Tochter der Sonne von Tamy-kitsune ================================================================================ Kapitel 1: Kyrina ----------------- Aus alter Gewohnheit begrüßte Sonntaster wie an jedem Morgen die Sonne. Langsam setzte er Schritt vor Schritt, vertraute seinen Sinnen, die ihn sicher die Anhöhe hinauf geleiteten. Die Sonne selber konnte er nicht mehr sehen, nur ihre Wärme spüren. Der alte Elf spürte eine Bewegung, die nicht von dem ständigen Wind verursacht sein konnte. Ein Lächeln spielte über seine Züge, als er jemanden mit seinem Stab ertastete. "Wer ist da?" Die Frage erschien ihm fast schon unnötig, denn er wußte es. Für ihn nicht sichtbar, erhob sich eine schlanke Gestalt mit langen schwarzen Haaren, deren blauer Glanz noch intensiver war als das Funkeln der bernsteinfarbenen Augen. Die junge Elfe strich sich die wirren Strähnen aus der Stirn und schob das schmale Leinengewand zurecht. Anders als viele Mädchen des Sonnendorfes bevorzugte sie die Kleidung einer Jägerin und verrzichtete auf Verzierungen oder klimpernden Schmuck. An jeder Seite ihres stolz wirkenden Gesichtes hingen zwei fein geflochtene Zöpfe herab. "Ich bin es, Kyrina." Der alte Elf nickte. Vor seinem inneren Auge sah er sie, die Heilerin des Sonnentales, die eher für einen der wenigen Jäger gehalten werden konnte, unter denen ihr Bruder Rajek trotz seiner Jugend und des lahmen Armes der beste war. Die Geschwister gleichen einander nicht nur im Aussehen, auch im Verhalten - und das, obwohl sie nur die gleiche Mutter hatten. Kyrinas Vater war ein Wanderer gewesen. Ein Elf in seltsamer Gewandung und mit dem Duft des Grünwuchsortes an sich, hatte Sorgenend vor vielen Jahren gefunden. Das Erkennen hatte ihn an eine Sonnentalerin gebunden, doch nachdem das Verlangen gestillt worden war, hatte er sie schon wieder verlassen. Es schien ihm nicht wichtig gewesen zu sein, sein Kind kennenzulernen. Kyrina, die sich selber lieber als Kyri bezeichnete, wuchs rasch heran, ein ernstes Kind, das früh erwachsen geworden war. Savah hatte sich bemüht, ihre magischen Gaben zu schulen, aber Kyrina hatte in stärkerem Maße das Blut ihres Vaters in sich pochen gespürt und war sehr ungeduldig gewesen. Ihre Mutter, deren Kunst es gewesen war, wunderschöne Krüge zu formen, hatte sich, als sie spürte, daß ihre Tochter ihrer nicht mehr bedurfte einem Elfen zugewand und das Mädchen alleine gelassen. So war sie alleine geblieben und hatte sich immer mehr abgesonderd. Ihre Gaben waren ungleichmäßig und unkontrolliert, als Heilerin half sie nur selten. Sonntaster wußte, daß das Kind, daß in Toorahs Bauch heranwuchs, einmal viel stärker und sicherer als Kyrina sein würde. Aber er verurteilte die junge Elfe nicht wegen ihres Verhaltens. Sie war von einer inneren Unruhe erfüllt, die eines Tages... "Savah weiß es schon, und du sollst es auch wissen", sagte Kyrina nun ruhig. "Ich werde das Tal bald verlassen. Sorgenend ist für mich eher ein Sorgenanfang, denn ich fühle mich hier nicht wohl. Niemals." "Meine Tochter ...", Sonntaster blieb behutsam, "... vielleicht merkst du es nicht, aber du wirst geliebt, und einige werden dich vermissen. Du bist niemals allein gewesen." Ein zorniges Schnauben und Klappern erklang. Kyrina trat einen Stein weg. Sonntaster spürte, daß sie es nicht wahrhaben wollte. "Das ist doch Unsinn. Sie werden deine Tochter als Heilerin haben, und die Kleine wird viel besser und sanfter sein als ich. Sie wird Verständnis für solche Dinge wie deine selbstgewählte Blindheit haben", antwortete sie unfreundlich. "Ich bin eben wie mein Vater, den ich nur aus den Erzählungen Savahs kenne. Und deshalb werde ich das Dorf verlassen. Ich gehöre nicht hier hin und möchte ..." Kyrina verstummte abrupt, so als habe sie sich ertappt, zu viel zu sagen. Sonntaster kannte die Antwort sehr wohl, aber er schwieg und nickte nur. 'Suche deinen Vater, um die Antworten auf deine Fragen zu finden.' Er spürte, wie Kyrina sich entfernte und wandte seinen Blich zur Sonne wie an jedem Morgen. Die einsame Reiterin ließ ihr Zwoot mit hängenden Zügeln in die Öde trotten. Sie selber saß vornübergebeugt in ihrem Sattel, der weiße Mantel schützte sie vor der brennenden Sonne. Kyrinas Abschied vom Sonnental war ein stummer und heimlicher gewesen. Eine kurze Berührung ihres Geistes mit dem der "Mutter der Erinnerung", die ihr Mut und Stärke vermittelt hatte, und ein letzter Gruß an Rajek, der ihr das Zwoot verschafft hatte, war das einzige gewesen. Sie war nun mehr als acht Tage unterwegs, und das Wasser vor zwei Nächten zur Neige gegangen. Ihre Augen brannten, und der Körper fühlte sich ausgedörrt an. Kyrina verzweifelte nicht, aber die Gewißheit, sterben zu können wuchs und erweckte in ihr Beklemmung. Sie schreckte auf. Trotz des Durstes waren ihre anderen Sinne noch nicht geschwächt. Täuschte sie sich, oder waren da wirklich noch andere Laute außer dem stetigen Heulen des Windes oder dem Knistern der Sandkörner? Sie zwang sich, die Augen zu öffnen und entdeckte einen dunklen Punkt, der rasch näher kam. Mit letzter Kraft streckte sie eine Hand zum Himmel und versuchte, sich bemerkbar zu machen. Dann sank sie entgültig zur Seite. Den Fall in den Sand spürte sie bereits nicht mehr. Sieh nur, wie weich die Gewänder sind, die sie trägt. Was ist das?" "Und die Waffe? Ein weicher, gelber Stein, der kühl sein kann, aber auch glühend heiß wird, wenn er in der Sonne liegt. Genauso wie ihre Armreifen und der Halsschmuck. - Ob sie zu den Räubern gehört? Sie hat dunkle Haut wie wir, aber alles andere an ihr ist seltsam und fremd." Kyrina erwachte langsam aus einem langen, von Träumen und Fieber durchdrungenen Schlaf. Sie öffnete die augen jedoch nicht, um weiter dem Gespräch lauschen zu können. Doch ihre Bewegungen waren nicht unbemerkt geblieben. "Still, Sandhaar. Ich glaube sie ist wach!" Kyrina öffnete die Augen und musterte die beiden Gestalten, die leicht zurückwichen mit klarem Blick. Große Augen, von dichten schwarzen Wimpern geschützt, starrten sie aufmerksam an. Elfen, deren Haut trockner und ledriger wirkte als die ihre, und deren Gewänder aus Leder und Fellen bestanden, standen vor ihr. Das wirre Haar der beiden hing strähnig den Rücken hinab und erreichte fast die Hüften. Das Elfenmädchen ergriff ein Schälchen und hielt es an Kyrinas Lippen. Die Elfe trank gierig und spürte, wie der schale Geschmack aus ihrem Mund wich. Als sie sich aufrichten wollte, machte der Elf eine herrische Geste. "Woher kommst du? Du gehörst nicht zu uns. Haben dich die Räuber geschickt, um unser Lager auszukundschaften?" "N...nein!" stieß Kyrina hervor und betrachtete ihre Umgebung. Das Zelt aus zwoot-Fellen war einfach und klein. Gestützt wurde es durch Holzstämme, die schon dunkel vom Alter waren. Sie selber lag auf einigen grob gewebten Decken. "Wo bin ich hier?" "Im Lager Feuerwinds." Erneut wollte sich die Elfe aufrichten, doch der Elf drückte sie zurück. Sein Blick war voller Ernst und Mißtrauen. "Er ist auf der Jagd und wird erst in der Dämmerung zurückkehren. Dann entscheiden er und die Ältesten über dein Schicksal, nachdem sie dich angehört haben. Solange bleibst du in diesem Zelt, denn wir wissen nicht, ob wir dir trauen können. Du mußt uns verstehen, wir wollen uns schützen." "Das stimmt", pfichtete ihm die Elfe bei. "Die Räuber haben schon viel versucht, um uns unseren Besitz zu nehmen. Wir fürchten Fremde." "Ihr redet so viel von den Räubern! Wer sind sie überhaupt?" "Elfen wie wir. Sie leben am Rand der Weltendeberge in einem kargen Tal. Aber sie haben mächtige Helfer, die ihnen Waffen und Kleidung, die aus Steinen wie deinem gemacht sind, geben. Auch Schmuck!" Dabei hielt die Elfe einen der Armreife hoch, die Kyrina als Erinnerung an ihre Mutter behalten hatte. Die schwarzhaarige Elfe schnaubte und schüttelte den Kopf. Doch sie schwieg, weil sie das Gefühl hatte, die Elfen würden ihr ohnehin nicht glauben. So entspannte sie sich wieder und atmete tief ein und aus. "Die Räuber jagten zuerst die Großen und stahlen ihnen die Beute. Doch dann flohen diese, weil sie Angst vor ihnen hatten. So kamen die Räuber zu uns und anderen Stämmen. Wir sind die einzigen, die sich noch gegen sie wehren können, auch wenn sie schon einige von uns getötet haben. Feuerhaar weiß wie, und wir vertrauen ihm!" Kyrinas augen weiteten sich. Entsetzt stieß sie hervor: "Kein Elf tötet einen anderen Elf!" "Diese schon", erwiderte der junge Elf. "Du bist erschreckt. Aber wie kannst du ... ich glaube allmählich auch, daß du keine von ihnen bist. Du erinnerst mich an den Wanderer, der ..." Er hob ihren Halsschmuck auf, an dem ein Anhänger aus klarem, gelben Stein befestigt war. Kyrinas Vater hatte diesen einst ihrer Mutter gegeben, um ihn an das Kind zu vererben. "Er trug eine ganze Kette mit diesen Steinen daran. Ich glaube, er nannte diese "Tränen der Bäume". Er ging nach einigen Mondwechseln fort, aber hatte Feuerhaar darin unterwiesen, wie er sich am besten gegen die Räuber verteidigen konnte. Ich weiß nicht einmal wie er hieß, er war nur "Der Wanderer"." Kyrina fuhr hoch. Dann starrte sie eine ganze Weile nachdenklich gegen die Zeltwand und ließ sich ganz langsam wieder zurücksinken. "Ich habe ihn bewundert. Hast du ihn gekannt?" Sie schweig und mochte nicht antworten. Irgendwie wollte sie jetzt alleine sein, um die Worte für sich zu begreifen. Feuerhaar war alt. Älter noch als Sonntaster, vielleicht sogar Savah, die er um eine Handbreit überragte. Seine Haut wirkte wie von Sonne und Wind gegerbt, denn sie mußte einmal viel heller gewesen sein. Sein flammenfarbenes Haar war nur schulterlang. Grüne Augen musterten Kyrina von Kopf bis Fuß, die ihre knappe Kleidung wieder angelegt hatte, und nun all ihren Willen aufbot, um stolz und selbstbewußt zu wirken. Doch hier wollte es nicht recht gelingen. Er starrte sie an - und wußte es. Sie spürte seine tastenden Gedanken und sperrte sich dagegen, maß ihre Gabe zu Senden mit der seinen. Als er jedoch ihren Widerstand spürte, zog er sich blitzartig zurück. Seine Augen ruhten dann auf dem Stein um ihren Hals. *Woher hast du ihn, Kind?* Kyrina lächelte und ignorierte sein aufforderndes Senden. *Zuerst sag mir, ob du ein Hoher oder Erstgeborener bist! * forderte sie im Gegenzug. *Wirst du es wagen, mir Schmerzen zuzufügen, um alles zu erfahren?* Er schüttelte unmerklich den Kopf. *Nein zu beiden Fragen. Ich bin weder das eine, noch würde ich das andere wagen. doch ich habe solch einen Stein wie deinen schon einmal gesehen.* *Mein Vater gab ihn meiner Mutter.* *Wo?* Kyrina schwieg. *Würdest du den Räubern die Heimat deines Stammes verraten?* Seine Augen begannen zu glühen, so wie die Stärke seines Sendens wuchs. Er übermittelte ihr erbarmungslos von früheren Geschehnissen - von der Grausamkeit der Räuber gegenüber den Großen, der Androhund, nicht einmal vor dem eigenen Volk zurückzuschrecken. Es war zuviel. Kyrina sank zitternd auf die Knie, als sie die ersten Morde an Elfen miterlebte, die von Elfen verübt wurden. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und zitterte heftig. *Glaubst du, dein Volk ist vor ihnen sicher?* Kyrina blickte ihn an. *Ja, solange ich mein Schweigen bewahre*, sagte sie laut. sie wußte, daß die anderen mitgehört hatten, denn der Häuptling hatte 'Offen' gesendet. Nun blickte er die Versammelten Mitglieder seines zwanzigköpfingen Stammes an, die nacheinander nickten, selbst die finstersten unter ihnen. Feuerhaar ergriff Kyrinas Hände. "Bleib bei uns solange du willst, Tochter des Wanderers, denn du gehörst nicht zu den Räubern ... und ich spüre, daß deine Kräfte noch geübt werden müssen. Willst du meine Schülerin sein? Deine Gaben würden uns helfen, denn unser Heiler starb vor vielen Jahren. Zögernd blickte sich die schwazrhaarige Elfe um, dann überlegte sie eine Weile und biß nervös auf ihre Lippen. Vielleicht...', dachte sie, schob dann aber alle Vorbehalte beiseite und nickte. "Ich bleibe eine Weile bei euch." "Ich habe nichts anderes erwartet, Tochter der Sonne." Die Zeit verging wie im Flug. Die Sonnentalerin vergaß ob Tage oder Monde vergingen, denn bald akzeptieren sie auch die Mißtrauischeren wie Sandhaar, und kamen wegen Verletzungen und Krankheiten zu ihr. Kyrina lernte von Feuerhaar Geduld und Ruhe, zwei Dinge, die ihr Savah nicht hatte beibringen können. In dem Maße wie sie sich zu beherrschen lernte, steigerte sie ihre magischen Fähigkeiten, sendete bald fast so stark wie der alte Elf und erlernte einen bannenden Blick, wie ihr Bruder. Selbst zu schweben fiel ihr nun leichter, und ihre Heilergabe wurde beständiger. Gleichzeitig aber ritt sie mit Feuerhaar und seinen Jägern in die Wüste, um die Sicherheit der kleinen Oase zu bewahren. Oft kamen sie dabei den Bergen recht nahe, in denen die Räuber hausten ... Besorgt schätzte Feuerhaar die Zeit anhand der Stellung der Monde. *Es dämmert bald, Kyrina, jal, Grünauge, wir drehen um.* *Warum?