Milchkaffee von abgemeldet ================================================================================ Teil 1 ------ Titel: Milchkaffee Autor: Khana E-Mail: Khana-chan@web.de Teil: 1/2 Status: abgeschlossen Freigabe: PG-13 Warning(s): slash Zusammenfassung: Benjamins Haut ist braun wie Kaffee, und Martin ist blass, fast schon milchig. Fehlt also nur noch ein Löffel Zucker. Disclaimer: Die Charaktere hat Silberchen entworfen und sie mir anvertraut, um ihre Geschichte zu schreiben. Der 'Fluchtpunkt' ist meiner und wird bestimmt noch mal benutzt. Note: Für Silberchen. Ich hoffe, ich bin den beiden gerecht geworden. Datum: abgeschlossen 28.3.05 Milchkaffee Teil 1 Wieder einer von diesen Samstagabenden. Martin saß neben seinem besten Freund Oliver und seufzte leise. Er hätte es wissen müssen - falsch, er hatte es gewusst, aber er war trotzdem wieder mitgekommen. Wie so ziemlich jeden Samstag halt, wenn Oliver ihn mit in den 'Fluchtpunkt' schleppte. "Komm schon, Martin, du kommst viel zu wenig unter Leute", erklärte Oliver immer irgendwann am späten Samstagnachmittag und kramte in Martins Schrank herum. Dann warf er seinem Freund grundsätzlich irgendwas zum Anziehen zu, dass er offenbar für 'brauchbar' befunden hatte, und wartete ungeduldig, bis Martin mit Duschen und Anziehen fertig war. Anschließend grinste er Martins Mutter fröhlich an, während er ihr eine dick belegte Scheibe Brot abschwatzte, und kurz darauf waren sie auch schon auf dem Weg in die Kneipe. So war es natürlich auch heute gewesen. Jedes Mal, wenn Martin nach so einem langweiligen Samstagabend im Bett lag, nahm er sich zwar vor, nächstes Mal auf keinen Fall mitzukommen, aber Oliver ließ ihm da nicht wirklich eine Wahl. Wozu hatte man schließlich Freunde? Martin nippte an seinem Bier und ließ den Blick durch die Menge schweifen. Etwa gleich viele Männer wie Frauen; ab achtzehn aufwärts schien tatsächlich so ziemlich jede Altersgruppe vertreten zu sein, wenn der Schwerpunkt auch eindeutig auf Mitte bis Ende Zwanzig lag. Oliver und Martin gehörten da noch eher zum 'Jungen Gemüse'. Oliver unterhielt sich gerade ausgesprochen gut mit ihrer Tischnachbarin und würde ihr vermutlich nachher noch seine Telefonnummer geben. Martin sah gelangweilt zur Tür - und hatte eine Begegnung der anderen Art. Na gut, es war keine Begegnung. Er sah der Mann nur, und begegnen hieß schließlich, einander treffen und sich gegenseitig sehen. Und die Nicht-Begegnung war auch nicht der anderen Art, sondern der einen, dieser Besonderen, bei der man das Gefühl hat, dass die Welt sich aufhört zu drehen und der Mensch, dem man begegnet, plötzlich das Zentrum des Universums ist. Jedenfalls sah Martin diesen Mann. Kaffeebraune Haut, kurze schwarze Haare, die fast schon wie ein drahtiger Pelz aussahen, ein schlichtes weißes Hemd und ein Lächeln... In Martin zog sich alles zusammen. Irgendwas passierte in seinem Bauch, das in den Kitschromanen seiner Mutter, von denen er mit dreizehn, vierzehn ein paar gelesen hatte, immer als Schmetterlinge bezeichnet wurde. Martin starrte den Mann an, der mit geschmeidigen, ein wenig federnden Schritten zur Theke ging und auf den Barhocker glitt. Die recht eng sitzende Jeans spannte sich noch weiter um seinen Hintern und- "Hey, pass auf, sonst fallen dir gleich die Augen raus", lachte Oliver neben ihm und Martin fuhr ertappt zusammen. "Ich..." "Du hast den Kerl da vorne grade förmlich mit Blicken ausgezogen. Na, scharf?" Martin schüttelte den Kopf und starrte in sein Glas, das er mit beiden Händen so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten. "Natürlich nicht." Olivers Grinsen wurde noch ein wenig breiter, und ehe es sich Martin versah war er aufgestanden und ging hinüber zur Theke. Er würde doch nicht... er konnte doch nicht... Doch tatsächlich: Oliver sprach den Mann von eben an, und Martin beschloss, ihn nachher eigenhändig umzubringen. Oliver, versteht sich, der Fremde war viel zu schön dazu. Aber Oliver hatte es nicht anders verdient. Sie waren zwar seit dem Kindergarten befreundet und Oliver hatte auch nach Martins Coming Out im kleinsten Kreis zu ihm gehalten hatte. 