Der helfende Engel von abgemeldet (In Zusammenarbeit mit: Mariko999, domo arigato goizamasu, o-nee-san *Knuddel*) ================================================================================ Kapitel 46: Bittersweet Childhoodmemories (Teil 3) -------------------------------------------------- Bittersweet Childhoodmemories (Teil 3) Ich wusste noch ganz genau, dass dieser Tag, an dem das Foto entstanden war, nicht so geendet hatte, wie ich es mir gewünscht hatte. Nachdem mich meine Mutter frühzeitig ins Bett gesteckt hatte, ohne einen Ton zu sagen, was aber auch keineswegs nötig gewesen wäre, da ich eh schon alles wusste, war ich zu ihr auf den Arm gekrabbelt, um ihr dies zu beichten. Sie hatte sich nicht sonderlich überrascht gezeigt, was das betraf und sich anschließend sofort wieder auf den Weg zu meiner Tante gemacht. So saß ich nun auf meinem kleinen Bett und dachte über all das nach, was sie mir einmal über meine Gabe erklärt hatte. Ich besaß sie, durfte sie aber nicht anwenden. Damals als kleines Kind hatte ich nicht verstanden, was das bedeuten sollte; warum besaß man etwas und konnte nichts damit anfangen? Als Edo an diesem geheimnisvollen Fieber erkrankte, nahm ich mir fest vor, an ihm meine Gabe zu testen. Mir war egal, was mit mir dabei geschah, ich wollte meine Tante nicht traurig sehen, ich wollte nicht, dass sie sich die ganze Zeit um ihren Sohn Sorgen machen musste, ich wollte meinen Cousin nicht bleich und krank in seinem Bettchen liegen sehen. So fasste ich an diesem stürmischen und ungemütlichen Abend einen endgültigen Entschluss; ich hatte ja nicht ahnen können, wie mein kleines geplantes Vorhaben, meinem Cousin zu helfen, in einer mittelschweren Katastrophe enden würde. Geduldig wartete ich ab, bis der Vollmond, der bei Einbruch der Dunkelheit langsam im Osten aufgegangen war, senkrecht über unserem Haus stand. Flink zog ich mir eine Jacke über mein Nachthemd, schlüpfte in meine vom Vortag dreckigen Gummistiefel und verließ unser Haus. Mutter war noch nicht wieder zurückgekehrt, so dass niemand bemerkte, dass ich unerlaubt verschwand. Sollte sie es merken, mochte ich nicht an die Folgen denken, mein Hinterteil begann schon bei dem Gedanken daran zu schmerzen. Flink wie ein kleines Wiesel huschte ich über den steinigen Weg, der mich zum Haus meiner beiden Cousins führen sollte. Der gemütlich am Himmel stehende Mond diente mir als Laterne; ich freute mich, dass sich die grauen Wolken endlich verzogen hatten, denn sonst wäre ich blind wie ein Maulwurf umhergelaufen. Eine Lampe hätte mich sofort verraten, hätte ich diese benutzt, denn vom Haus der Jungs aus konnte man das ganze Tal überblicken, da es gleich einem Schloss auf einer Anhöhe stand. Leicht geduckt lief ich zur Veranda hinüber; wo meine Cousins und ich noch vor wenigen Stunden gut gelaunt gesessen hatten, fegte nun der kalte Wind über das tote Holz und trieb die letzten vertrockneten Blätter der langsam verblassenden Herbsttage träge vor sich her Der alte Schaukelstuhl meiner Tante wippte wie von Geisterhand bewegt leicht hin und her; die knirschenden Geräusche des alten Möbelstückes jagten mir plötzlich eisige Schauer über den Rücken. Es schien fast so, als hätte der Tag die Wärme und Herzlichkeit, die an diesem Ort lebte, mit sich fortgenommen, als die Nacht ihren Einzug über dieses Land gehalten hatte. Bedrohlich, gleich einem riesigen finsteren Schatten, ragte das Haus meiner Verwandten vor mir auf, hinter keinem der Fenster sah ich ein Licht brennen. Für mich wirkte es in diesem Moment wie eine mächtige leere Hülle, zu dessen Teil ich werden sollte. Schon setzte ich einen Fuß auf die hölzerne Stufe der Veranda, als mit einem Male ein ohrenbetäubender Schrei direkt neben meinem Ohr die beängstigende Stille der Nacht zerriss. Etwas Spitzes krallte sich in mein Haar und ließ mich vor Angst aufschreien; sofort schlug ich mit den Händen nach diesem unbekannten Angreifer und stieß auf ein überraschend weiches Hindernis. Zähneknirschend biss ich mir auf die Zunge, als an einer meiner Hände aus heiterem Himmel ein stechender Schmerz explodierte, denn es waren keine zwanzig Sekunden nach meinem ersten Schrei vergangen, da bewegten sich schon verdächtig die Vorhänge an einem der Fenster und ein müdes Augenpaar starrte suchend hinaus in die vom Mond erhellte Nacht. Fluchend, und ich war erstaunt, über welches ausgedehnte Schimpfwörterrepertoire ich verfügte, warf ich mich samt meinem noch immer auf mir wütenden Angreifer auf den harten Boden. Keinen Mucks gebend wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass sich das unbekannte Ding auf meinem Rücken ebenso verhielt, doch es kreischte aufgebracht in den für mein Ohr unangenehmsten Tönen herum und zerrte so sehr an meinem langen Haar, dass ich mich beherrschen musste, nicht in sein Geschrei mit ein zufallen. Doch irgendwann fand auch meine Geduld und Beherrschbarkeit ihr Ende. Mit einem wütenden Zischen fuhr ich mit der Hand in mein Haar, ertastete etwas Hartes und versuchte, dies von meinen sich darum geschlungenen Strähnen zu