführt wurde?“

„Sie meinen Corinne Vaslot? Nein, bisher noch nicht.“

„Also machen Sie sich Gedanken um eine dritte Partei in diesem Spiel, die ihr eigenes Süppchen kocht.“

Der Dai erstarrte mitten in der Bewegung. „Verdammter Mist, daran habe ich überhaupt nicht gedacht.“

„Dann tun Sie es jetzt. Und vergessen Sie es nicht mehr.“

„Das drückt jetzt auf meine Stimmung, irgendwie“, murmelte Tora und trat auf den Gang hinaus.

Acati sah noch lange auf die Tür, durch die der Dai verschwunden war. Seine Aufgabe war es, das gesamte Sonnensystem zu verteidigen, die Erde fiel nur im Bereich Außenverteidigung in seine Zuständigkeit. Natürlich nahm er sich weit mehr heraus als er eigentlich sollte, was wieder einmal zu beweisen gewesen war. Aber er war doch ganz froh, ab und an vorschützen zu können, nicht zuständig zu sein. Diesmal ersparte es ihm vielleicht, in einen Bürgerkrieg involviert zu werden. Oder besser gesagt, ihn auszulösen, denn ein Naguad auf Legatsseite wäre vielleicht der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum überlaufen gebracht hätte. So aber, mit einem Helden wie Richards, konnte die Situation fast, beinahe und eventuell gerettet werden. Aber auch das war nicht seine Entscheidung, auch wenn er sie getroffen hatte.

„Viel Glück auf der Erde, und bleiben Sie nicht zu lange, Richards. Ich brauche Sie hier oben“, murmelte Acati und nahm noch einen Schluck Kaffee.
 

5.

Vor der amerikanischen Nordküste kreuzte seit Beginn der Eroberung durch den Legat der Mecha-Träger ENTERPRISE. Das stolze Schiff, dass schon so manchen Kampf gesehen hatte, gerade gegen die Kronosier, konnte noch über vier Monate autark auf See bleiben, bevor die Vorräte soweit aufgebraucht waren, sodass der Träger gezwungen war, einen befreundeten Hafen anzulaufen. Ursprünglich hatte sich Admiral Nichol, der neue Kommandeur der ENTERPRISE-Gruppe, von der Position seines Trägers versprochen, dass er hier wenigstens ein Mitglied von Regierung, Senat oder zumindest dem Abgeordnetenhaus aufnehmen konnte, um eine Exilregierung zu gründen. Nicht einer hatte es zu ihm raus geschafft. Nun kreuzte das riesige Schiff im Atlantik auf und ab, während sich die Kapitäne und Offiziere die Köpfe darüber heiß redeten, welche Maßnahmen sie zum Wohl der Republik ergreifen konnten. Sie waren nach über einem Monat noch immer zu keinem Ergebnis gekommen, im Gegenteil. Relativ schnell hatten sich zwei Fraktionen gebildet, von denen die stärkere verlangte, die UEMF zu Hilfe zu rufen. Die andere hingegen sah das als unheilvollen Kniefall an, von dem sich die Weltmacht nie wieder erholen würde. Sie erinnerte an die noch immer schwelenden Wunden während der Evakuierung der UEMF-Stützpunkte im Land, bei der die Streitkräfte erbärmlich abgeschnitten hatten, trotz des neuen Wunder-Mechas Stars and Stripes, und an die Beinahe-Vernichtung der Ostküste, die durch KI-Meister der UEMF verhindert worden war. Nicht wenige verglichen das mit einem räudigen Hund, dem ein gnädiger Mensch einen halb abgekauten Knochen hinwarf. Nichols war klug genug, die Männer und Frauen streiten zu lassen, um sie beschäftigt zu halten, bis sich wirklich eine reelle Chance für eine Aktion ergab. Insgeheim hatte Nichol Depeschen an sämtliche ehemals verbündeten Nationen geschickt, sogar an das mittlerweile von der Besetzung wieder geräumte Russland. Aber die Reaktionen waren durch die Bank negativ gewesen oder auch gar nicht erst erfolgt. Nein, es gab keine reelle Möglichkeit. Alles was sie tun konnten war warten. Wenigstens hatte er bereits einen Trumpf im Ärmel, und der hieß Commander Jessica Ehrenfeldt. Er hatte die erfahrene Hawk-Pilotin und drei ihrer Piloten zusammen mit einem Geheimdienstteam nach Kanada entsandt, um einen wirksamen Widerstand innerhalb des geschlagenen Militärs aufzubauen. Die ersten Aktionen versprachen viel versprechend zu sein, mehrere Stars and Stripes waren bereits vernichtet worden. Es waren nur Nadelstriche, aber vielleicht kam es zu einem landesweiten Aufstand, der auch die Nationalgarde erfasste, und das war dann der richtige Zeitpunkt, um die UEMF zu Hilfe zu rufen und die Legaten wieder von der Macht zu verjagen. Insgeheim beglückwünschte er sich dazu, dass er dem Rat seines alten Lehrmeisters gefolgt war, und die Stars and Stripes nicht an Bord stationiert hatte. Seine dreißig Mechas – nun nur noch sechsundzwanzig – waren die bewährten Modelle Hawk, Eagle und Sparrow.

