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In Nottingham

von  -Moonshine-

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Kapitel 1: Jacob Parker

Bewaffnet mit einem Schoko-Milchshake und einem Donut schob sich Jake auf den Platz gegenüber seiner Freundin, die, ohne von seiner Anwesenheit auch nur im geringsten gestört worden zu sein, seelenruhig die Seite in ihrem Buch umblätterte und ihre Lektüre fortsetzte.
Sie hatten sich in diesem Fast-Food-Restaurant getroffen, so, wie sie es immer taten, wenn sie beide zur selben Zeit eine Freistunde hatten.
Kate hatte sich dieses Mal für einen Platz am Fenster entschieden, von wo aus man die vorbeigehenden Menschen beobachten und gleichzeitig von ihnen beobachtet werden konnte.
Sie war über ihr Buch gebeugt und anhand der vergilbten Seiten und des schwer ramponierten Buchdeckels konnte Jake erkennen, dass es sich hierbei um ein Lehrbuch aus der Bibliothek handelte. Wahrscheinlich irgendetwas über Literatur, denn das war es, was Kate studierte. Englische Literatur.
Vielleicht erkannte er es auch anhand der Tatsache, dass Katie ihren Block neben das Buch gelegt hatte und hin und wieder mit einem Stift, den sie in der Hand hielt, abwesend etwas reinschrieb, ohne den Blick von ihrem interessanten Lesestoff abzuwenden.
"Was für ein Scheißtag."
Nachdem Jake seine Einkäufe - in Form von Gebäck und Shake - auf dem Tisch abgestellt und sich seiner Jacke entledigt hatte, ließ er sich in die weichen, roten Polster sinken und warf seiner besten Freundin einen nach Mitgefühl heischenden Blick zu.
Doch Katie beachtete ihn gar nicht, fast so, als wäre er auch überhaupt nicht da.
Das dunkelblonde Haar fiel ihr ins Gesicht, ihre aufmerksamen, braunen Augen waren kompromisslos auf Seite 78 geheftet, die die Überschrift "Edwardianische Phase (1901 bis 1914)“ trug. Jake konnte daraus nur schließen, dass die Phase wohl ziemlich spannend gewesen sein musste oder, dass Katie ihn bewusst und mit voller Absicht ignorierte.
Er versuchte es auf ein Neues, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß und wieder auf eine Reaktion ihrerseits wartete.
Er wurde auch sogleich belohnt, denn Katie seufzte genervt, legte den Bleistift auf die aktuelle Seite und klappte das Buch zu, schob es zu Seite und wandte ihren Blick langsam ihrem Freund zu.
"Jacob Parker", sagte sie in ernstem Tonfall und sah ihn endlich an.
"Halt die Klappe."
Besagter grinste, froh über die Aufmerksamkeit, die sie ihm zukommen ließ, doch schnell fand sein Gesichtsausdruck wieder in die Melancholie zurück, süchtig nach ein paar aufheiternden Worten.
"Ich muss noch 20 Seiten bis morgen lesen und ich glaube nicht, dass mir bei dem Test darüber dein Liebeskummer sonderlich behilflich sein wird", sagte Kate trocken, fast schon verächtlich, noch bevor Jake den Mund aufmachen konnte.
Es war jede Woche dasselbe Theater, das sich Katie antun musste: Rachel hier, Rachel da, Rachel hat mich nicht angeguckt, Rachel hat nicht mit mir geredet, bla, bla, bla.
Man sollte meinen, ein 19jähriger Medizinstudent könnte es fertig bringen, sein verdammtes Liebesleben endlich mal auf die Reihe zu kriegen, wenn er schon in nächster Zeit dazu übergehen würde, Menschen aufzuschneiden und Leben zu retten, aber scheinbar erwartete Kate da etwas zu viel.
