Abraxas von CriD (Die Sehnsucht in mir) ================================================================================ Kapitel 37: Fragen ------------------ Fragen Es kam selten vor, dass Velcon von Ismena die richtigen Worte fehlten. Jetzt, in diesem Moment, da er seiner größten Waffe, der Sprache wohl am meisten bedurft hätte, verließen ihn aber alle schön geformten und emsig auswendig gelernten Floskeln, so dass ihm nur sein eigener Geist und die darin inne liegende Phantasie blieb. Phantasie sagte: "Mach's gut", und Geist erkannte, dass er vor einem echten Problem stand. Sprachzentrum klopfte an, zwar höflich wie eh und je, aber mit einer gewissen Klopfschärfe, die auf ansteigende Unruhe hindeutete und Geist reagierte pflichtbewusst. Velcon machte:"Oh..." Shantel stieß ihn beiseite, kniete sich neben Abraxas und strich dem Geliebten sanft über die Stirn. Der Vampir rührte sich nicht, aber er machte auch nicht den Eindruck, als ob ihm etwas fehlen würde. Die junge Frau verstand es nicht. Es schien fast so, als ob er nur schlafen würde. Aber doch nicht hier. Nicht mitten auf dem Boden, nicht in dieser Position. Auch die anderen Beiden wirkten so, als wären sie nur spontan zum Schlafen hernieder gefallen. Und der Flussmensch hatte sich dabei wohl den Kopf aufgeschlagen. Dann hätte er aber theoretisch an der Stirn und nicht am Hinterkopf bluten müssen - Theoretisch. Ratlos hob Shantel die Schultern, krabbelte auf Yuuryon zu, ignorierte weiterhin Velcon, der sie immer noch vollkommen perplex musterte, nicht fähig irgendetwas Sinnvolles zu sagen, oder wenigstens erst mal den Mund zuzumachen, und berührte den Flussmensch sanft an der Platzwunde. Er reagierte nicht. Nachdenklich sah der Engel auf Yuuryon hinab. Der Flussmensch lag im Sterben, wenn ihm niemand half, würde es bald zu Ende sein. Merkwürdig - von solch einer Kopfwunde starb man doch nicht? Shantels Augen verfinsterten sich. Wenn sie... Erschrocken zog sie ihre Hand zurück. In solch eine Richtung durfte sie nicht denken, niemals. Auch wenn sie es missbilligte, dass der Dieb bei Abraxas war, daran trug einzig der Vampir schuld und sie konnte nicht den Flussmenschen dafür verantwortlich machen und auf gar keinen Fall hatte sie das Recht, über ihn zu richten. Aber wie leicht es doch wäre... Fast zärtlich strichen die schlanken Finger über die blutige Verletzung hinweg. Das frische Blut glänzte matt auf Shantels samtener Haut. Dann begann ihr ganzer Körper scheinbar zu leuchten. Goldenes Licht brach aus ihrer Gestalt hervor, nestelte die silbernen Haare entlang, blitzte elektrisiert in den Spitzen, sammelte sich letztendlich in den Fingerkuppen und ging auf Yuuryons Körper über. Fast augenblicklich schloss sich die Wunde und schon nach kurzer Zeit durchbrach sie den Energiekreis, richtete sich auf und drehte sich zu Velcon. "Mach den Mund zu!",verlangte sie schneidend. Der Magier blinzelte verwirrt, schloss den Mund gehorsam und versuchte den Zauber abzuschütteln, den Shantels Erscheinung auf ihn wirkte, doch es gelang ihm nicht. Er war ganz gefangen von ihrer zierlichen Gestalt, der anmutigen Art, wie sie sich bewegte, den glänzenden Haaren, welche sich wie gesponnene Silberfäden sanft um den herrlichen Körper woben, den kristallblauen Augen und den blutroten Lippen, die ihm verheißungsvoll zulächelten. "Wer bist du?",fragte er atemlos, mit einem seligem Lächeln im Gesicht und Wangen, die sich freudig erregt leicht rot färbten. Tatsache war, dass Shantel keineswegs lächelte. Ihr Gesicht war von Sorge erfüllt, aber sie erkannte sofort was mit dem Fremden vor ihr geschah. Und nun verzog sich ihr hübscher Mund tatsächlich zu einem spöttischen Lächeln. "Ich verrate es dir, wenn du mir sagst, was hier geschehen ist",meinte sie lächelnd und sah zu den am Boden liegenden Gestalten. Velcon folgte ihrem Blick und seine Minne verfinsterte sich. "Das entzieht sich leider meinem Verständnis. Die Armen lagen hier