Der helfende Engel von abgemeldet (In Zusammenarbeit mit: Mariko999, domo arigato goizamasu, o-nee-san *Knuddel*) ================================================================================ Kapitel 39: Der tiefe Schmerz in meiner Seele --------------------------------------------- Tada, es kann weiter gehen, viel Spaß!! Vielen lieben Dank für die Kommis! *sich verbeugt* Ich entschuldige mich schon im Vorfeld für alle Wörter mit 'klein' die mit Edo in Verbindung gebracht werden können ^^ Der tiefe Schmerz in meiner Seele Voller Zorn und großer Verzweiflung, die sich in meinem wunden Herzen wie eine giftige Kloake ausdehnte, schlug ich die geballte Faust in den wehrlosen Boden ein, bis meine Hand vor Schmerzen pochte. Gedankenverloren und mit leerem Blick starrte ich auf meine blutenden Fingerknöchel. Der rote Lebenssaft tröpfelte schrittweise von meinen Fingern, so als wäre die Zeit langsamer gedreht worden. Die kleinen Blutstropfen besprenkelten die weißen Fliesen, wo sie unschöne Spuren hinterließen. Es schien mir, als würden sie fast ein Bild formen, das einem frechen Jungen mit langen Haaren ähnelte. Mit großen Schrecken in der Seele erinnerte ich mich wieder an den gestrigen Abend, an dem ich in diesem Zimmer meinen blonden Cousin in den Armen gehalten hatte. Das ganze Zimmer war blutig gefärbt gewesen, unsere Nachthemden rochen nach dem kupferschmeckenden Stoff, die über und über mit diesem beklebt waren. Mein Bett und auch der Boden waren bedeckt gewesen mit dem Saft des Lebens, der aus dem schmalen Körper meines Bruders geflossen war. Und nun…alles war sauber gewischt von den Reinigungskräften, die grausigen Kennzeichen des Abends völlig aus diesem Zimmer gewichen, aber nicht das Gefühl der Angst und Beklemmung. Sowie das Unheil, das wie ein feuriges Damoklesschwert über meinem Zimmer lag, in dem ich seit zwei Tagen lebte. Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr wohl in diesem Raum, wie eine eisige Klaue presste die Furcht meine Eingeweide zusammen, der tollwütige Sturm, der draußen immer noch sein Unwesen mit den Menschen trieb, verstärkte zusätzlich mein Bangen. Ein leises Kichern erklang ringsum in den weiß gestrichenen Wänden, wie mit tausend Augen stierten sie mich unheilverheißend an. Das Empfinden, diesen emotionslosen Pupillen schutzlos und nackt ausgeliefert zu sein, machte mich fast irre. Unheimliche Schatten tanzten um mich herum, ausgelöst durch die unzähligen Blitze, die vom bitterbösen schwarzen Himmel zuckten. Sie raunten mir mit allerlei Zungen Dinge in die Ohren, die hinterhältig zischelnd ausgesprochen wurden. Mit einem gequälten Kopfschütteln verscheuchte ich diese Dinge, aber vermutlich nur für kurze Zeit, dann würden sie wieder kommen. Die hell leuchtende Kerze, die auf dem kleinen Nachtkästchen neben meinem Bett stand, flackerte seit den letzten Momenten nervös auf, so, als wollte sie mir sagen, dass das Nachfolgende noch viel Schreckliches für meine Brüder und mich bereithielt. Das eigentlich friedliche und wärmedurchflutete Zimmer hatte sich für mich in einen Ort des Todes und einer übermächtigen Traurigkeit verwandelt. Trostsuchend wandte ich mich im Raum um, dann entdeckte ich die flauschigweiche Decke, die ich auf den Schoß nahm und sie wie ein kleines Baby an meine Brust drückte, in dem mein verängstigtes Herz aufgeregt hämmerte. Liebevoll kuschelte ich mich an sie und erinnerte mich kurz an die Schmusestunden mit Ed und Al, wie schön es mit den beiden Jungs gewesen war…manchmal wünschte ich mir diese Zeit der Unschuld und des kindlichen Unwissens zurück. Auf einmal kehrten wieder die schrecklichen Dinge in mein Gehirn zurück und verdrängten die Wärme, die Liebe und die Hoffnung aus meinen Sinnen und Empfindungen. Verbissen zwang ich mich, diese Bilder, die geprägt von Tod, Qual und Grausamkeiten waren, zu verbannen. Aber sie waren zu tief in mein gepeinigtes Herz gebrannt, als dass ich sie jemals verdrängen könnte. >Wie gerne würde ich sie hinter mir lassen, so gerne…aber ich werde diese Dinge, die mein Leben auf solche Weise bestimmt haben, nie vergessen können< wimmerte ich leise auf. Niemals würde ich vergessen können. Vor innerer Qual ballte ich wütend die Hände zu Fäusten, so dass meine erschöpften Arme zu zittern begannen. Ich lachte kurz bitter auf. „Das ist mein Fluch, meine Begabung…die mir auferlegt ist“, ob sie meinen Mitmenschen Schaden zufügen oder ihnen helfen konnte, wusste ich nicht. Ich wusste nur eines ganz gewiss, ich hatte nicht darum gebeten diese Gabe zu erhalten. Ich hasste es so sehr ungefragt und unerlaubt in die Erinnerungen und Taten der Menschen um mich herum einzudringen. Im Geheimen teilte ich mit ihnen ihre Erlebnisse, die Freude und das Lachen, aber mehr noch, was mich seelisch fast auffraß, die Trauer und den Schmerz, der in ihren Herzen ruhte. Ich konnte nicht sagen, wie viel meine Seele von diesen Dingen noch ertragen konnte. Wenn ich auch nach außen hin so wirkte, als könne mich nichts und niemand erschüttern, so sah es doch in mir selbst vollkommen anders aus. Im Innern verfluchte ich meinen Vater für das, was er mir mit dieser Gabe angetan hatte. Meine übermüdeten Gedanken schweiften zu Edo hinüber, leise fröstelte es mich. Die Angst, diejenigen zu verlieren, die mir alles bedeuteten, die ich von ganzem Herzen und von ganzer Seele so liebte, war allgegenwärtig geworden. Diese Furcht drängte sich immer mehr und mehr in den Vordergrund, ließ alles andere winzigklein erscheinen oder ganz verschwinden. Ich würde alles tun, um meine beiden Cousins zu beschützen, wenn es nötig werden würde, sogar mit meinem Leben. „Nichts und Niemand kann mich davon abhalten oder es verhindern!“ Dessen war ich mir felsenfest sicher. Hektisches Sohlengeklapper auf dem gebohnerten Boden des Krankenhausflures ließ mich aufsehen. Mein Herz bummerte wild wie ein ungestümer Hengst in meinem Inneren. Meine kummervollen Gedanken, die mich vor wenigen Sekunden noch niederdrückten, zerfielen zu einem kleinen Aschehaufen, der vom sachten Wind davongetragen wurde und im Nichts verschwand. In Windeseile warf ich die warme Decke von meinem Körper und sprang flink auf. Ein leiser Schmerz durchzuckte meinen Bauch, zischend schnappte ich nach Luft. Sanft legte ich meine kalte Hand auf die Stelle, an der mich Edo’s Automail durchbohrt hatte. Wieder sah ich die angsterfüllten und gequälten goldenen Augen vor mir. Ein noch weit aus schlimmerer Schmerz durchzuckte meine Brust, zerschnitt mein schon verwundetes Herz, viele Male, so dass ich vor Pein aufkeuchte. Heiße Tränen, die ich schon nicht mehr zählte, brannten auf meinen Wangen, wie spitze Nadeln stachen sie in jede einzelne Pore. >Wahrscheinlich wird nach diesem schicksalhaften Moment nichts mehr so werden, wie noch vor wenigen Stunden vor meinem Wiedersehen mit meinen beiden Cousins.< Fast unbeschwerte, warme und weiche Momente, die mir in diesem Augenblick so unendlich kostbar erschienen, wie die beiden Brüder selbst. >Was würde ich nur alles darum geben, wenn alles wieder so werden würde wie früher.< Ein blonder lachender Junge mit frechem, fast schelmischen Grinsen erschien in meinem Inneren, der mich mit fröhlichen, goldenen Augen ansah. „Edo…“, wisperte ich leise und besorgt. Plötzlich drängte sich ein anderes Bild in mein Herz. Mein Cousin in einer großen Blutlache, funkelnde Tränen glitzerten auf seinen blassen und toten Wangen, daneben lag der Helm seines Bruders, das Einzige was von diesem übrig geblieben war. Diese Erinnerungen wischte ich so schnell beiseite, wie die stürmischen Böen die flaumigweichen Samen des Löwenzahns mit sich rissen und die kleinen sorglosen Fallschirmchen in die Unendlichkeit des Himmels getrieben wurden. Schnell huschte ich an die weiß gestrichene Tür und presste mein Ohr fest an das Holz, so dass mein Hörorgan schmerzte. In das Geräusch der näher kommenden Schritte mischte sich noch ein anderes hinzu. Stimmen. Angestrengt spitzte ich meine Ohren, um herauszufinden, wem diese gehörten. Die eine erkannte ich zweifelsohne als die des Doktors. Ein ganzes felsiges Gebirge fiel mir vom Herzen, er war nun hier und würde meinem Bruder helfen. Und die andere? Sie hörte sich jünger, markanter an und eine leichte Spur von Besorgnis und Aufregung mischte sich als leiser Unterton hinein, ließ die Stimme gehetzt und sehr nervös wirken. Verwundert zog ich eine meiner blonden Augenbrauen nach oben. >Ist das nicht…Colonel Mustang?< Er war es und wie es schien, war er dem Doktor entgegengeeilt, um ihn in Empfang zu nehmen. Oder sollte es noch einen ganz anderen Grund geben, aus dem er das Zimmer meines blonden Cousins verlassen hatte und scheinbar nervös wie eine aufgeregte Klapperschlange, den Gang entlanglief um nach dem Mann zu sehen, der schon ungeduldig von allen erwartet wurde. Doch nicht etwa, weil…? Mich durchfuhr ein schrecklicher Gedanke wie ein blendendheller und sengendheißer Blitz, der alles, auf das er traf, auslöschte. War Edo… Ein unangenehmes Ziehen und ein dumpfes, niederstreckendes Gefühl machten sich in meiner Magengrube breit, krallten sich mit ihren grässlichen Klauen in die Magenwände. Kalter Angstschweiß bildete sich auf meiner dunkel umwölkten Stirn, leise perlte er die Schläfen hinab und in den Ausschnitt meines Nachthemds. Meine Wangen waren vermutlich genauso kreideweiß, wie die Wände, die mich, wie es mir schien, grauenvoll und gehässig angrinsten. Mich überfiel der unglaubliche Drang, die Türe vor mir blitzschnell aufzureißen, um nach meinem überaus frechen Bruder zu sehen, ob es ihm gut ging oder… >Nein, ich darf nicht so denken, er lebt…ich bin mir ganz sicher…< >Bist du dir da wirklich ganz sicher?< hohnlachte kalt eine kleine, wispernde Stimme, die ich sofort aus meinem trüben Kopf schüttelte. Ich musste zu Edo und doch wusste ich, dass die Anwesenden es keinesfalls zu lassen würden, dass ich meinem Cousin helfen konnte. Innerlich tief zerrissen, tippelte ich von einem Bein zum anderen, meine Zähne knabberten an der feinen Haut meiner Lippen herum. Ein angsterfüllter Schrei hatte mich, bevor ich die dunklen Gänge des Krankenhausflurs durchstreifte, aus dem leichten Schlaf gerissen. >Oder war es die Stimme von Al?< Doch ich war zu schlaftrunken gewesen, um richtig herauszufinden, von wem es stammte. Natürlich hatte ich Angst gehabt, ob es wohl Ed gewesen sein könnte, aber diesen Gedanken verbannte ich tief in meiner schon verwundeten Seele und verfolgte diese nicht weiter. Doch langsam, aber sicher schlichen sich die verbannten, unheimlichen Erinnerungen wieder in meine Sinne, die mich mit schwarzen Stimmen quälten. „Solange ich nicht weiß, was geschehen ist, brauche ich mir auch keine Sorgen zu machen…“, wisperte ich leise. >Ach ja, Lina, wirklich? Wenn Ed sterben sollte, wer trägt dann die Schuld? Du hättest ihn ja fast schon einmal…< kicherte es emotionslos auf. >Halt endlich deinen Mund, Ed geht es gut und…< Die hektisch gesprochenen Wörter aus den Mündern der beiden Männer ließen mich aufhorchen. Mein Geist erzitterte, als ich ihnen aufmerksam lauschte. „Wie geht es dem Jungen, Colonel?