Drachenseele von Hrafna (Das Herz einer Priesterin) ================================================================================ Kapitel 10: *~Yokaku~* ---------------------- "Der erste Eindruck löst je nach Menschenkenntnis ein Vorurteil oder eine Vorahnung aus." – Gerlinde Nyncke Kapitel 10 - Yokaku -Vorahnung- *Sind wir nicht alle den Ängsten unterlegen, die in unserem Innersten wohnen? Und sind es nicht letztendlich diese, die uns vor unüberlegten oder gefährlichen Taten warnen? Ist Angst nicht eines der natürlichsten Gefühle, die man zu empfinden weiß? Oder ist es bloß eine menschliche Abart um sein Leben zu bangen, die man auf kein anderes Lebewesen übertragen darf?* ּ›~ • ~‹ּ Mit einem letzten Blick auf Kakougen No Kyou wurde Midoriko in voller Intensität bewusst, wie sehr sich dieses Dorf doch verändert hatte; gestern hatte sie sein wahres Gesicht erblickt und mit einigem Schrecken feststellen müssen, dass sie vollkommen blind gewesen war. Wie hatte sie es nur so lange hier ausgehalten? Sie realisierte gleichermaßen, dass sie sich schon zu früheren Zeiten, als sie hier gewesen war, nicht wahrhaftig verstanden oder gar wohlgefühlt hatte. Auch hier lebten nur Menschen, die Midoriko ihres Ansehens wegen geduldet und freundlich behandelt hatten, als Menschen hatten sie sie ebenso wenig anerkannt wie jeder andere es auch getan hatte: überhaupt nicht. Sie war froh, diesen Ort endlich zu verlassen und nicht die Verpflichtung zu haben, zurückkehren zu müssen. Sie war Hinoe und den Dörflern nichts schuldig; Kakougen No Kyou würde mitsamt seiner Bewohner zu einer trüben Erinnerung werden, die nur ab und an im Kopf der jungen Frau wiederkehrte, bloß, um sofort wieder zu verschwinden. Es mochte wahr sein, dass sie nicht in der Lage war es vollständig aus ihrem Gedächtnis zu löschen, aber die Einzelheiten würden mit der Zeit nach und nach verloren gehen, bis nur noch ein dunkler Schatten davon übrig blieb und das gesamte Bild in ein vages Gespenst der Vergangenheit verwandelte. Midoriko wandte den Blick ab und umfasste die ledernen Zügel des Zaums ihres schwarzen Packpferdes, das die ganze Zeit neben ihre gestanden und eifrig die Rispen an den Enden der langen Grashalme abgeknabbert hatte. Kaneko schaute noch einmal flüchtig zu ihrer Herrin auf, ehe sie ihr folgte. Flúgar war längst vorangegangen, für ihn gab es weder einen Grund das Kaff anzustarren wie das Weib es tat, noch auf sie zu warten. Ihm stand es definitiv danach aus dieser Gegend zu verschwinden und wieder in die Wälder zu gelangen, in denen der Menschengeruch in der Luft verflog und somit aufhörte, seine empfindliche Nase zu belästigen. Im Gegenteil zu ihrer Ankunft in Kakougen No Kyou schwieg Midoriko, ihre Erkenntnis betrübte sie zusehends und stimmte sie traurig. Von außen her sah man ihr nichts an, in ihrem Gesicht war keine Spur von Trübseligkeit oder Traurigkeit zu erkennen, nur die emotionslose Maske, die Fassade, die sie gegen den Rest der Welt errichtet hatte, um ihr wahre Gefühlslage dahinter zu verbergen. Ihr Ich musste sie nicht verbergen, das hatte sie mit den vielen Erfahrungen, die sie hatte machen müssen, gelernt. Niemand sah sie als einen wirklichen Menschen an, man hielt sie bloß für eine von den Göttern gesegnete Miko, deren Pflicht es war, den Menschen mit ihren Fähigkeiten zu helfen. Der Dank dafür waren Ruhm, den sie nie gewollt hatte, und falsche Anerkennung von den Leuten, denen sie half. Die hügelige, kurzgrasige Landschaft zog sich ewig dahin, über den gesamten Tag und selbst am späten Nachmittag waren die riesigen Mischwälder gerade so in weiter Ferne zu erkennen. Ich seufzte. Mit Flúgar zu reisen bedeutete für mich wohl größere Strapazen, als ich bisher angenommen hatte. Ohne Pause lief er Stunde um Stunde voran - ungeachtet des drückend warmen, schwülen Wetters -, sein