Kurzgeschichten feat. MiKu von MSK (Archiv für Ficlets/Drabbles/Shortstorys) ================================================================================ Haftende Vergangenheit ---------------------- Und hiiier endlich mal wieder eine neue KG von mir. ^^ Ich hab sie nachts halb drei geschrieben, also ... Nein, nehmt einfach keine Rücksicht *abwink* *gg* Vielleicht kennt der ein oder andere die Story von Farins erster "Homestudioaufnahme": Als er sich mit 12 unsterblich in ein Mädchen aus seiner Klasse verliebte und darauf mit dem Kassettenrecorder selbstgeschriebene Liebeslieder aufnahm und ihr schenkte. Nun, das ist jetzt (in der KG) 26 Jahre her... Haftende Vergangenheit Es war mitten in der Nacht, als sie ächzend aus ihrem tiefen Schlaf gerissen wurde. Einen Moment blinzelte sie gegen das Dunkel ihres Schlafzimmers und orientierte sich erst, als der schmale Lichtstreifen am Boden eindeutig als Türschlitz zu deuten war, der aussah, als schwebe er einfach in Mitten der Nacht. Nun hörte sie auch, was sie geweckt haben musste. Aus einem Zimmer ihrer Wohnung, und es war unschwer festzustellen, um welches es sich handelte, drang ein schrilles Gitarrensolo. Die Anlage ihrer Tochter. Seufzend rieb sie sich mit dem Handrücken über ihre verschlafen flatternden Lider und schwang sich aus dem Bett. Sie öffnete die Tür, hinter der die Stereoanlage dröhnte und fand ihre 15jährige, sie fast überragende Tochter auf dem Bett liegend und seelenruhig lesend vor. Die Füße baumelten in der Luft. Mit unnötig leisen Schritten, sie wäre ohnehin nicht wahrgenommen worden, gelangte sie an den Lautstärkeregler und drehte daran, bis das wilde Solo in ihren Ohren kurz nach dem Aufstehen erträglich klang, dann lies sie sich auf das Bett neben ihre Tochter sinken. Diese sah nun verwirrt auf, schien wach wie eh und je. Ihre Augen schimmerten groß und hell. Sanft kämmte sie ihrem Engel eine Strähne hinters Ohr. „Du bist noch wach?“ „Wieder...“, und sie deutete auf die Boxen der Anlage, „notgedrungen, ja.“ Sofort setzte die Jüngere sich entschuldigenden Blickes auf. „ Das wollte ich nicht. Hab gar nicht gemerkt, wie spät es ist...“ Zeitgleich blickten beide auf den bedrohlich tickenden Wecker, der dem Morgen auflauerte. „1 Uhr morgens. Schlaf besser, morgen sind die Ferien fast vorbei.“ Resigniert seufzend senkte ihr Gegenüber die Schultern, nickte und lies sich in die Daunen zurück fallen. „Gute Nacht.“ Die Müdigkeit schien sie plötzlich zu überkommen und sie murmelte nur leise noch etwas, bevor ihre Mutter sie zu deckte und den dicken Wälzer von ihrem Schoß nahm. Kurz drehte sie es in ihren Händen und warf einen Blick auf die Buchklappe. Sie lächelte schwach: Franz Kafka. Nachdem sie die angelesene Seite vorsorgliche eingeknickt und das Buch bei Seite gelegt hatte, schaute sie noch einmal auf den unerbittlichen Wecker. Schlafen könnte sie sowieso nicht mehr. Sollte sie noch arbeiten? Während sie nach sann, erkannte sie plötzlich im Hintergrund die Stimme des Sängers, dessen Lied, es war ein neues, aus den Lautsprechern drang. Unsre Tage waren dunkel Unsre Hemden waren schwarz Wir standen ständig auf dem Schulhof in der Ecke Und wir tauschten Tief enttäuschte Blick aus Und immer wenn wir traurig warn Gingen wir zu dir nach hause und da hörten wir die Smiths Unsre Nächte waren einsam Unsre herzen waren schwer Es gab niemanden der uns verstehen konnte oder wollte Und so kamen wir uns näher Und immer wenn wir traurig Nahm ich dich in meine arme und da hörten wir die Smiths Manchmal auch the cure oder new order Aber größten teils die Smiths Schwermütig lächelnd stellte sie die Anlage aus und verlies, die CD-Hülle in der Hand, das Zimmer ihrer Tochter. Sie betrachtete das markante Gesicht, dass im Licht der Flurlampe unter der Lasierung glänzte, darüber in weißen Lettern der Namenszug. Sie knipste die Deckenlampe im Zimmer an, warf das weiße Cover auf ihre Bettdecke und stieß die Tür ihres Schrankes auf. Heraus holte sie einen unscheinbaren, unbedruckten Schuhkarton, der höchstens mit der dicken Staubschicht an der Oberfläche eine Absonderlichkeit an sich hatte. Darauf nicht achtend ließ sie sich auf die Matratze sinken und hob den schon zerfallenden Deckel langsam ab. Zum Vorschein kamen Sachen, die sie sehr lange verdrängt hatte. Alte Fotos, Briefe, Urkunden. Und in mitten der Dokumente, die die vergangene Zeit bewiesen, eine alte Selbstaufgenommene Kassette. Sie wog das alte Band erst zögernd in den Händen hin und her, las wieder und wieder die Beschriftung auf der Vorderseite von kaum lesbarer Schrift. Schließlich nahm sie sich zusammen, oder aber, die Neugierde wuchs über ihre Vernunft und Angst hinaus, doch das war ihr in diesem Moment gleichgültig. Behutsam zog sie die Kassette aus der Hülle und legte sie in den alten Recorder, der noch auf ihrem Nachtschrank stand. Sie drückte die Playtaste und hörte erst leises Knacken, dann erste Töne. Als sie sich umdrehte bemerkte sie ein Foto, was aus dem Karton gerutscht sein musste und nun über dem neuen CD-Cover lag. Sie schob es nachdenklich zur Seite, während im Hintergrund der 12jährige Junge durch seine Zahnspange hindurch und zu spärlicher Gitarrenbegeleitung „I love you so much.“ Nuschelte. Er hatte sich verändert, alles an ihm, nur eines war geblieben, was sie immer, wenn sie irgendwo ein aktuelles Foto von ihm sah, daran erinnerte, das dies der Jan war, der ihr Nachhilfe gegeben hatte, mit dem sie auf dem Schrottplatz nach einer neuen Gitarre gewühlt hatte. Der Vater ihrer Tochter, den sie so geliebt hatte. Zitternd wischte sie sich die Tränen von den Wangen, einige schmeckte sie, die über ihre Lippen geglitten waren. Wie oft wünschte sie sich, ihn nie getroffen zu haben. 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