“ Die Stimme von Doktor Brown bebte, wie ein Schiff auf hoher See, dass unruhig in den Wellen auf- und abschwankte. Ich fragte mich, warum. >Ist ihm hierher auf dem Weg etwas geschehen?< Es dauerte einen Moment, der mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam, bis der Colonel zu sprechen anfing. Sämtliche Alarmsirenen klingelten in meinem Kopf, die dröhnend in meinem Gehirn widerhallten. „Ich…er…, mein Gott, sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, dass sie hier sind“, pure Erleichterung schwang im gehetzten Ton des Schwarzhaarigen mit, gleichzeitig wich er gekonnt der Frage des Mediziners aus. Meine Pupillen erweiterten sich vor Angst und Panik. >Was? Wieso?< schoss es mir wie ein gefährlicher und unaufhaltsamer Torpedo durch den Schädel. >Was sagt er da?< ich spürte, wie meine Hände sich gequält zu Fäusten ballten. Mein Herz pochte noch wilder als eine Horde Mustang, die frei über die Prärie galoppierten. Die Furcht schnürte meine Kehle mit ihren mächtigen Pranken zusammen, so dass ich fast an der Trockenheit erstickte, die meinen Hals befiel. Mühsam unterdrückte ich den kitzelnden Husten und presste mein Ohr so fest, wie ich nur konnte, an das Holz. „Kommen sie bitte schnell mit, Doktor! Irgendetwas ist mit ihm geschehen, seitdem geht es ihm immer schlechter!“ Ich kannte den Colonel erst wenige Tage, aber ich hatte ihn mehr als einen Mann eingeschätzt, der durch alle Situationen und Begebenheiten, auch wenn sie noch so ausweglos erschienen, mit kühlem Kopf und einem unbändigen Willen hindurchging. Aber diese Situation schien keineswegs dazuzugehören. In seiner sonst so ruhigen Stimme schwangen nun eine riesige Angst und eine nicht minder große Panik mit, die in mir dasselbe auslöste, was sein Denken und Handeln schon beherrschte. Ohne ein Wort schien der Grauhaarige dem Colonel zu folgen, denn ich vernahm nicht den geringsten Kommentar seinerseits auf die gehetzte Antwort des Jüngeren. Das Einzige, was ich vernahm, waren die davoneilenden Schritte der Männer, die in den unendlichen Weiten des Flures verhallten. Wie in Trance wandte ich mich um, fiel schwer gegen die Türe und ließ mich langsam an ihr herabgleiten. Das alte Holz knirschte wimmernd unter meiner Last. Wie gern würde ich es ihr gleichtun. Den unbändigen Schmerz, der nun mein Herz ganz beherrschte und über das unfaire Schicksal meiner beiden Cousins genauso jammern und wehklagen. Gerne würde ich alles aus meiner angstzerfressenen Seele herausschreien, aber ich brachte nur ein klägliches Wimmern zustande, dass mehr einer armen jammervollen Kreatur glich, die man fortgejagt oder ausgesetzt hatte. Leise schluchzend verbarg ich mein Gesicht in den Händen, die salzigen Tränen auf meinen Wangen, die lautlos hinunterperlten, brannten an meinen Fingern. Es schien fast, als würde das Blut wie ein schriller Schrei in meinen Venen aufkreischen, aber dieser unbedeutende Schmerz war meine allergeringste Sorge. Ein Feuer, heißer als die tiefste Hölle, durchloderte meine Sinne und meine zerschundene Seele. Die bittere Erfahrung, einem Menschen, der mir so nahestand und den ich von Herzen liebte wie Ed und auch Al…diesen geliebten Personen nicht helfen zu können, fraß mich fast gänzlich auf. Ich kam mir wie eine Rabenmutter vor, die ihr Kind in einem kalten Wintertag, bloß und nackt im Schnee aussetzte. Geballte und alleszerfressende Wut spülte die Sorge, Traurigkeit und Angst hinfort, wie der gewaltige Regen des tobenden Sturmes, der die Stadt noch immer in seinen bösartigen Klauen hielt und mit großem Hass seine Finger weiter zudrückte. Mit einem schnellen Ruck und wild glühenden Augen sprang ich vom kalten Boden auf. Ich fasste einen grausigen Entschluss, der mich später mehr reute, als alles andere auf dieser Welt. Aber ich hatte nur diesen einen besonderen Wunsch in meinem Leben, der in meinem Herzen glühte wie ein immerwährendes Feuer, meine Brüder wieder lachend über die Wiesen streifen zu sehen, tollend wie kleine Jungen, die sie ja eigentlich noch waren. Unbekümmert und ohne Sorgen sollten sie die Tage genießen, die ihnen ihr Leben noch bereithielt. Dafür würde ich alles tun, alles in Kauf nehmen, für meine jüngeren Cousins, die ich so sehr liebte, dass mir fast das Herz zerbrach, wenn die beiden Brüder bekümmert waren. Mit geballten Fäusten starrte ich in die Nacht, die nun so traurig enden sollte, es aber nicht durfte. Die zornig, vom Himmel herunterfauchenden elektrischen Zungen erhellten mein weißes Gesicht mit den funkelnden Tränen. Meine silberne Iris funkelte erbost, als ich über die Sturheit des Militärs nachdachte. >Ich werde es tun, keiner wird mich davon abhalten...niemand wird mich stoppen können. Denn schließlich ist es mein Leben, mein Eigen, über das nur ich allein verfüge und bestimmen kann.< So lag meine Zukunft auch in meinen Händen, die ich mir so zurecht bog, wie ich es für richtig erachtete. Denn das mein blonder Cousin durch meine Unfähigkeit starb, passte mir kein bisschen. Mit großer Bestürzung blieb der alte Mediziner an der Türschwelle von Eds Zimmer stehen, als er den völlig ausgemergelten jungen Körper des schmalen Blonden sah. Hustenanfälle schüttelten den bewusstlosen Leib des Jungen. Schweiß glänzte auf der Haut, die vom Kerzenschein unnatürlich aufschimmerte. Ein jammervolles Wehklagen ertönte neben dem Bett des Full Metal Alchemisten. Sein stählerner Bruder kniete daneben und hielt die kraftlose, fiebrig nasse Hand des Älteren. Am Fenster, das immer wieder von den grellen Blitzen erleuchtet wurde, stand die blonde, hübsche Frau, die ständige Begleiterin von Colonel Mustang. Sie rieb sich sehr verstohlen eine glitzernde Träne von den rosigen Wangen. Blitzschnell wandte sie ihren rotbraunen Blick ab, als sich ihre Augen mit denen des Doktors trafen. Neben Matthew Brown stand immer noch sein schwarzhaariges Empfangskomitee, mit seiner onyxfarbenen Iris starrte er den Doktor wissbegierig und auch neugierig an, was eigentlich kaum seine Art war. Doch das Schicksal des blonden Kindes ging dem jungen Mann sehr nahe. Er hoffte sehr, dass es Edward schnell wieder besser ging, aber da der Mediziner nun endlich da war, konnte doch kaum etwas schief gehen, oder?! Er wartete äußerlich ruhig, in seinem Inneren jedoch so nervös, als hätte er Hummeln im Hintern, auf die Reaktion des Grauhaarigen. Irgendwie machten den Mediziner diese Erwartungshaltung der jungen Erwachsenen und die ganze Situation äußerst wütend. >Denken die Beiden wirklich ich könnte den Jungen mit einem einzigen Wink meiner Hand wieder gesund machen?!< Ohne ein weiteres Wort stapfte er an die Lagerstätte des kranken Blonden, bedeutete dem stählernen Kind ein wenig zur Seite zu treten, das dieser sofort tat. Der grauhaarige Arzt maß ruhig und äußerst nachdenklich den Puls von Edward. Ewige Sekunden verstrichen, in denen nur die rasselnden Atemgeräusche, die wie das unheilvolle Geklapper einer giftigen Schlange in der Kehle des Kranken vibrierte, zu hören waren. Unwillkürlich erhoben sich die feinen Härchen der Anwesenden in die Höhe, eisigkalte Schauer kitzelten die Haut und ließen einen fast die Zähne klappern. Sorgenvoll verengten sich die Pupillen des Mediziners zu kleinen Schlitzen, die nun fast eine gewisse Ähnlichkeit zu Augen einer Katzenmutter hatten, die sich kummervoll um ihr Kleines sorgte. Sanft bettete er die kalte Hand des jungen Alchemisten, der mehr den Tod in sich barg als das Leben, auf das klamme und nass geschwitzte Bett zurück. Aber kein einziger Laut kam über die zusammengepressten Lippen von Matthew Brown, kein Wort wie es dem Patienten ging oder wenigstens ein Seufzen, an dem man erkannte, ob es Ed nun schlechter oder besser ging…nichts. Etwas umständlich fingerte der alte Mann sein Stethoskop aus der feuchten Manteltasche. Öffnete aber dafür sehr geschickt und flink wie ein schlankes Wiesel die Knöpfe am Hemd des Hagane. Die Kleidung wirkte unangenehm nass und durchgeweicht, so als würde der Junge in einem Meer aus Salz schwimmen. Voller Beunruhigung kräuselten sich die Falten auf der Stirn des Doktors, die den Anblick einer sturmaufgewühlten Gischt vermittelten. Vorsichtig und zart setzte er das kühle Metall auf die schweißperlende Haut, die salzigen Tropfen fielen lautlos in die Matratze, die feucht wie ein voll gesogener Schwamm war. Die Gummistöpsel des Abhörgerätes hatte Matthew Brown sich bereits in die Ohren gesteckt. Ein lautes und sehr erschrockenes Zischen entwich der trockenen Kehle des Arztes, mit einem schnellen Ruck wandte er sich vom Bett ab, schob mit einem forschen, fast starren Blick den nun sehr verdutzt dreinschauenden Colonel zur Seite, als wäre er eine Daunenfeder. Geschwind öffneten die Finger von Matthew die Türe des Zimmers, einige Male sah er sich suchend um. „Schwester Miranda?!“ rief er, als er auf dem Flur niemanden vorfand. Sofort öffnete sich eine Tür im Gang und eine hübsche Krankenschwester mit langen schwarzen Haaren, die sie kunstvoll hochgesteckt hatte, glänzten im Licht fast bläulich, wie der samtene Nachthimmel. Ihre klugen fliederfarbenen Augen nickten ihrem Chef fragend zu. Sofort winkte der alte Mann die hübsche junge Frau zu sich, die sich ein wenig zu dem Chefarzt hinunterbeugen musste, um Matthew Brown zu verstehen, der ihr etwas ins Ohr flüsterte. „Machen Sie bitte sofort eine Infusion mit 250 mg Kortison fertig und bringen sie diese in das Zimmer hier. Danach gebe ich Ihnen weitere Instruktionen.“ „Hai!“ neigte Schwester Miranda ihr schönes Haupt. Schon wollte sie sich umdrehen, um die Arzneimittel zu holen, als sie den Älteren nochmals fragend ansah. „Der Junge?“ Besorgnis überschattete die weiche Iris der jungen Frau. Ein sorgenvolles Brummen aus den zusammengepressten Lippen bestätigte ihren Verdacht. Seine Augen trafen die ihren und seine braune Iris sprach Bände. Schmerz, Leid und Trauer um den Alchemisten verdunkelten die Gesichtszüge des Mediziners. „Ich werde es so schnell vorbereiten, wie ich kann“, beruhigte die Schwarzhaarige den alten Mann, legte ihm rasch eine zarte Hand auf seinen Arm und verschwand dann flink wie eine geschmeidige Katze in einem der angrenzenden Räume. Miranda Pearl, kaum 20 Jahre alt, arbeitete noch nicht lange im Central City Hospital, aber sie war eine sehr gute Menschenkennerin. Oft hatte sie dem freundlichen Chefarzt assistiert oder bei den Operationen geholfen; jedes Mal, wenn es um kleine Kinder oder noch sehr junge Menschen ging, so wie auch hier bei dem blonden Fullmetal, konnte sie das große Leid und den tiefen Schmerz in den braunen, sanften Augen ihres Vorgesetzten erkennen. Die Emotionen, die die Kinder durchlitten, waren in diesen Momenten auch die seinen. Leicht grübelte sie vor sich hin. Eine kleine, weiche Strähne kitzelte frech den Nacken der schönen Schwarzhaarigen, die unwillkürlich nach dieser griff und sie auf ihren Finger drehte. >Ich kenne ihn noch nicht lange, darum weiß ich nicht, warum er so mit den Kleinen mitfühlt. Die meisten Ärzte, denen ich begegnet bin oder unter denen ich gearbeitet habe, gerade die Älteren, haben jegliches Gefühl für ihre Patienten verloren.