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In Nottingham

von  -Moonshine-

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Kapitel 10: Head-on collision

Kate wickelte sich ein Handtuch um die Haare und öffnete nach einem kurzen Blick auf den beschlagenen Spiegel das Badezimmerfenster. Sie drehte den Schlüssel um, drückte mit dem Ellenbogen die Klinke herunter und stieß mit einem Fuß die Tür auf.
Umständlich schlängelte sie sich an dem Regal, das in der Diele stand, vorbei und versuchte die Sachen in ihrem Arm nicht fallen zu lassen: Klamotten, ein Buch und die verdorrte Zimmerpflanze, die sie soeben aus dem Bad gerettet hatte.
"Kate?" Die Angesprochene blieb stehen und schaute auf. Claire stand vor ihr, in voller Montur: verwaschene Jeans, eine dunkelrote, schlichte Bluse und über dem Arm hing ein schwarzer Pulli. Das Eindrucksvollste an Claire waren aber ihre Haare. Sie hatte sie hochgesteckt und einige gelockte, Strähnen umrandeten elegant ihr Gesicht.
"Oh." Kate unterzog ihre Freundin einer verwunderten Musterung und die machte ihrerseits das Gleiche, nur dass sie Kate eher misstrauisch und leicht abfällig beäugte.
"Wie siehst du denn aus?" Belustigt wandte Kate sich ab und wollte schon den Weg zu ihrem Zimmer einschlagen, doch Claire stellte sich ihr verständnislos in den Weg.
"Dasselbe wollte ich dich gerade fragen", verkündete sie und runzelte die Stirn. Kate verstand nicht.
"Gehst du aus?", hakte sie nach und drängelte sich doch noch an Claire vorbei.
In ihrem Zimmer ließ sie ihre Kleidung und das Buch auf das Bett fallen und stellte die Pflanze ab.
Claire war hinter ihr hergekommen und ließ sich ebenfalls auf dem Bett nieder.
"Nein", sagte sie und beobachtete, wie Kate in ihrem Bademantel im Zimmer herumwuselte, um ihre Sachen in den Schrank einzuordnen.
"WIR gehen aus."
Kate's Kopf erschien augenblicklich hinter der geöffneten Schranktür. Sie runzelte die Stirn.
"Wir sind auf einem Geburtstag eingeladen", fügte Claire erklärend hinzu. "Schon vergessen?"
Als von Kate, die ihre Freundin schweigend anstarrte, immer noch keine Reaktion kam, ergänzte sie: "Dave."
Ihrer Freundin fiel fast die Kinnlade herunter und ihre Augen weiteten sich.
"Nein, nein", winkte sie schnell ab und hob abwehrend die Hände. "Ohne mich, Claire. Niemals."
Claire hob eine Augenbraue. "Doch", sagte sie seelenruhig. "Ich gehe nur mit dir dort hin."
Kate schloss die Schranktür und funkelte ihre Freundin böse an.
"Warum, um Himmels willen, sollte ich dort hingehen? Erstens mag ich Dave nicht, zweitens hab ich keine Lust, mir mit anzusehen, wie Jake..." Sie stockte. "Und außerdem haben wir gar kein Geschenk..." Kate hatte Dave's Geburtstagseinladung ganz vergessen und wollte den Abend eigentlich damit verbringen, im Bett zu liegen und zu lesen.
Ihr war ganz und gar nicht nach Gesellschaft zu Mute.
Claire lächelte nur überlegen. "Erstens", erwiderte sie souverän, "du musst ihn ja nicht mögen. Da werden noch viele Andere sein. Zweitens, müssen wir dort hin, um genau das zu unterbinden und drittens..." Sie machte eine kurze Pause und in ihren Augen funkelte es angriffslustig. "Ich habe bereits ein Geschenk besorgt, also keine Sorge."
Kate lies im stummen Erstaunen die Arme sinken. Sie wusste, dass Claire von ihrem Vorhaben nicht abzubringen war.
"Unterbinden?", wiederholte sie zweifelnd.
"Du weißt schon." Claire machte eine ausschweifende Handbewegung. "Wenn sie auftaucht, schnappst du dir Jake, wenn sie zu zweit sind, tauchst du wie aus dem Nichts auf und so weiter..."
Kate betrachtete ihre fröhlich vor sich hin plappernde Freundin argwöhnisch. Das konnte unmöglich ihr Ernst sein? Sie hatte keine, aber auch gar keine Ambitionen, sich in Jakes Liebesangelegenheiten einzumischen und genau deswegen wollte sie auch nicht anwesend sein, wenn es zu Diesen kam.
"Du spinnst doch", warf sie Claire verächtlich an den Kopf und schüttelte fassungslos den Ihren.
"Das geht mich alles doch nichts an. Sie sollen tun und lassen, was sie wollen, aber ich misch da sicher nicht mit."
Entschieden schob sie ein paar Blatter Papier, die auf ihrem Tisch lagen, zur Seite und zog sich das Handtuch vom Kopf.
"Oooch, Kate", lächelte Claire verschlagen. "Du wirst doch nicht kampflos aufgeben? Wie willst du da jemals gewinnen?"
"Ich will weder kämpfen noch gewinnen. Wenn du da unbedingt deine Nase reinstecken willst, dann bitte aber halt mich da raus. Ich habe schon genug im Kopf, ohne mir das freiwillig anzutun", schimpfte Kate und warf ihrer Freundin einen strengen Blick zu.
Claire legte den Kopf etwas schief und dachte einen Moment lang nach.
"Na gut", entschied sie dann und Kate atmete schon erleichtert auf, in der Annahme, dieses Duell tatsächlich gewonnen zu haben. "Dann gehe ich eben ohne dich und erkläre unserem Jakey mal, was Sache ist."
Kate kniff die Augen zusammen und musterte ihre Freundin prüfend, doch die hielt dem Blick mit einem dreist-freundlichem Lächeln stand.
"Du hast gewonnen", knurrte Kate schließlich wiederwillig.
Claire war in ihrer momentanen Stimmung alles zuzutrauen und nach dem Kinobesuch war sie viel vorsichtiger geworden. "Und was schenken wir ihm?"
Claires Grinsen wurde breiter. "Eine Aufblasbahre Gummipuppe, die Kate heißt", antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.
"Oh, schon gut, schon gut. Ein Scherz!", fügte sie augenrollend hinzu, als sie Kates geschockten Gesichtsausdruck bemerkte. "Einen Führer durch Londons beste Clubs und eine Flasche Sekt."
