Daydream von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 1: Daydream ------------------- Der Brief kam eines schönen Sommertages über den Seeweg nach Arendelle. Das Kuvert war aus edlem Pergament und roch nach schwerem Parfüm. Das Siegel aus blauem Wachs zierte die sieben schwarzen Felsen der Südlichen Inseln. Die Einladung war schlicht formuliert und nur an Königin Elsa adressiert. Prinzessin Anna wurde mit keinem Wort erwähnt. Es sollte ein Bankett zu Ehren der Königin von Arendelle ausgerichtet werden, der König erhoffte sich Gespräche über einen neuen Vertrag der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Königreichen und als krönender Abschluss sollte es ein Fest geben. Eine leichte Drohung schwang im Unterton des Briefes mit, dass bei einer Ablehnung der Einladung die Handelsbeziehung gänzlich eingestellt werden könnten. Dieser Brief sorgte seit seiner Ankunft für dicke Luft im Palast von Arendelle. „Das kann nicht dein Ernst sein?!“, Annas Wangen hatten sich vor Zorn rot verfärbt, „Elsa, du kannst doch nicht wirklich auf die Einladung eingehen und zu den Südlichen Inseln fahren?“ Elsa seufzte. Diese Diskussion mit ihrer Schwester führte seit Stunden nur im Kreis herum. Zum wiederholten Mal setzte sie zum Erklärungsversuch an. „Anna, du musst verstehen, dass wir die Südlichen Inseln als Handelspartner brauchen. Der König hat mich eingeladen, damit wir einen neuen Vertrag aushandeln können, was eigentlich durch Prinz Hans …“, ihre Stimme wurde ein Hauch bitterer und sie zwang sich den Gedanken an all das Unglück des letzten Jahres sofort wieder zu verbannen, „ … hätte geschehen soll, aber dazu kam es nun ja nicht. Es fehlt also ein neuer Handelsvertrag. Außerdem will der König sich in aller Form bei uns für das Fehlverhalten seines Sohnes entschuldigen. Er hat ein großes Fest zu meinen Ehren angekündigt.“ „Aber was ist, wenn alle dort sind wie Hans? Du kannst doch nicht einfach hinfahren. Soll der König doch hierher kommen, oder besser, verfahre mit den Südlichen Inseln wie mit dem Fürsten von Weselton und kündige den Vertrag ganz.“ „Gerade wegen meiner voreiligen Entscheidung bezüglich des Fürsten von Weselton, kann ich es mir nicht leisten noch einen weiteren Handelspartner von Arendelle zu verlieren. Als Königin muss ich an das Wohl aller denken und kann mich nicht wieder von impulsiven Gefühlen leiten lassen.“ Anna schlug die Hände vor dem Kopf zusammen und schmollte. Elsa wusste, dass Anna kein besonders gutes Händchen für Politik und Diplomatie hatte. Sie war einfach zu sehr ein Hitzkopf, der seinen Gefühlen sofort nachgab. Elsa war ein wenig neidisch. Sie konnte es sich nie leisten, ihre Gefühle einfach so auszuleben. Mit der Ausnahme von ihrer impulsiven Entscheidung gegenüber dem Fürsten von Weselton zwang sie sich ruhig und besonnen ihrem Tageswerk als Königin von Arendelle zu widmen. „Und was ist mit einem Abgesandten? Kannst du nicht einfach jemand anders schicken?“, versuchte Anna ein weiteres Mal gegen Elsas Plan Einspruch zu erheben. „Wir haben keine Abgesandten. Das ist der Nachteil, wenn man das Personal jahrelang dezimiert hat und keinen Kontakt zur Außenwelt hatte.“ Was natürlich ihre Schuld war. Sie war schließlich der Grund für die Isolation des Königreichs gewesen. Und gerade aus diesem Grund fühlte sie sich dazu verpflichtet jetzt alles wieder geradezubiegen. Sie teilte Annas Sorgen bezüglich des Charakters des Königs und seiner zwölf Söhne, die sie bis jetzt noch nicht kannte. Aber sie konnte sich nicht für immer im Palast verstecken, nur weil sie mit einem einzigen Prinzen schlechte Erfahrungen gemacht hatte. „Dann lass mich an deiner Stelle fahren“, Anna schlug sich die Hand aufs Herzen, „ich bin mit einem Prinzen fertig geworden, da schaffe ich auch zwölf weitere, falls sie genauso sind.“ Elsa musste lächeln. Sie wusste, dass ihre kleine Schwester es sicher mit zwölf Männern aufnehmen konnte, wenn sie wollte. „Es ist meine Aufgabe als Königin diese Angelegenheit zu regeln“, antwortete sie mit Nachdruck. „Du musst hierbleiben und meine Pflichten übernehmen. Ich habe sonst niemanden, den ich als Stellvertreter wählen würde. Nur du bist für diese Aufgabe geeignet.“ „Aber du kannst hierbleiben. Das ist viel sicherer. Schicke mich an deiner Stelle, bitte, Elsa“, flehte Anna nun. Elsa winkte ab. „Ich fahre. Das ist mein letztes Wort.“ Anna hatte Tränen in den Augen. Elsa musste sich abwenden, um nicht doch noch nachzugeben. Sie wollte Anna in Sicherheit wissen. Um sich selbst machte sie sich keine so großen Gedanken. Seit sie ihre Kräfte unter Kontrolle hatte, fühlte sie sich stark, fast unbesiegbar an. Es wurde Zeit ihre Unsicherheiten und soziales Trauma hinter sich zu lassen. „Nimm mich bitte“, bettelte Anna mit tränenerstickter Stimme. Elsa musste hier raus. „Ich fahre alleine“, bestätigte Elsa noch einmal ihre Worte und stürmte aus dem Raum heraus, um nicht doch noch nachzugeben und um ihre Schwester nicht weinen zu sehen. Warum konnte ihre Schwester nicht verstehen, dass das ihre Verantwortung war?! Sie liebte Anna über alles, aber ihre Schwester klammerte sich so verzweifelt an sie, das sie kaum Mal eine Minute alleine sein konnte, ohne dass ihre Schwester ins Zimmer stürzte und ihr in die Arme fiel, als wäre sie jahrelang fort gewesen. Klar hatten sie sich jahrelang nicht wirklich gesprochen oder gesehen, aber das lag in der Vergangenheit. Elsa wünschte sich, dass ihre Schwester ihr mehr zutrauen würde und sie einfach ziehen lassen würde. Natürlich hatte auch sie ein mulmiges Gefühl, was die Einladung zu den Südlichen Inseln anging. Erstens hatte sie noch nie das Königreich verlassen, mein Gott, sie hatte kaum diesen Palast verlassen. Die Welt da draußen machte ihr Angst. Hier in Arendelle hatte man sie akzeptiert, aber würde sie da draußen nicht wieder ein Monster sein, das die Leute fürchteten? Zweitens machte sie eine Fahrt übers Meer nervös. Schließlich waren ihre Eltern mit einem Schiff auf dem Weg ins südliche Meer untergegangen und in