Jenseits der Träume von abgemeldet ================================================================================ Am nächsten Morgen war bereits abzusehen, dass der Tag noch wärmer werden würde als der vorherige. Ein strahlend blauer, wolkenloser Himmel wölbte sich über der Landschaft und die Luft flimmerte über dem Asphalt. Der Erde war staubtrocken und stellenweise konnte ich Risse im Boden entdecken. Selbst die Vögel schienen Angesichts der herrschenden Hitze ihre Stimme verloren zu haben. Obwohl "Hitze" wirklich untertrieben war. Es war an diesem Tag nicht nur drückend heiß sondern regelrecht schwül und man konnte beinahe riechen, dass es in der nächsten Zeit ein Gewitter geben mußte. Nicht ein einziges Lüftchen wehte und selbst während ich ruhig in meinem Klappstuhl auf der Terrasse saß lief mir der Schweiß in Strömen über den Körper. Dabei hatte ich mir extra ein schattiges Plätzchen gesucht und neben mir auf dem Tisch stand ein Glas Apfelsaft mit Eiswürfeln, während auf meinen bloßen das Buch über König Artus Oberschenkeln lag. Hin und wieder summte eine Biene an mir vorbei und in den Büschen zu meiner Linken sangen die Vögel in einer dichten Brombeerhecke. Aus den anderen Gärten hörte man die fröhlichen Rufe spielender Kinder und durch die geöffneten Fenster hinter mir erklang das Klirren von Geschirr, da meine Mutter sich gerade mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigte. Ich meinerseits hatte beschlossen, den Morgen gemütlich zu hause zu verbringen. Am Nachmittag wollte meine Eltern dann nach Münster fahren, um einzukaufen. June war schon seit den frühen Morgenstunden bei ihrem Pflegepferd Heartbreaker, dass irgendwo auf einem Hof außerhalb der Stadt stand. Ich bin normalerweise sehr gern zu hause, aber an diesem Tag war mir einfach nicht danach. Daher wollte auch ich den Nachmittag in der Stadt verbringen. Zuerst wollte ich die Fußgängerzone entlang bummeln und mir die Auslagen in den Schaufenstern ansehen. Für die Sommerferien, die ich mit meiner Familie an der Ostsee verbringen würde, benötigte ich noch zwei oder drei neue T-Shirts, ein Paar Sandalen und vielleicht noch eine neue Hose. Danach wollte ich mir abschließend noch ein kühles Eis genehmigen. Gegen halb drei Uhr Nachmittags ging ich noch einmal schnell ins Bad um mich noch ein wenig frisch zu machen. Ich ging ins Bad, drehte den Wasserhahn auf, nahm beide Hände voll Wasser und wusch mir damit das Gesicht. Das Wasser war wunderbar kühl und erfrischend. Mit halb geschlossenen Augen tastete ich nach einem Handtuch und begann mir damit das Gesicht abzutrocknen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich ein silbernes Schimmern, dass über den Spiegel huschte, direkt neben meinem Spiegelbild. Überrascht hielt ich mitten in der Bewegung inne und starrte auf das Glas. Doch es war nichts mehr zu sehen. "Ein Lichtreflex..." murmelte ich und trocknete mir weiter das Gesicht an. Kurz danach schwang ich mich in den Sattel und fuhr in die Stadt. Der Fahrtwind war ungeheuer erfrischend und zerrte an meinen kurzen Haaren. Besonders während ich bergab fuhr, konnte ich leicht die Hitze vergessen. Erst als ich mein Fahrrad bei der öffentlichen Bücherei abstellte brannte die Sonne wieder auf meinen Rücken. Die Temperaturen in der Innenstadt waren noch höher, so dass man sich zwischen den engen Gassen, die an beiden Seiten mit lückenlosen Häuserzeilen umgeben waren, beinahe wie in einer Sauna fühlte. Vermutlich war dies der erste Punkt an diesem Tag, an dem ich bereute das Haus verlassen zu haben, aber ich ahnte auch nicht, dass noch ein weitaus gewichtigerer Grund auf mich wartete. So verschob ich jedenfalls einige Punkte in meinem Plan genehmigte ich mir zunächst einmal ein großes Eis. Zitrone, Erdbeere und Kirsche mit einem großen Klecks Sahne. Anschließend schlenderte ich die Straßen entlang und warf einen Blick in die Schaufenster. Dabei versuchte ich angestrengt möglichst lange in den seltenen Schattenflecken zu bleiben, während ich an meinem Eis leckte und von den durch Klimaanlagen gekühlten Läden träumte. So ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich - sobald ich den letzten Bissen meiner Waffel in den Mund geschoben hatte - schnell die Geschäftsräume aufsuchte und sie nach einem geeigneten Strandoutfit durchsuchte. Auf diese Weise entdeckte ich tatsächlich