"Das hoffe ich sehr für dich", brachte Kate zwischen zusammengepressten Zähnen noch immer ein wenig ungläubig hervor und fügte dann hinzu: "Aber wir bleiben nicht lange."
Wenn sie gedacht hatte, dass Claire wenigstens diesen einen Kompromiss machen würde, hatte sie sich getäuscht. Claire grinste überlegen.
"Wir bleiben, solange es nötig ist."

"Bist du sicher, dass du die Haare so tragen willst?"
Das "so" besonders abfällig betonend, betrachtete Claire, die es sich auf Kate's Bett mit einer Klatschzeitschrift gemütlich gemacht hatte, ihre Freundin kritisch.
Kate, in der letzten halben Stunde damit beschäftigt, sich die Haare zu fönen und etwas zum Anziehen zu finden, das Claire zufrieden stellte, sah ihre Freundin entnervt an, während sie an ihren Haaren herumnestelte. "Was ist es denn diesmal?"
"Nichts. Ich dachte nur..." Claire bemühte sich, ihrer Stimme einen unschuldigen Tonfall zu verleihen, doch der Blick blieb noch immer unzufrieden an Kate hängen.
"Was?"
"Mit dem Pferdeschwanz siehst du aus wie 16." Augenblicklich ließ Kate von ihren Haaren ab und seufzte resigniert. "Na super."
"Lass sie doch einfach offen", schlug Claire aufmunternd vor.
Kate's Haare waren so glatt und gerade, dass man kaum etwas mit ihnen anfangen konnte, zumindest nicht ohne viel Zeit und noch mehr Aufwand, und beides war gerade in weiter Ferne.
"Mir bleibt wohl nichts anderes übrig." Schlechtgelaunt griff Kate nach ihrer Bürste, um die Haare noch ein letztes Mal durchzukämmen. Mit einer Haarnadel steckte sie eine längere Strähne ihres Ponys, die immer ungefragt ins Gesicht hing, fest und steckte für alle Fälle doch noch ein Haargummi und ein paar Spangen ein.
Mit einem Ruck erhob sich Claire vom Bett und grinste Kate siegessicher an.
"Kann's losgehen?", wollte sie fröhlich wissen und marschierte zielstrebig aus dem Zimmer, ohne die Antwort abzuwarten.
"Sicher." Kate, die ihrer Freundin weitaus weniger Begeisterung folgte und aus dem Zimmer trottete, wie ein Lamm, dass gerade zur Schlachtbank geführt wurde, warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den Bücherstapel, den sie sich hatte vornehmen wollen und schloss schließlich die Zimmertür hinter sich.

"Woher weißt du, wo Dave wohnt?" Kate sah sich suchend um und betrachtete die Häuser rechts und links der Straße. Sie standen dicht aneinandergedrängt und sahen alle gleich aus, mit der Außenfassade aus rotem Ziegel und dem kleinen Vorgarten, in den gerade mal ein kleiner Apfelbaum passte. Claire warf einen Blick auf den Zettel mit Dave's Adresse, den sie aus ihrer Jackentasche holte.
"Er wohnt bei seinen Eltern", spulte sie automatisch ab. "In der Appledore Avenue Nummer 53, hat er gesagt."
"Hat er gesagt?", hakte Kate misstrauisch nach.
"Als er angerufen hat, um seine Adresse mitzuteilen", ergänzte Claire fröhlich. "Du warst gerade einkaufen."
Kate blieben die Worte im Halse stecken. Jetzt telefonierte ihre beste Freundin hinter ihrem Rücken schon mit Dave! Irgendwas lief schief, und das gründlich!
"Das hat dir ja wieder wunderbar in den Kram gepasst", beschwerte sie sich mürrisch, "mich nicht fragen zu müssen."
Claire lächelte. "Komm schon, Kate. Sei nicht so. Wir werden viel Spaß haben", sagte sie freundlich, versöhnlicher.
Jake, Rachel und Dave dicht gedrängt an einem Ort, was für ein Spaß!
"Und wenn ich persönlich dafür sorgen muss", drohte sie im Scherze und grinste selbstsicher.


"Noch können wir gehen", schlug Kate hoffnungsvoll vor und strich sich leicht nervös eine Strähne hinters Ohr, das Namensschild neben der Klingel betrachtend.
Claire betätigte diese prompt.
"Zu spät." Sie grinste, als sie Kate's besorgtes Gesicht sah. "Mach dir keine Sorgen um Jake und Rachel. Dafür hast du ja mich. Alles, was du tun musst, ist, dich zu amüsieren."
Genau darum machte Kate sich ja Sorgen...
Aus dem Inneren des Hauses drang laute Musik nach draußen, aber anscheinend dachte niemand daran, die Tür aufzumachen, was Kate zu naiven Hoffnungen verleitete. Unzufrieden runzelte Claire die Stirn und drückte ein zweites Mal auf den Klingelknopf, dieses Mal länger und drängender.
Kate kam der plötzliche Gedanke, dass Claire dadurch, dass sie nun auf Frontalangriff setzte, so ihre Misere mit Gabe kompensiert. Schließlich musste sie ihren Frust und ihre momentane Streitsucht ja an irgendwem auslassen und da kam ihr Rachel wahrscheinlich gerade recht.
Kate fühlte sich unbehaglich. Auch, wenn Rachel genau unsympathisch fand, wollte sie doch nicht, dass Claire sich ihrer "annahm", wie diese selbst es ausdrückte.
Bevor sie ihre Überlegungen jedoch weiter vertiefen konnte, wurde die Tür schwungvoll aufgerissen und ein rothaariger, schlaksiger Junge mit Sommersprossen auf der Nase, starrte die beiden Mädchen einen Augenblick lang emotionslos an. Claire starrte erbarmungslos mit demselben, regungslosen Ausdruck zurück, während Kare sich zwang, ihn tapfer anzulächeln.
"Äh, hallo...", sagte sie vorsichtig, als der Junge noch immer weder ein Wort von sich gegeben, noch die Zwei hereingebeten hatte. "Ist eh, Dave da?"
Dumme Frage. Die Musik und der Lärm waren ein unverkennbares Anzeichen dafür, dass die Party bereits in vollem Gange war.
Der sommersprossige Dreikäsehoch verdünnisierte sich und ließ die Mädchen einfach vor der offenen Tür stehen. Claire und Kate wechselten einen skeptischen Blick, aber da tauchte schon das Geburtstagskind auf der Bildfläche auf und fiel, ehe sie sich versah, Kate um den Hals.