Vielleicht war sie auch unfair zu ihm, denn ihr erging es in dieser Hinsicht auch nicht viel besser... obwohl SIE einen sehr guten Grund dafür hatte. Wenigstens ging sie niemandem damit auf die Nerven. Nun gut, zumindest nicht Jake.
Als sie jedoch sein schmollendes Gesicht sah, das sie an einen kleinen Jungen erinnerte, dem sein Lieblingsspielzeugauto weggenommen wurde, rollte sie die Augen und ihr innerer Widerstand begann langsam zu bröckeln.
"Was ist es dieses Mal...?", fragte sie ergeben, doch ihr Tonfall ließ keine Zweifel daran, dass sie diese Prozedur nicht zum ersten Mal durchmachte. Sie wusste schon ansatzweise, was jetzt kommen würde.
Jake ließ sich nicht zweimal bitten und legte direkt los. Wenn ihm schon einmal die Gelegenheit dazu geboten wurde, durfte er sie nicht so einfach verstreichen lassen.
"Gestern Abend im Pub", setzte er an, doch Kate fiel ihm resolut ins Wort.
"Ihr wart schon wieder in diesem Drecksloch!?", wollte sie empört wissen und schaute ihren besten Freund fassungslos an. Er nickte und machte wieder den Mund auf, um fortzufahren, doch sie ließ ihn gar nicht erst Luft holen.
"Gott, das ist wirklich erbärmlich", kommentierte sie nun streng und schüttelte den Kopf, um ihrer Abneigung gegen diesen Ort noch mehr Ausdruck zu verleihen.
Jacob, von seinem gegenwärtigen Kummer abgelenkt, begann augenblicklich, zu protestieren.
"Was hast du nur-"
"Es ist schmutzig, dunkel, reine Geldabzocke und dort kommen nur zwielichtige Gestalten hin. Männer, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als sich die Rübe wegzusaufen und anschließend... ich will es gar nicht wissen...", schloss sie angewidert und dachte an die wenigen paar Male, an denen Jake sie in diesen Pub mitgenommen hatte, um ihr seine Freunde vorzustellen.
Ihr blonder, bester Freund setzte wieder eine beleidigte Miene auf, so wie immer, wenn sie nicht einverstanden war mit dem, was er tat.
"Das geht mich doch nichts an, was die dann machen", verteidigte er sich und sah gleichzeitig ein bisschen verwirrt aus. "Wieso reden wir jetzt eigentlich DARÜBER?"
Kate warf ihm einen überaus geduldigen Blick zu, der ihn ermunterte, wieder an das eigentliche Thema anzuknüpfen.
"Also, letztens hat Shinji doch gesagt, ich soll sie fragen, ob sie mit mir ausgeht, aber die Gelegenheit hat sich nicht ergeben und dann ist sie mit irgend so einem Trottel namens Mike verschwunden." Zum Ende hin wurde sein Tonfall immer anklagender und bei Mike's Namen rollte er genervt mit den Augen, als sei ihm noch nie so ein dummer Mensch untergekommen und als sollte es verboten werden, mit "so einem" etwas anzufangen.
Katie hob irritiert eine Augenbraue. "Ich dachte, du magst Mike?"
Diesmal war es an Jake, ihr einen genervten Blick zuzuwerfen.
"Das war DAVOR. Hörst du mir eigentlich nicht zu?", warf er ihr vor, fast schon gekränkt, dass sie seine Absichten nicht klar und deutlich erkannt hatte.
"Entschuldigung!", kommentierte Kate pikiert, doch ihr Freund überhörte ihren Missmut einfach. Er hatte wirklich das Talent, einfach alles auszublenden, was er nicht sehen oder hören wollte.
Katie wartete, dass noch etwas kommen würde, doch Jake blieb still und sah sie nur erwartungsvoll an, als hinge jetzt alles von ihr ab.
"Und jetzt...?", fragte sie vorsichtig, nicht sicher, was er nun von ihr hören wollte.
