Tochter der Sonne von Tamy-kitsune ================================================================================ Kapitel 1: Kyrina ----------------- Aus alter Gewohnheit begrüßte Sonntaster wie an jedem Morgen die Sonne. Langsam setzte er Schritt vor Schritt, vertraute seinen Sinnen, die ihn sicher die Anhöhe hinauf geleiteten. Die Sonne selber konnte er nicht mehr sehen, nur ihre Wärme spüren. Der alte Elf spürte eine Bewegung, die nicht von dem ständigen Wind verursacht sein konnte. Ein Lächeln spielte über seine Züge, als er jemanden mit seinem Stab ertastete. "Wer ist da?" Die Frage erschien ihm fast schon unnötig, denn er wußte es. Für ihn nicht sichtbar, erhob sich eine schlanke Gestalt mit langen schwarzen Haaren, deren blauer Glanz noch intensiver war als das Funkeln der bernsteinfarbenen Augen. Die junge Elfe strich sich die wirren Strähnen aus der Stirn und schob das schmale Leinengewand zurecht. Anders als viele Mädchen des Sonnendorfes bevorzugte sie die Kleidung einer Jägerin und verrzichtete auf Verzierungen oder klimpernden Schmuck. An jeder Seite ihres stolz wirkenden Gesichtes hingen zwei fein geflochtene Zöpfe herab. "Ich bin es, Kyrina." Der alte Elf nickte. Vor seinem inneren Auge sah er sie, die Heilerin des Sonnentales, die eher für einen der wenigen Jäger gehalten werden konnte, unter denen ihr Bruder Rajek trotz seiner Jugend und des lahmen Armes der beste war. Die Geschwister gleichen einander nicht nur im Aussehen, auch im Verhalten - und das, obwohl sie nur die gleiche Mutter hatten. Kyrinas Vater war ein Wanderer gewesen. Ein Elf in seltsamer Gewandung und mit dem Duft des Grünwuchsortes an sich, hatte Sorgenend vor vielen Jahren gefunden. Das Erkennen hatte ihn an eine Sonnentalerin gebunden, doch nachdem das Verlangen gestillt worden war, hatte er sie schon wieder verlassen. Es schien ihm nicht wichtig gewesen zu sein, sein Kind kennenzulernen. Kyrina, die sich selber lieber als Kyri bezeichnete, wuchs rasch heran, ein ernstes Kind, das früh erwachsen geworden war. Savah hatte sich bemüht, ihre magischen Gaben zu schulen, aber Kyrina hatte in stärkerem Maße das Blut ihres Vaters in sich pochen gespürt und war sehr ungeduldig gewesen. Ihre Mutter, deren Kunst es gewesen war, wunderschöne Krüge zu formen, hatte sich, als sie spürte, daß ihre Tochter ihrer nicht mehr bedurfte einem Elfen zugewand und das Mädchen alleine gelassen. So war sie alleine geblieben und hatte sich immer mehr abgesonderd. Ihre Gaben waren ungleichmäßig und unkontrolliert, als Heilerin half sie nur selten. Sonntaster wußte, daß das Kind, daß in Toorahs Bauch heranwuchs, einmal viel stärker und sicherer als Kyrina sein würde. Aber er verurteilte die junge Elfe nicht wegen ihres Verhaltens. Sie war von einer inneren Unruhe erfüllt, die eines Tages... "Savah weiß es schon, und du sollst es auch wissen", sagte Kyrina nun ruhig. "Ich werde das Tal bald verlassen. Sorgenend ist für mich eher ein Sorgenanfang, denn ich fühle mich hier nicht wohl. Niemals." "Meine Tochter ...", Sonntaster blieb behutsam, "... vielleicht merkst du es nicht, aber du wirst geliebt, und einige werden dich vermissen. Du bist niemals allein gewesen." Ein zorniges Schnauben und Klappern erklang. Kyrina trat einen Stein weg. Sonntaster spürte, daß sie es nicht wahrhaben wollte. "Das ist doch Unsinn. Sie werden deine Tochter als Heilerin haben, und die Kleine wird viel besser und sanfter sein als ich. Sie wird Verständnis für solche Dinge wie deine selbstgewählte Blindheit haben", antwortete sie unfreundlich. "Ich bin eben wie mein Vater, den ich nur aus den Erzählungen Savahs kenne. Und deshalb werde ich das Dorf verlassen. Ich gehöre nicht hier hin und möchte ..." Kyrina verstummte abrupt, so als habe sie sich ertappt, zu viel zu sagen. Sonntaster kannte die Antwort sehr wohl, aber er schwieg und nickte nur. 