Vielleicht konnte die Commander, die als eine der besten Piloten der Vereinigten Staaten galt, die es noch nicht zur UEMF gezogen hatte, die Chance erschaffen, die er brauchte.

Vielleicht...
 

„Admiral, Sir!“, rief die Ordonnanz aufgeregt, die ohne anzuklopfen ins Admiralsbüro gestürmt war.

„Ruhig, Jennings. Gehen Sie noch mal raus und klopfen Sie an wie ein zivilisierter Mensch.“

„Aber Sir, ich...“

„Jennings“, sagte Nichol in mahnendem Tonfall.

In einer Mischung aus Entsetzen und Verzweiflung stöhnte der Petty Officer auf, verließ das Büro wieder, schloss die Tür und klopfte an.

„Herein!“

Der junge Mann trat wieder ein, nahm seine Mütze in die Hand und salutierte. „Sir. Wichtige Meldung vom CIC: Admiralsbarke nähert sich!“

Das weckte das Interesse des Kommandeurs der ENTERPRISE-Gruppe. „Welche Nation?“

„Amerikanisch, Sir.“

Nun war er vollends interessiert. Bekam er hier vielleicht Besuch von einem der anderen Sternträger, deren Flotten über die Welt verteilt waren, die sich aber noch nicht zu einem offenen Aufstand hatten entschließen können. Er griff nach seiner Dienstmütze. „Welche Flotte ist es denn? Erste? Zweite? Fünfte?“

„Siebte, Sir.“

„Unsinn. Die Siebte besteht nur aus der ENTERPRISE-Gruppe und zwei ihr zugeteilten Versorgerverbänden. Ich bin ihr einziger Admiral hier, und im Pentagon hat es nur noch einen für uns zuständigen Konter-Admiral und einen Air Force-Viersterner.“

„Es ist Admiral Richards, Sir“, sagte der Mann bedeutungsschwer.

Für einen langen Moment vergaß Nichol zu atmen. Dann holte er tief Luft. „WARUM HABEN SIE DAS NICHT GLEICH GESAGT?“

„Ich habe es ja versucht, aber Sie haben mich ja wieder vor die Tür geschickt“, murrte der Petty Officer.

Da war der Admiral aber schon längst an ihm vorbei und auf dem Flur. Im Dauerlauf sprintete der Mann zur Gefechtszentrale des Trägers.
 

„Admiral an Deck!“, brüllte ein Marine, und sofort hatte Nichol volle Aufmerksamkeit.

„Bericht!“, schnarrte er.

„Sir, Admiralsbark im Anflug. Es ist Admiral Richards mit einer Korvette. Offener Anflug, keine Tarnung. Wir werden gerufen.“

„Haben Sie Landeerlaubnis erteilt, Lieutenant?“

„Nein, Sir. Aber ich habe vier Hawks rauf geschickt, die den Admiral eskortieren. Sie befinden sich gerade auf einer Ehrenrunde.“ Der Mann wagte ein schüchternes Lächeln. „Hören Sie das, Sir? Das ist Jubel. Das ganze Deck ist voll mit unseren Leuten. Und auch von den anderen Schiffen wird das berichtet.“

„Ja, Himmelherrgott, wenn Sie das wissen, warum lassen Sie Richards dann nicht landen?“, polterte Nichol.

„Ich hole es sofort nach, Sir!“, rief der Lieutenant aufgeregt.

„Falls mich jemand sucht, ich bin auf dem Landedeck!“, sagte Nichol hastig und verließ das CIC wieder.