"Das wollte ich eigentlich von dir wissen", stellte der Blondschopf klar und bedachte sie mit einem vor Zuversicht nur so strotzendem Blick, sodass sie gar nicht anders konnte, als gottergeben zu seufzen und ihm irgendeinen guten Ratschlag zu erteilen, so, wie man nun mal von einer besten Freundin erwarten würde.
Normalerweise hätte sie auch gar nichts gegen Jake's Gejammer einzuwenden gehabt und sie hätte ihm auch gerne irgendwelche Ratschläge gegeben, aber in diesem speziellen Fall... nun. Da war sie wirklich die Letzte, die ihm irgendetwas raten konnte... sollte... oder wollte.
"Nun, dann... fragst du sie halt beim nächsten Mal?", sagte sie etwas lahm und selbst in ihren eigenen Ohren klang das eher wie eine Frage, als wie ein hilfreicher Ratschlag. Jake sah sie komisch an, als sei sie nicht mehr ganz dicht.
"Du hast gut reden", schnaubte er. "Für dich mag das so einfach klingen, aber-"
"Herrgott, Jake", fuhr sie wieder ungeduldig dazwischen - aufgebracht darüber, dass er meinte, IHR fiele alles in den Schoß. "Bist du ein Mann oder was?? Dann benimm dich endlich mal so!"
Für einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen den beiden und Katie überkam das untrügliche Gefühl, sie sei zu weit gegangen. Sie räusperte sich kurz, während sie den Blick zum Fenster hinauswandte und strich sich eine Strähne des Haares hinter das Ohr. Das tat sie immer, wenn sie unsicher oder nervös war.
Ein Pärchen spazierte draußen am Fenster vorbei. Die junge Frau hatte sich bei ihrem Gefährten eingehakt und gestikulierte mit der freien Hand in der Luft herum, während sie ihm etwas erzählte und dabei entspannt lachte.
Kate wagte wieder einen zaghaften Blick zu Jake, doch anstatt sich in seinem männlichen Stolz verletzt vorzukommen, breitete sich auf dem Gesicht ihres Gegenübers ein großes Grinsen aus. Wie gesagt, Jake überhörte gerne unschöne Details.
"Schon gut, schon gut", beschwichtigte er sie lachend. "Du hast ja recht. Ich versuch's einfach weiter, irgendwann klappt das schon." Er nickte sich zuversichtlich selbst zu und Katie konnte schon beinahe sehen, wie sich das Szenario vor seinem inneren Auge abspielte, während er versonnen in die Luft starrte, als sähe er dort irgendetwas, was ihm außerordentlich gut gefiel.
"Schön", keifte sie gegen ihren Willen sarkastisch und handelte sich sogleich einen fragenden Blick von ihrem besten Freund ein.
"Wie läuft's eigentlich bei dir?", wollte er wissen. Da nun seine Probleme abgehandelt waren, schien er auch fähig, sich dem Rest der Welt anzunehmen.
"Irgendjemand in Sicht?"
Katie's Gesicht verzog sich angesichts dieser Ironie zu einem schiefen Grinsen, doch dieses Mal war es Jake, der sich gar nicht erst zu Wort kommen ließ. Das Kräftegleichgewicht schien sich je nach Problemfall zwischen ihnen zu verschieben.
Sie seufzte. "Jake, ich hab keine Zeit für so was...", wich sie nicht gerade geschickt aus und vermied seinen prüfenden Blick, fühlte sich leicht ertappt.
Dieser jedoch schien die Verlegenheit seiner besten Freundin gar nicht mitzubekommen, sondern runzelte nur verständnislos die Stirn.
"Hast du Dave nicht deine Telefonnummer gegeben?", hakte er nach, in der Annahme, dass die Tatsache, Dave besäße Katie's Nummer, alle ihre Probleme lösen würde.
"Nein", korrigierte Kate ihn scharf. "DU hast ihm meine Telefonnummer gegeben."