'Suche deinen Vater, um die Antworten auf deine Fragen zu finden.' Er spürte, wie Kyrina sich entfernte und wandte seinen Blich zur Sonne wie an jedem Morgen. Die einsame Reiterin ließ ihr Zwoot mit hängenden Zügeln in die Öde trotten. Sie selber saß vornübergebeugt in ihrem Sattel, der weiße Mantel schützte sie vor der brennenden Sonne. Kyrinas Abschied vom Sonnental war ein stummer und heimlicher gewesen. Eine kurze Berührung ihres Geistes mit dem der "Mutter der Erinnerung", die ihr Mut und Stärke vermittelt hatte, und ein letzter Gruß an Rajek, der ihr das Zwoot verschafft hatte, war das einzige gewesen. Sie war nun mehr als acht Tage unterwegs, und das Wasser vor zwei Nächten zur Neige gegangen. Ihre Augen brannten, und der Körper fühlte sich ausgedörrt an. Kyrina verzweifelte nicht, aber die Gewißheit, sterben zu können wuchs und erweckte in ihr Beklemmung. Sie schreckte auf. Trotz des Durstes waren ihre anderen Sinne noch nicht geschwächt. Täuschte sie sich, oder waren da wirklich noch andere Laute außer dem stetigen Heulen des Windes oder dem Knistern der Sandkörner? Sie zwang sich, die Augen zu öffnen und entdeckte einen dunklen Punkt, der rasch näher kam. Mit letzter Kraft streckte sie eine Hand zum Himmel und versuchte, sich bemerkbar zu machen. Dann sank sie entgültig zur Seite. Den Fall in den Sand spürte sie bereits nicht mehr. Sieh nur, wie weich die Gewänder sind, die sie trägt. Was ist das?" "Und die Waffe? Ein weicher, gelber Stein, der kühl sein kann, aber auch glühend heiß wird, wenn er in der Sonne liegt. Genauso wie ihre Armreifen und der Halsschmuck. - Ob sie zu den Räubern gehört? Sie hat dunkle Haut wie wir, aber alles andere an ihr ist seltsam und fremd." Kyrina erwachte langsam aus einem langen, von Träumen und Fieber durchdrungenen Schlaf. Sie öffnete die augen jedoch nicht, um weiter dem Gespräch lauschen zu können. Doch ihre Bewegungen waren nicht unbemerkt geblieben. "Still, Sandhaar. Ich glaube sie ist wach!" Kyrina öffnete die Augen und musterte die beiden Gestalten, die leicht zurückwichen mit klarem Blick. Große Augen, von dichten schwarzen Wimpern geschützt, starrten sie aufmerksam an. Elfen, deren Haut trockner und ledriger wirkte als die ihre, und deren Gewänder aus Leder und Fellen bestanden, standen vor ihr. Das wirre Haar der beiden hing strähnig den Rücken hinab und erreichte fast die Hüften. Das Elfenmädchen ergriff ein Schälchen und hielt es an Kyrinas Lippen. Die Elfe trank gierig und spürte, wie der schale Geschmack aus ihrem Mund wich. Als sie sich aufrichten wollte, machte der Elf eine herrische Geste. "Woher kommst du? Du gehörst nicht zu uns. Haben dich die Räuber geschickt, um unser Lager auszukundschaften?" "N...nein!" stieß Kyrina hervor und betrachtete ihre Umgebung. Das Zelt aus zwoot-Fellen war einfach und klein. Gestützt wurde es durch Holzstämme, die schon dunkel vom Alter waren. Sie selber lag auf einigen grob gewebten Decken. "Wo bin ich hier?" "Im Lager Feuerwinds." Erneut wollte sich die Elfe aufrichten, doch der Elf drückte sie zurück. Sein Blick war voller Ernst und Mißtrauen. "Er ist auf der Jagd und wird erst in der Dämmerung zurückkehren. Dann entscheiden er und die Ältesten über dein Schicksal, nachdem sie dich angehört haben. Solange bleibst du in diesem Zelt, denn wir wissen nicht, ob wir dir trauen können. Du mußt uns verstehen, wir wollen uns schützen." "Das stimmt", pfichtete ihm die Elfe bei. "Die Räuber haben schon viel versucht, um uns unseren Besitz zu nehmen. Wir fürchten Fremde." "Ihr redet so viel von den Räubern! Wer sind sie überhaupt?" "Elfen wie wir. Sie leben am Rand der Weltendeberge in einem