Drachenseele von Hrafna (Das Herz einer Priesterin) ================================================================================ Kapitel 12: *~Maguchi~* ----------------------- "Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen." – Lucius Anneus Seneca Kapitel 12 - Maguchi -Fassade- *Wann, und zu welchen Begebenheiten beginnt die dicke Eismauer, die man zu seinem eigenen Schutz um sich aufzieht, zu schmelzen oder rissig zu werden? Ist es die pure Unvorsichtigkeit, die dazu führt? Oder liegt es letztendlich daran, dass man eine Maske nicht ununterbrochen, ein ganzes Leben lang auf der Haut tragen kann?* ּ›~ • ~‹ּ Es begann zu dämmern, die Nacht brach allmählich herein und tauchte den umliegenden Wald in eine gespenstische Dunkelheit. Das Licht des Mondes verirrte sich im dichten Blattwerk der Baumkronen, nur vereinzelte, silbrige Strahlen fielen bis auf den Boden der Lichtung herab, offenbarten den metallischen Schimmer der lebensbedrohlichen Raupenfäden. Die vorangegangenen Stunden waren stumm verstrichen, und der Priesterin fiel es immer schwerer, dem verlockenden Rufen des Schlafes nicht nachzugeben, die Lider nicht einfach zu schließen und in die Welt der Träume einzutauchen. Flúgar schlief bereits seit dem späten Nachmittag und sandte jetzt auch keinerlei Anzeichen aus, als würde er bald wieder zu Bewusstsein kommen. Die Erleichterung, die eingesetzt hatte, als sich sein Blick mit dem ihrigen verfangen hatte, hielt noch immer an. Wenn sie sich recht entsinnte, war er ihr ein wenig konfus vorgekommen und sein Verhalten war ebenfalls sonderbar gewesen. Er war liegen geblieben, hatte nicht einmal versucht, sich aufzurichten oder anderweitig der Berührung mit ihrem Körper zu entgehen. Einerseits hatte er nicht den Eindruck in ihr erweckt, dass er Schmerzen hatte oder auf anderem Wege litt, andererseits war ihr sein Ausdruck matt und kraftlos erschienen; irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Sie hatte ihn nicht gefragt, weil er selbst beim Atmen Schwierigkeiten zu haben schien. Es ging ihm wohl tatsächlich nicht gut, aber was letztendlich mit ihm nicht in Ordnung war, konnte sie nicht sagen. In Gedanken versunken und schon halbwegs eingeschlafen, schreckte sie die plötzliche Regung, die durch Flúgars Körper ging, regelrecht auf. Noch ein wenig verwirrt, trafen ihre Augen wieder auf die des Dämons, die selbst in der vorherrschenden Finsternis aufgrund ihrer Helligkeit nicht schwer zu erfassen waren. Die ruckartige Bewegung, die sie regelrecht aus ihren dösigen Gedankengängen gerissen hatte, war von seinem etwas unkoordinierten Aufsetzen ausgegangen. Unsicher musterte sie seine halbwegs aufrecht sitzende Gestalt. "Bist du dir sicher, dass du schon aufstehen kannst?" Flúgar atmete tief aus, selbst für die Ohren der Miko gut hörbar, gab bloß einen missverständlichen Ton von sich, dessen Deutung locker von Ja bis Nein reichte, aber wohl eher von eigener Unwissenheit zeugte. Wieder setzte eine unerträgliche Stille ein, ein Schweigen, das Midoriko in jenem Augenblick zu unterbinden wusste. "Wann warst du das letzte Mal hier?" Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er gelogen hatte, solche Methoden hatte er einfach nicht nötig und vielleicht lagen seine Erinnerungen an diesen Ort in einem sehr entfernten Punkt seines Gedächtnisses, sodass er die Youkai schlichtweg übersehen oder vergessen hatte. "Zwanzig Jahrzehnte..." Der Loftsdreki legte den Kopf schief und schien gedanklich noch einmal hinterher zu rechnen, mit der Zahl noch nicht ganz zufrieden zu sein, wobei die junge Frau schon bei diesen Werten dachte, etwas gehörig falsch verstanden zu haben. Fast entgeistert suchte sie seinen etwas abwesenden Blick in der Dunkelheit, ein Schatten von Fassungslosigkeit huschte über ihr Gesicht. "Zwanzig Jahrzehnte?! Das kann nicht dein Ernst sein!" Sie war sich sicher, dass sie sich verhört