* Kyrina drehte sich im Sattel ihres Zwoots. Plötzlich zuckte sie zusammen und deutete wortlos auf eine Hügelkuppe. "Bei den Hohen! Sie haben begonnen, auch in der Nacht auszureiten!" zischte Feuerhaar und griff nach seinem Speer. Kyrina tat es ihm gleich, denn schon stürmte die Horde von dunkel gekleideten Elfen mit einem wilden, raubtierartigen Geheul auf sie zu. Ihre Absicht war deutlich zu erkennen. Kyrina spürte keine Angst, nur wilde Entschlossenheit, sich weder fangen noch töten zu lassen ... * Kein Kampf! Wir versuchen zu fliehen! * sendete Feuerhaar offen an seine Begleiter. *Verstreut euch und benutzt die bekannten Routen, um sie in die Irre zu führen. Kyri, du bleibst bei mir! * Seine Gedanken waren so eindringlich, daß sie jeden Widerspruch im Keim erstickten. Die Zwoot-Reiter stoben auseinander. Einige wichen zu den ungedeckten Seiten aus, andere fielen zurück und wandten sich den Angreifern zu. Nur Feuerherz ritt geradewegs auf die, durch Tücher vermummten, Angreifer zu, weil er und Kyrina die schnellsten Tiere besaßen. Die Sonnentalerin holte tief Atem. Mit schmalen Augen beobachtete sie die Angreifer, die sie in die Zange nahmen, *Was jetzt?* sendete sie erregt. *Nur ruhig! Ich weiß, was ich tue!* Feuerhaar katapultierte einen entgegenkommenden Reiter aus dem Sattel, zügelte sein Tier und hieb einen anderen, der dicht an seinem Zwoot vorüberschoß, mit dem Holz gegen den Kopf. Kyrina versuchte, es ihm gleichzutun, Sie ließ die Zügel fallen , umklammerte ihre Waffe mit beiden Händen, und fegte einen Reiter ungeschickt von seinem Zwoot. Doch ihr fehlte die Erfahrung und die Kraft Feuerhaars. Ehe sie sich versah, warf sich ein stämmiger Elf von hinten auf sie und riß Kyrina von ihrem Reittier. Der Aufprall wurde durch den feinen Sand gemildert, aber sie rollten noch die Düne hinunter. Sie versuchte zu treten und zu schlagen, doch sie kam unter den Elfen zu liegen.Das letzte, was sie wahrnahm, als behandschuhte Hände ihren Hals umklammerten und ihr die Luft abdrückten, war das eindringliche Senden Feuerhaars und der überraschte Blick tiefblauer Augen. Dann verlor die Heilerin ihr Bewußtsein. 'Wo bin ich?' waren ihre ersten Gedanken. Kyrina rang nach Luft und stellte fest, daß ihr die Kehle wehtat. Unbewußt legte sie ihre Hände an den Hals und ließ das Pochen weichen. Dann öffnete sie die Augen. Im Dämmerlicht eines fernen Ausganges konnte sie die zackigen Auswüchse der Höhlendecke sehen. Sie lag auf einer zerschlissenen Decke und Sand. Die Heilerin setzte sich auf. Sie war in diesem Höhlenloch alleine. Der einzige Ausgang war mit Metallstäben verschlossen. Sie blickte sich mißtrauisch um, ehe sie ihren Körper abtastete und dann aufstand. Erleichtert stellte sie fest, daß sie bis auf ihre Waffen noch alles besaß. Sie atmete auf und berührte kurz den Schmuck um ihren Hals. Dann pirschte sie sich an die Öffnung heran und blickte vorsichtig hinaus. Das Licht stammte von Fackeln, die in Halterungen aus dem gleichen Metall wie das der Stäbe, steckten. Sie beleuchteten einen Gang, der glatt aus dem Fels gehauen zu sein schien. Kyrina rümpfte die Nase. Es roch förmlich nach Magie. Besaßen die Räuber ähnliche Gaben wie Savah und die, die mit ihr aus dem Grünwuchsort geflohen waren? Yurek, Hasbeth und Dreen? Feuerhaar hatte sie gelehrt, elfische Magie zu spüren, doch das graue Metall kannte sie nicht. Es war kälter und härter als das gelbe Metall, das sie verwendeten. Plötzlich zuckte sie zusammen. Schwach, aber gerade noch verständlich, drang Senden in ihren Geist. *Kyrina, wie geht es dir?* Mit einem Mal wurde Feuerhaars schwacher Ruf unterbrochen. Jemand trennte ihre Verbindung grob und strahlte einen solchen Schmerz aus, daß die Heilerin laut und erschrocken nach Luft japste. Ihre Hände fuhren zu den Schläfen, dann atmete sie zur Beruhigung ein paar Mal ein und aus. Doch schon hörte sie langsame und schlurfende Schritte aus dem Gang. Kyrina lugte aus ihrer Höhle und schluckte, als sie das grobschlächtige, grünhäutige Wesen sah, daß an ihr vorüberging. Es war wohl so groß wie sie, aber dreimal so breit. Was ist das? fragte sie sich und lehnte sich gegen die Wand, ehe sie jedoch einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde sie erneut gestört. Aus der anderen Richtung erklangen laute Elfenstimmen, das Klirren von Metall und Schritte. Es waren die Räuber. Auch hier trugen sie ihre dunklen Gewänder und Tücher vor den Gesichtern. Es waren fünf und einer machte sich nun an der Wand zu schaffen, die sie nicht einsehen konnte. Staunend wartete Kyrina ab und sah, wie die Stäbe im Boden verschwanden. "Komm!" grollte einer der Elfen. "Unsere Häuptlinge wollen dich sehen, Fremde." Sie zögerte, beschloß dann aber zu gehorchen. Vielleicht vermochte sie in einem geeigneten Augenblick ihre Magie zu benutzen und sich dadurch zu befreien. Sie trat in den Gang und wartete ab. Die Fünf nahmen sie in die Mitte und führten sie durch viele Gänge hinunter und vorbei an ähnlichen Öffnungen. Manche von ihnen waren nicht versperrt und hell erleuchtet. Schließlich traten sie ins Freie. Die Nacht war angebrochen. Der Sternenhimmel spannte sich über ein langgestrecktes, auf allen vier Seiten von Felsen umgebenes Tal. Ein See befand sich im Zentrum. An seinen Ufern, zwischen Bäumen sah sie ein paar Feuer und sich bewegende Gestalten. Kyrina fühlte sich an Sorgenend erinnert, aber die Leichtlebigkeit des Dorfes war nicht zu spüren. Einer der Wächter gab ihr einen heftigen Stoß in den Rücken. "Weiter", knurrte er kurzangebunden, und sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick. Er war ein hochgewachsener Elf, der sie ein wenig an ihren Bruder Rajek erinnerte. Seine Kleidung bestand aus schwarzem Leder und grob gewebtem Stoff. Kyrina erkannte ihn an seinen Augen wieder. Er war der, der sie überwältigt hatte. Nun saß sie ihm in einem Kreis von finster blickenden Elfen gegenüber. Elfinnen hatte sie noch keine gesehen, so daß sie weiterhin vorsichtig blieb. Sie fragte sich nur, wo Feuerhaar gefangengehalten wurde. *Er ist in der Gewalt unserer Freunde und Helfer, der Trolle.* antwortete jemand mit spöttischem Unterton in ihrem Geist und übermittelte ein Bild, daß sie zusammenzucken ließ. Die blauen Augen des Elfen ihr gegenüber funkelten mitleidig. Er hatte ihre Gedanken gelesen. Kyrina schirmte sich hastig ab und musterte ihn dann, versuchte ihren bannenden Blick an ihm. Einen Moment lang glaubte sie, ihn unter ihren Willen zwingen zu können. Dann aber schüttelte er sie wie ein lästiges Insekt ab. Seine Stimme klang drohend über den Platz. "Ich sehe ... du findest dich nicht mit deiner Gefangennahme ab. Wer bist du?" Kyrina schwieg und legte die Hände in den Schoß. "Mir behagt es nicht, dir Schmerzen zu bereiten, aber sei versichert, daß ich es kann. Woher stammst du? Du bist ebensowenig eine Wüstenelfe, wie ich ein Hoher bin. Aber ich habe sie einmal geschaut. Ich bin Tildol. Nun nenne mir deinen Namen!" "Warum sollte ich?" Kyrina blieb ruhig, auch wenn sie innterlich vor Zorn über seine Arroganz bebte. "Erst will ich Feuerhaar sehen." "Das ist unmöglich. Die Trolle haben ihn als Teil ihrer Beute erhalten, denn er besitzt Fähigkeiten ... die sie benötigen. Vielleicht sollte ich dir erklären, warum." Tildol klatschte in die Hände und einer seiner Elfen erhob sich, um wenig später mit einem Krug voller Wasser zurückzukehren. Er reichte ihn Tildol, der ohne zu zögern einen Schluck aus dem irdenen Gefäß nahm, um es dann Kyrina entgegenzuhalten. "Ich denke, du hast durst, und der Abend ist noch lang. Zudem wirst du annehmen müssen, daß du damit eine Angehörige unseres Stames werden wirst, und dann keine Gefangene mehr bist." Kyrina, die den Krug schon zu den Lippen gehoben hatte, hielt inne. "Welche Pflichten habe ich als Mitglied eures Stammes? Ich habe meine eigenen Vorstellungen von Freiheit und Gehorsam." Der Häuptling lachte. "Deine Worte erinnern mich an jemanden, der vor vielen Jahren an der gleichen Stelle saß und ähnliche Worte wie du sagte. Nun gut. ich werde dir erst die Geschichte erzählen, wie unser Stamm entstand, damit du besser verstehst." Kyrina nickte. Sie behielt den Krug in Händen. "Vor langer Zeit verließen drei junge Elfen ihren Stamm, der in einem Wüstendorf seine Zuflucht gefunden hatte: Aledra, Shima, Tyldok und Dayel. Sie wollten den Grünwuchsort suchen, aus dem ihre Ahnmutter gekommen war. Sie wanderten lange und weit, fanden aber nur Sand, Steine und Sonne. Schließlich legten sie sich erschöpft nieder, um zu sterben, aber just in dieser Nacht entdeckten sie die Trolle - das sind grünhäutige, warzenbedeckte und häßliche Wesen, und retteten sie. Sie ließen sie am Leben, weil Aledra und Dayel kostbare Gaben besaßen, die sie von ihrem Ahnvater Yurek geerbt hatten - Stein nach ihrem Willen zu formen." Yurek! Kyrina zitterte innerlich. Wenn Savah daß nur mithören könnte. Hier saß sie also vor Verwandten ihres eigenen Stammes. Nein, gerade jetzt durfte sie ihnen nicht sagen, wo das Sonnendorf lag. "Sie mußten für die Trolle arbeiten, doch sie erreichten schließlich, daß sie frei in diesem Tal, zusammen mit einem anderen Elfen, Xijok, leben durften. Dieser hatte bald erkannt, daß die Grünhäutigen nach frischem Fleisch und Pflanzen gierten, deren Anbau sie selber nicht beherrschten, und so handelte er mit ihnen einen Bund aus: Von da an waren die Elfen frei. Sie erhielten Waffen und Werkzeuge aus dem blauen Metall, und die Trolle machten unser Leben seither behaglich, während wir für sie jagen und Pflanzen anbauen. Allerdings reicht das wenige, was wir hier heranziehen nicht, und so begannen wir damit, die anderen Wüstenstämme, die in den besonders heftigen Sturmzeiten in diese Gegend wanderten, zu überzeugen, mit uns zu arbeiten. Aber das wolten die wenigsten verstehen! Auch Shima, meine Mutter nicht, die den Trollen niemals getraut, und die anderen immer vor ihnen gewarnt hatte. Sie ging im Zorn fort, und ich habe sie niemals wieder gesehen." "Mit Recht!"antwortete Kyrina angewidert. "Ihr habt sie überfallen. Wie sollen sie euch verstehen, wenn ihr ihnen nur Leid bringt?" "Du redest wie dein Begleiter, den wir den Trollen als Sklaven überlassen haben, bis er unseren Weg versteht und uns folgt." "Das wird Feuerhaar niemals. Eher stirbt er." "Dann klebt sein Blut nicht an unseren Händen. Wir töten keine Elfen, soweit wir es vermeiden können." Kyrina schüttelte sich. Wie ekelhaft das klang. "Ich verstehe", murmelte sie. "Dann werde ich, wenn ich mich euch nicht anschließe, ebenfalls eine Sklavin sein." "Ich sehe, du besitzt einen klaren Verstand. Du wirst es als weiblicher Elf bei uns gut haben, denn du brauchst dich nicht in Gefahr zu begeben. Wir sind dreißig, aber nur fünf von uns sind Frauen. Wir brauchen frisches Blut in unseren Adern." "Und ich soll es euch geben?" "Ja, denn vielleicht ERKENNST du sogar einen von uns, wenn die Hohen es wollen", zischte der Blauäugige. "Du kannst mehr, als du zugibst." "Sandratten!" fauchte Kyrina und sprang auf die Beine. Sie zerschmetterte das Gefäß auf dem Boden. "Ihr nennt euch Elfen, aber ihr erinnert maich an die Erzählungen über die Großen! Ihr seid wie sie, herzlos, unverständig und grausam. Wenn ich um mich blicke, sehe ich einen Wahn in euren Augen, der mir Angst macht. Ich kenne diese Trolle nicht, aber ich sehe, daß ihr euch in eine noch schlimmere Gefangenschaft begeben habt." Die Räuber blickten sich an, begannen zu murmeln und raunen, während sie zunächst nur still herumgesessen hatten, Einige ergriffen ihre Waffen. "Sie spricht wie der Wanderer!" Tildol überragte sie um einen halben Kopf, als er sich erhob. "Bei den Hohen!" knurrte er und ergriff Kyrinas Handgelenke. Sie konnte sich jedoch noch einmal losreißen und ihm mit den gekrümten Fingern einer Hand durchs Gesicht fahren. Seine Augen wurden schmal, als er die blutigen Striemen in seinem Gesicht spürte. "Wahnsinniger!" keuchte Kyri. "Auch wenn du mich jetzt vielleicht zwingen willst, so weigere ich mich, mich deinem Stamm anzuschließen. Ich will meine Freiheit behalten." Tildol sagte nichts. Stattdessen verursachte er ihr durch seine Gedankenkraft Schmerzen. Obgleich die Elfe sich dagegen wehrte und eine schimmernde Aura der Heilung dagegen aufbaute, sank sie schließlich doch entkräftet zu Boden. Tildol ließ sie mit einem angewiderten Schnauben los. "Bringt sie zu König Steinbuckel. Vielleicht bringen seine Sklavenhöhlen die Kleine zur Vernunft. Kyrina erwachte durch ein Stöhnen. Obgleich ihr Körper schmerzte, vermochte sie sich doch aufzurichten und blickte in das Halbdunkel der Höhle. Ihre Füße konnte sie nicht bewegen, sie steckten in Ringen aus eng anliegendem Metall. *Kyri*, erreichte ein schwaches Senden ihren Geist. *Kyri, ich bin dicht neben dir. Was haben sie dir angetan?* "Feuerhaar?" Die Sonnentalerin tastete um sich und berührte schließlich den Körper eines Lebewesens. Tief in ihrem Innern wußte sie, daß die Feuchtigkeit, die ihre Hände verklebte, Blut war. *Sie haben mich gefoltert!