kargen Tal. Aber sie haben mächtige Helfer, die ihnen Waffen und Kleidung, die aus Steinen wie deinem gemacht sind, geben. Auch Schmuck!" Dabei hielt die Elfe einen der Armreife hoch, die Kyrina als Erinnerung an ihre Mutter behalten hatte. Die schwarzhaarige Elfe schnaubte und schüttelte den Kopf. Doch sie schwieg, weil sie das Gefühl hatte, die Elfen würden ihr ohnehin nicht glauben. So entspannte sie sich wieder und atmete tief ein und aus. "Die Räuber jagten zuerst die Großen und stahlen ihnen die Beute. Doch dann flohen diese, weil sie Angst vor ihnen hatten. So kamen die Räuber zu uns und anderen Stämmen. Wir sind die einzigen, die sich noch gegen sie wehren können, auch wenn sie schon einige von uns getötet haben. Feuerhaar weiß wie, und wir vertrauen ihm!" Kyrinas augen weiteten sich. Entsetzt stieß sie hervor: "Kein Elf tötet einen anderen Elf!" "Diese schon", erwiderte der junge Elf. "Du bist erschreckt. Aber wie kannst du ... ich glaube allmählich auch, daß du keine von ihnen bist. Du erinnerst mich an den Wanderer, der ..." Er hob ihren Halsschmuck auf, an dem ein Anhänger aus klarem, gelben Stein befestigt war. Kyrinas Vater hatte diesen einst ihrer Mutter gegeben, um ihn an das Kind zu vererben. "Er trug eine ganze Kette mit diesen Steinen daran. Ich glaube, er nannte diese "Tränen der Bäume". Er ging nach einigen Mondwechseln fort, aber hatte Feuerhaar darin unterwiesen, wie er sich am besten gegen die Räuber verteidigen konnte. Ich weiß nicht einmal wie er hieß, er war nur "Der Wanderer"." Kyrina fuhr hoch. Dann starrte sie eine ganze Weile nachdenklich gegen die Zeltwand und ließ sich ganz langsam wieder zurücksinken. "Ich habe ihn bewundert. Hast du ihn gekannt?" Sie schweig und mochte nicht antworten. Irgendwie wollte sie jetzt alleine sein, um die Worte für sich zu begreifen. Feuerhaar war alt. Älter noch als Sonntaster, vielleicht sogar Savah, die er um eine Handbreit überragte. Seine Haut wirkte wie von Sonne und Wind gegerbt, denn sie mußte einmal viel heller gewesen sein. Sein flammenfarbenes Haar war nur schulterlang. Grüne Augen musterten Kyrina von Kopf bis Fuß, die ihre knappe Kleidung wieder angelegt hatte, und nun all ihren Willen aufbot, um stolz und selbstbewußt zu wirken. Doch hier wollte es nicht recht gelingen. Er starrte sie an - und wußte es. Sie spürte seine tastenden Gedanken und sperrte sich dagegen, maß ihre Gabe zu Senden mit der seinen. Als er jedoch ihren Widerstand spürte, zog er sich blitzartig zurück. Seine Augen ruhten dann auf dem Stein um ihren Hals. *Woher hast du ihn, Kind?* Kyrina lächelte und ignorierte sein aufforderndes Senden. *Zuerst sag mir, ob du ein Hoher oder Erstgeborener bist! * forderte sie im Gegenzug. *Wirst du es wagen, mir Schmerzen zuzufügen, um alles zu erfahren?* Er schüttelte unmerklich den Kopf. *Nein zu beiden Fragen. Ich bin weder das eine, noch würde ich das andere wagen. doch ich habe solch einen Stein wie deinen schon einmal gesehen.* *Mein Vater gab ihn meiner Mutter.* *Wo?* Kyrina schwieg. *Würdest du den Räubern die Heimat deines Stammes verraten?* Seine Augen begannen zu glühen, so wie die Stärke seines Sendens wuchs. Er übermittelte ihr erbarmungslos von früheren Geschehnissen - von der Grausamkeit der Räuber gegenüber den Großen, der Androhund, nicht einmal vor dem eigenen Volk zurückzuschrecken. Es war zuviel. Kyrina sank zitternd auf die Knie, als sie die ersten Morde an Elfen miterlebte, die von Elfen verübt wurden. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und zitterte heftig. *Glaubst du, dein Volk ist vor ihnen sicher?