< Abgestumpft, wie ein gefällter Baum, dessen Saft schon längst vertrocknet war, gingen sie ihrer Arbeit nach, nahmen kaum Notiz an dem Schicksal der Menschen und ihren Angehörigen. Für diese Männer in Weiß war dieses immer wiederkehrende Leid, die unzähligen Krankheiten oder die schweren Verletzungen ihrer Patienten zum spröden Alltag geworden. Der Bezug zu den Kranken bestand für sie nicht mehr, diese waren nur noch Nummern auf den Karteikarten, die es galt, abzuarbeiten. >Nicht so wie bei dem alten Herrn, er hört seinen Patienten aufmerksam zu, jedes Wehwehchen wird mit einem freundlichen, aufmunternden und tröstlichen Lächeln beantwortet. Er gibt immer hilfreiche Tipps, muntert die Kleinen auf, wenn die Eltern nicht da sind und wenn er die Zeit aufbringt, spielt er sogar mit ihnen. Er spendet den Hinterbliebenen, denen geliebte Personen von deren Seite gerissen werden, den Trost, den sie benötigen. Er weiß immer genau, was er sagen muss, um sie zu beruhigen und den Schmerz, die ihre Herzen verdunkeln, hinfortzunehmen. Er macht seinen Kollegen Mut, bei den schwierigen Operationen, aber auch wenn sie Kummer und Sorgen haben.< Noch nie hatte sie einen Arzt kennen gelernt, der so viel Herzlichkeit und Güte ausstrahlte, wie Matthew Brown. Doch sie spürte genauso, dass dieser liebenswerte Mediziner Jemanden zum Reden brauchte, der ihm zuhörte, denn sie fühlte, dass etwas Finsteres auf seiner warmen Seele lastete, die drohte, ihn zu verschlingen. All das ging Miranda durch ihren hübschen Kopf, als sie das Mittel für den Jungen aufzog und vorsichtig in die Flasche mit Kochsalzlösung spritzte. Ihre schönen, zugleich sanften Augen, die Ähnlichkeit mit einem berauschend duftenden Lavendelmeer hatten, wurden auf einmal todtraurig. >Wenn der blonde Junge stirbt, dann wird, da bin ich mir sehr sicher, auch ein Teil meines Chefs sterben und das darf nicht geschehen, keines von beiden.< Sehr hilflos starrte der junge Colonel seine bildhübsche blonde Begleiterin an, als Doktor Brown einem Wirbelwind gleich aus dem Zimmer gestürmt war. Er wurde das dumpfe, fast widerhallende rumorende Gefühl nicht los, dass der grauhaarige Mediziner leicht ungehalten und verstimmt war. Aber warum das so war, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. >Ich habe ihn doch rechtzeitig benachrichtigt, oder etwa doch nicht?< Sein onyxfarbener Blick wandte sich dem blonden Jungen zu, der schweißgebadet nervös hin- und herzuckte. Leise hustete Edward und sein Körper verkrampfte sich bei jeder Hustenattacke immer mehr. Ein seltsamer Duft umwehte die nähere Umgebung, penetrant süßlich überdeckte er sogar den Geruch der Desinfektionsmittel, der einem bei jedem Besuch im Krankenhaus umflatterte. Er kannte diesen Geschmack, der sich wie ekelhafter Schleim in jede Faser seiner Haut einschlich…der Duft des Todes, den er so oft schon in der Nase gehabt hatte und nie wieder riechen wollte. Quälend langsam erschlich sich eine missgestaltete, wabernde Übelkeit seinen rauen Hals hinauf und krallte sich mit einer nervenden Hartnäckigkeit in diesem fest. Er spürte, wie seine Beine leicht unter ihm nachgaben und er bedrohlich zu schwanken begann. Mit einer panthergleichen Schnelligkeit legte er seine Hände auf die Lehne des Stuhls, der glücklicherweise vor ihm stand. Bunte Schlieren umwebten seinen Geist, so dass er nur farbige Schleier vor seinen Pupillen erkennen konnte. Auf seine Stirn legte sich ein feuchter Schimmer, der glänzend seine Schläfen hinunterrann. Grauenvolle Bilder schossen durch seine Seele, Dinge, die er schon so lange in seinem Inneren verdrängt hatte. Schreie wurden an seinem Gehörgang vernehmbar. Kreischende Todesschreie, entsetztes Wehklagen, leises fiebriges Stöhnen und die letzten Atemzüge seiner Kameraden, die im Krieg gefallen waren. Sie lagen tot oder nur noch wimmernd auf den Pritschen des Feldlazaretts, einige ganz mit Decken verhüllt, der Geruch des rasch dahineilenden Todes mit seiner geschärften Sense war allgegenwärtig. >Für wie viele meiner Kameraden habe ich das Grab ausgehoben? Wie viele habe ich bitterlich betrauert? Wie viele tröstlich gemeinte Briefe habe ich in dieser Zeit ihren Angehörigen geschrieben, um ihnen vom Tod ihrer geliebten Verwandten zu berichten? Viel zu viele sind in den Tagen dieses völlig nutzlosen Krieges gestorben und nach einer Weile habe ich aufgehört zu zählen.< Nach geraumer Zeit wurden die Toten für ihn nur noch Nummern, sein Gehirn speicherte die schrecklichen Informationen nicht mehr, als Selbstschutz für seinen angeschlagenen Geist. Plötzlich fühlte er eine sanfte, zarte Hand an seiner Brust, die ihn fast liebevoll auf den schlichten Holzstuhl drückte. Ganz langsam klärte sich sein verschwommener Blick, die Farben setzten sich wieder zu einem wirklichen Bild zusammen und verdrängten die schattenhaften, vergangenen Grauenhaftigkeiten. Verwirrt zwinkerte er die nebelartigen Schleier vor seinen Augen weg und erkannte die Umrisse einer hübschen Frau, die ganz in einer blauen Uniform gekleidet war. Diese musterte ihn besorgt mit einem scheuen rotbraunen Blick, der Ähnlichkeit mit den Augen eines sanften Rehs hatten. „Lieutenant Hawkeye, was …?“, er legte seine behandschuhten Finger auf die Stirn und kopfschüttelnd ließ er die Momente seiner blutigen Vergangenheit Revue passieren. >Wie kann es sein, dass mich das immer noch so mitnimmt? Es ist doch schon lange her und doch…< leicht würgte er, der süßliche Duft des Todes stieg wieder auf und versuchte seine Sinne zu beherrschen. „Sie…Sie sind eben furchtbar blass geworden, da…da…“, leicht beschämt und mit zart geröteten Wangen wandte sich ihr nervös aussehendes Gesicht ab. Eine fast beunruhigend wirkende Stille breitete sich zwischen den beiden Erwachsenen aus. Mit großem Interesse starrte der Schwarzhaarige seine blonde Begleiterin an, ihre Wangen glühten wie ein gesund aussehender, rotbäckiger Apfel. Sie gab sich die größte Mühe, dies nicht zu zeigen, aber ohne Erfolg. Die Venen pumpte immer mehr von dem roten Lebenssaft in ihr Antlitz. „Also…ähm…“, nervös drückte sie ihre Zeigefinger gegeneinander, während sie versuchte, die passenden Worte zu sagen. Sie schluckte unruhig einen Kloß die Kehle hinunter. „Ich…ich wollte nicht…ich habe gedacht …“, zutiefst beschämt ließ sie ihr hübsches Haupt sinken, als aus ihrem zarten Mund nur einige abgehackte Sätze kamen. Leicht schmunzelnd und mit liebevoll wirkenden Augen stand der junge Colonel von seiner Sitzgelegenheit auf, legte der Blondine eine warme Hand auf die schmale Schulter. Kurz zuckte diese zusammen und blickte erstaunt auf, als sie das markant geschnittene Gesicht ihres Vorgesetzten neben sich bemerkte. „Danke“, flüsterte die angenehm klingende Stimme des Mannes an ihrem Ohr, sein Atem strich zart über ihre Ohrmuschel, so dass ihr unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief. Ein Gefühl, dass sie noch nie so gespürt hatte, durchdrang ihre Seele, erhitzte sie und spülte die Sorgen davon. Roy Mustang nickte ihr verständnisvoll zu. Ein überaus liebreizendes, weiches Lächeln umspielte die roten Lippen, die wie zarte Rosenblätter wirkten. Sie wandte sich schüchtern von dem schwarzhaarigen Mann ab, ihre Hand mit den langen, grazilen Fingern spielte mit der Zudecke des fiebrigen Jungen. Vollkommen perplex und mit einem erstaunt wirkenden Blick beobachtete Alphonse das zaghafte Liebesgeturtel der beiden Erwachsenen, deren Zuneigung hauchzarte Knospen sprießen ließ. Allerdings war dies nicht der richtige Zeitpunkt und Ort für so etwas, befand der metallene Junge, leicht schüttelte er den Kopf. Ein leises Stöhnen ließ seinen Kopf nach unten rucken, aufmerksam betrachtete er seinen älteren Bruder, der keuchend und auffällig nach Luft schnappend, wie ein so eben gefangener Fisch, umherzuckte. Sorgsam wie eine Mutter, bedacht dem blonden Bruder nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen, legte Al das frisch ausgewrungene Tuch behutsam auf die gequält gekräuselte Stirn, die Haut wirkte ungewöhnlich grau und leblos. Eine marmorne Hand drückte die blutende Seele des Jüngeren zusammen, als er bemerkte, wie sich der Körper von Edward mehr und mehr verkrampfte. Die Lungen nahmen den so wertvollen und lebenswichtigen Sauerstoff nicht mehr richtig auf, panisch krallten sich die Finger des älteren Jungen in die Decke, der verzweifelt versuchte, Luft zu holen. Die qualvollen Japser wurden lauter, der Oberkörper des Alchemisten wollte sich heben, aber etwas verhinderte die freie Atmung. Immer flacher wurde der Atem des zierlichen Blonden, der Sauerstoff konnte kaum zu den Lungen hindurchdringen und sie mit der nötigen Kraft versorgen, die er zum Leben brauchte. „Nii-san!“ wimmerte der stählerne Gigant furchtsam auf. Mit einer großen Hilflosigkeit umschlangen seine metallenen Arme liebevoll die zerbrechliche Gestalt seines älteren Bruders. Es schien so, als würde er Edward aus den schwarzen Klauen des Todes entreißen wollen, die sich schon gierig dem Hagane entgegengestreckt hatten und über seine nass geschwitzte Haut strichen. Jäh erwachten die beiden Erwachsenen, die sich sehr verträumt in die Augen sahen, aus ihren warmen Gedanken auf und eilten mit entsetzt geweiteten Pupillen an das Krankenlager des Blonden, dessen erschöpfter Körper um sein Leben kämpfte, das an einem seidenen Faden hing. Riza ergriff unwillkürlich die heiße Hand des Jungen, der keuchend nach Luft rang und versuchte ihn ein wenig zu beruhigen. Zärtlich wie eine ältere Schwester strich sie ihm die nassen Strähnen von der Stirn, die eine unnatürliche Hitze ausstrahlte. Sie erschrak bis tief in ihre Seele, die bitterlich aufschluchzte bei dem Anblick des fiebernden Jungen. Glänzende Tränen schimmerten in den schönen Augen der Blonden auf, als sie ihren Vorgesetzten hektisch und mit nervösem Blick ansah. Dessen Pupillen flogen voller Angst zwischen der hübschen Uniformierten und dem jungen Alchemisten hin und her. Mit ungläubig verengten Pupillen, die die Größe von kleinen Stecknadelköpfen hatten, erkannte er die grausame Wahrheit in der rotbraunen Iris von Riza Hawkeye. Der freundliche, aber durchaus stürmische Junge lag in den letzten Atemzügen und würde sterben. >Nein, das darf einfach nicht geschehen!< „Hagane! Mach keinen Quatsch, Kleiner! Hörst du!