dieselbe Richtung war sie nun auch unterwegs. Sie war sich zwar sicher, dass sie auch eine gewisse Macht auf dem offenen Meer haben würde, das sie vielleicht eine Welle gefrieren lassen konnte, aber niemals würde sie den Untergang eines Schiffes aufhalten können. Unbesiegbar war sie leider doch nicht. Es lief ihr ein Schauer über den Rücken bei dem Gedanken an hochschlagende Wellen, die ihr Schiff zu verschlingen drohten. Drittens konnte sie natürlich nicht von Hans auf seinen Vater und seine Brüder schließen, aber es bereitete ihr Unbehagen, nichts über den König und die Prinzen zu wissen. Würden sie besser oder schlimmer sein als Hans? Und würde sie Hans begegnen? Sie würde nicht noch einmal auf seine Manipulation hereinfallen, trotzdem wollte sie ihn nicht sehen. Sie hoffte, dass er von seiner Familie ordentlich bestraft wurde und ihr nicht über den Weg lief. All ihren Ängsten und Sorgen zum Trotz hatte sich Elsa für diese Reise entschieden. Ihr Königreich war klein und brauchte starke Verbündete. Und die Südlichen Inseln waren so ein starker Verbündeter, den man nicht lieber verärgern wollte. Es war Zeit, ihre Reise vorzubereiten. ❄❄❄ Hans schufte seit Stunden im königlichen Stall. Seine Familie war zu einem Jagdausflug ausgebrochen. Ohne ihn verständlicherweise, denn wenn er vorher entweder ignoriert und völlig vergessen wurde oder sich nur über ihn lustig gemacht hatte, so war er jetzt noch tiefer gesunken. Wenn sein Leben schon vorher die Hölle auf den Südlichen Inseln gewesen war, dann war er jetzt im neunten Kreis der Hölle angelangt. Er hatte sich seine Rückkehr aus Arendelle ganz anders vorgestellt. Er wäre als König von Arendelle auf seinem eigenen Schiff in den Hafen eingefahren. Seine Brüder hätten ihm zu Ehren ein Bankett veranstalten müssen und sein Vater hätte zum ersten Mal in seinem Leben mit ihm von gleich zu gleich sprechen müssen. Seine Brüder hätten im Rang unter ihn gestanden und er wäre endlich besser als sie gewesen. Die triumphale Rückkehr aus seinem Tagtraum war nicht Wirklichkeit geworden. Stattdessen war er als Versager zurückgekehrt. Sein Vater hatte sich nicht einmal vollständig den Bericht des französischen Botschafters über die Vorkommnisse in Arendelle angehört, bevor er ihm den Titel als Botschafter von Arendelle – seinem einzigen Titel neben Prinz – aberkannt hatte, ihm befohlen, sein Zimmer zu räumen, – was sowieso schon das kleinste Gemach des Palastes war und völlig abseits von den Gemächern der restlichen königlichen Familie lag – und sich zum Dienst im Stall zu melden. Seitdem hatte sein Vater kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Seine Mutter hatte ihn einmal aus der Ferne kurz zugewunken und traurig gelächelt, zu mehr hatte sie sich auch früher schon nicht durchringen können, denn sie wollte den Zorn ihres Mannes nicht auf sich ziehen. Seine zwölf älteren Brüder kamen fast täglich vorbei, um ihn weiter zu erniedrigen und sich ein Sport daraus zu machen, ihn ihre Pferde satteln zu lassen, um dann doch nicht auszureiten und er sie alle wieder absatteln konnte oder ihre Pferde möglichst dreckig von ihren Ausritten wieder zurückzubringen, damit er stundenlang sie wieder säubern konnte. Und jetzt war die ganze Familie plus Gäste und Dienerschaft zur Jagd aufgebrochen. Hans hatte noch keine Sekunde Pause gehabt, denn seit dem frühen Morgen hatte er zusammen mit zwei anderen Stallburschen alle Pferde vorbereitet, gestriegelt und gesattelt und seit sie weg waren, war er damit beschäftigt, die Boxen der Pferde auszumisten, zu reinigen und mit neuem Stroh wieder zu befüllen. Und bald würde seine Familie von der Jagd zurückkehren und er würde wieder alle Hände voll zu tun haben. Bereute er es nach Arendelle gefahren zu sein? Nein, das auf keinen Fall. Hätte er die Chance nicht zumindest genutzt, hätte er sich immer gefragt, wie sein Leben gewesen wäre, wenn er es versucht hätte. Ein anderes Königreich mit einer Königin ohne Eismagie und ohne eine Prinzessin mit einem harten rechten Schlag und sein Plan hätte klappen können. Doch er war an seiner eigenen Dummheit genauso gescheitert, – warum hatte er nicht sicher gestellt, dass Anna wirklich zu Eis erstarrt war? - wie an Elsa und Anna, zwei Frauen, mit denen er nie gerechnet hatte Hans hatte schon immer seinen Tagträumen hinterher gehangen. Zunächst war es immer der Tagtraum gewesen, plötzlich der einzige Sohn seines Vaters zu sein und von ihm alle Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen, die zumeist seinem ältesten Bruder Caleb als Kronprinzen zufiel und ein wenig den anderen Söhnen. Dann hatte sein Bruder Lars ihn auf die Idee gebracht, die Königin von Arendelle zu heiraten, damit er endlich die Südlichen Inseln verlassen konnte und selbst König wurde. Monatelang hatte er nur an Elsa gedacht und wie er sie davon überzeugen konnte, ihn zu heiraten. Hunderttausend Szenarien hatte er in seinem Kopf durchgespielt und in jeder war sie ihm glücklich um den Hals gefallen, hatte ihn auf der Stelle geheiratet und ihm den Thron mit all seinen Pflichten überlassen, um sich der Schar an Kinder zu widmen, die sie natürlich zusammen bekommen hätten. Weder war Hans der einzige Sohn seines Vaters, – er hoffte immer noch auf eine Krankheit, die alle dahin raffen würde außer ihn und seiner Mutter – , noch hatte Elsa ihn geheiratet. Er war so tief gesunken für seinen Tagtraum, das er versucht hatte, sich mit Gewalt zu nehmen, was er eigentlich mit Charme hatte erreichen wollen. Das ärgerte ihn zutiefst. Er bereute es mehr gescheitert zu sein, als seine Mittel auf dem Weg zum Ziel, aber er wusste, das er zumindest ohne Gewalt seinen Posten als Botschafter behalten hätte können und das wäre besser gewesen, als für den Rest seines Lebens als Stallbursche für seine Familie herzuhalten. Er hätte einen größeren Teil seiner Zeit in Arendelle zu bringen können und nur hin und wieder für Berichte zu den Südlichen Inseln zurückkehren müssen. Vielleicht hätte er Anna doch noch zur Frau gewinnen können, wenn er