bereits, als ich den Tempel betrat", sagte er tonlos. Shantel sah zu Velcon zurück und hob spöttisch eine Augenbraue. "Letzteres stimmt. Aber dass du es nicht weißt... Soll ich dir jetzt auch nur meinen halben Namen verraten?" Velcon wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Shantel legte ihren Zeigenfinger auf seine Lippen, stellte sich auf die Zehenspitzen, zwinkerte ihm von unten her zu. "Belüg mich nicht!",wisperte sie und Velcon hob den Arm, fuhr schaudernd ihre schmalen Schultern entlang, verfing sich im silberglänzenden Haar und berührte sanft die Wangen. Shantel ließ es lächelnd geschehen, hielt seine Augen gefangen - wie dunkel sie doch waren - aber als sich Velcon hinab beugte und ihre Lippen sich fast berührten, entwand sich Shantel aus seinem Griff, drehte sich tänzelnd von ihm weg. "So schnell nicht - ungestümer Kerl!", lachte sie ihn aus. "Weißt noch nicht einmal meinen Namen - ebenso wie ich nicht den deinen kenne - und willst schon so weit gehen. Nein, so läuft das nicht!", kicherte sie verspielt, griff nach Velcons Hand und fuhr nachdenklich die Linien seines Handballens nach. Ein wohliger Schauer jagte über seine Haut, da wo ihn Shantels schlanke Finger berührten und er wünschte sich dieser Moment würde nie vergehen. "Dann sag mir deinen Namen!",forderte er aufgeregt, doch Shantel lachte ihn nur aus. "Erst wenn du mir sagst, was hier geschehen ist. Eher bekommst du den Namen nicht!",kicherte sie, setzte einen Schritt zurück und legte den Kopf auf die Seite. Schelmisch lächelnd wartete sie. Hinter Velcons Stirn begann es zu arbeiten. Es war besser, wenn so wenig Leute wie möglich von den Dingen erfuhren, die hier geschahen. Auch hatte er eigentlich nicht mehr die Zeit noch länger herumzustehen. Seine Herrin rief ihn bereits. Aber so fordernd ihr Ruf auch klang, so süß, dass er im Begriff war alles um ihn herum zu vergessen und nur schnell zu ihr zu eilen, so hatte ihr Ruf heute doch nicht die selbe Macht wie sonst. Ein anderes Lied hielt ihn gefangen, eine andere Melodie, ein süßerer Ruf als dieser dunkle alte Ton, den er liebte und doch zugleich fürchtete und hasste wie nichts Vergleichbares auf der Welt. Wenigstens ihren Namen musste er erfahren! Dann konnte er ihn seinem Herzen verwahren, ein Schatz in seinem Inneren, ein kleines, helles Licht in all der Dunkelheit. "Sie haben etwas angefasst, was sie nicht hätten berühren dürfen",sagte Velcon ausweichend. Aber Shantel gab sich mit dieser Antwort noch nicht zufrieden. "Was?",fragte sie neugierig und verschränkte die Arme. Velcon tat es ihr gleich. Sein Lächeln gefror und in die dunklen Augen legte sich ein lauernder Schatten. Er räusperte sich auf eine Art, dass es fast wie ein Vorwurf klang. Die junge Frau verdrehte genervt die Augen "Shantel!",blaffte sie verärgert. "Shantel?",echote Velcon. "Ja, so heiße ich! Jetzt zufrieden? Also was haben sie berührt?" Velcon schüttelte stumm den Kopf. Die schönen weißen Haare strichen sanft über seine Schultern und bildeten einen faszinierenden Kontrast mit der dunklen Kleidung, aber dafür hatte Shantel keine Augen. "Ah ja... Du hast was du willst, also muss ich sehen, wo ich bleibe. Na gut... Dann RATE ich eben!" Shantel wirbelte herum und deutete auf den Altar. "Den roten Stein dort! Der war es!" Velcon schwieg, aber das reichte dem Engel schon als Bestätigung. Selbstbewusst lief sie auf den Altar zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und wollte nach dem Stein greifen. Der Engel sah nicht, wie Velcon sich bewegte, aber plötzlich stand er neben ihr, hielt ihre Hand fest und drückte sie mit sanfter Gewalt wieder nach unten. "Fass ihn nicht an", bat er leise. Shantel sah nachdenklich zu dem Magier auf. Die dunklen Augen sprühten vor Sorge, aber sie konnte auch einen leichten Schimmer Angst darin erkennen. "Wie ist dein Name?", fragte sie ruhig. "Velcon",antwortete der Magier und ließ sie los. Lächelnd hob Shantel die