haben musste, das konnte einfach nicht sein, denn zwanzig Jahrzehnte waren eine dermaßen lange Zeit, dass sie es sich kaum vorstellbar vor Augen führen konnte. "Das ist es." Die Priesterin war sprachlos, brauchte eine ganze Weile, um ersten einmal den Sinn seiner Worte einzuordnen und schließlich ihre Stimme wiederzufinden. Nach mehrmaligem Überdenken des Gesagten, begann sich jetzt Skepsis ihrer Züge zu bemächtigen, ein Anflug von höchster Neugier flammte in ihr auf und funkelte ihm förmlich aus ihren Augen entgegen, als sie sich näher zu ihm beugte und ihn fixierte. "Wie alt bist du?" Vom Hören kannte sie die Geschichten über das Alter von Dämonen, aber wirklich geglaubt hatte sie es nie. Wenigen Wesen war es vorausbestimmt, überhaupt mehr als ein Jahrhundert zu überdauern, und nur seltene Baumarten schafften es nachweislich, ein oder zwei Jahrtausende zu gedeihen. Flúgar wurde ihr Verhalten langsam aber sicher etwas zu aufdringlich, ihre Haltung eindeutig zu offensiv und fordernd. "Ein einfacher Mensch wie du es bist, kann sich das ohnehin nicht vorstellen." Midoriko verschränkte die Arme vor der Brust, mit dieser Antwort war sie ganz und gar nicht einverstanden. Kaum merklich verengten sich ihre Augen, als sie den Blick des Dämons in der Finsternis wieder erhascht hatte. "Wie kommst du nur auf so etwas?" Diesmal erwiderte er ihren Blick, sah ihr in die Augen, und mit einem Mal erschien es ihr so, als wären die seinen abgrundtief, weder oberflächlich noch blank, so wie es die Färbung seiner Iris einem Unwissenden vortäuschte. "Ich weiß es." Ein Intermezzo nichtausgesprochener Erwiderungen setzte ein, aber wirklich geschlagen geben wollte und konnte sie sich nicht. Für den Moment gelang es ihr einfach nicht, sich von dem Begriff dieser Konversation loszureißen. "Sag es mir doch einfach, dann hat sich die Sache erledigt!" Er wandte den Kopf ab, starrte in die einvernehmende Schwärze, die den Wald umfing, die auf der Lichtung ab und an vom silbrig-weißen Glanz der Metallstränge gebrochen wurde. "Es hat keinen Sinn." Er wich ihr aus, es wurde immer offensichtlicher. Aber warum? Es gab keinen plausiblen Grund für seine Scheu, die ihn hinderte, sein Alter preiszugeben. Midoriko konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er bei diesem Thema so dermaßen blockte. Oder tat er es aus Prinzip? "Ich verstehe nicht, warum du meiner Frage so ausweichst... es ist eine Zahl, nichts weiter." Das Gefühl, dass er sich wieder gegen seine Außenwelt abschottete und rein gar nichts mehr an sich heranließ, kehrte zurück, verstärkte sich, der seltsame Ausdruck in seinen Augen verflog sichtlich. Ihr war, als wollte er nicht, dass ihm irgendjemand auch nur ein Stückchen näher kam. Aber... warum? Unbewusst, reflexartig streckte sie zaghaft die Hand nach ihm aus, was ihn aber bloß zu einem heftigen Zusammenzucken veranlasste; das dunkle Grollen, das seiner Kehle entsprang, ließ sie augenblicklich zurückschrecken. Seine Miene wurde kalt, abweisend, nahezu unbarmherzig. "Sieh zu, dass du zu Kräften kommst, wenn du nicht willst, dass ich dich hier zurücklasse." Ein seltsames Gefühl, das sie nicht zu benennen wusste, erwachte in der Miko. Flúgars Verhalten, seine abweisende Haltung, stimmte sie nachdenklich; es musste mehr dahinterstehen, als Sturheit oder der Gedanke, aufgrund seiner Geburt hochrangiger zu sein als sie. Dazu kannte sie das Versteckspiel vor der Außenwelt zu gut, darauf fiel sie nicht so leicht herein. Ob es ihm so ergangen war wie ihr? Auf eine gewisse Art fühlte sie sich an diesem Punkte angekommen, ungewöhnlich hilflos. Das letzte, was ihre Augen wahrnahmen, bevor sie sich einigermaßen bequem hingelegt hatte und sie letztendlich doch schloss, waren die ausdruckslosen Züge des Youkai, die das Nichts selbst, die vollkommene Leere der vorherrschenden Düsternis fixierten... ּ›~ • ~‹ּ Der abnehmende Mond stand