Er kam gerade rechtzeitig, um dabei zu zu sehen, wie die gigantische Korvette auf dem Landedeck aufsetzte. Es vergingen nur ein paar Sekunden, dann öffnete sich eine Schleuse, und Admiral Richards trat hervor. Er trug die weiße Gala-Uniform der Navy, und auf seiner Brust prangten seine Kampagnenabzeichen, Orden und Ehrenbänder. Spötter behaupteten ja, nur Blue Lightning hätte mehr als er.

„Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen!“, rief der Admiral.

„Erlaubnis erteilt!“, erwiderte Nichol und salutierte scharf.

Die Worte wurden vom Jubel der Männer und Frauen begleitet.

Richards trat näher und schüttelte Nichol die Hand. „Tut gut, mal wieder auf der alten Lady zu stehen.“

„Tut gut, Sie wieder auf der alten Lady zu sehen. Was treibt Sie vom Mars runter, dazu noch in der amerikanischen Version der Gala-Uniform?“

„Dienstliches, Dienstliches. Richards sah in die Runde. Viele der hier versammelten Leute kannte er mit Namen, einige hatte er noch nie gesehen. Ein Teil der Leute, die mit ihm auf diesem Schiff gekämpft hatten, war ihm damals zu UEMF gefolgt, und teilweise noch immer dort. „Kursänderung, Admiral Nichol. Wir fahren zur Hudson-Mündung.“ Richards warf dem ehemaligen Untergebenen einen abwägenden Blick zu.

„Kursänderung zur Hudson-Mündung, Aye“, sagte Nichol. Er vertraute diesem Mann noch immer mehr als jedem anderen. „Darf ich fragen, warum wir New York ansteuern?“

„Natürlich. Wir übernehmen mit dem Zeitpunkt unserer Einfahrt in den New Yorker Hafen die administrative Gewalt über die Stadt. Und das ist nur der Anfang.“

Die erstaunte Erwiderung Nichols ging im aufflammenden Jubel unter.
 

Eine halbe Stunde und eine improvisierte Jubelfeier später saßen die beiden in Nichols Büro. Eigentlich war es das Büro von Richards, aber die Zeiten änderten sich, und deshalb saßen sie diesmal auf vertauschten Seiten des Schreibtisches.

„Admiral, ich...“, begann Nichol.

„Die Lage ist relativ einfach. Wir übernehme die Stadt vom Legat und nach und nach das ganze Land. Ich werde in New York eine provisorische Regierung ausrufen und ihr vorstehen, bis freie Wahlen ausgerufen und durchgeführt sind.“

„Präsidentschaftswahlen?“, argwöhnte Nichol.

„Präsidentschaft, Senatorenkammer, Abgeordnetenhaus, alles.“

„Aber wir haben all das.“

Richards sah ihn spöttisch ein. „Sie meinen die Bande, die gegen die UEMF intrigiert hat? Verzeihung, aber ich werde keinen Mann an der Spitze der U.S.A. dulden, der vermeintliche Wirtschaftsinteressen über das Wohl der Welt setzt.“

„Aber Sie können mit jemandem leben, der die Welt in einen gigantischen Kokon hüllt, sie an einen kleinen Jungen überschreibt und uns nicht geholfen hat, als das Legat unser Land übernommen hat?“

„Ja, ja und nein. Bei letzterem haben wir selber Schuld. Wir, die Soldaten. Nicht die Bevölkerung. Ich persönlich hätte damals schon meinen Vize-Admiral in der Flottenzentrale aufgeben sollen. Ich hätte zurückkehren müssen, als amerikanische Piloten auf die internationale UEMF-Riege gefeuert hat. Ich habe das versäumt, und deshalb hatte das Legat überhaupt erst die Ansatzmöglichkeit, um unser Land im Handstreich zu nehmen. Der Ex-Präsident ist ein zu verschlagener, durchtriebener Politiker, um ihn für einen Verbündeten zu halten. Wer weiß, in welches Abenteuer er uns als nächstes führt, während die Welt auf Rettung wartet.“

„Eine verschenkte Welt, für die es keine gesetzliche Handhabe gibt“, hielt Nichol dagegen.