* antwortete der Häuptling. *Ich schloß zehn von ihnen in einer Wand ein und tötete sie damit. Sie rächten sich nur.* "Ich werde dich heilen." "Nein", röchelte Feuerhaar. "Schone deine Kräfte für andere. Ich spüre, wie mein Leben entflieht und der Heimat aller Elfen entgegendrängt. Aber du mußt entkommen. Einmal am Tag. Essen. nutze deine Gaben, und das, was ich dir ..." Sie hörte, wie sich Feuerhaar über den Boden schob und ihre Fußfesseln berührte, sie mit seinen letzten Kräften schmolz. Dann sank er zu Boden. Die Elfe robbte zu ihm und legte ihre Hände auf den geschundenen Körper. Sie spürte, wie sein Lebenslicht immer schwächer wurde und schließlich erlosch. Tränen rangen über ihre Wangen. Sie fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben hilf- und machtlos, als sie neben der leeren Hülle des Elfen kauerte. Sein Tod sollte nicht sinnlos sein. Aber wie sollte sie das später den anderen des Stammes erklären? Sandhaar, die Feuerhaar so sehr geliebt hatte? Doch sie hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Sie hörte Schritte, und das Rasseln von metallenen Ketten auf Stein. Wie leicht der Troll doch zu bannen gewesen war, der in die Zelle gekomen war, um ihr eine Schüssel mit stinkendem Inhalt zu bringen. Kyrina stahl ihm eines seiner Messer, bevor sie ihn einschloß und rannte dann die Gänge hinunter. Wie sie nach draußen kam wußte sie nicht, also versuchte sie eine gewisse Logik in die Wahl ihrer Wege zu bringen. Einmal mußte sie einen entgegenkommenden Troll mit ihrem Blick bannen und hinter einer Ecke in eine Nische an der Decke schweben, doch nicht viel mehr. Ansonsten schonte sie ihre Kraft für das, was kommen mochte. Wie lange sie dafür brauchte, in unbewohntere Teile des Höhlensystemes zu gelangen, wußte sie nicht. Kyrina zwang sich, Maden zu essen, die sie in einer feuchten Grotte fand, um bei Kräften zu bleiben. Sie vermißte die Sonne, die bisher ihr ständiger Begleiter gewesen war, und fühlte, wie langsam dumpfe Verzweiflung ihren Körper erfaßte. Warum war sie geflohen? In Sicherheit und frei war sie deswegen sicher nicht. Ein grausiger Fund schreckte sie noch mehr. Die Elfe stolperte fast über die verblichenen Überreste eines, eindeutig ihrer Rasse zugehörigen Wesens. Die leeren Augen des Skelettes starrten sie höhnisch an, und die restlichen Fetzen des Gewandes verrieten entgültig, daß der Tote weiblich gewesen sein mußte. Kyrina schrie leise auf, als sie schließlich noch etwas anderes entdeckte. Ein Halsschmuck baumelte in den Brustkorb, der dem ihren glich. Vorsichtig griff danach und barg den gelben Stein in ihren Händen, in dessen Innerem kein Blatt, aber ein Insekt eingeschlossen war. Sie überlief es heiß und kalt. DAS war mit Sicherheit ein Stein ihres Vaters. Aber wie kam er hierher? Dunkel erinnerte sie sich an die Erzählung Tildols. Die Tote mußte Shima gewesen sein. Sie begann zu grübeln. War der Wanderer schon einmal vor ihrer Geburt im Sonnental gewesen und hatte dort gelebt? Warum hatte Savah ihr nie etwas davon erzählt? Warum hatte sie ihr das verschwiegen? Lag über allem ein besonderes Geheimnis? Sie presste den Schmuck gegen ihre Brust. Endlich verstand sie, was sie all die Jahre im Sonnental gesucht hatte: Den Sinn und Zweck ihres Lebens! Jetzt wußte sie ein Ziel, nach dem sie streben, auf das sie hinarbeiten konnte, und neue Kraft durchflutete sie. Sie hängte sich den Schmuck um und wanderte weiter. Zu ihrem Glück entdeckte sie bald seltsame Markierungen, denen sie folgen konnte. Die Räuber und Feuerhaars Stamm waren vergessen, als Kyrina endlich einen Weg nach draußen entdeckte. Die freundlichen Wüstenelfen, mit denen sie gelebt hatte, und die Räuber, die sie eher bemitleidete, als haßte, waren nur noch Erinnerungen, als sie auf dem Felsen stand, ein kühler Wind sie umtoste und den Weg wies. Sie sah vor sich den legendären Grünwuchsort und atmete tief ein und aus. Savahs Erzählungen würden ihr zugute kommen. Vielleicht fand sie dort weitere Spuren ihres Vaters, des seltsamen "Wanderers", der sie gezeugt hatte. Ihn zu finden, und das Rätsel zu lösen war von nun an Kyrinas Ziel. Kapitel 2: Der Grünwuchsort --------------------------- Das Blätterdach der hohen Bäume wirkte undurchdringlich. Seine Blätter raschelten in jedem, noch so leisen Windhauch, aber der drang nicht bis zum Boden vor. Dort war es drückend heiß. Die wenigen Sonnenflecken flirrten irrwitzig über den Boden und überall erklangen seltsame Rufe und Geräusche. Kyrina rang nach Luft. Längst hatte sie ihren Umhang und das Hemd ausgezogen und sich ein Tuch um den Oberkörper gebunden. Sie war Hitze gewohnt - aber nicht die Feuchtigkeit, die sie hier an diesem Grünwuchsort erwartet hatte. Sie blickte sich um. Längst hatte sie die Orientierung verloren und wußte nicht mehr, wohin sie lief. Kyrina schnaubte vor Zorn und ballte eine Faust. Sie erinnerte sich mit Zorn daran, wie frohgemut sie doch den unterirdischen Gang verlassen hatte - staunend über das viele Grün. Jetzt verfluchte sie es ebenso wie ihre Suche. In Savahs Geschichten hatte der Grünwuchsort nie so gefahrvoll und unheimlich gewirkt. Die beiden Anhänger aus gelbem Stein schlugen gegen ihre Brust. Seufzend erinnerte sich die Elfe, warum sie das geschützte Sonnendorf, ihre Heimat, verlassen hatte - nur um sich auf die Suche nach ihrem Vater zu machen, dem "Wanderer", der selbst in der Erinnerung der Ältesten des Dorfes nur ein Schatten gewesen war, ein Fremder, der noch vor ihrer Geburt verschwunden war. Von ihm hatte sie die innere Unruhe geerbt, die sie nach und nach den anderen Sonnentalern entfremdet und auf diese Reise geführt hatte. Einmal hatte sie schon Spuren gefunden, bei einem nomadisierenden Wüstenelfen-Stamm, der unter den Übergriffen von Räubern litten, anderen Elfen, die sich mit Trollen verbündet hatten... Nein - genug von der Vergangenheit - sie wollte nicht weiter daran denken. Plötzlich hob sie den Kopf und lauschte aufmerksam. Einer der unbekannten Laute war näher und lauter als sonst gewesen. Ihre Hand glitt zum Dolch aus Stein, doch noch ehe sie danach greifen konnte ... Etwas dunkles, glattes landete vor ihr. Das Wesen war über und über von Ranken und Blüten bedeckt, eine wirre Haarmähne verbarg das Gesicht. Das Ding reichte Kyrina vielleicht bis zur Schulter, aber es hatte die Kraft eines Zwoot. Kyrina schrie auf, als sie angesprungen und niedergeworfen wurde. Sie trat, schlug und kratzte, wand sich unter dem Wesen hervor, doch es war nicht allein. Mit wilden, gellenden Pfiffen fielen andere über sie her und nagelten sie mit geübten Griffen am Boden fest. Einer warf ihr Bünde zur Seite, ein anderer zog eine Rankenschlinge über ihren Kopf und zog sie mit keckerndem Kreischen zu. Kyrina rang nach Luft. Schon tanzten bunte Flecken vor ihren Augen. Dann wurde es dunkel... Als sie erwachte war es nicht anders. Sie rang verzweifelt nach Luft, und spürte, wie ihre Heilerkräfte eingriffen und die Schmerzen linderten. Dennoch vermochte sie weder Arme noch Beine zu bewegen. Sie öffnete mühsam die Augen und erkannte erst nach einer Weile, daß die dunklen Flecken über ihr belaubte Äste und Zweige waren, diesmal etwas lichter, so daß sie den einen oder anderen Stern erkennen konnte. Die Elfe drehte den Kopf zur Seite und stellte fest, daß sie auf einem Flechtwerk aus Ästen lag - gefesselt. Von ihren Widersachern war nichts zu sehen. "Bei den Hohen!" wisperte die Elfe. "Der Grünwuchsort ist gefährlicher, als Savah je erzählte. Aber ich bin keines ihrer schwachen, furchtsamen Kinder!" sprach sie sich selber wieder Mut zu. Ihr wurde kalt. Ein kühler Wind war aufgekommen und ließ sie erst jetzt bemerken, daß sie nichts mehr außer der Kette mit den beiden Steinen trug. Das war mehr als seltsam und ... Kyrina versuchte sich zu befreien, aber die, die sie gefesselt hatten, verstanden etwas von ihrem Handwerk. Sie blickte sich verzweifelt um. Jemand hatte sie hier in die Zweige gelegt, als wolle er sie aufbewahren, oder ... Kyrina fand nicht die richtigen Worte. Sie biß sich auf die Lippen und versuchte durch das Blätterdickicht zu sehen. Seltsamerweise hielten sich andere Tiere von diesem Ort fern. Auch roch sie einen bitteren, fast widerlichen Gestank in den Zweigen. Eine unheilvolle Aura lag über diesem Ort. Die Elfe schluckte unwillkürlich und Angst breitete sich in ihrem Körper aus. Sie verkrampfte sich. Kyrina zuckte zusammen, als sie spürte, daß sich ihr etwas näherte. Der Gestank wurde intensiver, übelkeiterregender, und die Spannung ihrer Muskeln stärker und schmerzhafter. Dann bohrte sich etwas wie ein glühender, brennender Pfeil in ihre Schläfen. Grelles Licht blendete sie, doch auch in ihrem Geist vermochte die Elfe genug zu sehen. Ein schreckenerregendes Wesen, halb Elf, halb Tier kroch auf sie zu. Die Magie, die Aura, die es ausstrahlte, erzeugte in ihr Ekel. Sie begann zu wimmern, als das Wesen sie erreichte, Schräge, weit aufgerissene grüne Augen über einer breiten Nase lugten unter einer fellartigen Mähne graubrauner Haare hervor, eine behhaarte Pranke streckte sich nach der schwarzhaarigen Elfe aus. Und dan wurde gelbe Raubtierzähne sichtbar. Und doch ... die Angst wich, als das Elfen-Tier-Wesen ihren Blick gefangen hielt. Die Heilerin spürte, wie es ungeschickt ihren Geist zu erforschen suchte und sperrte sich dagegen. Was auch immer es war, sie wollte sich nicht von ihm überwältigen lassen. Zumindest schien es einen wachen Verstand zu haben. "Mrroww!" knurrte es, als es die Kette mit den Steinen entdeckte und danach griff. "Nein!" zischte Kyrina. "Laß mir das einzige, was ich noch besitze!" Die Pranke senkte sich gehorsam, als verstehe sie es. Statt dessen legte das Wesen seine Pfote auf die Brust und schob ungeschickt das Fell beiseite. Kyrinas Augen weiteten sich. Konnte das wahr sein? Dort, in seiner Brust trug es einen Stein wie den Ihren. Wer war dieses Mischwesen, und was hatte ihn so verändert? "Woher ...?" wollte sie fragen, doch in diesem Augenblick näherten sich andere Wesen durch das Blätterdickicht. Das Wesen hob erschreckt den Kopf und floh, als ein Elf seinen Kopf durch das Blätterdickicht schob. "Es waren die Mawis, wie sich die Rundohren dieses Waldes nennen, und sie wollten dich ihren "Gott", opfern." Der alte Elf namens Jan-or reichte Kyrina eine kleine Schale mit einer öligen, wohlriechenden Flüssigkeit. "Rundohren oder Fünffinger", entgegnete Kyrina, "sind doch viel größer als wir, oder?" "Die Mawis nicht. Sie kamen vor langer Zeit von einem anderen Ort, und wir geraten immer wieder aneinander. Obwohl sie uns fürchten, oder gerade deswegen kämpfen wir gegeneinander. Und wir waren ihrer wilden Grausamkeit unterlegen bis..." Jan-or verstummte und deutete auf Kyrinas Schmuck. "... ein fremder Elf kam, der uns zeigte, wie wir sie in Schach halten konnten. Er erkannte zudem unsere Anführerin und schenkte ihr einen Sohn und einen Stein, wie du zwei besitzt. Und damit begann das Unheil. Er besaß seltsame Kräfte, mit denen er Fallen schuf, die die Mawis erschreckten und töteten. Aber sie kehrten sich auch wider uns, als er schon lange fort war ..." Jan-or schwieg und musterte sie mit einem seltsamen Funkeln in den Augen. Dann sprach er weiter. "Oh ja, Kje-na war ein guter, mutiger Jäger, aber dann geriet er an einen dieser unheimliche Orte. Es war seine Neugier, die ihn so schrecklich verwandelte und zu einer blutrünstigen Bestie machte, wie du sie gesehen hast. Er zerfleischte seine Mutter vor den Augen der Mawis und machte unseren Vorteil zunichte. Seither verehren sie ihn als Gott und opfern ihm ihre Gefangenen, die er bisher alle getötet hatte ... Du bist die erste, die er..." Kyrina legte eine Hand schützend auf die Steine. Sie spürte Aufregung in sich aufsteigen, und mahnte sich doch zur Vorsicht. Wieder fand sie eine neue Spur ihres Vaters, aber die war von üblen Vorzeichen überschattet. "Wie lang ist es her, daß der Fremde zu euch kam, und wie nannte er sich?" fragte sie dann neugierig. "Das war vor ungefähr drei mal acht und drei Regenzeiten. Und vier, seit der böse Zauber Kje-na verwandelte. Das war ein Werk dieses "Wanderers, der selbst seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn seinen wahren Namen nicht enthüllte. Jan, und seitdem geschehen seltsame Dinge in diesem Wald. Er hat ihn mit seinen Kräften verflucht..." Jan-or erzählte ihr von verwandelten Tieren, die sich miteinander vermischt hatten, einem verunstalteten Mawi, und seine Stimme wurde immer bitterer. "Und hüte dich vor Hara-nah. Sie war Kje-nas Lebensgefährtin und haßt den Fremden und alles was an ihn erinnert, seit das geschehen ist." Er deutete auf die Schar heimkehrender Jäger. Eine sehnige rothaarige Elfe kletterte diesen voran in das Baumdorf. Doch die Neuigkeiten hatten Hara-nah schnell erreicht. Als sich die Dunkelheit über das