Mit vor Schreck offenem Mund ließ sie die Prozedur - Tortur - über sich ergehen, während Claire ihr hinter Dave's Rücken frech zugrinste, einen Daumen nach oben streckte und David sie einen Moment länger als nötig in seiner Umarmung hielt. Das fing ja gut an!
Schließlich ließ er doch los und begrüßte sie und Claire, wobei es den Mädchen auffiel, dass er bereits leicht schielte und seine Augen hektisch hin und her huschten, nicht fähig, eine einzelte Person über einen längeren Zeitraum hinweg fest zu fixieren.
Er lotste sie in die Diele hinein, wo sie ihre Jacken einen großen Berg voller bunter Anderer ablegten, weil die Garderobe bereits brechend voll war.
"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag." Mit diesen Worten drückte Claire dem braunlockigen Jungen eine Geschenktüte in die linke und griff nach seiner rechten Hand, um sie zu schütteln.
"Danke, danke." Überschwänglich schüttelte Dave Claire's Hand und schien sie gar nicht mehr loslassen zu wollen, während er einen Punkt überhalb ihrer rechten Augenbraue strahlend angrinste.
"Ich hole euch etwas zu trinken", bot er eifrig an, nachdem auch Kate ihre Glückwünsche losgeworden war. "Bin gleich wieder da." Er verschwand im Wohnzimmer und die Mädchen beschlossen, ihm zu folgen.

Beim Betreten des Zimmers schlug ihnen eine stinkende Wolke aus Dunst und Alkohol entgegen. Der Raum schien für die Menge an Leuten, die sich darin befanden, fast schon zu eng zu sein. Ein paar Jungs saßen auf der Couch, vor ihnen auf dem Couchtisch standen unzählige geöffnete Flaschen Bier und noch diverse andere, bestimmt keine alkoholfreien Getränke.
Auf einem, zum Sofa passenden, Sessel schienen zwei Personen weiblichen und männlichen Geschlechts, ineinander verworren und knutschten heftig herum, während der Typ, auf dessen Schoß das Mädchen saß, seine Hand alles andere als unauffällig auf ihrem Hintern platziert hatte.
Ein Grüppchen Kerle stand um die Musikanlage herum und diskutierte heftig und einige Mädels, nur wenige Meter weiter, warfen diversen männlichen Kandidaten interessierte bis begierige Blicke zu, tuschelten untereinander und kicherten. Ansonsten rannten ständig irgendwelche Leute im Zimmer herum, verschwanden durch eine Tür raus und andere kamen durch dieselbe wieder herein, mit neuen Flaschen Bier in den Händen. Dort musste also die Küche sein.
"Sie sind noch nicht da", raunte Claire Kate zu und brachte diese dadurch zurück ins Hier und Jetzt.
"Oh Gott." Kate schnappte nach Luft, die dringend nötig war. "Ich weiß schon, wieso ich nicht so gern auf Parties gehe." Sie warf Claire einen beschuldigenden Blick zu, den diese geflissentlich ignorierte.
"Hmmm..." Claire taxierte einen Schwarzhaarigen jungen Mann, der aus der Küche kam und zielstrebig durch den Raum schritt, bis er bei seinen Freunden ankam. "Lauter zukünftige Ärzte hier, was?" Sie grinste anzüglich. "Such dir einen aus, Kate, solange du die Gelegenheit dazu hast."
Die Angesprochene verdrehte die Augen. "Danke für den Ratschlag, mal sehen, was sich machen lässt", erwiderte sie trocken, als ihr in diesem Moment der Junge mit den Sommersprossen auffiel, der ihnen die Tür geöffnet hatte.
Er saß im Schneidersitz auf der gepolsterten Bank in der Fensternische und starrte Claire und sie immer noch ausdruckslos an, ohne auch nur einmal zu blinzeln.
Kate wandte sich schnell ab und befand, dass der Junge - er war vielleicht so um die 14 Jahre alt, wie sie schätzte - ihr unheimlich war und fragte sich gleichzeitig, warum so ein Kind auf so einer Feier dabei sein durfte.
Ihre Aufmerksamkeit wurde wieder von Claire abgelenkt, die sie am Ärmel zupfte und ihr bedeutete, ihr zu folgen. Beide bahnten sich einen Weg durch die Menge und blieben schließlich am Bücherregal stehen, inmitten all der schnatternden und lachenden Grüppchen.
Sofort besah sich Kate die Bücher an, doch Claire packte sie an der Schulter und drehte sie verärgert zu sich hin.
"Jetzt lass doch mal. Du bist nicht zum Lesen hier", wies sie sie zurecht und schaute sich prüfend um. "Der Plan sieht so aus..."
"Plan?", unterbrach Kate verwirrt. "Was für ein Plan?"
"Lass mich ausreden!" Claire sah ihre Freundin gereizt an. Das Lied wechselte.
"Dave scheint schon betrunken zu sein, also sollte er das geringste Problem darstellen."
Jetzt, wo Claire es erwähnte, fiel Kate auf, dass David gar nicht mehr mit den Getränken, die er für sie holen wollte, wieder aufgetaucht war. Erleichtert stellte sie fest, dass er, mit zwei Gläsern in beiden Händen, bei ein paar Mädchen stand und sich mit ihnen zu unterhalten schien. Er hatte sie bereits vergessen!
"Und weiter?", wollte sie von Claire wissen. Wenn der Plan beinhaltete, dass sie sich von Dave fernhalten sollte, wie schlecht konnte er dann sein?
"Und weiter schnappst du dir einen schmucken Kerl und verlebst mit ihm eine heiße Nacht." Sie kicherte, als sie Kate's entsetztes Gesicht sah. "Reg doch nicht auf, war nur Spaß." Claire lächelte entspannt, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken an das Regal, während sie ihren Blick im Raum schweifen ließ.

"Da, schau", wisperte Claire und deutete mit einem vagen Kopfnicken in Richtung Küche. Kate folgte dem Wink und erblickte die mehr als nur freizügig gekleidete Rachel. Ihr Top hatte einen enorm weiten Ausschnitt und entblößte darüber hinaus auch viel Bauch. Das knappe Röckchen und ihre schwarzen Stiefel trugen nicht gerade zur Verbesserung des Anblicks bei.
"So viel Selbstbewusstsein will ich auch haben, dass ich so was tragen kann, ohne rot zu werden", murmelte Kate abwesend, nicht so sicher, ob die Bewunderung für Rachel's Selbstsicherheit überwiegen sollte oder doch eher die Verachtung.