“, schrie der Colonel panisch den Leib des Jüngeren an, seine starken Hände umschlossen mit einer ansteigenden Kraft die schmalen, fast zierlich erscheinenden Schultern von Edward. Der Schädel mit den feucht verklebten, blonden Haaren stieß fast an das Gestell am Kopfende des Bettes, als der Schwarzhaarige den Bewusstlosen wie ein Spielzeug schüttelte. „Nein!“, schrie der stählerne Gigant gequält auf, ein leises Schluchzen unterdrückend. Mit einer Schnelligkeit, die Niemand dem metallenen Koloss zugetraut hätte, riss er den Körper des älteren Bruders zart an sich. Er strich Ed liebevoll und mit einem stark ausgeprägten Beschützerinstinkt über den Rücken. „Sie tun ihm ja weh!“ anklagend starrten die roten Augen Alphonses Roy Mustang an. Der rasselnde Atem des älteren Jungen hallte unheimlich und beängstigend wie ein Donnergrollen an der Metallbrust der Rüstung. Als wäre auch der Himmel auf den jungen Uniformierten wegen seiner Grobheit wütend, krachte ein hell glänzender Blitz in einen der alten wunderschönen Naturwesen. Die Wände des Krankenhauses erzitterten ängstlich unter dem böse klingenden Laut. Der uralte Baum fiel mit einem tödlich gehauchten Ächzen in die riesigen Schlammpfützen, die einst der gepflegte Rasen des Hospitals gewesen war. Der Dreck, den der Fall des Baumes aufwirbelte, klatschte wie dickflüssiges Blut schmatzend an die Fensterscheiben und tropfte dort langsam herunter. In ihren Bewegungen erstarrt wie Stein, stierten die menschlichen Lebewesen entsetzt zum Fenster. Einige feine Zweige kratzten leise über das Glas, leise flüsternd quietschten sie über den Rahmen des Holzes. Dieses Geräusch ließ alle Haare der Anwesenden zu Berge stehen. Wäre der Naturgigant nur einige Millimeter größer gewesen, was wäre wohl noch Schlimmeres geschehen? Vermutlich hätte er das Zimmer des Fullmetal Alchemist, ihn selbst und die dort Anwesenden mit in den Tod gerissen. Ein wehklagendes, keuchendes Stöhnen wurde hörbar, welches die Drei zusammenzucken ließ. Die Finger des Colonels lagen immer noch wie unbarmherzige Schraubstöcke an den Schultergelenken des Jungen, der vor quälenden Schmerzen das blasse Gesicht verzog. Liebevoll und sanft strichen die Hände der jungen Frau über die ihres Vorgesetzten und öffneten behutsam den festen Griff des Schwarzhaarigen, der sie mit einem entgeisterten, starren Blick musterte. Aber die schraubstockartige Umklammerung des Mannes erfüllte den Körper des Fullmetals mit Pein. Als Colonel Roy Mustang seine Hände vom Leib des Jungen löste, fiel dieser mit einem qualvollen Wispern in die Arme des Stahlgiganten zurück, der ihn sehr behutsam auffing. Die rote Iris funkelte den jungen Mann misstrauisch an, während First Lieutnant Hawkeye die Arme ihres Vorgesetzten mit sanftem Druck hinunterpresste, der schuldbewusst zu Boden starrte. >Ich wollte Edward nicht wehtun<, aber die Panik hatte sich in seinem Denken ausgebreitet, wie eine wild gewordene Kreatur gewütet und dem Kleinen noch mehr Schmerzen zugefügt. „Gomen na!“ murmelte er verlegen, seine schwarzen Augen wandten sich nervös von der roten Iris der Ritterrüstung ab, die ihn unverwandt und mit unverhohlenem Misstrauen anstarrte. First Lieutnant Hawkeye half Alphonse den keuchenden, fast leblosen Jungen wieder sanft in die Kissen zu betten. Sie blinzelte schnell die nach oben drängenden Tränen weg, die sich leise schleichend in ihren Augenwinkeln eingenistet hatten. Es tat ihr so weh, so unendlich weh, die beiden Jungen so zu sehen, der Jüngere hilflos an dem Bett des Älteren, der vielleicht nicht mehr lange lebte. >Bitte, Gott, nimm ihn uns nicht weg…Alphonse braucht ihn…nein, die Beiden brauchen einander…Bitte…< flüsterte sie stumm ein leises Gebet, hoffend, dass es ihr erfüllt wurde. Plötzlich ging die Türe mit einem leisen, aber dennoch schnellen Schwung auf und der grauhaarige Doktor erschien mit raumgreifenden Schritten im Zimmer. Mit sehr ernsten Augen und einer hochgradigen Zielstrebigkeit steuerte er auf das Bett des kranken Alchemisten zu, so dass die junge Blondine flink, mit weichen Bewegungen wie eine Katze aufsprang und dem Arzt sofort Platz machte, um ihm genügend Spielraum zu lassen. Mit einer verwundert hochgezogenen Augenbraue erblickte sie den todernsten Gesichtsausdruck des alten Mannes, der sich fast zornig verzog. Mit einer dicken Wutfalte auf der Stirn und finster auffunkelnder Iris näherte er sich immer mehr dem Krankenlager. „Taisa…“, wollte Riza ihren Vorgesetzten höflich darauf hinweisen, dem Mediziner einen Freiraum zu lassen, als der greise Mann den jungen Schwarzhaarigen grob beiseite stieß. Ein sehr überraschtes Keuchen drang aus der erschrockenen Kehle des Colonels, als er fast gegen den Stuhl, auf dem er noch vor wenigen Minuten gesessen hatte, prallte und ihn umstieß. Mit lautem Gepolter knallte die Sitzgelegenheit um, das alte Holz knarzte empört auf. Voller Unglauben starrte die hübsche Uniformierte den alten Arzt an, vor lauter Sprachlosigkeit fiel ihr die Kinnlade herunter, nur ein betroffener Laut rutschte aus dem geöffneten Mund. Doktor Brown hatte den starken und gesunden, jungen Mann so ohne weiteres zur Seite gefegt, als wäre ihr Vorgesetzter nur eine weiche Daunenfeder oder ein zerbrechliches Blatt, bei dem es kaum der Mühe bedurfte, sie wegzufegen. >Solch eine Kraft habe ich dem ehrenwerten Doktor gar nicht zugetraut.< Roy Mustang hatte sich inzwischen wieder einigermaßen gefangen, seine schwarzen Augen funkelten entrüstet, als der Arzt an ihm vorbeigerauscht war und ihn fast in seine Einzelteile zerlegt hatte. „Was erlauben Sie…?“ begann er seinen aufbrausenden Protest gegen den groben Ausrutscher des älteren Herrn. Aber dieser ignorierte den fassungslosen Colonel mit voller Absicht, während er den Hemdsärmel des Hagane-Jungen hochkrempelte. Doch als der grauhaarige Mediziner seine Arbeit beendete, wandte sich sein Gesicht ruckartig dem Colonel zu. Diesem verschlug es sofort die Sprache, sein Hals wurde auf einmal trocken wie eine brennende Wüste, in die sich kein Mensch freiwillig hineinverirrte. >Ich habe schon viele Menschen wütend und aufgebracht gesehen…ich erinnere mich…o-too-san< kein einziges Mal hatte der hoch gewachsene junge Mann Furcht oder Angst verspürt, wenn ihn diese Menschen ansahen…bis zum heutigen Tage. In den schwarzen Pupillen von Matthew Brown loderte ein heißes Fegefeuer, der tiefsten Hölle gleich. Das zornige Glimmen erinnerte den Colonel an seinen eigenen Vater, wenn dieser ihn für eine Sache zur Rechenschaft zog und ihm das eine oder andere Mal den Hintern versohlte. Unsicher ruckte die onyxfarbene Iris rasch hin und her, immer den Blick von Doktor Brown abgewandt, da er den stechenden und drohenden Augen des Älteren nicht mehr standhalten konnte. Sehr tief durchatmend drehte sich der alte Mann wieder dem schwerkranken Jungen zu, der leise keuchend in seinem unruhigen Schlaf zusammenzuckte. Geschickt fingerten seine langen geschmeidigen Finger aus seinem Kittel, den er sich vor wenigen Minuten übergeworfen hatte, einen Stauschlauch hervor und band den linken Arm des Blonden sorgsam ab. Völlig erleichtert darüber, dass Doktor Brown scheinbar seinen Ärger herunterschluckte, atmete Mustang geräuschvoll aus, lehnte sich leicht beruhigt an die Wand und wartete die weiteren Dinge ab. „Wieso haben Sie mich nicht eher gerufen?“ erschall Sekunden später die dunkle Stimme des sonst so freundlichen Mediziners, der die letzten Minuten ziemlich wütend auf die beiden Uniformierten war, ruhig und dennoch mit einem zornigen Unterton, der den Schwarzhaarigen nervös schlucken ließ. Unwillkürlich stieß er sich mit einem sachten Ruck von der weiß gestrichenen Wand ab. Seine fragenden Pupillen wandten sich seinem Lieutnant zu, die aber mehr mit dem blonden Jungen und seinem jüngeren Bruder beschäftigt war. Sanft strich Riza Hawkeye der Rüstung über die bebende Schulter, da das stählerne Kind leise aufschluchzte und stierte den blonden Alchemisten bekümmert an. „Was...was meinen Sie mit...eher?“ seine Stirn legte sich in viele Falten, sie kräuselte sich wie die meterhohen Dünen einer unendlichen Wüste und mit einer großen Unruhe im Herzen beobachtete der uniformierte Mann das Bemühen des Älteren, eine gut gefüllte Vene im Arm des Fullmetal zu finden. „Als ich es für notwendig hielt, habe ich Sie benachrichtigt, meiner Meinung nach war das früh genug“, war der knappe Kommentar des attraktiven Schwarzhaarigen. Mit einer rasenden Geschwindigkeit, die eine Gazelle vor Neid erblassen ließ, drehte sich der grauhaarige Mediziner blitzschnell um die eigene Achse, packte den Uniformkragen des völlig verdutzten Flame Alchemisten und rammte ihn an die Wand, die leise und verbittert unter dem Gewicht aufknackte. „Verdammt, Colonel! Der Junge liegt im Sterben! Glauben Sie jetzt etwa immer noch, dass ihr Anruf früh genug war?“ zischte es aus dem Mund des alten Mannes mit einer Bitterkeit, die Einen zum Weinen brachte, nämlich den kleinen Jungen, dessen Körper ganz aus Stahl war, nur sein Herz und seine Seele fühlten den Schmerz, der sich in ihnen ausbreitete, wie ein kleiner leuchtender Funke, der, wenn man nicht aufpasste, zu einem riesigen Feuer werden konnte. Entsetzt nach diesen Worten von Doktor Brown starrte der junge schwarzhaarige Mann, der blass wurde wie ein Toter, zu dem blonden Alchemisten hinüber, dessen trockene, spröde Lippen sich schon leicht bläulich verfärbten. Seine onyxfarbenen Pupillen weiteten sich angstvoll um den Jungen, der vielleicht schon seine letzten Atemzüge in diesem Leben tat. Der gequälte Aufschrei des stählernen Kolosses ließ die drei Erwachsenen kurz zusammenzucken. Mit Tränen in den rotbraunen Augen versuchte Riza Hawkeye Alphonse zu beruhigen, der nach der grausamen Mitteilung des Arztes aufgesprungen war und wie Espenlaub zitterte. Mit ängstlicher Iris starrte er seinen älteren Bruder an. >Bitte, o-nii-san, du darfst mich nicht verlassen…bitte nicht…< Al war völlig verzweifelt und mit seinen geistigen Kräften am Ende. >Wie oft habe ich schon in den letzten Stunden um das Leben meines nii-sans gebangt? Wie oft habe ich schon erleichtert aufgeatmet, da alles überstanden war? Nur um mir jetzt anhören zu müssen, das für nii-san keine einzige Hoffnung mehr besteht?