Der tote Vogel von Schattenwald ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Jan ging vom Studium nach Hause. Mitten auf der Straße sah er einen Vogel sitzen. Eine wunderschöne Amsel, deren Federkleid wie neu war und die fröhlich auf der Straße Brotkrumen wegpickte, die Passanten ihr hinwarfen. Jan setzte sich auf eine Bank und sah der Amsel zu. Sie hüpfte umher und pickte unbeschwert und mit großem Hunger ihr Futter auf. Plötzlich kam ein Auto die Straße entlanggefahren. Es hatte wohl, trotz der Ortschaft, mehr als 100 km/h auf dem Tacho. Alles ging ganz schnell. Ein kurzes Ruckeln, ein letztes Piepen. Blut spritzte umher. Die Fahrerin hatte die Amsel totgefahren. Das Auto zischte davon. Die Leute standen da, empört, schimpfend und kopfschüttelnd. Jan nahm den toten Vogel und legte ihn zur Seite. Der nächste Tag. Jan ging wieder nach Hause. Er sah wieder das Auto mit der Fahrerin. Er beschloss, am dritten Tag eher heimzukehren. Dritter Tag. Jan nahm die tote Amsel aus dem Gras. Er hatte sie ein wenig unter eine Dornenhecke gelegt, damit sie nicht von Katzen gefressen wurde. Jan legte den Vogel auf die Straße und stellte sich daneben. Als das Auto wieder kam, lief er zwischen das Auto und die Amsel. Die Fahrerin bremste und raunte den Jungen voll, was er sich denn dabei denke, vor ein fahrendes Auto zu laufen. Jan antwortete nur: "Sie sind vorgestern über diesen Vogel gefahren. Ich finde es einfach nur unverschämt von Ihnen, nicht erst den Vogel wegfliegen zu lassen. Sie wissen doch gar nicht, wie froh diese Amsel gerade war!" Die Frau lachte ihn nur aus und meinte kalt: "Ist doch eh nur'n Vogel! Was macht das schon aus?" Sie stieg ein und fuhr weg. Jan blieb stocksteif stehen. Er fühlte, wie sich in ihm eine unmessbare Wut anstaute. Er ging in die Wohnung. Den restlichen Tag konnte er an nichts anderes mehr denken. Vierter Tag. Jan kam wieder zeitige und wartete auf die Frau in dem Auto, was die Amsel totfuhr. Als sie ankam, legte Jan sich vor sie auf die Straße. Sie bremste abrupt und stieg aus. "Was soll das schon wieder?", schrie sie ihn an. Jan stand auf und starrte ihr tief in die Augen: "Für mich kannst du anhalten, aber für eine Amsel fährst du einfach so weiter, als sei nichts gewesen. Dass dich dein verdammtes Gewissen nicht auffrisst, du Mörderin!" Die Frau lachte Jan wieder aus: "Was redest du da eigentlich?" Jan legte sich wieder hin. Mitten auf die enge Straße: "Wenn du vorbei willst, überfahr'mich endlich, wie du es mit der Amsel getan hast. Einen Mord hast du ja schon auf der Seele brennen. Da kommt es auf meinen Tod nicht an, oder?" Die Frau stieg wutentbrannt in ihr Auto und fuhr einige Meter zurück. Sie gab Gas und fuhr direkt auf Jan zu. Doch der blieb liegen. Sie bremste nicht; er stand nicht auf. Im letzten Moment riss die Frau das Steuer zur Seite und landete im Straßengraben. Jan ging zu ihr hin und sah durch die Scheibe: Sie weinte. "Du hast Recht..." Jan wollte gehen, als sie ihm hinterherrief: "Gib' mir bitte die Amsel!" Jan holte sie wortlos und gab sie der Frau. Diese begrub sie auf der Stelle. Jan sah dem nur lächelnd zu. Als die Frau gehen wollte, drückte ihr Jan ein Geldbündel in die Hand: "Hier. Für ein neues Auto. Keine sorge, wir sind reich. Und sie haben es ja kapiert." Die Frau sah Jan lange an. Sie blieb. Lange. Die beiden wurden ein Paar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)