"Glaub mir, das willst du sicher nicht." Claire streifte Rachel mit einem "von oben herab"-Blick. Dass bei ihrer Beurteilung die Verachtung klar hervorstach, war nicht zu verkennen.
"Wie schrecklich", fuhr sie weiter fort und nippte an ihrem Lemon-Water, das sie sich in der Zwischenzeit geholt hatte. "Sie ist zweifellos eine von diesen 'für eine Nacht'-Tussen, mit denen sonst nichts anzufangen ist."
"Das weißt du doch gar nicht", verteidigte Kate Jake's Schwarm widerwillig fragte sich noch in selben Moment, was das sollte. Sie mochte Rachel doch ebenfalls nicht, empfand es aber als ihre Pflicht, Claire darauf hinzuweisen, keine allzu vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Immerhin kannten sie Rachel ja wirklich nicht gut.
Claire warf ihr einen empörten Blick zu. "Also wirklich Kate. Ich bin auf deiner Seite, aber auf wessen Seite bist DU?"
Kate seufzte. "Du weißt schon, was ich meine. Vielleicht ist sie ja... ganz nett...", erwiderte sie zaghaft und nicht sehr überzeugend, wobei sie sich die letzten zwei Worte regelrecht herauswürgen musste. Das glaubte sie jawohl selbst nicht!
"Genau. Und treu und schüchtern." Claire lachte trocken. "Und Schweine fliegen."
"Man sollte nie zu schnell urteilen", beharrte Kate dennoch, obwohl sie insgeheim ahnte, dass Claire womöglich Recht haben könnte. Schüchtern war Rachel wirklich nicht... und was die Treue anging... so hatte sie von Jake so einiges aufgeschnappt, allerdings hatte Rachel auch mit keinem Einzigen ihrer Dates - und es waren wirklich eine Menge gewesen - etwas Ernstes angefangen.
Als ob sie ahnte, dass über sie geredet wurde, drehte Rachel sich just in dem Augenblick um und warf den Beiden einen verächtlichen Blick zu.
Kate wandte den Ihren schnell ab, doch Claire hielt stand und musterte Rachel ebenso abfällig von oben bis unten, wie dieses es auch tat.
Daraufhin lächelte Claire Kate zu. "Wenn Blicke töten könnten", bemerkte sie fröhlich, von Rachel's bohrenden Blicken kein bisschen eingeschüchtert, ja, sogar durch diese noch mehr angestachelt, ganz anders als Kate. "Ich frag mich bloß, was sie gegen dich hat." Mit einem unschuldigen, ratlosen Schulterzucken nahm sie einen Schluck aus ihrem Glas.
"Wieso mich?", wollte Kate alarmiert wissen. "Du hast sie letztes Mal wie einen Depp dastehen lassen."
Bei der Erinnerung musste Claire voller unverhohlener Schadenfreude grinsen.
"Hey", winkte sie arglos ab. "Ich bin nur dein Handlanger."
Kate knurrte unerfreut. "Ein selbsternannter Handlanger."
Bevor sie die Diskussion weiter ausführen konnten, ertönte die Türklingel.
Der Sommersprossenjunge fuhr blitzschnell auf und raste quer durch das Zimmer zur Haustür.
Seelenruhig schaute sich Claire, mit ihren Gedanken schon woanders, im Raum um und taxierte den ein oder anderen männlichen Gast.
Es war Kate, die desinteressiert zur Tür blickte, als vier weitere Gäste eintraten.
Erschrocken musste sie gleich ein zweites Mal hinsehen und verschluckte sich fast an ihrem Wasser. Es waren nicht vier neue Gäste, es waren drei und der Vierte war der rothaarige Junge. Doch das war es nicht, was sie so erschreckt hatte. Jake war gekommen... mit zwei seiner Freunde im Gepäck. Einer davon war Gabe.
Das ganze Szenario kam ihr unangenehm bekannt vor, es war so, als hätte sie ein Déja-vu, nur, dass das erste Erlebnis wirklich stattgefunden hatte und sie sich haargenau daran erinnern konnte.
"Claire!", japste sie aufgeregt und zupfte ungeduldig an deren Ärmel, bis sie sich endlich zu Kate umdrehte. Gespannt beobachtete Kate die drei neu Hinzugekommenen und stellte erleichtert fest, dass weder Jake noch Gabe bisher auf die Mädchen aufmerksam geworden waren. Sie gratulierten Dave und dieser machte eine vage Handbewegung, woraufhin die drei Jungs höflich lächelten. Der Dritte im Bunde war ein segelohriger Schwarzhaariger, den Kate schon einmal in dem sagenumwogenen Pub kennen gelernt hatte, aber sein Name wollt ihr einfach nicht mehr einfallen.
Nervös knabberte sie an ihrer Unterlippe. Gabe hatte vielleicht Nerven, hier aufzutauchen! Andererseits aber hatte sie doch gar nicht vorgehabt, auf den Geburtstag zu gehen und Jake hatte sie auch nichts gesagt, wie also konnte er wissen, dass sie und Claire heute hier anwesend sein würden?
Claire folgte Kate's besorgten Blick und hielt ebenfalls inne, doch anstatt, dass Kate's Unruhe auf sie abfärbte, blieb sie ruhig und kühl wie immer.
"Mhhm...", machte sie nachdenklich, während sie an ihrem Lemon-Water nippte.
Kate zwang sich, ihren panischen Blick von den Jungs abzuwenden. "Ich habe doch gleich gesagt, hierher zu kommen war 'ne schlechte Idee!", zischte sie verstimmt, doch ihre Freundin zuckte nur die Achseln, Jake und Gabe immer noch fest fixierend. In ihren Augen funkelte es wieder angriffslustig, als sie sich mit einem geheimnisvollen, kleinen Lächeln zu Kate umdrehte.
"Nein, nein", erwiderte sie verschmitzt. "Das erhöht nur den Schwierigkeitsgrad."
Fassungslos starrte Kate sie an, bis ihr klar wurde, dass Claire es absolut ernst meinte.


"Hallo Kate..." Gabe zögerte kurz. Er sah doch tatsächlich leicht verlegen aus.
"Hi Claire", tastete er sich vorsichtig heran. Er hatte noch immer die letzte Begegnung mit ihr im Kopf und die Standpauke, die Kate ihm gehalten hatte. Aber diesmal traf ihre Anwesenheit ihn ganz unvorbereitet. Genau so, wie das nächste, was passierte.
"Hi Gabe." Claire nickte ihm kurz geschäftig zu und beachtete ihn nicht weiter, aber allein, dass sie schon mit ihm redete brachte beide, Kate und auch Gabe, ziemlich aus dem Konzept. Sie wechselten einen überraschten Blick, während Jake schon dabei war, sich um den Verstand zu plappern.