Dorf senkte, wurde Kyrina vor die Anführerin gebracht, die auf einer erhöhten Plattform aus Fellen thronte. Die Elfe bemerkte, daß der Stamm wesentlich mehr weibliche als männliche Mitglieder besaß, als sie diesen nun so versammelt vor sich sah. Die wenigsten waren in solch verspielte Kleidung mit Federn und Blüten gehüllt, wie sie sie von Jan-or erhalten hatte. Hara-nah und ihre Jäger trugen enganliegendes Leder und hielten ihre Waffen griffbereit. Die Elfen um Hara-nah und die Anführerin selber musterten Kyrina feindselig. "Ich hörte, daß die drei meiner Leute aus der Opferfalle der Mawi retteten. Sie taten dies aber nur, weil sie dich für eine von uns hielten, aber das war ein Fehler. Wir mögen keine Fremden, denn der letzte hat großes Unheil über uns gebracht. Er nannte sich Wanderer, und du..." Sie verstummte, als sie die Steine an dem Lederband um Kyrinas Hals entdeckte. "Baumkatzenkrallen und Blattgift!" zischte sie. "Das ist unmöglich!" Sie sprang auf und trat vor Kyrina. Die Sonnentalerin tat es ihr gleich. Sie machte jedoch keinen Schritt, als sich Speere auf sie richteten. Hara-na deutete auf sie. "Geh!" sagte sie mit kalter Stimme. "Geh, oder ich breche das Gesetz und töte dich!" Kyrina wich zurück, als die anderen sie auf den Rand der Plattform zutrieben. Hara-nah machte den anderen Zeichen. Sie wollte vielleicht nicht selber Hand anlegen, aber war dazu bereit, sie in den Tod zu stürzen. Und genau das würde Kyrina nicht mit sich machen lassen. Sie erspähte eine Lücke zwischen den Elfen. Ehe sich diese versahen, stürzte sie an Hara-nah vorbei, ließ den Kreis hinter sich und rannte über die schwankenden Hängebrücken, bis sie eine Leiter fand, auf der sie nach unten klettern konnte. Sie hörte Stimmen und Schreie hinter sich, also wollte Hara-nah sie nicht so einfach entkommen lassen. Wie groß war der Haß der Rothaarigen noch? Kyrina kletterte, so schnell sie konnte hinab. Ihr Instinkt warnte sie jedoch, sich lange den schwingenden Ranken zu überlassen. Gerade als sie nach einem Ast griff, lockerte sich die Ranke und stürzte in die Tiefe. Mit pochendem Herzen klammerte sich die Elfe an den glitschigen Stamm und verhielt sich leise, wartete, bis ihre Verfolger an ihr vorüber waren, ehe sie ihren Weg nach unten suchte, und so schnell sie konnte, davoneilte. Sie blieb bis zur Dunkelheit in Bewegung. Erst dann suchte sie ein Versteck und verkroch sich erschöpft darinnen. Kyrina erwachte, als etwas oder jemand nach ihr griff. Ihr erster Impuls war, nach einer Waffe zu greifen, aber da erinnerte sie sich, daß sie sie längst verloren hatte und nichts außer ihren Händen und Fähigkeiten besaß. Dann wich sich den behaarten Pranken aus und schlug ihre Hände gegen den Brustkorb des Wesens - des Tier-Elfen, der sie festhalten wollte. Jetzt, im Licht der Sonne sah sie, daß sich der einstige Jäger Kje-na mit einer großen Katze verbunden hatte. Überall bedeckte Fell den elfischen Körper, der zu große Hände, Füße und ein verformtes Gesicht hatte. Er verhielt sich ganz friedlich und schien nun gar nicht wie eine blutrünstige Bestie zu handeln. Vielleicht konnte sie ihm helfen, und dadurch mehr über ihren gemeinsamen Vater, seine Magie, sein Wirken erfahren, und vielleicht sogar einen Verbündeten auf ihrer Suche finden. Kje-na war schließlich vol gleichen Blut wie sie, und obgleich sie ihn nicht richtig kannte, spürte sie Zuneigung für ihn... Kyrina gab ihren Widerstand fürs erste auf, und ließ sich von ihm anheben und davontragen, um mehr über ihn zu erfahren, als das, was sie schon wußte. Sie blieb jedoch wachsam und beobachtete ihre Umgebung aufmerksam. Er trug sie in sein Versteck, eine Baumhöhle im Stamm eines Urwaldriesen, die ein Stück über der Blätterdecke lag und ihr einen weiten Blick über den Grünwuchsort bot - der sich bis zum Horizont erstreckte. Gebannt von dem Anblick achtete Kyrina erst wieder auf ihn, als er sie anstieß. Kyrina wandte sich ihm wieder zu, und fing seinen Blick ein. Diesmal war sie auf seine Aura vorbereitet, und in seinen Augen las sie Verzweiflung und Schmerz - elfische Regungen, die um Hilfe und Erlösung flehten. Kyrina streckte vorsichtig eine Hand aus. sie ließ sie wieder sinken, als sich diese Gefühle plötzlich verflüchtigten und sein Gesicht den elfischen Ausdruck verlor. Sein Geist wurde immer stärker von den tierischen Instinkten überlagert. Was hatte das zu bedeuten? Kyrina konnte jetzt nicht darüber nachdenken. "Grooowwwl!" ertönte es aus der Kehle des Mischwesens. Die Elfe wich seinen zuschlagenden Pranken aus, griff nach einem harten Gegenstand und hielt einen Knochen in der Hand. Mit dem spitzen Ende wehrte sie das Tierwesen, das jeden elfischen Zug verloren zu haben schien, ab, doch sie verschätzte sich in der Größe der Baumhöhle, als sie zurückwich. Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und fiel - fiel in die Tiefe... Zappelnd versuchte sie sich festzuhalten, und sah sich schon zerschmettert am Boden liegen, doch da verfing sie sich aus einem Netz von Ranken und Ästen... Und über ihr kletterte Kje-na, oder das Tier, das er jetzt war hinab und ... Kyrina sah, wie sich die Muskeln des Tierwesens anspannten und seine Pranken die Ranken zerfetzten. Sie bemühte sich aus dem Gewirr freizukommen, und wand sich heftig, aber das lockte ihn nur noch mehr an. Dann sprang er neben sie - Kyrina war es gelungen, sich zur Seite zu werfen - Sein Gewicht ließ die Ranken reißen und sie beide zu Boden stürzen. Die Elfe konnte sich halb befreien. Ihre Hände suchten nach Halt, um sich aus dem Ranken herauszusiehen, als sie festgehalten wurden und Krallen sich in ihre Haut bohrten. Was sollte sie nur tun? Er war kräftiger als sie und konnte sie mit einem Schlag töten, wenn er wollte. "Nein!" Die Angst sammelte Kyrinas Kraft, und sie spürte, wie ihre Heilerkräfte sich in das Gegenteil verkehrten. Wie war das möglich? Sie hatte, ohne es zu wollen, eine neue Kraft in sich entdeckt, die wie eine Waffe wirkte. Der Katzenelf brüllte auf und versuchte sie loszulassen, als sich seine Krallen plötzlich verkrümmten und zu bluten begannen. Sein Schmerz flutete auf Kyrina über, so daß sie wieder zur Besinnung kam. Ihre Magie veränderte sich wieder zum Guten. Kyrina sah, wie die Qual aus den Augen des anderen wich, als sich seine Wunden schlossen. Und noch mehr. Sie tauchte tiefer in seinen Geist ein und trennte das Wesen der Katze von dem des Elfen, den sie nun in seiner wirklichen Gestalt sah - schlank und sehnig, mit langem braun-goldenen Haar und gelben Augen. Sie lauschte wie er den Geschichten seiner Mutter über den hellen, großen Elfen, der plötzlich gekommen und genauso wieder verschwunden war, ihren gemeinsamen Vater, der jung und alt zugleich schien. Sie teilte seine Neugier, die Fallen zu erforschen, und seinen Schmerz, als sich die Kraft gegen ihn wandte. Sie spürte die Qual und den inneren Kampf zwischen Tier und Elf, der jetzt vielleicht ein Ende fand. Beide gaben sich ganz ihrer Gabe hin, die sich vorsichtig vortastete, und ... Kyrina wußte nicht, wie weit sie helfen konnte. Das war etwas ganz anderes, als die kleinen Verletzungen der Sonnentaler zu heilen, und die Herausforderung forderte jedes Quentchen ihrer Fähigkeiten. Niemals hätte sie geglaubt, zu so etwas fähig zu sein, doch jetzt packte sie der Ehrgeiz, das Werk zu vollenden... Vielleicht waren die Elfen des Grünwuchsortes dann freundlicher zu ihr und erzählten ihr mehr über ihren Vater und sein Wirken. Plötzlich jedoch zuckte Kje-na heftig zusammen, und neuer Schmerz durchflutete Kyrina. Sie spürte, wie etwas seinen ... ihren ... Rücken durchdrang und zunichte machte, was sie versucht hatte, Kje-nas Geist löste sich aus seiner sterblichen Hülle, entschwand an einen Ort voller glitzernder Kristalle, an dem er nicht allein war. Andere hießen ihn willkommen ... Kyrina wurde jäh in die Wirklichkeit zurückgerissen, als sie Hände grob festhielten und heftig schüttelten. Sie schreckte zusammen und sah auf Hara-nah, die sie gepackt hatte und nun von der Leiche wegzog. "ich mußte es tun!" stammelte die andere verwirrt. "Er hat lange genug gelitten. Und eigentlich hätte ich ihn dich töten lassen, sollen, aber, als ich sah, wie das Licht um ihn flirrte ... wollte ich nicht länger mitansehen, wie ..." Sie ließ Kyrina abrupt los. "Was hast du nur getan ... Du bist so wie er", zischte sie haßerfüllt, dann ließ sie den Kopf sinken. "Aber er hat mir Kje-na gegeben ... Deshalb will ich dich noch einmal am Leben lassen, obgleich ich dich verfolgt habe, weil Jan-or mir dazu riet, ehe du noch mehr Unheil anrichtest." Sie wandte sich ab und ging zu der Leiche, drehte diese um. Ihre Augen weiteten sich, als sie in das nicht mehr tierisch verzerrte Gesicht des Elfen sah, der im Tode friedlich lächelte. "Es ist das beste so, mein Liebster", sagte sie versunken und löste das Lederband mit dem Stein, ehe sie diesen fallen ließ. Kyrina hob die Kette auf und kroch an Hara-nahs Seite. Eine Weile blieb sie neben der anderen sitzen und lauschte deren unzusammenhängenden Worten. Erst als sich andere Elfen näherten, sprang sie auf und verschwand. Solange wie Hara-nah in ihrer Trauer noch nicht bei Besinnung war, konnte sie ihre Meinung nicht ändern und sie verfolgen, um sie doch noch zu töten. Wußte sie, in welchen verschlungenen Wege die andere denken mochte? Nein! Deshalb war die Flucht besser als alles andere. Sie würde sich schon irgendwie durchschlagen. Kyrina umklammerte den dritten Stein ihres Vaters fest, als sie sich einen Weg durch das dichte Gesträuch des Bodes suchte. Für einen Augenblick blitzte ein verrückter Gedanke durch ihren Kopf, den sie aber schnell wieder verwarf: Vielleicht hatte ihr Vater diese Spur mit voller Absicht ausgelegt, um sie zu prüfen ... Und das stärkte ihren Überlebenswillen nur noch mehr. 'Eines Tages werde ich ihn finden und zur Rede stellen', schwor sie sich. 'Und ich werde alles überleben, was sich mir in den Weg stellt, das weiß ich..." Kapitel 3: Der Ruf der Wellentänzer ----------------------------------- Sturmgischt ließ sich in das Wasser gleiten. Er war die Kälte gewohnt und schauderte nur ein biß-chen ob der kalten Fluten. Schon war die Gänsehaut verschwunden, als sein Gefährte herbeieilte. Taucher der Wellentänzer stupste ihn zur Begrüßung freudig an. Der junge Elf streichelte seinen Gefährten und hielt sich dann an der Rückenflosse fest. + Wir müs-sen herausfinden, wie weit unsere Insel noch von der Küste entfernt ist, und wohin uns die Strömun-gen treiben werden +, übermittelte er dem Wellentänzer aufgeregt. +Das ist das erste Mal, daß der Rat uns beide losschickt! Wir sind ihnen endlich erwachsen genug!+ Sturmgischt grinste. ,Vielleicht haben auch die anderen Späher keine Zeit, denn sie müssen den fremden Wanderer in einem Binsenboot fortbringen', dachte er dann bei sich. ,Der Rat hat ja ziem-lich geheimnisvoll getan, wenn es um ihn ging, und ihn von uns ferngehalten! Warum nur?' Taucher keckerte protestierend und tauchte unter. Prustend tauchte der junge Elf wieder an die Oberfläche. +Das war ungerecht!+ schimpfte er, während Taucher um ihn herumschwamm und sich nicht einholen ließ. +Ich habe mir nur Gedanken über unseren Gast gemacht!+ Der Wellentänzer schüttelte sich und schwamm dann dicht an Sturmgischt heran, daß der junge Elf auf den Rücken klettern konnte. +Ja, du hast ja recht!