< Mit einem zutiefst kummervollen Laut sackte die Rüstung haltlos in die Knie, so dass seine Gelenke jämmerlich aufquietschten, als würden sie den Schmerz ihres metallenen Trägers teilen. Zu gerne würde der stählerne Junge das grausige Schicksal seines blonden Bruders beweinen, um die zentnergroße Last von seinem gebeugten Herzen zu nehmen, aber er konnte es nicht. Er wusste nicht einmal mehr, wie sich nasse Tränen auf den warmen Wangen anfühlten. Zögerlich löste der grauhaarige Doktor die Hände vom Uniformkragen des Colonels, so dass dieser, immer noch zu fassungslos um nur ein Glied zu rühren, an der Wand hinuntersackte, da sein Leib ihn nicht mehr tragen konnte. Mit traurig hinunter geschlagenen Lidern und einem bekümmerten, schweren Seufzen blickte der weißgekleidete Mann zu Alphonse hinüber, der sich leise schluchzend an der jungen Blondine festhielt, die ihm sanft über die Schulter strich. Sie sah ihren Vorgesetzten schweigend, fast entsetzt an, der gerade aufstand und wortlos seine zerknitterte Uniform ordnete. „Entschuldige bitte, mein Junge, dass ich so ausfallend geworden bin und du es so erfahren musstest“, kam es leise zwischen den Lippen des Arztes hervor, der die Rüstung direkt ansprach, die kaum die Augen von dem Körper des älteren Jungen abwandte. „Aber ich will versuchen, was ich kann. Vielleicht ist es noch nicht ganz zu spät.“ Ein leises, metallisches Klirren, das scheinbar vom Flur kam, wurde hörbar. Alle Köpfe der Anwesenden ruckten gleichzeitig zur Tür, an der die Schwester mit den blauschwarzen Haaren stand, die in einer Hand den Infusionsständer mit sich führte, an dem die Flasche mit der Arznei hing. „Gomen…“, wisperte sie leise. Sie war Zeuge dessen geworden, was sich soeben in diesem Zimmer abgespielt hatte und man sah deutlich, wie unangenehm ihr dies war. Ihre Wangen waren leicht gerötet und nervös zupfte sie an ihren langen, sanft glänzenden Haarsträhnen herum. Doch ihr Chef tat so, als wäre nichts von Belang geschehen und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Mit einer Hand winkte er die schüchterne, junge Frau in den Raum herein, der nur sehr spärlich von der kleinen Kerze beleuchtet wurde. „Kommen Sie herein, Mädchen, wir warten schon alle auf sie. Schauen Sie nicht so erschreckt, es ist ja nichts passiert.“ „Hai…“, nickte sie unruhig, aber Sekunden später straffte sich ihre Haltung, sicher und ruhig ging sie auf die linke Seite des Bettes zu. Dort stellte sie den Infusionsständer ab. Immer noch war sie blass um die Nase herum. >Doktor Brown hat leicht reden…< seufzte sie innerlich auf. Vor wenigen Minuten hatte ihr Chef den hochrangigen Offizier an die Wand gedrückt, als wäre dieser nur eine kleine Fliege, die man mit einer Hand zerdrücken konnte. Dem alten Herrn, den sie niemals anders als freundlich oder zuvorkommend sah, mit warmen braunen Augen und einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen, das alle Sorgen wegwischte, hätte sie sich nie vorstellen können, einmal abgesehen von seinem Gesundheitszustand, dass er nun so wütend werden konnte. >Was auch immer zwischen den Beiden vorgefallen ist, sicher hat Doktor Brown einen triftigen Grund, den Offizier anzugreifen. Er würde so etwas nie grundlos tun…< Schweigend wanderten die weichen, lavendelfarbenen Augen über den weizenblonden Alchemisten, der keuchend Luft holte. Ihre warme Iris weitete sich erschrocken. Zutiefst entsetzt starrte sie den blassen Jungen vor sich an, der hustend röchelte. >Ich kenne ihn…vor einigen Jahren habe ich ihn doch auf der Titelseite der News gesehen, als bisher jüngster Alchemist hat er die Prüfung mit Bravour bestanden.< Frech und mit schelmischen golddurchwirkten Augen hatte er sie aus dem Blatt angegrinst. >Da war er erst Zwölf Jahre alt.< >Und…es ist noch keine drei Monate her, da sind mir der Junge und die Rüstung zur Hilfe geeilt, als ein Dieb mir meine Tasche mit meinen Habseligkeiten stehlen wollte.< Sie hatte den Kleinen freundlich umarmt, ihm als Dank einen leichten Schmatz auf die Stirn gehaucht und mit einem entzückten, leisen Kichern seine warme Röte bemerkt, die sich auf seinen Wangen breit machte. Und nun lag ihr Retter hier im Krankenhaus, nur noch ein Schatten seiner selbst, fast leblos und blassblau erschien seine Haut, wie die eines Toten. Die noch leicht kindlich wirkenden Wangen waren eingefallen, rasselnde Atemgeräusche, die immer schwächer wirkten, drangen aus seiner Kehle. Seine golden glänzende Mähne war stumpf und nass geschwitzt, sie klebte in seinem Gesicht. Ihre überaus weichen und liebevollen Augen wandten sich dem stählernen Koloss zu, der mit seiner metallenen Hand sanft über den Arm des Blonden strich, zärtlich seine Finger mit denen des Alchemisten verflocht und leise über das Schicksal des Jungen schluchzte. Vor lauter Erstaunen weiteten sich die Pupillen der jungen Frau. >Ist es dieser Rüstung wirklich möglich, Schmerz und Leid, wie ein Mensch zu empfinden?< Woher sollte Miranda auch wissen, dass sehr gut versteckt in dieser kalten, metallenen Schale ein weiches und liebevolles Herz steckte, die Seele eines warmherzigen Kindes, dass nun befürchten musste, seinen älteren Bruder für immer zu verlieren, das Einzige was er noch er in dieser Welt besaß. Ganz in Gedanken versunken hörte die hübsche Krankenschwester die Worte ihres Chefs, die ruhig und sachlich seinen Mund verließen. Sie nickte und erledigte ihre Aufgaben präzise, fast mechanisch, dennoch waren ihre Erinnerung weit weg. Ihre ältere Schwester, damals im gleichen Alter wie der blonde Junge und ihre geliebte Mutter, hatten genauso unter einem Fieber gelitten, wie nun der Alchemist. Ihre nee-san hatte die glühende und alles verzehrende Krankheit überstanden, ihre Mutter war gestorben, sie hatte keine Kraft mehr gehabt weiter für ihre Kinder zu kämpfen. Seit damals war ihre ältere Schwester nicht mehr dieselbe, die fröhlich und lachend durchs Leben schritt, sondern nur noch eine blasse Kopie ihrer Selbst. Sie kränkelte öfters, litt hin und wieder an Fieberschüben. Aber sie wollte nicht zum Arzt, sie hasste die Männer in Weiß, die, wie ihre Schwester Amanda immer behauptete, Schuld am Tod ihrer Mutter waren. Amanda war strikt dagegen gewesen, dass Miranda Krankenschwester werden wollte, gerade um solche Menschen, die krank und leidend waren, zu helfen. Nach einer Weile hatte die Jüngere schließlich ihren Dickkopf durchgesetzt. Die Ältere hatte warm gelächelt, sie liebevoll in den Arm genommen und sie auf die Stirn geküsst. ‚Ich weiß, du wirst dein Bestes geben, meine kleine Schwester’ hatte sie gesagt und sie leicht angezwinkert. „Entfernen Sie bitte den Schutz von der Kanüle, Schwester, und reichen Sie mir diese“, bat er die junge, schwarzhaarige Frau, die auf ihn wirkte, als wäre sie nicht ganz bei der Sache. Aber trotz allem machte sie keinen einzigen Fehler, man spürte regelrecht wie sie alle ihre Aufgaben mit großer Hingabe erledigte. Stirnrunzelnd betrachtete er die Krankenschwester. Sie starrte wie hypnotisiert auf den älteren Jungen, der bleich in den Kissen lag. >Kennt sie Edward etwa?< Sich weiter voll auf die Arbeit konzentrierend schüttelte er den Kopf und machte sich daran, eine geeignete Vene zu finden, die er für die lebensrettende, die über das weitere Schicksal des Jungen bestimmende Infusion benötigte. „Ich hoffe, dass dieses Medikament sein Fieber senkt, auch wenn dieses schon sehr hoch ist“, sprach Matthew Brown ruhig weiter, sich nun direkt an den Colonel wendend, der sich mit einer schuldbewussten Miene einige Meter zurück in das Halbdunkel verzogen hatte. „Soll ich Ihnen erklären, warum ich eben so wütend auf Sie gewesen bin, Colonel Mustang?“, kam der Arzt ohne Umschweife zur Sache. Leicht mit einer Augenbraue in der Höhe, blickte der Angesprochene fragend in Richtung des Mediziners. Seine Hände, die er verlegen in die Taschen gesteckt hatte, zog er nun wieder hervor. „Es ist mir unerklärlich, warum Sie nicht bereits einen meiner Kollegen zu Rate gezogen haben. Fieber ist kein Zustand, den nur ein Chefarzt, wie ich es einer bin, behandeln kann. Jeder der jungen Doktoren hätte Ihnen das Gleiche gesagt und genauso gehandelt, wie ich es jetzt tue“, erklärte der freundliche, alte Herr mit einer stoischen Ruhe, die einen schier erstaunte, während er mit einem Pflaster, das er auf den Arm des hustenden Jungen drückte, die Kanüle befestigte. Danach betätigte er das Rädchen für die Laufgeschwindigkeit der Flüssigkeit, die sofort langsam, Tropfen für Tropfen, in den Blutkreislauf des Blonden eindrang. Als er dies erledigt hatte, drehte er sich mit einem geschmeidigen Ruck um, betrachtete fast kühl den Flame Alchemisten, der sich unter dem stechenden Blick wand wie ein Aal und seine schwarzen Augen von denen des Doktors abwandte. „Hätten Sie von Anfang an richtig gehandelt und schneller reagiert, dann müsste ich Ihnen allen jetzt nicht erzählen, dass es für Edward fast zu spät ist.“ Nachdem er diesen einen Satz ausgesprochen hatte, wurde es für Sekunden totenstill im Zimmer. Bis auf das leise Schluchzen des stählernen Kindes, das sich auf einmal in ein lautes Weinen verwandelte, das herzzerreißend und voller Klage war. Mit brüderlicher Hingabe strich er dem Älteren sanft die klatschnassen, golddumpfen Haarsträhnen aus dem erhitzten Gesicht, die ihm bei jeder Bewegung wieder in die Stirn fielen. Matthew Brown verzog traurig und kummervoll sein Leid durchfurchtes Antlitz, es schmerzte ihn sehr, Alphonse so leiden sehen zu müssen, aber er hielt es für richtig, hier und jetzt seinen Unmut über die Sache kundzutun. „Ist das Fieber...ich meine, hat das Fieber sein Herz angegriffen?“ unterbrach die hübsche Blondine besorgt den Mediziner. „Entschuldigen Sie meine dumme Frage, aber ich verstehe nicht viel von Medizin, aber bei meinem Vater ist es damals so gewesen“, erklärte sie beinahe schüchtern und knetete verlegen ihre weichen Finger, die wegen der Nervosität, die in ihrem Inneren herrschte, wie eine dunkle Glut, leicht feucht wurden. Währenddessen blickte der grauhaarige Mediziner auf die leise tickende Uhr, die an der Wand hing und schätzte genau die Zeit ab, wie lange die lebensrettende Infusion benötigen würde. „Ich habe es schneller gestellt als üblich, Schwester Miranda, in einer Stunde müsste die Flasche leer sein. Bereiten Sie dann bitte noch mal dasselbe vor, nur zur Vorsicht, denn ich glaube nicht, dass dies ausreicht“, wandte sich sein Augenmerk an die schwarzhaarige, junge Frau, die den Blonden besorgt ansah, aber leicht, um anzudeuten, dass sie verstanden hatte, mit dem Kopf nickte. „Hai!“, wisperte ihre angenehm klingende Stimme, sanft wie ein kleiner murmelnder Bach im Frühling. Matthew lächelte warm. „Arigato.“ schlug er die Augenlider dankbar nieder, bevor die Krankenschwester das Zimmer verließ. Leise seufzte der alte Herr bekümmert auf, drehte sich dann zu dem First Lieutnant herum und musterte sie mit ruhigen, braunen Augen. „Entschuldigen Sie bitte, Lieutenant, dass ich nicht gleich ihre Frage beantwortet habe“, Riza winkte sofort ab und gab mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass es ihr nichts ausmachte, zu warten. „Nun, sein Herz wurde durch das Fieber nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ich nehme an, ihr Vater hat einen grippalen Infekt verschleppt, in Einzelfällen erleiden manche Menschen einen derben Rückfall. Das aufkommende Fieber kann dann tatsächlich den Herzmuskel schwächen, ohne Behandlung führt dies irgendwann zum Tode.