"Ich wusste gar nicht, dass ihr auch kommt. Du hast doch gesagt, du wolltest nicht." Das war an Kate gerichtet und diese zuckte nur unmotiviert die Schultern und trank noch etwas aus ihrem Glas, um darauf nicht antworten zu müssen. Doch zum Glück bestand er nicht auf einer Antwort und redete schon weiter.
"Ich hatte es auch ganz vergessen, Gabe war ja zu Besuch... Aber dann hat Dave angerufen um seine Adresse durchzusagen und na ja... so hat sich das halt ergeben", erzählte er munter weiter, ohne, dass jemand danach gefragt hatte oder ihm tatsächlich zuhörte.
"Sag mal, Jake..." Claire schaute sich nachdenklich um. "Diese ganzen Typen, kennst du die alle?" Sie schwenkte vage mit ihrem fast leeren Glas in den Raum hinein.
"Äh, ja, die meisten sind aus meinem Studium", antwortete Jake unbeirrt und blinzelte verwirrt, als Claire ihn daraufhin lauernd anlächelte.
"Wirklich?", wollte sie wissen und machte einen Schritt auf ihn zu, sodass sie nun schräg neben ihm stand. "Willst du sie mir nicht vorstellen?"
"Wenn du möchtest...", erwiderte er zögerlich und warf Gabe einen ratlosen, hilfesuchenden Blick zu, doch dieser deutete nur freundlich eine Kopfbewegung an, die soviel sagte wie "nur zu".
Ohne auf den heimlichen Austausch zu achten, hakte sich Claire bei Jake ein und zog ihn mit sich fort zu dem Esten ihrer auserkorenen Ziele.
Kate verzog das Gesicht ob dem Verhalten ihrer Freundin. Auf lange Sicht gesehen konnte diese Methode doch nicht ewig fruchten, aber sie ahnte schon, dass Claire damit mehr bezweckte, als sich nur von Gabe fernzuhalten und ihn gegebenenfalls zu triezen. Sie hielt so ganz nebenbei auch Jake von Rachel fern.
"Das könnte ja interessant werden...", murmelte Gabe abwesend, während er Claire's Rückansicht bewunderte, die sich von ihm entfernte. Dann wandte er sich ab und widmete sch Kate.
"Ich schätze, du bist wohl auch nicht ganz freiwillig hier, hm?" Er lachte kurz auf. "Hat sie dich hergezwungen?"
Kate seufzte. "Ja. Du auch nicht?"
"Mir blieb nichts anderes übrig. Außerdem hatten wir sowieso nichts zu tun..." Bei diesen Worten zog er ein gelangweiltes Gesicht, das ziemlich schnell einem frohen Grinsen wich. "Aber ganz offensichtlich hat es sich gelohnt."
"Für dich vielleicht." Kate rümpfte abfällig die Nase und mit ihren nächsten Worten brachte sie Gabe zum Lachen. "Ich kann nicht gerade behaupten, mir macht das hier viel Spaß."
"So siehst du auch nicht aus", gab er belustigt zu und nickte dann mit dem Kopf in Richtung Fensternische, wo sich der rothaarige Junge wieder breit gemacht hatte und das Gewusel um sich herum stumm beobachtete. "Wollen wir uns setzen?"
Kate folgte ihm zum Fenster und ließ sich neben Gabe nieder. Der Junge machte sofort Platz, sprang auf und starrte Kate sekundenlang genauso ausdruckslos an, wie vorhin an der Tür. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie bis jetzt noch keinen anderen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen.
"Hast du 'nen Freund?", fragte er unvermittelt, sie immer noch anstierend.
Neben ihr gluckste Gabe vergnügt, während sie den kleinen Jungen irritiert anschaute.
"Bist du nicht noch ein bisschen zu kurz gewachsen für so eine Frage?" Kate hob zweifelnd die Augenbrauen und wusste nicht so recht, was das sollte.
Der Junge zuckte nur gleichgültig die Schultern und trottete gemächlich davon, nur, um sich am anderen Ende des Raumes auf einen Stuhl zu platzieren und wieder in die Menge zu glotzen.
Verunsichert wandte sich Kate zu Gabe um, der belustigt den Kopf schüttelte.
"Früh übt sich, was sich werden will", scherzte er und zwinkerte Kate zu.
"Du sagst es", erwiderte sie grimmig. "Der Junge ist sowieso seltsam. Was macht er überhaupt hier und zu wem gehört er?"
Gabe grinste. "Ich glaube, das ist Dave's jüngerer Bruder... Er hat irgendwas davon erwähnt, dass seine Eltern das Wochenende über nicht da sind. Wahrscheinlich muss er auf ihn aufpassen oder so was..."
Kate verdrehte die Augen und schnaubte leise. "Das nennt ihr Männer also 'aufpassen'?"
"Hey, zieh mich da nicht mit rein!" Gabe hob abwehrend die Hände und grinste.
"Ist doch wahr..." Mürrisch schaute Kate sich um und erblickte Claire, die, den scheinbar willenlosen Jake hinter sich herzerrend, auf sie zukam.
Sie parkte ihn vor Gabe und quetschte sich zwischen Kate und die Wand.
"Siehst du den blonden Schnuckel dort hinten?", raunte sie ihrer Freundin leise zu und schaute in die Richtung einer Gruppe von Medizinstudenten, die merkwürdigerweise alle blonde Haare in verschiedenen Abstufungen hatten.
"Äh... ja?", versuchte Kate es unsicher.
"Und, was sagst du?" Claire strahlte ihre Freundin erwartungsvoll an. Diese jedoch zuckte nur ratlos die Schultern, da sie immer noch nicht wusste, welchen von den Dreien Claire genau meinte.
"Sieht nett aus...", sagte sie vage, in der Annahme, Claire hätte sich einen von denen ausgeguckt, um Gabe ein bisschen zu ärgern.
"Ja? Soll ich ihn dir vorstellen?" Sie grinste anzüglich. "Sein Name ist Ben, er stu..."
"Nein, danke", unterbrach Kate gereizt. "Lass gut sein."


Irgendwann im Laufe des Abend hatten sich Kate und Claire in die Küche verzogen, wo sich die Gäste zu ihrem Glück nur wenige Augenblicke lang aufhielten. Genauer gesagt, nur so lange, bis sie sich ihr Bier aus dem Kühlschrank genommen hatten. Claire hatte Jake mitgeschleift, also war auch Gabe hinterhergetrottet, der von ihr immer noch erbarmungslos ignoriert wurde. Statt seine Nähe zu meiden, tat sie jetzt einfach so, als sei er gar nicht anwesend.