* Kyrina blickte ihn an. *Ja, solange ich mein Schweigen bewahre*, sagte sie laut. sie wußte, daß die anderen mitgehört hatten, denn der Häuptling hatte 'Offen' gesendet. Nun blickte er die Versammelten Mitglieder seines zwanzigköpfingen Stammes an, die nacheinander nickten, selbst die finstersten unter ihnen. Feuerhaar ergriff Kyrinas Hände. "Bleib bei uns solange du willst, Tochter des Wanderers, denn du gehörst nicht zu den Räubern ... und ich spüre, daß deine Kräfte noch geübt werden müssen. Willst du meine Schülerin sein? Deine Gaben würden uns helfen, denn unser Heiler starb vor vielen Jahren. Zögernd blickte sich die schwazrhaarige Elfe um, dann überlegte sie eine Weile und biß nervös auf ihre Lippen. Vielleicht...', dachte sie, schob dann aber alle Vorbehalte beiseite und nickte. "Ich bleibe eine Weile bei euch." "Ich habe nichts anderes erwartet, Tochter der Sonne." Die Zeit verging wie im Flug. Die Sonnentalerin vergaß ob Tage oder Monde vergingen, denn bald akzeptieren sie auch die Mißtrauischeren wie Sandhaar, und kamen wegen Verletzungen und Krankheiten zu ihr. Kyrina lernte von Feuerhaar Geduld und Ruhe, zwei Dinge, die ihr Savah nicht hatte beibringen können. In dem Maße wie sie sich zu beherrschen lernte, steigerte sie ihre magischen Fähigkeiten, sendete bald fast so stark wie der alte Elf und erlernte einen bannenden Blick, wie ihr Bruder. Selbst zu schweben fiel ihr nun leichter, und ihre Heilergabe wurde beständiger. Gleichzeitig aber ritt sie mit Feuerhaar und seinen Jägern in die Wüste, um die Sicherheit der kleinen Oase zu bewahren. Oft kamen sie dabei den Bergen recht nahe, in denen die Räuber hausten ... Besorgt schätzte Feuerhaar die Zeit anhand der Stellung der Monde. *Es dämmert bald, Kyrina, jal, Grünauge, wir drehen um.* *Warum?* Kyrina drehte sich im Sattel ihres Zwoots. Plötzlich zuckte sie zusammen und deutete wortlos auf eine Hügelkuppe. "Bei den Hohen! Sie haben begonnen, auch in der Nacht auszureiten!" zischte Feuerhaar und griff nach seinem Speer. Kyrina tat es ihm gleich, denn schon stürmte die Horde von dunkel gekleideten Elfen mit einem wilden, raubtierartigen Geheul auf sie zu. Ihre Absicht war deutlich zu erkennen. Kyrina spürte keine Angst, nur wilde Entschlossenheit, sich weder fangen noch töten zu lassen ... * Kein Kampf! Wir versuchen zu fliehen! * sendete Feuerhaar offen an seine Begleiter. *Verstreut euch und benutzt die bekannten Routen, um sie in die Irre zu führen. Kyri, du bleibst bei mir! * Seine Gedanken waren so eindringlich, daß sie jeden Widerspruch im Keim erstickten. Die Zwoot-Reiter stoben auseinander. Einige wichen zu den ungedeckten Seiten aus, andere fielen zurück und wandten sich den Angreifern zu. Nur Feuerherz ritt geradewegs auf die, durch Tücher vermummten, Angreifer zu, weil er und Kyrina die schnellsten Tiere besaßen. Die Sonnentalerin holte tief Atem. Mit schmalen Augen beobachtete sie die Angreifer, die sie in die Zange nahmen, *Was jetzt?* sendete sie erregt. *Nur ruhig! Ich weiß, was ich tue!* Feuerhaar katapultierte einen entgegenkommenden Reiter aus dem Sattel, zügelte sein Tier und hieb einen anderen, der dicht an seinem Zwoot vorüberschoß, mit dem Holz gegen den Kopf. Kyrina versuchte, es ihm gleichzutun, Sie ließ die Zügel fallen , umklammerte ihre Waffe mit beiden Händen, und fegte einen Reiter ungeschickt von seinem Zwoot. Doch ihr fehlte die Erfahrung und die Kraft Feuerhaars. Ehe sie sich versah, warf sich ein stämmiger Elf von hinten auf sie und riß Kyrina von ihrem Reittier. Der Aufprall wurde durch den feinen Sand gemildert, aber sie rollten noch die Düne hinunter. Sie versuchte zu treten und zu schlagen, doch sie kam unter den Elfen zu liegen.Das letzte, was sie wahrnahm, als behandschuhte Hände ihren Hals umklammerten und ihr die Luft abdrückten, war das eindringliche Senden Feuerhaars und der überraschte Blick tiefblauer Augen. Dann verlor die Heilerin ihr Bewußtsein. 