noch blass am gräulichen Firmament, wirkte fahl und unwirklich zwischen dem frischen Grün der Blätter, als ich aus meinem Schlaf erwachte. Entgegen all meiner Befürchtungen hatte ich unheimlich gut, vor allem tief geschlafen und blickte mit einer belebten, heiteren Einstellung nach oben, beobachtete für einen Moment die kleinen Fragmente von hellem Blau zwischen den Farben des Waldes. Wie ein Mosaik setzten sich die vielen kleinen Teile zu einem Ganzen zusammen, bildeten gemeinsam etwas Größeres, Schöneres. Dann sah ich mich um, und erinnerte mich an den letzten Tag, die präsente Lage. Mit einem Mal kam mir in den Sinn, was Flúgar mir letzte Nacht mehr oder weniger angedroht hatte; er hatte gesagt, er würde mich zurücklassen... Beinahe panisch sprang ich auf und fuhr hastig herum, unweigerlich überschlugen sich meine Gedanken, als ich mich alleine auf der verhängnisvollen Lichtung wiederfand. War er etwa schon gegangen? Hatte er mich wirklich hier zurückgelassen? Alleine? Mein Herz schlug so schnell, als wollte es bersten, ich war kurz davor die Kontrolle zu verlieren und in die totale Panik auszubrechen. Was sollte ich ohne ihn tun? Auf mich gestellt würde ich nie wieder aus diesem Wald herausfinden, ich... "Setz dich endlich in Bewegung!" Huh? Erstaunt drehte ich mich wieder um, erblickte die Gestalt des Youkai - mit dem Rücken zu mir - nur wenige Meter von mir entfernt. Ich musste ihn völlig übersehen haben... Zögerlich näherte ich mich, verstand zu meiner eigenen Verwunderung auch ohne Worte, dass ich ihm durch das Netz der Raupenfäden folgen sollte. Vollkommen bewusst hielt ich einen gewissen Abstand zu ihm, ich hatte nicht die Absicht ihn zu bedrängen und zudem war ich mir nicht so sicher, wie gut seine Laune heute war. Herausfordern musste man es nicht, und was er mit mir machen würde, wenn ich es dann doch tat, stand wohl auch einzig in den Sternen. Es gab keinen Grund, es herausfinden zu wollen... Kaneko begrüßte mich freudig, als wir endlich aus den Fängen der Todesfalle heraustraten und sprang mir in die Arme. Inazumas Freude musste sich in Grenzen halten, da sein ununterbrochenes Schmausen von den pikanten Waldkräutern jetzt sein Ende fand und er gezwungen wurde, sich mit vollem Bauch in einen angemessen schnellen Schritt zu versetzen. Nach meinem Schwert brauchte ich nicht lange zu suchen, es lag noch immer an derselben Stelle, an der ich es gestern so übereilt einfach hatte fallen lassen. Ich hatte nicht genug Zeit, um mir die Geschehnisse ein weiteres Mal durch den Kopf gehen zu lassen, da ich um nichts auf dieser Welt den Anschluss verpassen wollte. Dieser Wald machte mich kirre... Ich bemerkte rasch, dass Flúgar nicht das Tempo der letzten Reisetage vorlegte, und auch sein Gang an sich verhielt sich anders; er war ungemein steif in der Hüfte, seine Bewegungen waren eindeutig beeinträchtigt. Nur von was? Soweit ich es mitbekommen hatte, war er nicht schwer verletzt worden und dieser Bereich seines Körpers konnte selbst bei seinem Sturz nicht arg in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Irgendetwas war mir entgangen, und das lastete deutlich auf ihm. Auf jeden Fall war er in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, ob er sich letztendlich quälte, war von außen her nicht zu erkennen. Flúgar tat mir unsagbar leid; nicht nur, dass er sich in seinem Zustand heute so stur vorwärts zwang, nein, besonders wegen dem, was er mir gestern unbewusst durch sein Verhalten offenbart hatte. Er verbarg sich, sein wahres Selbst, hinter einer Fassade aus augenscheinlicher Emotionslosigkeit und offensichtlich erscheinender Kälte - in dieser Beziehung waren wir uns sehr ähnlich. Allerdings kannte ich die Hintergründe für dieses Benehmen bei ihm nicht, und sich danach offen zu erkundigen stand außer Frage. Die Narben seiner Seele mussten tief sein, dass er sich so zurückzog, dass es den