sich nicht alles verspielt hätte. Zumindest hätte er dann die Hölle dieses Gefängnis hinter sich gelassen, das die Südlichen Inseln seit seiner Geburt für ihn darstellten. Warum war er nur bloß so dumm gewesen? „Ach, wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen könnte“, flüsterte er in Sitrons Mähne, das einzige Pferd, das noch im Stall stand. Zumindest sein Pferd war ihm nicht genommen worden, das hatte sein Vater wahrscheinlich einfach vergessen. Hufgetrappel und lautes Pferdewiehern verkündete Hans, dass seine Familie zurückgekehrt war. Er trat schnell aus der Box von Sitron heraus, er musste sein Vater nicht auf seine Vergesslichkeit hinweisen, um sich in den Schatten zu drücken. Seine Hoffnung war gering, dass er im Getümmel übersehen wurde, aber vielleicht gelang ihm ja das Kunststück mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Er konnte sehen, wie seine Brüder nach ihm Ausschau hielten und Caleb schaute bereits in seine Richtung, als plötzlich ein Diener aufgeregt herbeigeeilt kam. „Eure Majestät, die Antwort aus Arendelle ist gerade eingetroffen.“ Hans sackte das Herz noch tiefer. Was hatte sein Vater mit Arendelle zu schaffen? Der König öffnete den Brief, überflog ihn schnell, gebot mit einer Geste für Ruhe, um dann laut zu verkünden: „Die Königin von Arendelle wird in einer Woche eintreffen.“ Hatte die Hölle eigentlich auch noch einen zehnten Kreis? Wenn ja, dann war Hans in einer Woche sicherlich dort. ❄❄❄ Elsa konnte die ersten Konturen der sieben Südlichen Inseln in der Ferne ausmachen. Die Reise war ruhig verlaufen und nach ein paar Stunden hatte sie zumindest ihr Misstrauen gegenüber dem Meer und dem Schiff etwas abschütteln können. Ihre Nervosität hatte fast die Reling gefrieren lassen, weil sie ihre Angst kaum unter Kontrolle bekam. Sie war dankbar für ihre Crew, die es mit keinem Wort erwähnte. Schließlich wusste jeder in Arendelle wie der vorige König mit seiner Frau zusammen umgekommen war. Niemand machte ihr einen Vorwurf und Elsa versuchte ihre Ängste so gut es ging zu kontrollieren, um nicht aus Versehen das ganze Schiff zu vereisen. Viel schwerer als die Fahrt war die Abfahrt gewesen. Elsa hatte tricksen müssen, um Anna davon abzuhalten, als blinder Passagier mitzukommen. Ein anderes Schiff mit einer Eis-Elsa war aus dem Haupthafen abgefahren, während Elsa zeitgleich aus einem anderen Hafen mit einem anderen Schiff ihre Reise gestartet hatte. Trotzdem hatte sie erst das ganze Schiff mit jedem einzelnen Winkel abgesucht, bevor sie den Befehl zur Abfahrt gegeben hatte. Anna war hoffentlich in Arendelle in Sicherheit und Elsa war noch nicht auf dem Grund des Meeres gelandet, also waren zwei ihrer Ängste vorerst ausgestanden. Jetzt konzentrierten sich all ihre Sinne auf ihre Ankunft auf den Südlichen Inseln. Sie trug das erste Mal seit Langem wieder feine Handschuhe, da sie in ihrer Nervosität nicht sicher war, ob sie nicht aus Versehen ihre Fähigkeiten einsetzte. Das hier fühlte sich eine Nummer größer an als alles, was sie zuvor durchgestanden hatte. Das Schiff kam im Hafen an und Elsa beobachtete interessiert den Anlegeprozess sowie das Empfangskomitee, das sich längst im Hafen eingefunden hatte. Sie versuchte die Gesichter zu erkennen, doch sie waren zu weit weg und sie musste sich gedulden, bis alles bereit war für ihren großen Auftritt. Ihren ersten Staatsbesuch. Elsa zwang sich noch ein paar Mal tief Luft zu holen, bevor sie das Schiff über den Steg verließ. Mehrere Menschen lösten sich aus dem Empfangskomitee und kamen ihr entgegen. „Willkommen Königin Elsa von Arendelle“, begrüßte sie ein stattlicher Mann mit goldrotem Haar. Das musste Gustav Westergaard, der König der Südlichen Inseln, sein. Neben ihm stand seine Frau, die Königin, die nur auf den Boden starrte und überhaupt nicht anwesend zu sein schien. Auf der anderen Seite stand eine jüngere Ausgabe des Königs mit seiner Frau. Das musste der Kronprinz Caleb sein. Elsa deutete einen leichten Knicks an. „Vielen Dank für den freundlichen Empfang, Eure Majestät. Eure Inseln erscheinen mir wunderschön und ich kann es kaum erwarten, mehr von ihnen zu sehen.“ Als sie den Kopf hob, um über die Menge zu sehen, konnte sie noch mehr rotblonde Schöpfe erkennen, die hinter dem König standen und alle hatte sie eine Frau an ihrer Seite. Dazu hatten manche Frauen Kinder an ihrer Seite oder im Arm. Elsa musste innerlich stöhnen bei dem Gedanken daran, dass Anna sie alle hatte einladen wollen zu ihrer Hochzeit mit Hans und sogar vorgeschlagen hatte, dass sie alle im Palast in Arendelle leben sollte. Gut, dass sich Hans als Betrüger und Lügner herausgestellt hatte. So viele Menschen im Palast von Arendelle hätte sie niemals ertragen. Sie war sich nicht einmal sicher, wie sie sich all die Namen merken sollte, da ihr den König nun jeden einzelnen Sohn mit seiner Frau vorstellte. Im Kopf blieben ihr nur der älteste Sohn Caleb, sowie die Zwillinge Rudi und Runo, die den Abschluss bildeten. Hans war nicht anwesend und der König erwähnte ihn mit keinem Wort. Sie war dankbar, ihm hier nicht begegnen zu müssen. „Kommt, wir haben bereits alles für das Bankett vorbereitet. Lasst uns hineingehen!