Drachenseele von Hrafna (Das Herz einer Priesterin) ================================================================================ Prolog: *~Midoriko~* -------------------- "Mancher Mensch hat ein großes Feuer in seiner Seele, und niemand kommt, um sich daran zu wärmen." – Vincent van Gogh Prolog - Midoriko *Existiert die vermeintlich höhere Macht des Schicksals wirklich oder ist es nur ein von Menschen erdachtes Trugbild, das in die Irre führt? Eine surreale Fata Morgana, der sich der Gläubige fügen muss? Bleibt diesem eine Aussicht auf Erfolg, wenn er versucht, sich aus den verworrenen, engen Maschen des schwarzen Netzes zu winden um so endlich seine Freiheit zu erlangen?* ּ›~ • ~‹ּ "Am Anfang gab es keine Trennung zwischen Himmel und Erde, alles war eins, eine einzige chaotische Masse. Der reine und klare Teil erhob sich zum Himmel, der schwere und festere Teil senkte sich herab und wurde zur Erde. Alles trieb jedoch noch auf der Oberfläche des Ur-Ozeans. Da traten die ersten drei Gottheiten in die Welt; es waren die Götter des Himmels und der schöpferischen Kräfte. Dann folgte die vierte Gottheit in Gestalt eines Schilfrohrschößlings, die Leben aus dem Ozean keimen ließ. Die fünfte Gottheit errichtete die himmlische Sphäre. Die ersten Fünf waren himmlische Götter. Nach und nach entstanden weitere Gottheiten, unter ihnen traten auch die Geschwister Izanagi und Izanami in die Welt. Diese beiden erhielten nun von den himmlischen Göttern die Aufgabe, die Erschaffung des Festlandes zu beenden. Zu diesem Zwecke überreichten sie ihnen eine mit Juwelen geschmückte Lanze. Auf einem Regenbogen stehend, tauchten sie diese Lanze in den Ozean und rührten ihn um. Als sie die Lanze wieder aus dem Wasser heraushoben, tropfte von der Spitze Salz herab, das zu einer Insel gerann. Izanagi und Izanami stiegen aus dem Himmel auf die Insel hinab und errichteten einen wunderschönen Palast und einen himmlischen Pfeiler. Hier erkannten sie das erste Mal, dass sie von unterschiedlichem Geschlecht waren. Da umkreisten sie den himmlischen Pfeiler, der Mann von links und die Frau von rechts, um sich so bei ihrem Aufeinandertreffen auf menschliche Weise hinter dem Pfeiler zusammenzufinden. So zeugten sie miteinander viele Nachkommen, darunter auch Oh-Yashima-Guni und die kleineren Inseln. So entstand das Festland. Als diese Aufgabe abgeschlossen war, zeugten sie zahlreiche Gottheiten, unter ihnen auch Amaterasu, die Sonnengöttin. Bei der Geburt des Feuergottes Kagutsuchi wurde Izanami jedoch sehr schwer verbrannt, dass sie starb und in die Unterwelt einkehrte. Wehklagend begrub Izanagi seine geliebte Frau auf dem Berge Hiba. Dem Feuergott schlug er den Kopf ab. Vergeblich versuchte Izanagi weiterhin, seine Frau aus dem Totenreich zurückzuholen. In die Menschenwelt zurückgekehrt, wusch er sich sogleich gründlich in einem Fluss den Schmutz der Unterwelt vom Körper; dabei entstanden wiederum neue Götter, die auch wieder Nachkommen zeugten und so die Inseln mit Leben füllten..." Die Sonne stand bereits tief, ihre schwindenden Strahlen färbten die Wolken, tauchten sie in die verschiedensten Nuancen eines zarten Rosas; die Bäume warfen lange, dunkle Schatten auf den ausgedörrten Boden, der Regen ließ dieses Jahr auf sich warten. Durch die warme Luft tönten im Hintergrund die lauten Stimmen der am kräftig orangeleuchtenden Horizont vorbeiziehenden Krähen, im Vordergrund verblieb es ruhig, die Bewohner des kleinen Provinzdorfes schwiegen nahezu andächtig, als die Priesterin mit dem Ende ihrer Erzählung verstummte. Die junge Frau erhob sich, löste ihren Blick gänzlich von den vielen Kindern, die ihr aufmerksam zugehört hatten. Sie hielt das Seufzen, welches ihrer Kehle zu entkommen versuchte, geflissentlich zurück, betrachtete das warme Farbenspiel am Himmel, folgte mit den Augen den Bewegungen der dunklen Vögel. ,Wie gerne wäre sie so frei wie einer von ihnen gewesen... "Midoriko-sama, bitte erzählt uns noch eine Geschichte, bitte, nur noch eine!" Ein kleines Mädchen zupfte am Hakama der Miko, sah nahezu flehend an ihr hoch. Die Angesprochene reagierte nicht merklich, verharrte in ihrer Position, bedachte das Kind mit einem milden, aber erzwungenem Lächeln, strich ihm abwesend mit einer beiläufigen Bewegung durch das schwarze Haar. ... aber ihr schien es nicht vergönnt zu sein, frei oder wahrhaft glücklich zu sein oder es zu werden... "Nächstes Mal