+ meinte Sturmgischt dann. +Das ist nicht meine Sache, und der fremde Elf war ohnehin ein komischer Kerl. Niemand weiß, wie er es ge-schafft hat, zu unserer Insel zu kommen. Eines Morgens war er einfach da und verlangte die Älte-sten zu sprechen. Und ihr Wellentänzer mögt ihn nicht, wer weiß warum ... er war so unheimlich, jung und gleichzeitig alt ... vielleicht sogar ein Hoher? Und dann ... - ach was, es reicht! + Er seufzte. + Komm laß uns dem Tagesstern entgegenschwimmen! + Nur kurz blickte Sturmgischt zu der tangbedeckten Schwammscholle zurück, die hinter den Wellen-bergen immer wieder verschwand und dann wieder auftauchte. Schon lange lebte sein Stamm an die-sem Ort, der von den Strömungen über das Meer getragen wurde, und ihnen, wie auch den Vögeln und Wellentänzern, die mit ihnen zusammenwohnten, Schutz und Nahrung bot. Aus dieser Entfer-nung wirkte die schwimmende Insel verlassen, aber das täuschte. So früh am Morgen schliefen die meisten noch in ihren Binsenhütten, und die wenigen Wächter kauerten in verborgenen Nischen. Dann wandte Sturmgischt seine Aufmerksamkeit wieder der Aufgabe zu. In der Ferne konnte er be-reits schwach eine Küstenlinie erkennen, ob das schon das Festland war? "GOTARA!GOTARRAAAA!" Dieses Gebrüll gellte Kyrina nun schon seit dem Morgengrauen in den Ohren. Sie hetzte nun schon seit dem Sonnenaufgang an der Steilküste entlang, und es war ihr noch immer nicht gelungen, ihre Verfolger abzuhängen. Eine Gruppe von großen, grobschlächtigen Fünffingern hatte sie als Beute ausersehen - weniger um ihre Mägen zu füllen, denn als Opfer für ihren Gott. Kyrina klopfte das Herz bis zum Hals. Das war nicht die erste Begegnung mit den Fünffingern, aber bisher hatte sich das bestätigt, was schon Savah erzählt hatte: Die Großen haßten Elfen und ver-suchten sie, wann immer sie sie sahen, zu töten! Das war früher so - und so würde es wahrscheinlich auch bleiben. Verzweifelt suchte sie hinter ein paar Büschen Schutz - aber die Jäger verloren ihre Spur nicht. Bei allen Sandechsen, konnten die sie denn wittern? Warum war sie eigentlich so nahe an die Küste ge-kommen. Nur weil sie diese seltsamen Felszeichnungen der Großen gesehen hatte - von dem spitzoh-rigen Wesen das sieben Steine um den Hals trug - Steine in der gleichen Form wie die ihren? Kyrina lief weiter, stolperte und rappelte sich auf. Ihre Kräfte waren bald verbraucht, und dann wür-de sie ihnen so oder so in die Hände fallen. Vielleicht sollte sie sich umdrehen und sich den Großen zum Kampf stellen, um allem endlich ein Ende zu machen, oder ... Nein, es gab noch eine dritte Möglichkeit: Es war zwar fraglich, ob sie das überlebte, aber so fiel sie wenigstens den Fünffingern nicht in die Hände. Kyrina verlangsamte ihren Lauf. Dann trat sie an den Abhang heran und blickte nach unten. Heftig schlug die Gischt gegen die Klippen. Einen Moment drehte sich die Landschaft vor ihren Augen, dann breitete Kyrina die Arme aus und ließ sich fallen. Für Augenblicke fühlte sie sich frei wie ein Vogel - so mußte es sein, wenn man richtig schweben konnte - doch dann kam die Meeresoberfläche rasend schnell näher. Und mit ihren Fähigkeiten konnte sie den Fall auch nicht mehr richtig abbremsen. Sie schlug hart auf. Der Schmerz raubte ihr beinahe das Bewußtsein, bunte Lichter tanzten vor ihren Augen. Kyrina stampelte verzweifelt mit Armen und Beinen, während sie panisch einatmete und doch nur wasaser schluckte. Dann wurde alles schwarz vor Augen. Das letzte, was sie spürte war ein ferner Ruf ... ein Flüstern in ihrem Geist... Sturmgischt hatte Mühe, die Elfe auf Tauchers Rücken festzuhalten. Sie war eine Handbreit größer als er und viel, viel schwerer, was nicht zuletzt an den, mit Wasser vollgesogenen, Kleidern lag. Im-mer wieder mußte er sie zurechtschieben und seinen Griff verlagern. Taucher und er waren diesmal ganz dicht an die Küste herangeschwommen. Was ihn dazu verleitet hatte, wußte er jetzt nicht mehr, aber es war gut gewesen - denn dann wäre die Fremde jämmerlich ertrunken. Auch jetzt hörte er an ihrem Atem, daß noch Wasser in ihren Lungen steckte. Deshalb mußte er sie so schnell wie möglich zur Insel bringen. Seine Aufgabe war vergessen - nein nicht ganz - er wußte nun, daß die Schwammscholle wieder vom Land abtreiben würde, denn die Strömung hatte ihm die Rettung der Fremden sehr erschwert. Aber wie würde der Rat es aufnehmen, wenn er jetzt eine Fremde mitbrachte? Wo doch der andere erst wieder verschwunden war? Diese Jahreszeit steckte wirklich voller Aufregungen. Angespannt biß sich Sturmgischt auf die Lippen. Wo sie wohl hergekommen war? Und wer hatte sie da verfolgt? Von den Wellen aus hatte er klobige, braunhäutige Gestalten gesehen, die unverständli-che Worte gebrüllt und Speere nach unten geschleudert hatten. Waren das die Großen gewesen, vor denen die Alten viele Jahre zuvor aufs Meer hinaus geflohen waren? Und woher kam die Fremde? Er tastete über ihren nackten Arm. Ihre Haut war dunkel - genau wie ihr Haar - fast wie bei den Gro-ßen. Aber ihre Augen, und ihre Ohren waren elfisch und ihre Hände ... besaßen auch nur fünf Finger. Helles Kinderlachen schreckte ihn auf. Er sah von der Fremden hoch und bemerkte erst jetzt, daß er der Schwammscholle sehr nah gekom-men war. Ein Elfenmädchen von vielleicht acht Sturmzeiten paddelte ihm fröhlich auf einem Binsen-boot entgegen und riß die Augen weit auf, als sie die Fremde sah. "Rasch Perlchen!" rief Sturmgischt, ehe seine kleine Schwester lästige Fragen stellen konnte. "Hol die Heiler und die Ältesten! Ich bringe jemand mit, der Hilfe braucht!" Und diesmal gehorchte die Kleine tatsächlich, ohne ihm die Zunge rauszustrecken oder anderen Unsinn anzustellen. + Dann werde ich auch keinem verraten, daß du schon wieder so weit rausgepaddelt bist!+ Der junge Elf sah der Kleinen nach - und tatsächlich, als er am Rand der Scholle ankam, lief bereits der ganze Stamm zusammen und betrachtete neugierig die hochgewachsene Elfe in den durchnäßten Kleidern, die er gerade mit Hilfe eines Freundes auf die Binsen hievte. Ein aufgeregtes Murmel ging durch die Menge, als eine Heilerin die schwarzen Strähnen beiseiteschob und dadurch eine Kette mit drei gelben Steinen sichtbar wurde. "Sturmgischt sagte, sie sei von den Klippen ins Meer gesprungen., und er habe einige Große gese-hen, die sie wohl verfolgt hatten!" "Wenn das wahr ist, dann hat sich noch immer nichts verändert. Die Fünffingrigen fürchten uns im-mer noch wie am Anfang. Es ist schon gut, daß wir hier draußen leben. Hier gibt es die Großen we-nigstens nicht." " Ich weiß nicht. Wenn uns andere Elfen finden, dann werden die Großen es vielleicht eines Tages auch tun, und dann ist es mir dem Frieden vorbei." Das waren die ersten Worte, die Kyrina vernahm, als sie aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachte. Ein scharfer Schmerz schoß durch ihre Lunge. Sie krümmte sich unter einem Hustenanfall zusammen. Schon hielten sie feingliedrige Hände fest. "Ist ja gut. Der Schmerz wird vergehen. Mondmuschel, hol etwas von dem Sud!" Dann flößte ihr eine Gestalt, die sie nur schemenhaft erkennen konnte eine grünliche Flüssigkeit ein. Kyrina schluckte und fühlte sich gleich besser. Angestrengt versuchte sie die beiden Helfer zu erkennen. Ein blasses Elfenmädchen mit hellen Haaren beugte sich neugierig über sie. "Flinkkrabbe, schau dir nur diese dunkle Haut an, diese Haare. Ich kenne niemanden, der so aussieht!" "Mondmuschel ... jetzt laß die Fremde in Ruhe. Der Rat wird sie schon noch befragen ... vor allem, weil sie die gleichen Steine um den Hals trägt, wie der Wanderer!" "Ich..." Kyrina schnappte nach Luft und versuchte sich aufzurappeln, kaum da der letzte Satz ver-klungen war. Diese Neuigkeit ließ sie jegliche Schwäche vergessen. Der Wanderer mit den gelben Steinen. Er war hier? Ihr Vater hielt sich bei diesem Stamm auf? Sollte ihre Suche endlich ein Ende finden? Sie mußte es wissen. Trotz der Schmerzen versuchte sie auf die Beine zu kommen, doch die Heilerin hielt sie energisch fest. "Du bist noch viel zu schwach. Bitte bleib liegen." "Aber ... ich muß ... den Wan ... den Wanderer ...", protestierte Kyrina und japste heftig nach Luft. "Dazu ist es ohnehin schon zu spät. Die Späher haben ihn bereits mit dem Binsenboot fortgebracht, und du ..." Mit aller Kraft riß Kyrina sich los und erhob sich schwankend. Mühsam kämpfte sie sich bis zum Ausgang der Hütte und weiter. Immer wieder mußte sie sich abstützen, um nicht umzufallen. Sie achtete nicht auf die halbnackten Elfen, an denen sie vorüber eilte, noch auf die erstaunten Blik-ke, die ihr zugeworfen wurden. Hilfreiche Hände wehrte sie ab. Wo war sie hier nur? Ihre Umgebung ähnelte einem Binsendickicht. Überall hing Tang, und der Bo-den war merkwürdig weich, nicht so fest wie Erde ... und nicht nur sie schwankte - auch der Unter-grund! Kyrina kämpfte mit der aufsteigenden Übelkeit. Als sie schließlich vor einer weiten Wasserfläche stand, gab sie dem Drang sich zu übergeben nach. Erst als sie auch den letzten Rest ihres Magenin-haltes ausgespien hatte, drehte sie sich wieder um. Matt blickte sie zu der Schar Elfen hoch, die sich um sie versammelt hatten, und sie verwirrt mitein-ander tuschelnd ansahen. "Was wollt ihr von mir?" krächzte sie. "Laßt mich doch in Ruhe!" Damit aber bewirkte sie nur, daß sie alle schweigend anstarrten. Nur einer wagte sich einige Schritte vor und kauerte sich vor ihr hin - Ein junger, nur mit knappem Lendenschurz bekleideter Elf, dessen fahlblonde Haare im Nacken zusammen gebunden waren. In dem Augenblick, in dem sie in seine grauen Augen blickte, geschah es. Ein Laut, ein Klang wurde aus den Tiefen ihrer Seele hervor gezerrt. Er drängte aus ihr wie die Lava eines der feuerspeienden Berge in der Nähe von Sorgenend und traf zischend eine weite blaue Flä-che, aus der ein vielfarbener Fisch emporsprang und genau in ihren Händen landete. In seinen Augen funkelten zwei Sterne, die sich zu einem vereinten. Feuer und Wasser - so gegensätzlich ... und doch vereint. Kyrina wußte was das bedeutete, aber sie wollte es nicht wahrhaben. ERKENNEN! Das Band, das zwei Elfen auf ewig zusammenfügte und das Tiefste der Seele enthüllte. Ein Ge-schenk, das starke Kinder voller Magie hervorbrachte ... und sie hier festhalten würde. Jetzt, wo sie ihn vielleicht hätte einholen können, den Elfen - der seine Gaben so freigiebig verteilte wie die Steine seines Halsschmuckes. Kyrina griff an ihren Hals, doch die Kette mit den drei gelben Steinen war verschwunden. So richtete sich ihre Wut gegen den jungen Elfen. "Geh weg!" schrie sie den an und fuchtelte so heftig mit den Armen, daß er tatsächlich ein Stück zurückwich. "Geh weg - verschwinde und laß mich in Ruhe! Und ihr anderen auch!" Jetzt endlich kam Bewegung in die Schar der Elfen. Tuschelnd und murmelnd folgten sie ihrem Wunsch. Nur der junge Elf zögerte immer wieder und blickte zurück. Kyrina aber kauerte sich zu-sammen und schlang die Arme um die Beine. Was sollte sie nur tun? Von einem der erhöhten Punkte in der Mitte der Insel hatte Kyrina einen guten Blick über die weite blaue Fläche, die die Schwammscholle von allen Seiten umgab. Sie zog fröstelnd den Überwurf enger um sich. Wie die anderen Elfen trug sie nur wenig am Leibe, aber das genügte ihr nicht - als Son-nentalerin war sie höhere Temperaturen gewohnt, und schon der Anblick der fast nackten Leiber ließ sie schaudern. Genauso wie das Wissen, das sie hier auf einer Insel festsaß, die keinen festen Boden besaß - sondern nur aus Pflanzen bestand, die auf dem Wasser schwimmen konnten. Diese Umgebung machte ihr - und das gestand sie sich nur ungern ein - ziemliche Angst. Nachdenklich berührte sie die Kette um ihren Hals, die um einen weiteren Stein ergänzt worden war. Der Rat der Ältesten dieses Stammes hatten ihr den Schmuck zurückgegeben und bestätigt, daß nur kurz vor ihr ein anderer Elf auf der Insel geweilt hatte - der diesen vierten Stein zurückgelassen hat-te. "Und so vermuten wir, daß er dich erwartet hat, auch wenn du selber nichts davon zu wissen scheinst. Die Wege der Hohen sind manchmal sehr seltsam." Als sie dann versucht hatte, tiefer in die Ältesten zu drängen, hatten diese mit dem Kopf geschüttelt und eisern geschwiegen. "Wenn du alles erfahren hast, dann wirst du wie er gehen wollen, und das können wir nicht zulassen. Denn du kannst uns nicht so einfach verlassen. Wir alle haben gesehen, was zwischen dir und Sturmgischt geschehen ist! Und solch eine Gabe darf nicht vergeudet werden! Du wirst also erst einmal hierbleiben!" So saß sie nun hier fest. Seit Tagen wühlte der unerfüllte Drang in ihr wie ein Greifwurm in der trok-kenen Wüstenerde, doch sie war nicht bereit, sich ihm hinzugeben. Wenn sie das tat, dann würde sie mindestens zwei Wechsel der Jahreszeiten hierbleiben müssen, wenn nicht noch länger! Und bis da-hin würden die Spuren des Wanderers wieder verwischt sein.Wütend schlug sie gegen das Binsenge-flecht und fragte sich zum wiederholten Male, ob ihr Vater nicht vielleicht doch noch irgendwo hier war, und nur mit ihr spielte. Und deshalb hoffte sie darauf, daß sie das ERKENNEN verleugnen konnte, daß es irgendwann von selber verschwinden würde. "Du solltest dich nicht quälen, Kind!" Großwelle, der Älteste, der sie in seine Hütte aufgenommen hatte, kauerte sich neben Kyrina. Sein Gesicht war wettergegerbt und er wirkte viel älter als sie, ob-wohl er kaum mehr Wechsel zählen konnte als die Sonnentalerin. Eine Seite seines Gesichts war durch eine zackige Narbe entstellt, und er hatte den rechten Arm durch einen Reißzahn-Angriff - denn die See-Elfen besaßen seit acht mal acht Jahreszeitenwechsel keinen Heiler mehr. Der letzte war bei einem Sturm von einer Flutwelle ins Meer gerissen worden. Das hatte er ihr wie viele andere Dinge über den Stamm auch erzählt. Kyrina setzte eine abweisende Miene auf. "Ich quäle mich doch gar nicht!" meinte sie leichthin. "Ich spüre überhaupt nichts! Ach, ich denke, dieser lästige Zwi-schenfall wird bald vergessen sein!" "Es wird dir nicht helfen, den Drang zu unterdrücken. Du wirst nur krank davon werden, obwohl ich glaube..." Großwelle beendete den letzten Satz nicht. Die Sonnentalerin blickte mißtrauisch zurück. Sie hatte den Ältesten wohl ein wenig unterschätzt. Großwelle war vielleicht verkrüppelt, aber er hatte gute Augen und ein bemerkenswertes Gedächtnis. Ihn war wohl aufgefallen, wie schnell ihre Kratzer und Schrunden geheilt waren. "Vielleicht?" Sie zuckte mit den Schultern