“ Elsa folgte der Heerschar von Westergaards und fühlte sich einfach nur überwältigt. Vor ihr erhob sich der Palast aus glänzendem schwarzen Stein, für den die Südlichen Inseln so bekannt waren, da er nur hier vorhanden und abgebaut werden konnten. Elsa wusste, dass einige der Skulpturen in Arendelle aus diesem Stein gefertigt wurden und gerade Künstler ihn gerne verwendeten, aber auch Architekten ihn viel nutzten. Alleine deswegen konnte sie den Handel mit den Südlichen Inseln nicht einstellen. Sie fand den Palast trotz des schönen schwarzen Glanzes unheimlich. Nirgendwo konnte sie größere Fenster oder Öffnungen erspähen. Es gab nur ein großes Tor, das hineinführte, doch ansonsten schien es keinen Ein- oder Ausgang zu geben. Dieser Palast schien eine einzige uneinnehmbare Festung zu sein. Es fühlte sich an, als würde sie das Tor zur Unterwelt durchschreiten, als sie die Festung betrat und für einen Augenblick rechnete sie damit, sich in voller Dunkelheit zu befinden, doch der Flur und auch der große Audienzsaal, den sie nun betraten, waren voller Kerzen. Es erschien ihr eine gewaltige Verschwendung von Wachs zu sein, so viele Kerzen zeitgleich brennen zu lassen, doch ohne das Kerzenmeer war es hier drinnen wahrscheinlich viel zu finster. Elsa ließ sich zu ihrem Ehrenplatz an der Seite des Königs begleiten und fühlte sich auf einmal völlig alleine. Im Meer der vielen Gesichter war niemand, den sie kannte. Warum war sie nur hierher gekommen? Hoffentlich gingen die Verhandlungen schnell über die Bühne, denn an diesem finsteren Ort wollte sie nicht länger ausharren als unbedingt nötig. ❄❄❄ Hans war nicht mit dem Empfangskomitee zum Hafen hinuntergegangen, um Elsa zu begrüßen. Er war sich ziemlich sicher, dass weder sein Vater noch Elsa ihn dort haben wollte. Niemand hatte ihn eingeladen überhaupt mitzukommen. Welche Rolle spielte er auch noch in der königlichen Familie, falls er je überhaupt eine gespielt hatte. Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er überhaupt noch ein Prinz war, schließlich tat er den lieben langen Tag nichts anderes als Ställe auszumisten. Welcher Prinz war schon ein Stallbursche? Hans legte immer noch großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und verbrachte nach seinem Tagewerk noch Stunden damit, jeden Schmutz zu entfernen und seine Kleidung waschen zu lassen. Er wollte seinen Brüdern nicht noch mehr Angriffsfläche für schlechte Witze bieten. Dementsprechend war er erleichtert, dass er vorzeigbar war, als ein Diener auftauchte, um zu verkünden, dass er im Audienzsaal erwartet wurde. Hans war überrascht, dass er nun doch vermisst wurde. Oder hatte Elsa nach ihm gefragt? Zögernd, was er nun tun sollte, stand er einen Augenblick im Gang herum und traute sich nicht durch die Tür. Er erinnerte sich an die vielen Male, die er schon vor dieser Tür gestanden hatte, unsicher, ob er hinein gehen sollte oder nicht. Meist hatte er sich einen Ruck gegeben und sich immer gesagt, dass er nur fünf Minuten bleiben würde. Länger hielt er es selten aus, bevor der Spott seiner Brüder ihm zu viel wurde. Wahrscheinlich würde es heute nicht anders sein. „Fünf Minuten. Keine Sekunde mehr“, murmelte er vor sich, während er den Mut zusammenkratzte, um durch diese Tür zu schreiten. Nur solange, bis er wusste, was sein Vater oder Elsa von ihm wollte. Zunächst beachtete niemand Hans. Er schloss die Tür schnell hinter sich und blieb erst einmal außerhalb der Hektik stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sein Vater war mit seiner Mutter, Caleb und dessen Frau sowie Elsa an der erhöhten Tafel in der Mitte des Raumes versammelt. An den Seitentischen saßen seine Brüder mit ihren Frauen, durchmischt mit Würdenträger und bedeutenden Leuten der Inseln. Nirgendwo war für ihn ein Platz frei und er biss sich auf die Lippen, als ihm bewusst wurde, dass er sich einen Platz an der Tafel erhofft hatte. Ein Zeichen, das er wieder zurückkehren durfte. Dass sein Vater ihm vergeben hatte, dass er ihn doch anerkannte. Warum Hans auch immer herbestellt wurde, es war sicher nicht aufgrund der Milde seines Vaters. Er beobachte Elsa, die genauso miserabel aussah wie seine Mutter, die sonst an der Seite seines Vaters völlig unbedacht ignoriert wurde. Selbst das Bankett zu ihrem Geburtstag wirkte immer wie eine einzige politische Farce, weil sich niemand auch nur annähernd für die Königin interessierte. Hans wurde bewusst, dass sein Vater keinerlei Interesse an Elsa hatte. Er sah sie nicht als gleichrangig an. Er fragte sich, warum er sie dann überhaupt eingeladen hatte. War es wirklich nur politische Schadensbegrenzung? Elsa hob den Blick. Verflixt, er hatte sie zu lange angestarrt. Auf ihrem Gesicht vollzog sich ein faszinierendes Mienenspiel. Zuerst schien sie fast erleichtert zu sein, ihn zu entdecken, dann verdunkelte sich ihr Gesicht, bevor sie ihm die kalte Schulter zeigte. Caleb entdeckte ihn ebenfalls und machte Vater auf Hans aufmerksam. „Hans, komm her!“, befahl der König mit donnernden Stimme, sodass auch wirklich jeder Letzte sich zu ihm umdrehte. Hans sank das Herz und der letzte Mut verließ ihn. Das hier würde die Hölle werden, das konnte er in jeder Zelle seines Körpers spüren. Jeder Schritt, der ihn näher zur Tafel brachte, kam ihm vor wie auf spitzen Nadeln. Er zitterte, denn er wusste, er nahm lieber all den Spott und Häme seiner Brüder auf sich als den Zorn seines Vaters. Wieder einmal verfluchte er sich für all seine dummen Fehler des letzten Jahres und wünschte sich, dass er die Zeit zurückdrehen konnte. Er würde es besser machen. Er würde sein Ziel erreichen. Warum konnte dies nicht einer seiner Tagträume sein, die er tausende Male durchspielen konnte, um zu gewünschten Ziel zu gelangen? Dann hatte Hans die Tafel erreicht. Er straffte die Schulter und sah seinem Vater in die Augen. Er würde alles wie ein Mann ertragen und sich danach an seinen Lieblingsort, dem Hafen, zurückziehen, um sich wie schon hundertmal zuvor, seinem Kummer und seinen Tagträumen hinzugeben. Zu hoffen, dass es endlich besser wurde. Dass sich endlich was in seinem Leben veränderte. Dass sich seine Tagträume endlich erfüllten. Doch nie wurde es anders, es wurde höchstens schlimmer. ❄❄❄ Elsa war beinahe erleichtert, Hans zu sehen. Zwar nur für eine Sekunde, aber er war das eine vertraute Gesicht, das sie gebraucht hatte, um sich wieder zu sammeln und sich daran zu erinnern, dass sie nie wieder klein beigeben würde. Seit sie vom König begrüßt worden war, hatte dieser sie links liegen gelassen. Wie konnte dieses Bankett zu ihren Ehren sein, wenn sich niemand auch nur dafür interessierte, das sie anwesend war? Ihr fiel auf das die meisten der Ehefrauen völlig unbeachtet blieben. Am schlimmsten schien es die Königin zu treffen, die wirkte, als wäre nur noch ihr Körper anwesend und sie selbst wäre mit ihren Gedanken diesem Ort entflohen. Die Frauen, die Kinder hatten, waren mit diesen beschäftigt, statt sich mit ihren Ehemännern oder den Würdenträger zu unterhalten. Sie waren nur hübscher Beischmuck. Für eine Sekunde dachte sie, dass es kein Wunder war, dass es Hans nie in den Sinn gekommen war, sich einer Königin unterzuordnen oder sich mit der Rolle eines Ehemanns einer Prinzessin zufriedenzugeben. Nur der König hatte hier Macht und alle anderen wurden nicht von ihm beachtet. Jetzt war auch der Blick des Königs auf Hans gefallen und er rief ihn zu sich. Elsa fragte sich, was nun kommen würde. Zum ersten Mal wand sich der König ihr zu. „Es ist Zeit dafür, meinen Sohn Hans für sein Fehlverhalten Euch gegenüber zu bestrafen und Euch zu beweisen, das wir unsere Entschuldigung ernst meinen.