'Kleinster Kreis' hieß in diesem Fall nur Oliver und Martin, wobei letzterer rot war wie eine Tomate und etwa fünfundzwanzig Anläufe brauchte, bis er das 'Ich bin schwul' dann endlich herausgebracht hatte. Aber was zu viel war, war einfach zu viel, und hierfür musste Oliver eindeutig sterben. Oliver sagte etwas zu dem dunkelhäutigen Fremden und grinste ihn an, der lächelte zurück und sah herüber zu Martins Tisch. Prompt wurde Martin rot und starrte wieder in sein Glas. Wie peinlich... Er sah erst wieder auf, als er hörte, dass die Stühle am Tisch gerückt wurden und sich jemand neben ihn setzte. "Hallo. Ich bin Benjamin. Dein Freund hat gesagt, ich soll nicht so allein rumsitzen. Ich hoffe, das stört dich nicht?" Die Stimme des Mannes klang freundlich und völlig akzentfrei, bemerkte Martin fast ein wenig erstaunt. Ein bisschen verunsichert und wohl auch leicht verwirrt lächelte der Fremde - Benjamin, ermahnte sich Martin, er hatte einen Namen! - ein dennoch strahlendes Lächeln, das Martin dahinschmelzen ließ. Hastig schüttelte er den Kopf. "Natürlich nicht!" Also hatte Oliver nicht gleich gesagt, dass Benjamin herkommen sollte, weil sich Martin dann sowieso nicht traute, sich an ihn ranzumachen? Hm, vielleicht musste er ja doch nicht sterben. Zumindest nicht sofort. "Wer muss nicht sterben?" Ups, das hatte er doch nicht etwa laut gesagt? Martin wurde rot - schon wieder, verdammt! - und sah hilfesuchend zu Oliver. ,F L I R T E N', soufflierte der mit stummen Lippenbewegungen, bevor er sich wieder seiner Bekanntschaft von vorhin zuwandte. Tod durch Ertrinken, beschloss Martin, und sah dann halbwegs verzweifelt zu Benjamin. Flirten. Das hatte er noch nie gemocht, noch nie gekonnt und auch noch nie wirklich gemacht. Und ausgerechnet jetzt meinte Oliver, er müsse damit anfangen. "Ähm, ich..." Er brach ab und sah wieder sein Glas an. "Und warum hättest du sterben sollen?" "Weil..." Oh verdammt, was sollte es denn? Im Fluchtpunkt war die Homo/Hetero-Quote relativ ausgeglichen, seine Chancen standen also gar nicht mal so schlecht, und wenn Benjamin ihn dann für einen Vollidioten hielt, hatte er nächstes Mal zumindest eine Ausrede, warum er nicht mit herkommen musste. "Weil ich vermutlich 'nen Herzanfall bekommen hätte, wenn ich weiter deinen Hintern angestarrt hätte", murmelte Martin also in sein Bierglas. Da, bitteschön. Jetzt hatte es sich zum Affen gemacht, Benjamin würde verduften und er könnte nach Hause gehen. Eine Hand legte sich auf Martins Knie, und in seinem Bauch explodierte irgendetwas - vermutlich die Schmetterlinge von vorhin. Dann rutschte jemand - Benjamin?! - neben ihn auf die Eckbank, und als er aufblickte, sah er dieses unglaublich strahlendweiße Lächeln und freundliche schwarze Augen und... "Wow", machte Martin, und schimpfte sich im nächsten Moment einen gehirnamputierten Vollidioten. "Mhm", kam es zustimmend von Benjamin, und sein warmer Atem streifte Martins Wange. "Find ich auch." Die Hand auf seinem Knie fing an, ihn ein wenig zu streicheln, und Martin wurde heiß und kalt und wieder heiß. Und dann beugte sich Benjamin noch ein wenig vor, und seine Lippen trafen weich auf Martins, und die explodierten Schmetterlinge setzten zum Sturzflug an. "Wow", machte Martin noch einmal. "Ich meine... ich weiß nicht. Ich meine... Wow." Benjamin grinste. Martin beschloss, dass er Oliver noch ein wenig leben lassen konnte. ~*~ Martin fühlte sich ein klein wenig unwohl. Na gut, ein wenig sehr unwohl. Ziemlich unwohl. Verdammt unwohl... Okay, er wäre in diesem Moment lieber am Nordpol gewesen als hier. Aber das interessierte ja mal wieder niemanden. Und wenn er ehrlich war - am Nordpol hätte er keinen so absolut hinreißend geilen Freund neben sich gehabt, also bleib er wohl doch lieber hier und ertrug das ganze wie ein Mann. 'Das Ganze' war eigentlich nichts weiter als seine erste Begegnung mit Benjamins Eltern und seiner Schwester. Wobei 'nichts weiter' in Martins Augen die Untertreibung des Jahres war - ach was, Jahrtausends. Sie waren doch gerade mal eine Woche zusammen, er wusste noch viel zu wenig über Benjamin und überhaupt, aber andererseits... Bisher hatten sie sich immer in Cafes, Kneipen oder anderswo in der Stadt getroffen. Wenn Benjamins Eltern Bescheid wussten, konnten sie zumindest ungestört dessen Zimmer nutzen... Trotzdem, Eltern treffen war die Hölle. Wenigstens hatte er den schlimmsten Teil schon hinter sich, nämlich das Vorstellen. Vonwegen 'Guten Tag, ich bin der neue Freund ihres Sohnes' und so. Dass er sich dabei an Benjamins Hand geklammert hatte, tat ja nichts zur Sache, er hatte es zumindest überlebt. Jetzt saßen sie nur noch im Wohnzimmer herum, Benjamin und Martin händchenhaltenderweise auf dem Sofa, und redeten. Und redeten. Und redeten noch ein bisschen mehr. Martin war nach Schreien und Weinen zumute, wahlweise auch nach beidem gleichzeitig, aber in erster Linie nach Flüchten. Weg von hier, irgendwohin, wo er mit Benjamin allein war und nicht den wachsamen Blick des Vaters, das nett gemeinte Geschnatter der Mutter ("Sein letzter Freund hat unseren Benji ja so enttäuscht...") und das wissende Grinsen der Schwester ertragen musste. Das einzige, was ihn auf dem Sofa hielt, war seine mit Benjamins verschlungene Hand, die zwischen ihren Oberschenkeln eingeklemmt war. Und Benjamins Daumen, der sein Bein in kleinen kreisenden Bewegungen streichelte. Verdammt, er wollte ihn jetzt küssen können, nicht hier festsitzen und... "Martin, möchtest du noch Kaffee?" "Wie? Oh, ja bitte." "Mit Milch?" "Gern." Milchkaffee... fast ein wenig, wie Benjamin und er zusammen