und erhob sich dann. Langsam wanderte sie über die Insel zu einer Fläche nah am Wasser, auf der die Elfenkinder herumtollten. Dort würde sie wenigstens abgelenkt sein, und nicht immer an alles erinnert werden. Sturmgischt kam nur widerwillig seinen Pflichten nach. Er half die Netze zu flicken, während seine Gedanken ganz woanders weilten. Er dachte verzweifelt an die Elfe. Ihr fremdartiger Name brannte in seiner Seele und erfüllte seinen Körper mit einem Durst, den er nicht stillen konnte. ERKENNEN. Er hatte sich es immer gewünscht, so eng mit einer Elfe verbunden zu sein, aber nicht erwartet, daß es so schmerzhaft sein konnte. "He Sturmgischt!" Regenschauer stieß ihn freundschaftlich an. "Du solltest nicht immer nur grübeln, sondern endlich das tun, was dich wieder über die Wasseroberfläche bringt. Erkennen ist Erkennen - und bei den Fluten, das ist bei uns selten geworden, aber wenn es geschieht, dann hat es eine Be-deutung. Bei Quallengift und Fischgedärm, komm und nimm sie dir endlich, dann läufst du nicht im-mer so herum, als habest du ein Krabbe verschluckt!" "Ach, was verstehst du denn schon davon!" fuhr Sturmgischt seinen Vetter an und hob die Hand, um den anderen zu schlagen. Dann ließ er sie wieder senken. Regenschauer hatte recht. Etwas mußte geschehen. Er mußte zumindest versuchen, mit der Fremden - Kyrina - zu reden. So holte er tief Luft. "Mach alleine weiter!" sagte er, und ließ seinen Vetter einfach stehen, um sich auf der Suche nach der schwarzhaarigen Elfe zu machen. Hoffentlich war sie zu finden, denn sie mied ihn, so gut sie nur konnte. "Nein, Perlchen, ich bin zu schwer für dein Binsenboot!" wehrte Kyrina ab, als die kleine Elfe sie auf ihr kleines Boot zu ziehen versuchte. "Und außerdem kann ich nicht schwimmen!" "Warum nicht?" Sturmgischts kleine Schwester sprang auf die schwankende Nußschale - ein An-blick, der Kyrina schon schlucken ließ. "Jeder kann das!" "Nein, nicht jeder..." Als der Boden durch die Strömung heftiger schwankte, mußte Kyrina sich set-zen. "Weißt du, ich komme aus einer Gegend, da gibt es nur wenig Wasser." "Das gibt es doch gar nicht!" Perlchen schüttelte den Kopf und stieß sich mit ihrem Paddel ab. Wie die anderen Elfenkinder auch übte sie hier in dieser geschützten Bucht der Insel, auf dem nassen Element zurecht zu kommen - unter den wachen Augen einiger Ältester. "Du schwindelst! Es gibt nichts anderes als Wasser!" Kyrina seufzte. Perlchen kannte natürlich nichts anderes als das Meer, und auch ihr kleiner Bruder Rajek hätte dumm geschaut, wenn sie ihm von dem Meer erzählen würde. Die Sonnentalerin strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie mochte das kleine Mädchen mit den struppigen blonden Haaren. Sturmgischts Schwester war die einzige, die ihr keine dummen Fragen stellte, sondern viel lieber mit ihr spielen wollte. Nun paddelte das kleine Mädchen ein Stück weg und rutschte dann ins Wasser. "Schau mal, wie lange ich schon unter Wasser bleiben kann!" lachte es noch, holte tief Luft und tauchte dann ganz unter. Kyrina begann zu zählen, bog einen Finger nach dem anderen um ... doch plötzlich sprang sie auf. Nur für einen kurzen Augenblick hatte sie etwas aus dem Wasser auftauchen sehen - eine ge-zackte Flosse. Ein Schatten schoß lautlos durch das Wasser, und sie meinte unheilverheißende Be-wegungen zu sehen. War das einer der gefährlichen Fische, vor denen die Ältesten sie gewarnt hatte? Kyrina sah sich hastig um, doch die anderen schienen noch nichts bemerkt zu haben. "Da ist ... da ist etwas im Wasser - ein Reißzahn!" schrie sie. Der Elf mit den fahlblonden Haaren, der zögerlich auf sie zugekommen war, rannte los, kam da sie die Warnung ganz ausgesprochen hatte. Kyrina wich ihm aus - doch Sturmgischt achtete nicht einmal auf sie. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang er ins Wasser, das gezückte Knochenmesser in der Hand und verschwand unter der Wasseroberfläche. Das nächste, was sie sah, war hochspritzendes Wasser. Zwei Gestalten drehten und wanden sich im Wasser, als ein heftiger Kampf zwischen Elf und Raub-fisch entbrannte. Das Knochenmesser blitzte auf, Blut spritzte, aber auch zwei Reihen spitzer, schar-fer Zähne wurden sichtbar. Doch wo war Perlchen? Kyrina lief am Rand der Scholle entlang, dann entdeckte sie einen im Wasser treibenden kleinen Kör-per. Kein anderer war ihm näher als sie, und die ins Wasser springenden Elfen standen Sturmgischt bei. Es half nichts, sie muteß etwas tun - oder die Kleine sterben lassen. Wie sollte sie das machen, wenn sie nicht schwimmen konnte? Vielleicht konnte sie, wenn sie sich weit genug streckte, Perlchen an sich heranziehen. So ließ sich Kyrina in Wasser gleiten und unterdrückte ihre Angst. Sie streckte sich aus, doch Perl-chen trieb wieder ein Stück ab. Was sollte sie tun? Wenn sie jetzt los ließ, dann ertrank sie doch nur selber. Und das Elfenkind? Sie konnte es doch nicht... Da kam ihr jemand zur Hilfe. Ein großer Fisch - ein Wellentänzer? - tauchte auf und schob Perlchens schlaffen Körper dichter an Kyrina heran. Leises Keckern ermutigte sie nach der Kleinen zu greifen, und sich wieder auf die Scholle zu ziehen - ja der Wellentänzer half auch noch nach. Der Instinkt der Heilerin erwachte in Kyrina. Ohne darüber nachzudenken, daß sie ihre Fähigkeiten preisgab, und damit für den Stamm noch wertvoller werden würde, kümmerte sie sich um das Elfen-kind. Ihre Kräfte drückten das Wasser aus Perlchens Lunge und schlossen die tiefe Bißwunde, stärkten das schwach schlagende Herz und ersetzten das verlorene Blut. Erst als sie sich sicher war, daß das Kind überleben würde, erwachte sie wieder aus der Trance und sah erschöpft hoch. Um sie herum stand der halbe Stamm versammelt, und Sturmgischt kauerte an ihrer Seite. Er schien nicht zu bemerken, daß er aus einer Wunde am Arm blutete. Kyrina hob ihre Hand und legte sie auf dem Biß. Der Elf sah sie erstaunt an, doch die Heilerin lächelte nur müde und sackte dann erschöpft zusam-men. Kyrina stellte fest, das jemand sie während ihrer Bewußtlosigkeit in Großwelles Hütte getragen hat-te, und erkannte im nächsten Augenblick auch schon, wer es gewesen war. Sturmgischt kauerte an ihrer Seite und blickte sie nachdenklich an. "Ich wollte eigentlich nur mit dir reden, mir ..." Seine Stimme klang gepreßt und er schlug die Augen nieder. "Ich weiß!" Kyrina sah in eine andere Richtung. Auch sie spürte das Wühlen in ihrem Leib. Heiße und kalte Schauer jagten von den Haar- bis zu den Zehenspitzen. "Jetzt aber kann ich dir nur für Perlchens Rettung danken. Wenn du nicht gewesen wärst, dann wäre sie tot gewesen, denn kein anderer von uns besitzt deine Kräfte. Oh, Kyrina, ich wünschte..." "Daß ich bei ich bliebe, meinst du?" Kyrina seufzte und musterte ihre Hände. "Um eure Heilerin zu sein." Sie biß sich auf die Lippen. "Ich werde eines Tages wieder fortgehen müssen, denn in mir steckt so viel Unruhe, daß ich nicht bleiben kann ..." Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und holte tief Luft. " ... aber ich kann dafür sorgen, daß ihr nicht ohne Heiler bleibt!" Und in Gedanken fügte sie hinzu: ,Auch wenn ich damit die Spur meines Vaters aus den Augen verliere und wieder von vorne anfangen muß'. Stumgischt hob den Kopf. In seinen Augen spiegelte sich Verwirrung und Erkenntnis wieder, als Kyrina die Arme ausstreckte. "Komm zu mir!" Die Heilerin schloß den sehnigen, schlanken Körper des Elfen in die Arme und besänftigte Sturmgischts Ungeduld, während sie ihr eigenes Verlangen hervorlockte. Auch für sie war es eine neue Erfahrung einen Widerhall ihrer Gefühle zu spüren, denn durch das Erkennen blieb ihr nichts verborgen. Keine Vereinigung mit den Gefährten aus dem Son-nental war so intensiv gewesen - so allesverschlingend... Kyrina ließ sich von den Wellen ihrer Lei-denschaft davontragen und schreckte auch nicht vor der über ihr zusammenschlagenden Gischt zu-rück. Und irgendwie machte sie es auch nicht mehr traurig, länger bei Sturmgischts Stamm verweilen zu müssen... Kyrina wurde nun endgültig in den Stamm aufgenommen und erhielt wegen ihres schwarzen Haares und ihrer heilenden Hände den neuen Namen Nachtmond. Auch wenn ihr das Element des Wassers immer fremd blieb, so lernte sie doch, so gut sie es vermochte, in ihm zurecht zu kommen, allein schon um ihres Sohnes Sturmtaucher Willen, der mit ihren Gaben auch ihr schwarzes Haar geerbt hatte. Gemeinsam mit ihrem Seelengefährten zog sie den lebhaften stolzen Jungen auf, was nicht immer leicht war. Sie verlebten viele glückliche Sturmzeiten, doch zwischen Sturmgischt und ihr stand immer die Fra-ge, wann Kyrina denn nun eigentlich gehen würde - auch wenn sie nicht davon sprach, so spürte es der Elf jedesmal, wenn er in ihre Augen blickte. Die Sonnentalerin geduldete sich jedoch, bis Sturmtaucher all das gelernt hatte, was er über seine Kräfte wissen mußte und sie gut genug einsetzen konnte. Nun, so spürte sie - war endlich die Zeit des Abschied gekommen. Sturmgischt und sie bedurften keiner Worte, um sich voneinander zu lö-sen. Nur die Ältesten des Stammes verbargen ihr Bedauern nicht. "Wir lassen dich mit traurigem Her-zen gehen, aber wir achten deinen Willen!" sagte Großwelle als sie bereits das Binsenboot bestieg, daß sie an Land bringen würde und reichte ihr eine Fellmantel. "Das ist eine Gabe des fremden Wanderers, der kurz vor dir da war. Wir sollten diesen Umhang so lange aufbewahren, bis du ihn benötigen würdest. Er meinte nämlich, du könntest ihn brauchen, wenn du ihn weiter suchen willst ... doch das sollten wir verschweigen, bis das getan sei, weswegen du gekommen seist. Jetzt erst verstehen wir seine Worte. Du hast uns einen neuen Heiler gegeben!" Kyrina wußte nicht, ob sie darüber lachen oder weinen sollte, denn plötzlich fiel ihr eine Vermutung ein, die sie vor so vielen Jahreswechseln einmal gehegt hatte: Ihr Vater, der Wanderer, wußte also, daß sie ihn suchte - und er spielte mit ihr! Die Sonnentalerin machte gute Miene zum bösen Spiel und verabschiedete sich freundlich von den Elfen, die so lange ihr Stamm gewesen waren. Innerlich aber beschloß sie - wenn sie ihren Vater denn nun endlich fand - einmal gehörig zu sagen, was sie davon hielt! Kapitel 4: In der weißen Wüste ------------------------------ Kyrina zog den Fellmantel enger um sich, der kaum noch Schutz vor der Kälte bot. Wie konnte in dieser weißen Einöde nur jemand leben? Hier fror ja schon der Atem vor dem Mund! Jedes Mal wenn sie ausatmete, bildete sich feiner Nebel mit glitzernden Kristallen darin vor ihrem Gesicht. Die Sonnentalerin schauderte und kniff die brennenden und schmerzenden Augen zusammen, als die Sonne hinter den Wolken hervor kam und die weiße Ebene vor ihr in grellem Licht erstrahlte. Geblendet wandte sie sich ab. Warum konnte das Sonnenlicht hier so viel Kraft besitzen, obwohl es kaum noch wärmte? Kyrina seufzte. Aus welchem Grund hatte sie sich nur so weit in den Norden locken lassen, weit weg von ihren Lieben, ihrer zweiten Heimat? Die Sonnentalerin hatte ihre Familie verlassen, ihren erkannten Gefährten aufgegeben, ihren Sohn ... nur für das Hirngespinst, jemanden unbedingt aufspüren zu müssen, der ihr viele Fragen zu be-antworten hatte. Unwillkürlich legte sie eine Hand auf die Stelle unter der die vier gelben Steine verborgen waren: Ehe sie ihren Vater nicht gefunden hatte, würde sie keine Ruhe finden. Ihren Vater, den Wanderer, der eine deutlich sichtbare Spur gelegt hatte, der sie seit dem Verlassen des Sonnentales gefolgt war. Zuletzt hatten die Ältesten der Meer-Elfen ihr den Weg gewiesen. Dazu kaum noch, daß sie seit Tagen schon einem inneren Ruf folgte, den sie sich selber nicht erklären konnte. Und der hatte in diese eisige Wüste geführt. Was ihr Vater wohl hier suchte ... oder ihr zeigen wollte? Zumindest gab es in der Einöde Leben. Das bewiesen die Pflanzen und die Spuren, die sie entdeckt hatte, von Tieren und anderen Wesen... Die Sonnentalerin beschloß weiterzugehen. Vorsichtig, um nicht zu viel Kraft zu vergeuden, lin-derte sie den Schmerz ein wenig und stapfte dann weiter durch die weiße Masse, die in ihren Hän-den schmolz, und verbannte jeden unnötigen Gedanken aus ihrem Geist. Erst in der Dunkelheit gab Kyrina auf und kauerte sich in den Schutz eines Felsens. Ihre Hände wa-ren taub, und sie konnte kaum noch die rissige Haut ihres Gesichtes spüren. Nur ein heftiger Schmerz pulste durch ihren Kopf, als sie ihre Augen berührte. Ihr war so kalt ... so kalt ... und sie fühlte sich so müde... Die Sonnentalerin rollte sich ganz eng zusammen und barg trotz der Schmerzen das Gesicht in den Händen. Die Heilerin in ihr wußte, daß sie nur noch einen kleinen Schritt von dem tiefen Abgrund entfernt war, aus dem es keine Rückkehr gab. Ihr Körper erfror, wenn sie ausharrte und einschlief. Ein Erwachen würde es nicht mehr geben. Zwar konnte sie durch das Heilen, den Schaden des Körpers wettmachen, aber danach würde sie zu erschöpft sein, um noch zu laufen. Gab es überhaupt ein Entrinnen aus diesem Kreis? Kyrina ließ sich fallen. Warum das Leid verlängern? Plötzlich stand sie wieder auf der Brücke der Vorsehung weit über dem Sonnental, und ein warmer Wind umschmeichelte sie warm und tröstend. Sie hatte keine Angst, blickte ganz gelassen in die Tiefe, in der ein leuchtender Stern zu funkeln begann. Ein von innen her leuchtender Palast, wie sie ihn in Savahs Erinnerungen gesehen hatte, schälte sich aus dem Nebel und schwebte zu ihr. Das edelsteinbesetzte Portal öffnete sich. *Komm zu uns! Deine Leiden und deine Suche sollen ein Ende haben!