befreien. Das Ding, was halb an meinem Kopf und halb auf meinem Rücken hing, begann wie ein durchgedrehter Stier zu toben, ständig hackte es nach meiner Hand, doch ich ließ mich nicht beirren und versuchte weiterhin, es und mich selbst aus dieser misslichen Lage zu befreien, denn mittlerweile spürte ich, dass es mich vor lauter Angst und Panik verletzte und nicht, weil es einen Groll gegen mich hegte. Ein paar meiner lang gezüchteten Strähnen musste ich opfern, damit das Geschöpf seinen Weg in die Nacht fortsetzen konnte; ich verzog schmerzvoll das Gesicht, als ich sie mir teilweise in Büscheln ausriss. Dann war es mit einem Male geschafft; ein Ruck ging durch meinen Körper und das Gewicht, welches an mir wie eine vollreife Frucht gehangen hatte, war plötzlich verschwunden. Ich hörte das beinahe lautlose Schwingen mächtiger Flügel und rollte mich auf dem Boden herum, um zu sehen, mit wem ich das Vergnügen hatte. Große wachsame Augen sahen mich von dem Baum, der direkt neben dem Haus meiner Verwandten stand, an. Am liebsten hätte ich laut losgelacht, als ich die Eule betrachtete, die ihr zerzaustes Federkleid kräftig durchschüttelte und es dann sorgfältig Feder für Feder zu ordnen begann. Als sich unsere Blicke trafen legte sie leicht den Kopf schief und fiepste leise, als wolle sie sich bei mir dafür entschuldigen, dass sie mir wehgetan hatte. Traurig blickten ihre goldenen Augen zu mir herab. Goldene Augen ... sie erinnerten mich an jemanden ... an jemanden, den ich geschworen hatte, zu beschützen, komme, was wolle. Mit einem Ruck war ich wieder auf den Beinen und fuhr erschrocken zu dem Fenster herum, aus dem vor wenigen Augenblicken ein Augenpaar suchend umhergeschweift war, doch der Platz war leer, niemand stand mehr dort. Erleichtert aufatmend und meine Kleidung zurechtrückend; ich musste wirklich seltsam anzusehen sein, weißes Nachthemd, knallrote Gummistiefel und eine tiefblaue, mir viel zu große Windjacke; stapfte ich entschlossen zur Veranda, stieg die Stufen hinauf und hatte mir scheinbar gar keine Gedanken darüber gemacht, wie ich ungesehen ins Haus kam. Ich war aber auch ein Dummerchen! Wie sollte ich an drei Erwachsenen, die mir in aller Hinsicht weit voraus waren, vorbeikommen? Angestrengt dachte ich nach, so, wie ich jetzt war, würde ich ein leichtes Opfer für die wachsamen Augen der Drei werden. Allerdings nicht, wenn ich ... . Ein grimmiges Lächeln huschte über meine Lippen; es gab eine Möglichkeit, nur war diese nicht gerade die Einfachste, aber ich musste es riskieren, wollte ich dem kleinen Jungen helfen. Hoffnungsvoll kramte ich in der Seitentasche meiner Jacke und nach einigen Sekunden ertasteten meine Finger tatsächlich das, wonach ich suchte. Dankbar atmete ich auf, als ich das kleine Kreidestück in der Hand hielt, welches im fahlen Mondlicht bedrohlich leuchtete. Suchend sah ich mich nach dem geeigneten Ort für mein Vorhaben um und entdeckte schnell eine glatte Fläche auf dem Boden der Veranda. Zögerlich ließ ich mich auf die Knie hinunter; wie mit einem lauen Lüftchen kamen mit einem Male die Zweifel in mir hoch, dass dies auch das Richtige war, was ich vorhatte. Noch nie hatte ich es versucht, nur in der Theorie geübt. Aber ich musste es tun, es war der einzige Weg, um möglichst unentdeckt an ihnen vorbei zu kommen. Konzentriert führte meine Hand die Kreide über den feuchten Holzboden; eine geheimnisvolle Zeichnung entstand vor mir. Jedes Mal faszinierte mich die Kunst des Transmutationskreises aufs Neue, sie alle waren auf ihre Art und Weise einzigartig. Je nachdem, wie man sie zeichnete und anordnete, um sie anschließend mit seinen Kräften zu vereinen, geschahen Dinge, die ich mir nie hätte träumen lassen. Die Kunst der Alchemie hatte mir die Tür zu einer neuen Welt geöffnet, eine Welt, wie ich sie mir vorstellte. Wenn mir zu diesem Zeitpunkt Jemand erzählt hätte, dass dieser naive Kinderglaube fast ein Menschenleben ausradiert hätte, ich hätte ihn mit Sicherheit nicht ernst genommen. So spielte ich mit dieser Kraft, als wäre sie ein Teddybär und nicht etwas ungeheuer Mächtiges und Gefährliches, vor dem man Respekt haben sollte wie vor nichts anderem. Ein helles, blau-weiß leuchtendes Licht erwachte mit einem Male zum Leben zwischen meinen schmalen Fingern und hüllte mich wie ein schützender Kokon aus reiner Energie ein. Wie ein Fluss aus purem Leben durchströmte mich die geheimnisvolle Kraft, an die mein ungewisses Schicksal gebunden war. Ein Gefühl der Überlegenheit überkam mich, als ich spürte, wie mein Körper bereits zu schrumpfen begann; meine Arme und Beine wurden kürzer, mein Gesicht veränderte sich, alles Menschliche daraus verschwand, bis ... ja, bis ich nicht mehr das kleine Mädchen mit dem langen goldblonden Haar war. Zufrieden betrachtete ich mit meinen neuen nachtscharfen Augen die niedlichen Pfötchen, die geschmeidig über den Boden schwebten, als seien sie Vogelfedern. Mein dichtes Fell schützte mich vor dem schneidenden Wind, dem ich in dieser Gestalt noch hilfloser gegenüberstand. Meine Nachtbekanntschaft musterte mich äußerst