Papakind von abgemeldet ================================================================================ Teil 2 ------ Thema diesmal: Begegnung "Du, Horst..." Svenja ließ sich neben ihrem Vater auf dem Rand der Eisenbahnbrücke nieder und sah ihn fragen an. "Hm?", kam die abwesende Antwort. "Papa, wir mussten heute in der Schule über unsere Eltern schreiben und ich konnte nur über dich schreiben, weil... ich weiß ja nichts von meiner Mutter und... Papa, erzählst du mir von ihr?" Jetzt endlich sah Horst zu seiner Tochter hinüber. Es stimmte schon, die Kleine wusste wenig von Mara, schließlich war die nicht mehr bei ihnen, seit Svenja nicht ganz drei Jahre alt war. Es war keinesfalls so, dass das Mädchen nichts über seine Mutter erfahren sollte, aber Horst ließ die Erinnerungen an diese Zeit nicht gerne hochkommen. Er war glücklich gewesen, damals. Nicht, dass er es jetzt nicht mehr war, schließlich hatte er jetzt eine quirlige Tochter, die ihn brauchte, für die er da sein musste. Aber damals war es anders gewesen. Mara und er hatten einfach nur in den Tag hinein gelebt... Sie waren völlig frei gewesen. Und da waren sie doch, die Erinnerungen. Wie immer, wenn man an etwas gar nicht denken wollte, dachte Horst jetzt um so mehr an die blonde Frau, die ihn aus dem Alltagstrott gerissen hatte, damals. Er dachte daran, wie er zum ersten mal in ihre blauen Augen geblickt hatte. ~*~ "He!" Horst ging einfach weiter. Auf dem Bahngleis waren so viele Leute unterwegs, sicher hatte der Ausruf jemand anderem gegolten. "He, du!" Hastige Schritte hinter ihm, eine Hand, die ihn an der Schulter packte. Der Siebzehnjährige blieb stehen und drehte sich ein wenig ungehalten um. "Was?!" "Du hast dein Portemonnaie verloren", erklärte das Mädchen und hielt ihm besagten Gegenstand unter die Nase. "Hm", machte Horst und musterte sie, während er die Geldbörse wieder in die Gesäßtasche seiner Jeans stopfte. Blonde Haare, etwas über schulterlang, ein wenig zottelig und vom Wind durcheinandergebracht. Ein Arabertuch, wie es praktisch jeder trug, der nicht als Spießer gelten wollte. Ein Wollpullover, vermutlich selbst gestrickt, in dunkelrot, der bis fast zu den Knien ging. Darunter eine ausgewaschene Jeans. Sein Blick wanderte zurück zu ihrem Gesicht, das eigentlich durchschnittlich war, eines von diesen Gesichtern, die man sah und sofort wieder vergaß. Aber ihre Augen fesselten ihn. Blau, kornblumenblau waren sie, und in diesem Moment spiegelte sich ein genervter Ausdruck in ihnen wider. "Das ist alles? Kein Dank, nichts?", murrte sie und sah Horst von unten her an. "Dan-ke-schön", betonte er jede einzelne Silbe und blickte finster zurück. "Na, du sollst es aber auch ernst meinen!", empörte sie sich und grinste. "Ach, leck mich doch!" Er drehte sich auf dem Absatz um und ging mit langen Schritten wieder den Bahnsteig entlang. Er hatte schließlich keine Zeit, sich mit komischen Mädchen zu unterhalten... "Komm schon, du könntest mich wenigstens auf nen Tee oder so einladen", erklang es neben ihm und sie hakte sich kackfrech bei ihm unter. Er schwieg, machte aber auch keine Anstalten, das Mädchen wieder los zu werden. "Wie heißt du überhaupt", wollte sie wissen, ohne sich an seinem Schweigen groß zu stören. "Was geht dich das an?", murrte er, doch sie grinste nur. "Ich kann dich ja auch 'schweigsamer Unbekannter' nennen, aber ich glaub, das wirkt komisch, meinst du nicht?" "Horst", erklärte er einsilbig und verließ endlich den muffigen Bahnhof, immer noch mit dem Mädchen am Arm. "Komm, hier lang", erklärte sie plötzlich, irgendwo in der Altstadt, und zog ihn in eine schmale Gasse mit Kopfsteinpflaster und kleinen schiefen Häusern, die sich haltsuchend aneinander zu lehnen schienen. Bevor er noch protestieren konnte, blieben sie auch schon vor einer kleinen Tür stehen. "Der Teeladen", stand in dunkelblauen Buchstaben daran und ehe es sich Horst versah, hatte ihn das Mädchen in einen kleinen Raum gezogen, der nach Tee und Räucherstäbchen roch und von leisen Gesprächen erfüllt war. "Ach übrigens, ich bin Mara. Du lädst mich doch ein, oder? Als Finderlohn..." Was