Hand, die er eben noch umfasst hatte und strich ihm mit dem Handrücken über die Wange. Sie fühlte sich merkwürdig kalt an, obwohl Velcon im ganzen Gesicht glühte. "Dann hör zu Velcon",befahl sie immer noch mit diesen mysteriösen Lächeln auf den Lippen. "Entweder du sagst mir, was es mit dem Stein auf sich hatte, oder ich finde es selbst heraus indem ich ihn berühre." Es hatte wehgetan. Aber jetzt war es ganz still. In ihm war nichts mehr, nur noch dieses ferne Glöckchenleute und dieses helle Licht. Um ihn herum waberte roter Nebel, fast schien es als lebte er, aber sobald sich Yuuryon anschickte danach zugreifen, zerstob er in alle Himmelsrichtungen. Fort, nur fort. Aber dieses Licht. So warm, so beruhigend. Er musste nur einen Schritt nach vorne gehen und schon würde sich alles in diesem himmlischen Licht auflösen. So einfach - nur ein Schritt. Aber dann war da auch noch diese dunkle Stimme, welche die Stille durchbrach und immer wieder fordernd seinen Namen rief. Yuuryon sah zurück. Hinter ihm lag nur Dunkelheit, aber vor ihm das Licht. Er wollte nicht zurück in diese Finsternis, diese Kälte. Dort gab es nichts, was ihn erwartete. Der Dieb hob den Arm, hielt ihn dicht vor die glänzende Lichtscheibe. Silberne Ausläufe brachen aus den schillernden Spiegel, umfingen seine Finger und zogen ihn sanft auf das Licht zu. Nur ein Schritt und wieder sein Name. Aus der Finsternis. Nur die Finsternis. Aber das Licht - so viel schöner. Doch sein Name! Dort war jemand der nach ihn rief, der ihn suchte. Yuuryon wusste nicht, wem diese Stimme gehörte, aber es war lange her, dass ihn jemand zu sich rief. Sein Name wurde wenn, dann immer nur mit Spott ausgesprochen. Aber da... dort klang doch Sorge! Yuuryon ließ den Arm sinken. Fast war ihm als könnte er ein enttäuschtes Aufseufzen vernehmen, aber der Klang seines Namens war viel lauter, viel fordernder und hallte viel mehr in seinen Ohren wider. Yuuryon lächelte. Plötzlich fiel es ihm nicht mehr schwer sich umzuwenden und in die Finsternis zu laufen. Denn sie war nicht mehr leer. Dort rief jemand nach ihm. Und außerdem wusste er ja, dass er jederzeit zu diesem schönen Licht zurückkehren konnte. Yuuryon schlug die Augen auf. Er sah in besorgte, rote Lichter, die nun einen erleichterten Ausdruck annahmen. Kain, der vor Yuuryon kniete, lehnte sich zurück und sah nach oben. "Mann, hast du mir einen Schrecken eingejagt",stellte er lachend fest und klopfte Yuuryon auf die Schulter. Teilnahmslos ließ es der Flussmensch geschehen. Er verstand nichts mehr. Eben noch hatte er am Tor zur anderen Welt gestanden und nun? Verwirrt griff er an seinen Hinterkopf, aber die Finger konnten nur noch weiche Haut ertasten. Zwar klebte in den hellen Haaren noch immer frisches Blut, welches nun langsam begann einzutrocknen, aber das war auch alles. Da war keine Verletzung mehr und auch der Schmerz war verschwunden, trotzdem fühlte er sich schwach und ausgelaugt, so als ob er vollkommen leer wäre. Teilnahmslos beobachtete er wie Kain aufstand, sich suchend umsah und wieder zurück zu Yuuryon schaute. "Kannst du aufstehen?",fragte er. Yuuryon musste es nicht erst versuchen um die Antwort zu wissen. Müde schüttelte er den Kopf. Am liebsten hätte er sofort wieder die Augen geschlossen und weitergeschlafen, aber eine kleine wispernde Stimme hinter seiner Stirn erzählte ihm, dass er das nicht tun durfte. Da er sonst vielleicht nicht wieder aufwachen könnte. Kain beugte sich nach unten und wollte den Dieb nach oben ziehen, aber der schlug seine Hand erschrocken beiseite. In seinen Ohren hörte er das Blut rauschen. Der Vampir seufzte. "Komm hör auf mit dem Mist. Ich will dir doch nur helfen!",murmelte er beschwichtigend, konnte einen leicht genervten Unterton aber auch nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. Und darauf reagierte Yuuryon prompt. "Helfen?",kreischte er auf. "Du warst es doch erst, der..." "Ja und? Das war ein Versehen! Krieg dich