aussahen... Michael betrachtete Herrn und Frau Lianga - oder Salmin und Doris, wie die beiden ihm sofort angeboten hatte - genauer, während ihm Doris Kaffee einschenkte und dann munter weiterredete. Benjamins Vater sah eigentlich genauso aus wie sein Sohn, lediglich seine Haut war noch einige Nuancen dunkler. Ansonsten die selben gekräuselten Haare, das selbe strahlend weiße Lächeln, die selben freundlichen Augen, um die bei ihm allerdings schon Krähenfüße zu erkennen waren. Und er war größer als Benjamin, das hatte Martin vorhin bemerkt. Während der Sohn ein wenig kleiner war als Martin, überragte ihn der Vater um knapp einen halben Kopf. Benjamins Mutter hatte bei seinem Aussehen wohl nicht allzu viel beigetragen. Ihre Größe vielleicht, sie war kleiner als Benjamin, und zu seiner etwas helleren Hautfarbe hatte sie ihm wohl auch verholfen. Sie war eine echte Deutsche. Nein, Weiße. Nein, verdammt, wie sagte man das denn? Weiße klang ja schon wieder rassistisch und Deutsche patriotisch und überhaupt, das war alles viel zu kompliziert, um politisch korrekte Begriffe zu verwenden. Jedenfalls hatte Doris blasse Haut, blonde Haare und helle Augen - Martin vermutete blau, konnte das auf die Entfernung aber nicht genau sagen. "Wie viele Freunde hattest du denn schon?", unterbrach Doris seine Gedanken und Martin zuckte zusammen. Das war jetzt die falsche Frage. Darüber hatte er noch nicht mal mit Benjamin geredet, und jetzt wollte dessen Mutter das direkt beim ersten Treffen wissen? Das Grinsen auf Vanessas Gesicht wurde noch breiter und Martin beschloss, dass sie sich fortan zu den Top Fünf seiner Todeskandidaten zählen konnte. "Ich, ähm..." Verdammt, er konnte ihr doch nicht sagen, dass er in seinen ganzen zweiundzwanzig Jahren noch keine einzige feste Beziehung gehabt hatte. Die würde ihn ja glatt für eine Jungefrau halten und das wäre dann doch eindeutig zu peinlich, und außerdem schließlich falsch. "Tut mir Leid, Mama, aber die Frage müssen wir auf nächstes Mal verschieben", wurde Martin durch Benjamins Stimme erlöst. "Ich muss ihn jetzt nämlich mitnehmen und daran erinnern, dass er einen äußerst aktuellen Freund hat, der seiner Aufmerksamkeit bedarf." Doris blinzelte überrascht, Salmin lachte herzlich auf und Vanessa stimmt mit ein. Benjamin stand unterdessen auf und zog Martin mit sich hoch, um ihn aus dem Wohnzimmer zu lotsen. Kaum waren sie auf den Flur und hatten die Tür hinter sich geschlossen, fing Benjamin ebenfalls an zu lachen. "Du hättest deine Gesicht sehen sollen", prustete er. "Wirklich, herrlich! Du bist knallrot geworden. Nicht so schüchtern, Martin, meine Mutter beißt schon nicht." Martin schmollte ein bisschen; was konnte er denn dafür, dass solche Treffen mit Eltern anscheinend grundsätzlich peinlich waren? Weiche Lippen legten sich auf seine und verdrängten das Schmollen ausgesprochen schnell. Als sie sich nach einigen endlos langen Augenblicken voneinander lösten, griff Benjamin nach Martins Hand und zog ihn hinter sich her. "Mein Zimmer", verkündete er, und öffnete schwungvoll eine Tür im ersten Stock. Martin sah sich neugierig in dem hell eingerichteten Raum um. Viel Holz und Glas und insgesamt sehr stilvoll, fand er. Einige Poster an den Wänden, und unter einer Schräge ein breites - sehr breites Bett. Begeistert ließ sich Martin darauf fallen und klopfte neben sich auf die Matratze. Benjamin setzte sich und nur Sekunden später waren die beiden heftig am Knutschen. "Sag mal", murmelte Martin einige Zeit später ein wenig atemlos, "deine Mutter nennt dich Benji?" "Tut sie. Peinlich, oder?" Benjamins Hände strichen sanft über Martins Schultern. Unter dem T-Shirt, versteht sich. "Hm... ich find's süß." Martin grinste. "Darf ich dich auch so nennen?" "Aber nur, wenn's sein muss." "Na, wie könnte ich dich sonst nennen? Ben und Benni sind ja langweilig..." "Ben sagen sie an der Uni." "Eben. Langweilig." Martin grinste schelmisch. "Hast du 'nen Zweitnamen?" "Asante." "Hat das 'ne Bedeutung?" Benjamin nickte und strich mit den Fingerspitzen Martins Seiten entlang. "Danke." "Hä? Wie?" "Asante heißt Danke." "Ach so. Süß." Martin lächelte. "Aber damit fällt mir auch kein Spitzname ein... Ich denk, ich bleib ganz einfach bei Benji." "Wenn du meinst..." "Meine ich." Martin küsste Benjamin sanft auf die Lippen, und schnell war aus sanft wieder stürmisch geworden und es dauerte eine ganze Weile, bis wieder ein Wort fiel. "Wann gehen wir denn zu deinen Eltern?", wollte Benjamin wissen. Martin betrachtete das Poster über dem Bett mit gesteigertem Interesse. "Hey. Sag was." "Ich... sie wissen's noch nicht. Also überhaupt... alles. Dass ich schwul bin und so. Ich kann doch nicht verlangen..." "Wenn du möchtest, komme ich mit", unterbrach Benjamin und griff nach Martins Hand. "Vielleicht ist es einfacher, wenn du es nicht allein machen musst." Martin war sich nicht