“ Der König nickte ihr zu und Elsa lächelte. Wenn sie etwas bereute, war es, wie einfach sie Hans davon ziehen lassen hatte. Anna hatte ihre Rache bekommen und ihm einen Faustschlag versetzt, aber Elsa hatte ihre Wut nicht wirklich ausleben können. Sie war in dem Augenblick zuallererst nur erleichtert gewesen, dass ihre Schwester lebte und sie nicht Schuld an ihrem Tod war. Dann hatte sie endlich erkannt, wie sie ihre Kräfte kontrollieren konnte und überglücklich den Sommer zurückgebracht. Erst als Hans längst wieder in seine Heimat zurückgebracht worden war, hatte der Schock nachgelassen und sie war in mancher Nacht aufgewacht, weil Hans wieder mit erhobenem Schwert über ihr stand. Manchmal warf Anna sich dazwischen und starb wirklich, manchmal schlug Hans zu und manchmal wachte sie nur mit diesem Bild vor Augen auf. Der König musste gemerkt haben, dass in Elsa ein Sturm aus Wut, Hass und Rachegelüsten zutage getreten war. Er verzog das Gesicht zu einem furchtbaren Grinsen. „Vielleicht wollt Ihr die Strafe ja selbst wählen und vollziehen“, schlug er ihr ungeniert vor. „Ich würde gerne Eure Eismagie sehen, von der ich inzwischen so viel gehört habe.“ „Ja, friert ihm einen Finger ab.“ - „Ach, was friert die ganze Hand ein!“ - „Macht ihn zu einer schönen Eisskulptur.“ - „Den wird keiner vermissen.“ Die Söhne des Königs überboten sich mit Vorschlägen, was sie mit Hans anstellen sollte. Sie wurden immer lauter und fordernder, die Vorschlägen immer brutaler und fieser. Elsa schluckte und sah Hans an. Unsicher erhob sie sich von ihrem Sitz und ging langsam um die Tafel herum. Sie wollte Hans für alles, was er ihr angetan hatte, wehtun. Ihn verletzten. Er sollte wissen, wie es sich angefühlt hatte, eine eiskalte Anna in den Armen zu halten, mit dem Wissen, das sie selbst es gewesen war, die Annas Herz zu Eis erstarren lassen hatte. Sie konnte ihm einen Eissplitter ins Herz schießen und zusehen, wie er langsam von innen heraus erfrieren würde. Das wäre ausgleichende Gerechtigkeit. Elsa spürte, wie es in ihren Fingerspitzen kribbelte und erste Schneeflocken erschienen. Sie hob die Hand und sah in Hans' Augen, der sich seinem Schicksal mit festem Blick stellte. „Werdet nicht zu dem Monster, das alle in euch sehen wollen.“ Hans' Worte von vor einem Jahr schossen ihr durch den Kopf und erschrocken trat sie einen Schritt zurück. Sie konnte nicht fassen, was sie da gerade fast getan hätte. Sie verlor jegliche Fassung, sie zitterte und fühlte sich innerlich so kalt und leer. Sie wollte sagen: ,Ich kann das nicht. Das ist falsch. Das bin ich nicht', doch stattdessen erklärte sie: „Darüber muss ich einen Augenblick nachdenken, was eine angemessene Strafe für seine Verbrechen gegen Arendelle ist. Gebt mir Bedenkzeit.“ Enttäuschung machte sich breit in der Menge und vor allem unter den Söhnen des Königs, aber der König winkte ab und entließ Hans aus der Halle. Elsa ließ sich wieder auf ihren Platz an der Seite des Königs nieder, immer noch entsetzt darüber, was sie beinahe getan hätte. Für eine Sekunde war sie wieder in ein dunkles Loch gefallen und erstaunlicherweise war es der Gedanke an Hans gewesen, der sie wieder ans Licht gebracht hatte. Sie schüttelte den Kopf. Hans war nicht nett, aber er war vielleicht auch nicht das Monster, das sie in ihm sehen wollte. ❄❄❄ Elsa wanderte am nächsten Tag nach einer langen Sitzung mit dem König und seinen Beratern durch den Palast, der ihr immer noch mehr wie eine Festung und Gefängnis vorkam. Hier war es brutal laut und man würde denken, dass man bei so vielen Leuten an einem Ort viel Gelächter hören würde. Doch ihr kam dieser Ort traurig und leer vor. Es erinnerte sie viel mehr an die Jahre nach dem Tod ihrer Eltern, wo plötzlich der letzte Hauch – okay der vorletzte Hauch, Anna hatte sich nicht kleinkriegen lassen, – an Freude im Schloss gestorben war. Davor war auch mit der Reduzierung des Personals immer noch fröhliche Stimmen und Lachen zu hören gewesen. Die schönste Zeit war natürlich, als ihre Eltern noch lebten und Anna und sie unzertrennlich gewesen waren. Oder jetzt, wo sie wieder mit Anna zusammen war und fast alles wieder so wie früher war. Doch dieser Ort schien dunkel, kalt, rau und leer zu sein und es auch schon immer gewesen zu sein. Obwohl ihr immer wieder Leute im Gang über den Weg liefen, sahen alle nur zu Boden und eilten an ihr vorbei. Sie fragte sich, ob es an ihrer Vorstellung beim Bankett lag oder ob die Dienerschaft niemals den Mut hatte, den Blick zu heben. Elsa bereute es immer noch, sich fast den Wünschen des Königs gebeugt zu haben. Ja, sie hatte Hans wehtun wollen, doch nicht auf diese Art und Weise. Sie hatte sich für einen Augenblick genau als das Monster gezeigt, vor dem sie immer gefürchtet hatte, es zu sein. Bei ihrer Erkundungstour entdeckte sie recht abseits von allem gelegen die Bibliothek. Sie hatte sich immer gerne in Bücher geflüchtet, also beschloss Elsa, einen Blick in die Bestände des Königs zu werfen. Überraschenderweise traf sie einen der Söhne des Königs an. Sie überlegte angestrengt, wie sein Name noch einmal war, weil er bis jetzt noch keinen Eindruck auf sie gemacht hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihm bis jetzt begegnet war. „Lars Westergaard, der dritte Sohn des Königs“, stellte er sich vor, als er ihr Zögern bemerkte. Er hatte ein kleines Kind auf dem Schoß, das sich dort eingerollt hatte und schlief. „Ich bin der königliche Historiker. Das hier ist mein Reich.