misstrauisch von ihrem sicheren Zufluchtsort auf dem Baum; scheinbar konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie mir in diesem Körper noch über den Weg trauen konnte. Mir allerdings gefiel er; ich war flink und äußerst wendig, als ich ihn spielerisch austestete. Die Luft roch anders, viel würziger und abenteuerlicher; meine Augen waren scharf wie die eines Falken, der jedes einzelne Haar seines Opfers aus der Luft zählen konnte, bevor er hinabstieß, um es zu erlegen. Übermütig sprang ich auf der Veranda herum und hätte dabei fast vergessen, weswegen mich mein Weg hierher geführt hatte. Mit wild umher zuckenden Ohren suchte ich nach einem Eingang in das Haus und fand diesen in Form einer Katzenklappe, welche in eine Hintertür eingelassen war. Katzenklappe? Ich überlegte kurz. Ach ja, mein Onkel und meine Tante hatten bis vor kurzem einen alten dicken Kater gepflegt, der ihnen vor einem Jahr zugelaufen war. Das arme Tier hatte sich in den letzten Tagen vor seinem Tod kaum noch bewegen können; vorher war er immer vergnügt durch sein eigenes Türchen ein und ausgegangen. Keiner hatte bis jetzt daran gedacht, die Katzenklappe wieder auszubauen, was ich jedoch in diesem Moment nicht als schlecht befand. Mit einem gekonnten Sprung setzte ich hindurch und fand mich sofort auf dem warmen Flur des Hauses wieder. Von der Wärme angenehm überrascht streckte ich mich genussvoll und versuchte mich zu orientieren. Von hier unten sah alles so anders aus. Wie riesige, unbezwingbare Berge türmten sich Regale und Schränke vor mir auf, die Uhr an der Wand tickte dreifach so laut wie ich es als Mensch kannte. Meine kleinen Fellöhrchen legten sich empfindlich berührt an meinen Kopf an; ich musste mich erst an die ungewohnte Umstellung gewöhnen; als Mensch war doch alles ein wenig anders Ein bekannter Duft kroch plötzlich in meine rosige Nase; ich sog ihn prüfend ein. >Kaffee!<, durchschoss es mich sofort. Nun gut, ich wusste nun, dass sich Jemand in der Küche aufhielt. Gespannt spitzte ich meine Ohren, um heraus zu finden, um wen es sich handelte und machte einige vorsichtige Schritte in die Richtung des Zimmers, in dem ich meine Leute vermutete. Ein Schnarchen erfüllte mit einem Male den Flur, auf dem ich entlang schlich; es klang nach einem riesigen alten Bär, der seinen Winterschlaf hielt und sich von nichts und niemandem stören ließ. Hätte ich es gekonnt, ich hätte laut losgekichert, aber so entrang sich meiner Kehle nur ein kläglicher Laut, der kein bisschen vergnügt klang. Alarmiert schlug ich mir die Pfote auf die Schnauze, als ich die Erschütterung des Fußbodens unter mir spürte und auch die klackenden Schritte vernahm, die direkt auf mich zukamen. Ich versuchte noch hinter einen Schrank zu kriechen, als ich den großen Schatten bemerkte, der sich auf dem Boden des Flures niederschlug, doch so klein war ich wiederum auch nicht und so drückte ich mich, so gut ich konnte, in eine dunkle Nische neben den Schrank und wartete mit klopfendem Herzen ab. „Ist da jemand? Hallo?“ Meine Mutter stand direkt neben mir in der Tür und starrte in das Halbdunkel hinaus. Eine Zeitlang verweilte sie dort mit umherschweifendem Blick und angehaltenem Atem, bis sie resigniert den Kopf schüttelte und sich von dem mysteriösen Geräusch, von dem sie hundertprozentig überzeugt war, es gehört zu haben, abwandte. „Komisch“, hörte ich sie noch murmeln. „Ich war mir sicher, dass da etwas gewesen ist.“ Lautlos atmete ich auf; erleichtert lösten sich meine zur Anspannung versteiften Muskeln. Das war mehr als knapp gewesen. Ich war zwar nun nicht mehr ich, das hieß, doch, mein Ich war geblieben, nur mein Aussehen hatte sich geändert, aber woher sollte ich wissen, dass sie mich nicht doch erkannte? Schließlich war sie meine Mutter und Mütter erkannten ihre Kinder unter Tausend anderen. Und meine Mutter würde mich auch erkennen, wenn ihre Tochter die Form eines anderen Wesens angenommen hatte. So durften sich unsere Wege auf keinen Fall kreuzen, solange ich nicht wieder ein Mensch war. Vorsichtig nach allen Seiten lugend wagte ich mich aus der beschützenden Dunkelheit der Nische hervor und tippelte zögerlich auf die Stelle des Bodens hinzu, auf den ein heller warmer Lichtkegel direkt aus dem beleuchteten Zimmer fiel. Allen Mut, den ich besaß, zusammennehmend, duckte ich mich, um jeden Moment an der Küche vorbei zu flitzen, als ein lautes Niesen mich erschrocken zusammenfahren ließ. Vor Schreck taumelte ich ein paar Schritte weiter und blieb direkt auf der vom Licht beschienenen Stelle des Flures stehen. Panisch spürte ich, wie mich zwei Augen ungläubig anstarrten und eine Stimme besorgt fragte: „Schatz, hast du dich etwa da draußen erkältet? Ich habe doch gleich gesagt, dass das keine gute Idee mit dem Foto war.“ Gequält verzog ich das Gesicht, als mir die Allergie meines Onkels einfiel; wie konnte ich das nur vergessen? „Nein, Schwesterherz“, hörte ich meine Mutter sagen, die mich noch immer erstaunt und gleichzeitig ein wenig misstrauisch musterte. „Dein Mann ist nicht erkältet. Schau mal, was hier Kleines auf dem Flur steht.