Der 19jährige grinste sie teils entschuldigend, teils spitzbübisch an und zuckte dann gleichmütig mit den Schultern.
"Er wollte sie unbedingt haben und..." Jake hielt inne und ließ des Rest des Satzes im Raum schweben, unmöglich für Kate, ihn zu greifen.
"Und was?", hakte sie misstrauisch nach und obwohl er eine wegwerfende Handbewegung machte, sprach er doch weiter.
"Er schien ziemlich begeistert von dir."
"Was du nicht sagst..." Über Dave zu reden war auf seltsame Art ermüdend für Kate, denn dieser Typ – Medizinstudent im selben Semester wie Jake – ging ihr schlicht und ergreifend nur auf die Nerven. Dass er nicht sonderlich intelligent war und überdies noch ziemlich aufdringlich, waren nicht gerade Pluspunkte, die Katie ihm zuschreiben würde.
Natürlich hatte sie sich anfangs geschmeichelt gefühlt, dass ein so gutaussehender Typ wie Dave sie unverhohlen anflirtete, mit seinen hellbraunen, kurzen Locken, dem charmanten Lächeln und dem Schlafzimmerblick, doch sobald er das erste Mal den Mund aufgemacht hatte, um etwas von seinen Weisheiten mit der Welt und insbesondere mit ihr zu teilen, hatte sich jegliche Spannung zwischen ihnen – zumindest von Kate’s Seite – in Luft aufgelöst. David schien das gar nicht mitzubekommen, was nicht gerade für seine überragende Auffassungsgabe sprach.
"Wirst du mit ihm ausgehen?", stellte Jake die Frage mitten in ihre Gedanken hinein, doch irgendetwas in seinem Tonfall hielt sie davon ihm, laut zu lachen und ihm zu sagen, dass sie David für einen dümmlichen Schleimer hielt, der meinte, mit seinem Geschnulze könne er die Frauen beeindrucken.
Etwas in ihrem Kopf setzte sich in Gang, zu schnell, um es verfolgen oder nachvollziehen zu können.
"Vielleicht..", räumte sie geheimnisvoll ein und wich, ihr Buch wieder aufschlagend, seinem bohrenden Blick aus.
Jake merkte schnell, dass aus seiner besten Freundin nicht mehr das Geringste über dieses Thema herauszubekommen war und lehnte sich in seinen Sitz zurück, fuhr sich mit der Hand durch sein blondes Haar.
"Na ja..." Er schien zu einem Entschluss gekommen zu sein, und doch bemerkte Katie, wie er für einen kurzen Moment zögerte. Sie blickte wieder zu ihm auf.
"Dave ist zwar nicht gerade der Hellste... aber es wäre eine Verschwendung, wenn so ein hübsches Mädchen wie du allein bleiben würde." Er zwinkerte ihr schelmisch zu und wandte seine Aufmerksamkeit, nun, da alle Probleme beseitigt schienen, seinem Milchshake zu.
Kate rollte wieder einmal genervt mit den Augen.
"Danke", erwiderte sie trocken. Dass Jake sie mit "nicht gerade dem hellsten" Dave verkuppeln wollte, ließ sie nicht gerade in Begeisterungsstürme ausbrechen, doch er ließ sich von ihrem Tonfall nicht aus der Ruhe bringen und überging ihre Skepsis einfach gekonnt – wie so oft.
Für einen Augenblick waren sie wieder beide still und schwiegen vor sich hin. Nur Jake’s lautes Schlürfen an seinem Milchshake unterbrach die Stille hin und wieder.
Katie dachte eine Weile über seine Worte nach.
"Ach, und... Jake?"
Der Blondschopf blickte fragend auf, den Trinkhalm immer noch in seinem Mund.
"Du bist ein so ein Schleimer."
Jacob, an dem Beleidigungen abprallten wie Bälle an einer Betonwand, grinste sie nur breit an.
"Nein", entgegnete er. "Nur ehrlich."


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