“ „Sehr erfreut. Ich wollte mich nur ein wenig umschauen“. Elsa deutete auf die vollen Regale um sich herum. Die Bibliothek war nicht riesig, aber sie schien wirklich ein kleines Reich inmitten des Palastes zu sein. „Ihr scheint es hier sehr gemütlich und ruhig zu haben.“ Lars lachte. „Ja, es ist der einzige Ort, an den meine Brüder nur ungern kommen. Außer Hans, der kommt gerne hierher, um sich vor der Welt da draußen zu verstecken. Oder ist er früher zumindest immer.“ Er klang traurig, als er das sagte. Elsa wusste nicht wirklich, was sie darauf antworten wollte. Sie wollte gerade nicht an Hans denken. Sie fuhr mit ihren Finger über die Bucheinbände. „Es war meine Idee“, platzte es plötzlich mit einer solchen Wucht aus Lars heraus, das Elsa merklich zusammenzuckte und das Kind auf seinem Schoß aufwachte und anfing zu weinen. Sie hatte nicht den leisesten Schimmer, was der Prinz meinen konnte, und er war zunächst einmal mit seinem Kind voll und ganz auf beschäftigt. Erst als das Baby wieder eingeschlummert war, klärte Lars sie auf. „Ich habe Hans von Euch erzählt. Als der Tod Eurer Eltern bekannt wurde, habe ich als einziger darin die Chance auf eine vorteilhafte Heirat gesehen. Ich wusste, wie unglücklich Hans war und dass er dringend eine Aufgabe brauchte. Er musste weit weg von hier, dachte ich, um endlich glücklich zu werden und sich selbst zu finden. Ich habe ihn auf diesen Pfad gelenkt und Euch so viel Unglück bereitet. Es tut mir so schrecklich Leid.“ Elsa blieb eine Antwort im Hals stecken. In den letzten Stunden hatte sie so viel über Hans gelernt, aber sie war immer noch nicht bereit, ihr Bild über ihn zu revidieren. Dieser Mann hatte versucht, sowohl ihre Schwester als auch sie zu töten und wäre beinahe erfolgreich gewesen. Sie war auf ihn reingefallen, hatte sich von ihm manipulieren lassen. Was machte es da für einen Unterschied, dass sein Bruder die ursprüngliche Idee hatte, dass Hans von seinem Vater und seinen Brüder misshandelt worden war, dass er nett sein konnte, dass sie irgendwo ein wenig Verständnis für ihn hatte? Elsa straffte ihre Schultern und sah Lars fest in die Augen. „Das ändert nichts an seinen Verbrechen gegenüber Arendelle. Ihr habt ihm bestimmt nicht eingeflüstert, dass er meine Schwester oder mich töten soll. Das war seine eigene Entscheidung und daran tragt ihr keine Schuld. Also macht euch keine Vorwürfe.“ „Das habe ich nicht. Das stimmt, aber ihr wisst nicht, wie sehr Hans etwas Anerkennung von unserem Vater haben wollte. Er war bereit alles für ihn zu tun, um diese eine Chance, als Botschafter an Euren Hof zu kommen, zu erhalten. Und Vater hat es ausgenutzt. Er hat ihn schreckliche Dinge tun lassen und Hans hat alles getan, mit dem Ziel vor Augen Euch zur Frau zu gewinnen, um damit die Anerkennung Vaters zu erlangen, aber vor allem um nie wieder hierher zurückkehren zu müssen. Als das drohte nicht zu klappen, muss etwas in ihm geschnappt haben und er hat versucht, mit aller Macht an seinem Ziel festzuhalten. Glaubt mir, ich will seine Taten nicht entschuldigen, aber bitte macht ihn nicht zu einer Eisskulptur.“ Lars sah sie flehend an. Elsa war überrascht, sie hatte das Gefühl gehabt, dass keiner seiner Brüder Hans besonders mochte und war darüber entsetzt gewesen, das niemand Einspruch erhoben hatte, als sie Hans beinahe vereist hätte. Was für ein schrecklicher Ort, das hier wirklich war. „Ich will kein Monster sein. Ich will meine Magie gar nicht für solche schrecklichen Dinge einsetzen. Gestern hab ich mich von der Mengen und meiner eigenen Wut anstacheln lassen, aber ich könnte das nie tun. Das bin ich nicht. Ich bin ein Feigling dafür, dass ich das nicht an Ort und Stelle unterbunden habe“, gestand sie Lars gegenüber ein. „Ihr wollt meinen Vater, den König, nicht verärgern. Das ist verständlich. Immerhin habt ihr Euch nicht als Werkzeug von ihm benutzen lassen. Lasst nicht zu, dass er das tut. Er kann grausam sein und meine Brüder, mich selbst eingeschlossen, streben alle danach, ihm zu gefallen und alles für ihn zu tun, für einen Brocken Aufmerksamkeit. Ich wollte Hans nur beschützen, aber stattdessen habe ich ihn einen dunklen Pfad heruntergeführt. Ohne mich hätte er sich nie so sehr Vater angebiedert, um die Stelle als Botschafter zu bekommen und hätte nie diese schrecklichen Dinge tun müssen, um den Platz als Botschafter zu bekommen. Das hat ihn verändert. Er war immer der Beste von uns und hat alles ertragen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.“ Lars brach in Tränen aus und weckte wieder sein Kind, das mit ihm nun synchron weinte. Elsa berührte sanft Lars' Hand. Sie fühlte Sympathie für diesen Mann und wollte ihn am liebsten in die Arme schließen. „Es ist wirklich nicht eure Schuld. Bestraft euch nicht selbst.“ Sie war für einen Augenblick dankbar für ihre Eltern, die sie immer geliebt hatten und alles in ihrer Macht Stehende getan hatten, um für sie da zu sein und ihr zu helfen ihre Magie zu kontrollieren. Sie war behütet und geliebt aufgewachsen. Auch wenn ihre Eltern nicht unfehlbar gewesen waren, hätte sie nie von ihr verlangt grausame Dinge zu tun, um ein Stückchen Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie ließ es endlich zu, Hans in einem neuen Licht zu betrachten und traf eine Entscheidung. „Wo finde ich Hans?“ ❄❄❄ Hans hatte heute die Arbeit geschwänzt und sich zum Hafen zurückgezogen. Dort lag immer noch das Schiff aus Arendelle am Dock und erinnerte ihn schmerzlich an seine einzige Chance, diesen Ort für immer zu verlassen. Jetzt brauchte er nicht einmal mehr darauf zu hoffen, dass sein Vater ihn jemals verheiraten würde. Er würde für immer an diesen Ort versauern, wenn ihn die Königin von Arendelle nicht vorher zu Eis erstarren ließ. Vielleicht wäre das sogar für das Beste. Gestern hatte er sich seinem Schicksal noch völlig ergeben, erst danach war die Angst gekommen und die Erleichterung darüber, das er noch lebte, aber was für ein Leben führte er hier schon? Plötzlich konnte Hans Schritte hinter sich hören und sah auf, in der Annahme, Hafenpersonal oder einen Inseleinwohner zu erblicken, doch stattdessen stand dort Elsa. Jetzt war es wirklich vorbei, dachte er. „Kann ich mich dazu setzen?