“ Das Knarzen eines Stuhles ließ in mir sämtliche Alarmglocken erklingen; hektisch sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund rannte ich nicht fort, sondern bliebt wie angewurzelt stehen. „Och, die ist ja noch winzig“, bemerkte meine Tante entzückt über meine Größe, was mich fast vor Wut überkochen ließ. Okay, ich war wirklich nicht groß, für mein Alter eigentlich noch recht klein, aber was hatte Größe schon zu bedeuten? Zornig rang ich mir ein Fauchen ab, was die beiden Frauen vorsichtig zurückweichen ließ. So, damit wäre das geklärt; zufrieden und etwas überlegen sah ich sie triumphierend an. Aber Moment mal, ich war doch gar kein Mensch und somit war ich wirklich klein; beschämt senkte sich mein Kopf gen Boden. Wie dumm von mir, aber was meine Größe anging, verstand ich nun mal keinen Spaß. „Ist sie krank? Sie sieht mit einem Male so traurig aus“, riss mich die Stimme meiner Tante aus meinen Gedanken. „Keine Ahnung. Vielleicht ist sie ja deswegen hier herein gekommen, um Hilfe bei uns Menschen zu suchen“, entgegnete ihre Schwester nachdenklich. Ich sah die Beiden vollkommen perplex an. Mütter! Hoffentlich steckten die mich jetzt nicht auch noch in ein Bett und pflegten mich vermeintlich Kranke gesund. Unsicher wich ich ein paar Schritte zurück, als Trisha langsam und gebückt aus der Küche trat; in der einen Hand hielt sie ein kleines rohes Stück Fleisch, mit dem sie mich wohl ködern wollte, die andere näherte sich vorsichtig meinem Kopf. Was sollte ich nun machen? Wenn ich weglief, würden sie mir folgen und Zuschauer konnte ich bei meinem Vorhaben nun wirklich nicht gebrauchen. Was also tun? Mein kleiner Körper begann zu zittern, als ich spürte, wie sich mein Hinterteil schon an die Wand drückte. An ein Entkommen war somit zunächst nicht zu denken; links von mir lag die Treppe, rechts von mir ein großer Schrank. Und vor mir meine Tante, die mit diesem ekligen Stück Fleisch vor meiner Nase hin- und herwedelte. Mir blieb also nur eines übrig, damit sie mich in Ruhe ließen, denn die Zeit wurde langsam knapp. Ich musste wohl oder übel meine Rolle spielen. Das plötzliche langgezogene Miauen des kleinen Kätzchens ließ Trisha sich fast vor Schreck auf den Hosenboden setzen; die ganze Zeit über hatte das winzige Wesen außer dem Fauchen keinen Ton von sich gegeben. Jetzt richtete sich der Schwanz, der die ganze Zeit über eher wie eine zuckende Peitsche agiert hatte, freudig in die Höhe und das kleine Ding kam ihr mit einem kehligen Schnurren zutraulich entgegen. Weiches Fell drückte sich anschmiegsam gegen ihre Hand; ein Lächeln hellte das vor Sorge um ihren kleinen Sohn eingefallene Gesicht auf, als sich das Kätzchen an ihren Beinen rieb. Liebevoll schlang sie ihre Hände um den kleinen Körper und hob ihn hoch. Mir wurde fast übel, als meine Tante mich mit einem schnellen Ruck vom Boden in luftige Höhen beförderte; ich hatte Fahrstühle noch nie besonders gern gemocht bzw. benutzt und dieser hier kam mir vor wie die neueste Turboversion, die es hoffentlich niemals geben würde. Aber wenigstens hielt sie mich sanft und behutsam im Arm, während sie mich in die Küche trug. In die Küche? Nein, nein! Ich musste doch die Treppe hinauf, in das Zimmer meiner Cousins, zu Edo! Er brauchte meine Hilfe! Ich wiederum brauchte keine. Unruhig begann ich in den Armen meiner Tante zu zappeln; sie blieb verblüfft stehen und sah zu mir hinab. Ich stieß ein klägliches Maunzen aus, um ihr zu signalisieren, dass ich wieder heruntergelassen werden wollte, doch sie deutete dies falsch und drückte mich nur noch fester an sich. Mein Zappeln wurde stärker, mit aller Kraft, die mir als dieses Wesen auferlegt wurde, versuchte ich mich zu befreien, doch dann geschah das, was ich auf keinen Fall bezweckt hatte. Unbewusst fuhr ich meine winzigen, jedoch messerscharfen Krallen aus und verletzte sie damit versehentlich am Unterarm. Ein unterdrückter Schrei perlte über ihre Lippen, als meine Krallen über ihre weiche, ungeschützte Haut fuhren. Erschrocken trafen sich unsere Blicke; schuldbewusst sah ich sie an und leckte ihr, mein schlechtes Gewissen beruhigend, über die blutende Wunde. Ich wusste hinterher nicht mehr, warum sich mit einem Male ihre Arme öffneten und den Weg nach unten freigaben. Alles, woran ich mich noch mit Schrecken erinnern konnte, waren ihre vor Entsetzen zusammengezogenen Pupillen, die mich sogar heute oft bis in meine Träume verfolgten. Wie in Zeitlupe fiel ich zu Boden, über mir ihre Augen, die gleich zwei bedrohlich leuchtender Sterne über meinem Antlitz schwebten. Noch bevor ich mit allen Vieren gleichzeitig sicher aufkam, schossen mir tausend Dinge durch den Kopf. Hatte sie etwas bemerkt? Wusste sie etwa, dass sie gerade eben ihre Nichte auf dem Arm gehalten hatte? Mir war dummerweise entgangen, dass keine einzige Katze auf dieser Welt mit grausilbernen Augen existierte. „Trisha? Was ist mit dir?