ganz sicher, ob es die beste Idee aller Zeiten war, seinen Eltern nicht nur sein Schwulsein, sondern parallel dazu auch noch seinen schwarzen Freund zu präsentieren. Aber das war ihm egal. Wenn er Benjamin dabei hatte, würde die ganze Aktion möglicherweise doch überleben können. "Asante, Benji", bedankte sich Martin und küsste ihn. Feedback immer gern gesehen. :) Teil 2 ------ Wo sind meine ganzen Leser hinverschwunden? Thx an spross, und dieses Kap ist auch wieder für Silberchen (dies auch gebetat hat, btw. danke) Teil 2 Martin schaltete den Motor seines Fiat aus, schnallte sich ab und lächelte seinen Freund unsicher an. "Wollen wir das wirklich durchziehen?" Vor zwei Wochen hatte Martin Benjamins Eltern kennen gelernt, und jetzt wollten sie das ganze Umdrehen und Benjamin Martins Eltern vorstellen. Und alles, was sonst noch so dazu gehörte. Martins Outing zum Beispiel. Benjamin strich mit den Fingern über Martins Wange. "Das musst du wissen. Aber hinterher wäre es sicher einfacher, oder?" Martin seufzte. "Du kennst meine Eltern nicht. Sie sind eigentlich ganz nett, aber... eher konservativ, würde ich sagen. Meine Mutter träumt von der perfekten Schwiegertochter, seit ich in der Pubertät war. Das war wohl ihr Lichtblick." Benjamin küsste ihn sanft auf den Mund. "Und du glaubst, gegen mich als Schwiegersohn hätte sie was?" "Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht, ich kann sie da überhaupt nicht einschätzen... Aber mein Vater wird ganz sicher enttäuscht sein..." Starke Arme schlossen sich um Martin und zogen ihn an Benjamin. "Was wird er so schlimm daran finden?" "Stammhalter und so. Und Mama wird auch total enttäuscht sein, wenn sie keinen Enkel bekommt und..." "Irgendwann würdest du es ihnen sowieso sagen", stellte Benjamin fest. "Sagen müssen." "Ich weiß. Ich hab nur... Ich hab Angst vor ihrer Reaktion." "Ich bin bei dir." Martin atmete tief durch, presste seine Lippen hart auf Benjamins und stieß dann die Fahrertür auf. "Ich weiß. Danke." Und damit stieg er aus. Auf dem Weg zum Haus griff Benjamin wie selbstverständlich nach Martins Hand und hielt sie fest. Als sie dann vor der Tür standen, zögerte Martin einen Moment, ob er seine Hand nicht aus Benjamins liebevollem Griff befreien sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er würde es ihnen eh sagen, da war das ja nun auch egal. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, schluckte trocken, drehte ihn dann um und stieß die Tür auf. "Ich bin wieder da!", rief er bemüht fröhlich in den leeren Flur. "Hallo, Schatz", kam die Stimme seiner Mutter aus dem Wohnzimmer. Er zog Benjamin mit sich zur Wohnzimmertür, öffnete sie einen Spalt breit und steckte den Kopf ins Zimmer. "Mama, Papa, ich... ich würde gern mit euch reden. Und euch jemanden vorstellen." Auf dem Gesicht seiner Mutter breitete sich ein Strahlen aus und Martin wurde rot. "Natürlich, kommt rein", lächelte sein Vater und Martin öffnete die Tür ganz. Das Lächeln seiner Mutter erstarb und sein Vater runzelte die Stirn, als Benjamin ins Zimmer kam. "Guten Tag", lächelte er sein strahlend weißes Lächeln, während er die Tür hinter sich schloss. "Ich bin Benjamin Lianga. Freut mich." "Ja, hm..." Martins Vater wusste offensichtlich nicht, was er sagen sollte. Benjamin drückte Martins Hand und der nahm seinen Mut zusammen: "Er ist mein Freund." "Wie schön, dass du neue Freunde findest." Das Lächeln seiner Mutter war gequält. "Nein, Mama. Nicht irgendein Freund. Mein Freund." Und sicherheitshalber fügte Martin noch hinzu: "Ich bin schwul." Für einen Moment war es totenstill im Raum, Martin konnte das Ticken der großen Wanduhr hören. "Das kann doch nicht sein!", rief seine Mutter dann unvermittelt aus. "Das... das kannst du uns doch nicht antun!" Sein Vater sah ihn nur schweigend an und blickte dann zu seiner Frau. "Sag doch auch mal was, Frank!", forderte die, und klang fast ein wenig hysterisch. "Susanne...", sagte er leise, doch sie schüttelte den Kopf. Martin ließ die Schultern hängen und seufzte. "Mama, bitte..." "Und dann auch noch mit so einem", flüsterte seine Mutter und verbarg das Gesicht in den Händen. Das war Martin nun endgültig zu viel, er machte auf dem Absatz kehrt, zog Benjamin hinter sich her und die Treppe hoch in sein Zimmer. "Ich... verdammt!" Er schmiss die Tür ins Schloss und lehnte sich dagegen. Tränen der Wut und der Verzweiflung wollten ihm in die Augen treten, und Martin schluckte heftig. Er würde nicht heulen, doch nicht wegen so was! "Hey..." Liebevoll strichen Benjamins Finger über Martins Wange, dann legten sich warme Hände auf seine Schultern und zogen ihn an seinen Freund. "Alles okay... Das wird schon wieder", flüsterte Benjamin und hielt Martin ganz fest. Ob er wirklich an das glaubte, was er sagte, wusste Martin nicht, aber die sanfte Stimme beruhigte ihn zumindest ein wenig. "Ich... halt