mal wieder ein",plauzte Kain und zog Yuuryon grob auf die Beine. Der Dieb erbleichte. Hastig versuchte er vor Kain zurückzuweichen, mit dem Resultat, dass ihm die Beine einknickten und er nach vorne gegen Kains Brustkorb stieß. Der Vampir grinste. "Von mir aus darfst du gehen",sagte er und fügte höhnisch hinzu:"Wenn du es denn kannst." Natürlich konnte Yuuryon nicht. Das wusste er genauso wie Kain. Schweigend drückte er sich von dem Vampir ab und versucht wenigstens alleine zu stehen ohne sofort wieder das Gleichgewicht zu verlieren. Es fiel ihm schwer und laufen, am Ende noch weite Strecken, war gleich ganz unmöglich. Das schien Kain ähnlich zu sehen. Kurzentschlossen griff er um Yuuryons Taille und warf ihn über die Schulter, als würde er nichts wiegen. Der Dieb quietschte entsetzt. Aber all sein Protest, seien es die Verwünschungen oder auch die kläglichen Versuche sich zu befreien, wurde konstant ignoriert. Schließlich fand er sich damit ab, dass seine Position der eines nassen Sackes nun sehr nahe kam und fügte sich in seinem Schicksal. Schweigend marschierte Kain die blauen Gänge entlang. Das Gewicht auf seinen Schultern behinderte ihn nicht sonderlich. Natürlich, wenn es zu einem Kampf kommen sollte, konnte er Yuuryon nicht weiter tragen. Dann würde er den Dieb eben unsanft in irgendeine Ecke schleudern, aber bitte!? Kain hätte es aus lauter Langeweile ja herbeigesehnt, aber Kampf? Was für ein Kampf denn? Hier war ja NICHTS. Findest du nicht, dass das gerade sehr gut zu dir passt? Yuuryon blinzelte verwundert. "Was soll zu mir passen?" Doch nicht zu dir, dummer Junge., lachte es leise. "Könntest du mal bitte aufhören Selbstgespräche zu führen? Das nervt!",erklärte Kain verstimmt. "Wenn du dich unterhalten willst, sprich mit mir! Mir ist auch langweilig!" Yuuryon glaubte sich verhört zu haben. "Du hast mich doch angesprochen!",erklärte er entrüstet. Wieder hörte man es lachen und diesmal kam die Stimme von schräg links, so dass sich beide Personen sicher waren, dass es der Andere nicht sein konnte. Pat und Patterchen, kicherte die Stimme - kindlich, rein. Wie hatte Yuuryon nur glauben können, dass es der Vampir war, der so eine Glockenstimme besass. Aber Pat ist wohl ein ganzer Pat, während Patterchen noch nicht einmal ein Patterchen ist. Sag deprimiert es dich nicht? "Was soll mich deprimieren?",fragten die beiden Männer zeitgleich und verstummten erschrocken, da sie dieselben Worte sprachen. Ein hoher Geist ward dir gegeben. Doch alles zerbrach. Zerbrach weil Geist allein nicht existieren kann. Gefühl ist es, was die Dinge antreibt. Gefühl ist es, was sie zerstört. Und als die beiden ewigen Institutionen miteinander fochten obsiegte Gefühl dem Geist. Doch was geschieht wenn Gefühl allein ist. Was geschieht, wenn kein Geist dem Gefühl mehr Einhalt gebietet. Was gebiert dann aus der Dunkelheit? Verwirrt hob Kain den Flussmenschen von seiner Schultern und stellte ihn vor sich. "Aber du hörst das auch, ja?",wand er sich zweifelnd an Yuuryon, als er den Ursprung der Stimme noch immer nicht erkennen konnte. Der nickte unruhig. Die körperlose Stimme verstörte ihn zutiefst und jagte ihm so viel Angst ein, dass er sogar vergass, dass er sich eigentlich auch vor Kain zu fürchten hatte. Aber der Vampir interessierte sich gar nicht für den Dieb. Suchend wand er den Kopf nach links und rechts. Aber das Bild blieb gleich. Blau schillernde Mauern - kein Ausweg in Sicht. Das Gefühl dominiert den Geist - wächst, gedeiht und entartet, bis dieses neu geschaffene Etwas sich von den letzten Fesseln trennt und zurück nur einen wahnsinnigen, verkrüppelten Geist lässt. Ein Moment der Freiheit, der absoluten Stärke. Pulsierendes Leben ohne Grenzen. Geboren um zu Schaffen und zu Zerstören. Alles liegt in seiner Macht. Aber dieses herrliche Geschöpf bekommt neue Grenzen auferlegt. Ein neuer Geist, mit eigenem Gefühl - ein eigenes Wesen ohnegleichen. Was bitte, frage ich