Tempo blieb vollkommen konstant und er blieb niemals stehen, schien sich nicht einmal orientieren zu müssen. Entweder kannte er den Weg genau, oder er lief geradewegs ins Blaue herein; ich wusste es nicht. Wohin gingen wir überhaupt? Um ehrlich zu sein hatte ich kein Ziel vor Augen, das ich anstrebte und genaugenommen war ich froh darüber, dass er sicher wusste, wohin er wollte. Zumindest wirkte er sehr zielstrebig. Damit hatte sich die Sache dann auch. Fragen wollte ich ihn nicht unbedingt; das, was in Kakougen No Kyou vorgefallen war, wollte einfach nicht aus meinen Gedanken weichen, ich fühlte mich deswegen unbehaglich und matt, in gewisser Weise belastet. Seine kurzangebunden, eiskalte Art war wirklich das allerletzte, was ich in diesem Moment brauchte... Mein Blick schweifte von Flúgars breitem Rücken über die eintönigen, grasbewachsenen Hügel zum Horizont, an dem sich - meiner bislang unbemerkt - dunkle Wolken aufzutürmen begonnen hatten. Schwarze Gewitterwolken ballten sich zu einer undurchdringlichen Front, durchzuckt von grellen Lichtblitzen, die die schwarzen Massen zuweilen vollkommen willkürlich in ein tiefviolettes Nuancenspiel tauchten. Wenige Augenblicke später tönte das tiefe Grollen eines Donnerschlags über die ausgedörrte, verlassene Gegend. Mir wurde es mulmig zumute; ich mochte keine Gewitter, aber wie es aussah, zog die gewaltige, düstere Wolkenbank genau in diese Richtung. Es würde nicht lange dauern, bis die Sonne gänzlich verschwinden und der Sturm letztendlich losbrechen würde. Sommergewitter waren für mich zu einer Art schlechtem Omen geworden - sie zogen das Unheil unmittelbar nach sich. Außer mir störte sich niemand an den heraufziehenden, pechschwarzen Wolken; Flúgar ging unverkannt seiner Wege, Kaneko lief völlig unbeeindruckt direkt neben mir, und Inazuma, der schwarze Wallach zu meiner Rechten, legte bloß die Ohren etwas zurück und ergriff jede noch so kleine Gelegenheit, die ihm meine Unaufmerksamkeit bot, um sich hier und da einen längeren Grashalm zu angeln. Das nächste Donnergrollen ließ mich instinktiv zusammenzucken, und erschrocken musste ich wiederum feststellen, dass es weit und breit keine Möglichkeit gab, sich unterzustellen, um sich irgendwie von dem Gewittersturm abschirmen zu können. Mir wurde stetig unwohler in meiner Haut. Ein Blick nach oben verriet mir die gegenwärtige Lage: der Himmel zog in Windeseile zu, färbte sich in den düstersten Tönen, die Sonne verschwand mit einem Mal und die Sicht wurde diesig. Für keinen - außer mich - ein Grund zur gesteigerten Unruhe. Dann, für einen Augenblick, war alles still, nichts regte sich, kein Windzug, keine Blitze, nichts. Ich hielt vorausahnender Weise die Luft an, denn das war es, das man die Ruhe vor dem Sturm nannte... Schließlich öffnete der Himmel wie auf Befehl seine Schleusen und ein Regenschauer von seltener Heftigkeit ging auf das Land hernieder. Das laute Prasseln der dicken Tropfen, wenn sie auf die harte Erde trafen, wurde bloß von den vereinzelten Donnerschlägen unterbrochen; ab und zu zuckte ein gleißender, zackiger Lichtstrahl durch die massigen, dunklen Leiber der Wolken, die wie eine dichte, schwarze Decke direkt unter dem Himmel hingen. Niemand nahm merklich Notiz davon, nur ich fühlte mich elendig und bekam es langsam aber sicher mit der Angst zu tun; dieses Wetter konnte einfach nichts Gutes verheißen, das spürte ich. Zudem war meine Kleidung schon nach sehr kurzer Zeit vollkommen durchgeweicht und selbst meine Rüstung hielt das Wasser nicht lange vom Stoff und den Partien meines Körpers darunter, ab. Die Nässe wurde von einer eigenartigen Kälte begleitet, denn rein von den herrschenden Temperaturen her, wäre man nicht einmal auf die Idee gekommen zu frieren, es war eigentlich zufriedenstellend mild. Und trotzdem fror ich. Was weiter? Ich wusste es