'Wo bin ich?' waren ihre ersten Gedanken. Kyrina rang nach Luft und stellte fest, daß ihr die Kehle wehtat. Unbewußt legte sie ihre Hände an den Hals und ließ das Pochen weichen. Dann öffnete sie die Augen. Im Dämmerlicht eines fernen Ausganges konnte sie die zackigen Auswüchse der Höhlendecke sehen. Sie lag auf einer zerschlissenen Decke und Sand. Die Heilerin setzte sich auf. Sie war in diesem Höhlenloch alleine. Der einzige Ausgang war mit Metallstäben verschlossen. Sie blickte sich mißtrauisch um, ehe sie ihren Körper abtastete und dann aufstand. Erleichtert stellte sie fest, daß sie bis auf ihre Waffen noch alles besaß. Sie atmete auf und berührte kurz den Schmuck um ihren Hals. Dann pirschte sie sich an die Öffnung heran und blickte vorsichtig hinaus. Das Licht stammte von Fackeln, die in Halterungen aus dem gleichen Metall wie das der Stäbe, steckten. Sie beleuchteten einen Gang, der glatt aus dem Fels gehauen zu sein schien. Kyrina rümpfte die Nase. Es roch förmlich nach Magie. Besaßen die Räuber ähnliche Gaben wie Savah und die, die mit ihr aus dem Grünwuchsort geflohen waren? Yurek, Hasbeth und Dreen? Feuerhaar hatte sie gelehrt, elfische Magie zu spüren, doch das graue Metall kannte sie nicht. Es war kälter und härter als das gelbe Metall, das sie verwendeten. Plötzlich zuckte sie zusammen. Schwach, aber gerade noch verständlich, drang Senden in ihren Geist. *Kyrina, wie geht es dir?* Mit einem Mal wurde Feuerhaars schwacher Ruf unterbrochen. Jemand trennte ihre Verbindung grob und strahlte einen solchen Schmerz aus, daß die Heilerin laut und erschrocken nach Luft japste. Ihre Hände fuhren zu den Schläfen, dann atmete sie zur Beruhigung ein paar Mal ein und aus. Doch schon hörte sie langsame und schlurfende Schritte aus dem Gang. Kyrina lugte aus ihrer Höhle und schluckte, als sie das grobschlächtige, grünhäutige Wesen sah, daß an ihr vorüberging. Es war wohl so groß wie sie, aber dreimal so breit. Was ist das? fragte sie sich und lehnte sich gegen die Wand, ehe sie jedoch einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde sie erneut gestört. Aus der anderen Richtung erklangen laute Elfenstimmen, das Klirren von Metall und Schritte. Es waren die Räuber. Auch hier trugen sie ihre dunklen Gewänder und Tücher vor den Gesichtern. Es waren fünf und einer machte sich nun an der Wand zu schaffen, die sie nicht einsehen konnte. Staunend wartete Kyrina ab und sah, wie die Stäbe im Boden verschwanden. "Komm!" grollte einer der Elfen. "Unsere Häuptlinge wollen dich sehen, Fremde." Sie zögerte, beschloß dann aber zu gehorchen. Vielleicht vermochte sie in einem geeigneten Augenblick ihre Magie zu benutzen und sich dadurch zu befreien. Sie trat in den Gang und wartete ab. Die Fünf nahmen sie in die Mitte und führten sie durch viele Gänge hinunter und vorbei an ähnlichen Öffnungen. Manche von ihnen waren nicht versperrt und hell erleuchtet. Schließlich traten sie ins Freie. Die Nacht war angebrochen. Der Sternenhimmel spannte sich über ein langgestrecktes, auf allen vier Seiten von Felsen umgebenes Tal. Ein See befand sich im Zentrum. An seinen Ufern, zwischen Bäumen sah sie ein paar Feuer und sich bewegende Gestalten. Kyrina fühlte sich an Sorgenend erinnert, aber die Leichtlebigkeit des Dorfes war nicht zu spüren. Einer der Wächter gab ihr einen heftigen Stoß in den Rücken. "Weiter", knurrte er kurzangebunden, und sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick. Er war ein hochgewachsener Elf, der sie ein wenig an ihren Bruder Rajek erinnerte. Seine Kleidung bestand aus schwarzem Leder und grob gewebtem Stoff. Kyrina erkannte ihn an seinen Augen wieder. Er war der, der sie überwältigt hatte. Nun saß sie ihm in einem Kreis von finster blickenden Elfen gegenüber. Elfinnen hatte sie noch keine gesehen, so daß sie weiterhin vorsichtig blieb. Sie fragte sich nur, wo Feuerhaar gefangengehalten wurde. *Er ist in der Gewalt unserer Freunde und Helfer, der Trolle.