„Das ist ein Aspekt, über den wir schon tausendfach diskutiert haben. Und das sehr kontrovers“, sagte Richards mit einem Schmunzeln. „Fakt ist, dass auf uns naguadsches Recht angewendet werden musste, in dem Moment, als wir vor Aris Arogad kapituliert haben. Fakt ist aber auch, dass die UEMF dazu ermächtigt wurde, unsere Außenverteidigung und unsere Außenpolitik zu vertreten. Ihr oberster Vertreter, Eikichi Otomo, hat kapituliert, und damit auch wir.“

„Das steckt mir quer im Hals, Sir.“

„Genauso quer wie ein Angriff auf die UEMF-Stützpunkte in unseren Landesgrenzen? Oder glauben Sie etwa wirklich, die Verteidigungsbasen wären Stützpunkte für die Eroberung unseres Landes gewesen, wie es Wilsons Propaganda behauptet hat?“ Richards sah seinen Nachfolger ernst an. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Andrew. Mein Land braucht mich, ich habe einen Weg, um es zu retten, aber ich bin ein Weltenbürger geworden. Ich werde mein Land nie über die anderen Länder erheben, weil ich stets die ganze Erde sehe. Ich weiß, viele sehen in der UEMF eine okkupierende Möchtegern-Regierung, aber leider haben wir versäumt, die UNO mit Außenhandelsvollmachten auszustatten, als die Existenz der Naguad bekannt wurde. Ja, schon bei den Anelph, den Kronosiern, hätten wir dies tun müssen. Es war die Wilson-Administratur, die das immer wieder verhindert hat, und die UEMF unter Otomo als einziges Sprachrohr beließ. Wir Amerikaner haben uns die Grube selbst geschaufelt, in der wir nun hocken.“

„Heißt das, Sie werden die UNO nicht blockieren, wenn sie diese Außenhandelsrechte bekommt?“

Richards schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Das ist Quatsch, und das wissen Sie. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, und wenn Wasser drin ist, holt man es nicht mehr trocken raus. Dieser Zug ist für uns abgefahren. Das einzige, was uns noch bleibt, ist, die UEMF erneut durch die UNO zu bestärken und zu bestätigen. Schließlich ist die UEMF der Exekutiv-Arm der UNO.“

„Das bestreite ich nicht. Und was tut die UEMF, um uns Klatschnass wieder hoch zu ziehen?“

Richards lächelte dünn. „Wir übernehmen offiziell das Kommando über die Legats-Truppen auf amerikanischem Gebiet. Wenn die Krise beigelegt ist und ein neuer Präsident gewählt wurde, werden wir uns die Situation erneut ansehen und das Legat möglicherweise aus dem Land weisen.“

„Möglicherweise. Kommando übernehmen“, brummte Nichol unwillig.

„Sie müssen noch viel lernen, was Politik angeht. Politik heißt grundsätzlich, dass jeder mindestens eine Kröte schlucken muss. Die Kunst ist es, für sich selbst die kleinste auszuwählen. Wir können das Legat nicht mehr aus dem Land werfen. Dazu ist es bereits zu sehr vernetzt mit unserer Wirtschaft, mit unserer Infrastruktur. Ein Erbe der Wilson-Regierung, die sich davon Vorteile versprach. Sie hatten die UEMF und das Legat benutzen wollen. Was dabei heraus gekommen ist, sehen wir ja jetzt.“

„Ich gebe zu, die Übernahme der U.S.A. durch das Legat erfolgte nicht nur überraschend, sondern auch unblutig. Aber ich sehe als freier Bürger meines Landes nicht ein, warum ich das hinnehmen sollte.“

„Und genau aus diesem Grund fahren wir nach New York und nehmen das Schicksal unseres Landes wieder in eigene Hände“, schloss Richards. „Konnte ich Sie überzeugen, Andrew?“

„Sie hatten mich schon beim Hallo, Sir“, erwiderte der Kommandeur der ENTERPRISE-Gruppe mit einem schiefen Lächeln.

***

„Nein, ich setze mich da definitiv nicht rein!“, rief Michi Torah aufgeregt.

„Micchan, bitte! Es ist nun mal Vorschrift, dass du das Krankenhaus entweder liegend oder in einem Rollstuhl verlässt. Du darfst sofort aufstehen, sobald wir vor der Tür sind. Aber das sind versicherungstechnische Gründe“, flehte Akari.