nicht, jede Bewegung in meinen vollgesogenen Kleidungsstücken verlangsamte meine Schritte und brachte mich bereits nach einer überaus kurzen Strecke zum Stillstehen. Kaneko suchte unter Inazumas großem Rumpf Schutz, sie mochte diese Begebenheiten noch weniger als ich. Der Rappe, des Wetters absolut unbewegt, widmete sich währenddessen dem Gras zu seinen Hufen, rupfte genüsslich, und ignorierte die gelegentlichen Blitz- und Donnerschläge geflissentlich. Und was war mit dem unerschütterlichen Youkai? Der Regen fiel so dicht, dass er die Sicht wie ein Schleier trübte, und ich nicht weiter, als vielleicht eine Schrittlänge in die Ferne zu sehen vermochte. Natürlich konnte ich ihn nicht ausmachen. Sollte ich nach ihm rufen? Alleine wollte ich hier bestimmt nicht sein, und von sich aus auf mich warten entsprach nicht gerade seinem Wesen, was sollte ich denn sonst tun? Auf dieser Stelle stehen bleiben und auf besseres Wetter warten? Ohne irgendeine Gestik, die ihn erreichte, würde er mich hier zurücklassen, und das war etwas, das mir fast panische Angst einjagte. So weit voran war er doch gar nicht gewesen, er konnte doch nicht einfach verschwunden sein, er... "Eh?" Etwas Weiches berührte meine Wangen, streifte meine Arme; plötzlich verschwand das Gefühl der schweren Regentropfen auf meiner Haut. Was...? Verwirrt blinzelte ich, schaute auf. Flúgar stand in nicht weit entfernt von mir, Inazuma an den Zügeln haltend, und warf einen flüchtigen Blick in meine Richtung; Rinnsale von Wasser bahnten sich einen Weg über seine langen Haare, einzelne Tropfen perlten von den kürzeren Strähnen, die ihm ins Gesicht fielen, zu Boden. Seine Miene war neutral, der Ausdruck in seinen Augen schwer zu deuten. Behutsam berührte meine Fingerspitzen das, was den Regen von meinem Körper fernhielt: es war weicher, weißer Stoff und just in diesem Augenblick realisierte ich, dass er seinen Haori nicht mehr trug, sondern nur noch ein schlichtes, weißes Untergewand, dessen Ärmel geradeso bis zu seinen Handgelenken reichten. Hieß das, er hatte mir seinen Haori...? Ich suchte den Kontakt zu seinen Augen, war erstaunt, verwundert, fassungslos; derweil setzte Flúgar sich in Bewegung, nahm wieder sein gewohntes Lauftempo auf und verschwand nach wenigen Schritten hinter dem Schleier des nun noch dichter fallenden Regens... Es war eine verdrießliche Nacht. Der Regen war versiegt und die Wolkendecke riss allmählich auf, brachte das Antlitz des runden, weißen Vollmondes zum Vorschein; ein kühler Wind wog die von Wassertropfen träge gewordenen Grashalme fast bis auf den Boden. Wir machten keine Pause, nicht einmal eine kurze Rast, kamen den großen Wäldern beständig näher; ohnehin hätte ich nicht schlafen können, meine Kleidung war noch klamm, der Untergrund völlig aufgeweicht, der mäßige Wind zu kalt um Ruhe zu finden. Immerhin hielt mich die ständige Bewegung des Laufens ein wenig warm. Mittlerweile lag Flúgars Haori nur noch um meine Schultern, aber ich war mir sicher, dass ich ohne ihn in meinen feuchten Sachen erbärmlich gefroren hätte. Außerdem hielt der dünnwirkende Stoff erstaunlicherweise einen beträchtlichen Teil der kalten Böen von mir ab. Ich hatte aufgehört, mich zu fragen, warum er mir dieses besondere Kleidungsstück geliehen hatte, es war sinnlos, da ich ihn ohnehin nicht fragen würde. Mehr als eine bissige Antwort, mit der er wahrscheinlich nicht einmal auf meine Frage einging, würde die Resonanz nicht sein. Es war gut, so wie es war. Zumindest ließ sich aus diesem Verhalten schließen, dass er auch eine andere Seite hatte; eine Seite, die er vermutlich nicht gerne preisgeben mochte... aber warum hatte er es dann getan? Es war ein Teufelskreis, der immer wieder an der Frage des Grundes einen neuen Anfang, aber sogleich das altbekannte Ende fand. Ein fremdartiges Geräusch zog meine Aufmerksamkeit