mich fest, ja? Bitte..." "Natürlich. Komm..." Benjamin ging einige Schritte rückwärts, immer noch den inzwischen leicht zitternden Martin an sich gedrückt, und setzte sich dann aufs Bett, zog seinen Freund mit sich hinunter. Eng aneinandergeschmiegt saßen sie so da und ganz langsam beruhigte sich Martin wieder. "Ich wusste, dass so was passiert", murmelte er. "Ich hätte es ihnen einfach nicht sagen sollen." Benjamin schüttelte entschieden den Kopf. "Das war schon richtig so. Irgendwann musste es doch eh sein." "Ich weiß, aber... Jetzt hassen sie mich bestimmt." "Glaub ich nicht. Du bist ihr Sohn. Sie sind nur ziemlich... schockiert?" "Empört? Angewidert? Altmodisch? Konservativ? Homophob? Fremdenfeindlich?" Martin lachte trocken. "Passt alles. Dabei wollte ich doch nur, dass sie es wissen und... ach, verdammt!" Mit der Faust schlug Martin auf sein Kopfkissen, doch als er erneut ausholte, fing Benjamin seine Hand ab. "Lass das", sagte er sanft. Martin schluckte, und senkte den Blick. "Naku penda, Martin", flüsterte Benjamin ganz nah bei seinem Ohr. Verwirrt sah Martin auf. "Ich liebe dich", übersetzte Benjamin sanft lächelnd und jetzt kamen Martin doch noch die Tränen. Ach, scheiße. "Ich liebe dich auch, Benji", erklärte er mit erstickter Stimme und vergrub das Gesicht dann in Benjamins Pullover. Sie hatten schon eine ganze Weile so dagesessen, als es leise an der Tür klopfte. Ohne nachzudenken sagte Martin "Herein", dann wurde ihm bewusst, dass seine Mutter jetzt wohl reinkommen würde - und das wollte er eigentlich nicht... Stattdessen war es sein Vater, der ein wenig zögernd die Tür öffnete. Unsicher sah er von Martin zu Benjamin und zurück, verschränkte dabei die Finger auf immer neue Arten. Er schien ziemlich nervös zu sein. "Hör zu, Junge, ich... das ist deine Entscheidung, es ist schließlich dein Leben und... ich... du musst deine Mutter auch verstehen." Martin schwieg. "Sie... das ist nicht leicht für sie, mit einem Mann... und dann auch noch mit einem Ausländer und..." "Ich bin Deutscher, Herr Schrader", unterbrach Benjamin. "Oh. Nun, ich... wir dachten... Weil..." "Ich bin in Tansania geboren, aber meine Familie ist kurz darauf nach Deutschland gezogen." Martin bewunderte seinen Freund dafür, dass der so ruhig bleiben konnte. Sein Vater war zwar eher harmlos, aber solche Bemerkungen hätten ihn an Benjamins Stelle sicher verletzt. "Dann... ja... hm. Nun, jedenfalls... deine Mutter wird sich schon wieder beruhigen, Martin, und... ich weiß nicht, das kommt alles ein wenig plötzlich für uns." Martin sagte immer noch kein Wort, und Benjamin zog ihn ein wenig näher an sich. Offensichtlich wusste Martins Vater nicht, was er noch sagen sollte. Leise verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. "Ich hasse so was", flüsterte Martin. "Ich hasse es einfach. Es ist so... so... falsch!" "Ich weiß." Benjamin schlang die Arme um seinen Freund und hielt ihn ganz fest. "Wir kriegen das irgendwie hin..." "Danke, dass du hier bist", murmelte Martin und küsste Benjamins Wange. "Immer. Ist doch selbstverständlich", war die liebevolle Erwiderung, und aneinandergeschmiegt saßen die beiden da. ~*~ "Hey." "Hi Benji." Martin küsste seinen Freund zur Begrüßung auf die Lippen, bevor er sich auf den Stuhl ihm gegenüber setzte. Die Kellnerin kam und Martin bestellte einen Milchkaffee. Benjamin lächelte. Sein Freund hatte ihm erzählt, warum er dieses Getränk seit dem Kaffeetrinken bei Benjamins Eltern vor vier Wochen besonders gern mochte. Martin schlug die Zeitung auf, die er auf den Tisch gelegt hatte, und blätterte darin herum. "Was suchst du?", wollte Benjamin wissen. "Die Wohnungsanzeigen." "Du suchst 'ne Wohnung? Warum?" "Weil... Es ist nicht wirklich schön, bei meinen Eltern zu wohnen, seit sie es wissen." "Ich dachte, sie hätten es akzeptiert, Martin." "Na ja, akzeptiert ist zu viel gesagt. Eher... dulden." "Inwiefern?" "Wir reden nicht drüber. Gar nicht. Und wenn ich dich erwähne, dreht meine Mutter sich um und tut so, als hätte sie es nicht gehört. Es ist zum kotzen!" "Scheiße", flüsterte Benjamin und legte seine Hände auf Martins. "Und jetzt willst du ausziehen?" Martin zuckte die Schultern. "Halte ich für die beste Lösung. Teuer darf es allerdings nicht sein und so viele Ein-Zimmer-Wohnungen gibt's nicht in der Zeitung..." Benjamin schwieg für einen Moment. "Was hältst du von zwei Zimmern?", fragte er dann leise. "Kann ich mir nicht leisten", wehrte Martin ab. "Und zusammen?" Martin blickte auf und in Benjamins ernste braune Augen. "Du meinst... wir, zusammen?" Ein Nicken war die Antwort. Martin biss sich auf die Unterlippe, hielt aber weiterhin Blickkontakt. "Das ist... ich meine, ich weiß nicht, ich... bist du sicher?", stammelte er. Benjamins Finger verflochten sich mit Martins und er nickte ernsthaft. "Wenn du dazu bereit wärst..." Martin verstärkte den Druck