“ Meine Mutter trat von hinten an ihre Schwester heran, da diese steif wie eine Statue im Zimmer stand und auf mich herabstarrte. Schnell verkroch ich mich unter dem Tisch, direkten Augenkontakt mit meiner Mutter vermeidend. Es reichte ja schon, wenn einer Verdacht schöpfte, es mussten nicht noch mehr dazu kommen. Vielleicht würden sie mich in den kommenden Augenblicken vergessen, damit ich endlich das ausführen konnte, weswegen ich gekommen war. „Oh, hat sie dich vor Angst gekratzt?“, hörte ich meine Mutter fragen, als sie den Arm ihrer Schwester sah. Lächelnd und den Kopf schüttelnd band sie ihr Taschentuch um die kleine Wunde und strich meiner Tante liebevoll durchs Haar. „Du hast sie auch ein wenig zu fest gedrückt, kleine Katzen sind noch sehr scheu und ängstlich, sie hat sich nur gewehrt.“ >Richtig, kaa-san, mit Absicht würde ich so etwas nie tun.< „J-ja, du hast wohl recht“, äußerte sich Trisha nach einigen Sekunden des Schweigens auf die Aussage ihrer älteren Schwester. „Aber weißt du, was verrückt ist?“ >Nein, nein, denk nicht mal dran!< „Für einen Moment dachte ich, ich sehe der kleinen Lina in die Augen.“ >Verdammt, jetzt ist alles aus.< „Was?“ Ein schallendes Lachen wogte über meinen Kopf hinweg wie die schäumende Gischt über scharfkantige Klippen. Ein Lachen, das ich so sehr liebte. „Lina liegt zu Hause in ihrem Bett und schläft. Sie weiß, was ihr blüht, sollte sie hierher kommen. Und außerdem, Lina ist ein Mensch und keine Katze.“ Sie seufzte sorgenvoll. „Und ich glaube, kleine Schwester, du solltest dich ein paar Stunden aufs Ohr legen, du brauchst deine Kraft, um dich um deine beiden Kleinen zu kümmern.“ Meine Tante schnaubte wütend; ihr Finger zeigte direkt auf mich, als sie sich verteidigte. „Ich will damit ja auch nicht sagen, dass es sich bei der kleinen Katze um Lina handelt, ich meinte ja auch nur, dass dieses Tierchen dieselben Augen wie deine Tochter hat. Deswegen habe ich sie auch fallen gelassen, weil ich mit so etwas nicht gerechnet habe.“ „Ja, aber ich sagte dir ja gerade, meine Tochter liegt in ihrem Bett und schläft tief und fest. Also, keine weitere Diskussion mehr.“ >Wenn du wüsstest ...< „Ich weiß, ich hab ja auch nur gemeint ... ach egal.“ Wütend stapfte meine Tante mit dem Fuß auf den Boden und verschränkte leicht beleidigt die Arme vor der Brust. >Erwachsene. Benehmen sich wie kleine Kinder und rügen einen, wenn man sich genauso benimmt wie sie.< Leicht amüsiert beobachtete ich von meinem vermeintlich sicheren Versteck aus die beiden Streithähne und bemerkte gar nicht, wie sich mir ein großer Schatten aus dem Hinterhalt näherte. Erst als mit einem Male Finger mein Fell berührten, das sich sofort vor Schreck sträubte, fuhr ich herum und sah die riesige Hand, die meinen erstarrten Körper umfasste und mich unter dem Tisch hervorzog. Goldene Augen betrachteten mich neugierig hinter kleinen Brillengläsern, die immer wieder von der Nase rutschten, aber jedes Mal von der anderen Hand hinauf geschoben wurden. Vergeblich versuchte ich, seinem stechenden Blick auszuweichen, was mir jedoch nicht gelang. Das warme Gold seiner Augen erinnerte mich zu sehr an seinen kleinen Sohn, der oben in seinem Bettchen lag und gegen das Fieber ankämpfte, was erbarmungslos in seinem viel zu schwachen Körper wütete. Nathaniel betrachtete das kleine Wesen in seiner Hand eingehend; es war ein ganz besonders schönes Exemplar eines Kätzchens musste er zugeben, auch wenn er diese possierlichen Tierchen nicht unbedingt mochte, lösten sie doch bei jeder Begegnung in seiner Nase ein unangenehmes Kribbeln und Jucken bis hin zu störenden Niesreizen aus. Ihr Fell schimmerte im fahlen Licht der Kerzen, die seine Frau angezündet hatte, wie golden gereifter Weizen auf den Feldern im Sommer, doch was ihn am meisten faszinierte, waren ihre Augen. Silbergrau schimmerten sie ihn an; sie erinnerten ihn an die unzähligen Sterne, die Nacht für Nacht am unendlichen Firmament standen und wie die Augen Gottes beschützend auf sie herabsahen. Das genaue Gegenteil seiner Augen, die eher warm und mild wie das Licht der Sonne waren. Wie die seines kleinen Sohnes ... . Betrübt wandte er den Kopf zur Seite. Er wusste, dass er seine Kinder nicht für die Ewigkeit beschützen konnte; dieses kostbare Geschenk, solange an ihrer Seite zu verweilen, bis sie soweit waren, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, würde ihm verwehrt bleiben. Das war sein Schicksal. Wie gerne würde er Zeuge dessen werden, wie seine Jungs heranwuchsen, sich zum ersten Mal verliebten, zu jungen Männern wurden, um dann ebenfalls Väter zu sein. Liebevoll kraulte er dem kleinen Ding in seiner Hand den Kopf, welches ihn zu seinem eigenen Erstaunten verblüfft anstarrte. Misstrauisch runzelte er die Stirn, denn aus den Augen dieses Geschöpfes sprach eine Intelligenz und ein Wissen, welches sich niemals dort befinden dürfte. Er kannte diesen Blick, diese Augen, er hatte sie schon einmal gesehen. Wenn er doch nur wüsste, an wen sie ihn erinnerten. Bilder schossen durch seinen Kopf, Menschen, die er kannte, tauchten vor seinem geistigen Auge auf, bis hin zu einer kleinen Gestalt mit weizenblonden Haaren, die denen seines älteren Sohnes so sehr ähnelten. >Das kann doch nicht sein, das ist doch ... .