Anschein machte, als hätte sich der Kummer bereits tief in sein Herz gefressen, und dort das Misstrauen gegen alles und jeden, sowie den unbegründeten Hass auf sein Umfeld aufkeimen und zu voller Blüte gelangen lassen. Was war nur in der Lag gewesen, so schwere Wunden zu reißen? Nur zu gerne hätte ich ihm helfen wollen, aber ich konnte ja nicht einmal mir selber helfen; die Maske, die ich mir selber seit Jahren schon aufsetzte, verlangte nicht danach, wieder von meinem Gesicht abgenommen zu werden. Zumindest hatte sie es bis jetzt nicht. Seit mir Flúgar über den Weg gelaufen war, schien sich etwas zu verändern; seit er sich in meiner Nähe befand, passierte es immer öfter, dass mir danach zumute war, zu lachen, zu weinen, mich über sein Art offen zu ärgern... er lockte die Empfindungen förmlich aus mir heraus. Kein Mensch hatte es geschafft, mich in eine derartige Situation zu bringen. Würde es Flúgar sein, der mir schließlich die Maske wieder abnahm? Langweilig war kein Ausdruck für diesen Tag. Ich war ausgeruht und eigentlich voller Tatendrang, aber Flúgars Anblick und die Atmosphäre beklemmten mich zunehmend; unentwegt überdachte ich die Begebenheiten und suchte eine passende Lösung, einen annehmbaren Ausweg für uns beide. Aber der springende Einfall blieb aus. Seufzend schüttelte ich leicht den Kopf, ich wollte mir das nicht mehr ansehen. "Wenn du möchtest, kannst du Inazuma haben." Innerlich verunsichert hielt ich ihm die Zügel hin, nachdem ich ein wenig aufgeschlossen hatte, wagte es aber nicht, meinen nachdenklichen Blick auf ihn zu richten. "Nicht nötig." Die Antwort war mehr als bissig. Hatte ich ihn mit meinem Angebot etwa beleidigt? Das war nicht meine Absicht gewesen... niedergeschlagen senkte ich den Kopf, umfasste die Lederzügel fester mit beiden Händen und führte sie zurück vor meinen Körper. "Gomen nasai... ich wollte dich nicht beleidigen." Betrübt nahm ich sein verächtliches Schnauben einfach hin, unternahm nichts gegen mein stetiges Zurückfallen und trottete nunmehr lustlos hinter ihm her. Selbst die gewohnten Geräusche des Waldes, die allmählich wieder aufkamen, versprachen mir keinen Trost oder Aufheiterung. Kaneko betrachtete mich eingehend, miaute, als würde sie mich nicht so trübselig sehen wollen; ihre großen roten Augen wandten sich eine ganze Zeit lang nicht von mir ab. "Ist schon in Ordnung, Kaneko-chan..." Meine Worte klangen selbst für mich wenig überzeugend und eigentlich hatte ich dem noch etwas hinzufügen wollen, jedoch beging ich dieses Mal nicht den Fehler es auszusprechen, da ich Flúgars scharfes Gehör nicht noch einmal unterschätzen würde. Als ich wieder nach vorne blickte, tat sich unvermittelt eine weitläufige, vom Sonnelicht überflutete Lichtung vor uns auf, die zu ihrer rechten Seite hin anstieg, bis schließlich ein kleiner Berg aufragte, an dessen frontalen Überhang eine lange Treppe emporstieg. Über dem weißen Stufensansatz ragte ein Torii auf und am Ende der aufsteigenden Treppenstufen stand ein Schrein, der eindeutig der Fuchsgöttin Inari gewidmet war. Selbst aus dieser Entfernung sah ich die zwei weißen Steinkitsune, die den Eingang bewachten. Schon lange hatte ich nicht mehr gebetet, zu lange. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm ich die Treppe in Angriff und machte mich auf den Weg zum Schrein. Für diesen Augenblick war es mir herzlich egal, was meine Begleitung darüber dachte oder was er tun würde. Kaneko blieb von sich aus zurück; sie hatte in der Vergangenheit bereits gelernt, dass man Dämonen nicht gerne an heiligen Orten sah und es als böses Omen deutete, wenn sie sich dort aufhielten. Es dauerte länger, bis ich vor dem kleinen, von Aoki umgebenen, Schrein, stand, als ich angenommen hatte. Ein gewaltiger Sugi warf seinen Schatten über den Tempel und die unscheinbare Quelle unmittelbar daneben, versah beides mit verschlungenen dunklen Mustern, die