„Ich bin kein Krüppel! Ich meine, Versehrte aller Welten und Zeiten, verzeiht mir, aber ich gehöre nicht zu euch! Ich bin eben ein Dickschädel, und das weißt du auch!“

„Micchan, ich bitte dich. Je eher du dich hier rein setzt, desto eher sind wir Zuhause.“

„Eine dämliche kleine Kugel bringt mich nicht um“, murmelte er gereizt. „Und sie zerstückelt mich auch nicht für den Rest meines Lebens. Nein, mir geht es gut! Mir geht es wirklich gut. Und ich brauche dieses Mistding nicht!“

„Es sagt ja auch keiner, dass du es brauchst.“ Flehentlich sah sich Akari nach Hilfe um, doch anscheinend wollten sich weder Pfleger noch Ärzte ernsthaft in den Disput einmischen. Aber sie schienen durchaus bereit zu sein, Michi am verlassen des Raums zu hindern, wenn dies nicht Vorschriftmäßig geschah.

Ich beschloss, der Farce ein Ende zu bereiten. „Michi.“

„Sensei! Ich habe dich gar nicht kommen gehört!“, rief er überrascht.

„Weil ich schon länger hier bin. Bringst du gerade meine kleine Schwester zum weinen?“

„Was? Nein, ich... Ich will nur nicht in dem Knochencontainer fahren und...“

„Rein in den Rollstuhl! Sofort!“

„Ja-jawohl!“ Hastig platzierte der Junge seine vier Buchstaben im Rollstuhl. Dabei machte er allerdings einen recht unglücklichen Eindruck, der noch verstärkt wurde, als er das Gesicht seiner Freundin sah.

„So, so. Ich bitte dich, rede mit Engelszungen auf dich ein, und ein kurzer Blaff von Oniichan, und du sitzt? Soll ich daraus auf deine Prioritäten schließen?“

Michi machte sich ein wenig kleiner, als er Akari derart in Rage geraten sah. „Das siehst du falsch! Ich...“

„Ich bin sein Meister, Akari. Oder hast du das schon vergessen?“ Ich stieß mich von der Wand ab und ging auf die beiden zu. „Tut mir Leid, aber vor mir hat er mehr Angst als vor dir.“

Übergangslos wich die finstere Miene einem erschrockenen, niedlichen Gesicht. „Aber nein, ich will doch nicht, das Micchan Angst vor mir hat.“

„Dann ist ja gut“, erwiderte ich und tätschelte ihr den Kopf. „Es wäre auch ein wenig unfair gewesen, weil Michi nämlich Angst vor dem... Knochencontainer hat. Das Ding zeigt ihm zu deutlich, was beinahe mit ihm passiert wäre. Es ist kein Wunder, wenn er nicht freiwillig drin sitzen möchte.“

Akari warf ihrem Freund einen scheuen Blick zu. „Das ist es also?“

„Ich weiß, es ist kindisch. Aber die Leute sollen auch nicht sagen, dass du einen Krüppel zum Freund hast. Ich...“

Weiter sprechen konnte er nicht mehr, denn Akari verschloss seine Lippen mit einem langen Kuss.

Als ich meinte, der Kuss würde lange genug dauern, also ungefähr nach zwei Sekunden, legte ich noch einmal zwanzig obendrauf, bevor ich direkt neben den beiden kräftig in die Hände klatschte. „Das reicht, das reicht. Manche sind beim küssen schon zusammengewachsen. So, Michi lässt sich jetzt von seiner Traumfrau aus dem Krankenhaus schieben, und dann geht es ab heim.“

Ich schmunzelte, wenngleich ein stetiger, pochender Schmerz meine nächsten Gedanken begleitete. „Du wirst bis zu deiner vollständigen Genesung an Körper und Geist bei mir einziehen, Michi.“

„Was? Aber das heißt ja...“

„Ja, das heißt, dass du mit Akari unter einem Dach wohnen wirst, wenigstens für einige Zeit. Und nein, das heißt nicht, dass ich euch rund um die Uhr überwachen werde. Verzeiht, aber ich versuche gerade euch zu vertrauen und euch außerdem nicht im Wege zu stehen, wenn passiert, was sowieso passieren würde.“ Ich hüstelte verlegen, um den frisch entstandenen Kloß aus meinem Hals zu vertreiben. Derweil ruhten die extrem weit aufgerissenen Augen der beiden auf mir.

Dies war für mich der richtige Zeitpunkt zum kontern. „Wie das die anderen sehen, weiß ich natürlich nicht.“

Diese Worte holten sie aus ihrem Hoch schneller runter als ein Bleigewicht.