< Seine Gedanken wirbelten wild wie ein Sturm umher, das war doch einfach nicht möglich. Schon wollte er seinen dringenden Verdacht überprüfen, als ein altbekanntes lästiges Gefühl seine Nase hinaufkroch. Mit wachsendem Schrecken hatte ich den entsetzen Gesichtsausdruck meines Onkels bemerkt und betete stumm zu Gott, dass er nicht herausfinden würde, wer ich wirklich war, als er mit einem Male die goldenen Augen zusammenkniff, seine Nase rümpfte und einen lauten Nieser ausstieß, der dieses Haus fast in seine Einzelteile zerlegt hätte. Seine große Hand, die mich vor wenigen Augenblicken noch fest und sicher gehalten hatte, öffnete sich plötzlich reflexartig und gab mich frei. Sicher landete ich auf meinen vier Pfoten und war wie der Blitz aus dem Zimmer verschwunden, nachdem ich durch die schlanken Beine meiner Mutter und ihrer jüngeren Schwester gerast war, die versucht hatten, nach mir zu greifen. Ernst schaute er die beiden Frauen an. „Sie ist nicht dumm. Sie wird nichts Unüberlegtes tun“, sagte er fast mehr zu sich selbst, um sich zu beruhigen, als zu den Schwestern, die sich zweifelnde Blicke zuwarfen. Sie kannten das kleine Mädchen nur zu gut, sie wussten, dass sie überall und Jedem helfen würde, selbst wenn ihr eigenes Leben dabei in Gefahr geriete. Doch ihr Gegenüber mit dem langen blonden Zopf im Nacken, das sich müde die Brille von der Nase nahm, um sich die Augen zu reiben, vertraute dem Kind und so blieben sie bei ihm, unternahmen nichts und warteten ab. Die leichte Holztür knarrte ein wenig, als mein schlanker Körper sie berührte, so dass ich leicht verschreckt durch das unerwartete Geräusch zur Seite sprang, gegen die offene Schranktür knallte, die ich nicht bemerkt hatte und hart auf die Seite plumpste. Mehr benommen vor Schreck als vor Schmerzen rappelte ich mich auf; helles Mondlicht fiel durch das große Fenster auf mein seidenes Fell und ließ es wie die aufgehende Sonne am Horizont leuchten. Meine silbernen Augen schweiften neugierig umher; zwei Bettchen standen gleich einem niemals zu bezwingendem Berg direkt neben dem Fenster, aus einem erklang ein zufriedenes gleichmäßiges Schnarchen, was mich innerlich kichern ließ. Mit einem Satz befand ich mich auf dem wunderschön gefertigten Holzrand der kleinen Kinderwiege; trotz meines geringen Gewichtes begann das Ruhelager meines Cousins sanft hin und her zu schaukeln. Entspannt steckte der Kleine seinen Daumen in den Mund, während sich seine winzigen Lippen zu einem Lächeln verzogen. Fürsorglich strich ich ihm mit meiner Pfote durch das verwuschelte dunkelblonde Haar, welches sein kleines Köpfchen wie ein sanfter Flaum bedeckte, vorsichtig darauf bedacht, dass meine Krallen an Ort und Stelle blieben, denn ich wusste nicht, wie ich einen tiefen blutigen Kratzer im Gesicht des Jüngeren der beiden Brüder erklären sollte. Mein feuchtes Näschen berührte liebevoll die kleine Stupsnase Alphonses, der im Schlaf zu kichern begann. Verzückt musterte ich den Jungen, der sich wie eine winzige Fliege, die mir ihren Fühlern das Gesicht säuberte, mit seinen Patschehändchen die Nase rieb. Ein gequältes Atemgeräusch neben mir ließ mich unwillkürlich herumfahren. Meine durch die Dunkelheit geweiteten Pupillen zogen sich schmerzerfüllt zusammen, als ich das fahl im Mondlicht schimmernde Gesichtchen bemerkte, auf dem sich vermehrt kleine Schweißtropfen gebildet hatten, die von den überhitzten Wangen abperlten, um in das ohnehin klatschnasse Hemd zu laufen, welches klamm am Körper des Jungen klebte, der sich unruhig zwischen seinen Kuscheltieren hin und her warf. Mit einem überhasteten Sprung war ich bei ihm; meine Pfoten berührten die weggestrampelte Decke, die einsam und verloren am Fußende des Bettes lag. Meine kleinen, aber durchaus nicht zu unterschätzenden Zähne schnappten sich einen Zipfel der weißen Decke und zogen sie vorsichtig, um meinen Cousin nicht zu wecken, bis über seine Brust, die sich hektisch hob und senkte. Besorgt sah ich ihn an; seine Augenlider fest zusammengepresst lag er da, seine Haare, mit dem der Wind sonst so fröhlich spielte, klebten leblos und nass in seinem blassen Gesicht, die kleinen Ärmchen schlugen immer wieder unruhig an die Gitterstäbe seines Bettchens, so dass sich dadurch schon besorgniserregende Spuren an seinen Händen in Form von blutunterlaufenden Flecken gebildet hatten. Nun wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass ich mich schnellstens wieder in das Mädchen zurückverwandelte, welches die Brüder kannten. Traurig musterte ich den Kleinen, als ich mich neben seiner schmalen Schulter niederließ und meinen Kopf auf seine Brust legte. Langsam beruhigte sich sein Atem; ich wusste nicht, ob ich der Grund dafür war oder etwas anderes. Ein gleichmäßiges Schnurren entwich meiner Kehle, als plötzlich seine Hand meinen weichen Rücken berührte und diesen liebevoll streichelte. Sie war eiskalt, so dass ich mit einem Male unter seiner Berührung erschauerte. „Katze ...