seiner Finger noch ein wenig und nickte dann ebenfalls. "Ich fände es schön. Ich glaube, wir können es probieren..." Sie kannten sich vielleicht noch nicht allzu lange, und zusammen wohnen war sicher noch mal etwas ganz anderes als nur zusammen sein, aber es würde schon funktionieren, hoffte Martin. Lächelnd beugte er sich vor und gab Benjamin einen schnellen, glücklichen Kuss. ~*~ "Schrader. Wir hatten telefoniert, Herr Kleinert." Martin schüttelte die Hand des älteren Mannes, der ihnen die Tür geöffnet hatte. "Ah, Herr Schrader", wurde er freundlich lächelnd begrüßt. "Lianga", stellte sich Benjamin vor und der Mann ließ seinen Blick zwischen ihnen hin und her gleiten. "Könnten wir uns die Wohnung ansehen?", versuchte Martin, die unangenehme Situation zu beenden. "Natürlich", nickte der potentielle Vermieter und führte sie in eine geräumige Wohnung. Zwei helle Zimmer, dazu Bad und Küche. Nett, fand Martin, und stellte mit einem Blick zu seinem Freund fest, dass der ähnlicher Meinung war. Er griff nach Benjamins Hand und drückte sie sanft. "Und?", erkundigte sich Herr Kleinert und sah wieder zu ihnen, nachdem er gerade eben die schöne Aussicht gepriesen hatte. Sein Augenmerk fiel auf ihre verschlungenen Hände und sein Lächeln kühlte merklich ab. "Sagen Sie", setzte er an. "Ohne aufdringlich erscheinen zu wollen... Sind Sie beide... ein Paar?" Benjamin und Martin tauschten einen Blick, bevor sie nickten. Besser, man war da gleich ehrlich, dachte sich Martin. Sonst würde es nur so werden wie bei seinen Eltern. "Nun, ich... ja... also... gut", schloss Herr Kleinert, wobei man seinem Gesichtsausdruck problemlos entnehmen konnte, dass es alles andere als gut war. "Haben Sie ein Problem damit?", erkundigte sich Benjamin freundlich. Fast schon zu freundlich, fand Martin. "Natürlich nicht. Also... ich nicht, aber die übrigen Mieter sind eher... konservativ eingestellt, von daher..." "Wäre es wohl besser, wenn wir uns eine andere Wohnung suchen, richtig?", schloss Benjamin und drückte Martins Hand noch etwas fester. "Nun... vermutlich", stimmte Herr Kleinert ein wenig unwillig zu. "Dankeschön", erklärte Benjamin, und zog Martin hinter sich her aus der Wohnung, die Treppe hinunter und zurück zum Auto. "Scheiße", murmelte Martin, während er sich anschnallte. "Besser, es jetzt zu wissen als hinterher", erwiderte Benjamin und lächelte. Martin nickte. "Vermutlich." "Hey." Benjamins Hand legte sich über Martins, die bereits auf dem Schaltknüppel lag. "Wir finden schon noch was." Martin nickte. ~*~ "Wenzel?", tönte es aus der Gegensprechanlage. "Schrader, schönen guten Tag. Wir hatten uns wegen der Wohnung unterhalten." "Ich mach auf." Die Verbindung wurde unterbrochen und ein Summen ertönte. Benjamin stieß die Tür auf. Das hier war schon die dritte Wohnung, die sie besichtigten, nach der Enttäuschung bei Herrn Kleinert waren sie in einer gewesen, die ihnen einfach zu klein und zu eng, und dafür dann auch zu teuer erschien. Sie hatten gerade das Treppenhaus betreten, als vor ihnen die Tür geöffnet wurde und eine Frau, die Martin auf Mitte Fünfzig schätzte, den Flur betrat. "Herr Schrader, Sie sind ja richtig... pünktlich." Sie geriet ins Stocken, als sie Benjamin bemerkte. Toll, dachte sich Martin. Schon wieder ein homophober Mensch, der ihnen keine Wohnung vermieten würde, weil sie schwul waren. Schnell erkannte er, dass er zwar mit der Wohnung recht hatte, der Grund aber ein anderer war. "Sie wollen hier zusammen wohnen?", erkundigte sich Frau Wenzel. Martin und Benjamin nickten. "Wissen Sie..." Sie sah Benjamin direkt an. "In diesem Haus leben nur deutsche Mieter. Und dabei wollen wir es doch auch belassen, meinen Sie nicht?" "Selbstverständlich", schnaubte Benjamin und zog Martin mit sich aus dem Haus, bevor der sich noch an der unhöflichen Person verging. "Er ist Deutscher", rief Martin im Türrahmen aus. "Ich glaube nicht, dass sie damit meinte, was auf meinem Perso steht", murmelte Benjamin und ließ die Tür hinter ihnen zufallen. Martin trat wutschnaubend gegen das Holz. "Hey, alles okay", hielt Benjamin Martins Hände fest. "Nichts ist okay! Sie hat dich gerade so übelst beleidigt und du-" "Ich bin inzwischen an so was gewöhnt." Benjamin zuckte die Schultern und sah dabei ein wenig verloren aus, sodass Martin ihn fest in den Arm nahm. "Deshalb musst du es dir noch lange nicht gefallen lassen!" "Meistens gibt's aber nichts, was ich tun kann..." "Ich weiß, ich... es macht mich nur so verdammt wütend", seufzte Martin. Weich wurde Martin auf die Lippen geküsst. "Du bist süß, weißt du das?" Martin lehnte sich an ihn. "Wir finden was anderes." Benjamin nickte. ~*~ Benjamin und Martin wechselten einen Blick. Das eine Zimmer war geräumig mit großen Fenstern, das andere eher klein, aber Bett und Schrank würden problemlos hineinpassen. Küche und Bad waren recht geräumig und ebenfalls