auf sich; es klang wie überdrehtes Gekicher, wurde mal leiser, mal lauter. Verdutzt sah ich mich um. Überall auf der recht ebenen Wiese tanzten bunte Lichtpunkte umher, verschwanden manchmal einen Moment, bevor sie an einem vollkommen anderen Ort wieder in Erscheinung traten. Dieses Phänomen wurde von dem irrwitzigen Kichern begleitet, das gelegentlich auch in ein spöttisches Gelächter umsprang. Jetzt war ich wirklich konfus. Mit großen Augen beobachtete ich die merkwürdigen, schwebenden Punkte, lauschte dem scheinbar lustigen Treiben. Kaneko war die Sache nicht geheuer, die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf, unruhig wedelten ihre Schwänze hin und her. Inazuma hatte die Ohren gespitzt, blähte die Nüstern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, den Kopf so anmutig und hoch getragen, wie er konnte. Flúgar blendete den ganzen Zirkus um sich herum einfach aus. Jetzt bildeten die vielen verschiedenfarbigen Lichter miteinander eine lange Kette, hatten im Nu einen großzügigen, geschlossenen Kreis um uns gebildet und tanzten auf und ab; dazu natürlich wieder höchstvergnügtes Gekicher von allen Seiten. Was war hier los? Ich begann mich ernsthaft zu fragen, ob ich wahrhaftig bei Bewusstsein war oder vielleicht während des Gewitters vom Blitz getroffen worden war und den Verstand verloren hatte. Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Ich hatte ja schon viel gehört, selbst gesehen und erlebt, aber so etwas?! Es sah so aus, als spielten sie eine Art Ringelreihen, zogen enger werdende kreisförmige Runden um uns; in seiner allgemeinen Einheit hörte sich das kichernde Gelächter fast wie ein simpler Kinderreim in einer anderen Sprache an. Also alles was recht war, aber diese Situation empfand ich nicht ansatzweise als amüsant... Einige der Lichter lösten sich aus der Kette, bewegten sich lautlos, nur von trügerischem Feixen begleitet, auf die Zentrum des Kreises zu. Ohne jegliche Vorwarnung tauchte es, keinen Meter mehr von mir entfernt, vor mir auf. Der Anblick jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken; das etwa zwei Ellen große Gebilde schwebte in der Luft, ein kompakter Körper, der keine erkenntlichen Gliedmaßen aufwies. Es trug eine einfache, weiße Maske, aus deren Augenschlitzen kleine, rotglühende Augen hervorblitzten und - zu meiner absoluten Verwirrung - einen kleinen dunkelblauen Kapuzenmantel, der reichlich mit goldenen Ornamenten und Säumen bestickt war. Vor sich hielt es ein gläsernes Gefäß, das einen Deckel sowie einen Henkel besaß, in dem grüne Glühwürmchen umherschwirrten; wie das Wesen den Behälter allerdings festhielt, war mir schleierhaft. Die Erscheinung fing an, um ihre eigene Achse zu wirbeln, die Augen auf mich gerichtet, immer schneller werdend, und brach schließlich in ein irres Gelächter aus, als ich einen Schritt zurück trat, um aus dem Schwingradius seiner kleinen Glaskanne zu entkommen. Ich wandte mich um, im Begriff Flúgar lautstark zu Rate zu ziehen, aber meine Sicht wurde von einem weiteren dieser suspekten Gesellen versperrt. Eigentlich sah er genauso aus, die Unterschiede zwischen ihnen taten sich nur bei den Farben ihrer Gewänder, ihrer Glühwürmchen und den Formen ihrer Masken auf. Insgesamt waren es vier, die mich umringten und sich wie blöde um sich selbst drehten, überdies leises Tuscheln, unterbrochen von gekünsteltem Kichern. Diese Taktik gefiel mir ganz und gar nicht, ein Anflug von Panik überkam mich, als sie sich näherten. Unschlüssig, in welche Richtung ich fliehen sollte, duckte ich mich kurzerhand unter ihnen hinweg und rannte blindlings davon. Meine Flucht war von - unübertrieben - sehr kurzer Dauer, denn sie war sofort wieder vorbei, als sich mir plötzlich ein nicht in Erwägung gezogener Widerstand auftat und ich mich auf meinem Allerwertesten sitzend im Gras wiederfand. Das