Papakind von abgemeldet ================================================================================ Teil 3 ------ Thema diesmal: Gedanken, Gefühle, einfach Chaos "Du, Papa..." Svenja stellte den Teller, an dem noch Soßenreste klebten, in die Spüle und ließ sich dann aufs Sofa plumpsen, das protestierend quietschte. "Hm?", brummte Horst ohne sich umzudrehen, während er seinen eigenen Teller mit dem kleinen Schwamm bearbeitete. "Papa, Linda hat heute erzählt, dass ihre Eltern sich scheiden lassen wollen..." "Mhm." Der Mann wusste nicht recht, was seine Tochter von ihm erwartete. "Warum machen die so was, Papa?" Jetzt musste er erst einen Moment nachdenken. Wie sollte er der Kleinen das erklären...? Sein Teller war sauber, also nahm er sich den nächsten vor, während er immer noch nach einer passenden Antwort suchte. "Warum, Papa?" Langsam wurde Svenja ungeduldig. "Weil... ich weiß auch nicht. Weil sie gemerkt haben, dass sie nicht mehr miteinander auskommen vielleicht..." "Aber das kann doch nicht so plötzlich sein. Warum haben sie dann denn überhaupt geheiratet?" Neunjährige Mädchen brauchten wirklich auf alles eine Antwort, hatte Horst das Gefühl. Und seine Tochter konnte zusätzlich nicht einsehen, dass er diese Antworten nicht immer parat hatte. "Manchmal entscheidet man sich halt zu schnell, oder man ist sich ganz sicher und merkt erst viel später, dass doch etwas fasch war. Oder es kommt jemand, den man noch mehr liebt, der einem noch wichtiger ist..." "So wie Mamas Mann?" "Das ist was anderes", erklärte er bestimmt, mehr um sich selbst als um seine Tochter zu überzeugen. "Warum?" "Weil wir nicht verheiratet waren." "Warum?" "Weil wir nicht wollten." "Warum?" "Weil wir es spießig fanden. Und jetzt hör auf das zu fragen." "Aber ihr hattet doch ein Kind. Das ist doch fast schon wie verheiratet..." Horst seufzte leise. Er konnte der Kleinen ja schlecht erklären, dass sie mehr oder weniger ein Unfall gewesen war. Also schüttelte er nur den Kopf. "Nein, das ist etwas anderes. Eine Frau kann auch ohne Mann ein Kind haben." "Also gehört das Kind zur Mutter?" "Im Großen und Ganzen schon." "Und warum bin ich dann bei dir und nicht bei Mama?" Das war wieder so eine Frage, auf die Horst nicht wirklich eine Antwort hatte. Es gab viele Fragen in Bezug auf Mara und ihn und ihre Beziehung sowie deren Ende, die er nicht zu beantworten wusste... "Ich weiß auch nicht genau. Sie war weg und du warst noch da, darum bist du immer noch bei mir. Wärst du lieber bei ihr?" Svenja schüttelte entschieden den Kopf und sprang dann vom Sofa auf. "Auf keinen Fall, Papa! Ich will bei dir sein! Für immer und ewig!" Sie umarmte ihren Vater stürmisch. Der trocknete sich rasch die Hände am Geschirrhandtuch ab, bevor er sich hinunterbeugte und seine schon nicht mehr ganz so keine Tochter auf den Arm nahm. "Das ist schön", lächelte er sanft und setzte sich mit ihr auf den Schoß aufs Sofa. Svenja kuschelte sich an ihn, vergrub ihr Gesicht in seinem kratzigen Wollpullover. Es dauerte nicht lange, bis ihr Atem ruhig und gleichmäßig ging. Sie war eingeschlafen. Horst wollte an Schlaf gar nicht erst denken. Dafür beschäftigten ihn die Gedanken an die plötzliche Trennung damals, die das Gespräch eben wieder hochgebracht hatte, viel zu sehr. ~*~ Horst wachte langsam auf und tastete, ohne die Augen zu öffnen, zur anderen Seite der Matratze hinüber, wie er es jeden Morgen tat. Aber heute war etwas