“, murmelte er heiser und hob angestrengt seine ihm viel zu schweren Augenlider in die Höhe. Die sonst vor Lebenslust funkelnden honigfarbenen Augen Edos schimmerten im fahlen Mondlicht trübe wie das verdreckte Wasser eines Morastes, in dem der Tod lauerte. Seine aufgesprungenen Lippen verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln, als seine Hand immer wieder durch mein samtenes Fell fuhr. Freudig, dass ihn meine Erscheinung glücklich machte, rieb ich mein Köpfchen an seinem Kinn. „Lieb ... wie Lina ...“, flüsterte er, bevor ihm vor lauter Erschöpfung die Lider zufielen und seine Hand mit einem Male zentnerschwer auf mir wog. Mühsam befreite ich mich von der überraschenden Last, die auf meinem Rücken lag und, nachdem ich mich zur Seite gerollt hatte, schlaff auf das feuchte Laken des Bettchens plumpste. Vollkommen überrascht ließ ich seine soeben gesprochenen Worte revue passieren; ich konnte kaum glauben, was er da von sich gegeben hatte. Spürte er etwa, dass mein Selbst in dem kleinen Katzenkörper verweilte und ihm helfen wollte? Nervös strich ich auf dem Bett hin und her, langsam sollte ich mich doch wieder zurückverwandeln. Gehörten die zehn Minuten, die ich mir gesetzt hatte, nicht schon längst der Vergangenheit an? Gehetzt sah ich zum Fenster, der Mond stand schon tiefer, als ich es auf meinem Weg hierher in Erinnerung hatte. Wie spät mochte es bereits sein? Unruhig spitzte ich meine kleinen Fellöhrchen; kam da etwa Jemand die Treppe hinauf? Prompt sprang ich vom Bettchen zurück auf den Fußboden und trippelte zur Tür, huschte durch den Spalt hindurch, um meinen Kopf zwischen das hölzerne Geländer zu stecken, doch ich sah weder Jemanden die Stufen betreten, noch hörte ich irgendein verdächtiges Geräusch. Einen Herzschlag lang verharrte ich so, bis plötzlich eine unheimliche Erschütterung der Länge nach durch meinen geschmeidigen Körper lief. Benommen torkelte ich zurück in das Zimmer meiner Cousins, während sich mir langsam aber sicher offenbarte, was in mir vorging. Der Prozess der Rückverwandlung setzte endlich ein, welcher jedoch schmerzhafter und quälender war, als ich es mir jemals vorgestellt hatte. Keuchend warf ich mich in die Ecke des Raumes; die Haut meiner Vorder- und Hinterbeine spannte so sehr, dass ich dachte, sie würde jeden Moment bersten wie ein Ballon, in den zuviel Luft geblasen wurde. Dann vernahmen meine Ohren ein widerliches Reißen; ich schrie vor Schmerz auf, als meine Gliedmaßen wieder mit denen eines Menschen die Rollen tauschten. In meinem Kopf puckerte und dröhnte alles wie in einem vollgestopften Bienenstock, die Haare an meinem Körper gingen zurück, bis nur noch die natürliche menschliche Behaarung zurückblieb. Die Geräusche um mich herum wurden gedämpfter, mein Sehvermögen in der Dunkelheit um einiges schlechter. Gepeinigt wartete ich mit geschlossenen Augen auf den Abschluss meiner Verwandlung, dass diese so langsam und schmerzvoll vor sich ging, hatte mir mein Onkel verschwiegen, ob wissentlich oder unwissentlich würde ich wahrscheinlich niemals erfahren. Oder lag es an meiner Unerfahrenheit im Bereich der Alchemie? Mein Wissen umspannte noch nicht einmal ein Viertel des mir unbekannten Universums. Kurz vor Vollendung des Prozesses nahm ich mir fest vor, diese Gabe zu perfektionieren; ich wollte mich in Zukunft binnen Sekunden in ein Tier und wieder zurück in einen Menschen verwandeln. Dann plötzlich, so schnell, wie er über mich gekommen war, hatte sich der grausame Schmerz in meinem Körper wieder von dannen gestohlen. Taumelnd kam ich auf die Beine, welche durch die für mich nun ungewohnte Fortbewegungsweise ständig unter meinem mir scheinbar viel zu schweren Körper wegknickten. Hätte mich Jemand dabei beobachtet, er hätte mich für ein Kind gehalten, das in dieser Nacht seine ersten Schritte im Leben machte. Mit den Armen das Gleichgewicht haltend stolperte ich auf das Bett meines kleinen blonden Cousins zu, dessen rasselnde, zunehmend ungleichmäßige Atemgeräusche in mir eine Angst um ihn auslösten, die ich noch niemals zuvor verspürt hatte. Meine kalten Hände wanderten auf seine glühende Stirn; unwillkürlich bildeten sich an meinen Fingerspitzen bläulichweiße Eiskristalle, die jedoch unter den unmenschlich hohen Temperaturen, die im Körper des Jungen wüteten wie ein Gewitter, sofort verdampften. Seine Lider zittern unruhig, als er die angenehme Kälte, welche von mir ausging, für einen Augenblick spürte. Behutsam strich ich ihm die schweißnassen Haare aus der Stirn; eine Hand verweilte dort, während sich die andere auf seine Brust legte, unter der sein kleines Herz gleich einem jungen Vogel wild flatterte. Nervös schloss ich die Augen und atmete mehrmals tief durch; ich wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Mein Wille, das Fieber von ihm zu nehmen, wuchs mit jeder Sekunde, denn nur mein Wille, den ich eisern verstärkte, würde die Kraft, ihm zu helfen, auslösen. Eine angenehme Wärme überspülte meinen Geist, stetig wie ein Fluss suchte sie sich ihren Weg durch meine Adern, hinunter zu meinen Händen. Ein kalter, aber angenehmer Wind wogte gleich den Wellen des unendlichen Ozeans