hell. Es war also ziemlich exakt das, was sie suchten. Das strahlende Lächeln bestätigte Martin, dass Benjamin genauso dachte. Gab es nur noch zwei Dinge zu klären. Martin drehte sich zu der jungen Frau um, die ihnen die Wohnung vermieten würde. Ihr Freund war ,nur so' dabei, wie sie es ausgedrückt hatten. Die beiden hatten gebaut, erwarteten gerade ihr erstes Kind und wollten jetzt ihre Wohnung vermieten, um in das Haus zu ziehen. Bisher erschienen sie wie ein sehr nettes Paar. "Hören Sie, Frau Maibach..." "Ja?" "Nur um sicherzugehen, damit nicht irgendwelche Missverständnisse auftauchen... wir sind ein Paar." "Ja?" "Sie haben nichts dagegen?" Die junge Frau zuckte mit den Schultern. "Was sollte ich dagegen haben? Ist ihre Entscheidung." Martin schluckte. "Und Sie haben auch nichts gegen Benjamins Hautfarbe?" Sie runzelte die Stirn. "Wofür halten Sie mich denn?" Wieder tauschten Martin und Benjamin einen Blick. Es war fast zu gut um wahr zu sein. "Wir müssen das natürlich noch mal besprechen", begann Benjamin, "aber ich denke, wir sind definitiv interessiert." Frau Maibach und ihr Freund lächelten. "Natürlich, wir würden uns freuen. Rufen Sie am besten möglichst bald an, wir haben noch zwei Besichtigungen heute. Nicht, dass Ihnen jemand zuvor kommt." "Natürlich, wir beeilen uns", versprach Martin, und nach einer freundlichen Verabschiedung saßen sie wieder im Auto. "Was sagst du?", fragte Martin, ohne den Motor zu starten. "Du zuerst", lächelte Benjamin. Martin nickte. "Okay. Ich sage 'verdammt perfekt'." "Dem kann ich nur zustimmen", grinste Benjamin. "Das heißt, wir nehmen sie, Benji?" "Wenn du willst." Martin grinste breit. "Ja, ich will", erklärte er und küsste Benjamin. Benjamin lächelte strahlend zurück und kramte sein Handy hervor. "Dann ruf ich gleich mal an." "Nicht nötig." Immer noch grinsend zeigte Martin auf Frau Maibach und ihren Freund, die gerade aus dem Haus kamen. Lächelnd stiegen sie aus dem Wagen und winkten zu dem jungen Paar hinüber. "Wir nehmen die Wohnung!", rief Martin quer über die Straße, und lachte übermütig. ~ ende ~ Sidestory: Kaffeehaus --------------------- Kaffeehaus Für Silberchen "Danke für die Hilfe." Martin drückte Oliver zum Abschied, dann schloss er die Tür hinter ihm. Jetzt waren sie alle weg, und er und Benjamin waren allein. Allein in einer tatsächlich eingerichteten Wohnung. Als sie noch vor ein paar Stunden die vielen vielen Kisten und Bretter in die Wohnung geschleppt hatten, hatte Benjamin das nicht für möglich gehalten. Martin hatte nur gelacht und ihm versichert, dass sie schneller eingerichtet wären, als er gucken könnte. Aber Martin war mit seinen Eltern ja auch schon dreimal umgezogen, bevor die sich ihr kleines Reihenhaus geleistet hatten. Benjis Vater hatte gebaut, bevor er mit seiner Familie zurück nach Deutschland gegangen war, dorthin, wo er während des Studiums seine Doris kennen gelernt hatte. Und in diesem Haus hatte Benjamin gelebt, solange er denken konnte. Das sein altes Zimmer plötzlich nicht mehr 'zu Hause' sein sollte, war schon ein komisches Gefühl, hatte er Martin kurz vor dem Umzug gestanden. "Na, alle weg?", rief Benjamin aus dem Wohnzimmer. "Alle weg", bestätigte Martin, und kam aus dem Flur zurück. Das Wohnzimmer war zwar, was die Möbel anbetraf, vollständig eingerichtet, was die unzähligen Kisten mit Büchern anging, hatten sie aber noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich. "Nicht mehr heute", trat Martin hinter seinen Freund und zog ihn von den halb ausgeräumten Kiste und dem spärlich eingeräumten Bücherregal weg. "Aber dann steht es morgen noch rum, und übermorgen bestimmt auch noch." "Na und?", grinste Martin, und schob Benjamin hinüber zur Schlafzimmertür. "Dann machen wir halt morgen weiter. Für heute ist es genug." "Aber die Pizzakartons-" "Benjamin", lachte Martin. "Du bist doch sonst nicht so ein Spießer, dass du alles sofort wegräumen musst." "Aber das hier ist unser eigenes Zuhause, und da soll's doch ordentlich aussehen, zumindest am An-" Martin hatte genug gehört. Er fand zwar auch, dass ihre Wohnung ordentlich sein sollte, aber nicht jetzt sofort, und nicht, wenn er wichtigeres zu tun hatte. Wie zum Beispiel, seinen Benjamin zu küssen. Was er dann auch tat, und dem damit das Wort abschnitt. "Ich bin viel eher dafür, das Bett einzuweihen", schnurrte Martin, oder zumindest war er der Ansicht, dass diese Stimmlage nach Schnurren klang. Benji hielt sie für ein Krächzen, aber Martin hatte beschlossen, dass ihn das nicht weiter kümmerte. "Das ist mein altes Bett, Martin. Wir haben es schon mehrere duzend Mal 'eingeweiht'", wandte Benjamin ein. "Du bist heute so unromantisch", beschwerte sich Martin. "Dann weihen wir halt nicht das Bett ein, sondern das Schlafzimmer." "Das macht Sinn", lächelte Benjamin, und ließ sich jetzt tatsächlich von Martin zum Bett schieben. "Natürlich