die Dinge, die ich gesucht hatte ( und natürlich noch einige andere, die ich weder gesucht hatte noch wirklich brauchte und die ich trotzdem mitnahm ). Als ich den letzten Laden verlassen hatte entdeckte ich erfreut, dass das Schicksal es für einen kurzen Moment gut gemeint und mir tatsächlich Regenwolken geschickt hatte. Außerdem war eine leichte Brise aufgekommen und die Kronen der vereinzelt stehenden Bäume rauschten sanft im Wind. Allein der Gedanke an einen erfrischenden Regenguß war ungemein belebend, so dass die Vorstellung naß zu werden mich absolut nicht störte. Im Gegenteil. Ich freute mich schon darauf im Regen zu stehen. Gemächlich schlenderte ich die Nordstraße hinunter. Dabei entdeckte ich meine beste Freundin Annika und wir entschlossen uns spontan ein weiteres Eis zu essen. - Zumindest entschied ich mich kurzfristig für diese kleine Abkühlung als meine Freundin durchblicken ließ, dass sie mich zur Feier des Tages einladen wollte. Ich glaube wir saßen ungefähr eine Stunde lang in der gemütlich eingerichteten Eisdiele. Wir hatten uns an einen kleinen Tisch in einer Ecke des Raumes gesetzt. Vor uns standen jeweils ein Eisbecher und ein Milchshake, an dem wir ab und zu nippten. Wir unterhielten uns über Themen, über die jeder Teenager, besonders Mädchen in unserem Alter, stundenlang reden können: Schulkameradinnen und Freundinnen ( allgemein ist diese Art der Konversation auch als ?Lästern? bekannt ), die neusten CDs und Musikvideos, Fernsehen, den Film, den ich gerade gesehen hatte und natürlich Jungs. Während wir und unterhielten zog sich draußen der Himmel immer weiter zu. Dicke graue und schwarze Wolken türmten sich am Horizont auf und bildeten bizarre Gebirge. Der Wind fegte abgerissene grüne Blätter und Papierfetzen über die gepflasterten Wege und hin und wieder blitzte es am Himmel verdächtig auf. "Vielleicht sollten wir zahlen und verschwinden," schlug ich vor und warf einen besorgten Blick aus dem Fenster. "Hast du was gegen Regen?" Annika sah mich lächelnd an. "Nein. Gegen einen leichten Schauer habe ich nichts. Aber ein ausgewachsenes Gewitter ist nicht nach meinem Geschmack." Annika schaute ebenfalls kurz durch die dicken Glasscheiben. Dann strich sie sich mit einer Hand das lange Haar aus der Stirn und seufzte: "Wahrscheinlich hast du recht. Ich kann mir auch was Besseres vorstellen als völlig durchweicht nach hause zu kommen...Aber was hälst du davon, wenn du noch ein wenig mit zu uns kommst? Meine Eltern sind nicht da und wir könnten uns eine Pizza in den Ofen schieben." "Keine schlechte Idee. Besonders die Sache mit der Pizza gefällt mir." Ich schlürfte den Rest des Shakes aus meinem Becher, während Annika ihre Geldbörse zückte und bezahlte. Anschließend verließen wir gemeinsam den Laden und liefen hinüber zur Bücherei, wo auch Annika ihr Rad abgestellt hatte. Wir öffneten die Schlösser und schwangen uns in den Sattel. Dieses Mal mußten wir den größten Teil des Weges bergauf fahren und wir kamen ordentlich ins Schwitzen. Um uns zu erholen, machten wir es uns, sobald wir die Wohnung meiner Freundin erreicht hatten, auf dem Sofa bequem und schalteten den Fernseher ein. Die nächste Zeit verbrachten wir damit Talkshows zu sehen und uns sowohl über die Themen als auch über die Gäste der verschiedenen Sendungen lustig zu machen. Gegen halb sieben rief ich meine Eltern an , um ihnen zu sagen wo ich war und das ich in ein bis zwei Stunden zu hause sein würde. Danach wärmten wir uns die angekündigte Pizza auf und aßen, während wir weiter über wer-weiß-was für Themen redeten. Als ich mich schließlich auf den Heimweg machen wollte war es draußen stockdunkel. Ungewöhnlich für den Spätsommer, doch das Wetter erklärte alles: Die Straßen schimmerten vor Nässe, doch nicht ein Tropfen viel vom Himmel, während ich mit Annika vor der geschlossenen Haustür stand und in die Nacht hinaus starrte. "Wirklich ungemütlich, was?" seufzte ich. Annika nickte: "Du ahnst ja nicht, wie froh ich bin, dass ich da nicht durch muß..." Ich lächelte gequält: "Aber ich kann es mir lebhaft vorstellen!...Aber was solls! Ich muß los! Wir sehen uns!" ?Ja, bis dann! Machs gut!? Annika winkte zum Abschied und schloß die Tür, während ich zu meinem Fahrrad hinüber ging. Ich warf einen Blick hinauf zum Himmel. Die Wolken hingen dicht über der Erde und schienen beinahe den Boden zu