“ Ein finsterer Schatten verdunkelte die schönen, leuchtenden rotbraunen Augen der hübschen Frau, als der Arzt ihr diese Dinge genau geschildert hatte. Leicht glitt ihr Geist in die Vergangenheit, zu ihrem Vater, den sie mehr als alles geliebt hatte. Riza konnte sich noch gut daran erinnern, dass ihr Vater an einer äußerst schweren Erkältung gelitten hatte, aber nichts destotrotz fleißig für seine Familie und ihren Unterhalt weiter arbeitete. „Du solltest dich ausruhen, mein Lieber…“, hörte die Blondine die tadelnde Stimme ihrer Mutter, die ihrem Ehemann mit einer warmherzigen Art über die Schulter strich. „Ach, ist doch nur eine kleine Verkühlung, die ist schnell auskuriert!“, lachte der überaus attraktive und freundliche Mann seine kleine Frau an, schmiegte seine Stirn an ihre, wuschelte seiner Tochter über die zerzausten Haare und zwinkerte ihr fröhlich zu. Keiner konnte den arbeitsamen Mann von seiner Arbeit, die er von Herzen liebte, genauso wie seine Familie, abhalten. Einige Wochen später, als es ihm scheinbar besser ging und er gerade draußen die Pferde striegelte, packte er sich röchelnd an sein Herz und brach ohnmächtig zusammen. „Papa!“ wimmerte die junge Frau herzzerreißend, sie hatte ihm geholfen, da sie gerade Ferien von ihrer Ausbildung hatte. Durch den Lärm aufgeschreckt, war ihre Mutter hinausgeeilt, hatte sich zu ihrem Mann hingekniet und mit Schrecken erkannt, dass kein Fünkchen Leben mehr in dem Körper ihres geliebten Ehemanns war. Schluchzend hatten sich die beiden Frauen aneinander festgehalten, bis ein benachbarter Freund den Arzt gerufen hatte, der, wie ihre Mutter, nur noch den endgültigen Tod des freundlichen Mannes feststellen konnte. Gerne hätte Riza ihrem Vater, der keine Söhne hatte, bewiesen, was alles in ihr steckte und dass auch eine Frau ihren Mann im Militär stehen konnte, doch das hatte er niemals erlebt. >Du bist viel zu früh von uns gegangen, o-too-san< Traurig fuhr sich die Uniformierte über die müden Augen, die aber vor leichtem Schreck hellwach wurden, als die warme Stimme des alten Mediziners an ihr Ohr drang. „Wenn Sie alle in der Schule richtig aufgepasst haben, dann müssten Sie eigentlich wissen, was geschieht, wenn die Körpertemperatur des Menschen ins Lebensbedrohliche steigt.“ Er hielt einen Moment inne, sah in die Gesichter der Anwesenden, doch keiner gab ihm eine Antwort darauf. Mit einem sehr erschöpft klingenden Seufzen kratzte er sich kurz durch sein schütteres Haar, einige Strähnen legten sich müde über seine braunen Augen. Leise fuhr der Grauhaarige fort: „Die roten Blutkörperchen beginnen, sich zu verklumpen. Natürlich kann aus diesem Grunde das Blut nicht mehr ungehindert durch die Gefäße fließen. Folge dessen sind oft Herzversagen, Hirnschäden oder auch Schäden des zentralen Nervensystems.“ Entsetzt nach dieser Erklärung sogen alle heftig die Luft ein, das leise Wimmern des stählernen Kindes wurde stockend und quälend, als würde ein unbekannte Kraft seine metallene Kehle unbarmherzig zudrücken. Der onyxfarbene Blick des blau uniformierten Colonels wandte sich dem blonden Jungen zu, aus der Iris stahl sich eine nie da gewesene Bitterkeit, die seinen ganzen Körper durchzog. Die Zukunft von Edward war ungewiss, durch sein Verschulden würde vielleicht dieser fröhliche Bursche, der sich jedes Mal über ihn ärgerte, sterben…aber hatte er nicht einem Freund versprochen, auf die Beiden aufzupassen. >Habe ich nun mein Wort gebrochen?< Vor seinem inneren Auge wurde ein Mann mit blondem, langem Haar sichtbar, der ihn milde mit goldener Iris betrachtete. Sein aristokratisch wirkendes Gesicht wurde für einige Sekunden traurig, bevor das Bild vollkommen verwischte und der grausamen Wirklichkeit Platz machte. Riza Hawkeye hatte sich vor lauter Entsetzen die feine Hand auf die roten Lippen geschlagen, nachdem die Worte des Arztes ihre ungläubigen Sinne erreichten. Sie liebte die beiden Jungen sehr, wie Brüder, die sie nie gehabt hatte. Es schmerzte sie bis in die tiefste Seele, dass nun der Ältere der Beiden sterben oder nie rückgängig zu machende Schäden davon tragen könnte. >Edward…Alphonse< auf leisen Samtpfoten schlichen die Tränen heran und standen schon kurz davor, die Festung zu erobern und ihre salzigen Fluten über die weichen Wangen streichen zu lassen. Aber Riza wollte jetzt nicht weinen, sie wollte stark sein, für Alphonse, der sie nun mehr als alles andere brauchte. Liebevoll und mitfühlend beugte sie sich zu dem stählernen Gigant hinunter, der, wie wenn ein eisigkalter Sturm durch seine Seele fegte, zitterte und sich mit gebrochenem Herzen an die Hand seines älteren Bruders klammerte. Die junge Frau streichelte tröstend über Al’s metallenes Bein, sie wollte ihm zeigen, dass er nicht allein mit seiner Qual war. „Wir können jetzt nur noch warten und hoffen, dass Edward stark genug ist, um auch diesem hier stand zu halten; die kommende Nacht wird über sein ungewisses Schicksal entscheiden“, wie durch eine dicke Schneeschicht hörte Alphonse den Doktor dieses sagen. Alles was den Mund des Chefarztes danach verließ, schien an einer undurchdringlichen, dicken und finsteren Mauer abzuprallen, die der Junge um sich herum aufgebaut hatte. Schwarze Wolken schmiegten sich sanft, aber hartnäckig an die Sinne des Kindes, erfreuten sich an seiner aufsteigenden Wut und lockten noch mehr von diesem Gefühl aus dem Stählernen. Einige Satzbrocken des Mediziners huschten an seinem Ohr vorbei, wie kleine flinke Mäuse eilten sie durch das Gehirn von Al. „Ich bitte Sie nun zu gehen, jeglicher Kontakt mit anderen Menschen könnte dem angegriffenen Immunsystem schaden, da sie potentielle Krankheitsüberträger sein können. Das Mittel, das nun durch den Körper von Edward fließt, senkt zwar das hohe Fieber, aber es stärkt leider nicht sein System, dass bei jeder noch so kleinen Berührung ausfallen kann.“ Die Wörter flogen an dem stählernen Jungen vorbei, wie Blätter im Herbst, die leise von den Bäumen stürzten und vom kalten Wind davon gewirbelt wurden. Eine nie gekannte Wut, angefacht von den leise kichernden, grauschwarzen Wolken, die seine Sinne benebelten, durchdrang seinen Geist und sein Herz, ließ ihn blind werden für andere Gefühlsregungen. Finstere Fratzen mit rot glühenden, höllischen Augen, die gefährlichen Bestien glichen, hüllten die Freundlichkeit und Barmherzigkeit, die sonst das gute Herz des Jungen beherrschte, gänzlich ein und erstickten sie. Eine unverheißungsvolle Düsternis und Bitterkeit kam, wie ein Dieb aus finsterer Nacht, zu dem Koloss und richtete in seinem kindlichen Gemüt einen unverstellbaren Schäden an, tiefe Wunden rissen diese inneren Regungen und hinterließen einen nicht mehr gutzumachenden Schaden. Die leuchtendroten Augen des metallenen Jungen flackerten wild und zornig in der Dunkelheit auf, wanderten langsam an die Stelle des Beines, an dem die zarte Hand mit den feingliedrigen Fingern der blonden Frau lag. Ganz tief in seiner Seele wusste Alphonse nur zu gut, das Riza das nur tat, weil sie ihn und seinen nii-san mochte, doch die tollwütige Wut, die in seinem Inneren pulsierte, wie Lava in einem Vulkan, der bald ausbrach, loderte sie wie eine helle Flamme auf und verschlang alles was ihren Weg kreuzte. Grob packte er die warme Hand des First Lieutnant und stieß die verblüffte und fragend dreinschaue Blondine rücksichtslos von sich. Mit einem heiseren Schrei, der mehr erschrocken als entsetzt klang, fiel sie nach hinten und stieß sich den Kopf seitlich an dem kleinen Tisch, auf dem das Flämmchen der Kerze nun unruhig zitterte und fast erlosch, wie vielleicht das Leben des kleinen Alchemisten. Aufgrund der Erschütterung tropfte heißes Wachs auf den Nachttisch und besprenkelte auch die weichen Haare der jungen Frau damit. Sehr schockiert und leicht zittrig kam Riza Hawkeye langsam wieder auf die Beine, die sich unter ihrem Gewicht wie Wackelpudding anfühlten. Sie spürte an ihrer Schläfe eine warme Flüssigkeit, die unaufhaltsam nach unten wanderte, in den Kragen ihrer Uniform. Doch das interessierte die blonde Frau nicht, sie starrte mit schreckgeweiteten Pupillen auf die metallene Hand von Alphonse, die immer noch drohend erhoben war. „Riza!“ entfuhr es dem Colonel entsetzt, als er das soeben Geschehene fassungslos und ungläubig mit ansah. Einige Sekunden später lag seine schwarze Iris auf der blutenden Wunde der jungen Frau, Angst erfüllte sein Herz und Besorgnis umspülte seine Seele, wie die seichten Wellen den weißen Strand. Schon wollte er zu ihr eilen, als sich ein Arm gleich einer Eisenbahnschranke vor seinen Körper schob und ihn somit aufhielt. Mit verdutzt hochgezogenen Augenbrauen blickte der Schwarzhaarige an sich herab. Der alte Mann hatte sich wie eine undurchdringliche Mauer vor ihn gestellt, so dass er nicht zu seiner Untergebenen eilen konnte. Schon blitzten die charismatischen Augen des jungen Mannes auf, sein Mund öffnete sich schon, um den Grauhaarigen zurechtzuweisen, auch wenn das hieße, sich erneuten Ärger einzuhandeln. Aber als Roy Mustang in die tiefbraune Iris des Doktors starrte, die ernst dreinblickten, hielt er erstaunt inne. „Warten Sie, Colonel“, bat der Ältere den Jüngeren leise um Geduld. „Sehen wir erst, was geschieht.“ „Was?“, entfuhr es dem uniformierten Mann zornig und etwas zu laut, bevor er sich mit einem unruhigen Räuspern ein wenig zurücknahm. „Soll ich etwa tatenlos zusehen, wie er Hawkeye zermalmt? Er scheint verrückt geworden zu sein!“ Eine nie gekannte Besorgnis zerfraß sein Herz, biss große Stücke aus seiner Seele, als er die Blonde ansah, die vollkommen verängstigt auf dem Boden kauerte, da ihre Beine sie nicht mehr tragen konnten. Ihre Hände hielt sie schützend vor ihr zartes Gesicht, das kummervoll verzerrt war. Der Doktor runzelte die Stirn, die leichte Wellen wie die Dünen des heißen, staubigen Sandes schlug und betrachtete den schwarzhaarigen Uniformierten, der sich nur sehr schwer zurückhalten ließ. Innerlich schmunzelte der Braunäugige warm auf, scheinbar empfand der Colonel mehr als nur kameradschaftliche Zuneigung zu seinem First Lieutnant, auch wenn er es selber noch nicht begriffen hatte. >Tja, Liebe kann wirklich blind machen< dachte er aufseufzend und lehnte sich mit all seiner Kraft, die sein kleiner, vom Alter gebeugter Körper hergab gegen den hoch gewachsenen, muskulös gebauten Mann, der nun mit Händen und Füßen versuchte, sich an dem Älteren vorbeizudrängeln. Riza legte eine Hand auf die Platzwunde und strich vorsichtig darüber. Warm und feucht klebte es an ihren Händen, eine Wunde die äußerlich, aber vielleicht innerlich nie heilen würde. Immer noch starrten ihre sonst so schön glänzenden, doch seit den letzten Minuten trübe gewordenen Augen das stählerne Kind an. Zutiefst geschockt verengten sich die schmerzerfüllten Pupillen der jungen Frau. „Al-...Alphonse...