macht es Sinn, es kommt schließlich von mir", grinste Martin, und schaltete das Licht aus. Sidestory: Kaffeepause ---------------------- Kaffeepause Für Silberchen Er war zu spät dran - verdammt, er war viel zu spät dran! Hastig sprintete Martin an der Küchentür vorbei, rief seiner Mutter ein 'bin wieder da' zu und sprang, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch in sein Zimmer. Er riss die Schranktüren auf, warf eine Hose aufs Bett, einen Gürtel, ein graues T-Shirt. Er besah sich seine Pullover - mit Rollkragen, ohne Rollkragen? - und entschied sich dann letztlich für den roten mit dem Zopfmuster. Dann brauchte er auch keine Jacke mehr. Eilig raffte er den Klamottenstapel auf dem Bett zusammen und sprintete ins Bad. Jackett aus, Krawatte, Hemd, Schuhe, Hose, Socken. Er war zu spät dran, verdammt! Unterwäsche. Alles landete in unregelmäßigen Häufchen auf dem Fußboden, während Martin unter der Dusche stand und sich in Rekordzeit eingeseift und wieder abgeduscht hatte. Abtrocknen, Zähne putzen, einmal kurz durch die ohnehin immer zerwühlten Haare fahren. Unterwäsche, Socken, T-Shirt, Hose anziehen. Dummerweise hatte er seine alte Gartenarbeitshose erwischt, die mit den Grasflecken und dem Loch im Knie. Wie hatte er das übersehen können? Pullover und Gürtel geschnappt, rannte Martin halbnackt zurück in sein Zimmer, zog eine andere Jeans aus dem Schrank und an, denn den Gürtel, den Pullover, fertig. Ein Blick auf die Uhr, er konnte es noch schaffen, er musste sich nur ein wenig beeilen. "Tschüs, Mama", rief er in Richtung Küche, als er auch schon wieder aus dem Haus war und die Tür hinter ihm zufiel. Autotür aufschließen, aber - "Schlüssel!", schlug sich Martin mit der flachen Hand vor die Stirn, rannte zurück zur Haustür und klingelte Sturm. Viel zu lange dauerte es, bis seine Mutter ihm verwundert die Tür öffnete. "Schlüssel vergessen", keuchte Martin, rannte an ihr vorbei, die Treppe wieder hoch in sein Zimmer. In der Anzughose vom Vormittag fand er dann den gesuchten Schlüssel. "Martin, willst du nicht noch -" "Sorry, Mama, keine Zeit. Ich bin verabredet", fiel er ihr ins Wort, und schon schlug die Tür wieder hinter ihm zu. Ab ins Auto, Rückwärtsgang, ausparken, Gas. Dreißigzone, egal, Martin fuhr fast fünfzig. Konnte er noch pünktlich kommen? Zebrastreifen, macht nichts, weiter. Zwei überfahrene dunkelgelbe Ampeln später hatte Martin Gewissheit, dass er zu spät kommen würde, und verfluchte im Stillen seinen Chef, der ausgerechnet an diesem Tag kurzfristig eine Personalbesprechung anberaumen musste. Hätte das nicht bis morgen warten können?! In der Nähe der Fußgängerzone waren natürlich alle Parkplätze besetzt - fünf Minuten zu spät, acht Minuten -, sodass Martin seinen Fiat dann kurzentschlossen ins Parkhaus stellte, egal, wie viel das kosten würde. Er sprintete durch die Fußgängerzone und kam außer Atem und dreizehn Minuten zu spät im Keller-Café an. Er sah sich um, ging einmal durch das ganze Café - es gab hier eindeutig zu viele Nischen, man sah ja gar nichts! - und ließ sich dann frustriert auf einen Stuhl an einem der wenigen freien Tischchen plumpsen. Zu spät. Er war zu ihrem ersten Date zu spät gekommen, und jetzt war Benjamin schon weg. Das konnte doch nicht wahr sein! Er hatte seit Tagen an nichts anderes mehr gedacht, hatte sich so gefreut und die ganze Zeit versucht, die Schmetterlinge in seinem Magen zu beruhigen. Jetzt lagen die Viecher matt herum und flatterten müde mit den bestimmt nicht mehr farbenprächtigen Flügeln. Er hatte es verbockt. Zu spät. Martin legte die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf und seufzte. Verdammt. Jemand zog den zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor, und Martin hob den Kopf, um diesem Jemand höflich aber bestimmt mitzuteilen, dass er lieber allein sitzen wollte, und er sich zu verpissen habe. "Sorry, dass ich zu spät bin." Benjamin atmete schwer, und Martin blieb seine Schimpftirade im Hals stecken. Benjamin war da. Er war nicht schon gegangen, er war auch zu spät! "Schön, dass du gewartet hast." Benjamin beugte sich über den Tisch und küsste Martin kurz auf den Mund, und der strahlte ihn an, kicherte, und lachte dann los. "Was ist?", wunderte sich Benjamin. "Nichts, ich..." Martin schnappte nach Luft. "Ich war nur auch zu spät, und dachte, du bist schon weg und so." "Schwachsinn. Mein Prof hat überzogen, und selbst wenn ich eher da gewesen wäre, ich hätte gewartet", stellte Benjamin fest, und Martin grinste ihn an. "Ich weiß." "So, und jetzt machen wir Kaffeepause", beschloss Benjamin dann, und kurz darauf kam dann auch die Kellnerin. "Erholung von der Odyssee, hierher zu finden. Da ist Kaffee genau das richtige", stimmte Martin zu. 'Und deine Gesellschaft', dachte er noch, aber das sagte er nicht. Viel zu kitschig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)