durch das Zimmer; ich fühlte, wie er flüsternd durch meine Haare strich und mir Worte in die Ohren hauchte, die mich schaudern ließen. Jahrhundertealtes Wissen überflutete meine Gedanken; Bilder, die mich zutiefst verwirrten, stürzten auf mich ein wie sintflutartige Regenfälle, die niemals enden wollten. Um den lebenswichtigen Kontakt zu Edo nicht abreißen zu lassen, sperrte ich all diese neu erhaltenden Eindrücke in eine winzige Ecke meines Geistes und konzentrierte mich erneut auf das Wesentliche. Und dann ... fühlte ich es. Erst zögerlich und schüchtern, dann immer fordernder und rücksichtsloser. Und dann ... fühlte ich es. Erst zögerlich und schüchtern, dann immer fordernder und rücksichtsloser. Eine fremde, mir zutiefst unheimliche und furchteinflößende Macht fesselte mich an den wehrlosen Körper meines Cousins, der leblos in seinem Bettchen lag. Vor lauter Angst öffnete ich die Augen und erstarrte. Ein gleißendes blendendes Licht, umgeben von Wärme und Geborgenheit, hüllte uns vollkommen ein; weiße, durchsichtige Schlieren streichelten meine schmalen Schultern und schwirrten wie sorglose Schmetterlinge im nun hell erleuchteten Zimmer umher. Vorsichtig strichen sie über Edos glühende Wangen, der unter den eigentlich zaghaften Berührungen der fremdartigen Erscheinungen gequält zusammenzuckte. Besorgt wollte ich die Verbindung abbrechen; Zweifel kamen ihn mir auf, ob dies wirklich das Richtige war, was ich tat, doch meine Hände schienen mit der brennend heißend Haut meines Cousins verwachsen zu sein. Panisch versuchte ich mich loszureißen, doch es war zwecklos. Edo und ich schienen wie eine Person miteinander verbunden, aber ich gab nicht auf. Mühevoll zwang ich mich zur Ruhe, konzentrierte mich auf mein Vorhaben, unsere Körper voneinander zu trennen, als ich plötzlich wütende zischende Geräusche um mich herum vernahm. Verwirrt wandte ich den Kopf zur Seite; nur mit Mühe gelang es mir, einen erschrockenen Schrei zu unterdrücken. Die einst unschuldigen weißen Schlieren umschwirrten wie kleine verirrte Blitze meinen Körper; ihre Erscheinung hatte sich in ein tiefes aggressives Rot verfärbt. Widerliche Fratzen starrten mich aus den durchsichtigen Schlieren an, winzigkleine Stacheln schienen aus ihnen zu wachsen, die wild umherpeitschten und nach meinen ungeschützten Wangen schlugen. Angstvoll wich ich ihnen aus, doch ohne meine Hände als Waffe und Schutz war ich so gut wie wehrlos; genauso gut hätte ich mich einem tausend Mann starken Heer ohne jegliche Ausrüstung entgegen werfen können. Als sei dies alles nicht schon schlimm genug für den unangetasteten Geist einer Zehnjährigen, spürte ich plötzlich, wie die nun vollkommen außer Kontrolle geratene Macht sich ungefragt meiner bemächtigte und den stetigen Fluss meines Lebens gleich wütenden Stromschnellen in den kleinen Körper des schlafenden blonden Jungen gleiten ließ. Ein schmerzerfülltes Stöhnen ließ mich an den Rand der Verzweiflung gleiten; entsetzt starrte ich meinen Cousin an, der sich gepeinigt unter dem ihm eigentlich heilenden Kraftfluss aufbäumte. Ängstliches Weinen erklang mit einem Male direkt neben mir aus der liebevoll gefertigten Kinderwiege; verzweifelt ruckte mein Kopf herum. Al´s kleine, zu Fäusten geballten Hände ragten fast anklagend gen Himmel; spürte er die fremden bedrohlichen Mächte, die begannen, meine Seele und die seines Bruders zu zerstören? Tränen benetzten meine durch das Licht hell erleuchteten Wangen; lautlos tropften sie auf das verkrampfte Gesicht des blonden Jungen, der mit weit aufgerissenen Augen um sein Leben zu kämpfen schien. Trübe spiegelte sich in ihnen der Mond, der schweigend vom Himmelszelt aus zusah. Das helle goldene Leuchten seiner Iris schien mit jeder Sekunde schwächer zu werden, etwas vertrieb die lebenswichtige Energie aus dem Körper des Kleinen und ich wusste, dass dieses Etwas ich war. Weinend versuchte ich, meine Hände von seiner Stirn und seiner Brust zu lösen, doch es gelang mir noch immer nicht, im Gegenteil; sie begannen zu brennen, als würden gierige Flammen an ihr lecken. Die Haut an meinen Fingern platzte mit einem widerlichen Zischen auf, so dass ich mir vor lauter Schmerzen auf die Zunge biss, um nicht sofort laut loszuschreien. Auf den Stellen, an denen meine Hände ruhten, bildeten sich kleine hässliche rosige Brandblasen, die wie glühende Lavaseen zu pulsieren begannen. Vor lauter Pein begann Edo zu schreien, die Brandblasen platzten mit einem schmatzenden Glucksen auf und hinterließen eitrige Wunden an der unschuldigen Haut meines Cousins. Mit allen Schrecken der Welt erfüllt hörte ich, wie im unteren Stockwerk ein Stuhl eiligst umgeworfen wurde und sich hastige Schritte der Treppe näherten. Was dann geschah, würde ich mein Leben lang niemals mehr vergessen. Hinter einem Schleier aus Tränen der Verzweiflung erkannte ich eine kleine schmächtige Hand, die sich den meinen näherte; goldene Augen blickten traurig zu mir empor, Augen, in denen eine Entschlossenheit ruhte, die mich zutiefst ängstigte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)