blieb ihm anderes übrig als zu nicken? ~*~ "Papa!" Eine empörte Kinderstimme riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. "Hm?" "Erzählst du mir jetzt von ihr oder nicht?" "Natürlich, Kleines... Komm, dann zeig ich dir ein paar Fotos dazu..." "Au ja!" Svenja sprang auf und zog wie so oft am Ärmel ihres Vaters, da der ihr wieder einmal viel zu langsam war. "Komm schon, Papa, beeil dich!" "Schon gut", schmunzelte er über das kleine Energiebündel und stand ein wenig umständlich vom Brückenrand auf. Gemeinsam gingen Vater und Tochter dann zurück in den Bauwagen und aus einer Pappkiste holte Horst einen Packen alter Schwarz-Weiß-Fotos hervor. Die Ecken waren zum Teil ein wenig verbogen und allesamt hatten die Fotos einen schwachen Gelbstich. "Das ist meine Mama?" Svenja machte große Augen, während sie das Bild der jungen Frau betrachtete. Maras Haare wurden vom Wind zerzaust, sie hielt ihren Schal fest umklammert und ihr alter Mantel flatterte um sie herum. Im Hintergrund Strand und dann das Meer, das sich irgendwo mit dem Himmel vereinte. "Ja, das ist deine Mama", lächelte Horst und zerzauste seiner Tochter die Haare. "Da haben wir grade Urlaub gemacht..." Und er erzählte Svenja von ihrer Mutter und von sich selbst, wie sie sich kennen und lieben gelernt hatte, was sie zusammen für verrückte Sachen erlebt hatten. Er erzählte auch davon, wie erschrocken sie beide waren, als sie herausfanden, dass Mara schwanger war. Aber wie glücklich sie dann waren, als ihre kleine Tochter da war. "Du, Papa...?" "Hm?" Ein paar Tage später saßen die Beiden wieder auf ihrer Brücke. "Du, weißt du, wo Mama wohnt?" Horst schüttelte den Kopf. "Weil, weißt du, ich will ihr schreiben..." "Was willst du ihr denn schreiben?", fragte er vorsichtig. "Ich weiß noch nicht...", erwiderte das Mädchen leise. "Aber ich möchte ihr schreiben, Papa. Kannst du nicht rausfinden, wo sie wohnt? ... Bitte?" Diesem bettelnden Blick und dazu dem geflüsterten Wort konnte Horst wieder einmal nicht wiederstehen. "Ich kann's versuchen, Kleines", lächelte er und machte sich am nächsten Vormittag, als Svenja in der Schule war, auf den Weg zur Post, um sich Tamara Schäfers Adresse nennen zu lassen. Da er aber noch nicht einmal die Stadt wusste, in der sie wohnte, und es Dutzende Frauen mit diesem Namen gab, begnügte er sich schließlich mit der Adresse ihrer Eltern. Karl-Heinz und Elfriede Schäfer in seiner Heimatstadt zu finden, war erheblich einfacher gewesen. Ein freundlicher Brief, der ein recht aktuelles Bild von Svenja beinhaltete, das der Schulfotograf einige Wochen zuvor geschossen hatte, wirkte wahre Wunde, und wenige Tage später konnte Horst seiner Tochter die gewünschte Adresse präsentieren. Svenja schrieb an Mara, schickte ein selbstgemaltes Bild mit und Horst stellte noch eines der Schul-Fotografen-Bilder zur Verfügung. Bald lag Maras Antwort im Briefkasten und die Kleine riss den Umschlag ungeduldig auf. Langsam studierte sie die Zeilen, wollte den Brief sogar ihrem Vater zeigen. Der jedoch lehnte dankend ab. Er wollte gar nicht so genau wissen, was Mara schrieb... Das vorsichtige Lächeln und die geflüsterten Worte seiner Tochter eröffneten ihm den Inhalt dann auch früh genug: "Da steht, sie will mich besuchen kommen..." Also hätte Horst eigentlich nicht erstaunt sein sollen, als knapp zwei Wochen darauf am späten Vormittag, während Svenja noch in der Schule war, plötzlich seine Exfreundin vor der Tür stand. "Horst, hallo." "Mara!" Der junge Mann stand auf und streckte ihr die Hand entgegen, die sie ein wenig zögernd ergriff. Irgendwie kam ihm der ganze Moment unrealistisch vor, er hatte ein beklemmendes Gefühl im Bauch. Für eine Weile schwiegen sie sich an, keiner von beiden wusste, was er sagen sollte. "Du wohnst also immer noch hier", sagte sie irgendwann. Er nickte. "Was machst du so?" "Ich... hab geheiratet." Horst zog eine Augenbraue hoch. "Das wolltest du doch auf keinen Fall." "Naja, früher, aber..." "Aber?" "Ich weiß doch auch nicht. Jedenfalls, Karl ist Architekt und ich bin im Stadtrat." "Stadtrat?" "Bei den Grünen." "Aha..." Wieder schwiegen