bestimmt, versprochen." Sie hoffte insgeheim nicht in dieses Dorf zurückkehren zu müssen. Der sanftgehaltene Ton der Worte stimmte das Mädchen trotzdessen zufrieden, entlockte ihm ein vorfreudiges Lächeln, sowie ein eifriges, bejahendes Nicken. ... ihre vermeintliche Gabe hielt sie gefangen, niemand wollte den Menschen, der unmittelbar dahinter stand, sehen... "Bleibt doch noch ein wenig, Midoriko-sama." Der Dorfälteste stand nicht weit entfernt, stützte sich schwerfällig auf einen knorpeligen Stock; sie wandte den Blick leicht in seine Richtung ab, sah ihn aber nicht direkt an. Stimme und Gestalt des Dorfoberhauptes waren deutlich vom Alter gezeichnet, er wirkte überaus gebrechlich und befürchtete sein baldiges Ableben. Midoriko durchschaute sein wahres Anliegen, so wie sie es bei jedem anderen auch vermochte; unfreiwillig geschah es ihr jedes Mal. ... sie war sich dem wahren Wesen des Menschen bewusst, nicht nur ihre Oberflächlichkeit und Unehrlichkeit waren ohne Grenzen... All jene, die ihre Hilfe in Anspruch nahmen, verlangten nicht nach Midoriko, sondern nach ihren Fähigkeiten... "Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, alsbald werdet ihr nicht von uns scheiden." Er schenkte dem, was sie sagte, Glauben, natürlich tat er das: schließlich war sie zu diesen Zeiten die wohl bekannteste Miko im Reich. Ihren Worten konnte man in jedem Fall trauen, ihre Fähigkeiten überschritten die der anderen Priester um Längen. Sie war berühmt für ihr Können, genoss das höchste Ansehen unmittelbar nach dem Tennô; ihr Name war in aller Munde. Selbst unter den Youkai kannte man sie, aber dort war sie gefürchtet. Ihre unheimlichen Kräfte erlaubten es ihr, einem Wesen die Seele zu entziehen und diese zu läutern. Die Seele eines Dämons zu reinigen bedeutete für diesen den Verlust seiner übernatürlichen Fähigkeiten und somit für die meisten den Verlust der eigenen Identität und ihres ursprünglichen Seins. Diese Priesterin fürchteten sie mehr als jeden anderen Krieger, mehr als jeden Mönch, sogar mehr als die Dämonenjäger. Aus ihrer Angst ging ein unbändiger Hass hervor, um jeden Preis wollten sie den Tod dieser Miko. Aus ihrer Perspektive durfte es keinen solchen Menschen geben, keine Menschenfrau durfte so übermächtig sein. Und darum wusste Midoriko. ... von den einen für ihre Fähigkeit höchstlobend verehrt, von den anderen bis auf das Äußerste dafür gehasst... "Dann gehabt euch wohl, werte Priesterin, und möge Amaterasu Ômikami ihre Hände auch schützend über euer Haupt halten." ... in ihrem tiefsten Inneren war sie stets alleine, verlassen... Er deutete eine leichte Verbeugung an, trat dann einen halben Schritt zurück, für einen Moment beherrschte die Ehrfurcht seinen Blick. "Ich danke euch, Ojiisan, möge euch das selbige wiederfahren." ... aber der Blick und die Geste des Greises gingen bloß durch sie hindurch. Höflichkeit war eine Fassade, auch von ihrer Seite aus; aber im Gegensatz zu den anderen Menschen brauchte sich Midoriko nicht zu verstecken, da sie ohnehin niemand wirklich sah oder es auch nur wollte...' Sie verbeugte sich höflich, ließ bald darauf das Dorf hinter sich und begab sich auf den Rückweg. Immerzu war sie alleine unterwegs, es schien niemanden zu geben, der das Wagnis eingehen wollte, sie zu begleiten. Sie war ihrer Gabe, die sie zu einer lebenslangen Gefangenschaft verurteilte, mehr als leid. Für Midoriko war es keine Gabe, kein Segen, vielmehr ein Fluch, den sie weder abschütteln noch in irgendeiner Art und Weise entrinnen konnte. So viele Dinge blieben ihr verwährt, sie wurde dadurch so vieler, unzähliger Selbstverständlichkeiten beraubt... sie hielt ihre tiefe Verzweiflung in sich verwahrt, ebenso die Trauer und manchmal auch die Wut, die sie empfand; sie hielt ihr Leid verborgen. Ohnehin hätte es niemanden interessiert; Midoriko war alleine, auf sich gestellt, schon immer. Die Vorteile, die ihre Fähigkeiten hingegen mit sich brachten, wurden, für scheinbar niemanden sichtbar, vollkommen von ihren Schattenseiten dunkel überlagert... ּ›~ • ~‹ּ ***>>> Kapitel 1: >"In den aufkommenden Schatten der Nacht treffen zwei mächtige Präsenzen aufeinander - der Wald hüllt sich währenddessen unbeteiligt in trügerische Stille. Nur einer kann lebend aus dieser Begegnung hervorgehen, und das Schicksal des Anderen besiegelt sich noch in der Dämmerung..." *» Mótspyrna Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)