Kate ging das Ganze ein wenig auf die Nerven, aber sie war an diesem Abend sowieso schon zu schlecht gelaunt, um sich über diese Kleinigkeit zu beschweren. Beschwerden halfen bei Claire leider nicht weiter, sie machte ja ohnehin nur das, was sie wollte.
Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl am Küchentisch nieder, legte ihre Brille ab und massierte sich kurz die Schläfen. Im Wohnraum wurde stark geraucht und ihre Augen tränten schon. Ein Glück, dass sie ihre Brille mitgenommen hatte. Darüber hinaus, dass sie so nicht sofort Augenschmerzen bekam, schützen die Gläser ihre Augen auch vor dem aggressiven Rauch.
Die Küche hingegen war wie ein Frischlufttempel - obwohl es mit der frischen Luft hier drin auch nicht weit her sein konnte, aber verglichen mit dem Wohnzimmer war alles besser.
Verdrießlich sah ihr Claire dabei zu, wie sie ihre Brille auf den Tisch legt und sich auf dem Stuhl zurücklehnte. Sie war gegen die Brille gewesen, aber Kate hatte nicht mit sich reden lassen. Wenn Claire sie schon zu einem Event schleppte, zu dem sie gar nicht gehen wollte, dann war es ihr gutes Recht, wenigstens ihre Brille mitzunehmen. Sie hatte schon so etwas geahnt... Und Kopfschmerzen hatte sie in letzter Zeit auch gehabt. Wenn ihr Augenarzt das wüsste, dachte Kate mit schlechtem Gewissen, das noch größer wurde, als ihr einfiel, wie lange sie einen Arztbesuch bei ihm schon aufschob.
"Oh man, ist die Party lahm", beschwerte sich ihre beste Freundin und fuhr sich mit der Hand über die Haare. "Und die Gesellschaft lässt auch zu wünschen übrig." Sie warf Gabe einen vielsagenden Blick zu, von dem dieser sich jedoch nicht stören ließ. Ganz im Gegenteil, er grinste seine Ex-Freundin nur schelmisch an.
"Ich für meinen Teil finde die Gesellschaft ganz reizend", schmeichelte er ihr bedeutungsvoll, doch sie wandte sich hochmütig von ihm ab, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Jake fischte sich aus dem Kühlschrank zwei Flaschen Bier und schob eine davon Gabe hin. Besorgt stellte Kate fest, dass ihr bester Freund an diesem Abend ziemlich viel trank, und auch sehr viel durcheinander. Es war sein drittes Bier, aber davor hatte er schon diverse gemischte, alkoholhaltige Getränke heruntergekippt, meist in einem Zug, und so richtig gut sah er auch nicht mehr aus. Ein seliges, entrücktes Lächeln schmückte sein Gesicht und er sah sogar noch argloser aus als schon im Normalfall.
Das, und der glasige Ausdruck in seinen Augen, waren die einzigen Anzeichen seines Rausches.
Kate kannte das schon - Jake sprach und benahm sich zwar meist unauffällig, wenn er einen über den Durst getrunken hatte, aber wenn er diesen weltabgewandten, versonnenen Ausdruck hatte, war klar, dass etwas nicht stimmte. Spätestens, wenn er anfing, irgendeinen Unsinn daherzureden, wusste man es ganz sicher: Jake war betrunken.
Kate wechselte einen kritischen Blick mit Gabe, der nachdenklich an seiner Flasche nippte – gerade mal seine Zweite.
Als Jake sich kurz auf die Toilette verdrückte, war es allerdings Claire, die Jake's übermäßigen Alkoholkonsum diesen Abend ansprach.
"Was soll das denn werden, wenn's fertig ist?" Missbilligend hob sie die Augenbrauen und blickte Kate fragend an, als sei es ihre Idee gewesne, Jake bis oben hin abzufüllen.
Gabe, der sich mittlerweile an sein Luft-Dasein gewöhnt hatte, antwortete statt Kate. "Er ist nur ein bisschen nervös..."
"Ah", unterbrach Claire und wandte sich nun zum ersten Mal direkt an ihren Ex-Freund. "Und ich dachte, das sei wieder eine von diesen 'ich muss mich rar machen'-Strategien."
Gabe schien überrascht und blickte sie verdutzt an, doch Claire hielt mit ihrem herausfordernden Blick den Seinen gefangen.
"Nein", sagte er dann schließlich langsam und versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen. "Nicht ganz. Diese hier nennt sich 'ich-trinke-bis-ich-umkippe'-Strategie."
Kate schmunzelte. Ganz offensichtlich hatte Claire eine andere Art gefunden, sich mit Gabe auseinander zu setzen und sie musste zugeben, diese hier war viel unterhaltsamer und zudem bestimmt noch gesünder für Claire selbst, als sich in Schweigen zu hüllen.
"Das zeugt natürlich von hoher Intelligenz", spottete Claire, verschränkte die Arme vor der Brust und spätestens jetzt grinste Gabe über beide Ohren. Ganz offensichtlich gefiel ihm das kleine Wortgefecht und auch Kate musste zugeben, dass es sie sehr an früher erinnerte. An die Anfänge, als Claire Gabe noch nicht ausstehen konnte - oder es zumindest behauptet hatte.
"Ich mach mir trotzdem Sorgen", warf Kate kurz unruhig in die Runde. "Bist du sicher, ihr kommt heil nach Hause?" Diese Worte waren an Gabe gerichtet.
"Na klar. Verlass dich auf mich." Ziemlich selbstsicher deutete er mir dem Daumen auf seinen eigene Brust und nickte überzeugt.
"Seit wann kann man das denn?", hakte Claire spitz nach. Scheinbar hatte sie sich zum Ziel gemacht, Gabe in jeder Art von Konversation auf seine Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Kate ahnte, dass sie damit auf seine Abreise anspielte, von der er ihr gegenüber kein einziges Wort hat verlauten lassen.
Anscheinend wusste auch Gabriel das. Er musterte sie forschend, ernst und sie hielt seinem Blick locker stand, das Gesicht wie eine harte Mauer aus Stein, doch ihre grünen Augen sprühten herausfordernd und sprachen Bände.
In der Küche herrschte plötzlich angespanntes Schweigen und Kate hatte das Gefühl, sich ganz klein machen zu müssen, doch gerade, als Gabe zu einer Antwort ansetzte, schwang die Tür auf, die Geräusche aus dem Wohnzimmer drangen herein, die Musik wurde lauter und Jake spazierte munter in die Küche.