sie, und Horst musterte, genau wie damals, die Frau ihm gegenüber. Sie trug eine Jeans, einen selbstgestrickten dunkelblauen Pullover, ein buntes Halstuch. Ihre blonden Haare waren kurz geschnitten und von ihren Ohren blitzen ihm kleine blaue Steine entgegen. Immer noch konnte er Ähnlichkeit zu dem Mädchen finden, in das er sich damals verliebt hatte, aber es war anders. Zu ungewohnt war es, sie zu sehen, zu lange her war ihre gemeinsame Zeit. Wieder vergingen einige Minuten in unangenehmem Schweigen, bevor ein fröhliches "Ich bin wieder daaaa!" beide herumfahren ließ. "Papa, heute-" Svenja brach mitten im Satz ab und starrte die fremde Frau an, die da wie selbstverständlich an ihrem Küchentisch saß. "Bist du... bist du meine Mutter?", fragte sie dann leise und kam einen halben Schritt näher. Mara nickte und lächelte das Mädchen an. "Dann bist du Svenja." Wieder ein Nicken, diesmal von Seiten des Mädchens. "Ich... ich wusste gar nicht, dass du heute schon kommst", flüsterte sie und kam weiter in den Raum herein, hielt aber auf ihren Vater zu und stellte sich schließlich dicht neben ihn. Horst legte seiner Tochter eine Hand auf die Schulter. "Es... sollte eine Überraschung sein", sagte Mara leise und der Mann merkte ihr die Unsicherheit an, die sie zu überspielen versuchte. "Ich bin auch überrascht", erklärte Svenja, als bedurfte es dieser Feststellung. Alle drei schwiegen für einen Augenblick, ein Zustand, der in Maras Gegenwart zur Normalität zu werden schien. "Du siehst ganz anders aus als auf den Fotos", platze Svenja schließlich heraus, nachdem sie ihre Mutter einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augenbrauen gemustert hatte. "Sie hat kurze Haare, Kleines. Und sie ist nicht mehr achtzehn. Natürlich sieht sie anders aus", erklärte Horst und wuschelte dem Mädchen durch die Haare. "Das kann sein...", gab Svenja zurück, ohne den Blick von der Frau abzuwenden. Mara lächelte Horst vorsichtig zu, der das Lächeln ebenso vorsichtig und vor allem unsicher erwiderte. Es war alles so komisch, so anders. Und es war schlichtweg völlig ungewohnt, sie wieder hier zu haben. Außerdem nagte die ganze Zeit die Gewissheit an ihm, dass sie in wenigen Stunden oder sogar Minuten wieder gehen würde. "Du, warum bist du eigentlich weggegangen", meldete sich Svenja wieder zu Wort und Mara senkte den Blick auf die Kerze, die auf dem kleinen Tisch stand. "Weißt du, dein Vater und ich wir... haben einfach nicht mehr zusammengepasst." Horst runzelte die Stirn. Sie hatten nicht mehr zusammengepasst? Davon hatte er damals nichts mitbekommen. Sicher, sie hatten sich ab und zu gestritten, aber dennoch... Er hätte doch wohl merken müssen, wenn etwas nicht mehr stimmte. Für ihn war ihr Verschwinden ein völliger Schock gewesen, er hätte niemals damit gerechnet. "Und weil ich wusste, dass es dir bei deinem Papa gut geht, hab ich dich bei ihm gelassen", sagte Mara gerade und Svenja strahlte. "Mir geht's auch gut bei Papa!", erklärte sie und rutschte auf dessen Schoß. Später, nachdem sie noch ein wenig über dies und das geredet hatte, in erster Linie aber über die Schule, und dabei einen Spaziergang den Bahndamm entlang gemacht hatten, verabschiedete sich Mara schließlich. "Wenn du möchtest, kannst du mich ja mal besuchen kommen", sagte sie und umarmte ihre Tochter, doch sie wich dabei Horsts Blick aus. 'Eigentlich will sie gar nicht, dass meine Kleine zu ihr kommt', dachte der im Stillen. 'Eigentlich will sie viel lieber ihre Ruhe haben mit ihrem Architektenmann und ihrem tollen Haus und ihrem Sitz im Stadtrat.' Und während Mara in ihren VW-Golf stieg, beschloss er, Svenja nicht zu ihr zu lassen, es sei denn, die Kleine wollte das wirklich. Sie sollte schließlich keine Enttäuschung erleben. "Du Papa?" Svenja zupfte ihn am Ärmel. "Hm?" "Du, Mama ist aber irgendwie komisch, oder?" "Das kann schon sein, Kleines. Aber wir sind doch alle ein bisschen komisch, oder?" "Aber ich mag unser Komisch lieber, Papa!" "Ich auch, Kleines, ich auch!", grinste Horst und schloss seine Tochter in die Arme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)