* Große, schlanke und schöne Gestalten in wehenden Schleiergewändern umgaben die Sonnentalerin. Waren das die Erstgeborenen und Hohen? Kyrina betrachtete sie staunend. Einen Elfen erkannte sie sogar: *Yurek?* Der Stammvater des Sonnentales streckte die Hand aus. Seine traurigen Augen schienen sie zu ru-fen. *NEIN! DIESE ZUFLUCHT IST DIR NICHT BESTIMMT!* Eine donnernde, befehlende Stimme vertrieb die Visionen und rissen Kyrina zurück. Mit einem kleinen Schrei schreckte die Sonnentalerin hoch und starrte in ein Gesicht mit boshaft funkelnden Augen. "Ich dachte schon der Elfendreck wäre tot!" "Sei vorsichtig! Um das Spitzohr war ein seltsames Licht! Das hat bestimmt magische Kräfte! Hau' lieber zu, ehe der Dreck richtig munter wird! Du weißt, was der letzte mit Warze angestellt hat! Der humpelt heute immer noch!" "Nnnnghhh!" Ehe Kyrina sich auch nur orientieren konnte, streckte sie ein heftiger Schlag nieder. Sie spürte nur noch, wie sie gepackt und mitgeschleift wurde. Das erste, was Kyrina dann wieder wahrnahm, war ein übelkeitserregender Gestank nach Verwe-sung, heißem Metall und verbrauchter Luft. Noch während sie sich zusammenkrümmte und heftig hustete, wurde sie von groben Fäusten gepackt und hoch gezerrt. Mühsam öffnete Kyrina die Au-gen. Zuerst sah sie nichts, dann schälten sich aus dem schwachen Dämmerlicht grobschlächtige Gestalten. Leises Gemurmel erfüllte die Halle, nur von ein, zwei lauten Stimmen durchbrochen. "König Graubart, die Gefangene ist wach!" "Dann bring sie zu mir, Schwabbelbauch. Laß mich deinen Fang sehen!" Die Sonnentalerin wehrte sich schwach. ,Nein nicht schon wieder!' dachte sie wütend. ,Das ist schon das zweite Mal, das ich in die Gefangenschaft von Trollen gerate!' Doch diese hier waren viel größer. kräftiger und kampfeslustiger. Und wachsamer! Vor allem der, zu dem sie jetzt gezerrt wurde. Kyrina biß sich vor Schmerz auf die Lippen und erwiderte entschlossen den Blick des Trolls, der sich auf einem fellbedeckten Thron niedergelassen hatte. Das mußte dieser König Graubart sein. Ein kalter Schauder rann über ihren Rücken, doch weniger wegen den grimmig funkelden Augen in dem zerfurchten Gesicht, sondern mehr wegen der Krone, die sein Haupt zierte. Die Sonnentalerin schluckte. Das waren doch Fingerknochen von anderen Elfen! Und sie spürte noch immer deren innenwohnende Magie. Der Troll beugte sich ein Stück vor. "Ja, du hast richtig gesehen",bestätigte er höhnisch ihre Ent-deckung. "Nun schaue doch nicht so böse, Elfchen. Wenn du artig bist, wird dir das nicht so erge-hen!" Kyrina presste die Lippen aufeinander und wich so weit sie konnte zurück, als er ihr Gesicht be-rührte. "Nun,so einen dunklen Elfendreck habe ich noch nie gesehen. Und die Farbe ist wirklich echt. Woher kommst du?" Die Sonnentalerin reagierte nicht auf seine Frage. Mit einem gelangweilten Lächeln, das eher furchterregend aussah, winkte der Troll ab. "Es ist doch immer das gleiche Spiel mit euch arrogan-tem Pack! Ihr wollt nicht mit uns reden - dabei sind wir es, die sich viel besser an diese Welt ange-paßt haben als ihr ... Ach, bringt sie zu dem anderen in die Grube. Mal sehen, wie lange es dieser kleine Dreck ohne Essen aushält!" Die beiden Trolle zerrten Kyrina durch ein paar Gänge zu einem Loch im Boden und stießen sie dann hinein. Die Elfe schrie auf, als sie sich einmal um sich selbst drehte. Nur ihrer Gabe hatte sie es zu verdanken, daß sie nicht mit zerschmetterten Gliedern auf dem Boden landete. Die Sonnentalerin brauchte einen Moment, um sich wieder zu erholen. Wenigstens fror sie jetzt nicht mehr, denn es war warm und stickig. Ein schwaches Dämmerlicht, das durch Ritzen und Spalten im Fels fiel, gab ihr genügend Licht, um sich umzusehen. Der Boden der Grube war von einer merkwürdigen weichen Erde bedeckt, die bitter roch, während die Wände feucht schimmerten. In einer Nische zwischen zwei Säulen lag ein regloses Lumpen-bündel. Doch das ließ Kyrina erst einmal außer acht. Statt dessen untersuchte sie die Ritzen und Spalten. Leises Hämmern, Klirren, Brummen und Grollen war von dort zu hören. Dann konnte sie im Fak-kelschein eine Unzahl von Trollen vorbei eilen sehen. Manche schlurften mit schweren Lasten an ihr vorbei, andere schwangen große blitzende Messer und Äxte, die die Klirrgeräusche verursach-ten. Ein paar grünhäutige Gestalten hatten sich schmatzend und rülpsend in ihrer Nähe niedergelas-sen. Kyrina seufzte. Ihr Magen knurrte leise, aber sie wußte, daß sie nichts zu essen bekommen würde. Und an die weggeworfenen, halb abgenagten Knochen - wie sollte sie da kommen. Mit den Finger-spitzen konnte sie gerade einmal durch die Ritzen greifen. Die Spalten waren zu schmal, um sich hindurch zu winden. Das hätte nicht einmal ein Neugeborenes geschafft. Durch ein Geräusch hinter sich aufgeschreckt wirbelte die Sonnentalerin herum. Das Lumpenbündel in der Ecke bewegte sich. Ein abgemagerter Arm streckte sich ihr entgegen. Vorsichtig näherte sich Kyrina der Gestalt, die nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Grüne Augen blickten sie unter verfilztem Haar matt an. Die Lippen des Elfen bewegten sich. *Nicht sprechen! Ich kann dich auch so verstehen!* *Gut, das fällt mir auch leichter!* Die Augen schlossen sich, und die Gestalt sackte wieder in sich zusammen. *Wer bist du, und wie kommst du hierher?* *Ich bin Kyrina ... und stamme aus der großen Wüste!* Die Sonnentalerin mochte nicht lügen, aber auch nicht alles preisgeben. Sie war mißtrauisch, denn sein starkes, kraftvolles Senden stand im Gegensatz zu seinem geschwächten Körper. *Ja, das habe ich mir schon gedacht! Deine Haut ist von der Sonne gebräunt! - Ich bin Cyrral. Vor langer Zeit fingen mich die verdammten Trolle. Ich war wie du von der Wanderung durch das Eis erschöpft, und dieser Ruf zerrte an meinem Geist.* *Welcher Ruf?* *Du spürst ihn auch, junge Elfe. Lausche noch einmal in dich, und du wirst ihn wieder hören!* er-klärte der andere. Kyrina tat, was er ihr geraten hatte. Da war dieses leise Sehnen, sich auf einen bestimmten Ort zu zu bewegen, dieser Ruf aus vielen Kehlen. Erstaunt blickte sie Cyrral an."Du hast mich zurückge-holt, als ich den Stimmen folgen wollte!" *Ja, das habe ich. Nachdem mein Rückgrat gebrochen war, konnte nur noch mein Geist wandern. Und das habe ich in der Zeit meiner Gefangenschaft sehr oft getan! Ich habe gelernt, mich nicht vom Palast der Hohen anlocken zu lassen.* *Der Palast der Hohen? Die Mutter der Erinnerung hat oft davon erzählt!* ließ sich Kyrina für ei-nen Moment ablenken. Dann wurden ihre Augen schmal. Einer spontanen Eingebung folgend drehte sie den Elfen auf den Rücken und ertastete dabei zwischen den Lumpen drei Steine, die so wie die ihren geformt waren. *Was ist?* *N-Nichts!* So gut sie konnte, verbarg Kyrina die Aufregung, die sie erfaßt hatte. Schon die ganze Zeit war ihr merkwürdig vorgekommen, daß sich ein Elf derart an sein Leben klammerte, und dann noch das ihre rettete, als sie am Erfrieren war! Er mußte Gründe haben, das alles zu ertragen! Hatte er auf sie gewartet, weil er wußte, daß sie eines Tages kommen würde? Für die Sonnentalerin be-stand kein Zweifel mehr: Cyrral war ihr Vater! Sie wandte ihr Gesicht ab. Ein böses Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. ,Was du kannst, kann ich auch, Vater!' dachte sie grimmig. ,Du hast mich so oft an der Nase herumgeführt und in Rollen gedrängt, die ich nicht wollte! Das zahle ich dir heim! Na warte, ich werde dir nicht zeigen, daß ich dein Spiel durchschaut habe, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Und dann werde ich mich über dein dummes Gesicht freuen!' Eine schwache Berührung an ihrem Arm schreckte sie aus ihren Erinnerungen auf. *Vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam, aus dieser Grube zu entkommen. Ich spüre in dir Kräfte, die uns sehr nützlich sind.* *Ja, ich bin Heilerin, wenn auch noch keine besonders erfahrene. Eine so schwere und alte Verlet-zung habe ich noch nicht geheilt!* erwiderte sie und streichelte sanft seine Hand. ,Und das hier ist nicht der rechte Ort, um ein ernstes Wort mit dir zu reden!' fügte Kyrina in Gedanken hinzu. *Das werden wir ändern können!* Heiterkeit stahl sich in das Senden Cyrrals. *Ich glaube, dann werden sich diese Erdgräber sehr wundern!* Der Trollkönig sollte sich täuschen, Kyrina mit Hunger zermürben zu können. Immer wieder schickte er seine Wachen zur Grube, seine Gefangenen piesacken zu lassen, um sie so um Gnade flehen zu lassen. Die Sonnentalerin achtete wie Cyrral bald schon nicht mehr auf den Spott, den Unrat und die Steine, die auf sie hinunterprasselten, auch wenn sie vor Wut zitterte. Um überhaupt ihre Kräfte einsetzen zu können, ohne gleich vor Schwäche zu zittern, lernte sie ih-ren Ekel vor den Maden und anderem Ungeziefer zu überwinden und das metallisch schmeckende Wasser von den Wänden abzulecken. Nach einer Weile vermochte sie wieder kleinere Gegenstände schweben zu lassen, und das nutzte die Sonnentalerin dazu, um den Trollwächtern vorsichtig Essen zu stehlen. Cyrral war immer bei ihr und lehrte sie ihre Kräfte gezielt einzusetzen, denn seine Gene-sung hing davon ab, das niemand ihr Tun bemerkte. * Sonst schneiden sie uns die Gliedmaßen ab, oder schlimmeres. Sie haben mir einmal einen Sack gezeigt, in dem der ausgemergelte Torso eines Elfen lag, und mir gedroht, das gleiche anzutun. Ich weiß, das würden sie, denn auch ich bin ein Steinformer wie der arme Kerl!* Und das war nicht die einzige Fähigkeit, die er beherrschte, nur das Schweben und Heilen schien ihm versagt zu sein. Kyrina erfüllte es innerlich mit Zorn, daß Cyrral ihr seinen Willen aufzwingen konnte, auch wenn es aus einem guten Grund geschah - sie lernte dadurch wesentlich schneller und gezielter. "Du bist eine gute Schülerin mit einem wachen Geist. In meinem Leben habe ich noch nie einen Elfen oder Elfe erlebt, die so schnell und zielstrebig lernte, und glaub mir, mein Leben währte lang!" lobte Cyrral sie schließlich. Das war einer der seltenen Augenblicke, in denen er seine Ver-gangenheit erwähnte. Kyrina beschloß nachzuhaken. "Wie lang? Bist du wirklich ein Hoher?" "Wie kommst du darauf!" Cyrral klang amüsiert. "Deine Kräfte, deine Gestalt. Alles deutet darauf hin. So schmale, lange Knochen habe ich bisher nur bei meiner Stammutter gesehen." "Ist es denn wichtig, ob ich nun ein Hoher oder Erstgeborener bin? Was zählt ist das Hier und Jetzt. Und ich spüre ganz deutlich, daß es dir hier nicht gefällt." Damit spielte Cyrral auf Kyrinas wach-sende Unruhe an. Je kräftiger sie wurde, desto mehr haßte es die Sonnentalerin dermaßen gefangen zu sein. Der gelähmte Elf stützte sich ab und sah die Elfe mit seinen leuchtenden grünen Augen an. "Ich denke der Zeitpunkt für deine größte Prüfung ist gekommen. Wir sind beide kräftig genug, um es zu wagen: Heile mich!" forderte er. "Jetzt auf einmal?" fragte Kyrina zurück. "Warum diese Eile? Und was tun wir danach?" "Ich spüre, daß bei den Trollen etwas im Gange ist. Jemand hält sich bei ihnen auf, der sie gegen unser Volk aufbringt, und das könnte sich auch auf uns auswirken ..." Cyrral holte tief Luft. *Ich denke, ich kann einen der Risse so erweitern, daß wir hindurchschlüpfen können. Gemeinsam dürfte es uns dann irgendwie gelingen, aus den Gängen hier zu entkommen und diesen verdammten Erd-gräbern zu entwischen*, fügte er sendend hinzu. Kyrina nickte. Sie war inzwischen daran gewöhnt, daß Cyrral ihre Fragen niemals gänzlich beant-wortete oder wie sie es erwartete. Der Elf ließ sich wieder zurücksinken. Mit Kyrinas Hilfe drehte er sich auf den Rücken, dann legte die Heilerin die Hände auf die Stelle, an dem sein Rückgrat gebrochen war. Sie schloß die Augen und versetzte sich in Trance. Kaum hatte sie sich ihrer Heilkraft ergeben, mit der sie den Bruch und die zerstörten Nerven förmlich vor sich sehen konnte, spürte sie, wie jemand sie unterstützte und ihr zusätzliche Stärkung gab. Es war nicht einfach, das Fleisch und Knochen wieder so zu verbinden wie es sein sollte, und die Nerven zum Leben zu erwecken. Cyrral wand sich vor Schmerzen unter ihren Händen. Ob er schrie oder stöhnte nahm sie nicht wahr. Die Sonnentalerin hörte erst auf, als jede Faser wieder miteinander verbunden war. Erschöpft ließ sie sich zurücksinken, bemerkte aber, daß sich Cyrrals Beine bewegten. Es war also gelungen! *Erst einmal müssen wir genügend Abstand zwischen uns und mögliche Verfolger bringen!