* antwortete jemand mit spöttischem Unterton in ihrem Geist und übermittelte ein Bild, daß sie zusammenzucken ließ. Die blauen Augen des Elfen ihr gegenüber funkelten mitleidig. Er hatte ihre Gedanken gelesen. Kyrina schirmte sich hastig ab und musterte ihn dann, versuchte ihren bannenden Blick an ihm. Einen Moment lang glaubte sie, ihn unter ihren Willen zwingen zu können. Dann aber schüttelte er sie wie ein lästiges Insekt ab. Seine Stimme klang drohend über den Platz. "Ich sehe ... du findest dich nicht mit deiner Gefangennahme ab. Wer bist du?" Kyrina schwieg und legte die Hände in den Schoß. "Mir behagt es nicht, dir Schmerzen zu bereiten, aber sei versichert, daß ich es kann. Woher stammst du? Du bist ebensowenig eine Wüstenelfe, wie ich ein Hoher bin. Aber ich habe sie einmal geschaut. Ich bin Tildol. Nun nenne mir deinen Namen!" "Warum sollte ich?" Kyrina blieb ruhig, auch wenn sie innterlich vor Zorn über seine Arroganz bebte. "Erst will ich Feuerhaar sehen." "Das ist unmöglich. Die Trolle haben ihn als Teil ihrer Beute erhalten, denn er besitzt Fähigkeiten ... die sie benötigen. Vielleicht sollte ich dir erklären, warum." Tildol klatschte in die Hände und einer seiner Elfen erhob sich, um wenig später mit einem Krug voller Wasser zurückzukehren. Er reichte ihn Tildol, der ohne zu zögern einen Schluck aus dem irdenen Gefäß nahm, um es dann Kyrina entgegenzuhalten. "Ich denke, du hast durst, und der Abend ist noch lang. Zudem wirst du annehmen müssen, daß du damit eine Angehörige unseres Stames werden wirst, und dann keine Gefangene mehr bist." Kyrina, die den Krug schon zu den Lippen gehoben hatte, hielt inne. "Welche Pflichten habe ich als Mitglied eures Stammes? Ich habe meine eigenen Vorstellungen von Freiheit und Gehorsam." Der Häuptling lachte. "Deine Worte erinnern mich an jemanden, der vor vielen Jahren an der gleichen Stelle saß und ähnliche Worte wie du sagte. Nun gut. ich werde dir erst die Geschichte erzählen, wie unser Stamm entstand, damit du besser verstehst." Kyrina nickte. Sie behielt den Krug in Händen. "Vor langer Zeit verließen drei junge Elfen ihren Stamm, der in einem Wüstendorf seine Zuflucht gefunden hatte: Aledra, Shima, Tyldok und Dayel. Sie wollten den Grünwuchsort suchen, aus dem ihre Ahnmutter gekommen war. Sie wanderten lange und weit, fanden aber nur Sand, Steine und Sonne. Schließlich legten sie sich erschöpft nieder, um zu sterben, aber just in dieser Nacht entdeckten sie die Trolle - das sind grünhäutige, warzenbedeckte und häßliche Wesen, und retteten sie. Sie ließen sie am Leben, weil Aledra und Dayel kostbare Gaben besaßen, die sie von ihrem Ahnvater Yurek geerbt hatten - Stein nach ihrem Willen zu formen." Yurek! Kyrina zitterte innerlich. Wenn Savah daß nur mithören könnte. Hier saß sie also vor Verwandten ihres eigenen Stammes. Nein, gerade jetzt durfte sie ihnen nicht sagen, wo das Sonnendorf lag. "Sie mußten für die Trolle arbeiten, doch sie erreichten schließlich, daß sie frei in diesem Tal, zusammen mit einem anderen Elfen, Xijok, leben durften. Dieser hatte bald erkannt, daß die Grünhäutigen nach frischem Fleisch und Pflanzen gierten, deren Anbau sie selber nicht beherrschten, und so handelte er mit ihnen einen Bund aus: Von da an waren die Elfen frei. Sie erhielten Waffen und Werkzeuge aus dem blauen Metall, und die Trolle machten unser Leben seither behaglich, während wir für sie jagen und Pflanzen anbauen. Allerdings reicht das wenige, was wir hier heranziehen nicht, und so begannen wir damit, die anderen Wüstenstämme, die