dich, bleibt dann noch von diesem wahnsinnigen Gefühl? Was kann überdauern, wenn der ewige Wunsch nach Freiheit, doch wieder nur gebunden wird? Kain schluckte. Kalter Schweiß war auf seiner Stirn ausgebrochen. Die Stimme sprach von ihm! Und obwohl er seine eigene Vergangenheit kaum kannte, wusste er, dass diese liebliche Glockenstimme seine Geschichte erzählte. Und als er das erkannte ergriff ihn zum ersten Mal ein Gefühl, dass er bis dahin nur aus Erzählung anderer kannte. Das war es also, wenn sich die Härchen am ganzen Körper unbemerkt aufstellten, wenn der Körper vor Kälte erzitterte - obwohl er vom Fieber gebeutelt wurde, wenn die klammen unheilvollen Totenfinger, die zarten Linien der nassen Haut nachfuhren und kristalline Eisspuren hinterließen, wenn der Atem flach und langsam wurde, dafür aber das Herz immer schneller schlug, bis es fast zerbersten wollte und das Blut schleimig und zäh durch die viel zu engen Adern presste. Das war Angst. "Was... bleibt dann noch?", flüsterte er in die Stille hinein und mit diesem Laut erhob sich ein ohrenbetäubendes Gelächter voller Hohn und Abwertung für den Narren, der solch eine Frage zu stellen wagte. Ein Gelächter, welches die Mauern erzittern ließ und den Boden zum Beben brachte. Entsetzt beobachtete Kain, wie klaffende Spalten auf dem Boden aufrissen, die sich knarrend und ächzend in die eisblauen Wände fraßen und aus denen sich schweres, schwarzes Blut seinen Weg nach draußen bahnte. Steine begannen von der Decke zu regnen. Unter donnernden Getöse brachen die Wände und zersplitterten in messerscharfe Kristalle, die wild in den Gang hinein schossen, blutige Fäden hinter sich herziehend. Es grenzte an ein Wunder , dass von all diesen wilden Waffen im Endeffekt nur wenige trafen. Geistesgegenwärtig hatte Kain den Dieb an sich gezogen und den eigenen Körper schützend über ihn gelegt. Nun drückte sich das Häufchen Elend wimmernd an seine Brust, die Augen fest verschlossen und versuchte zu vergessen was um ihn herum geschah. Leider war es Kain nicht vergönnt die Augen vom Geschehen einfach abzuwenden. Dieses monströse Szenario der Zerstörung, hielt ihn gefangen, ließ ihn nicht los und verhalf ihm dazu ganz in seiner Furcht aufzugehen. Dass er sich dann aber doch nicht in der eigenen Angst verlor, daran war diese heulende Gestalt in seinen Armen Schuld, die sich haltesuchend immer enger an ihn schmiegte und somit auch den Rettungsanker für Kain bildete. Und zugleich verfluchte er ihn. Denn die Wärme, die Yuuryons Körper ausstrahlte erinnerte ihn nur zu sehr daran, wie real das hier alles war. Dass es nicht die Geistesebene war, in der er sonst gastierte und dass es diesmal wohl wirklich um sein eigenes nacktes Leben ging. Kein Traum, aus dem man einfach aufwachen konnte. Aber die Regeln blieben die selben! "WAS BLEIBT BESTEHEN?", donnerte er in das Chaos hinein und augenblicklich verstummte die Welt. Als Yuuryon die Augen wieder öffnete fand er sich auf einer weiten lichtglänzenden Ebene wieder. Keine Grenzen waren in Sicht, aber nicht weit von ihnen ragte eine riesige schwarze Säule in das weiße Nichts hinein. "Was ist das?",fragte er schaudernd. Die letzten Tränen glänzten noch feucht auf seinem Gesicht. Aber Kain antwortete nicht. Achtlos ließ er Yuuryon stehen und näherte sich dem schwarzen Stein. Ein Rätsel soll die Antwort geben, hatte ihm die Stimme zu gewispert, bevor die Welt sich endgültig verlor. Nun wollte er sie auch erfahren. Die Antwort. Sinnierend fuhr er die verzweigten Linien auf dem schwarzen Obelisken entlang und war wenig erstaunt, als sie kurz danach in goldenen Lettern aufflammten und verspielte Worte freigaben. Ein Rätsel soll die Antwort geben. Und nun sag mir Suchender. Was ist besser als Gott Und böser als der Teufel? Was haben die Armen, Was die Glücklichen brauchen? Was ist es, dass wenn du es isst, du stirbst? Dies soll deine Antwort sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)