anders. Seine suchende Hand fand keinen warmen, weichen Körper. Die Laken waren schon kühl. Mara war nicht da. Das konnte doch gar nicht sein. Mara war jeden Morgen da. Sie war der totale Langschläfer, stand nie vor Horst auf. Endlich öffnete er die Augen und blickte sich um. Ihre Hälfte des Bettes war leer, das hatte er ja schon gemerkt. Auch im Küchenbereich oder bei Svenja, die in einem großen Weidenkorb neben der Matratze schlief, war sie nicht. Der Bauwagen war bis auf ihn leer. Unsicher kroch er zu ihrer Seite des Bettes hinüber und schielte in den Korb. Da lag seine Tochter, die Beinchen angezogen, den Daumen im Mund. Ihre braunen Haare fielen ihr ins Gesicht und bewegten sich ein wenig, wenn sie ausatmete. Erleichtert seufzte Horst auf. Svenja war noch da... Der Korb sah eng aus, stellte eine hintere Ecke seines Denkens fest, sie würden bald eine andere Möglichkeit finden müssen. Immerhin war Svenja jetzt fast drei Jahre alt und brauchte sicher nicht mehr lang, bis sie einen ganzen Meter groß war. Sie wurde so unglaublich schnell groß... Da die Kleine friedlich schlief und er sie nicht stören wollte, stand er leise auf und blickte sich noch einmal gründlich um. Keine Mara, nichts. Er ging zur Tür, öffnete sie, sah hinaus. Einige Nachbarn liefen auf den verschneiten Weg entlang, der links und rechts von Bauwagen ähnlich dem ihren gesäumt war. Horst kannte sie alle vom Sehen und von gelegentliche Gesprächen, aber er konnte nicht behaupten, dass er einen von ihnen wirklich kannte. Er und Mara lebten eher in ihrer eigenen kleinen Welt, waren meistens zufrieden damit, einfach nur einander zu haben. Wo steckte sie nur? Sie war noch nie einfach gegangen, ohne ihm Bescheid zu sagen oder zumindest einen Zettel zurückzulassen. Zettel! Hastig trat er wieder ins Innere des Wagens und schloss die Tür hinter sich. Seine Füße kribbelten unangenehm, er hätte sich wohl doch Schuhe anziehen sollen, bevor er sie der Kälte aussetzte. Aber in diesem Moment war ihm das egal. Er drängte sich am Sofa vorbei und warf einen Blick auf den winzigen Tisch, an dem sie aßen. Nichts. Kein Zettel. Keine Nachricht. Gar nichts. Seufzend ließ er sich auf den wackeligen Stuhl fallen und starrte auf den leeren Tisch. Wo war sie nur? Wo konnte sie sein? Sie hatten sich nicht gestritten, jedenfalls nicht mehr als sonst auch. Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten gehörten schließlich dazu... War sie vielleicht gegangen? Einfach so? Oder war sie nur gerade eben nicht da? Das brachte ihn auf eine andere Frage: Hatte sie ihre Sachen mitgenommen? Horst bemühte sich, seine kleine Tochter nicht aufzuwecken, während er fieberhaft die Kisten durchwühlte, in denen sie ihre Kleidung aufbewahrten. Maras Hosen, Pullover, Röcke, Hemden, Unterwäsche, alles, einfach alles war... weg. Nicht mehr da. Verschwunden. Genau wie Mara selbst. Sie war weg. Weg... Warum? Die leeren Kisten waren noch auf dem Boden verteilt, Horst kümmerte sich nicht darum, sie wieder wegzuräumen. Er ließ sich schwer auf das quietschende Sofa fallen und wusste nicht, was er denken sollte. Nur diese Frage tauchte immer wieder auf. Warum. Warum? Warum? Warum. Warum... Warum!! Er verstand es einfach nicht. Sie waren doch glücklich gewesen. Es gab doch keinen Grund, warum sie einfach verschwinden sollte. Sie hatten eine Bleibe, eine kleine Tochter, die sie vergötterten, sie liebten einander, sie hatten alles, was sie brauchten. Warum