“, kam es wispernd über ihre zitternden, aufgesprungenen Lippen, doch der Angesprochene hielt sich nur leise wehklagend den metallenen Kopf und taumelte wie ein Betrunkener haltlos durchs Zimmer. Die grellen elektrischen Zungen leckten zum Boden hinab und ließen ihn erbeben. Das Licht, dass von ihnen ausging, brach sich gleißend an der Rüstung, kleine Funkenreflexe spiegelten sich an den weißen Wänden wider. „Warum?“ wimmerte der stählerne Koloss keuchend auf. „Wieso? Wieso geschieht das alles?“ Halt suchend griff seine Stahlhand nach dem kleinen Nachtisch, der durch das Gewicht des Jungen erbärmlich aufquietschte. Vor diesem hölzernen Gegenstand kniete First Lieutnant Hawkeye, die sehr unsicher zu der schluchzenden Kreatur hinaufblickte und seinem rot lodernden Augen, die sie an eine abscheuliche Bestie erinnerte, begegnete. Ein eiskalter Schauer, der sie an ein Bad in einem arktischen See erinnerte, kitzelte ihr Rückgrat und machte es fast taub. „Wieso, Lieutenant? Wieso musste es soweit kommen?“ Sein weich kindlicher Ton klang anklagend, wie grollender Donner, der nach einer heftigen Blitzattacke seine wütende Stimme erhob. Sie zitterte, wie ein Blatt, das von einer tollwütigen Böe erfasst und von ihrem gemeinen Spiel herumgewirbelt wurde. Stumm erwiderte Riza den Blick des metallenen Jungen und langsam senkte sich ihr Haupt gen Boden. Die Schuld, die auf ihren Schultern lag, lastete zentnerschwer darauf. „Warum muss er so leiden, warum?“ Seine metallisch klingende Stimme wurde hart wie Granit. Die blonde Frau zuckte heftig zusammen, als die liebevolle Naivität aus seinem Ton verschwunden war. Alphonse spürte wie ihn der Anblick der jungen Frau nur noch zorniger machte. Ihr Schweigen ließ die heiß brodelnde Wut in seinem Herzen noch weiter aufsteigen, bis sie wie eine feurige Fontäne über den Rand sprudelte und die Oberfläche mit glühender Lava eindeckte und mit ihr gänzlich verschmolz. Ungehalten und vor Wut zitternd packte der Stählerne nach einem der Beine des kleinen Tisches. Bebend knackte das Holz unter dem Griff, dass es sich fast so anhörte, als würde ein sterbender Mensch aufschreien. Im hohen Bogen warf die metallene Kreatur den Tisch auf die Seite. Die helle Flamme der beinahe heruntergebrannten Kerze, die sich gerade von dem letzten Stoß beruhigt hatte, wurde ihres kurzen Lebens beraubt und zischend, leise wehklagend verstarb sie. Ein sehr erschrockener Aufschrei erschallte. Mit einem Male war es stockfinster in dem Zimmer, nur die ebenso zornigen, wie gefährlichen Blitze am Firmament erleuchten im Sekundentakt den Raum und warfen unheimliche Schatten an die Wand, die unruhig im Takt des Donners aufzitterten und wie lebende Puppen im Raum umherhuschten. Alarmiert verspannte sich die ganze Muskulatur des Schwarzhaarigen, seine scharfen Pupillen verengten sich zu Schlitzen, als er die schluchzenden Laute des stählernen Jungen vernahm, der im Halbdunkel mit voller Wucht gegen den Kleiderschrank stieß und an dem bedauernswerten hölzernen Geschöpf eine riesige Delle hinterließ. Das blasse und verweinte Gesicht der blonden Frau, das in den elektrischen Zungen gespenstisch erhellt wurde, zuckte schmerzverzerrt auf. Roy wusste nicht, ob es wegen der körperlichen oder der inneren Qual war, die in der leidenden Seele von Riza herrschte. Aber eines wusste er ganz gewiss, diese Frau würde er mit seinem Leben beschützen, koste es was es wolle! Der grauhaarige Mann, der vor ihm stand und den Arm des Colonels festhielt, merkte wohl die Unruhe in seinem Herzen, denn die schon betagten Muskeln spannten sich noch mehr und mit einer bemerkenswerten Kraft hielten sie den Jüngeren an Ort und Stelle. „Lassen Sie den Jungen, lassen Sie uns hören, was er zu sagen hat, ich bitte Sie, Colonel“, raunte die warme Stimme des Älteren in das Ohr des schwarzhaarigen Uniformierten. Verstört starrte Mustang in die braunen Augen des freundlichen Arztes, der ruhig nickte. Diese Geste beruhigte ein wenig das Herz des aufgebrachten Uniformierten und seine Glieder entspannten sich leicht. >Was meint Doktor Brown damit? Was soll Alphonse zu sagen haben? Was ist überhaupt mit ihm los?< Diese Fragen und ähnliche schossen durch den Geist des Schwarzhaarigen. Doch die Antworten bekam er nicht präsentiert, eine beunruhigende Stille herrschte in seinen aufgewühlten Sinnen. >Das Einzige, was für mich nun wichtig ist, ist die Sicherheit von Riza!< Die junge Frau kniete immer noch vor dem zertrümmerten Tisch, ihr weiches Antlitz war von Betroffenheit gezeichnet, die Wangen überströmt von glitzernden Tränen, die unaufhaltsam ihren Hals herunter rannen. Ihre rotbraune Iris sah den schluchzenden Koloss an, der voller Pein auf den antiken Kleiderschrank einhämmerte, bis dieser mit einem wimmernden Wehklagen zersplitterte. Die kleinen und großen Holzstücke klackten leise auf den Boden und zerbrachen mit einem hauchzarten Knirschen unter den Füßen des metallenen Giganten. Hawkeyes Seele zerbrach fast an dem Anblick von Alphonse, der so unendlich verzweifelt und ohne jegliche Hoffnung in seinem Herzen war. Jeder Schluchzer des Kindes schnitt tief in ihr Herz und hinterließ eine blutende, tiefe Wunde. „Al-kun..., bitte, es tut mir so leid, was geschehen ist, könnte ich es rückgängig machen, ich würde es, das musst du mir glauben, hörst...“, sofort wurde sie von dem metallenen Jungen zornig unterbrochen, der sie mit starren und fast emotionslosen Augen anblickte. „Halten Sie den Mund!“ schrie er verzweifelt und grub seine Faust noch tiefer in das morsche Holz des alten Schrankes, der mit einem leisen Keuchen sein Leben hingab und für immer verstummte. Die kleinen Splitter klatschten leise wie feiner Sprühregen auf den Boden und einige trafen die Gestalt der hübschen Blondine mit ihren spitzen Kanten, die sie glücklicherweise nicht verletzten. Sie wagte nicht ein Glied zu rühren, vielleicht aus Angst oder weil sie ihre Kräfte sammeln wollte. Der Atem des stählernen Jungen ging zischend und laut wie eine tobende Höllenbestie, die sich durch sein Innerstes durchfraß. Langsam zog er seine metallene Hand aus dem Holz, das ohne einen Laut von sich zu geben zu Boden tröpfelte, wie Blut aus einem verletzten Körper. Alphonse Statur baute sich bedrohlich über der jungen Frau auf, die, ohne nur mit der Wimper zu zucken, den Koloss anblickte. Ihre sanften Augen waren klar und ohne Furcht in die rote Iris den Jüngeren gerichtet, der sie voller Wut, Pein und Qual anstarrte. „Reden! Das ist alles, was ihr Erwachsenen könnt!“, drang seine zornverzerrte Stimme an ihr Ohr, die sie trafen wie glühend heiße Nadeln. „Warum haben Sie nicht gehandelt? Wieso hat keiner von ihnen eher Hilfe geholt? Ging es ihm dazu etwa nicht schlecht genug? Oder liegt es daran, Colonel“, mit diesen wuterfüllten Worten wandte er sich leicht zu dem Flame Alchemisten hinüber und starrte mit böse funkelnden Augen in seine onyxfarbenen Pupillen. „…dass Sie meinen Bruder nicht wirklich leiden können und es Ihnen eh nicht viel bedeutet, ob er am Leben ist oder stirbt?“ Tief getroffen, als würde ihm Jemand einen giftigen Dolch ins Herz treiben, zuckte der Schwarzhaarige zusammen und krümmte sich fast wie ein tödlich getroffenes Tier, in dem eine scharfe Pfeilspitze steckte, nachdem er die grausam verletzenden Dinge aus dem stählernen Mund des Kindes hörte. Fassungslos und zu keiner Bewegung fähig stierte er Alphonse an. Langsam klappten seine fein geschwungenen Lippen auseinander, aber kein einziger Ton entwich diesem, die Worte, die er sagen wollte, blieben wie trockene Kekskrümel in seinem rauen Hals stecken. „Darauf wissen Sie keine Antwort, wie ich sehe, taisa“, triumphierend leuchteten die roten Augen fast irrsinnig auf, leichte Schauer kitzelten wie ein forschendes Bein einer Spinne den Rücken des hübsch gewachsenen Uniformierten hinunter. „Anfangs, als Sie meinen Bruder und mich kennen lernten, war er für sie hochinteressant, nicht wahr?“, konfrontierte der Stahlgigant den Colonel mit der längst vergessenen Vergangenheit, die immer noch wie ein schweres, blutverschmiertes Beil über allem schwebte und doch frisch, fast lebhaft war, als wäre dies erst vor wenigen Tagen geschehen. „Ein Zehnjähriger, dessen alchemistische Kraft sich problemlos mit der eines Erwachsenen messen konnte, das war für sie doch die Entdeckung schlechthin. Und auch noch ein Sohn Hohenheims. Diesen Jungen mussten Sie für sich gewinnen, das stand außer Frage, hab ich nicht recht, Colonel?“ Die Stimme des stählernen Jungen war eisiger als die kältesten Nordwinde, die im Winter über das klirrende Land fegten und alles Leben in einem Zug auslöschen konnten. Ungerührt sprach Alphonse weiter, sachgemäß ignorierte er die völlig fassungslosen Blicke der beiden Uniformierten. Der einzige, der in dieser Sache noch einigermaßen gefasst wirkte, war der grauhaarige, immer freundlich wirkende Herr. Er war nicht überrascht, das aus dem stählernen Mund des Kindes zu hören, zu viel hatte Alphonse gelitten um nun noch ruhig zu bleiben. Selbst der kreischende, tobsüchtige Sturm hielt seinen Atem an, als wäre er gespannt, was Al noch zu sagen hatte, denn auf einmal wurde es still, nur ganz leise wisperten die kalten Böen um das Gebäude herum und entlockten jeder Mauerritze ein Wehklagen, das einen an eine weinende Maid erinnerte, die um ihren Liebsten trauerte. „Und mein lieber Bruder ließ sich auch noch auf das Militär ein, in der Hoffnung, dort an weitere Informationen zu kommen, was unser Schicksal betraf. O-baa-san warnte ihn eindringlich, erklärte ihm, was es bedeuten würde, ein States Alchemist zu sein, doch er ließ sich von seinem Plan nicht abbringen. Ihm war nur eins wichtig; er wollte dafür sorgen, dass ich meinen Körper zurückerlangte, seine verlorenen Gliedmaßen waren für ihn zweitrangig. Er fühlte sich schuldig an meiner Situation und wollte alles wieder gutmachen. Ich habe ihn nur aus einem Grund begleitet und zwar, weil ich mich um ihn sorgte. Ich wollte an seiner Seite sein, ihn beschützen, wenn er in Not oder Bedrängnis war, dabei bin ich doch eigentlich der Jüngere von uns Beiden und nicht er. Trotz allem gerät er ständig in Schwierigkeiten, während ich versuche, ihnen aus dem Weg zu gehen.“ Kurz verstummte das kalte Rauschen in Alphonses Stimme, das wie ein kalter Novembertag erklang und die Leute unwillkürlich erschaudern ließ. Liebevoll lagen die rot glänzenden Augen, die einem See voller süßer Himbeeren glich, auf dem Körper des Älteren, der erschöpft im Schlaf zusammenzuckte. Im Sekundentakt glitzerte leise die lebensspendende Flüssigkeit durch die roten Venen des kleinen Alchemisten, jeder Tropfen war etwas Besonderes, denn durch sie würde Edward wieder gesund werden, der nun nicht mehr dem lebhaften, quirligen Jungen glich, mit dem Alphonse über die Wiesen von Rizenbuhl gestreift war, mit ihm gelacht und gestritten hatte. „Wir beide sind eins, er und ich. Nach dem Tod unserer Mutter haben wir uns geschworen, dass der eine den anderen niemals verlässt, egal, was geschieht. Doch jetzt...