* meinte Cyrral, während er vorsichtig auf und ab ging. Er war noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen, aber er brauchte sich nun nicht mehr festzuhalten. Kyrina blickte zu dem mehr als ei-nen Kopf größeren Elf, der nun versuchte, auf einem Bein zu stehen und das Gleichgewicht zu hal-ten. *Ich denke, du wirst mich auch das ein oder andere Stück tragen können, nachdem wir so lange geübt haben.* *Und was geschieht, wenn wir erst einmal in einem sicheren Versteck sind?* Cyrral seufzte. *Kind, es nutzt nichts, so viel vorauszuplanen. Wenn wir erst einmal dort sind, wer-de ich einen Weg nach draußen suchen!* erklärte er ein wenig herablassend Kyrinas stemmte die Hände in die Hüften und funkelte den Elfen böse an. *Nenn mich nicht noch einmal Kind! Manchmal frage ich mich ....* Sie verstummte abrupt. In ihrem Zorn über seine Arro-ganz hätte sie sich fast verraten. Schnaubend wandte sie sich wieder ab. Cyrral trat von hinten an Kyrina heran. *Was fragst du dich? Warum ich nicht alles voraus plane? Nun, so bin ich besser auf das Unvorher-gesehene vorbereitet. Das hat mir manches Mal das Leben gerettet.* Als sie keine Antwort gab, zog er sich wieder zurück und zuckte die Schultern. *Ich kann dich ja verstehen. Die Anspannung zerrt auch an meinen Nerven!* Dann trat er an den größten der Spalte heran und lauschte. *Darum laß uns jetzt handeln, und nicht weiter darüber grübeln.* Ehe sich Kyrina versah, hatte Cyrral seine Hände auf das Gestein gelegt. Sie konnte die Kraft förm-lich sehen, die aus seinen Fingern strömte und das Gestein wie Wachs schmelzen ließ. Dann sam-melte er die Lumpen und Felle ein und schlüpfte in den schmalen Durchgang. *Komm Kyrina!* Die Sonnentalerin klappte den Mund zu. *Aber ....* Verärgert rollte sie den Fellmantel zusammen und folgte ihm durch den Spalt. Dann verrauchte ihr Zorn so schnell wie er gekommen war. Von ihrem Standpunkt aus konnten sie die Höhle überblicken, von der sie bisher nur Teile erspäht hatten. Mehrere Gänge führten von ihr fort, und aus einigen drang noch immer beißender Geruch. *Wohin jetzt?* *Dort!* signalisierte Cyrral. *Der Gang scheint mir am vielversprechensten!* Kyrina fragte sich zwar, warum er das glaubte, doch die gehorchte. Geduckt huschten die Elfen auf einen der Gänge zu und preßten sich eng an die bearbeitete Wand, als sie Schritte hörten. Kyrina spannte sich an, wurde aber von Cyrral zurückgedrückt. Der Elf hatte eine Hand leicht erhoben, ließ sie aber wieder sinken, als die beiden Trollwächtern an ihnen vorübergingen, ohne die Flüchtlinge zu bemerken. Erleichtert setzten die Elfen die Flucht fort. Die Sonnentalerin folgte Cyrral, der sich hier besser auszukennen schien, oder sich zu orientieren wußte. Noch mehrere Male mußten sie Trollen aus-weichen, ehe sie in weniger bewohnte Bereiche vorstießen. Kyrina schüttelte den Fellmantel aus, ehe sie ihn wieder überstreifte. Sie war froh, daß sie in der Dunkelheit so gut wie nichts von dem sehen konnte, was da aus dem Pelz fiel. Selbst Cyrral war nur eine schwache Silhouette. Kyrina holte tief Luft. Glücklicherweise hatte sie keine Angst vor der Dunkelheit. Sie zitterte zwar, aber das lag an einem anderen Grund: In den Gängen, die weiter von den Trollhöhlen wegführten, war es empfindlich kalt geworden. Cyrral grinste sie an. "Siehst du, es war doch gut, alles mitge-nommen zu haben." Sein Fellüberwurf war in mehrere Teile zerfallen und schützte kaum mehr, aber dem älteren Elfen schien die Kälte auch nicht viel auszumachen. Die Sonnentalerin trat an ihn heran. "Und was geschieht jetzt, oh mein Hoher? Wir scheinen nun in Sicherheit zu sein!" stellte sie spitz fest. "Oder sollen wir noch weiter durch die Dunkelheit irren?" Cyrral wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment hatte ein durch Mark und Bein gehender Ton durch das Höhlensystem. "Oh nein, mein Junges, wir sind noch nicht in Sicherheit!" Kyrina blickte sich gehetzt um. Tatsächlich vermeinte sie stampfende Schritte und Metallklirren zu hören. Und es kam immer näher. *Komm Kind wir sind fast am Ziel! Ich spüre schon einen Luftzug der von der Oberfläche stammt und nach Schnee riecht!* Cyrral packte Kyrina am Arm und zerrte sie mit sich. Doch die lange Ge-fangenschaft zehrte an ihrer Kraft. Schon nach einer Weile blieben sie nach Atem ringend stehen. Die Schritte waren noch immer hinter ihnen. *So hat das keinen Sinn!* Cyrral stützte sich an der Wand ab. *Wir müssen uns ihnen stellen.* *Wie sollen wir das tun. Wir haben keine Waffen außer unserer Magie!* *Genau die werden wir einsetzen!* erwiderte der ältere Elf kalt. Als vor ihnen Fackelschein aufblitzte, hörte Kyrina über sich in der Decke ein Knacken und Knir-schen. Cyrral lehnte immer noch gegen die Wand, aber von seiner Hand, die den Fels umklammerte ging ein schwaches Leuchten aus. Die Trollsoldaten kamen in Sichtweite. Einer von ihnen deutete auf Cyrral und schrie etwas - ganz offensichtlich schien ihnen vertraut, was der Hohe da tat! Die Sonnentalerin blickte gehetzt von einem zum anderen. Verzweifelt schleuderte sie mit ihren Kräften einen Stein gegen den vordersten der Trolle, doch das machte die nur noch wütender. Mit lautem, ohrenbetäubenden Brüllen gingen sie auf die Elfen los. Dann ging alles sehr schnell. Staub und Erde rieselten von der Decke, Steine polterten auf den Bo-den. Mit einem Krachen löste sich eine ganze Felsenplatte. Kyrina sah eine Metalllanze auf Cyrral zurasen und setzte all ihre Magie dafür ein, den Angreifer zur Seite zu reißen. Schweiß trat ihr auf die Stirn, als der Troll dicht neben ihr gegen die Wand krachte. Dann hüllte sie eine Wolke aus Staub ein. Kyrina spürte nur noch einen schneidenden Schmerz, so als bohre sich etwas tief in ihren Leib, gefolgt von einem Schlag auf den Nacken. Kyrina erwachte durch einen fordernden Ruf in ihrem Geist. *KEA! Komm wieder zu dir mein Kind!* Diese Stimme war ganz anders als die lockenden Gesänge, sie die schon die ganze Zeit einlullten. *Du darfst nicht sterben! Wie ich dir schon einmal sagte, jetzt ist nicht die Zeit dafür!* Die Sonnentalerin stöhnte. Ihr Körper fühlte sich taub und kalt an, und jede Bewegung verursachte ihr Schmerzen, die kaum zu ertragen waren. Dennoch öffnete sie die Augen und schloß sie gleich wieder, als gleißende Helle sie blendete. Erst als das Licht erträglich schien, sah sie den anderen Elfen, der sie in den Armen hielt, wieder an. Cyrral bot ein Bild des Jammers. Über und über mit Schmutz bedeckt wirkte er eher wie eine Mu-mie, als wie ein lebendiger Elf. Nur seine Augen glühten von innen heraus. Bemerkte sie da Sorge in seinem Blick? *Du brauchst dich nicht länger zu verstellen, Wanderer, Hoher - Vater. Ich weiß wer du bist, und ich habe dein Spiel durchschaut! Ich glaube, du hast zuviel gewagt!* sendete sie matt. *Jetzt siehst du, was du davon hast... Nur deine Gründe kenne ich nicht! Ist Cyrral wenigstens dein richtiger Name?* Der Elf antwortete nicht. Statt dessen setzte er sich auf einen Felsblock, stützte ihren Kopf und er-griff ihre Hand. *Es ist noch zu früh danach zu fragen! Jetzt mußt du an andere Dinge denken, und diesmal werde ich dir dabei helfen!* erwiderte er. Kyrina wehrte sich schwach. *Ich will endlich Antworten von dir!* Sie wollte die Augen schließen, doch Cyrral war schneller. Er zwang ihr seinen Willen auf. Wie von selbst legte sich ihre Hand auf die noch immer blutende Wunde an ihrer Seite, und die Heilkraft entströmte Kyrinas Fingern. Die Heilerin rang nach Luft, als ihr Herz die Anstrengung nicht mehr ertrug. Der Druck auf der Brust wurde stärker und sie hatte das Gefühl in einen dunklen Nebel herabzusinken. Starke Arme fingen sie auf und setzten sie inmitten eines Sternenfeldes ab. Im Licht eines Feuer-balls erstrahlte der Palast über ihnen in allen sichtbaren Farben. Kyrina hatte jedoch nur Augen für den Hohen, der ihr nun gegenüber stand. Langes sandfarbenes Haar, wie von unzähligen Quarzkristallen durchsetzt flatterte hinter ihm, glit-zernd wie sein helles Gewand. Nur an den leuchtenden Augen und der Kette mit den sieben gelben Steinen um den Hals erkannte sie ihn wieder. "Da bist du also, Vater!" "Ich werde nicht länger leugnen, daß ich dein Vater bin, stolzestes und klügstes meiner vielen Kin-der! Ja, ich habe dich auf diese Suche gelockt, damit du an ihr wächst und eines Tages meinen Platz einnehmen kannst!" "Welchen Platz?" Kyrina fühlte Zorn in sich aufsteigen und umklammerte die Handgelenke Cyrrals (oder wie ihr Vater auch immer wirklich hieß). "Ich will nicht länger von dir herumgeschubst wer-den, als sei ich ein Ball in den Händen von Kindern! Du bist verrückt!" "Du wirst es verstehen, wenn du das Ziel deiner Reise erreicht hast, liebste meiner Töchter! Viel-leicht bin ich verrückt, aber jeder von uns, der hier überleben wollte, mußte es werden. Gefangen zu sein in einer zerbrechlichen Hülle, jeder Macht bar ... das hat viele zerbrochen, die nicht schon vorher von den Fünffingern getötet worden waren! Glaube mir, nicht mehr kraft seines Geistes durch die Sterne reisen zu können sondern an einen Ort gebunden zu sein, das ist nicht leicht zu verkraften." Cyrral entzog sich ihrem Griff, und streifte sich die Kette über den Kopf, um sie ihr umzulegen. "Hüte diese Steine wohl! Sie sind das Verbindungsglied zu mir. An der wird man dich erkennen und dir den richtigen Weg weisen! Und nun bringe ich dich zu jungen Freunden, die dir gefallen werden, auch wenn du in einigen Dingen sicher nicht mit ihnen übereinstimmst!" "Nein, so einfach entziehst du dich mir nicht wieder, Vater! So einfach mache ich es dir nicht!" Kyrina setzte Cyrral nach, doch der Hohe entfernte sich plötzlich rasend schnell von ihr. Die Son-nentalerin stolperte, stürzte ins Leere... ... und erwachte auf einem Fell inmitten von Stimmengewirr. Es roch nach verbranntem Fleisch, gegerbtem Leder und anderem, das sie nicht deuten konnte. Kyrina setzte sich abrupt auf und sah sich einer stämmigen, Elfe mit dunkelbraunem Haar gegenüber. Vier kleine Zöpfe schwangen hef-tig, als die andere ganz durch den Vorhang trat. "Ah Braunhaut, ich hatte dich für tot gehalten! Aber du schreist ja bald so laut wie ein sterbender Troll. Nun gut, da hat der alte Wirrkopf recht behalten, du bist doch zäh, auch wenn es zuerst nicht so aussah!" Die Sonnentalerin sprang auf die Beine, schwankte ein wenig und fing sich an einer Holzstrebe ab. "Wo ist er? Der, der mich gebracht hat!" fragte sie hastig. "Wer? Zyrrel? Der ist schon wieder weiter, nachdem er sich bei uns ein wenig erholt hat", meinte die andere. "Der ist ein noch schlimmerer Zugvogel als wir!" "Verdammt!" Kyrina stampfte mit dem Fuß auf und schlug mit der Faust gegen das Holz. Ein Regal schwankte bedrohlich. "Schon wieder entzieht er sich mir! Ich hasse ihn! Das nächste Mal drehe ich ihm den Hals um!" Die andere Elfe lachte auf. "Huh, das Feuer hat dich nicht nur verbrannt, es steckt auch in dir!" stellte sie amüsiert fest. "Mit so einem heißen Blut mußt du eine wunderbare Kämpferin abgeben! Willst du nicht bei uns bleiben? Zwei starke, geschickte Hände können wir immer brauchen!" "Ich denke gar nicht dran!" Kyrina war so in Rage, daß sie der anderen die Faust unter die Nase hielt. "Ich bin Heilerin, und keine Kriegerin, und schon gar nicht lasse ich mich von ihm wieder zu etwas bringen, was er will!" Die andere fing die Faust ab und rümpfte die Nase. "Schade!" meinte sie nur. "Aber du scheinst mir genauso verrückt wie der alte Zugvogel zu sein. Wenn du meinst, dann halten wir dich nicht auf." Dann ließ sie Kyrina los und wandte sich zum Gehen. "Ah ja!" meinte sie dann noch mit einem drohenden Blick über die Schulter. "Tu das nie wieder! Ich lasse mir Drohungen auch nur einmal gefallen!" Mit einem Grinsen fügte sie hinzu. "Ich bin übrigens Kahvi, die Anführerin der Schnee-Elfen, Braunhaut." Kyrina schnaubte und ließ sich dann wieder auf das Lager sinken. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte sich erst einmal wieder zu beruhigen. Der Zorn auf ihren Vater aber schwand nicht. Von jetzt an würde sie bestimmt nicht mehr das tun, was er wollte - schon gar nicht nach ihm suchen oder bei diesen Elfen hier bleiben. Statt dessen würde sie ins Sonnental zurückkehren. Oder zu ihrer Familie. Vielleicht auch noch ... Ach was, warum machte sie sich denn soviel vor? Nun, wo sie ihren Vater sogar kennengelernt hatte, würde sie erst recht keine Ruhe mehr finden. Sie mußte ihn aufspüren, und wenn es nur aus dem Grund war, um ihm seine Kette vor die Füße zu werfen und ihm zu sagen, wie wenig sie von ihm hielt. Schließlich tastete sie verstohlen nach den Steinen an ihrer Kette und schluckte. Ein Teil ihrer Visi-on war kein reiner Traum gewesen, denn nun zählte sie statt vier sieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)