Schlimmste erwartend hob ich vorsichtig den Blick, begegnete den mondbeschienenen Zügen Flúgars. "Hrævareldar..." Ich runzelte überfragt die Stirn, denn sein Murmeln, auch wenn es nicht an mich gerichtet war, klang außerordentlich seltsam. Im Hintergrund erkannte ich Kaneko, die verzweifelt versuchte, die lästigen Kreaturen zu verscheuchen, indem sie sich ihrer größeren Form bediente und mit den ansehnlichen Pranken nach ihnen schlug. Erfolglos. Keinen Wimpernschlag später scharrten sie sich wieder um mich und diesmal - gezwungenermaßen - auch um den nicht gerade davon begeisterten Dämon. Unsicher sah ich zu ihm auf, in der Hoffnung, er würde endlich etwas unternehmen und diese Biester vertreiben. Argwöhnisch betrachtete er das bunte Treiben der bizarren Erscheinungen aus den Augenwinkeln, seine akustische Drohung in Form eines tiefen Knurrens nahmen sie nicht wahr. Damit wurden sie in meinen Augen zu Selbstmördern; wie schwer von Begriff konnte man denn sein? Oder war es ihnen schlichtweg egal? Wenn es Geister waren, mussten sie sich in so einem Falle wirklich keine weiteren Gedanken machen, dann konnte Flúgar ihnen rein gar nichts anhaben. Aber irgendwie glaubte ich bei diesen Dingern nicht, dass es Geister waren... Aus heiterem Himmel wurde ich ziemlich unsanft am Oberarm gepackt und auf die Beine gezogen, überrumpelt erkannte ich Flúgar unmittelbar neben mir. "Halt dich von ihnen fern." Ich wechselte einen Blick zwischen ihm und den vor sich hin kichernden Kreaturen; seine Begeisterung über diese Viecher hielt sich in nicht zu ermittelnden Grenzen. Anscheinend raubten sie nicht nur mir den letzten Nerv. "Sind das Youkai?" Es war seltsam, wie dicht er mich bei sich duldete; ich berührte ihn fast, und er brachte keinerlei Einwände dagegen ein, nicht einmal annähernd. Ich hob meinen Kopf leicht an, einen fragenden Ausdruck im Gesicht wahrend. "Nein. Das sind Hrævareldar." Nani? Er hatte diese Frage, die ich an mich selbst adressiert hatte, gehört? Wie...? Ich hatte weniger als ein leises Flüstern von mir gegeben, selbst bei dieser Nähe hätte er es unter normalen Umständen nicht gehört haben können. Oder hatte ich doch so laut gesprochen? Mein Gesichtsausdruck blieb weiterhin fragend, als ich versuchte, mir die Bezeichnung für diese Phänomene noch einmal in den Sinn zu rufen, aber es wollte mir bei bestem Willen nicht gelingen. Wozu auch diese komplizierten Namen? Auf einmal ward es still; der Spuk war vorbei. Das Einzige, was noch an unsere Begegnung erinnerte, war die kleine Glaskanne mit den grünen Glühwürmchen, die einsam im zentralen Punkt des jetzt bloß noch imaginären Kreises stand... ּ›~ • ~‹ּ Die Sonne strebte ihrem höchsten Stand entgegen, ihre wärmenden Strahlen fielen durch das satte Grün der Blätter der umliegenden Bäume. Es war früher Nachmittag und unter diesen herrlichen Bedingungen vergaß man schnell die Unannehmlichkeiten des letzten Tages und der Nacht. Der Waldweg gabelte sich vor ihnen in zwei fast gegensätzliche Richtungen; der eine führte in das Herz des Waldes hinein, der andere beschrieb einen langen Bogen am Rande um den Wald herum. Flúgar hatte nicht gezögert, und sofort den Pfad eingeschlagen, der sie mitten in den Wald führen würde, während Midoriko noch unschlüssig vor der Gabelung stand und überlegte. Abermals kamen Erinnerungen an Sagen in ihr hoch, die sich um diese Gegend hier rankten; angeblich hausten in den Untiefen dieses Waldes besonders gefährliche Youkai, die Menschen alles andere als wohlgesonnen waren und niemand, so hieß es, der jemals diesen Pfad beschritten hatte, war wieder lebendig zurückgekehrt. Das Alter des Waldes schreckte die zum Teil sehr abergläubischen Menschen ab, vielleicht wirkte dieser Ort gerade aus diesem Grund so anziehend auf die Dämonen. Dort waren sie ungestört und die Dörfer waren sicher