„Oniichan!“, tadelte Akari.

„Wusste ich es doch“, brummte Michi.

Ich lächelte. „Lasst uns gehen.“

„Ja, Oniichan!“ „Darf ich auch fahren, Sensei?“

„Bengel“, tadelte ich. Aber wenigstens lächelten beide wieder.

Und der Weg aus dem Krankenhaus hinaus wurde noch recht lustig.
 

Epilog:

Sie nannten dieses Gebiet die Kruste. Es war ein Bereich in der Nähe jener Region, die einst Gray Zone genannt worden war, ein ursprünglich rechtsfreier Raum, in dem der AURORA-Führung erhebliche Schwierigkeiten bereitet worden waren. Nachdem diese Zone nach „oben“ in den eigentlichen Innenraum gezogen war, hatte man hier automatische Fabriken und Zuchtanlagen für Klonfleisch aufgebaut, die dringend nötig für die Versorgung der vergrößerten Begleitflotte geworden waren. Auch die Daina von East End benötigten Versorgung, die gewährleistet werden musste.

Die Kruste war ein poröser Bereich im Gestein. Die Blasen, oft mehrere Meter groß, konnten es nicht mit der Gray Zone aufnehmen, bei weitem nicht. Aber manche Blasen waren miteinander verbunden und führten oft Kilometertief durch den Bodenbereich der AURORA, in Bereiche, die nie zuvor ein Mensch betreten hatte – weil es nicht nötig war.

Eine dieser Spalten überwachte gerade ein Team des Blue Lightning-Regiments mittels heimlich angebrachter Minikameras. Das Team war gegnerischen Agenten auf der Spur, die definitiv gegen die Führung der AURORA arbeiteten. Bisher war auch ein relativ reger Verkehr in den Spalt hinein und wieder heraus festgestellt worden, aber kein Gesicht hatte zu den Fahndungslisten gepasst. Ihre Verweildauer war auch zu kurz, um irgendein Verbrechen anzunehmen; diskrete Untersuchungen dieser Menschen hatte auch keine illegalen Substanzen zutage gefördert, geschweige denn eine Form von Anweisungen. Terar, der Teamleiter, brachte es auf den Punkt. „Sie bringen etwas rein.“

Er sah in die Runde, sah seine Unterführer nicken. „Wir fangen einen ab, der rein will. Dann sehen wir, was er bei sich hat.“

Anderson Lee nickte ernst. Er griff zum Feldtelefon des Überwachungsstützpunktes. „General Ino, bitte. Wir brauchen eine Personendurchsuchungserlaubnis.“

Niemand konnte ahnen, was mit diesem Anruf ausgelöst werden würde. Niemand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ace_Kaiser
2012-09-04T12:41:57+00:00 04.09.2012 14:41
Warum nicht Atlantis? ^^ Wesen, die aus KI bestehen, sind bestimmt gut Lehrmeister dabei, wenn es um KI-Beherrschung geht.

Hm, dran gedacht noch nie. Meinst Du ernsthaft, da würde jemand mitmachen wollen? Vor allem bei der Datenflut?
Aber was schlimmer ist: Mit so einer Wiki würden ja alle meine Langzeitfehler entlarvt. ^^°°°
Von:  Miyu-Moon
2012-09-04T08:28:13+00:00 04.09.2012 10:28
Dann hat mich meine Erinnerung doch nicht getäuscht, den das mit dem Attentat hatte ich schon gelesen.
Atlantis als Ausbildungsstätte für künftige KI-Meister oder war das ein Mißverständnis?

Hast du schonmal dran gedacht ein eigenes Wiki für AE zu eröffnen? Wenn du auf Fanfiction so viele Fans hast (und auch hier?), werden die bestimmtglücklich darüber sein, die Datenbank zu füttern. (wird nur schade sein, dass wir keine Bilder haben, um Einträge zu unterstützen. )
Von:  Subtra
2008-04-10T09:05:33+00:00 10.04.2008 11:05
Sehr gut geschrieben, jedoch haben sich ein paar kleine Schreibfehler eingeschlichen, unter anderem bei dem Dialog zwischen Richards und Nicholsen hat Richard die Antwort "Dienstliches Dienstliches. gesagt und ein punkt, jedoch ohne die Anführungszeichen oben. Es müsste heissen:
"Dienstliches, Dienstliches". Hoffe so ists in Ordnung ^^


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