an die gewundenen Ranken einer Kletterpflanze erinnerten. Erleichtert entledigte ich mich meiner Sandalen, wusch mir Hände und Füße sowie das Gesicht, bevor ich die geweihte Stätte betrat und zum Gebet niederkniete. Ein wohliges Gefühl berauschte meinen Körper, meine innere Ruhe kehrte wieder und brachte mich dazu, das Gebet äußerst gründlich und sorgsam auszuführen. Meine Gabe an Inari, die Reisgöttin in der Gestalt eines Fuchses oder auch der einer jungen Frau, hielt sich knapp, aber viel mehr konnte ich nicht entbehren. Vielleicht betete ich auch deshalb so gewissenhaft, wie schon lange nicht mehr. Der gellende Todesschrei eines Tieres schreckte mich auf, ich fuhr zusammen. Wer dafür verantwortlich war, konnte ich mir gut denken; ich fragte mich, ob er wohl seine Aggressionen mit dem Töten unschuldiger Lebewesen abreagierte... Die Witterung der Kitsune lag schwer in der Luft, überlagerte die anderen Gerüche des Waldes. Obwohl sich keiner von ihnen zeigte, war es offensichtlich, dass sie nicht fern waren; allzu weit würden sie sich nicht von ihrem Schrein entfernen, da sie oftmals die Opfergaben der Gläubigen stahlen. Die Füchse waren nur eine niedere Erscheinung von Dämonen, die sich ihr Leben mit feigen Illusionszaubern zu retten pflegten und bei Gefahr viel eher flüchteten, als sich einem Kampf zu stellen, in dem sie meistens ohnehin unterlagen. Wie konnte man dieses armselige Gesindel nur anbeten und ihr Oberhaupt als Kami ehren? Naivität und der Zwang, einen Glauben vertreten zu müssen, schienen in der Natur des Menschen zu liegen... Der metallische Geruch von Blut zog meine Aufmerksamkeit auf sich, mein Instinkt meldete sich mit einem heftigen Verlangen nach Blut und Jagd unüberhörbar in meinem Kopf. Es war unmöglich zu leugnen, dass mir der Sinn danach stand, etwas zu töten; ein aufschreckendes Reh löste schließlich den entscheidenden Reflex aus, der mein Denken weitestgehend lahm legte. Das Jagen eines Rehs war für mich bloß ein Spiel, nichts weiter. Es hatte von vornherein keinerlei Aussichten weiterzuleben, da es mir in allen Hinsichten unterlegen war. Meine linke Hüfte arbeitete gegen mich, aber von meiner Beute ließ ich nicht mehr ab, dazu war mein Begehr, der Durst nach Blut zu groß, der Schweißgeruch des Opfers zu stark, meine schiere Gier etwas zu reißen zu übermächtig. Ich spürte sehr deutlich, dass es schwieriger für mich war als sonst, bald wurde ich des Spiels müde und beendete es kurzerhand, indem ich dem nassgeschwitzten, verzweifelt fliehenden Reh die linke Flanke mit meinen Klauen aufschlitzte. Der Geruch des frischen Blutes hatte eine belebende Wirkung auf meinen Körper, vernebelte aber auf der anderen Seite meinen Verstand, versetzte mich in einen mir wohlbekannten Rausch. Nur ein winziger Teil meines Bewusstseins war vorhanden, als ich dem Todeskampf des Tieres ein Ende setzte und seinen hinterlassenen Leib mehr oder minder begierig auseinander nahm. Normalerweise war es nicht meine Art, ein Opfer, egal welcher Art, so dermaßen zu massakrieren, aber ich hatte nichts dagegen ausrichten können. Außerdem war es mir gleichgültig; das, was übrig blieb, würde seinen Abnehmer mit absoluter Sicherheit finden. Natürlich hatte ich gewusst, dass das Reh als Beute zuviel für mich gewesen war, und ehrlich betrachtet war es mir nicht um das Fleisch des Tieres gegangen, nicht um Nahrung, ich hatte Jagen wollen... nein, ich hatte Töten wollen. Sonst nichts. Mein animalischer Instinkt beherrschte mich zuweilen völlig, brachte mich dazu Dinge zu tun, die mir ansonsten fast schon zuwider waren. Mein Interesse verflog so rasch wie es aufgekommen war, mit einem Mal verschwand der Einfluss meiner tierischen Natur. Nachdenklich betrachtete ich das Endprodukt meines blinden Wahns... Ich schüttelte den Kopf, in letzter Zeit begann es heftig auszuarten, meine Kontrolle entzog sich mir wie von selbst. Eigentlich