berühren. Weder der Mond noch die Sterne waren zu sehen, die Lichtkreise, die die Straßenlaternen warfen wirkten wie trübe Kleckse in der Dunkelheit und in einiger Entfernung verschwammen sie sogar in der Dunkelheit. Es hatte sich deutlich abgekühlt und der Wind war nicht mehr frisch, sondern kalt. In regelmäßigen Abständen kam ein heftiger Windstoß auf, fuhr pfeifend um die Ecken und ließ die Blätter der Bäume rauschen. Fröstelnd rieb ich mir über die bloßen Oberarme. Wenn das Ganze nicht so ungemütlich wäre, wäre es fast ein wenig unheimlich. So aber war es nur naß und kalt und unangenehm, und um ehrlich zu sein - ich fror ganz entsetzlich. Wahrscheinlich hörte man mein Zähneklappern noch am anderen Ende der Stadt. "Na ja. Dann wollen wir mal...," sagte ich leise zur mir selbst, schaltete das Licht ein und wischte das Wasser von meinem Sattel. Doch dann konnte es endlich los gehen. Immer wenn ich durch eine Pfütze fuhr spritzte Wasser zu beiden Seiten in die Höhe. Das Geräusch, dass dabei entstand, war das Einzige, dass in der stillen Nacht zu hören war. Nur hin und wieder fiel ein Lichtschimmer durch die Fenster der nahen Häuser auf die Straße und ließ die Regenwasser aufblitzen. Schon nach wenigen Minuten hatte ich eine Gänsehaut auf Armen und Beinen und ich begann zu zittern. Ich wollte einfach nur noch so schnell wie möglich nach hause. Nach hause, eine warme Dusche und dann unter meine warme Bettdecke... Das war genau nach meinem Geschmack. Vielleicht noch einen warmen Kakao und mein Buch und der Abend wäre perfekt. Kakao...warmer Kakao im Hochsommer... Dieser Kälte und der Regen waren deprimierend und brachten mich anscheinend völlig durcheinander. Ich bog ab und ging aus dem Sattel, um eine leichte Steigung besser nehmen zu können. Anschließend fuhr ich ungeschickterweise direkt durch ein tiefe Pfütze, so dass das kalte Wasser mir auf die Beine spritzte. Wahrscheinlich würde ich daheim aussehen, als ob ich mich im Schlamm gewälzt hätte. Entweder dass oder ich schaute aus der Wäsche wie ein begossener Pudel... Egal auf welche Variante es hinauslief, meine Mutter würde sich mit Sicherheit freuen. Fast genauso sehr wie die Waschmaschine... Ich seufzte und legte an Tempo zu. Als ich ein weiteres Mal abbog, begann es wieder zu regnen. Dicke Tropfen schlugen mir hart ins Gesicht und eine heftige Windböe nahm mir beinahe den Atem. Durch den starken Regen konnte ich kaum noch etwas sehen, denn alles im Abstand von mehr als ein oder zwei Metern verschwamm hinter dem dichten Vorhang aus glänzenden Tropfen. Daher hielt ich den Blick fest auf den Boden vor mir gerichtet, während das stetige Rauschen des Regens mir in den Ohren dröhnte. Warum war ich nicht endlich zu hause?! Warum bloß? Aus welchem Grund war ich nur zu Annika gefahren? Seufzend wischte ich mir mit einer Hand das Wasser aus dem Gesicht und strich mir das nasse Haar aus der Stirn. Dann warf ich einen kurzen Blick zur Seite, um erkennen zu können wo ich mich befand. Gott sei Dank. Ich hatte es fast geschafft. Jetzt nur noch die Straße entlang die hinter der nächsten Biegung lag, über die nächste Querstraße, einmal links und ich war auf der Sackgasse, auf der unser Haus stand. Wie gewöhnlich fuhr ich quer über die Fahrbahn um den Weg abzukürzen. Glücklicherweise fuhr hier nie ein Auto entlang. Jedenfalls war das normalerweise der Fall. Leider nicht an diesem Tag. Diesmal kam mir tatsächlich ein Fahrzeug entgegen, doch durch den strömenden Regen sah ich die verschwommenen gelben Scheinwerfer zu spät. Wahrscheinlich war der Fahrer genauso überrascht wie ich und genauso wenig wie ich war er in der Lage zu reagieren, also zu bremsen oder auszuweichen. Ich konnte nicht einmal mehr schreien. Das Letzte, woran ich mich erinnere ist das Licht der Scheinwerfer, das von einer Sekunde zur anderen so hell wurde, dass es mich blendete. Der harte Ruck als das Auto mein Rad erfaßte und ich aus dem Sattel geschleudert wurde. Der graue, regennasse Asphalt, der sich plötzlich über mein ganzes Blickfeld erstreckte und immer näher kam. Der Aufprall, als ich hart auf dem Boden aufschlug und die Luft schlagartig aus meinen Lungen gepreßt wurde. Die qualvollen Schmerzen, die mich durchzuckten. Dann nichts mehr. Für lange, sehr lange Zeit. Nichts. Nur Dunkelheit. Absolute Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)