in den besonders heftigen Sturmzeiten in diese Gegend wanderten, zu überzeugen, mit uns zu arbeiten. Aber das wolten die wenigsten verstehen! Auch Shima, meine Mutter nicht, die den Trollen niemals getraut, und die anderen immer vor ihnen gewarnt hatte. Sie ging im Zorn fort, und ich habe sie niemals wieder gesehen." "Mit Recht!"antwortete Kyrina angewidert. "Ihr habt sie überfallen. Wie sollen sie euch verstehen, wenn ihr ihnen nur Leid bringt?" "Du redest wie dein Begleiter, den wir den Trollen als Sklaven überlassen haben, bis er unseren Weg versteht und uns folgt." "Das wird Feuerhaar niemals. Eher stirbt er." "Dann klebt sein Blut nicht an unseren Händen. Wir töten keine Elfen, soweit wir es vermeiden können." Kyrina schüttelte sich. Wie ekelhaft das klang. "Ich verstehe", murmelte sie. "Dann werde ich, wenn ich mich euch nicht anschließe, ebenfalls eine Sklavin sein." "Ich sehe, du besitzt einen klaren Verstand. Du wirst es als weiblicher Elf bei uns gut haben, denn du brauchst dich nicht in Gefahr zu begeben. Wir sind dreißig, aber nur fünf von uns sind Frauen. Wir brauchen frisches Blut in unseren Adern." "Und ich soll es euch geben?" "Ja, denn vielleicht ERKENNST du sogar einen von uns, wenn die Hohen es wollen", zischte der Blauäugige. "Du kannst mehr, als du zugibst." "Sandratten!" fauchte Kyrina und sprang auf die Beine. Sie zerschmetterte das Gefäß auf dem Boden. "Ihr nennt euch Elfen, aber ihr erinnert maich an die Erzählungen über die Großen! Ihr seid wie sie, herzlos, unverständig und grausam. Wenn ich um mich blicke, sehe ich einen Wahn in euren Augen, der mir Angst macht. Ich kenne diese Trolle nicht, aber ich sehe, daß ihr euch in eine noch schlimmere Gefangenschaft begeben habt." Die Räuber blickten sich an, begannen zu murmeln und raunen, während sie zunächst nur still herumgesessen hatten, Einige ergriffen ihre Waffen. "Sie spricht wie der Wanderer!" Tildol überragte sie um einen halben Kopf, als er sich erhob. "Bei den Hohen!" knurrte er und ergriff Kyrinas Handgelenke. Sie konnte sich jedoch noch einmal losreißen und ihm mit den gekrümten Fingern einer Hand durchs Gesicht fahren. Seine Augen wurden schmal, als er die blutigen Striemen in seinem Gesicht spürte. "Wahnsinniger!" keuchte Kyri. "Auch wenn du mich jetzt vielleicht zwingen willst, so weigere ich mich, mich deinem Stamm anzuschließen. Ich will meine Freiheit behalten." Tildol sagte nichts. Stattdessen verursachte er ihr durch seine Gedankenkraft Schmerzen. Obgleich die Elfe sich dagegen wehrte und eine schimmernde Aura der Heilung dagegen aufbaute, sank sie schließlich doch entkräftet zu Boden. Tildol ließ sie mit einem angewiderten Schnauben los. "Bringt sie zu König Steinbuckel. Vielleicht bringen seine Sklavenhöhlen die Kleine zur Vernunft. Kyrina erwachte durch ein Stöhnen. Obgleich ihr Körper schmerzte, vermochte sie sich doch aufzurichten und blickte in das Halbdunkel der Höhle. Ihre Füße konnte sie nicht bewegen, sie steckten in Ringen aus eng anliegendem Metall. *Kyri*, erreichte ein schwaches Senden ihren Geist. *Kyri, ich bin dicht neben dir. Was haben sie dir angetan?* "Feuerhaar?" Die Sonnentalerin tastete um sich und berührte schließlich den Körper eines Lebewesens. Tief in ihrem Innern wußte sie, daß die Feuchtigkeit, die ihre Hände verklebte, Blut war. *Sie haben mich gefoltert!* antwortete der Häuptling. *Ich schloß zehn von ihnen in einer Wand ein und tötete sie damit. Sie rächten sich nur.