Erleichtert ließ Kate die Schultern sinken und atmete durch, Claire wandte sich sofort von Gabe ab, nur dieser stand ein bisschen ratlos und verloren in der Gegend herum.
"Bin wieder daahaa", flötete Jake im Singsang und drängelte sich an Claire vorbei, um sich auf seinen Stuhl zu setzen. Was vielleicht auch besser so war, denn seine Augen huschten schon ruhelos in der Gegend herum und sein Kopf wankte leicht hin und her, während er sich immer wieder mal verwirrt in der Küche umschaute.
Bevor irgendjemand etwas darauf erwidert konnte, stand auch schon der Sommersprossenjunge in der Tür und starrte mit seinem typischen Gesichtsausdruck Claire regungslos an. Die starrte wieder genauso regungslos zurück.
"Hast du 'nen Freund?", wiederholte er dieselbe Leier wie vorhin bei Kate und klang bei dieser Frage äußerst gelangweilt.
Einen Moment lang schien Claire etwas irritiert, doch dann grinste sie belustigt.
"Nein. Die Stelle ist noch frei." Sie musterte ihn kurz vergnügt. "Möchtest du sie haben?"
Abrupt fiel dem Jungen die Kinnlade runter und seine Augen wurden ganz groß. Er starrte die Blonde immer noch an, jedoch nicht einmal halb so gleichgültig wie noch einen Augenblick zuvor. Vielmehr war er ziemlich entgeistert und ihm fehlen ganz offensichtlich die Worte.
Bei seinem Anblick lachte Claire leise. "Komm in fünf Jahren wieder, vielleicht steh ich dann ja auf jüngere Männer. Soll’s ja geben." Sie zwinkerte ihm charmant lächelnd zu und wandte sich ab, während sie sich sachte eine Strähne ihres gewellten Haars aus dem Gesicht strich.
Oh ja, ging es Kate durch den Kopf. Claire wusste ganz genau, was sie da tat. Sie und Gabe waren würdige Gegner in diesem Spiel - denn etwas anderes schien es nicht zu sein.
Jake schaute neugierig von Claire zu Dave's kleinem Bruder und wieder zurück. Während dieser - immer noch davon fasziniert, dass eine so hübsche und ältere Frau mit ihm geflirtet hatte - sich aus der Küche trollte, formulierte er seine Bedenken.
"Denkst du wirklich, Claire, dass du später mal auf Jüngere stehen wirst?", fragte er vollkommen ernst.
Sie verdrehte fassungslos die Augen. "Klar. Was denkst du denn?", erwiderte sie trocken, doch Jake, in seiner Betrunkenheit, störte sich nicht dran.
"Und glaubst du, Darren ist der Richtige für dich?", schob er zweifelnd hinterher.
"Darren?"
"Dave's Bruder."
Sekundenlang starrte Claire Jake an, unschlüssig, was sie von ihm halten sollte. Dann wandte sie sich an Kate, ihn einfach übergehend. "Fangen deren Kinder alle mit dem Buchstaben 'D' an?", wollte sie wissen.
"Dave's Schwester heißt Diana", plapperte Jake schon wieder munter dazwischen. "Nach der Prinzessin." Als niemand darauf antwortete, ergänzte er: "Ihr wisst schon, die bei dem Autounfall gestorben ist, vor zehn Jahren. Sie wird jetzt übrigens bald zehn."
"Die Prinzessin?", witzelte Gabe, um die kühle Atmosphäre ein bisschen aufzulockern.
"Nee. Diana", erklärte Jake geduldig, kam aber selbst langsam durcheinander. "Die Schwester." Er kratze sich ratlos am Hinterkopf, als überlegte er selbst noch einmal, ob das Gesagte auch wirklich stimmte.
Eine eingeschworene Gruppe betrat die Küche, warf dem seltsamen Haufen, der sie waren, ein paar verständnislose Blicke zu und wuselte wieder nach einem Griff in den Kühlschrank heraus.
Nur Eine blieb.
"Jay-coooub", säuselte die Schwarzhaarige in gespielter Überraschung und kam näher. "Du hast mir ja noch gar nicht Hallo gesagt heute."
Sie klimperte mit den Wimpern und lächelte ihn hingerissen an. Doch Jake blickte sie an, als sähe er durch sie hindurch, was zweifelsohne seinem Zustand zu verdanken war.
"Rach, hey", nuschelte er und betrachtete äußerst interessiert die Tischplatte, sich streng an seine Strategie haltend, gerade, als Claire ganz leise "Unfassbar" murmelte, was mit hundertprozentiger Sicherheit auf Rachel gemünzt war.
Nicht gerade erfreut über Jake's lahme Begrüßung - sie hatte wohl mehr erwartet - warf sie einen Blick in die Runde und erkannte, mit wem sie es hier zu tun hatte: Kate kannte sie schon und Claire und Gabe hatte sie neuerdings ja auch schon kennen gelernt und das nicht unter allzu glücklichen Umständen.
Kate registrierte den Unwillen und die Missbilligung in ihrem Blick, als sie von Rachel gemustert wurde. Diese hatte eindeutig erkannt, dass sie, Kate, hier das angreifbarste Glied der Kette war.
Rachel stützte sich auf dem Tisch ab und setzte ihr bestes künstliches Lächeln auf. "Schön, dich noch mal zu sehen, Kathleen."
Kate war sich absolut sicher, dass Rachel sich sehr wohl an ihren Namen erinnern konnte, sie aber nur ärgern wollte.
"Katie", verbesserte Jake automatisch und Rachel lächelte weiter durch ihre zusammengepressten Zähne.
"Katie, also." Aus ihrem Mund klang ihr Name extrem eigenartig, sodass sich ihr die Nackenhärchen aufstellte. Sie wollte nicht, dass Rachel sie so vertraut ansprach. Es klang einfach falsch und... schmutzig.
"Ich geh dann mal wieder rein." Sie ließ eine Reihe perfekter Zähen aufblitzen und sah dann Jake an, der es nun tatsächlich gewagt hatte, einen kurzen Blick auf Rachel zu werfen. "Vielleicht kommst du nachher auch noch rüber? Wir haben uns ja schon so lange nicht mehr gesehen."
Sie erhob sich genauso langsam, wie Jake im Zeitlupentempo die Kinnlade herunterkippte, und wischte dabei mit einer unachtsamen Bewegung Kate’s Brille vom Tisch, die klirrend auf den Bodenfließen aufkam.