“, fragte sie und ließ sich ohne seine Antwort abwarten direkt neben ihn auf den Steg fallen. Hans konnte nicht anders als sie unverhohlen anzustarren. Vielleicht war er gerade wieder in einem seiner Tagträume gefangen, in dem er sich überlegte, wie er seinem Schicksal entgehen konnte. „Seid ihr ein Tagtraum?“, fragt Hans Elsa und ärgerte sich dann im nächsten Augenblick über sich selbst. Was war das für eine Frage? Als ob er träumte. Die Zeit war vorbei. „Ein Tagtraum?“, fragte sie ihn und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Oh nein, sie war real, wurde ihm bewusst, auch wenn Hans immer noch nicht verstand, wie es sein konnte, dass die Königin von Arendelle neben ihm auf dem Steg saß und genau wie er die Beine über dem Wasser baumeln ließ. Hans errötete. „Ich … ihr wart jahrelang nur ein Tagtraum von mir. Ich habe tausende Versionen von Euch getroffen und jede Einzelne von Euch für mich gewonnen.“ Warum gab er das jetzt zu? Diesen Spruch hätte er besser vor einem Jahr bringen sollen. Ob er so Elsas Herz hätte erobern können? Schließlich war es die Wahrheit. Vielleicht hätte die Wahrheit für ein gutes Ende gesorgt. Wenn er doch nur bei seinem Charme geblieben wäre … Er räusperte sich. „Was kann ich für euch tun, Eure Majestät?“, versuchte er von seinem kurzen Ausreißer abzulenken und wieder der edle, mutige Prinz zu sein, statt des kleines Jungen mit großen Träumen. „Ich brauche eure Hilfe. Helft mir zu entscheiden, was die richtige Strafe für eure Verbrechen ist.“ Hans schluckte schwer. Dafür war Elsa also gekommen. Wollte sie, dass er um Gnade flehte, sich in den Dreck warf und sich ihr völlig unterwarf? Wollte sie ihn hier an Ort und Stelle zu Eis machen, wenn er nicht das Richtige sagte? Was konnte er sagen? Was wollte er am Ende für eine Strafe? War er nicht schon genug vom Leben gestraft? „Was immer Euch als Strafe beliebt“, antwortete er so galant wie möglich. „Das ist keine Antwort. Seid ehrlich. Welche Strafe glaubt ihr zu verdienen dafür, dass ihr Anna und mich fast getötet hättet, um mir meinen Thron zu stehlen?“ Sie sah ihm direkt in die Augen und er konnte sich ihren Augen nicht entziehen. Es war Zeit für die Wahrheit. Seine letzte Chance, die Dinge wieder zu richten, da er immer noch nicht fähig war, die Zeit zurückzudrehen. „Ich bin nach Arendelle gekommen, um euch zu umwerben und nach Möglichkeit zu heiraten. Doch ich bin Anna zuerst begegnet und sie war so begeistert von mir, dass ich mich auf sie verlegt habe.“ Er zuckte mit den Schultern. Es klang furchtbar, wenn er das so ehrlich zugab. „Ich dachte, wenn ich erst mal einen Fuß in der Tür hatte, würde der Rest sich von alleine ergeben. Doch dann habt ihr eure Fähigkeiten gezeigt und Anna ist auf die Suche nach euch gegangen und hat mir die Macht in die Hände gelegt. Und plötzlich hatte ich nicht nur einen Fuß in der Tür, sondern sie hatte sich mir ganz geöffnet und das hat mich geblendet.“ Er sah Elsa fest in die Augen. „Ich wollte von hier weg und ich wollte mein eigenes Königreich. Dafür werde ich mich nicht entschuldigen. Ich hab für nichts anderes gelebt,als den Traum, mein eigener Herr zu sein. Doch ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und es anders machen. Ich wollte niemals Gewalt einsetzen. Ich wollte einzig allein durch meine Fähigkeiten und meinen Charme überzeugen. Ich hab mich von der Macht und meinen Wünschen blenden lassen. Ich war ehrlich zu Anna, ich hab sie nicht geliebt und hätte sie nicht durch einen Kuss retten können. Und wenn ich Anna nicht retten konnte, konnte ich sie nicht heiraten. Und wenn ich sie nicht heiraten konnte, konnte ich nicht von hier weg und die Tür zur Macht würde sich wieder schließen. Es war meine einzige Chance. Ich wollte nicht in diese Hölle zurück, die sich meine Heimat schimpft. Ich wollte nicht weiter für meinen Vater Menschen quälen, die mit ihren Zahlungen im Rückstand waren oder sich negativ über seine Herrschaft geäußert haben. Ich wollte Macht über etwas haben. Ich wollte eine glückliche Familie. Ich wollte Liebe!“ Seine Stimme bebte, als er den letzten Teil fast heraus brüllte. Es tat gut, es endlich einmal auszusprechen. Das hier war mehr, als er eigentlich hatte sagen wollen. Er hat mit niemanden je darüber gesprochen, was sein Vater für unaussprechliche Dinge von ihm verlangt hatte. Er hatte nie offen seinen Wunsch nach Liebe geäußert. Ihm war bis eben nicht einmal bewusst gewesen, dass er über alles Stehende, Liebe am meisten gewollt hatte. In all seinen Tagträumen hatte Elsa ihn immer geliebt und er hatte sie geliebt. Sie hatten eine glückliche Familie gehabt. Der Thron war nur ein schöner Bonus gewesen, wurde ihm zum ersten Mal bewusst. „Lasst mich einfach hier in dieser Hölle zurück“, antwortete er bitter auf ihre ursprüngliche Frage. Er verdiente nach allem, was er getan hatte, keine Liebe mehr. Er war verdammt. Ohne auf ihre Reaktion zu warten, ging er den Steg hinunter und ließ seine Tagträume hinter sich zurück. ❄❄❄ Es war der letzte Abend ihrer Reise. Elsa war froh, endlich wieder nach Arendelle zurückzukehren. Das Abenteuer Staatsreise musste sie nach ihren Erfahrungen hier nicht so schnell wiederholen. Zum Glück war Anna von all diesem Drama verschont geblieben. Die Verhandlungen waren nicht besonders erfolgreich gewesen, da der König sich kaum dafür interessiert hatte. Sie war sich sicher, dass er sie nur aus einem Grund hierher eingeladen und das war ihren Fähigkeiten. Oder vielmehr wollte er wissen, ob sie sich als Waffe einsetzen ließ und damit eine Gefahr für ihn darstellte. Doch sie hatte sich geschworen, ihre Fähigkeiten nur im Notfall einzusetzen, auch wenn sie dieses Versprechen, seit sie hier war, schon fast einmal gebrochen hatte. Das Fest plätscherte vor sich hin und sie wusste, bald würde sie ihre Entscheidung verkünden müssen. Der König würde sie nicht einfach davon kommen lassen. Nach dem Gespräch mit Hans hatte sie die halbe Nacht wach gelegen und alles noch einmal von hundert verschiedenen Perspektiven aus betrachtet. War das, was sie vor hatte, das Richtige? Sie wünschte, sie könnte ihre Eltern um Rat fragen. Sie wusste, Anna würde toben, wenn sie hörte, was Elsa plante. Sie würde ihr den Raum geben, ihren Gefühlen Luft machen zu können und dann würde sie es ihr in Ruhe erklären. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Anna danach noch immer dagegen sein würde. Besser sie brachte es schnell hinter sich und konnte dann endlich diesem nervtötenden Fest entfliehen, wo niemand sich mit ihr unterhielt und sie nur Beischmuck war. Elsa stand auf und machte auf sich aufmerksam. „Eure Majestät, ich hab mich entschieden, wie ich mit Eurem Sohn verfahren möchte.“ Der Saal wurde still. Der König sah sie begierig an und sie wusste, dass er hoffte, dass sie ihm jetzt endlich ihre Eismagie präsentierte, die sie ihm bis jetzt außer ein paar Schneeflocken für die Kinder verwehrt hatte. Hans, der bis jetzt in einer Ecke gestanden hatte, wurde herbei gewunken. Sie sah, wie nervös er war, obwohl er versuchte, es zu überspielen. Sie war also sein Tagtraum, musste sie lächelnd an seine Worte von gestern denken. Das war eine schöne Vorstellung, der Tagtraum von jemand zu sein, auch wenn sie wusste, dass Hans es nicht romantisch gemeint hatte. Und auch, was sie jetzt tat, war in keiner Weise romantischer Natur. Elsa hatte sich nicht von gestern auf heute in Hans verliebt, sondern sie war nur zu einer neuen Einsicht über Hans gelangt und das war die Grundlage für ihre Entscheidung. Wieder stand sie Hans gegenüber und wieder erwiderte er ihren Blick fest. Man musste es ihm lassen, er war definitiv kein Feigling. „Was also ist Eure Strafe für meinen Sohn?“, fragte der König begierig und lehnte sich weit nach vorne, um ja nichts zu verpassen. Wie konnte er nur so gespannt darauf sein, was sie seinem Sohn antun würde? Sie atmete tief durch. Das hier war die richtige Entscheidung. Der König hatte es ihr mit seinem Verhalten gerade nur noch einmal bestätigt. „Ich hab entschieden, ihn zu meinem Botschafter zu ernennen.“ Stille. Der ganze Saal war mucksmäuschenstill und schien darauf zu warten, was die Reaktion des Königs sein würde. Hans war der Mund aufgeklappt. Elsa fragte sich, was er gedacht hatte, was ihre Strafe für ihn sein würde. Er war gestern nach seinen Worten einfach davon gestürmt. Sie hatte sehr mit diesem Ausbruch an Emotionen zu kämpfen. Lars hatte ihr schon einen Blick hinter Hans' Fassade gewährt, doch sie hatte noch mit sich gehadert. Es war schwer, ihr Bild von ihm von heute auf morgen zu ändern, doch sie war nach all ihren Eindrücken hier bereit dazu gewesen es zu überdenken. Sein ehrliches Eingeständnis hatte sie überzeugt, ihm noch eine Chance zu geben. Er hatte wirklich schon genug gelitten, das war Strafe genug. Sie war sich nicht sicher, ob er sich ändern würde, doch sie hatte sich selbst ein Monster geglaubt und erst Annas Liebe hatte sie vom Gegenteil überzeugt. Elsa wollte jetzt dasselbe für Hans tun. „Bitte was?!“, polterte der König nach diesem Augenblick der Stille los. „Das ist doch keine Strafe! Ich hab ihm den Titel als Botschafter entzogen.“ „Findet ihr nicht, dass es Strafe genug für den Prinzen ist, wenn er zurückkehren muss an den Ort seiner Verbrechen und Buße leisten muss?“ Der König schwieg bitter. „Ich werde unsere Verhandlungen über den neuen Handelsvertrag nur mit Prinz Hans als Botschafter fortführen.“ Elsa war stolz auf sich, wie sie hier ihren Mann stand. Sie würde nicht klein beigeben und das war dem König wohl auch bewusst. „Wie ihr es wünscht, Eure Majestät. Eine wirklich weise Entscheidung für so eine junge Königin wie Euch.“ „Danke, Eure Majestät.“ Der König wand sich wieder von ihr ab und vertiefte sich in Sekunden wieder in das Gespräch mit seinem ältesten Sohn. Hans stand immer noch mit offenem Mund vor ihr. Sie lächelte ihn an. „Träumt weiter von euren Wünschen und gebt euch nicht auf. Seid nicht das Monster, das alle in euch sehen“, gab sie ihm seine eigenen Worte auf dem Weg mit, bevor sie sich schleunigst aus der Halle aufmachte. Sie hatte ihrer Crew bereits den Befehl gegeben, noch heute Abend zurückzukehren. Sie sehnte sich nach Anna und ihrem Zuhause. Wie hieß es so schön, man konnte wirklich erst etwas wertschätzen, wenn man es verloren oder in ihrem Fall zurückgelassen hatte. Elsa lächelte und konnte es kaum abwarten, Anna von allem zu erzählen. Und sobald alles vorbereitet war und die Wogen geglättet waren, würde sie nach Hans schicken lassen. Es war Zeit, sein kaltes Herz mit Freundlichkeit zu überfluten und es zu schmelzen. ❄❄❄ Der Brief kam eines schönen Sommertages über den Seeweg zu den Südlichen Inseln. Das Kuvert war aus edlem Pergament und roch nach süßlichem Parfüm. Das Siegel aus grünem Wachs zierte ein stilisierter Krokus, das Wappen von Arendelle. Die Einladung war schlicht formuliert und nur an Prinz Hans adressiert. Sie erwähnte weder den König noch einen seiner zwölf älteren Brüder. Hans wurde dazu aufgefordert, seine neue Position als Botschafter der Südlichen Insel anzutreten und nach Arendelle zu kommen, um die Gespräche über den neuen Handelsvertrag fortzusetzen. Zu Ehren seiner Ernennung als offizieller Botschafter sollte ein kleines Fest veranstaltet werden und ihm wurde ein Gemach im Palast zur Verfügung gestellt. Ein freundlicher Unterton schwang im Brief mit, der eine mögliche Freundschaft versprach, ohne ins Detail zu gehen. Dieser Brief sorgte für ein Lächeln auf dem Gesicht des jüngsten Prinzen, der sofort alles in die Wege leitete, um nach Arendelle zurückzukehren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)