* "Ich werde dich heilen." "Nein", röchelte Feuerhaar. "Schone deine Kräfte für andere. Ich spüre, wie mein Leben entflieht und der Heimat aller Elfen entgegendrängt. Aber du mußt entkommen. Einmal am Tag. Essen. nutze deine Gaben, und das, was ich dir ..." Sie hörte, wie sich Feuerhaar über den Boden schob und ihre Fußfesseln berührte, sie mit seinen letzten Kräften schmolz. Dann sank er zu Boden. Die Elfe robbte zu ihm und legte ihre Hände auf den geschundenen Körper. Sie spürte, wie sein Lebenslicht immer schwächer wurde und schließlich erlosch. Tränen rangen über ihre Wangen. Sie fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben hilf- und machtlos, als sie neben der leeren Hülle des Elfen kauerte. Sein Tod sollte nicht sinnlos sein. Aber wie sollte sie das später den anderen des Stammes erklären? Sandhaar, die Feuerhaar so sehr geliebt hatte? Doch sie hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Sie hörte Schritte, und das Rasseln von metallenen Ketten auf Stein. Wie leicht der Troll doch zu bannen gewesen war, der in die Zelle gekomen war, um ihr eine Schüssel mit stinkendem Inhalt zu bringen. Kyrina stahl ihm eines seiner Messer, bevor sie ihn einschloß und rannte dann die Gänge hinunter. Wie sie nach draußen kam wußte sie nicht, also versuchte sie eine gewisse Logik in die Wahl ihrer Wege zu bringen. Einmal mußte sie einen entgegenkommenden Troll mit ihrem Blick bannen und hinter einer Ecke in eine Nische an der Decke schweben, doch nicht viel mehr. Ansonsten schonte sie ihre Kraft für das, was kommen mochte. Wie lange sie dafür brauchte, in unbewohntere Teile des Höhlensystemes zu gelangen, wußte sie nicht. Kyrina zwang sich, Maden zu essen, die sie in einer feuchten Grotte fand, um bei Kräften zu bleiben. Sie vermißte die Sonne, die bisher ihr ständiger Begleiter gewesen war, und fühlte, wie langsam dumpfe Verzweiflung ihren Körper erfaßte. Warum war sie geflohen? In Sicherheit und frei war sie deswegen sicher nicht. Ein grausiger Fund schreckte sie noch mehr. Die Elfe stolperte fast über die verblichenen Überreste eines, eindeutig ihrer Rasse zugehörigen Wesens. Die leeren Augen des Skelettes starrten sie höhnisch an, und die restlichen Fetzen des Gewandes verrieten entgültig, daß der Tote weiblich gewesen sein mußte. Kyrina schrie leise auf, als sie schließlich noch etwas anderes entdeckte. Ein Halsschmuck baumelte in den Brustkorb, der dem ihren glich. Vorsichtig griff danach und barg den gelben Stein in ihren Händen, in dessen Innerem kein Blatt, aber ein Insekt eingeschlossen war. Sie überlief es heiß und kalt. DAS war mit Sicherheit ein Stein ihres Vaters. Aber wie kam er hierher? Dunkel erinnerte sie sich an die Erzählung Tildols. Die Tote mußte Shima gewesen sein. Sie begann zu grübeln. War der Wanderer schon einmal vor ihrer Geburt im Sonnental gewesen und hatte dort gelebt? Warum hatte Savah ihr nie etwas davon erzählt? Warum hatte sie ihr das verschwiegen? Lag über allem ein besonderes Geheimnis? Sie presste den Schmuck gegen ihre Brust. Endlich verstand sie, was sie all die Jahre im Sonnental gesucht hatte: Den Sinn und Zweck ihres Lebens! Jetzt wußte sie ein Ziel, nach dem sie streben, auf das sie hinarbeiten konnte, und neue Kraft durchflutete sie. Sie hängte sich den Schmuck um und wanderte weiter. Zu ihrem Glück entdeckte sie bald seltsame Markierungen, denen sie folgen konnte. Die Räuber und Feuerhaars Stamm waren vergessen, als Kyrina endlich einen Weg nach draußen entdeckte. Die freundlichen Wüstenelfen, mit denen sie gelebt hatte, und die Räuber, die sie eher bemitleidete, als haßte, waren nur noch Erinnerungen, als sie auf dem Felsen stand, ein kühler Wind sie umtoste und den Weg wies. Sie sah vor sich den legendären Grünwuchsort und atmete tief ein und aus. Savahs Erzählungen würden ihr zugute kommen. Vielleicht fand sie dort weitere Spuren ihres Vaters, des seltsamen "Wanderers", der sie gezeugt hatte. Ihn zu finden, und das Rätsel zu lösen war von nun an Kyrinas Ziel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)