"Oh nein!", rief Rachel affektiert aus. "Das tut mir aber leid. Ist das etwa deine?"
Claire und Gabe standen fassungslos jeder an einem Ende des Tisches und starrten Rachel an, die einen gekünstelten, bestürzten Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, während Kate erschrocken aufsprang, um die Einzelteile ihrer einstigen Brille aufzusammeln. Obwohl sie vor Wut kochen sollte - es war klar, dass diese Aktion nicht von ungefähr kam - fühlte sie sich einfach nur hilflos und niedergetrampelt. Die Tatsache, dass sie auf dem Boden hockte, während Rachel sich in voller Größe vor ihr aufgebaut hatte, ohne auch nur einmal daran zu denken, ihr zu helfen, machte es auch nicht besser.
"Katie, deine Brille", stellte Jake treffsicher, doch nicht ganz so allgegenwärtig, fest und deutete gen Boden, doch niemand beachtete ihn.
"Die war doch sowieso schon alt, oder?", gurrte Rachel. "Sah jedenfalls so aus. Na ja, mach dir keine Gedanken. Ruf einfach an, ich bezahl's, wenn's nötig ist." Sie schwang ihr Haare zurück und stolzierte aus der Küche.

"Ich fass es nicht", knurrte Claire, die Hände zu Fäusten geballt. "Wieso lässt du dir das bloß gefallen? Diese Hexe! 'Ruf einfach an'", äffte sie Rachel's geschraubten Tonfall nach. "Das hätte die blöde Kuh wohl gerne!" So außer sich hatte Kate Claire selten erlebt und sie musste fast ein bisschen über ihre beste Freundin lächeln.
"'Die war sowieso schon alt, oder?'", machte sie weiter. "Du hättest sagen müssen: 'und sieht trotzdem noch nicht so alt aus wie dein seniler Hintern!"
"Sie ist genauso alt wie wir", warf Gabe kleinlaut ein, doch Claire brachte ihn mit nur einem einzigen Blick zum Schweigen.
"Sieht aber eher aus wie eine über Jahre hinweg praktizierende Nu..."
"Claire!!", unterbrach Kate entrüstet. "Das reicht jetzt. Ich muss sowieso wieder mal zum Augenarzt..."
Claire gab ein fauchendes Geräusch von sich. Sie tobte vor Wut. "Und du nimmst das einfach so hin, wie immer!" Sie deutete anklagend auf Kate, die verzweifelt die kläglichen Überreste ihrer Brillengläser in den Händen hielt, als seien diese ein Schatz.
"Jetzt lass gut sein", beschwichtigte Gabe seine Ex-Freundin, nachdem er Kate einen Blick zugeworfen hatte. Wieder darum bemüht, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen trat er neben Claire und platzierte - in dem sicheren Wissen, dass dies nicht toleriert werden würde - seinen Arm auf ihrer Schulter.
"Wollen wir ein Tänzchen wagen?", grinste er sie an und wurde sogleich mit einem kritischen Blick bestraft. Langsam nahm Claire seinen Arm und entledigte sich dessen.
"Du bist wohl lebensmüde", knurrte sie gefährlich. "Noch so eine Aktion und du bist deinen Arm los."
Gabe tat auf Unschuldig. "Und das Tänzchen?"
"Wüsste nicht, seit wann du tanzen könntest", erwiderte sie kühl. "Mit so was wie dir lass ich mich doch nicht auf der Tanzfläche blicken."
Sprach's und verschwand im Wohnzimmer. Durch die Tür waren noch blitzende Lichter und eine herumtollende Menge aus Armen und Beinen erkennbar, bevor sie wieder zuging.
Gabe grinste anerkennend. "Autsch. Sie ist wirklich gut." Er zwinkerte Kate, die mittlerweile die Splitter in einem großen Müllsack, der extra für die Partygäste an der Wand lehnte, entsorgt hatte, zu und folgte Claire, ließ Kate mit Jake allein, der die ganze Zeit über still dagesessen und Claire angestarrt hatte.
"Ich glaube", sagte er nachdenklich und platzierte seinen Ellbogen auf dem Tisch, um seinen Kopf abzustützen, "sie mag Rachel nicht."
Kate schwieg beharrlich, hin und her gerissen zwischen dem Verlangen, Jake mit einer Pfanne auf den Kopf zu hauen und ihrem schlechten Gewissen, dass er Claire's offensichtliche Abneigung so direkt mitbekommen hatte.
Einen Augenblick lang überlegte sie, was sie jetzt tun sollte. Es erschien ihr das Beste, sich auf den Heimweg zu machen, die Party war sowieso gelaufen - nicht, dass sie für sie jemals angefangen hätte. Aber Gabe und Claire lieferten sich feurige Wortgefechte, mit Jake war auch nichts mehr anzufangen und abgesehen von Rachel, die sie zu hassen schien, kannte sie hier niemanden mehr. Na gut, da war noch Dave und notfalls konnte sie auf seinen kleinen Bruder zurückgreifen... der würde bestimmt eine angenehmere Gesellschaft sein als ihr betäubter Kumpel oder die intrigante Schwarzhaarige.
Plötzlich richtete sich Jake in seinem Stuhl auf und blinzelte sie an.
"Das hat Rachel bestimmt nicht absichtlich gemacht", stellte er fest. "Das war nur ein Zufall..." Seine Stimme versagte und das alles endete in einem herzergreifenden Gähnen.
Kate blickte ihn mitleidig an und er wandte sich wieder seiner besten Freundin zu, nachdem er mit dem Gähnen fertig war.
Wie ein kleiner Junge blickte er sie mit einem fragenden Dackelblick an, wobei er versuchte, sich zu konzentrieren und dabei vor lauter Anstrengung die Nase kräuselte.
"Sie hat's bestimmt nicht böse gemeint. Du glaubst das doch nicht auch, oder?", wollte er zweifelnd wissen und Kate zwang sich zu einem Lächeln. Dieser dumme Junge, der immer nur das Gute in allem sehen wollte, wollte nun von ihr wissen, ob seine intrigante Flamme ein Guter oder ein schlechter Mensch war?
"Nein...", murmelte sie ergeben.
Auf seinem Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab. Er seufzte.
"Bin ganz schön müde... Bauarbeiter, weißt du...", nuschelte Jake.
Als er sich lethargisch zurücklehnte und nach einer neuen Flasche grifft, zog Kate ihren Stuhl wieder unter dem Tisch hervor und ließ sich seufzend nieder.


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