also? Warum?!? "Warum...?", flüsterte er mutlos. Sie war weg. Keine Spur mehr von ihr, er wusste nicht, wohin sie gegangen war, wie er sie wiederfinden konnte, was er anders machen musste, damit sie zurückkam. Er wusste gar nichts... "Warum?!", schrie er in den stillen Raum hinein. Svenja in ihrem Korb fing an zu weinen. Das hatte er nicht gewollt... Eilig stand er auf und ging zu der Kleinen hinüber. "Shh, Kleines... schon gut..." Er ging mit ihr auf dem Arm zurück zum Sofa und strich ihr beruhigend über den Rücken. Die gleichmäßige Bewegung half auch ihm, sich wieder zu fangen. Er verstand nicht, warum seine Freundin plötzlich verschwunden war. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, was er hätte ändern sollen. Aber er wusste, dass sein kleines Mädchen ihn brauchte. Er musste für sie da sein, er war für sie verantwortlich. Er drückte Svenjas warmen Kinderkörper fest an seine Brust und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. Er wusste nicht, was werden würde, ob Mara zurückkommen würde oder nicht. Vielleicht war es ja nur ein Notfall, versuchte ihm ein Teil seines Gehirns weiszumachen. Vielleicht hatte sie eilig fortgemusst und würde in ein paar Tagen wieder vor der Tür stehen. Aber wirklich daran glauben konnte er nicht. Irgendwie würde er für sich und seine Tochter sorgen. Er musste. Egal warum sie jetzt alleine waren, es war nun einmal so. Sie würden es schon irgendwie schaffen... ~*~ Svenja murmelte im Schlaf leise vor sich hin, was Horst in die Gegenwart zurückholte. "Kleines, aufwachen. Du musst noch Hausaufgaben machen." "Ich bin nicht klein", protestierte sie, wie sie es seit einigen Wochen tat, wann immer er sie so nannte. "Ich weiß." Er lächelt e sanft. "Aber du wirst trotzdem immer meine Kleine bleiben." "Du brauchst eine Freundin, Papa", erklärte sie überzeugt, was ihn zum Lachen brachte. "Woher willst du das denn wissen, Fräulein Altklug?" "Ich bin deine Tochter. Töchter wissen so was." "Aha." Er lachte immer noch, als er sie auf dem Boden absetzte. "Du, Horst...?" "Hm?" Er blickte von seiner Zeitung auf und zu Svenja hinüber, die am Küchentisch saß. Es war immer noch der winzige Tisch von damals und sie hatte kaum Platz genug, ihre Mathematik-Sachen auszubreiten. "Linda sagt, ihre Eltern streiten sich die ganze Zeit, zu wem von ihnen sie gehen soll. Hast du dich mit Mama auch darüber gestritten?" Horst schüttelte den Kopf. "Nein, Svenja. Ich wusste nicht mal, dass sie gehen würde. Es war wirklich so, dass sie eines Morgens verschwunden war." Svenja kaute einen Moment auf dem Ende ihres Bleistiftes herum. "Ich bin froh, dass sie mich nicht mitgenommen hat, Papa", erklärte sie dann. "Sonst wäre ich noch so komisch geworden wie sie." "Aber du hättest in einem großen Haus gewohnt, und ein eigenes Zimmer gehabt und weiß ich noch was." Sie überlegte wieder einen Moment. "Ich bin trotzdem lieber hier mit dir." Horst lächelte sanft, als er die Zeitung wieder hob, um weiterzulesen. Er wusste zwar, dass es nicht ,für immer und ewig' dauern würde, wie seine Tochter vorhin noch so überzeugt verkündet hatte, aber jetzt hatte er sie noch, und er würde sie auch noch eine ganze Weile haben. Sie gehörte einfach zu ihm. Sie war seine Svenja. Und er war unglaublich froh, dass Mara sie damals nicht mitgenommen hatte. Schließlich war sie seine Kleine. Und würde es vermutlich für immer bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)