vor ihnen; eigentlich die perfekte Lösung. Diesen Frieden, wenn man es so nennen konnte, wollte sie nicht unbedingt stören, denn das würde womöglich schreckliche Konsequenzen nach sich ziehen, die sie nicht am eigenen Leib erfahren wollte. Natürlich konnte Flúgar diesen Weg risikofrei betreten, er war auch ein Youkai, aber sie war ein Mensch; wie stellte er sich das vor? "Beweg dich, Kona!" Midoriko schaute ihm nach, zwischen ihnen lag schon eine beträchtliche Distanz und er blieb noch immer nicht stehen. Kona? Für einen kurzen Moment runzelte sie nachdenklich die Stirn über diesen Ausdruck. "Aber... aber das ist der falsche Weg!" Diese Aussage schien in nicht zu kümmern, und da er sich ohnehin nicht umsah, nahm er die Gestik, die ihre Bestimmtheit und Sicherheit unterstreichen sollte, nicht wahr. "Unsinn." Dem wusste sie im ersten Moment nicht wirklich etwas Schlagkräftiges entgegenzusetzen. Wesentlich leiser als zuvor erhob sie noch einmal die Stimme. "Woher willst du das wissen..." Es ärgerte sie, dass er sie nicht ernst nahm und vollkommen darauf bestand, im Recht zu sein. Was bildete er sich eigentlich ein? "Ich kenne diese Gegend." Überrascht sah sie auf. Er kannte sich hier aus? Er würde mit Sicherheit eine Warnung aussprechen, sobald es - für sie - gefährlich werden würde, wie in der letzten Nacht bei den Hrævareldar... Sie nickte, ergriff Inazumas Lederzügel und schloss rasch zu Flúgar auf, der sich dann doch dazu durchgerungen zu haben schien, wenigstens kurz auf sie zu warten. Dennoch begleitet sie eine schlechte Vorahnung, als sie dem Youkai in den Wald folgte. Irgendetwas stimmte nicht... Die Stunden schleppten sich nur so dahin. Es war angenehm kühl, da sie immer tiefer in den Wald gelangten, aber die Atmosphäre wurde zusehends unheimlicher, nahezu bedrohlich. Es war eigenartig; in diesem Wald war es mucksmäuschenstill. Midoriko hielt Schritt hinter Flúgar. Wenn sie sich hier verlief oder anderweitig irgendwie verloren ging, war es vorbei, sie würde nicht wieder zurück finden. Alles kam ihr befremdlich vor, die Bäume waren riesig, uralt, zeugten von längst vergangenen Zeitaltern; ihre Kronen stiegen weit gen Himmel auf und fingen den Großteil des Sonnenlichtes bereits in diesen luftigen Höhen ab. Es gab wenig Dickicht, aber aufgrund des fehlenden Lichtes war die Sicht auch so schon nicht sonderlich gut - für sie, wie es mit ihrem Begleiter aussah, wusste sie nicht. Der Pfad war längst verschwunden, und das machte nicht bloß die Priesterin nervös. Auch das Packpferd und der Nekoyoukai waren angespannt, die trügerische Stille war auch ihnen nicht geheuer. Irgendjemand musste sie brechen, es war nicht auszuhalten. "Flúgar?" Die Miko zog den mittlerweile getrockneten Haori von Inazumas Rücken und faltete ihn sorgsam vor sich zusammen. Kurz nach Morgengrauen hatten sie eine kurze Rast an einem kleinen Fluss eingelegt und Midoriko hatte die Gelegenheit ergriffen und den doch ein wenig in Mitleidenschaft gezogenen Haori gewaschen. "Was?" Ein wenig verlegen schaute sie zu Boden, suchte nach passenden Worten, ehe sie ihm das Kleidungsstück entgegenreichte. "Arigatou." Sie verbeugte sich leicht, sah aber nicht auf. Von ihm kam weiter keine Reaktion, wortlos nahm er es entgegen, war mit einigen Handgriffen seinerseits wieder vollständig bekleidet und setzte unverhohlen seinen Weg fort. Sie folgte ihm auf den Fuß, denn je tiefer sie in diesen Wald vordrangen, desto unwohler wurde ihr. ּ›~ • ~‹ּ [Anm.] Hrævareldar - Irrlichter Kona - Weib, Frau ***>>> Kapitel 11: >"Tief im dunklen Wald lauert eine unsichtbare Gefahr, eine tückische Falle, aus der es für das Opfer kein Entrinnen mehr gibt. Unvorsichtigkeit und Sturheit führen schließlich zu einem Ungehorsam, der über Leben und Tod entscheiden wird..." *» Óbeit Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)