durfte so etwas nicht geschehen; es war reines Glück, dass ich es dieses Mal bei einem einzigen Tier belassen konnte. Unter anderen Umständen hätte solch ein Anfall wohl unter den Kitsune ein Blutbad angerichtet, das seinesgleichen gesucht hätte... Auf dem Weg zurück zur Lichtung bemerkte ich die Lahmheit meiner Hüfte umso nachdrücklicher, wenn ich es recht betrachtete, war sie fast untauglich, es gestaltete sich für mich unglaublich schwer, durch das Unterholz zu kommen und das Gleichgewicht richtig zu halten. Schwerfällig ging ich vor dem kleinen Fluss, der sich durch das kurze Gras der Lichtung schlängelte, auf die Knie herunter und musterte für einen kurzen Augenblick meine Erscheinung. Es war definitiv keine neue Erkenntnis für mich, dass ich nach einem Anflug dieser Sorte vollkommen mit dem Blut meiner Opfer besudelt war. Mit der Zeit gewöhnte man sich eben an Vieles. Das langsam fließende Wasser begann sich rot zu färben, als ich mir Hände und Gesicht wusch, meine Haut von der fast schwarzen Flüssigkeit befreite. Mein eigenes Spiegelbild sah mir unverkannt entgegen, aber Schuldgefühle waren in mir wegen einer Sache wie dieser nie aufgekommen und so geschah es auch jetzt nicht. Ihre bedächtigen Schritte ließen mich aufsehen, ich hörte, dass ihr Atem kurz stockte, als sie mich ansah. Diese Reaktion verriet mir mehr als jede Frage, die sie mir in diesem Zusammenhang hätte stellen können, mehr als jedes Wort, das ihr in Verbindung mit meinem Anblick über die Lippen gekommen wäre. Nur zu gut wusste ich, was Menschen über solche unnötigen Barbareien dachten und wie sie mit den Ausführenden umgingen, über sie sprachen. Ich hatte kein schlechtes Gewissen; erwartete dennoch mit jedem weiteren Schritt, den sie auf die weißen Steinstufen setzte, dass sie mich dafür verurteilte und mit den Ausdrücken betiteln würde, die ich schon so oft in meinem Leben zu hören bekommen hatte. In stiller Erwartung folgten meine Augen ihren Bewegungen, nahmen wahr, wie sie näher kam und schließlich in einiger Entfernung frontal zu mir abkniete. Das hatte ich nicht in Betracht gezogen. "Geht es dir besser?" Es war kein Missfallen, was ihre Erkundigung in mir auslöste, eher Unverständnis, Verwirrung. Mein Blick kippte ins Abwesende. Was bezweckte sie damit? Die Priesterin faltete die Hände in ihrem Schoß, fixierte nicht die blutigen Flecken auf meiner Kleidung, sondern meine linke Hüfte. ...meinte sie das? Mühselig unterdrückte ich ein Seufzen; es verursachte mir keine Schmerzen, aber sie war so gut wie ungebräuchlich und erschwerte mir beinahe jede Bewegung... Um auf ihre Anfrage zurückzukommen: nein, ging es nicht. Im Grunde war es sogar schlechter geworden, die Überbeanspruchung durch die Jagd hatte den Rest der vorübergehenden Lähmung dazu gebracht, sich wieder auszuweiten. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich in der Lage war aufzustehen. Eine Bilanz, die mich zum Überlegen veranlasste. "Wenn du magst, können wir den Nachmittag über hier bleiben. Es besteht kein Anlass zur Eile." Ein schwaches Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, als sie den Kopf hob und in den Himmel aufschaute. Wozu sollte ich ein Argument dagegen aufbringen? Damit würde ich mir die Gelegenheit, meinem Körper eine umfassende Regenration zukommen zu lassen, selbst verbauen; ich sah keinen Anlass ihr zu widersprechen. Andererseits bedurfte es auch keiner Zustimmung meinerseits; mein Schweigen schien ihr als Einverständnis auszureichen... ּ›~ • ~‹ּ ***>>> Kapitel 13: >"Die Warnung eines Unbekannten ernst zu nehmen, mag im ersten Moment töricht erscheinen, doch man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es sich nicht bei jedem Fremden um einen Heuchler handelt. Es ist unvermeidlich, dass sich Wasser und Luft nach langer Zeit wieder begegnen..." *» Fyrirlitning Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)