“, der ruhige, aber verzweifelte Ton wurde todtraurig, als würden die Sorgen der ganzen Welt auf den Schultern des Stählernen lasten, an denen er immer mehr und mehr zerbrach. Sein weicher, dennoch gequälter Blick wandte sich seinem Bruder zu, „…scheint es, als wollte mir etwas meinen nii-san nehmen, ihn mir entreißen, für immer und ewig.“ Eine gehaltvolle Pause entstand, die Stille, die einen bis zum Boden drückte, machte das Atmen unerträglich. Plötzlich starrte der stählerne Junge auf den Flame Alchemisten, fast hasserfüllt funkelten die roten Augen, die nun das Aussehen einer wilden Bestie hatten. Hell wie die Feuerbrünste der Hölle leuchtete die Iris des wütenden Kindes und machte das Gefühl der Beklemmung, das in dem jungen Schwarzhaarigen herrschte, noch um einiges tiefgehender. „Warum sind Sie damals in unser Leben getreten, Colonel? Konnten Sie uns nicht in Frieden lassen? Wissen Sie eigentlich, was Sie meinem Bruder alles damit angetan haben, nachdem er Ihrem Ruf gefolgt ist? Er war noch ein Kind, so wie ich auch noch eines bin, als er die Prüfung bestanden hat. Die Dinge, die er in der kurzen Zeit gesehen hat, der Tod der kleinen Nina, der Psychoterror durch die Homunculi, sind Sie da wirklich der Meinung, dass man all das einer so jungen Seele zumuten kann?!“ Seine Hände zu Fäusten geballt, die Arme zitternd wie Espenlaub, wartete er auf eine Antwort von Colonel Mustang, aber diese blieb aus. Kein noch so leiser Laut kam über die Lippen des jungen Mannes, zwar öffnete er den Mund, aber was sollte er dem Kind denn sagen? Das leise Lachen des metallenen Jungen klang mehr als verbittert, schleichend kam das böswillige Gift aus seinem stählernen Käfig hervor und überzog den Raum mit seinem gefährlichen Atem. „Immer noch sprachlos, Colonel? Ist schon eigenartig, dass sie so etwas aus der Fassung bringt, nicht war?! Dabei dachte ich, Sie seien ein Mann ohne Herz. Laufen blind durch die Gegend und merken nicht einmal, dass Lieutenant Hawke...“ „Hör auf, Alphonse, ich bitte dich…hör auf…“, unterbrach ihn die traurig zerrissene Stimme der hübschen jungen Frau, deren goldblonde Haare ihr wirr ins Gesicht fielen, Tränenspuren vermischten sich mit dem roten Lebenssaft und drangen unaufhaltsam in den schon feucht gewordenen Kragen der Uniform, der sich langsam rot färbte. Erschöpft richtete sie sich halbwegs auf und wischte flink ihre rot glänzendenTränen von den Wangen. Der Rüstung verschlug es fast die Sprache, als er dem todtraurigen Blick Rizas begegnete. Eine leichte Reue packte sein verwundetes Herz, diese wurde aber von der allesverzehrenden Wut erneut unterdrückt und langsam erstickt. Schluchzend rang die Blonde um Fassung, immer wieder rannen unzählige kleine Tränchen von ihren samtigweichen Wangen, die sich vom Weinen rötlich verfärbten. Ihre Stimme zitterte hörbar, wie ein kleines Blatt, dass dem böswilligen Wind schutzlos ausgeliefert war und im nächsten Augenblick zerstückelt werden könnte. Sie versuchte, den kochend heißen Zorn, der sich in das Denken und Handeln von Alphonse hineingefressen hatte, zu lindern. Ihre Stimme war unsagbar sanft und eine wärmende Güte lag in ihrem Ton. „Al-chan, hör mir zu, bitte!“ flüsterte sie flehend, als sie bemerkte, wie die zornesglühenden Augen des Kindes noch furchteinflößender wurden. „Niemand von uns hat deinem Bruder jemals etwas Böses gewollt, am wenigsten der Colonel. Genauso wie ihr Zwei hat auch er sich nichts Sehnlicheres gewünscht, als dass ihr eines Tages euer Ziel erreicht. Was glaubst du, warum er euch immer in die entlegensten Regionen geschickt hat und euch mit den eigenartigsten Aufträgen bestückt hat? Damit ihr so viele Informationen wie nur möglich über den Stein der Weisen sammeln könnt. Und dass es nun so schlecht um ihn steht, das hat sich keiner von uns gewünscht, im Gegenteil. Sicher, wir hätten eher einen Arzt informieren sollen, da gebe ich Doktor Brown vollkommen Recht und mir“, ihr rotbraunen Blick wandte sich ihrem Vorgesetzten zu, der sie leicht nickend betrachtete. Sie korrigierte sich schnell und redete hastig weiter. „…uns trifft da, denke ich, auch die volle Schuld, aber glaubst du, Al, dein Bruder hätte es gewollt, dass wir uns alle jetzt hier halb zerfleischen? Ich glaube kaum. Wollen wir uns nicht wieder vertragen?“ Zögerlich, leicht ängstlich reichte sie ihm ihre weiche Hand, die vom Blut und den Tränen verschmiert war. Aufgrund dessen nahm sie sie wieder zurück, suchte in ihrer Tasche nach einem Tuch, mit dem sie sich die Verunreinigungen abwischte. Danach reichte sie ihm mit einem zarten, äußerst liebevollen Lächeln, dass aber nicht so sicher wirkte, wie man es von ihr kannte, erneut ihre warme Hand entgegen, in der Hoffnung, dass Alphonse sie friedlich annehmen würde. Doch damit kam sie bei ihm an die falsche Adresse oder anders gesagt, sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der sie nun noch feindseliger anstarrte, als er es ohnehin schon tat. Mit einem äußerst wütenden Fauchen, wie von einer böswilligen Katze, schlug der metallene Junge den Arm der hübschen Frau beiseite und wandte sich, ohne ein weiteres Kommentar abzugeben, Richtung Türe. Schon legte sich die stählerne Hand auf den Türknauf und drückte ihn bereits herunter, als sich etwas auf seinen Arm legte, ihn fest packte und zurückhielt. Der lodernde Unmut gegen alles und jeden erfüllte seine Seele bis zum Rand, die letzten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten, plätscherten mit fröhlichem Glucksen hinein. Mit einem bestialischen Knurren, das seiner stählernen Kehle entwich, drehte er sich ruckartig um. „Lassen Sie mich gefälligst in…“, seine Bewegungen erstarrten, als er ungläubig in die onyxfarbenen Augen des Colonels stierte, der sich mit aller Kraft an ihm festklammerte. Roy Mustang hing an ihm wie der Hund am Knochen, der ihn keinesfalls freigeben wollte. In seinen schwarzen Pupillen loderte ein Feuer, das dem des Jungen gleich kam. Selbstsicher, aber auch beängstigend brannte es lichterloh und so hell, so dass man unwillkürlich die Lider zukneifen musste, um nicht geblendet zu werden. Doch während es bei Alphonse von geblendeter Wut und Zorn genährt wurde, kam es bei Roy tief aus seinem Herzen, das nun frei von Angst und Furcht war, doch ein leiser Hauch seines Gewissens nagte wie eine kleine Maus an einer verbotenen Frucht an ihm, die ihn ein wenig verletzbar machte. Al hatte es doch tatsächlich geschafft, dass er sich für alles Geschehene verantwortlich fühlte, es schmerzte ihn unsäglich und ein bitterer Nachgeschmack klebte an seinem trockenen Gaumen. >Sicher wäre den Beiden nicht so viel Unschönes geschehen, hätte ich damals das unheimlich intensive Licht, welches die Helligkeit der Sonne überstieg, ignoriert, als es sich durch jede noch so kleine Ritze und Winkel des Hauses der beiden Brüder hinausstahl, um in die Freiheit hinaus entlassen zu werden. Doch beide Söhne von Hohenheim zu finden, die auch noch die Rekonstruktion eines menschlichen Wesens überlebt haben, war einfach zu faszinierend für mich, als die Jungs ihrem einfachen Schicksal, auf dem Land aufzuwachsen, zu überlassen. Ich wollte Zeugen dessen sein, wie sie an Erfahrungen wachsen, ob das herausragende Talent und das fast vollkommene Wissen ihres Vaters in ihren Adern fließt oder ob sie dem gar nicht entsprechen.< Vielleicht klang all das ein wenig überheblich und selbstsüchtig, doch würde dass nicht auch ein liebevoller Vater von seinen Kindern denken? >Nathan wäre sicher sehr stolz auf seine beiden Söhne, wenn er erlebt hätte, wie die beiden aus all diesen aussichtslosen Situationen herauskommen, sich mutig der Gefahr stellen und sich tapfer ihren Weg zu ihrem gesteckten Ziel bahnen.< Seine Gedanken verflüchtigten sich aus diesem bedrückend wirkenden Raum und wanderten hinüber zu einem freundlichen Mann mit aristokratisch feinen Gesichtszügen, der ihn mit lächelnden, fast väterlichen Augen ansah. Ein Mann, der wegen des Krieges seine Familie hatte verlassen müssen; wie es schien, für immer und ewig. Ein schmerzender Stich verletzte seine traurige Seele. Nach Beendigung der erbitterten Kämpfe gehörte der gutherzige Mann mit den langen blonden Haaren zu den Opfern, die Mutter Natur nie wieder freigeben würde. Von dieser Zeit an, galt Nathaniel Hohenheim als verschollen. Niemand hatte jemals wieder von dem aristokratischen Mann mit den goldenen Augen gehört, geschweige denn gesehen. Für das Militär war sein spurloses Verschwinden ein herber Verlust gewesen…nein, nicht nur für das Militär, auch für seine Familie und Freunde. Hohenheim-san galt als einer der talentiertesten Alchemisten, die die Welt je hervorgebracht hatte. Durch seinen beispiellosen Einsatz von Mut, Wagnis und Taktik war es auf Seiten des Militärs zu wenigen Verlusten gekommen. >Dank Nathan stehe ich hier in diesem Zimmer, ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben…< Denn es war der bebrillte, freundliche Mann gewesen, der ihn kilometerweit durch die lebensfeindliche Wüste geschleppt hatte, bis zum nächsten Lager, in dem sie vor Erschöpfung zusammengebrochen waren. >Nat und ich waren die einzigen unserer Einheit, die den hinterhältigen Überfall überlebt haben und wir haben uns unterstützend den Weg durch den unendlich weiten und singenden Sand gebahnt.< Nachdem es dem schwarzhaarigen, jungen Mann besser ging, hatte er seinem Freund und Weggefährten versprochen, das Gleiche für ihn zu tun, wenn es einmal dazu kommen sollte. Der bernsteinfarbene Blick lag warm und gütig auf dem Haupt des Schwarzhaarigen. „Nein, aber ich habe eine Bitte an dich, Roy.“ „Alles was du möchtest, Nat. Ich würde alles tun.“ Grinsend nickte der Ältere. Seine golden durchwirkte Iris wandte sich von dem jungen Mann ab und starrte gedankenverloren hinaus in die heiße, glühende Sonne, die ohne Erbarmen auf die Menschen hernieder brannte. „Es geht um meine Söhne.“ „Hai?“ Ein wenig verwirrt blinzelte Roy Mustang seinen blonden Freund an. „Ich verlange nur eines von dir und das ist mir wichtiger als mein eigenes Leben. Wirf ein wachsames Auge auf meine Jungs; sie brauchen jemanden, der ihnen den richtigen Pfad beleuchtet. Und vielleicht…“, Nathaniel schüttelte den Kopf. „Sie wird selbst auf sich aufpassen können…“ „Was…?“ „Vielleicht lernst du sie eines Tages kennen, dann weißt du, was ich damit meine…, aber willst du mir diese Bitte erfüllen?“ „Von Herzen gern!“ Diese Worte klangen noch immer glasklar an die Ohren des Colonels, als wären sie erst gestern ausgesprochen worden. Diese Bitte hatte ihn zwar sehr verwirrt, doch er fragte nicht, da Hohenheim immer wusste, was er sagte oder tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)